Langfassung als PDF - Advent

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Langfassung als PDF - Advent
ZEICHEN DER ZEIT
Lüner Rennbahn 14 • 21339 Lüneburg • www.advent-verlag.de
[Langfassung zum Beitrag der ZEICHEN DER ZEIT-Ausgabe II-2005]
Gott und die Naturkatastrophen
Dr. Johannes Mager
Hinter uns liegt eine der größten Naturkatastrophen seit Menschengedenken. Die Flutwelle im
Indischen Ozean hat in wenigen Augenblicken unsagbares Leid über Millionen von Menschen
gebracht, Familien auseinander gerissen, Existenzen zerstört, ganze Landstriche verwüstet. Bis
jetzt sind fast 300.000 Tote gezählt worden, dazu ungezählte Verletzte und spurenlos Vermisste,
zigtausend Waisenkinder und Millionen obdachlose und traumatisierte Überlebende. Nackte
Zahlen, die erschüttern, die aber nicht vermögen, die erlebte äußere und innere Not auszudrücken;
denn immer geht es um Einzelschicksale, um Menschen wie du und ich. Eine beispiellose
humanitäre Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes hat die Menschheit heimgesucht.
Naturkatastrophen dieser Größenordnung schockieren und traumatisieren aber nicht nur; sie
lösen auch Fragen aus: oberflächliche und hintergründige, angstvolle, die wie eine Flutwelle über
uns kommen und uns in den Abgrund der Verzweiflung reißen können. Wir stoßen an Grenzen und
finden keine Antwort. Einigen dieser Fragen wollen wir nachgehen und versuchen, uns an
Antworten heran zu tasten. Beginnen möchte ich mit einer grundsätzlichen Frage: Hat Gott etwas
mit dieser Naturkatastrophe im Indischen Ozean zu tun? Zugespitzt gefragt: Ist er derjenige, der
jenseits von Raum und Zeit auf den Knopf gedrückt und sie ausgelöst hat?
Was hat Gott mit den Naturkatastrophen zu tun?
Wie der Begriff „Naturkatastrophen“ sagt, handelt es sich um Katastrophen, die sich in der Natur
ereignen. Im Unterschied zu den Menschen im Mittelalter oder Altertum kennen wir heute in den
meisten Fällen die Ursachen, die zu solchen Katastrophen führen. Wir wissen, wodurch Gewitter
entstehen und in ihrer Urgewalt losbrechen, wie sich über warmen Meeresgebieten tropische
Wirbelstürme zusammenbrauen und Tod und Verderben zurücklassen. Wir wissen, wie es kommt,
dass durch glühende Lava und Gase im Erdinnern Vulkane ausbrechen und alles Lebendige unter
sich begraben. Dass tektonische Verschiebungen unter der Erdoberfläche oder auf dem Meeresgrund Beben hervorrufen, die im Meer riesige Killerwellen, Tsunami genannt, auslösen. Was für
ungeheure Kräfte dabei freigesetzt werden, haben wir im Fernsehen erschreckend verfolgen
können. Diese Naturereignisse sind in ihren Ursachen naturwissenschaftlich erklärbar.
Das ganze Szenarium der Naturkatastrophen hat unmittelbar und ursächlich nichts mit Gott zu
tun. Was wäre das denn für ein Gott, der an seinem Schalttisch sitzt und durch Knopfdruck
Katastrophen aller Art auslöst? Das ist längst überwundene mythische Göttervorstellung. Nicht auf
Gott dürfen wir mit dem Finger zeigen, vielmehr auf uns selbst. Nicht wenige dieser Katastrophen
verursachen wir Menschen doch selbst durch Gewinnsucht und Raubbau an der Natur. Stichworte
genügen. Jedes spricht für sich eine deutliche Sprache: Umweltverschmutzung, Luftverpestung,
Erderwärmung, Ozonloch, Klimaveränderung. Wir zerstören Gottes gute Schöpfung und stehen
erst am Anfang einer Entwicklung, deren Folgen wir noch schmerzlich erfahren werden.
