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Master of Public Administration – Police Management
Masterarbeit zum Thema
Rauschgiftbekämpfung in Afghanistan
– Chancen und Risiken –
Vorgelegt von
Marc Hirz
Erstprüferin:
Kriminaldirektorin Martina Blockus
Zweitprüfer:
Leitender Kriminaldirektor Rainer Kasecker
Münster, 30. Juli 2008
Inhaltsverzeichnis……………………………………………………………….. I
Abkürzungsverzeichnis…………………………………………………………II
Abbildungsverzeichnis…………………………………………………………IV
1.
Einleitung ..................................................................................................... 1
1.1.
Problemstellung ......................................................................................... 1
1.2.
Zielsetzung ................................................................................................. 4
1.3.
Begriffsbestimmung................................................................................... 5
1.4.
Vorgehensweise ......................................................................................... 6
1.5.
Methode...................................................................................................... 6
2.
Opiatproduktion, Handel und Schmuggel in Afghanistan .................... 7
2.1.
Entwicklung des Anbaus und der Produktion ........................................... 7
2.2.
Schmuggelwege in und aus Afghanistan................................................. 12
2.3.
Akteure ..................................................................................................... 14
3.
Bekämpfung des Schlafmohnanbaus und Handels mit Opiaten......... 17
3.1.
Gesetzliche Grundlagen........................................................................... 17
3.2.
Akteure ..................................................................................................... 21
3.3.
Analyse der Strategien und Konzepte ..................................................... 25
3.3.1.
Afghanistan ........................................................................................... 25
3.3.2.
USA....................................................................................................... 32
3.3.3.
Großbritannien ...................................................................................... 41
3.3.4.
Deutschland........................................................................................... 47
3.4.
4.
Vergleich .................................................................................................. 55
Resümee...................................................................................................... 63
Anhang.................................................................................................................... 71
Literaturverzeichnis.............................................................................................. 88
II
Abkürzungsverzeichnis
ANA
Afghan National Army
Abb.
Abbildung
ACS
Afghanistan Customs Staff
ADIDU
Afghan Drugs Inter-Departmental Unit
AEF
Afghan Eradication Force
ANBP
Afghan National Border Police
ANDS
Afghanistan National Development Strategy
ANP
Afghan National Police
AREU
Afghanistan Research and Evaluation Unit
ASNF
Afghan Special Narcotics Force
Aufl.
Auflage
BKA
Bundeskriminalamt
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CFC-A.
Combined Forces Command-Afghanistan
CJTF
Criminal Justice Task Force
CN Team
Counternarcotics Team
CND
Counter Narcotics Directorate
CNPA
Counter Narcotics Police of Afghanistan
CNT
Central Narcotics Tribunal
CNTF
Counter Narcotics Trust Fund
CPEC
Central Eradication Planing Cell
CPEF
Central Poppy Eradication Force
d.h.
das heißt
DDR
Disarmament, Demobilization, Reintegration
DEA
U.S. Drug Enforcement Administration
DIAG
Disbandment of Illegal Armed Groups
DRC
Drug Regulation Commission
EA
Essigsäureanhydrid
EU
Europäische Union
III
EUR
Euro
FAST
Foreign Advisory Support Teams
FCO
Foreign & Commonwealth Office
ff.
fort folgend
GB
Großbritannien
ha
Hektar
Hrsg.
Herausgeber
HVT
High Value Targets
IOCC
Interagency Operation Coordination Centre
ISAF
International Security Assistance Force
JCMB
Joint Coordination and Monitoring Board
kg
Kilogramm
LOFTA
Law and Order Trust Fund
lt.
laut
MCN
Ministry of Counter Narcotics
MoI
Ministry of Interior
NATO
North Atlantic Treaty Organisation
NDCS
National Drug Control Strategy
NDS
National Directorate of Security
NGO
Non Governmental Organisation
NIU
National Interdiction Unit
NSC
National Security Council
NSP
National Solidarity Program
o.J.
ohne Jahr
o.O.
ohne Ort
o.V.
ohne Verfasser
OEF
Operation Enduring Freedom
PAT
Provincial Advisory Team
PEP
Poppy Elimination Program
PRT
Provincial Reconstruction Team
PSC
Private Security Company
S.
Seite
u.a.
unter anderem
UN
United Nations
IV
UNDCP
United Nations International Drug Control
Programme
UNDCP/ROSWA
UNDCP/Regional Office for Southwest Asia
UNODC
United Nations Office on Drugs and Crime
USA
United States of America
USAID
U.S. Agency for International Development
USD
United States Dollar
USDA
U.S. Department of Agriculture
usw.
und so weiter
VB
Verbindungsbeamter
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Pyramide von Schutz und Patronage ……………………………………15
Abb. 2: Die Säulen der afghanischen National Drug Control Strategy …………28
1
1.
Einleitung
1.1.
Problemstellung
Sieben Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 und der Beendigung
der Talibanherrschaft durch die Internationale Gemeinschaft ist Afghanistan weiterhin der bedeutendste Anbaustaat von Schlafmohn mit jährlich steigender Tendenz. Der Ertrag der im Jahr 2007 festgestellten Anbaufläche wird auf 8.200 Tonnen Rohopium geschätzt. Das entspricht etwa 93 Prozent der weltweit gehandelten Opiate. 1 Auch 2008 wird sich die Produktion von Rohopium nach ersten
Schätzungen auf gleichem Niveau bewegen.2 Als Grund für den Anstieg werden
seitens des UNODC insbesondere die schweren Gefechte im Süden zwischen den
radikal-islamistischen Gruppen und den Truppen der ISAF sowie mangelnde
Konsequenz der afghanischen Behörden als auch Korruption genannt.3
Die afghanische Regierung und die Staaten der Internationalen Gemeinschaft
mussten schon 2006 aufgrund der sich weiter verschlechternden Lage konstatieren,
dass bisherige Konzepte zur Verringerung der Opiatproduktion 4 nicht den gewünschten Erfolg erbrachten. Seitdem wächst die Frustration bei den engagierten
Institutionen, da trotz nationaler und internationaler Bemühungen ein jährlicher
Anstieg 5 oder zumindest ein gleichbleibendes Niveau der Schlafmohnanbauflächen und der Opiumproduktion zu verzeichnen ist.6 Die Ursachen des Anstiegs
sind jedoch so komplex, dass Problemlösungsprozesse eine Vielzahl von Faktoren
berücksichtigen müssen. Wesentliche interne Wirkungszusammenhänge zwischen
den traditionellen Gesellschafts- und Sozialstrukturen Afghanistans, der islamisch
geprägten Innen- und Außenpolitik sowie der Wirtschaft beeinflussen die
Rauschgiftproduktion, den Handel und den Schmuggel in und aus Afghanistan.
Aber auch die Nachfrage von Opiaten, die durch die internationalen Konsummärkte generiert wird, bestimmt grundsätzlich das Angebot und die afghanische
1
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
Vgl. UNODC (2008): Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey. S. 1.
3
Vgl. Pennington (2006): Drogenanbau außer Kontrolle.
4
Der Begriff „Opiate“ wird für alle Produkte verwendet, die aus Rohopium gewonnen werden
können.
5
Siehe Anhang Nr. 7.
6
Vgl. o.V. (2006): Afghanistan: UN-Alarm wegen Opium-Produktion. Unter
http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan_aid_114795.html , zuletzt geprüft am 30.05.2008.
2
2
Rauschgiftproduktion.7 Die Zahl der Opiatkonsumenten 8 wird weltweit auf 16,5
Millionen Menschen geschätzt. Davon leben 9,3 Millionen in Asien und 3,6 Millionen in Europa.9 Deren Nachfrage schafft unter anderem den Produktionsanreiz
für die afghanischen Bauern, wenngleich sie nur circa ein Prozent des Gewinns
am Endverbraucherpreis erhalten.10
Die klassische Reduzierung der Nachfrage in den Abnehmerstaaten (insbesondere
in Europa und Amerika), beruhend auf dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Suchtstoffübereinkommen 1988),11 versucht, die Kontrolle des
illegalen Umgangs mit Betäubungsmitteln durch eine Verbesserung der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit zu intensivieren. Afghanistan hat das
Übereinkommen 1988 mitgezeichnet und am 14. Februar 1992 ratifiziert.12 Das
Suchstoffübereinkommen bildet jedoch nur eine Grundlage, an der sich die Strategien der Unterzeichnerstaaten zu orientieren haben. Weitere Basis der klassischen Bekämpfung des Opiatschmuggels ist die Stärkung der Strafverfolgung in
den Transitstaaten der Balkan- und Seidenroute, um im Rahmen der Vorverlagerungsstrategie Rauschgift noch vor Erreichen der Abnehmer sicherzustellen.
Die Aktualisierung, Weiterentwicklung und Umsetzung von Strategien zur Bekämpfung der Opiatproduktion ist jedoch auch abhängig von der Problemwahrnehmung der betroffenen Staaten. So akzeptierten beispielsweise die USA bis
zum Abzug der Truppen der ehemaligen Sowjetunion 1988 die Rauschgiftproduktion und den Handel der Mujaheddin in Afghanistan. „Aus der Geschichte kann
deshalb gefolgert werden, dass Drogenkontrolle anderen Zielen und Interessen
fast immer untergeordnet wird bzw. Drogenkontrolle nur dann ernsthaft erfolgt,
wenn sie auch anderen Interessen dient.“ 13 Nach den Terroranschlägen am 11.
September 2001 in den USA begann auf der Grundlage der Resolution 1368 des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Oktober 2001 in Afghanistan die Operation Enduring Freedom zur Bekämpfung international agierender Terroristen.
7
Vgl. Kurzer (2005): Sucht- und Drogenpolitik im internationalen Vergleich. S. 237.
Zur Verbesserung der Lesbarkeit wird in der Arbeit das generische Maskulinum verwendet.
9
Vgl. UNODC (2008): World Drug Report 2008. S. 55-56.
10
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
11
United Nations (1988): Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic
Substances, 1988.
12
Vgl. United Nations (2008): Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances, 1988. Treaty Adherence.
13
Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 325.
8
3
Deren Auftrag beinhaltete jedoch nicht die Unterbindung der Rauschgiftproduktion. Kurz nach der Vertreibung der Taliban musste die Internationale Gemeinschaft deshalb zur Kenntnis nehmen, dass mit der militärischen Intervention das
Problem des Schlafmohnanbaus nicht gelöst werden konnte. Von 2001 bis 2002
stieg die Opiumproduktion als Folge der gesteigerten Winteraussaat im Jahr 2001
von 185 Tonnen auf 3.400 Tonnen und blieb bis heute auf hohem Niveau.14 Reaktiv entwickelten die Staaten der Internationalen Gemeinschaft aus unterschiedlichen Motiven neue Konzepte und Strategien zur Eindämmung der Opiatproduktion. Diese Motive wurden und werden sowohl durch die Annahme, dass sich islamistische Terroristen durch den Drogenhandel finanzieren,15 als auch durch die
Schäden für die einzelnen Volkswirtschaften, die durch Gesundheits- und Überlebenshilfe für Konsumenten sowie Begleit- und Beschaffungskriminalität in den
betroffenen Staaten entstehen, beeinflusst. Aber auch geopolitische Interessen und
humanitäre Motive sind Grundlagen der jeweiligen Strategien.
Maßgeblich engagieren sich die USA und Großbritannien, neben Deutschland,
Iran und Italien, in Afghanistan, um den Schlafmohnanbau und die Opiatproduktion zu reduzieren und langfristig zu unterbinden. Das Engagement wird durch diverse Projekte sowohl der Vereinten Nationen als auch der Europäischen Union
unterstützt. „In den vergangenen Jahren wurden seitens der afghanischen Regierung und der Internationalen Gemeinschaft im Bereich der Entwicklung der Drogenwirtschaft Anstrengungen unternommen, so etwa beim Aufbau des Ministeriums für Drogenangelegenheiten, bei Aufbau und Ausbildung von spezialisierten
Polizeieinheiten und einer Anti-Drogeneinheit der Justiz, bei der Verabschiedung
von Gesetzen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität, bei der Vernichtung von
Schlafmohnanbauflächen und bei der Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten.“16 Bei aller Vielzahl von sich sukzessiv entwickelnden Strategien fehlt
es jedoch an konkret abgestimmten Maßnahmen, um die Ziele zu implementieren. 17 Unterschiedliche und in manchen Fällen sich widersprechende Konzepte
und Maßnahmen der afghanischen Regierung und der Internationalen Gemeinschaft wirken kontraproduktiv auf die Rauschgiftbekämpfung. Von allen verantwortlichen Institutionen wird daher die Entwicklung kohärenter Strategien gefor14
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 86.
Vereinte Nationen; Sicherheitsrat (2008): Resolution 1806 (2008). S. 2.
16
Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 12.
17
Vgl. Rubin/Sherman (2008): Counter-Narcotics to Stabilize Afghanistan: The False Promise of
Crop Eradication. S. 38.
15
4
dert.18 Studien von unterschiedlichen Forschungsinstituten und Untersuchungsberichte der, von den Staaten der Internationalen Gemeinschaft eingesetzten Kommissionen, analysieren die Schwachpunkte der bisher verfolgten Strategien. Jedoch fokussieren diese überwiegend die Anstrengungen der eigenen Institutionen
und weniger den Vergleich zwischen den einzelnen Strategien.
1.2.
Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist es, die Rauschgiftbekämpfungsstrategien der engagierten
Staaten komprimiert im Kontext der afghanischen Rauschgiftlage darzustellen
und einen Vergleich zwischen den Eckpunkten zu ziehen. In den Vergleich werden sowohl die Strategien Amerikas, Großbritanniens und Deutschlands als auch
Afghanistans einbezogen. Bisher durchgeführte Analysen beschränken sich auf
die jeweilige Zielrichtung, ohne einen umfassenden Bezug zu anderen Strategien
herzustellen. Diese Untersuchung soll durch das Herausarbeiten von Chancen und
Risiken, die Einfluss auf die Strategieentwicklung haben, den Vergleich ermöglichen. Diese Chancen und Risiken ergeben sich extern aus den Veränderungen der
Lage in Afghanistan. Eine intensive interne organisatorische Analyse der Stärken
und Schwächen der betroffenen Staaten und deren Exekutivorganen unterbleibt,
da dies einen umfangreichen, teilweise als vertraulich eingestuften Kenntnisstand
über Personalstrukturen, Führungskultur und Organisation erfordert. Trotz dieser
Beschränkung soll zumindest der Umgang mit den eigenen Schwächen in den
Strategien herausgearbeitet werden. Um der Intention der Zielsetzung Rechnung
zu tragen, wird zunächst die Strategie der afghanischen Regierung aufgearbeitet.
Anschließend wird die strategische Ausrichtung der us-amerikanischen, britischen
und deutschen Regierung im Kontext analysiert. Das Engagement Großbritanniens in der Rauschgiftbekämpfung kann nur eingeschränkt und retrospektiv betrachtet werden, da ein offizielles und aktuelles Strategiepapier, das als Grundlage
einer Analyse dienen könnte, nicht erhältlich war.19
18
Vgl. Independent Panel Canada (2008): Canada’s Future Role in Afghanistan. S. 15.
Sowohl eine Abfrage über die BKA-VB in London als auch über die britischen VB in Deutschland verlief negativ.
19
5
1.3.
Begriffsbestimmung
Grundlage dieser Arbeit sind die einzelnen Strategien und Konzepte der in Afghanistan engagierten Staaten. Bei näherer Betrachtung haben die Staaten ein differierendes Verständnis von den Elementen einer Strategie. Einleitend soll daher
eine kurze Begriffsbestimmung erfolgen, um einen Vergleich zu ermöglichen.
Basis des Strategiebegriffs ist eine militärische Verwendung, die nach Clausewitz
als „Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges“ definiert wurde.
Übertragen auf die Situation in Afghanistan, wird der Kampf gegen die Opiatwirtschaft auch als „Opium-Krieg“20 oder „Krieg gegen Mohn“ 21 bezeichnet. Diese
recht einfache Herleitung reicht jedoch nicht aus, um die Komplexität der Strategie zu erfassen. Allgemein versteht man unter Strategie auch den Entwurf und die
Durchführung eines Gesamtkonzepts.22 So hat die Bundesregierung ihre Afghanistan-Strategie auch als „Afghanistan-Konzept“ 23 bezeichnet. Darüber hinaus
gibt es eine Vielzahl von Definitionen: Strategie kann als Lehre vom planmäßigen
Einsatz von Mitteln verstanden werden, um ein vorher definiertes Ziel zu erreichen. Eine Strategie zielt auf die grundsätzliche Bewältigung einer Aufgabe und
die Bekämpfung eines Problems, um einen stabilen Zustand zu erreichen.24 Strategien sollen auch Aspekte der Bündelung und Koordination mehrerer Einzelmaßnahmen, der Längerfristigkeit sowie der Nachhaltigkeit beinhalten.25 Sie entstehen aus der Verzahnung von Lagebeurteilung, Zielvereinbarung und Maßnahmenplanung.26 Dabei ist von Interesse, wie die Ziele in zielgerichtetes Handeln
umgesetzt und implementiert werden. Beurteilt man die Lage in Afghanistan, so
wird deutlich, dass verschiedenste Problemfelder bestehen, die das Land destabilisieren. Um eine nachhaltige Stabilisierung zu erreichen, müssten daher Ziele gebildet und Maßnahmen geplant werden. In diesem Bereich soll eine nähere Untersuchung der gewählten Strategien erfolgen.
20
Felbab-Brown (2007): Afghanistan`s Opium Wars.
Bergen; Lalwani (2007): The War on Poppies.
22
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG (2008): Welt Lexikon. Band 18.
23
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung.
24
Vgl. Christe-Zeyse (2003): Controlling in der Polizei (Teil III). S. 61-68.
25
Vgl. ebd. S. 61-68.
26
Vgl. ebd. S. 61-68.
21
6
1.4.
Vorgehensweise
Um die oben genannten Ziele zu erreichen, ist zunächst eine Beschreibung der
Lageentwicklung des Schlafmohnanbaus und der Opiatproduktion in Afghanistan
sowie eine Betrachtung des Rauschgiftschmuggels erforderlich. Aus dieser ergeben sich die Problemfelder, an der die Strategien ansetzen sollten. In diesem Zusammenhang sind sowohl die Akteure des Rauschgifthandels und der Rauschgiftbekämpfung als auch deren gesetzliche Handlungsgrundlagen zu benennen.
Die strategischen Eckpunkte der Konzepte der oben genannten Staaten bilden den
Rahmen des Vergleichs. Zu den Eckpunkten gehören auch die Betrachtung der
Historie, die Entwicklung von Maßnahmen und Formen der internationalen Zusammenarbeit sowohl auf bilateraler als auch multilateraler Ebene. Die Darstellung erfolgt im Kontext mit der afghanischen Verfassung,27 dem Drogenkontrollgesetz, 28 der nationalen Drogenkontrollstrategie 29 und dem Afghanistan Compact,30 da Afghanistan als souveräner Staat die rechtlichen Grundlagen für die Unterstützung bei der Rauschgiftbekämpfung schaffen muss.
Diese Untersuchung wird einen Schwerpunkt auf die repressiven Beeinflussungsmöglichkeiten legen, das heißt, das Maßnahmenfeld der Rauschgiftbekämpfung soll erfolgskritisch analysiert werden. Trotzdem können Aspekte der Entwicklungshilfe nicht vollkommen ausgegrenzt werden, da in bestimmten Bereichen Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestehen.
1.5.
Methode
Wie oben dargestellt, haben die genannten Staaten und Institutionen im Rahmen
ihres Mandats eine Vielzahl von Strategien zur Verbesserung der Rauschgiftlage
in Afghanistan entwickelt. Aus diesen wurden und werden Handlungskonzepte
27
Islamic Republic of Afghanistan (2004): The Constitution of the Islamic Republic of Afghanistan.
28
Islamic Republic of Afghanistan (2005): Counter Narcotics Drug Law.
29
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control
Strategy.
30
The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan
Compact - The London Conference on Afghanistan.
7
sowie Maßnahmen abgeleitet, die zum größten Teil durch die Initiatoren veröffentlich wurden. Wissenschaftliche, teilweise empirische Untersuchungen sowie
Presseberichte haben sich erfolgskritisch mit den Wirkungen der einzelnen Maßnahmen befasst. Diese wurden daher neben gesetzlichen Grundlagen und Strategiepapieren ebenfalls in die hiesige Betrachtung einbezogen. Dies ermöglichte eine vergleichende Reflektion im Kontext mit anderen Auffassungen und Standpunkten. Im Rahmen der beschriebenen Problemstellung wurden die Forschungsmethoden der Deskription der vorhandenen Dokumente und deren Analyse mit einem anschließenden Vergleich verbunden.
Eine Einstufung als Verschluss-Sache ist nicht erforderlich, da nur öffentlich zugängliche Quellen verwendet wurden.
2.
Opiatproduktion, Handel und Schmuggel in Afghanistan
2.1.
Entwicklung des Anbaus und der Produktion
Schlafmohn wird seit Jahrhunderten in Südwestasien angebaut. In Afghanistan
wurde Opium traditionell für den Eigenverbrauch hergestellt ohne jedoch ein bedeutendes Exportgut zu sein. So ist Schlafmohn an die natürlichen Gegebenheiten
des Landes ideal angepasst: Die Pflanze ist anspruchslos, braucht wenig Wasser
und wächst auch unter ungünstigen Bodenbedingungen.31 Die gesteigerte Opiatproduktion ist daher ein Phänomen der Neuzeit: Im Jahr 1979 gingen erste unbestätigte Schätzungen in Afghanistan von einer Produktionszahl von 200 Tonnen
Rohopium pro Jahr aus.32 Aufgrund der politischen Umwälzungen in Südwestasien entstand insbesondere durch den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan
Ende des Jahres 1979 eine fragile Sicherheitsstruktur, die in den folgenden Jahren
durch die Abwesenheit einer durchgängigen Regierungskontrolle die zunehmende
Opiatproduktion förderte.33 Auch beeinflusst die damalige Unterstützung des Wi-
31
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 148 ff.
33
Vgl. Nathan/Berger (1992): Survey on Afghan Drug Use, Attitudes, and Media Accessibility. S.
16.