Ob nun wir Menschen für Naturkatastrophen verantwortlich sind, oder ob sie ohne unser Zutun
von der Natur selbst ausgelöst werden, immer zeigen uns die Naturgewalten, dass unser Planet
kein Paradies ist. Solange wir in einer unvollkommenen Welt leben, die sich von Gott gelöst hat,
werden Naturkatastrophen unausweichlich unsere Begleiter sein. Die Bibel unterstreicht diese
Tatsache mit den Worten, „dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und
sich ängstet“ und auf den Tag wartet, da sie frei wird „von der Knechtschaft der Vergänglichkeit“.
(Römer 8,21.22) Zugleich erinnern die Naturkatastrophen daran, dass wir die Kräfte der Natur nicht
ZEICHEN DER ZEIT • Gott und die Naturkatastrophen (J. Mager)
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beherrschen oder bezwingen können. Das sollte uns vor jeder Hybris bewahren, uns demütig
machen, wie es Bundespräsident Köhler anlässlich der Trauerfeier für die Opfer der Tsunamikatastrophe im Deutschen Bundestag am 20. Januar 2005 formuliert hat.
Wie kann Gott solche Katastrophen zulassen, wenn er ein Gott der Liebe ist?
Und doch ist das nicht die ganze Antwort auf unsere Frage, ob die vielen Naturkatastrophen
etwas mit Gott zu tun haben. Wenn Gott der Herr über alle und alles ist, dann muss das auch etwas
mit Gott zu tun haben. Wenn er der Schöpfer unserer Welt ist, dann muss er auch die Kontrolle
über die Kräfte der Natur haben. Zwischen den Naturkatastrophen und Gott muss es eine
Verbindung geben. Irgendwie spüren wir diesen verborgenen Zusammenhang. Wie könnte denn
sonst immer wieder gefragt werden: Wie kann Gott solche Katastrophen zulassen, wenn er ein Gott
der Liebe ist? Während einer Benefizsendung für die Flutopfer fragte der bekannte Sänger Udo
Jürgens: „Es muss schon gestattet sein, anlässlich eines solchen Desasters zu fragen: Wie kann
Gott, wenn es ihn gibt, so etwas zulassen?“
Das ist die uralte, philosophische Frage, wie sich Gottes Gerechtigkeit und Liebe mit dem Leid
dieser Welt und all ihren Übeln vereinbaren. Wenn Gott allmächtig ist, könnte und müsste er doch
solche Naturkatastrophen verhindern. Auf unsere Situation bezogen: Warum hat Gott nicht seine
Allmacht eingesetzt, als sich die mächtigen Erdplatten auf dem Meeresboden gegeneinander
verschoben haben? Er hätte damit die furchtbare Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes
aufhalten können. Darauf antwortet der Chor philosophischer Skeptiker vielstimmig durch die
Jahrhunderte: „Entweder will er sie nicht verhindern, dann ist er nicht heilig, gerecht und gut; oder
er kann nicht, dann ist er nicht allmächtig; oder er kann nicht und will nicht, dann ist er schwach und
missgünstig zugleich; oder er kann und will es, – wieso gibt es dann diese Übel.“ (H. H. Schrey, in
„Die Religion in Geschichte und Gegenwart“, VI, 1962, S. 741) Ergo: Es gibt ihn nicht! So hält man
sich mit dieser Frage, auch „Theodizeeproblem“ genannt, Gott vom Leibe.
Auffallend ist, dass die Frage, wie ein gerechter und liebender Gott solche Katastrophen
zulassen kann, kaum von denen gestellt wird, die persönlich davon getroffen sind, also selbst
mitten im Leid stehen. Sie wird meist von denen aufgeworfen, die sich distanziert als Zuschauer mit
dem Leid, den Katastrophen und der Gottesfrage auseinander setzen, wie Udo Jürgens, der diese
Frage im Lichterglanz einer Showbühne stellte. Menschen also, die nur betroffen aber nicht
getroffen sind. Oft haben wir in den Tagen und Wochen nach der Katastrophe den Satz gehört,
gelesen, vielleicht auch selbst gesagt: „Das hat uns echt betroffen gemacht.“ Das klingt gut,
mitfühlend, sogar fromm. Ist auch nicht negativ zu bewerten. Hat doch diese Betroffenheit weltweit
eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft ausgelöst, wie sie bisher bei keiner anderen
Naturkatastrophe zu beobachten gewesen ist.