32
8
derstandes durch die USA, Saudi-Arabien34 sowie Pakistan und einhergehend die
Akzeptanz der illegalen Opiatproduktion die Entwicklung der Rauschgiftlage bis
heute. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1992 in Afghanistan entstand ein Machtvakuum, das einen Bürgerkrieg um Macht und Einfluss
unterschiedlichster Gruppen zur Folge hatte. Begleitend wurden in Teilen des
Landes jegliche Infra- und Verwaltungsstrukturen zerstört. 35 Viele Warlords finanzierten sich über Zollerhebungen, Schmuggel von Holz oder Waffen oder eben
den Drogenhandel.36 Der Schlafmohnanbau erlebte einen rasanten Anstieg und im
jährlichen Mittel wurden in den 1990er Jahren ca. 2.000 Tonnen Rohopium geerntet. Die Provinzen Helmand, Nangarhar und Badakhshan generierten sich zu den
wichtigsten Schlafmohnanbaugebieten. 37 Seit Dezember 1996 kontrollierten die
Taliban ca. zwei Drittel des Landes, zu denen auch die genannte Provinz Nangarhar gehörte.38 Unter den Taliban stieg die Opiumproduktion bis 2001 erheblich
an. Im Jahr 1999 wurde mit ca. 4.600 Tonnen Rohopium ein Rekordwert erzielt.39
Im Jahr 2001 konnte, noch unter dem Regime der Taliban, ein Rückgang der Opiumproduktion um 94 Prozent auf ca. 185 Tonnen Rohopium registriert werden.40
Ob dieser Rückgang mit den im November 1999 verhängten Sanktionen der UN
in Zusammenhang stand, ist nicht belegt. Es wird vielmehr vermutet, dass der
ehemalige Führer der Taliban, Mullah Mohammad Omar, erstmals ein religiös
begründetes Anbauverbot erließ, um eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen
und die vermutete Überproduktion der vergangenen Jahre und große Lagerbestände zu kompensieren.41
Die nach den Taliban eingesetzte Interimsregierung unter der Leitung des heutigen Staats- und Regierungschef Hamid Karzai42 erließ 2002 ein Mohnanbauverbot und versuchte mit internationaler Hilfe festgestellte Schlafmohnfelder mit
mäßigem Erfolg zu vernichten. Im Jahr 2007 wurden ca. 20.000 Hektar vernichtet,
die 10 Prozent an der Gesamtanbaufläche ausmachten. Dies war die größte bisher
vernichtete Anbaufläche, die jedoch im Vergleich zu den Steigerungsraten als in-
34
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 139.
Vgl. Meissner (2008): Das andere Afghanistan.
36
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 140.
37
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
38
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 141.
39
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 12.
40
Vgl. UNDCP (2001): Annual Opium Poppy Survey 2001. S. 12.
41
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
42
Der Fischer Weltalmanach (2008). Zahlen, Daten, Fakten. S. 44-47.
35
9
adäquat bezeichnet wird. 43 Zwischen 2003 und 2007 hat sich die Produktionsmenge verdoppelt und im Vergleich zu 2001 insgesamt verzwanzigfacht.44 2007
hat sich der Schlafmohnanbau im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent von ca.
165.000 Hektar auf ca. 193.000 Hektar Anbaufläche, auch nach Abzug der vernichteten Flächen, ausgeweitet. In nur sechs der 34 Provinzen Afghanistans wurde
kein Schlafmohn angebaut. Der geschätzte Ertrag von 8.200 Tonnen Rohopium
entspricht 93 Prozent der Weltopiumproduktion.45 In der südlichen Provinz Helmand stieg die Anbaufläche von 2005 auf 2006 überproportional um 162 Prozent
auf 69.000 Hektar. Sollten staatliche Maßnahmen die Opiumernte nicht einschränken bzw. Ernteausfälle aufgrund ungünstiger Wetterbedingungen entstehen,
so wird sich im Jahr 2008 die Opiumproduktion auf gleich hohem Niveau wie im
Jahr 2007 bewegen.46
Die Lagebeurteilung zeigt eine unterschiedliche Entwicklung der Anbauflächen:
So hat sich 2007 im Norden Afghanistans die Anzahl der schlafmohnfreien47 Provinzen um mehr als die Hälfte von 6 auf 13 verdoppelt. Führendes Beispiel ist die
im Norden liegende Provinz Balkh, deren Schlafmohnanbau von 7.200 Hektar auf
Null Hektar Anbaufläche reduziert wurde.48
In der westlichen Provinz Nimroz ist hingegen ein starker Anstieg der Schlafmohnkultivierung zu verzeichnen. Und auch im südlichen Teil des Landes, in den
Provinzen Kandahar und Uruzgan, wird sich der Trend zu einer gesteigerten
Schlafmohnkultivierung fortsetzen. Schlafmohnfrei werden im Jahr 2008 lediglich
zwölf Provinzen in Nord- und Zentralafghanistan sein.49
Die aktuelle Entwicklung der Rauschgiftlage in Afghanistan wird unter anderem
auf die Situation im umkämpften Süden des Landes zurückgeführt, dessen politische Situation und Sicherheitslage im Vergleich zum Norden als instabil zu bezeichnen ist. Dort verhindern sowohl militärische Auseinandersetzungen mit den
Taliban als auch Korruption in den staatlichen Institutionen die Durchsetzung des
Schlafmohnanbauverbots.50
43
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 4.
Vgl. o.V. (2008): 100 Millionen für Taliban-Kriegskasse. S. 2.
45
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
46
Vgl. UNODC (2008): Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey. S. 1.
47
Schlafmohnfrei bedeutet eine Anbaufläche von weniger als 100 ha.
48
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
49
Vgl. UNODC (2008): Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey. S. 1.
50
Vgl. Pennington (2006): Drogenanbau außer Kontrolle.
44
10
Weitere Ursachen dürften auch in den günstigen klimatischen Bedingungen sowie
dem Ausbleiben von Schädlingsbefall liegen. Der durchschnittliche Ernteertrag51
der Schlafmohnanbauflächen in Afghanistan lag 2007 unter normalen klimatischen Bedingungen bei 42,5 kg/ha und damit 5,5 kg/ha höher als noch im Jahr
2006.52 Kein anderes Land der Welt hat jemals mehr Rauschgift mit einer solch
tödlichen Wirkung produziert wie Afghanistan.53 Würde das im Jahr 2007 geerntete Rohopium in Heroin umgewandelt,54 so erhielte man ca. 1.170 Tonnen Heroin. Zieht man davon noch den Eigenbedarf der afghanischen Konsumenten sowie Sicherstellungen durch die afghanischen Rauschgiftbekämpfungsbehörden ab,
so könnten den Weltmärkten nach dieser Berechnung noch 666 Tonnen Opiate
zugeführt werden.55
Die Anzahl der afghanischen Heroinlabore ist im Jahr 2007 ebenfalls angestiegen.
So befinden sich derzeit die wichtigsten Opiummärkte und Heroinlabore in Helmand. Das meiste in Afghanistan produzierte Opium wird dort in Heroin umgewandelt. Zu dessen Umwandlung werden entsprechende Grundstoffe benötigt, die
importiert werden müssen, da Afghanistan keine eigene chemische Industrie besitzt.56 Wichtigste Schlüsselchemikalie beim Heroinherstellungsprozess ist Essigsäureanhydrid (EA), für das es in Afghanistan keinen legalen Bedarf gibt. Zur
Herstellung von 3,9 kg Heroinchlorid (weißes Heroin) aus 70 kg Rohopium werden 8 kg EA benötigt.57 Es wird geschätzt, dass ca. 1.000 Tonnen EA pro Jahr zur
illegalen Heroinherstellung benötigt werden.58
Der durchschnittliche Preis von frisch geernteter Rohopiummasse wurde im Jahr
2007 in Afghanistan mit ca. 86 USD/kg kalkuliert. Das ist neun Prozent niedriger
als noch 2006 mit 94 USD/kg. Der Preis von getrocknetem Rohopium lag in 2007
bei 122 USD/kg und somit zwei Prozent niedriger als noch in 2006 mit 125
USD/kg.59 Trotz dieser Preissenkungen war der Schlafmohnanbau im Vergleich
zum Anbau von Getreide in den letzten Jahren für die Bauern weiterhin lukrativ.
51
Schlafmohn wird in Afghanistan je nach Vegetationszone zwischen Oktober und März einmal
ausgesät und ca. ein halbes Jahr später geerntet. Siehe auch Anhang Nr. 11-12.
52
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 60.
53
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
54
UNODC geht von einem Umrechnungsfaktor von 7 kg Opium zu 1 kg Heroin aus.
55
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 12.
56
Vgl. ebd. S. 91.
57
BKA-Dokumentation einer authentischen Heroinherstellung in Afghanistan. In: Townsend
(2007): Precursor Control on Central Asia`s Borders with Afghanistan. S.4
58
Vgl. Townsend (2007): Precursor Control on Central Asia`s Borders with Afghanistan. S. 4.
59
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 7.
11
Wie sich die aktuelle weltweite Verknappung von Nahrungsmitteln und die Steigerung der Lebensmittelpreise auf die Lage in Afghanistan auswirken, bleibt abzuwarten. Dass die afghanische Bevölkerung unter dem Anstieg der Preise leiden
wird, ist wahrscheinlich. Ob der Anbau von Getreide für Bauern lukrativer als der
Anbau von Schlafmohn wird, kann derzeit nicht eingeschätzt werden.
Opiate sind derzeit die Hauptexportartikel Afghanistans. Die Wertschöpfung des
afghanischen Rauschgiftsektors lag im Jahr 2004 bei 2,7 Milliarden USD, bei 2,8
Milliarden USD in 2005, bei 3,1 Milliarden USD in 2006 und bei 4 Milliarden
USD in 2007. Das legale Bruttosozialprodukt Afghanistans belief sich in den zurückliegenden Wirtschaftsjahren nach Angaben der afghanischen Regierung auf
einen Betrag von 5,2 Milliarden USD für 2004/2005 und auf 6,7 Milliarden USD
in 2005/2006. In 2006/2007 stieg es weiter um 12 % auf ca. 7,5 Milliarden USD
an. 2007 erreichte der durch Opium erwirtschaftete Gewinn einen Anteil von 53
Prozent des Bruttosozialprodukts in Afghanistan.60 Rauschgiftanbau und Rauschgifthandel trugen damit in den vergangenen Haushaltsjahren erheblich zum Gesamtwirtschaftseinkommen bei und sind wesentliche Faktoren der afghanischen
Wirtschaft. Insbesondere den Provinzen, die in der Vergangenheit als arm galten,
hat der Schlafmohnanbau zumindest für einige Teile der Bevölkerung bescheidenen Wohlstand gebracht.61
Aber nicht nur Opium ist ein illegaler Wirtschaftsfaktor. Mittlerweile ist auch ein
Anstieg der Cannabiskultivierung festzustellen. Es wird geschätzt, dass der Cannabisanbau von 50.000 Hektar im Jahr 2006 auf 70.000 Hektar im Jahr 2007 gestiegen ist. Im Jahr 2006 konnte erstmals im Rahmen der Erhebungen zum
Schlafmohnanbau festgestellt werden, dass der Anbau von Cannabis in den südlichen Provinzen und im Osten in einigen Teilen von Nangarhar und Paktia stark
angestiegen ist. Eine fundierte Aussage für alle Landesteile ist jedoch derzeit nicht
möglich. Ein allgemeiner Anstieg kann aber mittlerweile in allen Teilen des Landes vermutet werden. 62 Die afghanischen Preise für Cannabis sind in den letzten
zwei Jahren gestiegen. 2007 lagen sie zwischen 48 USD und 61 USD pro Kilogramm. Bauern, die Cannabis anbauen, können einen zum Schlafmohnanbau vergleichbaren Gewinn pro Hektar erzielen, da Cannabis landwirtschaftlich weniger
60
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
62
Vgl. UNODC (2006): Afghanistan Opium Survey 2006. S. 45.
61
12
aufwändig angebaut werden kann. Folglich werden sich auch Bauern, die bisher
keinen Schlafmohnanbau betrieben haben, der Cannabiskultivierung zuwenden.
Für die Bauern besteht darüber hinaus auch ein geringeres Risiko des Ernteverlusts, da wegen der Fokussierung auf Schlafmohn keine Vernichtungsaktionen zu
befürchten sind.63
2.2.
Schmuggelwege in und aus Afghanistan
Der Rauschgiftschmuggel aus Afghanistan wird von der geringen Kontrolldichte
an Teilabschnitten der Grenzen, der bestehenden Infrastruktur und den grenzüberschreitenden ethnischen Verbindungen begünstigt. Nach Angaben der afghanischen Regierung gibt es 167 inoffizielle Grenzübertretungspunkte, die zum illegalen Schmuggel genutzt werden können. Aufgrund der geographischen Gegebenheiten entlang der Grenzen64 zu Pakistan (2.430 km), Tadschikistan (1.206 km),
Usbekistan (137 km), Turkmenistan (744 km) und dem Iran (936 km) sind aber
weitaus mehr Möglichkeiten illegaler Grenzübertritte vorhanden.65 Seit dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion und der Vertreibung der Taliban
wächst auch der Reise- und Güterverkehr mit erleichterten Ein- und Ausfuhrbestimmungen. Dies erleichtert ebenfalls den Schmuggel von Rauschgift und den
benötigten Grundstoffen.
Innerhalb Afghanistans wird Opium auf unterschiedlichen Wegen zu den Grenzen
transportiert, um es von dort in die zentralasiatischen Nachbartstaaten, den Iran
oder Pakistan zu schmuggeln. In den südlichen und westlichen afghanischen Provinzen produziertes Opium ist zum großen Teil für den Iran sowie auch Turkmenistan bestimmt. Nach Angaben iranischer Sicherheitskräfte gelangen etwa 30
Prozent der in Afghanistan produzierten Opiate in den Iran. Die Hälfte davon soll
auf dem iranischen Konsummarkt verbleiben. Die Zahl der dortigen Opiatabhängigen wird auf 1,2 Millionen geschätzt.66 Regelmäßig kommt es bei Drogentransporten an der iranisch-afghanischen Grenze zu Schusswechseln zwischen Polizei
63
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 60.
CIA (2008): The World Factbook.
65
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 24.
66
Vgl. UNODC (2008): World Drug Report 2008. S. 55.
64
13
und Schmugglern.67 Vom östlichen Afghanistan werden die Opiate überwiegend
nach Pakistan exportiert.68 Die Zahl der pakistanischen Opiatkonsumenten wird
auf 630.000 geschätzt. Mehr als die Hälfte aller Opiatkonsumenten lebt in Asien
und die höchsten Zahlen sind entlang der Hauptschmuggelrouten69 aus Afghanistan zu verzeichnen. In Afghanistan wurde die Zahl der dortigen Opiatkonsumenten zuletzt im Jahr 2005 auf 200.000 geschätzt.70 Weltweit wird die Zahl der Opiatkonsumenten derzeit auf 16,5 Millionen geschätzt. 71
Große Teile der afghanischen Opiatproduktion, die nicht in Asien verbleiben,
werden durch die Türkei und die verschiedenen Verzweigungen der Balkanroute
nach Westeuropa geschmuggelt.72 Aber auch die Nordroute oder die sogenannte
Seidenroute über die Staaten Zentralasiens nach Osteuropa wird für den Schmuggel genutzt. Aufgrund der geringen Gewinnerwartung sind die nördlichen Nachbarstaaten Afghanistans jedoch nicht für den Absatz, sondern hauptsächlich für
den Export und von Opiaten nach Osteuropa und den Import von Grundstoffen
bestimmt. Iran und Pakistan zählen ebenso zu den weniger lukrativen Abnehmerstaaten. Der Schmuggel von Opiaten nach Europa und Amerika bietet den Akteuren des Drogenhandels einen größeren Anreiz, da hier die kaufkräftigeren Märkte
liegen. Deutschland ist sowohl für den internationalen Rauschgifthandel ein wichtiger Absatzmarkt als auch für den europaweiten Vertrieb ein Transitstaat mit hohen Gewinnspannen. In Deutschland liegt der Preis im Durchschnitt für 1 kg Heroin bei 20.000 EUR73, während er in Europa durchschnittlich bei 19.000 EUR
liegt.74 Hier wird die Zahl der Opiatkonsumenten auf 3,6 Millionen geschätzt. Europa ist damit der zweitgrößte Markt hinsichtlich der Quantität aber der größte
hinsichtlich der Gewinnerwartung im Vergleich zu Asien. 75 Dies zeigt die Brisanz der Zusammenhänge zwischen Produktion, Angebot und Nachfrage und die
Komplexität der Probleme. 76 Es gibt jedoch wenig belegte Erkenntnisse zur
67
Vgl. o.V. (2008): Iran: Schmuggler bei Transit von Drogen aus Afghanistan getötet. Unter:
http://de.rian.ru/society/20080527/108562792.html , zuletzt geprüft am 30.05.2008.
68
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 144.
69
Siehe Anhang Nr. 19.
70
Vgl. UNODC (2005): Afghanistan. Drug Use Survey. Fact Sheet.
71
Vgl. UNODC (2008): World Drug Report 2008. S. 55-56.
72
Vgl. BKA, SO 51 (2006): Bundeslagebild Rauschgift 2006. S. 23.
73
Vgl. ebd. S. 22.
74
Vgl. UNODC (2008): World Drug Report 2008. S. 49.
75
Vgl. ebd. S. 56.
76
Vgl. o.V. (2008): Internationaler Drogenbericht: Cannabis-Plantagen boomen in Deutschland
Unter: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,539321,00.html , zuletzt geprüft am
30.05.2008.
14
Durchführung und Zielrichtung der Rauschgifttransporte. Deduktiv wird von den
genannten Konsumentenzahlen auf die Zielrichtung der Rauschgifttransporte geschlossen. Oft lassen sich auch nur eingeschränkte Aussagen zum Modus Operandi des Rauschgiftschmuggels von Afghanistan nach Europa treffen.
2.3.
Akteure
Bauern, Laborbetreiber, Landbesitzer, Händler und Schmuggler spielen jeder für
sich eine Rolle in der afghanischen Opiatwirtschaft. Motive und Methoden der
Akteure variieren je nach geographischer Lage, wirtschaftlichen und politischen
Umständen sowie bestehenden ethnischen Beziehungsgeflechten. Von Distrikt zu
Distrikt können diese Umstände differieren und die regionale Lage beeinflussen.77
Gerade im industriell schlecht entwickelten Afghanistan kommt dem Einsatz von
menschlichen Ressourcen im Herstellungsprozess und Handel von Opiaten eine
besondere Bedeutung zu. Arbeitskraft kostet wenig und kann daher umfangreich
in den Herstellungsprozess eingebracht werden. Wie im legalen Wirtschaftssystem ist auch die Opiatproduktion ein arbeitsteiliger Prozess. Wesentlicher Unterschied zwischen legaler Wirtschaft und illegaler Opiatwirtschaft ist ein Pyramidensystem von Schutz und Patronage, aus dem sich gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse ergeben. In diesem System bewegen sich die Akteure der Opiatwirtschaft freiwillig oder auch unfreiwillig.78
Betrachtet man den Anbauprozess, so muss zunächst der fachgerechte Anbau des
Schlafmohns durch Bauern erfolgen. UNODC schätzt, dass im Jahr 2007 ca.
509.000 Familien Schlafmohn kultiviert haben. Das sind 14 Prozent mehr als
noch 2006. Somit sind ca. 3,3 Millionen Menschen mit einem Anteil von 14,3
Prozent an der Gesamtbevölkerung im Schlafmohnanbau beschäftigt. 79 Lag das
jährliche Einkommen von Bauern, die keinen Schlafmohn kultivierten, 2006
durchschnittlich bei 2.279 USD, so waren es 3.933 USD bei Bauern, die Schlaf-
77
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 9.
Vgl. Shaw (2006): Drug Trafficking and the Development of Organized Crime in Post-Taliban
Afghanistan. S. 200.
79
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 93.
78
15
mohn anbauten.80 Zum Anbau benötigen die Bauern Saatgut und Land, welches
sich in ihrem Besitz befindet oder geliehen werden muss. Finanzschwache Bauern
müssen zur Finanzierung ihrer Existenz und der nächsten Saat Kredite aufnehmen.
Diese Kredite erhalten sie über Drogenhändler, die bereits vor der Opiumernte die
erwartete Produktion aufkaufen. 81 Dabei ist es üblich, dass die Bauern nur die
Hälfte des Kreditwertes ihrer späteren Ernte erhalten. Das „Opium für KreditSystem“ wird im Afghanischen als „Salaam“ bezeichnet. 82 Aus den Krediten
müssen zur Vermeidung von Vernichtungsaktionen auch Schutzgelder an lokale
Autoritäten, wie die örtliche Polizei oder das Militär gezahlt werden.83
Abb. 1: Pyramide von Schutz und Patronage84
Kleinhändler, die auch Läden auf den Opiumbasaren besitzen, kaufen nach der
Ernte direkt bei nicht verschuldeten Bauern das Rohopium auf und bringen es auf
die Opiummärkte. Diese Kleinhändler leben in der Region und kennen die
Schlafmohnbauern. Über Jahre der Bekanntschaft hat sich zwischen ihnen ein
Vertrauensverhältnis entwickelt, das Grundlage und erste Stufe des Opiathandels
ist.
80
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 105.
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 171.
82
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 10.
83
Vgl. Shaw (2006): Drug Trafficking and the Development of Organized Crime in Post-Taliban
Afghanistan. S. 200.
84
Vgl. ebd. S. 200.
81
16
Die Pyramide setzt sich mit den Händlern der unteren und mittleren Ebene fort.
Sie kaufen das Opium von den Kleinhändlern. Das Geschäft beruht auch hier auf
langjährigen Beziehungen und vertrauten Netzwerken. Die Händler sind auch zuständig für Schutzgeldzahlungen und Korruption. Sie agieren im Gegensatz zu der
unteren Ebene bereits konspirativ im Bewusstsein der illegalen und kriminellen
Handlung. Sie bestimmen, wer Zugang zum Opiatmarkt bekommt.85
An der Spitze der Pyramide stehen die Schmuggler und deren Auftraggeber. Oft
wird der grenzüberschreitende Schmuggel von Familien und Stämmen durchgeführt, die auf beiden Seiten der Grenze ihre ethnischen Bindungen haben.86 Die
Schmuggler sind gut organisiert und wohlhabend und sorgen durch Bestechungsgelder für den reibungslosen Ablauf des Schmuggels
Die Auftraggeber sind die sogenannten Eliten des afghanischen Rauschgifthandels.