Doch die Frage ist, wie lange unsere Betroffenheit anhält? Meist nur kurze Zeit. Wie war das
Weihnachten 2003? Erdbeben im Iran. 40.000 Tote. Die berühmte Stadt Bam mit ihren Kulturgütern
völlig zerstört. Zigtausende obdachlos. Da waren alle betroffen, erschüttert, wollten helfen. Aber bis
heute leben die Einwohner von Bam in Containern und Zelten und ihre Stadt liegt weiterhin in
Schutt und Asche. So ist das mit unserer kurzlebigen, menschlichen Betroffenheit. Sie ist eine
seelische Bewegung, die kommt und geht aber unsere eingefahrene Lebenseinstellung nicht
verändert.
Wo bist du, Gott?
Wer selbst vom Leid getroffen ist, durch die Hölle der Katastrophe geht, im Rachen des
massenhaften Todes steht, fragt anders nach Gott. Ihn beschäftigt nicht das intellektuelle Problem,
wie Gott solche Katastrophen zulassen kann. Er fragt als existentiell Getroffener: Gott, wo bist du?
Das ist mehr als eine Frage. Das ist ein verborgener Notschrei. So haben Menschen in der
Katastrophe von Stalingrad und in der Hölle von Auschwitz gefragt und gerufen, nach dem
Atomblitz von Hiroshima und im Dschungel von Vietnam, im Tosen der Killerwelle auf Sri Lanka
und in der indonesischen Provinz Aceh. Es ist der Schrei derer, die nicht verstehen, warum Gott
schweigt. Warum greifst du nicht ein? Warum verbirgst du dich? Das Leiden der Getroffenen ist ein
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Zweifaches: Zum einen erleben sie an sich selbst die Katastrophe mit ihren traumatischen Folgen.
Zum anderen greifen sie mit ihrer Hand ins Leere. Gott ist für sie nicht mehr da. Der Himmel scheint
fest verschlossen. „Gott, wo bist du? Warum hast du mich verlassen?“
Das Schweigen Gottes kann zur größten Belastungsprobe für unseren Glauben werden. Es
muss ja keine verheerende Naturkatastrophe sein. Schon die Diagnose Krebs kann uns aus der
Bahn werfen. Warum trifft gerade mich diese heimtückische Krankheit? Oder das Kündigungsschreiben im besten Lebensalter? Warum muss ich vor dem Ruin meiner Hoffnungen stehen?
Wenn Kinder unschuldig leiden müssen, fragen wir besonders dringlich: Warum trifft es gerade sie?
Wer kennt nicht diese verborgenen, peinigenden Fragen. Sie führen an Abgründe, weil die Antwort
ausbleibt. Gott, wo bist du? Warum schweigst du in den Schicksalsschlägen und Zusammenbrüchen unseres Lebens? Warum antwortest du nicht auf unser Rufen? So leiden wir am
Schweigen Gottes, reiben uns an unseren Fragen wund, greifen ins Leere und hadern mit Gott und
unserem Leben.
Bis … ja bis uns aufgeht, dass wir mit unseren gottverlassenen Fragen nicht allein gelassen
sind. Ein ganz Anderer ist schon vor uns durch eine Not und Pein gegangen, die all unsere
Schmerzen und Nöte weit überboten hat. Am Kreuz hat Gottes Sohn all unsere unbeantworteten
Fragen zusammengebündelt und Gott zugeschrieen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
(Matthäus 27,46) Auch darauf gab es keine Antwort. Gott sagte nichts dazu. Er schwieg. Gott
schwieg auch dann noch, als selbst die stumme Natur zu reden begann, die Erde bebte und die
Sonne ihren Schein verlor. Das größte Schweigen Gottes ist das Kreuz von Golgatha gewesen.
Gerade diese Stunde aber, da Gott mit keinem Wort und keiner Silbe seinem Sohn antwortete, war
die Stunde der großen Weltenwende, in der er sein Herz mit all seiner Liebe für uns öffnete.