Sie kaufen große Mengen des Opiums von den Händlern und organisieren den
Verkauf jenseits der afghanischen Grenze. Ihre Anzahl beschränkt sich auf einige
wenige Personen, mit wichtigen politischen Verbindungen, die auch durch Korruption gepflegt werden. Sie sind sehr wohlhabend und nehmen oftmals bedeutende Positionen87 in ihrer Region ein. In ihrem Auftrag wird der Opiatschmuggel
organisiert, sowie die Tätigkeiten der Labore und der Import von Grundstoffen
beaufsichtigt. 88 Sie können sich auf ein Führungsprinzip stützen, welches sich
über Jahrhunderte entwickelt hat und traditionell verankert ist. Es bedeutet, dass
Führung persönlich ist, gegen Konkurrenz verteidigt und durch Kompromisse mit
Gruppen und Stämmen gesichert wird.89
Außerhalb der Pyramidenstruktur sollen sich auch die Taliban wieder indirekt in
der Opiatproduktion etabliert haben. Nach dem Vorbild des „Salaam-Sytems“ sollen sie eigene Kredite an die Bauern vergeben und in den unter ihrer Kontrolle
stehenden Gebieten, Steuern auf die Mohnpflanzungen erheben. Zusammen mit
anderen Regierungsgegnern sollen sie den Rauschgifthandel auch nutzen, um ihre
finanzielle, logistische und politische Situation zu verbessern bzw. um die Lage in
85
Vgl. Shaw (2006): Drug Trafficking and the Development of Organized Crime in Post-Taliban
Afghanistan. S. 201.
86
Vgl. Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug
Control Strategy. S. 34.
87
Parlamentarier, Minister, Provinzgouverneure, Behördenleiter, ehemalige Warlords
88
Vgl. Shaw (2006): Drug Trafficking and the Development of Organized Crime in Post-Taliban
Afghanistan. S. 200.
89
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 178.
17
Afghanistan zu destabilisieren.90 Schätzungen gehen davon aus, dass die Taliban
zwischen 10 und 50 Prozent ihrer Einnahmen durch den Rauschgifthandel finanzieren. Aufgrund der möglichen finanziellen Einnahmenperspektiven erscheint
diese Schätzung realistisch.91 Des Weiteren sollen zwischen den Rauschgifthändlern, den Taliban sowie den Widerstandsgruppen direkte Verbindungen bestehen.
Somit schwächt die Opiatwirtschaft die afghanischen Regierungsinstitutionen und
stärkt die Taliban.92
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Drogenökonomie also nicht
nur auf marginalisierte oder kriminalisierte Akteure konzentriert, sondern im traditionellen Rahmen die gesamte afghanische Gesellschaft durchwebt und die Stabilität des Landes beeinflusst.93
3.
Bekämpfung des Schlafmohnanbaus und Handels mit Opiaten
3.1.
Gesetzliche Grundlagen
Grundlagen der internationalen Rauschgiftbekämpfung sind die Einheitsübereinkommen von 1961, 1971 sowie das Suchstoffübereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und Psychotropen Stoffen von 1988, das Afghanistan 1991 auch ratifiziert hat. 94 De Facto hat sich Afghanistan jedoch bis
zum Jahr 2001 nicht an dem Suchstoffübereinkommen orientiert. Ziel des Suchstoffübereinkommens war und ist eine Verbesserung der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit im Bereich der Rauschgiftbekämpfung sowie der
Umgang mit Grundstoffen und die Sanktionierung der Geldwäsche.95 Dabei handelt es sich um völkerrechtliche Vereinbarungen im Rahmen des Völkervertrags-
90
Vgl. Schweich, (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 9.
Vgl. Bossert (2006): Illegale Drogen als Finanzierungsquelle des internationalen islamistischen
Terrorismus. S. 36.
92
Vgl. Schweich, (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 13-14.
93
Vgl. Schetter (2005): Das Dilemma der Drogenbekämpfung.
94
United Nations (2008): Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic
Substances, 1988. Treaty Adherence.
95
Vgl. Weber (2008): Rechtliche Aspekte der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. S. 3.
91
18
rechts, die keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind.96 Das Suchtstoffübereinkommen begründet lediglich die Verpflichtung eines Staates gegenüber den
Mitgliedsstaaten und stellt keine gesetzliche Bindung dar.97
Vor der Ratifizierung des Suchstoffübereinkommens haben afghanische Regierungen seit 1944 durch den Erlass von Gesetzen versucht, die Opiatproduktion zu
unterbinden, obwohl vermutlich nur geringe Mengen Rohopium geerntet wurden.98 Erst nach Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 wurde auf Basis der ersten
Petersberg-Konferenz, die auf Einladung der deutschen Bundesregierung stattfand,
versucht, die staatliche Ordnung wiederherzustellen.
99
Im Petersberger-
Abkommen verpflichtete sich die damalige afghanische Interimsregierung im
Kampf gegen den Terrorismus, Drogen und organisiertes Verbrechen mit der Internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.100 Eine der ersten Handlungen
der neu eingesetzten Interimsregierung unter Hamid Karzai im Januar 2002 war
daraufhin der Erlass eines Dekrets, welches den Schlafmohnanbau, die Heroinproduktion, den Opiathandel sowie den Konsum untersagte. Im April 2002 folgte
ein zweites Dekret, welches ein Vernichtungsprogramm für den 2001 angepflanzten Schlafmohn beschrieb. Um auch die für 2002 bevorstehende Anpflanzung zu
verhindern, folgte ein drittes Dekret.101
Eine der folgenden Bemühungen um den polizeilichen Wiederaufbau war im Jahr
2002 die Vereinbarung zwischen Deutschland und Afghanistan über ein Sitz- und
Statusabkommen zur Einrichtung eines Projektbüros der Polizei in Kabul und
über die Gewährung polizeilicher Ausbildungs- und Ausstattungshilfe. Die Vereinbarungen bildeten die organisatorische Grundlage bei der Unterstützung zur
Herstellung einer funktionierenden Polizei und Drogenbekämpfung. „Die polizeiliche Aufbauhilfe ist Bestandteil einer Reform der fünf Sicherheitsbereiche Armee,
Drogenbekämpfung, DDR-Prozess,102 Justiz und Polizei, die im Rahmen des internationalen Stabilitätspaktes für Afghanistan geschlossen wurde.“ 103 Damit
übernahm Deutschland eine führende Rolle bei der internationalen Hilfe zum
96
Vgl. Weber (2008): Rechtliche Aspekte der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. S. 8.
97
Vgl. Albrecht (1998): Internationales Betäubungsmittelrecht und internationale Betäubungsmittelkontrolle S. 651-695.
98
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 148.
99
Vgl. Baraki (2007): Nation-Building in Afghanistan. S. 11–17.
100
Auswärtiges Amt (2001): Petersberger Abkommen 2001.
101
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 28.
102
Disarmamaent, Demobilization, Reintegration.
103
Vogl (2006): Wiederaufbauhilfe für Afghanistan. S. 260.
19
Wiederaufbau der Polizei.104 Am 23.10.2006 wurde das Sitz- und Statusabkommen mit der durch Wahlen legitimierten afghanischen Regierung erneuert und
damit das Abkommen von 2002 ersetzt.105
Im Kontext der zwischenstaatlichen Vereinbarungen und den daraus resultierenden Verpflichtungen wurde 2003 durch die afghanische Regierung die erste Fassung eines neuen Drogenkontrollgesetz verabschiedet.106 Die grundlegenden Ziele
dieser Fassung wurden in Artikel 2 formuliert. Neben dem Verbot des Anbaus,
der Produktion, der Weiterverarbeitung, des Im- und Exports, dem Anbieten und
dem Konsum wurde insbesondere der Handel mit Rauschgift verboten und in den
Strafbestimmungen der Artikel 23 bis 44 aufgenommen. Dabei wurde nicht nur
auf die Bestrafung abgestellt, sondern es erfolgten auch Hinweise auf die erforderliche Zusammenarbeit zwischen nationalen und internationalen Rauschgiftbekämpfungsbehörden. Des Weiteren wurde auch konstatiert, dass den Bauern Alternativen und Anreize geboten werden müssten, damit sie vom Schlafmohnanbau
ablassen. Das Gesetz teilte sich in die Kapitel Ziele, Begriffsbestimmungen, Strafbestimmungen, Drogenkonsum, legaler Umgang, Anbau von Schlafmohn und
Cannabis, Zuständigkeiten, Prävention, Regierungsverantwortlichkeiten sowie
Inkrafttreten. Zum Repertoire der Strafbestimmungen gehörte dabei auch die Todesstrafe. Diese konnte aber nur im Zusammenhang mit dem verschuldeten Tod
eines Polizisten während der Ermittlungen verhängt werden. Unklar blieben jedoch die Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Rauschgiftbekämpfung, da eine eindeutige Benennung der Behörden fehlte.
In der 2004 verabschiedeten afghanischen Verfassung verpflichtete sich der afghanische Staat in Artikel 7 neben der Achtung der UN-Charter, der staatlichen
Vereinbarungen und Verträge sowie der Menschenrechte auch, alle Aktivitäten
des Terrorismus und der Drogenproduktion zu unterbinden.107
Es folgten eine Vielzahl von Konferenzen und Vereinbarungen zum Wiederaufbau und zur Stabilisierung Afghanistans, in denen sich die Vertreter der afghani-
104
Bundesregierung (2002): Deutschland leistet Wiederaufbauhilfe für die afghanische Polizei.
Bundesministerium des Innern (2008): Deutsch-afghanisches Sitz- und Stausabkommen sowie
deutsch-afghanische Vereinbarung über die Gewährung polizeilicher Ausbildungs- und Ausstattungshilfe im Rahmen des Stabilitätspaktes Afghanistan. S. 286-292.
106
Transitional Islamic State of Afghanistan (2003), New Law on the Classification of Drugs and
Precursors, Regulation of the Licit Activities, Drug Related Offences.
107
Islamic Republic of Afghanistan (2004): The Constitution of the Islamic Republic of Afghanistan.
105
20
schen Regierung auch zur Rauschgiftbekämpfung verpflichteten. Diese Verpflichtungen hatten Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse und die Strategieentwicklungen in der Rauschgiftbekämpfung.
2005 wurde das Drogenkontrollgesetz von 2003 in einigen Teilen überarbeitet,
um sich den Veränderungen der Verwaltungsstrukturen anzupassen und klare Zuständigkeiten in der Strafverfolgung bei Rauschgiftdelikten zu schaffen. Dieses
Gesetz ist bis heute gültig. In Artikel 37 werden die Counter Narcotics Police, die
Afghan Special Narcotics Force, die Afghan National Police und der Afghanistan
Customs Staff als zuständige Behörden für die Bearbeitung von Rauschgiftdelikten aufgeführt. Das Gesetz legitimiert das Ministry of Counter Narcotics als originär zuständige Behörde für Rauschgiftfragen und das Ministry of Interior als
oberste Dienstbehörde bei der Rauschgiftbekämpfung. Es empfiehlt die Einrichtung einer Drug Regulation Commission und erhöht die Strafen für Korruption
und Bestechung. Zusätzlich werden die Vorschriften im Strafverfahren konkretisiert und die Todesstrafe nicht mehr aufgeführt. Verstöße werden von nun an mit
Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet. Auch der Besitz von Rauschgift wird nun,
neben dem Verbot des Imports, Exports, Verkaufs, Erwerbs sowie der Produktion
von Grundstoffen, unter Strafe gestellt, solange diese nicht für medizinische oder
wissenschaftliche Zwecke bestimmt sind. Weitere bedeutende Vorschriften regeln
die Durchführung von verdeckten Maßnahmen wie z.B. die richterlich angeordnete Telefonüberwachung für die Polizei.108 Im neuen Counter Narcotics Drug Law
finden sich auch ergänzende Bestimmungen zum 2004 erlassenen Gesetz gegen
Geldwäsche. Das Gesetz gliedert sich in die Kapitel Generelle Bestimmungen,
Klassifikation und Regulation von Drogen, Zulassungsbestimmungen, Vergehen
und Strafvorschriften des Drogenschmuggels, Verfahrens- und Anordnungsvorschriften, Maßnahmen der Suche, Sicherstellung und Ermittlung, ministerielle
Verpflichtungen, Verantwortungen und Schlussbestimmungen.109
Am 31.01.2006 wurde auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in London
zwischen der Internationalen Gemeinschaft und der islamischen Republik Afghanistan der sogenannte Afghanistan Compact geschlossen. Dieser Pakt unterscheidet sich in drei, auch für die Grundlagen der Rauschgiftbekämpfung bedeutenden
108
o.V. (2008): Afghanistan: Government approves new counter-narcotics law. Unter:
http://www.irinnews.org/report.aspx?reportid=29570 , zuletzt geprüft am 20.06.2008.
109
Islamic Republic of Afghanistan (2005): Counter Narcotics Drug Law. S. 1 ff.
21
und wechselseitig voneinander beeinflussenden Bereiche. Diese Bereiche beschäftigen sich mit der Sicherheitslage, der Regierungsführung und den Menschenrechten sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Afghanistans. Darüber
hinaus ist die Ausschaltung der Opiatwirtschaft ein wesentliches Element dieser
Vereinbarung. Im Rahmen dieses Elements ist es Ziel, eine Verbesserung bei den
Verboten, der Vollstreckung und dem Aufbau gerichtlicher Kapazitäten zu erreichen.110 Während der Afghanistan-Konferenz in Paris am 12.06.2008 verpflichtete sich Afghanistan nochmals gegenüber der Internationalen Gemeinschaft effektivere Maßnahmen gegen die Opiatproduktion zu ergreifen.111
Vor dem Hintergrund der traditionell und islamisch geprägten Gesellschaft wurden zu den gesetzlichen Vorgaben auch religiöse Leitsätze zur Unterbindung der
Opiatproduktion verbreitet. Religiöse Führer sprachen eine „Fatwa“112 aus und erklärten den Schlafmohnanbau als unislamisch wider der „Sharia“.113 114
3.2.
Akteure
Außer den Akteuren der Opiatproduktion sind auch die Gegenspieler auf Seiten
der Rauschgiftbekämpfung zu benennen. Im Counter Narcotics Drug Law werden
bereits die wesentlichen Akteure genannt. Neben den dort genannten Behörden
existieren weitere staatliche Behörden, die in der Rauschgiftbekämpfung tätig sind
und im Folgenden beschrieben werden.
Im Jahr 2002 wurde von der Interimsregierung verkündet, dass der National Security Council für die Rauschgiftbekämpfungspolitik verantwortlich sei. Zu seinen
Aufgaben gehörte u.a. der Aufbau eines neuen Counter Narcotics Directorate
(CND), welches sukzessive Organisationseinheiten einrichten sollte, in denen Daten gesammelt und analysiert werden. Ferner gehörte auch die Koordination der
Reform des Justizsektors, der Strafverfolgung und der Nachfragereduzierung zu
110
The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan
Compact - The London Conference on Afghanistan. S. 2.
111
The Islamic Republic of Afghanistan (2008): Declaration of the International Conference in
support of Afghanistan. ANDS.
112
Eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten, das in der Regel von einem Mufti zu einem
speziellen Thema herausgegeben wird.
113
Sharia ist ein religiöses Gesetz.
114
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 28.
22
den Aufgaben des CND. Im Jahr 2004 wurde das CND in das Minstry of Counter
Narcotics (MCN) umgewandelt, dessen Minister seit März 2008 General Khodaidad ist. 115 Das MCN ist nunmehr das originär zuständige Ministerium und hat
gemäß Artikel 52 des Counter Narcotics Drug Law die Aufgabe, alle Aktivitäten
der Rauschgiftbekämpfung in Zusammenarbeit mit anderen Ministerien zu koordinieren, zu evaluieren und entsprechende Strategien zu entwickeln.116 Alle polizeilichen Behörden, zu denen auch die Counter Narcotics Police of Afghanistan
(CNPA) gehört, sind dem Ministry of Interior (MoI) unterstellt. Neben der originär zuständigen CNPA stehen auch die National Interdiction Unit (NIU), die
Central Eradication Planing Cell (CPEC), die Afghan Eradication Force (AEF),
die Afghan Special Narcotics Force/Force 333 (ASNF) und die Border Police
und Highway Police unter Supervision des MoI.117 Zwar ist die Afghan National
Police (ANP) die Oberbehörde für die genannten polizeilichen Institutionen,118
jedoch bilden sechs Komponenten mit direkter Anbindung an das MoI die eigentliche Struktur der ANP.119
Mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und UNODC hat das MoI als oberste Behörde der Polizei einen Rauschgiftbekämpfungsplan entwickelt. Trotz ausländischer Unterstützungen wurde das Ministerium 2006 wegen Untätigkeit bei
der Umsetzung des Planes erheblich kritisiert, da Korruption und Patronage auf
allen Ebenen die Bemühungen in der Rauschgiftbekämpfung unterminierten.120
Trotz der Kritik wurde zuvor unter Federführung des MoI mit Unterstützung der
Internationalen Gemeinschaft die CNPA in Kabul eingerichtet. Deren landesweite
Zuständigkeit wird seit 2005 im genannten Counter Narcotics Drug Law geregelt.
Die CNPA besteht aus Ermittlungs- und Bekämpfungseinheiten, die eng mit amerikanischen und britischen Experten zusammenarbeiten. Unter der Führung der
CNPA steht die Counter Narcotics Intelligence Fusion Cell (CNIFC), die Maßnahmen der CNPA vorbereiten soll.121
115
Office of the President. Islamic Republic of Afghanistan (2008). Unter:
http://www.president.gov.af/english/cabinet.mspx , zuletzt geprüft am 19.06.2008.
116
Vgl. Independent Panel Canada (2008): Canada’s Future Role in Afghanistan. S. 49.
117
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 25-26.
118
Vgl. Independent Panel Canada (2008): Canada’s Future Role in Afghanistan. S. 50.
119
Vgl. Johnson (2008): Afghanistan Security. S. 18.
120
Vgl. Buddenberg, Byrd (2006): Afghanistan’s Drug Industry: Introduction and Overview. S.
20-21.
121
The Islamic Republic of Afghanistan (2005): The 1384 (2005) Counter Narcotics Implementation Plan. S. 7.
23
Die NIU ist seit 2004 eine Untereinheit der CNPA und operiert in Zusammenarbeit mit den Foreign Advisory Support Teams (FAST) der U.S. Drug Enforcement
Administration (DEA) mit ähnlicher Zuständigkeit wie die ASNF.
Die CPEC ist ein von Großbritannien unterstütztes Fahndungszentrum, das mit
technischer Hilfe Schlafmohnpflanzungen ermittelt und den Erfolg von Vernichtungsaktionen überwacht. Die CPEC stellt ihre gewonnenen Erkenntnisse und Daten der Afghan Eradication Force zur Verfügung, die 2005 aus der Central Poppy
Eradication Force (CPEF) hervorging.122 Die AEF ist zuständig für die Vernichtung von Schlafmohnflächen.123 Sie führt unter Anleitung und Schutz von Sicherheitspersonal bodenbasierte Schlafmohnvernichtungsaktionen durch und wird
durch die USA unterstützt.
Die ASNF führt, als durch britisches Militär ausgebildete Eliteeinheit, in entlegenen Gebieten militärische Aktionen gegen hochrangige, im Rauschgifthandel involvierte Ziele durch. Dabei werden die Einheiten vom amerikanischen Militär
mit Expertise und Luftverlastung unterstützt. Die Ziele werden vom Interagency
Operations Coordination Centre (IOCC) mit Sitz in Kabul vorgegeben. Das IOCC
ist ein gemeinsames Projekt der Amerikaner und Briten mit der Aufgabe, Rauschgiftbekämpfungsmaßnahmen zu koordinieren und zu deeskalieren.124 Die Einheiten wurden durch die amerikanische Sicherheitsfirma DynCorp ausgebildet. 125
DynCorp ist eine sogenannte Private Security Company aus Virginia/USA und einer
der
bedeutendsten
nichtstaatlichen
international
tätigen
Militär-
Dienstleister. 126 DynCorp bietet Sicherheitsdienstleistungen jeder Art in sogenannten Hochrisiko-Gebieten an, wie etwa im Irak oder auch in Afghanistan.127
Border Police und Highway Police übernehmen im Rahmen ihres täglichen Dienstes auf Grundlage ihrer Ausbildung, die sie unter anderem von Deutschen, Briten
122
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 25-26.
Vgl. Martin; Symansky (2006): Macroeconomic Impact of the drug Economy and counternarcotics efforts. S. 34.
124
Vgl. Holmes (2008): Statement of Brigadier General Robert H. Holmes Deputy Director of Operations United States Central Command Before The House Armed Service Committee Subcommittee On Terrorism, Unconventional Threats And Capabilities On Irregular Warfare.
125
Vgl. Baldauf (2005): Afghanistan`s new jihad targets poppy production.
126
Das Unternehmen beschäftigt ca. 14.000 Mitarbeiter in mehr als 30 Staaten.
127
o.V. (2008): Deutsche Soldaten und Polizisten kooperieren. Unter: http://www.ngoonline.de/reg/reg_ganze_nachricht.php?R=VB&RTNr=3785&tit= , zuletzt geprüft am 10.07.2008.
123
24
und Amerikanern erhalten haben, ebenfalls Aufgaben der Rauschgiftbekämpfung.128
Das National Directorate of Security unterstützt als afghanischer Geheimdienst
indirekt das Militär und die Polizei in der Terrorismus- und Rauschgiftbekämpfung. Es wurde eingerichtet, um sicherheitsrelevante Informationen zu sammeln,
zu analysieren und den nationalen Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen.129
Im Rahmen einer Justizreform wurde eine Criminal Justice Task Force (CJTF)
eingerichtet, deren Teams aus Richtern, Staatsanwälten und Ermittlern an komplexen Fällen der Rauschgiftkriminalität arbeiten sollen.130 Die CJTF bereitet Ermittlungsverfahren für das Central Narcotics Tribunal unter der Gerichtsbarkeit
von speziell ausgebildeten Richtern auf. 2008 wurde eine zentrale Kommunikationsstelle bei der CJTF eingerichtet, die das gesamte statistische Material der
CNPA, der Staatanwaltschaft und des Gerichts sammelt und veröffentlicht. Dieses
sind z.B. Quartalsberichte über die Zusammenarbeit in Ermittlungsverfahren mit
der CNPA.131
Die afghanische Rauschgiftbekämpfung, die erheblich auf die Unterstützung der
Internationalen Gemeinschaft angewiesen ist, kann, wie oben dargestellt, in die
exekutiven Bereiche Strafverfolgung von in die Opiatproduktion involvierte Personen sowie in die Vernichtung von Schlafmohnflächen unterteilt werden.132 Im
Zuständigkeitsbereich der CNPA gibt es mitunter Überschneidungen mit der Aufgabenwahrnehmung der genannten Unterteilungen. Dies ist in Teilen auch historisch bedingt, da sowohl die USA wie auch Großbritannien versucht haben, auf
eigene Initiative behördliche Strukturen in Afghanistan zu etablieren, um die
Rauschgiftbekämpfung zu forcieren. Die Darstellung der Institutionen der
Rauschgiftbekämpfung zeigt, dass diese primär durch die afghanische Regierung
geführt werden. Erst in zweiter Linie erfolgt eine ausländische Unterstützung. Ob
128
Vgl. Blanchard (2006): Afghanistan: Narcotics and U.S. Policy. S. 26.