Gottes Kreuzes-Schweigen war kein gleichgültiges oder passives, sondern ein aktives
Schweigen. Es muss mit anderen Maßstäben gemessen werden als menschliches Schweigen.
Indem Gott als Vater schwieg, hat er die Schmerzen seines Sohnes mitgelitten. Indem Gott
schwieg und nicht eingriff, verwirklichte er seine „höheren Gedanken“ mit uns, hat er das Werk
seiner Liebe für uns getan. Von dieser Golgathanacht des Schweigens Gottes leben wir alle. Was
wären wir ohne das Kreuz, ohne die Gewissheit, dass Gott seinen Sohn in die schweigenden
Abgründe und unsere dunklen Täler gesandt hat, um uns zu sich heimzurufen? Gottes Gedanken
sind immer höher als unsere Gedanken und tiefer als unsere Fragen.
Allein der Blick auf den Gekreuzigten befreit uns von unseren quälenden Fragen. Sie werden
zwar gedanklich nicht gelöst, wohl aber von seiner Liebe überwunden. Hier kommt unser fragendes
Herz zur Ruhe. Hier empfangen wir die Gewissheit, dass Gott seine Gedanken des Friedens mit
uns verwirklicht, auch wenn er schweigt. Der Glaube sieht und greift hinter das Schweigen Gottes
und weiß: „Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen, so soll mein Herz an
Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen.“
Können Naturkatastrophen göttliche Gerichte sein?
Einer Frage haben wir uns bis jetzt noch nicht gestellt, obwohl sie uns unausgesprochen
begleitet hat. Wahrscheinlich sprechen wir sie deshalb nicht offen aus, weil sie der landläufigen
Vorstellung von Gott widerspricht. Diese verdrängte Frage heißt: Könnte es sein, dass Naturkatastrophen auch Gerichte Gottes über die Bosheit der Menschen sind? Spricht nicht die Bibel
davon, dass Gott vorzeiten eine globale Katastrophe herbeiführte, Sintflut genannt, weil die Bosheit
der Menschen auf Erden übergroß war? Naturkatastrophen – als Gerichte Gottes?!
Eine solche Vorstellung widerspricht nun tatsächlich dem Bild von Gott, das heute aktuell und
gefragt ist. Wir hören und lesen, dass Gott die Liebe und nichts als Liebe ist. Wir singen: Gottes
Liebe ist wie „Gras und Ufer, wie Wind und Weite“, also absolut grenzenlos. Dieser Gott nimmt
nichts krumm. Er verzeiht alles ohne Aufhören. Er ist einfach immer nur lieb. Mit diesem
erschreckend naiven und platten Gottesbild stehen wir vor einem hausgemachten Problem. Einen
solchen Good-guy-Gott braucht tatsächlich niemand zu fürchten noch ernst zu nehmen. Er ist
harmlos und deshalb für viele belanglos geworden. Solch ein lieber Gott ist natürlich auch nicht
imstande zu strafen oder unter Inanspruchnahme der Natur das Böse zu richten.
ZEICHEN DER ZEIT • Gott und die Naturkatastrophen (J. Mager)
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Die Bibel offenbart uns einen anderen Gott. Einen Gott, vor dem die Engel ihr Angesicht
verbergen und in Ehrfurcht dreimal „heilig, heilig, heilig“ ausrufen. Niemand kann diesen Gott
sehen, ohne zu vergehen. Sein Wort ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt (Jeremia 23,29).
Und Jesus, der es wissen musste, sagte zu seinen Jüngern: „Ich sage aber euch, meinen
Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können.
Ich will euch aber zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er
getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.“
(Lukas 12,4.5) Das klingt unseren Ohren fremd und passt nicht zu der Liebe Gottes, wie wir sie uns
zurechtgestutzt haben. Aber so steht es nun einmal im Wort Gottes. Wer diese Seite Gottes
unterschlägt, seine Heiligkeit und Gerechtigkeit ausblendet, hat kein Recht, sich auf seine Liebe zu
berufen. Der heilige Gott ist durchaus imstande, das Böse zu strafen und die Sünde zu richten.
„Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten.“ (Galater 6,7)
Welche Mittel Gott dabei einsetzt, liegt allein in seinen Händen. In der Sintflut benutzte er
Wasserfluten, in Sodom und Gomorra vulkanisches Feuer. Der Prophet Hesekiel musste seinen
Zeitgenossen im Auftrag Gottes sagen: „Ich, der Herr, sage es noch einmal: Mein Zorn über euch
ist gewaltig, darum schicke ich Sturm, Regen und Hagel mit zerstörerischer Macht.“ (Hesekiel 13,13
Hfa) In Hiob 37,11-13 (Hfa) heißt es: „Die Wolken ziehen hin und her, wie er sie lenkt; auf der
ganzen Erde führen sie aus, was Gott ihnen befiehlt. Mal lässt er sie zur Strafe kommen für ein
Land, mal als Zeichen seiner Güte.“ Feuer und Hagel, Schnee, Nebel und Sturmwinde folgen
seinen Befehlen und richten sein Wort aus (Psalm 148,8).
Gottes Wort bezeugt also, dass Naturkatastrophen göttliche Gerichte über die Bosheit der
Menschen sein können. So hat Gott in der Vergangenheit im Einzelfall gehandelt, dazu ist er in der
Gegenwart imstande bis hin zum Jüngsten Gericht. In der Offenbarung des Johannes wird Gottes
Gerichtshandeln zusammenfassend mit den Worten beurteilt: „Ja, Herr, allmächtiger Gott, deine
Gerichte sind wahrhaftig und gerecht.“ (Offenbarung 16,7) Welche Naturkatastrophe aber
unmittelbar ein Gericht Gottes ist, darüber haben nicht wir Menschen zu urteilen und zu befinden.
Dazu sind nur Propheten autorisiert. Wer es dennoch wagt, setzt sich an Gottes Stelle.
Was will Gott uns durch die Katastrophen sagen?
Eine letzte Frage ist noch offen. Eine Frage ganz anderer Art. Die bis jetzt aufgeworfenen
Fragen stellen wir Menschen: Wie kann Gott das zulassen? Wo ist Gott? Warum schweigt er und
greift nicht ein? Warum trifft es gerade mich? Alle Fragen kreisen letztlich um uns selbst, wenn
auch Gott der Adressat ist. Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, dass sowohl die
Naturkatastrophen als auch die persönlichen Lebenskatastrophen zur Frage Gottes an uns werden
können? Könnte es sein, dass Gott durch sie mit uns reden, uns etwas sagen will? Verstehen wir
noch diese Weise des Sprechens Gottes, oder sind wir taub geworden? Die offene Frage heißt:
Was will Gott uns durch die vielen Katastrophen sagen?
Jesus selbst hat seine Zuhörer zu dieser ganz anderen Fragestellung geführt, indem er auf eine
Tragödie seiner Tage hinwies. Ein Turm in Jerusalem war eingestürzt und hatte achtzehn
Menschen erschlagen, die sich zufällig dort aufhielten. Damals bestand folgende Auffassung: Jedes
Unglück oder Leid ist eine Vergeltung für besondere Vergehen. Daraus ergab sich die typisch
menschliche Frage: Welch schwere Schuld haben die Achtzehn auf sich geladen, dass sie so
bestraft worden sind? Jesus wehrt diese Fragestellung mit einer Gegenfrage ab: „Denkt an die
achtzehn, die der Turm in Schiloach unter sich begrub: meint ihr, dass sie schlechter waren als die
übrigen Einwohner Jerusalems? Nein, ich versichere euch: ihr werdet genauso umkommen, wenn
ihr euch nicht ändert!“ (Lukas 13,4 GNB)
In den Tragödien unseres Lebens wie in den Naturkatastrophen haben wir es mit Gott zu tun.