Islamic Republic of Afghanistan (2008): Afghanistan National Development Strategy. 1387 1391 (2008 - 2012). S. 58.
130
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
131
CJTF Communication Department (2008): CJTF Latest Achievements. S. 1.
132
Interdiction and Eradication
129
25
die afghanische Rauschgiftbekämpfung auch ohne Anleitung durch externe Experten möglich ist, ist jedoch in Frage zu stellen.
3.3.
Analyse der Strategien und Konzepte
3.3.1. Afghanistan
Seit 2003 entwickelt die afghanische Regierung zusammen mit der Internationalen Gemeinschaft auf Grundlage der genannten Abkommen, der afghanischen
Verfassung und des Counter Narcotics Drug Law ihre nationale Drogenkontrollstrategie fort. So wurde diese in den Jahren 2003, 2005 und 2006 stetig der sich
verschlechternden Lage angepasst. 2006 wurde die Fassung im Auftrag der afghanischen Regierung durch das MCN unter Beteiligung aller relevanten Ministerien überarbeitet und nach Prüfung durch das Kabinett vom afghanischen Präsidenten bestätigt. Nachträglich ergänzt der Afghanistan Compact133 134die National
Drug Control Strategy (NDCS) hinsichtlich der Festlegung von Meilensteinen
und Zeitvorgaben. Die NDCS unterteilt sich in vier Kapitel. Nachfolgend sollen
die Eckpunkte der Strategie dargestellt werden.135
Das erste Kapitel führt in die Grundlagen der Strategie ein und erklärt Gründe für
ihre Überarbeitung. Dabei hat Großbritannien im Rahmen seiner Rolle als G 8
Lead Nation in der Rauschgiftbekämpfung das MCN bei der Erstellung der Überarbeitung unterstützt.
Der Leitsatz formuliert, dass die Weiterentwicklung der Strategie nicht mit der
Veröffentlichung der NDCS endet und ergänzende Maßnahmen sukzessive implementiert werden. Dabei soll das Papier unter Berücksichtigung anderer Problemfelder wie des afghanischen Wiederaufbaus und der Stabilisierung des Landes, die
Existenz der gesetzlichen Grundlagen und anderer politischer Dokumente nicht
negieren. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass die Schaffung stabiler und
133
The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan
Compact - The London Conference on Afghanistan. S. 1 ff.
134
Der Afghanistan Compact ist auch wesentliche Grundlage der britischen Strategie und wird
dort intensiver dargestellt.
135
Vgl. Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug
Control Strategy. S. 8-9.
26
rechtstaatlicher Verwaltungsstrukturen positiven Einfluss auf die Durchsetzung
des Verbots der Opiatproduktion hat. Parallel sind alternative Lebensgrundlagen
für die Bevölkerung zu schaffen. Damit fügt sich die Strategie ergänzend in die
Afghan National Development Strategy (ANDS) ein.136
Des Weiteren wird auf die sich verschlechternde Lage in Afghanistan hinsichtlich
der Schlafmohnkultivierung, der Opiatproduktion und des Drogenschmuggels
hingewiesen. Im Rahmen der Problemdarstellung werden die Akteure der Opiatwirtschaft genannt, die, in Koalition mit den militärischen Widerstandsgruppen,
den Wiederaufbau und die Herstellung von Sicherheit in Afghanistan unterminieren. Daraus wird abgeleitet, dass das Drogenproblem auch Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Situation hat. Es wird erkannt, dass Afghanistans Opiatwirtschaft ein globales Problem ist, welches nicht regional begrenzt ist. Dabei werden
Bezüge zu Zahlen der Rauschgiftabhängigen in den Nachbarstaaten Iran und Pakistan hergestellt. Auch ist die Zahl der Rauschgiftabhängigen im eigenen Land
einhergehend mit einem Anstieg von Infektionskrankheiten in Afghanistan sukzessive gestiegen und bildet damit eine neue Problemgruppe. Darüber hinaus wird
darauf verwiesen, dass zwischen 70 und 90 Prozent des in Europa sichergestellten
Heroins aus Afghanistan stammt und dort die Drogenabhängigen durch ihren Bedarf das Angebot bestimmen.
Das zweite Kapitel gibt die strategische Richtung vor, indem das Oberziel der
Regierungspolitik mit vier Schlüsselprioritäten dargestellt und mit Unterzielen
hinterlegt wird. Oberziel der Strategie ist die Gewährleistung einer nachhaltigen
Senkung der Kultivierung, der Produktion, des Schmuggels und des Konsums von
illegalen Drogen. Die Regierung will ihre Bemühungen im Rahmen des Oberziels
an den vier Prioritäten ausrichten.137 Diese Prioritäten richten sich auf
-
Unterbindung des Rauschgifthandels durch Verfolgung der Rauschgiftschmuggler und deren Unterstützer
-
Stärkung und Diversifizierung legaler bäuerlicher Lebensgrundlagen
-
Nachfragereduzierung illegaler Drogen und Behandlung von Schwerstabhängigen
136
Islamic Republic of Afghanistan (2008): Afghanistan National Development Strategy. 1387 1391 (2008 - 2012). S. 145.
137
Siehe Anhang Nr. 2.
27
-
Entwicklung zentraler und dezentraler staatlicher Institutionen, die die Strategie umsetzen können.
Der Fokus liegt auf den Rauschgiftschmugglern und ihren illegal erwirtschafteten
Gewinnen, da sie die Hauptprofiteure des Opiathandels sind. Afghanische Bauern
sollen aufgrund bestehender Abhängigkeitsverhältnisse und mangelnder Alternativen zum Schlafmohnanbau nicht verfolgt werden.
Obwohl die afghanische Regierungspolitik nicht auf eine Vernichtung von
Schlafmohnfeldern ausgerichtet ist, wird diese jedoch dort, wo alternative Lebensgrundlagen vorhanden sind, umzusetzen versucht. Für die Durchsetzung der
Ziele sind die im Counter Narcotics Drug Law genannten Akteure der Rauschgiftbekämpfung zuständig.
Die Transformation von der Opiatwirtschaft zur legalen Landwirtschaft soll sowohl durch kurz- als auch mittelfristige Maßnahmen erfolgen. Die Maßnahmen
konzentrieren sich dabei nicht nur auf die Substitution von Mohnpflanzungen,
sondern auch auf Sozialleistungen, um den Teufelskreis in diesem illegalen Wirtschaftssystem zu durchbrechen.
Die Hilfen zur Behandlung der Drogenabhängigen sollen im Bereich der Gesundheitsfürsorge und der Strafverfolgung verbessert werden. Zusätzlich sind Aufklärungskampagnen für die Risikogruppen geplant, um den Einstieg in die Rauschgiftabhängigkeit zu verhindern. Zur Umsetzung dieser Ziele wurde eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung nationaler und internationaler staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen gebildet.
Grundlage der Stärkung staatlicher Institutionen bei der Rauschgiftbekämpfung
soll auch deren Etablierung in den Provinzen sein, da dort die Durchsetzung staatlicher Gewalt bisher nicht oder nur begrenzt möglich war. Um dafür notwendiges
Personal rekrutieren zu können und Korruption zu verhindern, wird ein ausreichend hohes Budget gefordert. Zur Erreichung einer einheitlichen Vorgehensweise aller staatlichen Regierungsmaßnahmen wurde daher auf Grundlage des Oberziels und der vier Prioritäten eine afghanische Strategie entwickelt, die auf acht
wesentlichen Unterzielen beruht. Diese werden auch als acht Säulen bezeichnet
und bestehen aus
-
der öffentliche Bewusstseinsbildung hinsichtlich negativer Folgen der Opiatproduktion
28
-
dem Ausbau der internationalen und regionalen Zusammenarbeit insbesondere mit den direkten Nachbarstaaten, um den Schmuggel von Rauschgift
und Grundstoffen über die Grenzen zu unterbinden
-
der Schaffung alternativer Lebensgrundlagen
-
der Nachfragereduzierung von Drogen
-
dem Aufbau von Strafverfolgungskapazitäten
-
der Errichtung eines Justizsystems
-
der Schaffung von Einheiten für die bodenbasierten Drogenvernichtung
-
dem Aufbau einer staatlichen Rauschgiftbekämpfung in allen Teilen des
Landes
Abb. 2: Die Säulen der afghanischen National Drug Control Strategy138
Annex A erklärt ergänzend jede Säule und das jeweils langfristig angestrebte Ziel.
Dabei werden die Ziele mit Maßnahmen und Zielerreichungsgraden hinterlegt.
Im dritten Kapitel werden Vorgaben zur strategischen Implementierung und
Evaluation ausgeführt. Des Weiteren werden Verantwortlichkeiten und Budgets
festgelegt sowie die zuständigen Ministerien benannt. So ist das MCN verpflichtet,
das Monitoring der Strategieumsetzung durchzuführen und sowohl dem Kabinett
als auch dem Präsidenten regelmäßig darüber zu berichten. Neben dem MCN sind
folgende Ministerien und Institutionen verantwortlich in die Umsetzung der Strategie eingebunden: Ministry of Interior, Ministry of Finance, Ministry of Defence,
Ministry of Foreign Affairs, Ministry of Hajj an Awqaf,139 Counter Narcotics Police of Afghanistan, Afghan National Police, National Directorate of Security.
Darüber hinaus sollen alle internationalen Organisationen und bilateralen Geber
die Strategievorgaben in ihren Aktivitäten berücksichtigen. Neben der Festlegung
138
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control
Strategy. S. 21.
139
Ministerium für islamische Religionsfragen.
29
der Verantwortlichkeiten werden Ziele der Strategie operationalisiert. Durch die
Operationalisierung kann eine Evaluierung des Zielerreichungsgrades erfolgen.
Dieser soll jährlich erhoben werden. Die Regierung hat sich entschieden, zu vier
Indikatoren einen Zielerreichungsgrad zu erheben. Diese vier Indikatoren sind:
-
Reduzierungsniveau des kultivierten Schlafmohn
-
Grad der Reduzierung des mit Opiatproduktion erwirtschafteten Gewinns im
Vergleich zum Bruttosozialprodukt
-
Reduzierung von Rauschgift- und Grundstoffschmuggel
-
Reduzierung der Zahlen von Schwerstabhängigen und daraus resultierenden
Folgen für die Volksgesundheit
Den gesamten Prozess sollen speziell eingerichtete Arbeitsgruppen überwachen.
Sie sind für das Controlling verantwortlich und berichten entsprechend über die
Umsetzung.
Dieses Kapitel geht auch gesondert auf das nationale Budget und den Counter
Narcotics Trust Fund (CNTF) ein. Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass die
Bekämpfung der illegalen Opiatwirtschaft eine sehr ressourcenintensive Aufgabe
ist. Der CNTF ist daher ein wichtiger Mechanismus zur Finanzierung von Projekten im Rahmen der NDCS, in den Geber einzahlen können. Eine ergänzende adäquate Finanzierung zur Förderung alternativer Projekte wird auch in der Afghanistan National Development Strategy (ANDS) gefordert.140
Des Weiteren wird in Kapitel drei eine Risikoanalyse zur NDCS mit dem Hinweis durchgeführt, dass zu den dargestellten Risikokategorien ein Risikomanagement erfolgen muss, um strategisch reagieren zu können. Folgende Kategorien
werden genannt:
-
Innere und politische Unsicherheit
-
Korruption in der öffentlichen Verwaltung
-
Unzureichende internationale finanzielle Hilfe
-
Fehlende Verwaltungsstrukturen in den Provinzen und Distrikten
-
Stocken des Reformprozesses in der Rauschgiftbekämpfung
-
Fehlende Koordination
-
Fehlende Unterstützung aus anderen afghanischen Regierungsbereichen
140
Islamic Republic of Afghanistan (2008): Afghanistan National Development Strategy. 1387 1391 (2008 - 2012). S. 146.
30
Das vierte Kapitel beschreibt schließlich die historische Entwicklung der Opiatwirtschaft in Afghanistan, um darauf hinzuweisen, dass eine effektive Politik nur
im Verständnis der Historie möglich ist. Darüber hinaus soll ein Ausblick auf die
zukünftigen Trends der Lageentwicklung ermöglicht werden.
Bewertung
Die National Drug Control Strategy greift grundlegende Elemente der Strategieentwicklung auf.141 So wird eine Lagebeurteilung mit Darstellung der Problemfelder und deren Größe durchgeführt. Aus der Analyse der Problemfelder werden
strategische Ansatzpunkte entwickelt. Insbesondere die Opiatwirtschaft, kriegerische Auseinandersetzungen und der Status Quo der Verwaltungsstrukturen werden als Problemursachen erkannt. Die in die Verwaltungsstrukturen eingebetteten
Institutionen sind maßgebliche Faktoren für die Umsetzung der Strategie in den
Städten, Provinzen und Distrikten.
Die Involvierung von hochrangigen Amtsträgern in den Drogenhandel wird jedoch nicht als Problemfeld identifiziert. Dabei wurden im Jahr 2006 der damals
für den Kampf gegen Drogen zuständige Vize-Innenminister Mohamad Daud und
Ahmed Wali Karzai, ein Bruder vom afghanischen Präsidenten, verdächtigt, selbst
in den Rauschgifthandel involviert zu sein. 142 Lediglich die Korruption in den
staatlichen Institutionen findet als ein Teilaspekt Eingang in die strategische Betrachtung.
Als Voraussetzung für zielgerichtetes und planmäßiges Handeln formuliert die
NDCS Ober- und Unterziele. Wesentlich sind die genaue Definition der Ziele und
deren Prioritäten. Diese zeigen, was die Regierung bzw. das MCN erreichen wollen. Die Festlegung erfolgt unter Berücksichtigung der Problemfelder. Es wird erkannt, dass ohne Schaffung alternativer Lebensgrundlagen für die ländliche Bevölkerung diese weiterhin Schlafmohn anbauen wird. Exzessive Vernichtung von
Schlafmohnanbauflächen wird abgelehnt, da sie Unzufriedenheit in der Bevölkerung schafft und der Sicherheitslage abträglich ist. Die Vorgabe entspricht der ak-
141
142
Siehe unter Pkt. 1.3, Begriffsbestimmung.
Vgl. o.V. (2006): Afghanistans ranghöchster Drogenbekämpfer in Heroinhandel verstrickt.
31
tuellen politischen Diskussion, die sich mit den Folgen von großflächigen Vernichtungsaktionen auseinandersetzt. So argumentieren Kritiker, dass ohne die
Schaffung von Möglichkeiten von legalem Einkommen für die ärmsten Bauern,
die Vernichtung von illegalen Schlafmohnpflanzungen den Weg in die absolute
Armut vorzeichnet.143 Die politischen Folgen konsequenter Vernichtungsaktionen
könnten die Regierung daher vor erhebliche Probleme stellen, da schon in der
Vergangenheit Bauern gewaltsam gegen die Vernichtung ihrer illegalen Pflanzungen protestiert haben.144
In der NDCS erfolgt eine enge Verzahnung von Zielen mit der Planung von Maßnahmen unter Einbeziehung von Lagedaten. Ziele werden festgelegt und hervorgehoben. Sie werden operationalisiert, um zu prüfen, ob sie kurz-, mittel- oder
langfristig erreicht wurden. Verantwortlichkeiten zur Koordinierung und Umsetzung werden ebenfalls festgelegt. Die Diversifizierung der Verantwortlichkeiten
auf viele Ministerien birgt jedoch die Gefahr, dass im Falle eines Scheiterns keine
Stelle bzw. kein Ministerium Verantwortung übernehmen wird und dadurch eine
erfolgskritische Analyse unterbleibt. Grundsätzlich werden in der afghanischen
NDCS jedoch wesentliche Kategorien genannt, die Einfluss auf die erfolgreiche
Umsetzung der Strategie haben. Dabei werden eigenen Schwächen wie Korruption, fehlende Verwaltungsstrukturen in den Provinzen und Distrikten sowie mangelnde Fähigkeiten bei der Koordination von Maßnahmen erkannt. Auch Gefahren für die Innere Sicherheit und die politische Stabilität, verursacht durch die
Opiatwirtschaft und den Widerstand einzelner Gruppen, werden aufgeführt sowie
die Abhängigkeit von Hilfe der Internationalen Gemeinschaft beleuchtet. Erst die
finanzielle Hilfe und Expertise aus dem Ausland versetzt die afghanische Regierung in die Lage, gegen die Opiatwirtschaft vorzugehen. Um der Korruption Herr
zu werden, bedarf es auch angemessener Lohnzahlungen der Exekutive. Beste
Ausstattungs- und Ausbildungshilfe kann nur als Hygienefaktor in einer funktionierenden Verwaltungsstruktur dienen.
Im Februar 2008 stellten Vertreter der afghanischen Regierung aufgrund einer
neuen Problemfeldanalyse neue Initiativen zur Implementierung der NDCS vor.145
143
Vgl. Mansfield; Pain (2006): Opium Poppy Eradication: How to raise risk when there is nothing to loose. S. 5.
144
Paul (2008): Opium Wars.
145
Islamic Republic of Afghanistan (2008): Report to the Joint and Monitoring Board (JCMB).
Unter: http://www.ands.gov.af, zuletzt geprüft am 23.06.2008.
32
Diese Analyse ergab, dass sich bereits benannte Problemfelder seit 2006 vergrößert haben. Die neuen Initiativen folgen den Zielen der NDCS. Im Kontext der
Gesamtsituation und der schwierigen Sicherheitslage stellt sich jedoch die Frage,
ob die Ziele und die Implementierung von Maßnahmen unter kriegsähnlichen Zuständen im Süden des Landes erreicht werden können. Die NDCS kann nur dort
umgesetzt werden, wo stabile Verhältnisse herrschen, da ihre Umsetzung von stabilen Verwaltungsstrukturen maßgeblich abhängt. Als Beleg können die Provinzen des Nordens aufgeführt werden. Trotz der massiven Armut hat sich hier in
2007 die Schlafmohnkultivierung verringert und die Zahl der opiumfreien Provinzen auf 13 erhöht. Der Erfolg wird als positives Beispiel dargestellt, da hier Führungsverantwortung, Anreizprogramme und sichere Verhältnisse die Bauern zu
einem Umdenken gebracht haben.146 Dagegen hat die Herstellung von Frieden in
den unsicheren Gebieten des Südens oberste Priorität, ehe andere Maßnahmen
folgen können. Noch ist es zu früh, die Effektivität der Strategie zu beurteilen, da
sie erst seit zwei Jahren in der Implementierungsphase ist und sich mittel- und
langfristige Ziele in der Umsetzung befinden. Dennoch sind Tendenzen erkennbar,
die ein Scheitern befürchten lassen.
3.3.2.
USA
Seit der Vertreibung der Taliban unterstützen die USA zusammen mit der Internationalen Gemeinschaft die afghanische Regierung bei der Rauschgiftbekämpfung.
Dabei haben sie eine aktive Rolle in der Unterbindung der Rauschgiftproduktion
eingenommen. Im Rahmen der strategischen Weiterentwicklung entstand die U.S.
Counternarcotics Strategy for Afghanistan. 147 Basis der Weiterentwicklung ist
sowohl die amerikanische National Drug Conrtol Strategy148 als auch die afghanische National Drug Control Strategy (NDCS). Dabei fokussiert sich die amerikanische Strategie im Rahmen eines sogenannten Fünf-Punkte-Plans149 auf die Unterstützung der afghanischen Regierung in den Bereichen alternative Entwicklung,
Schlafmohnvernichtung, Verbote und Strafverfolgung, Gesetz- sowie Justizreform
146
Vgl. UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 3.
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 1 ff.
148
Vgl. The White House (2008): National Drug Control Strategy 2008. S. 34.
149
Siehe Anhang Nr. 15.
147
33
und Öffentlichkeitsarbeit.150 Dieser Plan soll eine angemessene Balance zwischen
Anreiz und Abschreckung herstellen. 151 Die amerikanische Regierung hat zur
Durchsetzung ihrer Maßnahmen im Jahr 2006 über 600 Millionen USD in die
Rauschgiftbekämpfung investiert und seit dem Jahr 2001 Hilfen von insgesamt
1,6 Milliarden USD geleistet.152
Die U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan beginnt im ersten Kapitel
mit einer zusammenfassenden Darstellung der Lage und den Eckpunkten der amerikanischen Strategie. Einleitend wird erläutert, dass das Strategiepapier offene
Fragen, Hindernisse und Ergebnisse der bisherigen Bemühungen erfolgskritisch
untersuchen soll, um diese mit Verbesserungsempfehlungen zu versehen. Dabei
werden sowohl positive als auch negative Entwicklungen im Kontext der Strategie
dargestellt. Die positiven Veränderungen der Schlafmohnkultivierung in den
nördlichen Provinzen werden mit den negativen Entwicklungen im Süden Afghanistans zwischen 2006 und 2007 verglichen. Aufgrund der bedenklichen Entwicklung der Sicherheit- und Rauschgiftlage im südlichen Teil Afghanistans werden
weitere Verbesserungen als dringend erforderlich angesehen. Zur Umsetzung der
Ziele werden folgende verantwortliche Institutionen genannt:
Department of State, Department of Defense, Department of Justice, Department
of Agriculture, Department of Treasury, Drug Enforcement Administration, Office
of National Drug Control Policy.
Eine tiefer gehende Erläuterung der amerikanischen Strategie folgt in den Kapiteln zwei bis fünf. Im zweiten Kapitel werden die Problemfelder der Rauschgiftlage auf Grundlage eines UNODC-Berichtes153 näher definiert und allgemein untersucht. Im Rahmen der Untersuchung wird festgestellt, dass die Opiatwirtschaft
sowohl zu erheblichen gesundheitlichen als auch sozialen Problemen in Afghanistan führt. Der illegal erwirtschaftete Gewinn, der nach Schätzungen der USA ca.
46 Prozent154 des afghanischen Bruttosozialprodukts beträgt, wird für die eigenen
Machtinteressen der Profiteure eingesetzt, hemmt die Wirtschaftsentwicklung des
Landes und destabilisiert sowohl das staatliche System als auch die Sicherheitslage. Der generierte Gewinn stärkt auch die Taliban und deren militärische Schlag150
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 17-18.
Vgl. ebd. S. 28.
152
Vgl. ebd. S. 21.
153
UNODC (2007): Afghanistan. Opium Winter Rapid Assessment Survey 2007.
154
UNODC schätzt 53 Prozent (Afghanistan Opium Survey 2007, S. 7).
151
34
kraft und schwächt dadurch die staatlichen Institutionen in den betroffenen Provinzen. Darüber hinaus deduziert der Bericht anhand weiterer Indikatoren, dass es
eine ausgeprägte Verbindung zwischen Rauschgiftschmugglern und Taliban gibt.
Illegale Gewinne werden durch das informale Hawala-Banking155 transferiert und
entziehen sich der staatlichen Kontrolle.156 Dadurch kann Korruption, die auf allen Ebenen der afghanischen Regierung und Verwaltung zu finden ist, und der militärische Aufstand finanziert werden. Die amerikanischen Bemühungen im
Kampf gegen den Terrorismus und die Schaffung stabiler Verhältnisse werden
somit durch die Opiatwirtschaft unterminiert. Der bewaffnete Widerstand einiger
Gruppen wirkt sich auch auf die Effektivität der amerikanischen Unterstützung im
Bereich der Schlafmohnvernichtung aus, da diese ohne militärischen Schutz nicht
mehr durchgeführt werden kann.
Insgesamt wird festgestellt, dass die genannten Problemfelder auch Einfluss auf
die Situation in den afghanischen Nachbarstaaten haben. Dort werden die Regierungssysteme durch jene kriminellen Strukturen gefährdet, die der Rauschgifthandel stärkt.
Im dritten Kapitel werden auf Basis der Lagebeurteilung die aktuellen strategischen Eckpunkte des Fünf-Punkte-Plans dargestellt und in Kapitel fünf weiter
ausgeführt. So beruht die amerikanische Strategie im Wesentlichen auf den drei
Hauptelementen Entwicklungshilfe, Rauschgift- und Widerstandsbekämpfung sowie Unterstützung des politischen Durchsetzungswillens.
Aus Sicht der USA schafft erst eine drastische Steigerung der Entwicklungshilfe
den Anreiz für die legale Entwicklung. Gleichzeitig soll der Umfang der Maßnahmen im Bereich Strafverfolgung und Vernichtung zur Abschreckung erhöht
werden.157 Die Rauschgift- und Widerstandsbekämpfungsmaßnahmen sollen daher im Verbund besser geplant und koordiniert werden. Aber auch der politische
Wille verantwortlicher Institutionen zur Durchsetzung der Maßnahmen bedarf aus
amerikanischer Sicht der beständigen und nachhaltigen Stärkung. Unter den Institutionen verstehen die USA sowohl die Alliierten als auch zivile und militärische
155
Privates Geldüberweisungssystem, welches traditionell außerhalb der legalen Finanzsysteme
arbeitet. Geld wird auf Vertrauensbasis transferiert.
156
Jost; Sandhu (2000): The hawala alternative remittance system and its role in money laundering.
157
Prinzip Zuckerbrot und Peitsche; engl. Carrot and Stick.
35
Organisationen.158 Aus den drei Hauptelementen werden in Ergänzung zum FünfPunkte-Plan die neun folgenden Ziele der amerikanischen Strategie abgeleitet:
-
Öffentlichkeitsarbeit
-
Alternative Entwicklung
-
Verhinderung des Schlafmohnanbaus und Vernichtung der Felder
-
Verbots- und Strafverfolgungsmaßnahmen
-
Justizreform und Anklagedurchsetzung
-
Stärkung des politischen Willens
-
Vereinheitlichung der internationalen Bemühungen
-
Integration der Rauschgiftbekämpfung in die Sicherheitspolitik
-
Aufklärung über unrealistische Bekämpfungsansätze, die nicht auf fundierten Erkenntnissen beruhen
Der Fünf-Punkte-Plan und die neun Ziele überschneiden sich in der ersten Betrachtung. Durch die Untergliederung und Ableitung weiterer Unterziele erfolgt
jedoch eine tiefere und speziellere Ausgestaltung als in der afghanischen National
Drug Control Strategy. Diese Ausgestaltung soll folgend näher betrachtet werden.
Im Bereich Öffentlichkeitsarbeit soll, unter Berücksichtigung präventiver Aspekte,
die Koordination und Steuerung von Informationen aus der Rauschgift- und Widerstandbekämpfung verbessert sowie die einfache Bevölkerung fokussiert werden. Mit Hilfe der Mund-zu-Mund-Propaganda sollen der Bevölkerung die negativen Folgen und Zusammenhänge zwischen Rauschgiftanbau und Schmuggel
sowie bewaffnetem Widerstand verdeutlicht werden. Rauschgiftschmuggel wird
in der Schwere des Vergehens dem Widerstand gegen die afghanische Regierung
gleichgesetzt. Auch sollen in der Rauschgiftbekämpfung engagierte Organisationen mit den afghanischen und alliierten Militärkräften enger zusammenarbeiten.
Darüber hinaus ist geplant, lokale Führer in den Provinzen aufgrund des Erfolges
in der Unterbindung des Schlafmohnanbaus im Norden Afghanistans im Jahr
2007, durch intensive Öffentlichkeitskampagnen weiter in das Poppy Elimination
Program (PEP) eigenverantwortlich einzubinden.159
Erfolgreiche Initiativen zur Unterbindung der Schlafmohnkultivierung sollen im
Bereich der Entwicklung alternativer Lebensgrundlagen durch finanzielle Hilfe
158
159
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 2.
Vgl. ebd. S. 3.
36
und Öffentlichkeitsarbeit gestärkt werden. Dies soll insbesondere durch den Vorbildcharakter einen Anreiz zur Nachahmung für die Provinzverwaltungen schaffen. Begleitend werden detaillierte Pläne zum Ausbau von Ackerbau und Viehzucht entwickelt und private Haushalte durch Schaffung von wirtschaftlichen Alternativen gestützt. Ergänzend wird zusätzliche Unterstützung im Rahmen des National Solidarity Program (NSP) angeboten, welches sich mit Unterprojekten einbringen kann. 160 Im Bereich der landwirtschaftlichen Entwicklung sollen durch
die U.S. Agency for International Development (USAID) und das U.S. Department of Agriculture (USDA) Ausbildungsprogramme gefördert werden.
Bei der Verhinderung und der Vernichtung des Schlafmohnanbaus wird ebenfalls
die Eigenverantwortung der Provinzgouverneure gestärkt. Sie sollen dafür sorgen,
dass kein Schlafmohn mehr kultiviert wird. Ergänzend erfolgt eine Ausschreibung
von Prämien für die Gouverneure, die Erfolg in diesem Sektor verzeichnen können. Die Intensivierung der Schlafmohnvernichtung soll durch die Verbesserung
mechanischer Hilfen161 für die Afghan Eradication Force (AEF) erfolgen.
Um die Vernichtungsaktionen durchzuführen, bedarf es auch einer Verbesserung
der Detektion von Schlafmohnpflanzungen. Seitens der USA wurde erkannt, dass
weder die Qualität noch die Quantität der Schlafmohnvernichtung derzeit ausreicht, um eine effektive Unterbindung zu gewährleisten. 162 Ohne Zustimmung
der afghanischen Regierung soll jedoch kein Herbizid-Programm aufgelegt werden, sofern eine Steigerung der Effektivität auf mechanischem Wege möglich ist.
Die amerikanische Regierung könnte jedoch entsprechende Unterstützung beim
Herbizid-Einsatz leisten. Im Falle einer Zustimmung würde zunächst die bodenbasierte Besprühung durchgeführt. Um die Vorbehalte der afghanischen Bevölkerung auszuräumen, soll parallel entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betrieben
werden.
Die Kapazitäten der Counter Narcotics Police of Afghanistan (CNPA) werden im
Rahmen der Strafverfolgung weiter ausgebaut, um alle Ziele umzusetzen zu können. Die CNPA soll in die Lage versetzt werden, die Eigensicherung bei gefährlichen Operationen selbst zu übernehmen. Begleitend wird die Zahl der externen
160
Das NSP unterstützt in 34 Provinzen Bewässerungsprojekte.
Nutzung von Traktoren.
162
Im Jahr 2007 wurden lt. UNODC nur ca. 19.047 ha der Anbaufläche vernichtet.
161
37
Berater erhöht,163 die von der Drug Enforcement Administration (DEA) und anderen internationalen Strafverfolgungsbehörden gestellt werden. Die DEA soll begleitend ihre investigative und operative Unterstützung ausbauen. Nach Auffassung der DEA könnten die afghanischen Partner ihre Strategie zur Bekämpfung
der Schmugglerorganisationen und Organisatoren 164 mit größeren Ermittlungsund Operativkapazitäten inklusive der Möglichkeit der Luftverlastung noch effektiver umsetzten. Daher soll zur Verbesserung dieser Kapazitäten auch das Vetted
Unit Program165 etabliert werden.166
Aufgrund des ähnlichen Aufgabeprofils soll die Kooperation zwischen der Afghan
Special Narcotics Force (ASNF) und der National Interdiction Unit (NIU) verstärkt werden, um Synergieeffekte in der Fallauswertung zu erzielen. Insgesamt
ist die Verbesserung der Strafverfolgung und Verurteilung von hochrangigen
Straftätern das Ziel. Folglich muss der Ausbau von Spezialeinheiten und die Unterstützung der Foreign Advisory Support Teams (FAST) fortgesetzt und aus amerikanischer Sicht weiter vorangetrieben werden. Um das Abschreckungsmoment
in der afghanischen Bevölkerung zu erhöhen, soll begleitend eine aggressive Öffentlichkeitsarbeit auf örtlicher Ebene zu erfolgreich durchgeführten Operationen
erfolgen.167
Bei der Justizreform wird der Ausbau der zentralen und provinzialen Justizkapazitäten im Bereich der Rauschgiftkriminalität forciert, da dies Grundlage einer effektiven Strafverfolgung ist. Daher soll hier die Organisationsstruktur des Justizapparates ausgebaut sowie die Bezahlung verbessert werden. Die Reform beinhaltet auch den Ausbau der Criminal Justice Task Force (CJTF) und des Central
Narcotics Tribunal (CNT). Darüber hinaus soll eine Verbesserung der AntiKorruptions-Initiativen erreicht werden. Besonders unterstützt wird die AntiKorruptions-Kampagne der afghanischen Generalstaatsanwaltschaft. Um Auslieferungen unter rechtsstaatlichen Aspekten durchzuführen, werden zwischen der
afghanischen Regierung und der Internationalen Gemeinschaft Richtlinien entwickelt, die die Umstände einer Auslieferung regeln. So könnten international agie-
163
In diesem Zusammenhang werden die Berater auch als Mentoren bezeichnet.
Sogenannte High Value Targets.
165
Programm für verdeckt ermittelnde Einheiten.
166
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 54.
167
Vgl. ebd. S. 57.
164
38
rende Hauptakteure des Opiathandels im Falle einer Festnahme in Afghanistan an
andere Staaten ausgeliefert werden. 168
Um den politischen Willen zur Rauschgiftbekämpfung zu stärken, ist das Vorgehen gegen korrupte Staatsbedienstete eines der wesentlichen Prinzipien. Die
Staatsbediensteten erhalten daher bei der Umsetzung der Strategie die erforderliche Unterstützung von den USA.169
Zur Vereinheitlichung internationaler Bemühungen soll ein Plan zur Sicherstellung einer einheitlichen Sprachregelung im Vorgehen gegen die Opiatwirtschaft
für alle engagierten Staaten und Institutionen entwickelt werden. Grundlage ist
zunächst die Verbesserung der regionalen Kooperation und Zusammenarbeit in
der Grenzsicherung, um den Rauschgiftschmuggel in und aus Afghanistan zu unterbinden. Die verstärkte Koordination zwischen der Entwicklung von Verbotsstrategien und der Arbeit im Justizwesen soll sich widersprechende Initiativen
vermeiden.170
Um die Integration der Rauschgiftbekämpfung in die amerikanische Sicherheitspolitik zu erreichen, soll die Zusammenarbeit mit den afghanischen Rauschgiftbekämpfungsbehörden und den alliierten Streitkräften verstärkt werden. Dabei wird
ein klarer Zusammenhang zwischen dem Rauschgifthandel, den Aufständischen
und den Taliban hergestellt. Grundlage ist die Errichtung einer zentralen Kommando- und Kontrollstruktur, die alle staatlichen Operationen koordiniert. Ergänzend sollen gemeinsame Konzepte zur Durchführung von militärisch unterstützten
Rauschgiftbekämpfungsmaßnahmen entwickelt werden. Dabei können das afghanische und das alliierte Militär die afghanische Regierung auch bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützen.171
Die Aufklärung über Bekämpfungsansätze, die nicht auf fundierten Erkenntnissen
beruhen, beendet die Zielbildung der Strategie. Die USA will daher Informationen
über fehlerhafte, nicht fundierte und einseitige Betrachtungsweisen der Rauschgiftbekämpfung bereitstellen. In dem Kontext werden die Gründe ihrer Ablehnung
gegenüber der Legalisierung und des Aufkaufs der Schlafmohnernten verdeutlicht.
Darüber hinaus wird erklärt, dass es keine einzelne Nutzpflanze gibt, die einen
168
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 61-67.
Vgl. ebd. S. 68.
170
Vgl. ebd. S. 68-70.
171
Vgl. ebd. S. 70-73.
169
39
ähnlichen Gewinn wie Schlafmohn erzielen kann. Daher wird der diversifizierte
Anbau von unterschiedlichen Nutzpflanzen als dringend erforderlich angesehen.
Kapitel vier beschreibt auf Grundlage des Rapid Assessment Survey 2007 des
UNODC die unterschiedliche Lageentwicklung im Norden und Süden Afghanistans und ergänzt die Einführung von Kapitel zwei. Es werden die positiven
Trends der Schlafmohnkultivierung in den Nordprovinzen sowie die negativen
Veränderungen in den Südprovinzen hervorgehoben. Dabei wird festgestellt, dass
die im Süden Afghanistans durchgeführten Schlafmohnvernichtungen mit der Zunahme der dortigen Widerstandshandlungen korrespondieren. Es wird konstatiert,
dass dies auch mit dem mangelnden Durchsetzungswillen der dortigen Gouverneure im Zusammenhang steht.
Des Weiteren wird am Beispiel von Pakistan und Thailand die erfolgreiche Strategie von Anreiz und Bestrafung zur Unterbindung des Schlafmohnanbaus erläutert. Aufgrund des bisher geringen Erfolges bei der afghanischen Schlafmohnvernichtung wird ein aggressiveres Vorgehen nach dem Vorbild der genannten Staaten gefordert.172
Bewertung
Die U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan konzentriert sich auf die Vorgaben der afghanischen National Drug Control Strategy und übernimmt fünf von
acht Zielen in ihren Fünf-Punkte-Plan. Mit der Analyse der Problemfelder werden
die Ursachen der stetig steigenden Opiatproduktion der letzten Jahre herausgearbeitet. Durch die Definition wesentlicher Probleme, die zum großen Teil auf den
Zahlen der UNODC beruht, wird die Ableitung eigener Ziele ermöglicht. Diese
Ziele werden sowohl ergänzt als auch weiter aufgegliedert und die geplante Umsetzung mit eigenen Prozessverantwortlichen hinterlegt. Somit enthält die U.S.
Counternarcotics Strategy for Afghanistan wichtige Elemente der Strategiebildung. Auffällig an der amerikanischen Strategie ist jedoch das Fehlen von Zielerreichungsgraden, d.h. die Ziele werden nicht operationalisiert. Es stellt sich daher
die Frage, wie und wann festgestellt werden soll, ob ein gesetztes Ziel erreicht
172
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 24-30.
40
wurde. Die Strategie legt nur allgemein kurz- und langfristige Zielzeitmaße fest.
Ohne eine Messung der Zielerreichung kann jedoch der Erfolg der Strategie nicht
evaluiert und bewertet werden. Ursachen und Wirkungsbeziehungen können dann
nur unvollständig retrograd erhoben werden. Auch trifft das Papier keine Aussagen zur Erfolgswahrscheinlichkeit, die auf Grundlage einer Analyse der eigenen
Stärken und Schwächen erarbeitet werden müssten.
Im Zentrum der inhaltlichen Ausgestaltung der Strategie steht die Widerstandbekämpfung. Die militärische Widerstandsbekämpfung wird in der Bedeutung der
Rauschgiftbekämpfung gleichgesetzt. Damit wird die militärische Prägung deutlich. In diesem Zusammenhang wird auch die These aufgestellt, dass sich die Taliban durch oder vom Rauschgifthandel finanzieren. Ein konkreter Beweis kann
jedoch in dem Papier nicht erbracht werden.
Als einer der wesentlichen Ansatzpunkte der amerikanischen Strategie gilt das
Prinzip der Eigenverantwortung, sowohl für die afghanischen Provinzgouverneure,
als auch für die ländliche Bevölkerung. Durch diverse Unterstützungs- und Anreizprogramme sollen sie zu einer Unterbindung des Schlafmohnanbaus motiviert
werden. Die konsequente Strafverfolgung und Schlafmohnvernichtung soll einen
Gegenpol bilden und die Zielerreichung unterstützen. Ebenfalls wird die Schaffung alternativer Lebensgrundlagen eng mit der Schlafmohnvernichtung verbunden. So soll das Kosten-Nutzen-Verhältnis zugunsten des legalen Ackerbaus langfristig für die Bauern verändert werden. Dabei strebt die USA eine einvernehmliche Umsetzung der Ziele im Sinne der NDCS mit der afghanischen Regierung an.
Sie befürwortet jedoch im Gegensatz zur afghanischen Vorgabe die Durchführung
von Schlafmohnvernichtungsmaßnahmen mittels Herbiziden.
Die amerikanische Strategie kann hinsichtlich ihrer Effektivität kritisch hinterfragt
werden. Sie berücksichtigt kaum die Erfolgsabhängigkeit ihrer Bemühungen vom
Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die internationale Hilfe. Die Konzentration auf Vernichtungsmaßnahmen mit militärischen Mitteln wirkt in diesem Bereich kontraproduktiv.173 Die USA befinden sich dabei in einer zwiespältigen Situation, da sie zum einen Sicherheit und einhergehend Stabilität mit militärischen
Mitteln herstellen wollen und zum anderen das Vertrauen der Bevölkerung benötigen, um den Sinn der Rauschgiftbekämpfung glaubwürdig zu erläutern. Auch
173
Vgl. Glaze (2007): Opium and Afghanistan: Reassessing U.S. Counternarcotics Strategy. S. 1011.
41
der Druck, die Opiatproduktion zu unterbinden, führt zur Übertonung von kurzfristig wirkenden Maßnahmen wie die Schlafmohnvernichtung. Exzessive Vernichtungsmaßnahmen führen zu einem noch stärkeren Vertrauensverlust der afghanischen Bevölkerung gegenüber den USA.174 Zudem fehlt es an einer Gewichtung der einzelnen Maßnahmen und Unterlegung mit ausreichenden Ressourcen.
Vertreter der amerikanischen Regierung reagieren auf die Kritik ihrer strategischen Ausrichtung mit der Frage, welche Staaten das eigentliche Problem mit dem
aus Afghanistan stammenden Rauschgift haben und verweisen dabei auf die von
UNODC erhobenen Zahlen von Opiatabhängigen in Europa und Asien. Diese liegen über denen der USA.175 Die USA übernehmen aus ihrer Sicht neben der Terrorismusbekämpfung auch Aufgaben in der Rauschgiftbekämpfung, obwohl sie
nur peripher von dem Problem tangiert sind.176 Des Weiteren fordern sie von ihren Bündnispartnern die Bereitschaft, schneller und unbürokratischer zu handeln,
um Afghanistan zu helfen.177 Diese Aussagen und Überlegungen zeigen zum einen die Überzeugung der USA, die richtigen Dinge zu tun und zum anderen die
Schwierigkeit, Stärken und Schwächen der Strategie aufgrund der komplexen Zusammenhänge zu bewerten.
3.3.3.
Großbritannien
Seit 2006 ist Großbritannien die verantwortliche Partnernation des souveränen
Afghanistans zur Entwicklung einer Rauschgiftbekämpfungsstrategie. Zuvor war
Großbritannien im Rahmen von G 8 die sogenannte Lead Nation in der afghanischen Rauschgiftbekämpfung. 178 Trotz dieser wesentlichen Aufgabe kann die
Darstellung der strategischen Eckpunkte des britischen Konzeptes zur Rauschgiftbekämpfung nicht aus einem primären Strategiepapier erfolgen, da dies nicht zur
174
Vgl. Glaze (2007): Opium and Afghanistan: Reassessing U.S. Counternarcotics Strategy. S. 910.
175
Lt. UNODC World Drug Report 2008 wird die Zahl in den USA auf 1,2 Millionen geschätzt.
176
Vgl. U.S. Department of State and U.S. Department von Defense (2007): Interagency Assessment of the Counternarcotics Program in Afghanistan. S. 8-9.
177
Gates (2008): Rede des US-Verteidigungsministers bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Veranstaltung vom 14.02.2008. München.
178
Vgl. House of Commons Defence Committee (2007): UK operations in Afghanistan. S. 37.
42
Verfügung gestellt wurde. Wesentliche Punkte werden daher aus offiziellen Regierungsdokumenten und anderer Sekundärliteratur extrahiert.
Auf der Internetseite des Foreign & Commonwealth Office179 (FCO) findet sich
eine entsprechende Erläuterung der Strategie und ihrer Grundlagen. Zunächst erfolgt eine allgemeine Darstellung der Probleme in Afghanistan. Neben den Aussagen, dass Afghanistan weltgrößter Lieferant von Opiaten ist und 90 Prozent des
in Großbritannien sichergestellten Heroins aus Afghanistan stammen, wird ein direkter Zusammenhang zwischen Rauschgifthandel und Widerstand hergestellt.