Er fragt uns als Überlebende, ob wir weiter gedankenlos ohne ihn leben oder zu ihm umkehren und
zu ihm heimkehren wollen. Eindringlich sagt Jesus, dass diejenigen, die Gott nicht ernst nehmen,
am Ende den endgültigen Tod erleiden müssen. „Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr genauso
umkommen.“ Katastrophen, gleich welcher Art, sollen uns eben nicht nur betroffen machen. Das ist
zu wenig und führt zu nichts. Sie wollen uns vielmehr wachrütteln, zur Umkehr bewegen, zum
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Vaterherzen Gottes führen. Sie sind „Gottes Megaphon an eine taube Welt.“ (C. S. Lewis) Gott will
uns durch sie einholen und heimholen.
Jesus gibt den Katastrophen noch einen tieferen Sinn. Sie stellen uns nicht nur in Frage und
rufen zur Umkehr auf, sondern sind Zeichen einer Hoffnung, die alles Vorstellbare übersteigt. In
seiner Rede auf dem Ölberg kündigt Jesus nicht nur bestimmte Katastrophen an: Kriege und
Revolutionen, Seuchen und Hungersnöte, Erdbeben und kosmische Erschütterungen, große
Wasserfluten und das Brausen des Meeres (Matthäus 24,6.7; Lukas 21,25). Vielmehr deutet er
diese Ereignisse als Signale für das letzte Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte. „Wenn
sich dies alles ereignet, dann seid zuversichtlich – mit festem Blick und erhobenem Haupt! Denn
eure Befreiung (eure Erlösung) steht vor der Tür.“ (Lukas 21,28 Hfa)
Wir erleben heute in den unterschiedlichsten Katastrophen eine Intensivierung der von Jesus
genannten Zeichen, eine Steigerung ins Globale, Maßlose, Gigantische. Das ist das Neue, so noch
nie Dagewesene. Die Zeichen der Zeit weisen als Megaphon Gottes darauf hin, dass sein Kommen
in Kraft und Herrlichkeit schnell auf uns zukommt. Die Welt ahnt ihr Ende, kennt aber den nicht, der
es bringt. Am Endpunkt der menschlichen Geschichte steht nicht die Zerstörung unserer Erde
durch kosmischen Katastrophen, auch nicht die Vernichtung allen Lebens durch Umweltverschmutzung oder atomare Verseuchung, sondern der Schöpfer und Herr der Welt, Jesus
Christus (Matthäus 24,30). Seine Stunde schlägt, wenn alle Uhren dieser Welt abgelaufen sind. Er
wird wiederkommen, um Gottes neue Welt aufzurichten. Eine vollkommene Welt ohne Naturkatastrophen und Schicksalsschläge, ohne Existenz- und Verlustängste, ohne Leid und Tränen,
ohne Not und Tod (Offenbarung 21,3-5). Das ist unsere Hoffnung und die einzige Hoffnung für die
Welt.
So führt uns die ganz andere Frage Gottes aus dem Labyrinth unserer Fragen. Er lässt uns in
die Zukunft, in seine Zukunft blicken. Gott hat ein Ziel mit der ganzen Welt und jedem Menschen;
denn „Gott ist ein Gott der Ziele.“ (H. Thielicke) Auf Schritt und Tritt lenkt Gottes Wort unseren Blick
auf das Ende aller Dinge hin, wo die verwirrenden Straßen unseres Lebens zu Ende und die
Friedensgedanken Gottes an ihr Ziel gekommen sind.
Gott hat etwas mit uns vor. Er will nicht, dass wir an diesem Ziel vorbeilaufen, am Ende mit
leeren Händen dastehen, „verloren gehen“ nennt es die Bibel. Deshalb ruft uns Gott, in seine
Zukunft umzukehren. Er lädt uns zu sich ein und benutzt dazu auch die dunklen Stunden unseres
Lebens. Wer in den Katastrophen und erschütternden Ereignissen seines Lebens Gottes Stimme
hört und ihr folgt, bleibt nicht im Dunkel seiner Fragen stehen, sondern wird aus der Angst in das
helle Licht der Freude und des Friedens Gottes geführt.
Dr. Johannes Mager ist Pastor im Ruhestand und Autor verschiedener Bücher, u. a. „Auf den
Spuren des Heiligen Geistes“ und „Sabbat feiern“, beide erschienen im Advent-Verlag Lüneburg.