Die Taliban erhalten demnach finanzielle Unterstützung aus dem Rauschgifthandel, da beide Gruppen ein gemeinsames Interesse an der Destabilisierung der afghanischen Regierung und der internationalen Kräfte haben. Die Lage im Süden
Afghanistans und der dort gelegenen Provinz Helmand wird in dem Bericht vom
House of Commons Defence Committee besonders ausführlich analysiert. Dies ist
für die Briten auch deshalb von besonderer Bedeutung, da ihre Truppen hier agieren. Als weiteres Problem wird die mangelnde Transparenz bei der Verfolgung
von Rauschgiftschmugglern durch die afghanischen Behörden genannt. So liegen
keine Informationen zu ca. 3.000 festgenommenen Rauschgiftschmugglern, deren
Verbleib sowie krimineller Qualität vor. Auch wird die unzureichende Öffentlichkeitsarbeit als Problem definiert, da beispielsweise in den afghanischen Medien
widersprüchliche Informationen zum Mohnanbauverbot verbreitet werden.180
Nach der Problemdarstellung werden die Grundzüge der Strategie dargestellt. Ziel
der G 8-Partnernation ist es, das afghanische Ministry of Counter Narcotics (MCN)
bei der Rauschgiftbekämpfung zu unterstützen. So hilft die britische Regierung
der afghanischen Regierung in der Umsetzung ihrer Strategie. Wie bereits dargestellt, beruht die afghanische Strategie auf acht Säulen. Dabei legt die britische
Regierung vier Prioritäten fest, die aus ihrer Sicht den größten Erfolg versprechen.
Diese sind:
-
Verfolgung der Rauschgiftschmuggler, die an der Spitze des Rauschgifthandels stehen
179
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
180
Vgl. House of Commons Defence Committee (2007): UK operations in Afghanistan. S. 38-39.
43
-
Stärkung und Diversifizierung legaler ländlicher Lebensgrundlagen
-
Reduzierung der Rauschgiftnachfrage und Therapie für Konsumenten
-
Entwicklung der staatlichen Verwaltung, insbesondere im Bereich der
Rauschgiftbekämpfung181
Die Festsetzung von Meilensteinen und Zielzeitmaßen ergibt sich im Kontext der
britischen Strategie aus dem Afghanistan Compact.182 In diesem hat sich die afghanische Regierung gegenüber der Internationalen Gemeinschaft neben anderen
Meilensteinen verpflichtet, in den Sicherheitsbereichen internationale Sicherheitskräfte, nationale afghanische Armee, nationale afghanische Polizei und
Grenzpolizei, Auflösung illegaler bewaffneter Gruppen, Drogenbekämpfung und
Minen- und Munitionsräumung Meilensteine in jeweils definierten Zeitrahmen zu
erreichen. In den genannten Bereichen sind die Ziele bis 2010 zu verwirklichen.
Im Gegenzug verpflichtet sich die Internationale Gemeinschaft und damit auch
Großbritannien zur Unterstützung Afghanistans.
Auf zentralstaatlicher Ebene sowie in den Provinzen soll die Fähigkeit zur Rechtsdurchsetzung ausgebaut werden. Dies soll zu einer erheblichen Zunahme der jährlich sichergestellten oder vernichteten Rauschgiftmenge sowie beschlagnahmter
Drogenlabore führen. Maßnahmen der Schlafmohnvernichtung leisten begleitend
einen Beitrag zur Unterbindung der Schlafmohnkultivierung.
Die Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und den Nachbarstaaten soll weiter
ausgebaut werden, um durch Koordination und Informationsaustausch den Drogenschmuggel über die Grenzen Afghanistans hinweg zu unterbinden sowie wirksame Maßnahmen gegen Drogenschmuggler zu verstärken.183
Auch sollen durch die afghanische Regierung Programme zur Drogenbekämpfung
entwickelt und umgesetzt werden, welche die legalen Formen des Lebensunterhalts und andere Rauschgiftbekämpfungsmaßnahmen stärken und diversifizieren.
Des Weiteren soll im Bereich der sozialen Sicherung ein Programm zur Senkung
181
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
182
Vgl. The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan Compact - The London Conference on Afghanistan. S. 1 ff.
183
Vgl. The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan Compact - The London Conference on Afghanistan. S. 6.
44
der Drogennachfrage und zur verbesserten Behandlung von Drogenkonsumenten
eingeführt werden.184
Zur Erreichung der gemeinsamen Ziele errichtet die afghanische Regierung unter
Beteiligung afghanischer Regierungsvertreter sowie von Vertretern der Internationalen Gemeinschaft neben den nationalen Steuerungsorganen ein international
besetztes Koordinierungs- und Überwachungsgremium, das Joint Coordination
and Monitoring Board (JCMB). Es ist als das zentrale Steuerungsgremium des
afghanischen Wiederaufbaus mit der Koordinierung der Maßnahmen betraut, die
die afghanische Regierung zusammen mit ihren internationalen Partnern zunächst
für 5 Jahre (2006-2010) vereinbart hat. Das JCMB wird von einem leitenden afghanischen Regierungsbeamten und dem Sondergesandten des Generalsekretärs
der Vereinten Nationen geleitet.185
Neben den gesetzten Zielen werden insbesondere die bereits erreichten Ziele und
Stärken der britischen Strategie durch das FCO herausgestellt. So wird beschrieben, dass bis zur Vertreibung der Taliban keine funktionierenden Verwaltungsstrukturen in Afghanistan vorhanden waren. Erst Großbritannien und die Internationale Gemeinschaft haben seit 2001 zusammen mit den Afghanen neue Verwaltungsstrukturen aufgebaut. Des Weiteren hat die britische Regierung zum Aufbau
des afghanischen MCN die Summe von 12,5 Millionen englische Pfund186 bereitgestellt. Das MCN erhält darüber hinaus technische Unterstützung. Auch ist Großbritannien maßgeblich an der Einrichtung und Finanzierung der Criminal Justice
Task Force (CJTF) beteiligt. Um Verbesserungen in der Umsetzung der Maßnahmen für die CJTF zu erreichen, setzten sich in einem von den Briten im Jahr
2007 veranstalteten Workshop Vertreter Afghanistans, Amerikas, Norwegens und
Großbritanniens kritisch mit dem Zielerreichungsgrad der CJTF auseinander.187
Großbritannien hat, in Ergänzung zu seinen Maßnahmen, unter Leitung der UN
den Counter Narcotics Trust Fund (CNTF) eingerichtet, um der afghanischen Regierung durch finanzielle Hilfe mehr Budgetverantwortung in der Rauschgiftbekämpfung zu übertragen. Auch wurde der Aufbau der Counter Narcotics Police of
184
Vgl. The Islamic Republic of Afghanistan and the international community (2006): The Afghanistan Compact - The London Conference on Afghanistan. S. 6-12.
185
Vgl. ebd. S. 16.
186
ca. 15,8 Millionen EUR
187
Vgl. Cowper-Coles (2007): The Criminal Justice Task Force - Lessons learned.
45
Afghanistan (CNPA) durch Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sowie Mentoring
unterstützt.
Um ihre strategischen Ziele zu umzusetzen, stellt die britische Regierung 10 Prozent des Personals der Europäischen Polizei-Mission (EUPOL).188 Zur Reduzierung der Rauschgiftnachfrage sowie Behandlung von Konsumenten hat die britische Regierung außerdem kommunale afghanische Rehabilitationszentren finanziell unterstützt. Die gesamte finanzielle Hilfe der Briten für Afghanistan beläuft
sich über fünf Jahre betrachtet auf über 500 Millionen englische Pfund.189 Damit
ist Afghanistan eines der Hauptnehmerländer der britischen Regierung. Im Bereich Rauschgiftbekämpfung und Schaffung von Rechtsstaatlichkeit werden für
die nächsten drei Jahre weitere 290 Millionen englische Pfund für Unterbindung,
Informationskampagnen, Planung von Schlafmohnvernichtung, Strafverfolgung,
Justiz sowie alternative Lebensgrundlagen zur Verfügung gestellt.
Für die Umsetzung und Koordinierung der genannten Ziele und Maßnahmen sind
die Afghan Drugs Inter-Departmental Unit und das Counter-Narcotics Team der
britischen Botschaft in Kabul verantwortlich.
Bewertung
Wesentliches Element der strategischen Ausrichtung Großbritanniens ist die Orientierung an der afghanischen Nationl Drug Control Strategy (NDCS). Die britische Strategie fokussiert sich dabei auf die vier genannten Kernbereiche. Somit
greift sie grundlegende Elemente der Strategieentwicklung auf und gewährleistet,
dass entsprechende Ober- und Unterziele als Voraussetzung für planmäßiges
Handeln formuliert werden. Durch den Verweis auf den Afghanistan Compact erfolgt eine enge Verzahnung zwischen Zielen und identifizierten Problemfeldern.
Die Zielformulierung erfolgt im Rahmen der Verpflichtungen des Afghanistan
Compact unter Nennung von Zielzeitmaßen und Zielerreichungsgraden. Dadurch
188
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
189
ca. 633 Millionen EUR
46
kann mit der Operationalisierung der Ziele später festgestellt werden, ob diese erreicht wurden.
Im Rahmen der notwendigen Lagebeurteilung werden drei große Problemfelder
identifiziert, aus denen die britische Regierung eigene strategische Ansatzpunkte
entwickelt hat. Dabei ist hervorzuheben, dass das Problem der afghanischen Opiatproduktion in Bezug zur eigenen Rauschgiftlage gesetzt wird. Aus dem Zusammenhang heraus wird auch die Motivation des britischen Handelns erklärt. Die
originäre Verantwortlichkeit hinsichtlich der Zielerreichung wird der afghanischen Regierung zugeschrieben. Daran lassen auch die Verweise auf die afghanische NDCS keine Zweifel. Die britische Seite sieht sich nach Abgabe der Position
als Lead Nation in der Rauschgiftbekämpfung nur subsidiär für die Umsetzung
der Rauschgiftbekämpfung zuständig. Dabei beschränkt sich die britische Verantwortung auf Finanzierung, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe und Beratung
insbesondere für die CNPA und CJTF. Das Controlling in diesen Bereichen erfolgt durch die Afghan Drugs Inter-Departmental Unit (ADIDU) und das Counter-Narcotics Team (CN-Team) als verantwortliche Organe.
Der Verbindung zwischen dem Rauschgifthandel sowie dem Widerstand im Süden Afghanistans wird aufgrund des Einsatzes eigener militärischer Truppen besondere Bedeutung beigemessen. Die aufgestellte These, dass die Taliban sich
von den Akteuren des Rauschgifthandels finanzieren lassen, kann jedoch nicht
konkretisiert werden.
Die Eigenverantwortung der afghanischen Regierung bei der Umsetzung der Ziele
der NDCS wird besonders betont. Großbritannien sieht in der Unterstützung die
Hauptaufgabe einer Partnernation. Nach Ansicht des britischen House of Commons wird die Rolle als Partnernation zur Entwicklung einer Rauschgiftbekämpfungsstrategie jedoch nicht ausreichend klar kommuniziert. Die britische Regierung ist in diesem Zusammenhang über die Verunsicherung der Afghanen hinsichtlich eigentlicher Aufgaben von ISAF sowie der britischen Kräfte beunruhigt,
denn der Auftrag von ISAF beinhaltet nicht die Schlafmohnvernichtung oder die
Unterbindung des Rauschgifthandels. Ohne unterstützende Kommunikation werden britische Kräfte insbesondere in den südlichen Einsatzgebieten auf unnötige
Weise gefährdet.190 Dieses Missverständnis verwundert aufgrund des Fehlens ei-
190
Vgl. House of Commons Defence Committee (2007): UK operations in Afghanistan. S. 6.
47
nes offiziellen Strategiepapiers nicht. Auffällig ist vielmehr die Heraushebung der
bereits durchgeführten Maßnahmen sowie der finanziellen Unterstützungsleistungen in den vier Kernbereichen. Eine weitergehende Risikoanalyse, die die eigenen
erfolgskritischen Faktoren und Schwächen der Strategie herausstellt, erfolgt nicht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Kontext der aktuellen strategischen
Ausrichtung Großbritanniens der Eindruck entsteht, dass die militärischen Operationen in Afghanistan Vorrang vor den Maßnahmen der Rauschgiftbekämpfung
haben. So befasst sich der ausführliche Bericht des House of Commons Defence
Committee nur in wenigen Punkten mit der Rauschgiftbekämpfung in Afghanistan.
Tenor des Berichts ist vielmehr die Herstellung von innerer Sicherheit zur Stabilisierung Afghanistans. Auch richtet sich die Erklärung des Foreign and Commonwealth Office zunächst gegen die Wiederkehr der Taliban und Al Qaida, bevor auf
die Rauschgiftbekämpfung eingegangen wird. 191 Insgesamt wird von britischer
Seite die Lösung des Afghanistan-Problems in einer langfristigen Verpflichtung
der Internationalen Gemeinschaft zur Entwicklung einer sicheren Umwelt für die
Bevölkerung gesehen, in der sich Bauern alternative Lebensgrundlagen aufbauen
können.192
3.3.4.
Deutschland
Die deutsch-afghanische Zusammenarbeit hat auf dem Gebiet der inneren Sicherheit historische Bezüge mit einer fast hundertjährigen Tradition. Beginn und
Grundlage der neuerlichen Zusammenarbeit ist die im Jahr 2001 durchgeführte
Petersberg-Konferenz. 193 Im Jahr 2002 kam Deutschland der Bitte der afghanischen Interimsregierung und der UN nach, bei der Koordinierung der polizeilichen Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen eine Führungsrolle zu übernehmen. Die Bundesregierung entschied durch Kabinettsbeschluss vom 13.03.2002
über die Einrichtung eines Projektbüros in Kabul unter Beteiligung von Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder. Diese sollten die afghanischen Si191
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
192
Vgl. House of Commons Defence Committee (2007): UK operations in Afghanistan. S. 6.
193
Vgl. Baraki (2007): Nation-building in Afghanistan. S. 11–17.
48
cherheitsbehörden beim Wiederaufbau und der afghanischen Polizeiausbildung
sowie bei der Bekämpfung des Anbaus, der Verarbeitung und des Handels von
Rauschgift beraten. Darüber hinaus sollten sie bei der Errichtung einer afghanischen Polizeiakademie beratend tätig werden.194 Das Projektbüro mit den dort arbeitenden Polizeivollzugsbeamten war im Bundesministerium des Innern organisatorisch dem Referat P I 5 der Projektgruppe Polizeiliche Aufbauhilfe Afghanistan unmittelbar unterstellt. Im Jahr 2006 wurde eine von der Europäischen Union
geführte Erkundungsmission nach Afghanistan entsandt, um die Einrichtung einer
europäischen Polizeimission in Afghanistan (EUPOL-Afghanistan) zu prüfen. Auf
Grundlage des Missionsberichtes billigte der Rat der EU im Jahr 2007 das Krisenmanagementkonzept für eine Polizeimission der EU in Afghanistan im Bereich
der Polizeiarbeit und Rechtsstaatlichkeit. Am 17.06.2007 erfolgte daher die Überführung des deutschen Projektbüros Kabul als wichtiger strategischer Partner mit
dessen Aufgabe in die europäische Polizei-Mission. Das EUPOL-Mandat ist zunächst bis 2010 begrenzt.
195
Das deutsche Engagement wird in EUPOL-
Afghanistan auf Grundlage des 2006 in London verabschiedeten Afghanistan
Compact fortgeführt und abgestimmt. 196 Deutschland ist mit ca. 900 Millionen
EUR für den Zeitraum von 2002 bis 2010 der viertgrößte Geber in Afghanistan.197
Wie viel davon in die Unterstützung bei der Rauschgiftbekämpfung fließt, wird
im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung nicht genannt
Den Rahmen für die strategische Ausrichtung des zivil-militärischen Engagements Deutschlands bildet das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. Die
Bundesregierung verfolgt drei Oberziele. So soll Afghanistans bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Bevölkerung unterstützt werden. Des Weiteren beteiligt sich Deutschland an den Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft, regionale Stabilität und Sicherheit in einem schwierigen Umfeld zu
gewährleisten. Der Fokus liegt dabei auf den eigenen Sicherheitsinteressen und
der Eindämmung des internationalen Terrorismus. 198 Das Afghanistan-Konzept
der Bundesregierung führt an verschiedenen Stellen eine Beurteilung der Lage in
194
Vgl. Bundesregierung (2002): Deutschland leistet Wiederaufbauhilfe für die afghanische Polizei. Unter: http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/artikel/84/72084/multi.htm , zuletzt geprüft
am 30.06.2008.
195
European Union (2007): Council Joint Action 2007/369/CFSP of May 2007 on establishment
of the European Union Police Mission in Afghanistan.
196
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S.15.
197
Vgl. ebd. S. 24.
198
Vgl. ebd. S. 5.
49
Afghanistan durch. Als Problemfelder werden Defizite der afghanischen Administration, unbefriedigende Rechtsstaatlichkeit, Korruption und Nepotismus,
Nicht-Einhaltung der Menschen- und Frauenrechte, unterentwickelte Außen- und
Regionalpolitik,199 hohe Zahl rückkehrender Flüchtlinge, schlechte Lebensbedingungen und Einkommensverhältnisse, Minengefahren sowie eine nicht ausreichende Geberkoordinierung identifiziert. Weitere Probleme ergeben sich aus der
angespannten Sicherheitslage im Süden des Landes, fehlender Eigenständigkeit
und Kompetenz der afghanischen Sicherheitsorgane sowohl im militärischen als
auch im polizeilichen Bereich200 sowie aus negativen Einflüssen der Drogenökonomie auf alle Bereiche der Gesellschaft.
In Verbindung mit der Lagebeurteilung wird erläutert, dass der Wiederaufbau Afghanistans umfassend und schwierig ist und nur auf Grundlage einer offenen und
kritischen Lagebeschreibung und Analyse die Bemühungen angepasst und weiterentwickelt werden kann. 201 Rückschläge in den Bemühungen zur Stabilisierung
der Lage stellen laut der Bundesregierung lediglich neue Herausforderungen dar,
welche die Basis zur Bildung der Unterziele sind. Da die Rauschgiftbekämpfung
in Afghanistan ein Teilbereich des deutschen Afghanistan-Konzepts ist, werden
hier nur die sie betreffenden Unterziele im Bereich Sicherheit sowie Teilziele aus
dem Entwicklungssektor, der ebenfalls Sicherheitsaspekte enthält, zusammenfassend dargestellt und analysiert.
Zentrale Prämisse der Bundesregierung ist die Umsetzung des Konzeptes unter
Beteiligung der afghanischen Regierung und Bevölkerung. „Die Zielsetzung der
Internationalen Gemeinschaft stützt sich maßgeblich auf die Wünsche der Afghaninnen und Afghanen selbst […].“202 Die Ausrichtung der Ziele erfolgt an der regionalen Schwerpunktsetzung im Norden Afghanistans, wo Deutschland aufgrund
des Einsatzes ihrer Provincial Reconstruction Teams (PRT) und des ISAFRegionalkommandos Nord eine besondere Verantwortung trägt.203 In einer Plausibilitätsprüfung wird zur Ableitung der Ziele eine Ursache-Wirkungsbeziehung
zwischen Wiederaufbau und Sicherheit hergestellt. So gibt es nach Ansicht der
Bundesregierung „Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau sowie Entwicklung“ und
199
insbesondere unzureichende Kooperation mit Iran, Pakistan und Staaten Zentralasiens.
Explizit werden ANA, ANP und ANBP genannt.
201
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 15.
202
Ebd. S. 10.
203
Die PRTs sollen den Wiederaufbau Afghanistans unterstützen und unterliegen entweder dem
Kommando der ISAF oder des CFC-A.
200
50
„Keinen Wiederaufbau sowie Entwicklung ohne Sicherheit.“204 Daher werden zur
Schaffung von Sicherheit in folgenden Bereichen Unterziele gebildet:205
Sicherheitslage, internationalen Militärpräsenz, zivil-militärische Präsenz, Aufbau der Afghan National Army (ANA), Aufbau der Afghan National Police (ANP)
und Afghan National Border Police (ANBP), Entwaffnung, Demobilisierung und
Reintegration von regulären Milizen (DDR) sowie Entwaffnung und Auflösung illegaler Milizen (DIAG) und Drogenbekämpfung.
Diese Unterziele werden nachstehend weiter ausgeführt und erläutert.
Zur Stabilisierung der Sicherheitslage soll begleitend die deutsche Truppenpräsenz in Afghanistan mittelfristig beibehalten werden. Durch den verstärkten Aufbau von Armee und Polizei soll ein sicheres Umfeld geschaffen sowie Unterstützung bei der Vermeidung von zivilen Opfern und umfassende Aufklärung bei
Zwischenfällen geleistet werden.
Im Zielbereich internationale Militärpräsenz soll der militärische Beitrag
Deutschlands solange fortgesetzt werden, bis die afghanische Regierung diese
Aufgabe selbst übernehmen kann. Dazu bedarf es in Deutschland der demokratischen Vorbereitung und Entscheidung. Darüber hinaus wird weitere eine angemessene Unterstützung von ISAF erfolgen.
Die zivil-militärischen Präsenz der Deutschen hat zur Stabilisierung der Nordregion maßgeblich beigetragen und sich strategisch bewährt. Daher soll diese ausgebaut und die Leitung der PRTs Kundus und Faisabad fortgesetzt werden. Die
Verstärkung der internationalen Präsenz im Norden soll durch die Gründung sogenannter Provincial Advisory Teams (PAT) durch die Bundesregierung vorangetrieben werden.206 Diese könnten gewährleisten, dass Unterstützungsmaßnahmen
der Internationalen Gemeinschaft auch in den ländlichen Distrikten bekannt werden und positive Wirkung entfalten.
Durch den Aufbau der Afghan National Army (ANA) sollen die Voraussetzungen
für einen Abzug der internationalen Truppen geschaffen werden. Dies bedarf der
deutschen Unterstützung für die afghanische Regierung. Der Zielzeitrahmen er-
204
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 13.
Ebd. S. 32-43.
206
Regionale Beratungsteams.
205
51
gibt sich aus dem Afghanistan Compact.207 Die Unterstützung der ANA erfolgt
insbesondere in Form von Ausbildungshilfe. Daher wird die Bundeswehr ihre Aktivitäten im Bereich der Operational Mentoring and Liaison Teams (OMLT) verstärken.208 Begleitend wird die afghanische Regierung beim Aufbau des Verteidigungsministeriums durch die Bundesregierung beraten und bei der Umsetzung des
Kooperationsabkommens mit der NATO unterstützt.209
Zum Aufbau einer Afghan National Police (ANP) und Afghan National Border
Police (ANBP) soll die EUPOL-Mission und die Umsetzung des EUPOLMandates intensiv durch die Bundesregierung gefördert werden. Die Förderung
beinhaltet die Unterstützung der EUPOL-Mission mit Personal sowie des Law and
Order Trust Fund (LOFTA) zur Sicherstellung der Finanzierung von Polizeigehältern. Darüber hinaus sollen die Ausstattungshilfe sowohl für die ANP als auch
für sonstige polizeiliche Bau- und Ausstattungsprojekte in enger Abstimmung mit
EUPOL erhöht werden. Dabei wird insbesondere die Dezentralisierung der Polizeiausbildung unterstützt.210
Im Bereich der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von regulären
Milizen und Entwaffnung und Auflösung illegaler Milizen sollen die afghanischen
Entscheidungsträger angehalten werden, die Auflösung illegal bewaffneter Gruppierung (DIAG-Prozesses) voranzutreiben. In diesem Zusammenhang werden
Kontakte lokaler Machthaber zu illegal bewaffneten Gruppen überprüft. Im Falle
einer Positivmeldung sollen diese Personen als mögliche Kandidaten von den
Wahlen 2009/2010 ausgeschlossen werden. 211
Die gemeinsam mit Großbritannien entwickelten Handlungsansätze in der Drogenbekämpfung sollen weiterhin von der Bundesregierung unterstützt werden.
Begleitend wird der afghanischen Regierung bei der Ablösung von in die Drogenkriminalität verstrickten Amts- und Funktionsträgen geholfen. Im Rahmen der
EUPOL-Mission soll der Aufbau einer durchsetzungsfähigen Anti-Drogen-Polizei
forciert werden. Neben den Zielen zur Stärkung der afghanischen Repressionsinstrumente sollen im Rahmen der deutschen „[…] Wiederaufbauaktivitäten deutliche Akzente auf die Schaffung legaler Einkommen und Bereitstellung von Alter207
Bis Ende 2010 sollen 70.000 Soldaten rekrutiert und ausgebildet sein.
Operatives Mentoren- und Verbindungsteam.
209
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 37.
210
Vgl. ebd. S. 39.
211
Vgl. ebd. S. 40.
208
52
nativen zum Schlafmohnanbau in besonders anfälligen Regionen, insbesondere in
der Provinz Badakhshan […]“212 gesetzt werden. In diesem Bereich werden Maßnahmen anderer Institutionen begleitend durch Deutschland unterstützt. Das Konzept richtet sich hier an einer nachhaltigen und langfristigen Unterstützung Afghanistans aus.
Im Rahmen der Plausibilität „Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau“213 können zur
Rauschgiftbekämpfung ergänzende Unterziele aus dem deutschen Konzept angeführt werden. Diese befassen sich mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten
sowie dem Aufbau staatlicher Institutionen und Regierungsführung. So will die
Bundesregierung die eigenverantwortliche und effektive Regierungsarbeit der afghanischen Regierung fördern. Dazu gehört auch die Stärkung der Verwaltungsstrukturen in den Provinzen im deutschen Verantwortungsbereich. Die dortigen
Defizite können mittelfristig nur durch den Aufbau staatlicher Institutionen eines
gut ausgebildeten, effizienten und angemessen besoldeten Beamten-, Polizei- und
Justizapparates beseitigt werden. 214
Zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte will die Bundesregierung die Europäische Kommission bei der Reform und dem Aufbau des afghanischen Justizsystems unterstützen. Vor allem sollen Maßnahmen zum Justizaufbau
in der Nordregion verstärkt werden. Dabei fokussiert die Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, Richteraus- und –
fortbildung, Rechtsberatung und –hilfe sowie der zivilgesellschaftlichen Aufklärung über individuelle Rechte. 215
Bewertung
Das Konzept der Bundesregierung stellt einen ganzheitlichen Ansatz dar, der insbesondere die Politikfelder Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik miteinander verbindet. 216 Die Rauschgiftbekämpfung ist dabei in das Gesamtkonzept
eingebettet. Es greift grundlegende Elemente der Strategieentwicklung auf. So er212
Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 43.
Ebd. S. 13
214
Vgl. ebd. S. 17-18.
215
Vgl. ebd. S. 20.
216
Vgl. Bajohr (2005): Deutschland und das State Building in Afghanistan. S. 34.
213
53
folgt an verschieden Stellen des Konzeptes eine Lagebeurteilung zu den formulierten Zielen. Es wird konstatiert, dass nur auf Grundlage einer „[…] offenen und
ehrlichen Lagebeschreibung und Analyse Anpassungen und Weiterentwicklungen
möglich sind […].“ 217 Auf Evaluationsberichte oder Zielerreichungsgrade wird
jedoch nicht verwiesen. Es bleibt vielmehr bei der allgemeinen Benennung von
bekannten Problemfeldern. Auf Grundlage dieser erfolgt dann die Formulierung
der strategischen Ziele.
Obwohl der Afghanistan Compact eine der Grundlagen sowohl für das internationale als auch für das deutsche Engagement darstellt, wird zu dessen Zielen und
Meilensteinen kein tiefer gehender Bezug hergestellt. Auch Zielerreichungsgrade
oder Zielzeitmaße werden nicht konkretisiert. Ohne die Operationalsierung der
Ziele kann jedoch nicht festgestellt werden, ob und wann die deutschen Ziele erreicht wurden. Auch ist eine Evaluation nicht möglich, die Grundlage einer erfolgskritischen Betrachtung ist. Ohne erfolgskritische Betrachtung kann keine
Verbesserung des Konzeptes erfolgen bzw. erfolgreichen Maßnahmen werden
durch die Bundesregierung nicht erkannt.
Im Zentrum der strategischen Ausrichtung Deutschlands steht die Unterstützung
beim Wiederaufbau von Afghanistan. Die Bundesregierung sieht hier das deutsche Engagement als Teilbereich der Anstrengungen der Internationalen Gemeinschaft. Die Leitsätze „Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau und Entwicklung“ und
„Kein Wiederaufbau und keine Entwicklung ohne Sicherheit“ 218 bestimmen den
strategischen Rahmen. Durch sie werden plausible Aussagen sowohl über Ursachen-Wirkungs-Beziehungen als auch im Bereich der Opiatwirtschaft getroffen,
die den ganzheitlichen Problemlösungsansatz des Konzeptes prägen. Aufgrund
der allgemeinen Darstellung dieser Ursachen-Wirkungs-Beziehungen kann jedoch
nicht geschlossen werden, dass die Unterstützung der Rauschgiftbekämpfung im
deutschen Konzept eine geringere Priorität als andere Zielfelder besitzt. Der Nukleus des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung beschränkt sich jedoch auf
allgemeine Hilfen im Bereich der Rauschgiftbekämpfung in Form von Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sowie Beratung oder finanzielle Hilfe. Dies wird
durch die Vokabeln wie Leistung, Unterstützung, Einsatz, Beitrag oder Bemühung
deutlich.
217
218
Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S.15.
Ebd. S. 13.
54
Die Bundesregierung unterstreicht besonders die Eigenverantwortung 219 der afghanischen Regierung. Das Afghanistan-Konzept legt allerdings keine klaren Verantwortlichkeiten im geplanten Umsetzungsprozess eigener Ziele fest. Zwar wird
die Bundeswehr im Zusammenhang mit ihrem NATO-Engagement im Rahmen
der dort festgelegten Ziele für Afghanistan erwähnt; außer einer Beschreibung der
Aufgaben werden jedoch keine Meilenstein oder Zeiträume festgelegt. Darüber
hinaus darf die Bundeswehr in ihrem Zuständigkeitsbereich aufgrund ihrer Mandatsverpflichtung nicht gegen Schlafmohnanbau und offensichtliche Drogenkonvois einschreiten. Der ISAF-Einsatz der Bundeswehr beinhaltet nur das Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanische Regierung als auch das Personal anderer, in Afghanistan tätiger Institutionen, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Die Verantwortung
für die Drogenbekämpfung liegt bei den Afghanen und ist auch nicht Auftrag der
Bundeswehr. Sie sichert lediglich Ausbildungsmaßnahmen in diesem Bereich.220
Dass die Deutschen weder im polizeilichen noch im militärischen Bereich den
Opiathandel operativ unterbinden, wird von den Amerikanern kritisiert.221 Ob eine
Beteiligung der Bundeswehr an der Rauschgiftbekämpfung zur Unterbindung der
Opiatproduktion förderlich wäre, ist hingegen fraglich, da Deutschland bisher angesehener Partner beim Wiederaufbau ist und entsprechende Maßnahmen zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung führen könnten. Zweifelsfrei befindet
sich die Bundeswehr bzw. die Bundesregierung vor dem Hintergrund der steigenden Opiatproduktion in einer schwierigen Situation. Dies erfordert umso mehr die
klare Abstimmung und Festlegung sowohl von Maßnahmen als auch Verantwortlichkeiten im Bereich der Rauschgiftbekämpfung zwischen den Staaten der Internationalen Gemeinschaft.
Anfang 2006 wurde angesichts der sich verschlechternden Lage in Afghanistan
eine sogenannte Task Force Afghanistan als Arbeitsgruppe der SPDBundestagsfraktion konstituiert. Diese führt in ihrem Abschlussbericht eine erfolgskritische Betrachtung des deutschen Engagements in Afghanistan durch und
stellt einen Forderungskatalog auf.222 Der Bericht greift neben den Vorschlägen,
die sich auch im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung wiederfinden,
219
Afghan Ownership.
Vgl. Bundesregierung (2005): Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz ISAF. S. 1-2.
221
Vgl. Rauss (2006): Rekordernte im Narco-Staat.
222
Vgl. Weigel (2007): Abschlussbericht der Task Force Afghanistan. S. 21.
220
55
Schwächen des Konzeptes auf. So wird kritisiert, dass neben der Formulierung
des allgemeinen Unterstützungswillens keine Bestimmung der Ziele und Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung in Afghanistan durch die Bundesregierung erfolgt, obwohl dies eine der wesentlichen Säulen in der Drogenbekämpfung
ist. Auch finden sich keine eigenen Ansätze zur Problemlösung bei Korruption
und Nepotismus, obwohl bekannt ist, dass hochrangige afghanische Funktionsträger in die Drogenkriminalität verstrickt sind. Daher fordert die Task Force Afghanistan eine stärkere strafrechtliche Verfolgung von Hauptakteuren des Drogenhandels auch innerhalb der politischen Strukturen.223 Im Bereich des Polizeiaufbaus wird von der Task Force Afghanistan eine bessere Vernetzung der Polizeiausbildung von europäischer und us-amerikanischer Seite gefordert, da unterschiedliche Ansprüche an das Auforderungsprofil afghanischer Polizeibeamten
gestellt werden. Daher soll durch eine engere Abstimmung eine qualitative Verbesserung auf Seiten der USA sowie eine quantitative Verbesserung auf deutscher
Seite erreicht werden. Hier wird seitens der Task Force Afghanistan das Problemfeld der mangelnden Koordination aufgegriffen, welches zwar im deutschen Konzept erwähnt wird, aber keine Weiterentwicklung erfährt. Des Weiteren wird offen kritisiert, dass auf Grundlage der Afghanistan-Strategie allgemein finanzielle
Mittel und Instrumente des Afghanistan-Engagements mangelhaft abgestimmt
werden. Eine bessere Koordination bedarf jedoch des Einsatzes von noch mehr
Ressourcen. Nach Ansicht der Task Force Afghanistan sollen in Afghanistan vor
Ort daher die notwenigen Voraussetzungen geschaffen werden, um schnelle und
flexible Entscheidungen – auch ressortübergreifend – zu treffen. 224 Dieser Abschlussbericht greift somit wesentliche Schwächen der deutschen Strategie auf,
die keiner weiteren Ergänzung bedürfen.
3.4.
Vergleich
Der folgende Vergleich wesentlicher Eckpunkte der Strategien und Konzepte der
im Kampf gegen den Drogenanbau und –schmuggel engagierten Staaten soll zum
einen Gemeinsamkeiten aufdecken und zum anderen Unterschiede herausstellen.
223
224
Vgl. Weigel (2007): Abschlussbericht der Task Force Afghanistan. S. 13.
Vgl. ebd. S. 8.
56
Voraussetzung für den Vergleich ist dabei die Klassifizierung von Merkmalen.
Hier sollen neben einer allgemeinen Betrachtung der strategischen Entwicklungsaspekte insbesondere
-
die Ausrichtung auf militärische, polizeiliche und zivile Lösungen
-
die Maßnahmen der Repression und Schlafmohnvernichtung sowie
-
die Darstellung der eigenen Schwächen
verglichen werden. Da die Ziele der Rauschgiftbekämpfung in das AfghanistanKonzept der Bundesregierung eingebettet sind, ist der Vergleich mit den afghanischen, britischen und amerikanischen strategischen Eckpunkten der Rauschgiftbekämpfung nur in diesen Teilen möglich.
Allgemeine Betrachtung
Die dargestellten Strategien greifen jede für sich grundlegende Elemente der Strategieentwicklung auf. An unterschiedlichen Stellen erfolgt jeweils die Betrachtung der Chancen und Risiken durch die Beurteilung der Lage in Afghanistan.
Diese ist in großen Teilen deckungsgleich, da sie auf den Erkenntnissen des
UNODC beruht. Wesentliche Problemfelder zur Sicherheitslage, Gesellschaft,
Sozialem und Opiatproduktion werden ähnlich dargestellt. Alle Strategien erkennen wesentliche Zusammenhänge zwischen Drogenwirtschaft und angespannter
Sicherheitslage, mangelnder Durchsetzungskraft afghanischer Regierungsorgane
sowie illegalen Parallelstrukturen. Die amerikanische und die britische Strategie
stellen die These auf, dass es enge Verbindungen zwischen den Widerstandsgruppen, den Taliban sowie der Opiatwirtschaft gibt. Diesen Direktschluss zieht das
Konzept der deutschen Bundesregierung nicht.
Grundlage der amerikanischen und der britischen Rauschgiftbekämpfungsstrategie ist die afghanische National Drug Control Strategy (NDCS), die auch im deutschen Konzept neben dem Afghanistan Compact genannt wird. Entgegen der amerikanischen und britischen Strategie nutzt die Bundesregierung jedoch weder die
NDCS noch den Afghanistan Compact für die Ableitung ihrer Ziele. Die U.S.
57
Counternarcotics Strategy nimmt dagegen die feingliedrigste Ziel-Unterteilung
vor, indem sie, orientiert an der NDCS, von drei Hauptelementen weitere neun
Ziele ableitet und diese nochmals mit Unterzielen hinterlegt. Diese Form der
komplexen strategischen Ausrichtung leisten weder die britische Strategie225 noch
die deutsche. Die U.S. Counternarcotics Strategy will im Rahmen der afghanischen National Drug Control Strategy vor allem in den Bereichen alternative Entwicklung, Schlafmohnvernichtung, Verbote und Strafverfolgung, Gesetz- und Justizreform sowie Öffentlichkeitsarbeit tätig werden.226
Die britische Strategie fokussiert sich auf die Bereiche Verfolgung von Rauschgiftschmugglern, Stärkung und Diversifizierung legaler ländlicher Lebensgrundlagen, Reduzierung der Rauschgiftnachfrage und Behandlung von Konsumenten
sowie Entwicklung der staatlichen Verwaltung insbesondere im Bereich der
Rauschgiftbekämpfung.227 Beide Strategien setzen parallel bei der Schaffung alternativer Lebensgrundlagen und Strafverfolgung an. Auch das AfghanistanKonzept der Bundesregierung will eine Verbesserung der Lebensbedingungen und
Einkommensverhältnisse erreichen und fokussiert in der Rauschgiftbekämpfung
auf Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen. Mit diesem Konzept versucht die
Bundesregierung einen speziell auf das Land angepassten Ansatz des State Building zu entwickeln.228
Die Bestimmung von konkreten Zielaus- und Zielzeitmaßen erfolgt sowohl in der
afghanischen National Drug Control Strategy als auch in der britischen Strategie
in Verbindung mit dem Afghanistan Compact. Betrachtet man deren Aufbau, so
korrespondieren beide Strategien. Die amerikanische und die deutsche Strategie
bleiben in diesem Bereich ungenau. Sie verweisen allgemein auf den Afghanistan
Compact und die daraus resultierenden Zielvorgaben.
Gemeinsam betonen die dargestellten Strategien die Verpflichtung Afghanistans
zum eigenverantwortlichen Handeln bei der Problemlösung, obwohl fraglich ist,
ob die afghanische Regierung diese Verantwortung mittelfristig übernehmen kann.
Bei der Umsetzung und Koordinierung der eigenen Ziele nennen sowohl die af-
225
Soweit diese bekannt ist.
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 17-18.
227
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
228
Vgl. Bajohr (2005): Deutschland und das State Building in Afghanistan. S. 21.
226
58
ghanische, die amerikanische als auch die britische Strategie ihre Prozessverantwortlichen. Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung nimmt in diesem Bereich keine Konkretisierung vor.
Ausrichtung
Die Entwicklung eigenständiger Strategien der Staaten Afghanistan, Amerika und
Großbritannien zur Unterbindung der Rauschgiftproduktion und des Rauschgifthandels zeigt die globale Bedeutung, die dem Problem beigemessen wird. Es fällt
auf, dass im Rahmen der Zielbildung differierende Schwerpunkte gesetzt und unterschiedliche Plausibilitätserklärungen abgegeben werden. Die Ausrichtung der
Strategien lässt sich anhand der jeweils genannten Prioritäten untersuchen und
wird noch einmal gegenübergestellt.
Die afghanische Strategie setzt ihre vier Prioritäten in die Bereiche Unterbindung
des Rauschgifthandels, Stärkung legaler ländlicher Lebensgrundlagen, Nachfragereduzierung sowie Aufbau der staatlichen Verwaltung. Die Umsetzung dieser
Ziele wird in Abhängigkeit zur Entwicklung der Sicherheitslage gestellt, die ebenfalls durch den Rauschgifthandel negativ beeinflusst wird. Die NDCS enthält aber
keine weiteren, außerhalb der Rauschgiftproblematik liegenden Ziele, wie beispielsweise die Bekämpfung der Aufständischen.
Eines der drei Hauptelemente der amerikanischen Strategie ist dagegen die gemeinsame Planung und Koordinierung von Rauschgift- und Widerstandsbekämpfung. Maßnahmen der Rauschgiftbekämpfung sollen in militärische Operationen
integriert werden. In Ergänzung soll der politische Wille zur Durchsetzung der
Rauschgiftbekämpfung mit militärischen Mitteln auch bei den amerikanischen
Partnern gestärkt werden. 229 Darüber hinaus werden vier Unterziele formuliert,
bei denen die militärische Unterstützung eine wesentliche Funktion einnimmt. Die
überwiegend militärische Ausrichtung steht im Zusammenhang mit der These,
dass eine enge Verbindung zwischen Rauschgifthändlern, Widerstandsgruppen
und den Taliban besteht. Hinzu kommt, dass die US-Armee die afghanische Polizei im Süden des Landes auch zur Entlastung der US-Einheiten im Kampf gegen
229
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 2.
59
Aufständische einsetzt. Bereits bei fünf US-geführten Militäroperationen wurden
in der Vergangenheit Polizisten eingesetzt.230
Die britische Regierung versucht eine eindeutige Trennlinie zwischen Rauschgiftbekämpfung und der Herstellung von Sicherheit durch militärischen Einsatz zu
ziehen. Das Ministry of Defence vertritt hier eine klare Position, indem es eine
Trennung befürwortet. Die britische Rauschgiftbekämpfungsstrategie verzichtet
auf übergeordnete Prioritäten und setzt direkt auf vier Zielen der afghanischen
National Drug Control Strategy auf. Dabei wählt sie bei der Formulierung eine
Balance zwischen polizeilichen und zivilen Unterzielen. Sie setzt ihre Schwerpunkte außerhalb der Herstellung von Sicherheit und konzentriert sich sowohl auf
die wesentlichen Akteure des Rauschgifthandels als auch auf die Konsumenten.
Gleichwohl wird eine Verbindung zwischen Taliban und Rauschgifthändlern hergestellt.
Im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung wird die Drogenproblematik als
Problem des zivilen Wiederaufbaus sowie der Sicherheitslage beschrieben. Sicherheit und Wiederaufbau werden parallel durch die Drogenökonomie beeinträchtigt.231 Der Bundesregierung geht es hauptsächlich darum, „[…]der afghanischen Bevölkerung zu helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern und den
staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau fortzusetzen und abzusichern.“232
Die militärische Beteiligung an der Rauschgiftbekämpfung ist im AfghanistanKonzept nicht vorgesehen. Die Bundesregierung sieht ihren militärischen Beitrag
ausschließlich im Rahmen der ISAF-Mission und des Afghanistan-Mandats. 233
Die Ausrichtung Deutschlands in der Rauschgiftbekämpfung erfährt dadurch eine
Fokussierung auf den zivilen Bereich, unterstützt mit militärischen und polizeilichen Aufbauhilfen.
Repression
Bei der Kontrolle der Rauschgiftkriminalität kommt der Strafverfolgung eine wesentliche Rolle zu, die sich in allen untersuchten Strategien wiederfindet. Die af-
230
Vgl. Baraki (2007): Nation-Building in Afghanistan. S. 11–17.
Vgl. Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 41.
232
ebd. S. 9.
233
Vgl. ebd. S. 34.
231
60
ghanische NDCS will durch Kooperationen mit anderen Rauschgiftbekämpfungsbehörden der Nachbarstaaten den Ausbau von Strafverfolgung und Justiz vorantreiben. Diese Ziele befinden sich im Korridor234 der ersten Priorität.235 Die U.S.
Counternarcotics Strategy will auf Grundlage der National Drug Control Strategy
neben der Steigerung der Entwicklungshilfe gleichzeitig den Umfang der Strafverfolgungsmaßnahmen erhöhen. 236 Dazu werden weitere Ziele und Unterziele
generiert, die sowohl den Einsatz eigener Berater als auch die Unterstützung beim
Ausbau der Strafverfolgung beinhalten. Die britische Strategie setzt den Schwerpunkt hingegen ausschließlich auf Strafverfolgung. Vorrangiges Ziel ist die Verfolgung von Rauschgiftschmugglern. Die Umsetzung soll durch den Auf- und
Ausbau der Counter Narcotics Police of Afghanistan und der Criminal Justice
Task Force erreicht werden, der durch Großbritannien unterstützt wird. Dazu fokussiert die amerikanische Strategie ergänzend auf die Zerschlagung der Organisationsstrukturen und die Festnahme sogenannte High Value Targets des Rauschgifthandels.237
Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung will „[…] die von der afghanischen Regierung und Großbritannien als der für die Drogenbekämpfung federführenden Partnernation gemeinsam entwickelten Handlungsansätze und die zur Umsetzung unternommenen Anstrengungen weiterhin entschlossen unterstützen.“238
Des Weiteren will sie ebenfalls den Aufbau einer „Anti-Drogen-Polizei“ 239
(CNPA) im Rahmen der EUPOL-Mission vorantreiben. Weitergehende repressive
Ziele werden von deutscher Seite für die Rauschgiftbekämpfung nicht formuliert.
Schlafmohnvernichtung
Die afghanische, amerikanische und britische Strategie thematisieren die Schlafmohnvernichtung und die damit verbundenen Probleme. Im Rahmen der Prob-
234
Unterbrechung des Rauschgifthandels durch Verfolgung von Schmugglern und ihren Unterstützern und Eliminierung der Basis ihres Handels.
235
Vgl. Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug
Control Strategy. S. 17.
236
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 2.
237
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 6.
238
Bundesregierung (2007): Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. S. 42.
239
Ebd. S. 42.
61
lembeschreibungen lässt sich die strategische Ausrichtung der einzelnen Länder
erkennen. So ist die langfristige Unterbindung der Opiatproduktion erklärtes Ziel
der afghanischen NDCS. Diese soll jedoch nur dort durch Vernichtung von
Schlafmohnflächen unterstützt werden, wo alternative Lebensgrundlage für die
Bauern vorhanden sind.240 Wo exzessive Vernichtungsmaßnahmen für die Sicherheitslage abträglich sind, sollen hingegen andere Maßnahmen zur Unterbindung
der Schlafmohnkultivierung priorisiert werden.241 Die afghanische NDCS betont
dabei, dass die Vernichtung von Schlafmohn nur physikalisch und bodenbasiert
erfolgen soll.242
Die amerikanische Strategie nimmt dagegen eine andere Position ein. Die
Schlafmohnvernichtung ist eines der Hauptelemente der amerikanischen Strategie
und wird in vier weiteren Unterzielen ausgeführt. Sie erhält dadurch erhebliches
Gewicht in der Umsetzung der Unterbindung der Opiatproduktion und wird in ein
System von Anreiz und Bestrafung einsortiert. Im Sinne der NDCS soll zunächst
eine konsequente, bodenbasierte und maschinelle Vernichtung durchgeführt werden. Sofern langfristig dadurch keine Verminderung des Schlafmohnanbaus erzielt werden kann, befürwortet die amerikanische Seite zunächst eine bodenbasierte und dann eine luftbasierte Besprühung mit Herbiziden. Diese soll jedoch
einvernehmlich von der afghanischen Regierung befürwortet und geführt werden. 243 Zur Begründung dieser konsequenten Vorgehensweise stellt die U.S.
Counternarcotics Strategy den Erfolg der afghanischen Gouverneure heraus, die
für eigenverantwortlich durchgeführte Unterbindungsmaßnahmen finanzielle Unterstützung für ihre Provinz erhielten. 244 Dies hat jedoch bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Daher soll Kriminellen, die die Rauschgiftproduktion
unterstützen, hingegen die Folgen ihres Handelns durch ein konsequentes Vorgehen bewusst gemacht werden. Ob sich diese Position gegenüber der afghanischen
Regierung durchsetzen lässt, ist fraglich. Diese benötigt den politischen Rückhalt
in der Bevölkerung, der ohnehin durch gegen Bauern geführte Vernichtungsmaßnahmen schwindet.245
240
Vgl. Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug
Control Strategy. S. 15.
241
Vgl. ebd. S. 18.
242
Vgl. ebd. S. 21.
243
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 5-6.
244
Vgl. ebd. S. 1.
245
Vgl. Glaze (2007): Opium and Afghanistan: Reassessing U.S. Counternarcotics Strategy. S. 10.
62
Die britische Strategie orientiert sich im Bereich der Schlafmohnvernichtung an
der afghanischen Strategie und dem Afghanistan Compact. Die exzessive Schlafmohnvernichtung, die von der Afghan Eradication Force mit Unterstützung des
amerikanischen Sicherheitsunternehmens DynCorp teilweise durchgeführt wurde,
wird jedoch von den Briten kritisch betrachtet. Aufgrund mangelnder Differenzierungsmöglichkeiten für die afghanische Bevölkerung zwischen den unter britischer Beteiligung agierenden ISAF-Truppen und den Mitarbeitern von DynCorp,
die Vernichtungsmaßnahmen vor Ort unterstützen, sind auch englische Soldaten
zu potentiellen Zielen von gewaltsamen Protesten geworden. Die Ungewissheit
der afghanischen Bevölkerung über die Rolle der ISAF unterminiert sonst die Effektivität der ISAF-Mission.246 Das britische Ministry of Defence vertritt daher die
Position, dass es keine britische Beteiligung unter dem ISAF-Kommando im Bereich Schlafmohnvernichtung geben wird, solange die Schaffung alternativer Lebensgrundlagen nicht voranschreitet.
Die Rauschgiftbekämpfung ist zwar in das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung eingebettet, aber Maßnahmen der offensiven Schlafmohnvernichtung finden
keinerlei Erwähnung. Ziel ist sowohl die reine Unterstützungsleistung für die afghanische Regierung als auch die Unterstützung Großbritanniens, als entsprechende Partnernation im Bereich der Drogenbekämpfung. Dabei beschränkt sich
die Unterstützung jedoch nur auf Maßnahmen, die nicht direkt im Zusammenhang
mit der Schlafmohnvernichtung stehen.
Eigene Schwächen
Der Umgang mit eigenen Schwächen ist grundlegend für die erfolgreiche Weiterentwicklung von Strategien. Er wird von den einzelnen Nationen unterschiedlich
gehandhabt. Die Darstellung und der Vergleich der Schwächen beschränken sich,
wie in der Einleitung erläutert, im Folgenden auf die erfolgskritische Selbstanalyse.
Die afghanische NDCS unternimmt sowohl eine Risikoanalyse zu den äußeren
Gefahren als auch zu den Schwächen der eigenen Administration. Risiken, die die
246
Vgl. House of Commons Defence Committee (2007): UK operations in Afghanistan. S. 39-40.
63
gesamte Implementierung der NDCS und der folgenden Programme gefährden
könnten, werden erkannt und analysiert.247 Insbesondere die Korruption in der öffentlichen Verwaltung, fehlende Verwaltungsstrukturen in den Provinzen sowie
mangelhafte Koordination, die die Durchsetzung der Strategie gefährden, werden
als eigene Schwächen identifiziert.
Diese Form der Risikoanalyse fehlt sowohl bei der amerikanischen und der britischen Strategie als auch bei dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. Im
Rahmen der Lagebeurteilung analysieren diese in unterschiedlicher Form Chancen und Risiken bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen, wobei überwiegend
die Schwächen der afghanischen Verwaltung fokussiert werden. In Teilen stellen
die Strategien die bisher erreichten Erfolge dar. Eigene Schwächen, die die erfolgreiche Umsetzung gefährden, werden nicht genannt.
Die afghanische NDCS definiert in Verbindung mit dem Afghanistan Compact
klare Zielvorgaben und die entsprechender Operationalisierung.248 Daran könnten
sich auch die Strategien der Internationalen Gemeinschaft ausrichten, um am Grad
der gemessenen Zielerreichung zu beurteilen, ob die Strategien und gewählten
Maßnahmen erfolgreich waren oder welche Schwächen sie aufzeigen. Die britische Strategie249 folgt in ihrem Verständnis als Ergänzung stringent diesen Vorgaben, unterlässt aber die Darstellung der eigenen Schwächen. Die amerikanische
und deutsche Strategie nutzen diese Elemente der Strategieentwicklung nicht. Eine nach innen gerichtete erfolgskritische Betrachtung würde es den Prozessverantwortlichen der einzelnen Strategien jedoch ermöglichen, kritischen Entwicklungen in Afghanistan steuernd entgegenzuwirken.250
4.
Resümee
Sowohl die Rauschgift- als auch die Sicherheitslage in Afghanistan haben sich
sukzessive vor den Augen der Internationalen Gemeinschaft und der Weltöffent-
247
Vgl. Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug
Control Strategy. S. 30.
248
Siehe Anhang Nr. 4.
249
Soweit diese bekannt ist.
250
Kotler; Bliemel (2006): Marketing-Managagement. Analyse, Planung, Verwirklichung. S. 133135.
64
lichkeit verschlechtert. 251 Bereits erreichten Erfolgen nach der Vertreibung der
Taliban stehen gefährliche Trends und Entwicklungsdefizite gegenüber. Der Wiederaufbau gestaltet sich schwieriger und langfristiger als von Vielen nach Beendigung der Talibanherrschaft angenommen. Afghanistan musste nach 30 Jahren
Kriegszustand, einhergehend mit einer erheblichen Zerstörung wirtschaftlicher
und sozialer Grundlagen, den Wiederaufbau am Punkt Null beginnen.252 Vor allem die Sicherheitslage im Süden und Westen des Landes trägt zu einer Verlangsamung der Entwicklung in allen Bereichen des State Building bei. Kritische
Stimmen sehen Afghanistan aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage
an einem Scheideweg zwischen Bürgerkrieg oder stärkerem Engagement der Internationalen Gemeinschaft zur Stabilisierung des Landes.253 Im Jahr 2006 wurde
die Internationale Gemeinschaft im Rahmen der ISAF-Erweiterung in ganz Afghanistan von der Heftigkeit des Widerstandes der Taliban überrascht. Bis heute
ist es nicht gelungen, deren asymmetrische Kriegsführung wirksam zu bekämpfen.254 Die Taliban haben im Süden wieder Fuß gefasst und bauen hier eine Parallelgesellschaft auf. Es wird geschätzt, dass ca. 13 Prozent der afghanischen Bevölkerung mit den Taliban sympathisieren und somit ein nicht unerheblicher Teil
gegen die Einmischung anderer Nationen in die inneren Angelegenheiten ist.255
Die wieder erstarkten Taliban und die durch sie geführte Angriffe beeinträchtigen
sowohl die Möglichkeiten der Umsetzung der Rauschgiftbekämpfungs-Strategien
als auch andere polizeiliche Maßnahmen. Dadurch wird auch die Arbeit der Non
Governmental Organisations im Rahmen der ergänzenden Aufbaumaßnahmen
behindert.256 Dringend benötigte Hilfslieferungen für den von Dürre betroffenen
Norden des Landes können aufgrund des Einflusses der Taliban nicht verteilt
werden. Dies trägt auch zur Destabilisierung des bisher positiv entwickelten Nordens bei.257 Zusätzlich zeigt sich durch die Anschläge im sicher geglaubten Kabul
eine neue Qualität des Widerstandes. Die Unfähigkeit der internationalen Akteure
251
Vgl. o.V. (2006): Afghanistan: UN-Alarm wegen Opium-Produktion. Unter
http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan_aid_114795.html , zuletzt geprüft am 30.05.2008.
252
Vgl. Bundesregierung (2007): Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/DIE GRÜNEN. S. 1.
253
Vgl. Senlis Council (2008): Afghanistan - Decision Point 2008. S. 4.
254
Vgl. Bundesregierung (2007): Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/DIE GRÜNEN. S. 3.
255
Vgl. Cordesman (2007): The Afghan-Pakistan War: Threat Developments. S. 7.
256
Vgl. Afghanistan NGO Safety Office (2008): ANSO Quarterly Data Report and Annual Summation. S. 3.
257
Vgl. Gack (2008): Hungerkatastrophe in Nord-Afghanistan. Ausgestrahlt am 02.07.2008. ZDF.
65
die Lage Afghanistans zu stabilisieren, wird als äußerst bedenklich bezeichnet.
Afghanistan befindet sich nach Ansicht von Experten am Abgrund.258
Bi- und multilaterale Abkommen zwischen Afghanistan und den Staaten der Internationalen Gemeinschaft, in denen diese sich zum Wiederaufbau verpflichteten,
haben nicht das Maß an Stabilität erbracht, das nötig wäre, um eine effektive
Rauschgiftbekämpfung zu implementieren. „Viele Institutionen funktionieren
nicht mit dem Mindestmaß an notwendiger Transparenz und Effizienz; lokale
Machthaber und Milizen hemmen die Legitimität und Autorität der Regierung unter Präsident Hamid Karzai.“259 Dies stellt den Grundsatz des Afghan Ownership
in Frage. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, um der afghanischen Regierung
die Übernahme von Eigenverantwortung zu ermöglichen.260
Um eine Verbesserung der Lage im sozialen und wirtschaftlichen Bereich sowie
einen Rückgang der Rauschgiftproduktion zu erreichen, ist die Weiterentwicklung
von zielgerichteten Strategien erforderlich. Dabei sind Ziele zwar Voraussetzung
für entsprechendes Handeln, doch allein durch das Formulieren von Zielen werden noch keine Wirkungen erzielt. Wichtig ist es vielmehr, konkrete Maßnahmen
umzusetzen.261 Jede Phase der Strategieentwicklung zum Wiederaufbau Afghanistans ist charakterisiert von Risiken, die durch die Opiatwirtschaft und kriegerische
Auseinandersetzungen beeinflusst werden. Die Akteure der Opiatwirtschaft gefährden die Umsetzung der Strategien durch Einfluss, den sie aus finanziellen
Mitteln generieren. Woher diese Mittel kommen, kann nicht eindeutig belegt werden. Es wird jedoch spekuliert, dass diese Gelder aus dem Rauschgifthandel
stammen und die Akteure ihre finanziellen und politischen Möglichkeiten nutzen,
um zu ihren Gunsten den Staat zu destabilisieren und die Opiatproduktion weiter
auszubauen.
Durch Korruption von hochrangigen Regierungsvertretern werden die, für die
Umsetzung der Rauschgiftbekämpfungsmaßnamen verantwortlichen Institutionen
geschwächt. Als Instrument zur Umsetzung der strategischen Ziele haben die Institutionen der Rauschgiftbekämpfung jedoch wesentliche Bedeutung. Ihre Orga-
258
Senlis Council (2008): Afghanistan - Decision Point 2008. S. 4.
Bundesregierung (2007): Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/DIE GRÜNEN. S. 1.
260
Vgl. World Bank; DFID (2008): Economic Incenties and Development Initiatives to reduce
Opium Poduction. S. 67.
261
Vgl. Christe-Zeyse (2003): Controlling in der Polizei (Teil III). S. 61–68.
259
66
nisationsstruktur, Personalstärke und verfügbaren Ressourcen sind erfolgskritische Faktoren für die Strategien. Ihre Effektivität und Effizienz werden benötigt.
Bei schlechter und ungesicherter Bezahlung des staatlichen Personals besteht in
besonderem Maße die Gefahr von Korruption. Afghanistan steht jetzt schon am
unteren Ende des Korruptionswahrnehmungsindex auf Platz 172.262 Die Risikoanalyse der afghanischen NDCS erkennt deutlich, dass ein Ausbleiben der internationalen finanziellen Hilfe auch die Korruption verstärken wird. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Implementierung jeglicher Strategien. Insbesondere
durch die Betonung der afghanischen Eigenverantwortlichkeit in allen Rauschgiftbekämpfungsstrategien ist daher die Unterstützung der entsprechenden afghanischen Institutionen unerlässlich.
Die Darstellung und der Vergleich der Strategien der einzelnen Nationen machen
deutlich, dass es sowohl gemeinsame Grundlagen, als auch wesentliche Unterschiede in der Internationalen Gemeinschaft gibt. Die Senkung bzw. Unterbindung der Rauschgiftproduktion ist eines der wichtigsten und gemeinsamen Ziele,
dessen Erreichen oder Nichterreichen durch die jährlichen Berichte des UNODC
dokumentiert wird. Basis aller Rauschgiftbekämpfungsstrategien, einhergehend
mit dem Prinzip der afghanischen Eigenverantwortung, ist die afghanische NDCS
in Verbindung mit dem Afghanistan Compact. In diesem werden alle wichtigen
Strategie-Elemente aufgeführt. Sowohl die amerikanische als auch die deutsche
Strategie nennen jedoch im Bereich der Zielerreichungsgrade und Zielzeitmaße
nur Teile dieser wichtigen Elemente, obwohl die Evaluation eigener Anstrengungen im gemeinsamen Interesse der engagierten Staaten liegen sollte.
Wesentlich Unterschiede zwischen den Strategien ergeben sich in der zivilen, polizeilichen und militärischen Ausrichtung. Insbesondere die Ziele zur Herstellung
von Stabilität und Sicherheit folgen differierenden Vorstellungen. Die Gewichtung zwischen Wiederaufbau und Bekämpfung von Aufständischen ist zum Teil
gegensätzlich. 263 So ist die amerikanische Rauschgiftbekämpfungs-Strategie im
Gegensatz zu den anderen Strategien stark militärisch geprägt. Eine Vermischung
von militärischen und polizeilichen Aufgaben kann jedoch zu einem weiteren
Vertrauensverlust in der afghanischen Bevölkerung führen, da polizeiliche Maß-
262
Graf Lambsorff (2007): Korruptionswahrnehmungsindex.
Bundesregierung (2007): Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/DIE GRÜNEN. S. 1.
263
67
nahmen nicht mehr von militärischen getrennt werden können. Dies kann zu einer
sogenannten Irakisierung der afghanischen Polizei führen.264 Auch besteht die Gefahr, dass die afghanische Polizei ihren polizeilichen Aufgaben in der Rauschgiftbekämpfung nicht mehr nachkommen kann. Gerade im traditionell geprägten Afghanistan mit seinen Klanstrukturen und seiner historischen Affinität zu militärischen Konflikten scheint jedoch eine Hinwendung zu demokratisch und bürgerfreundlichen Strukturen für die Polizei wichtig als auch schwierig. Dieses Problem hat zwar auch das amerikanische Militär erkannt, aber die Lösungsansätze fokussieren weiterhin die Widerstandsbekämpfung. Da derzeit keine einfachen und
schnellen Lösungen im Afghanistan-Konflikt in Sicht sind, geht das amerikanische Militär von einem langfristigen Einsatz aus. 265 Zur Unterstützung werden
von den NATO-Bündnispartnern mehr Truppen gefordert, um sich auf das Vorgehen gegen die Aufständischen zu konzentrieren. In einem sicheren Umfeld
können dann auch Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels verbessert
werden.266 Die britische Strategie und das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung setzen die Schwerpunkte dagegen im zivilen und polizeilichen Bereich. Die
deutsche Konzeption setzt ihren Schwerpunkt ausschließlich in die Unterstützung
und Hilfe zur Selbsthilfe. So werden unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit durch
die Ausbildungsunterstützung afghanische Polizeikader ausgebildet, die als Multiplikatoren für ihre Landsleute eingesetzt werden können. Gerade bei immer
knapper werdenden Ressourcen und bei einer Zunahme der internationalen Verpflichtungen hat die Hilfe zur Selbsthilfe auch den Effekt der Ressourcenschonung. Diesen Standpunkt vertreten die anderen Strategien weniger deutlich. Eine
Trennung von Militär und Polizei bei der Unterbindung des Opiathandels scheint
aufgrund der komplexen Zusammenhänge zwischen Sicherheit und Opiatwirtschaft trotzdem schwierig.
Der Einsatz von Herbiziden ist die international meist diskutierte und infrage gestellte Maßnahme.267 Dabei unterscheidet sich der amerikanische Umgang mit exzessiver Schlafmohnvernichtung mittels Herbiziden erheblich von den Positionen
der anderen Staaten. Trotz erneuter Rekordernten in 2007 und einem fortsetzenden Trend für 2008 lehnen Afghanistan, Großbritannien und Deutschland den
264
Vgl. Baraki (2007): Nation-Building in Afghanistan. S. 11–17.
Vgl. Liddel (2008): Drugs in Afghanistan. S. 17.
266
Vgl. Koenig (2008): NATO und Afghanistan. S. 4.
267
Vgl. Schmitz (2007): Afghanistan: Drug production and trafficking. S. 2.
265
68
Einsatz von Herbiziden zur Vernichtung der Schlafmohnernten aus sicherheitspolitischen und gesundheitlichen Erwägungen ab. Der US-Regierung wird international vorgeworfen, „[…] mit dem von ihr geplanten Einsatz von PestizidSprühflugzeugen gegen Opiumfelder den Wiederaufbau Afghanistans zu gefährden.“268 Es werden ökologische Schäden befürchtet, die auch die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigen können. Des Weiteren könnte dass soziale System in
den Provinzen zerstört werden, da Bauern ihre geschädigten Felder aufgeben und
fliehen müssten. Folge wäre eine weitere Stärkung der Vorbehalte gegen die afghanischen Regierung und die Internationale Gemeinschaft. 269 Auch wird die
These aufgestellt, dass Schlafmohnvernichtung weniger die Gewinne aus dem
Rauschgifthandel reduziere, sondern im Gegenteil die Verfügbarkeit von Rohopium verringere und dadurch den Preis und die Gewinne steigere.270 Des Weiteren
führen solche Maßnahmen zu noch engeren Verbindungen von Händlern und Produzenten in den gut organisierten Hierarchien. Dies wird auch als „Afghanischer
Teufelskreis“ bezeichnet.271 Maßnahmen der Schlafmohnvernichtung bleiben jedoch trotz der Kritik eine der Hauptsäulen der amerikanischen Rauschgiftbekämpfungspolitik.
Vor dem Hintergrund stetig steigender Zahlen, der mit Schlafmohn kultivierten
Anbauflächen in Afghanistan, werden international permanent innovative Vorschläge zur Problemlösung der Opiatproduktion diskutiert. Aufgrund der bisher
wenig erfolgreichen Unterbindung der Rauschgiftproduktion wird von außerhalb
der Regierung stehenden britischen Experten vorgeschlagen, afghanisches Rohopium für die legale Medizinherstellung zu verwenden. So wird Rohopium nicht
als Droge angesehen, sondern als landwirtschaftliche Ressource, die sowohl die
ökonomische Entwicklung des Landes fördert als auch die illegale Produktion unter Kontrolle bringen kann. Dazu sollen in regionalen Projekten unter afghanischer Eigenverantwortung einfache Medizinprodukte aus Opium hergestellt werden. Der Vertrieb könnte dann durch den afghanischen Staat erfolgen, um so den
weltweiten Bedarf an Schmerzmitteln zu decken.272 Sowohl die amerikanische als
268
Gesellschaft für bedrohte Völker (2006): Umstrittener Kampf gegen Opium-Anbau.
Vgl. ebd.
270
Vgl. Rubin/Sherman (2008): Counter-Narcotics to Stabilize Afghanistan: The False Promise of
Crop Eradication. S. 5.
271
Kursawe (2005): Afghanischer Teufelskreis.
272
Senlis Council (2007): Poppy for Medicine. S. 11.
269
69
auch die britische Regierung lehnen diesen Vorschlag ab. 273 Nach Ansicht der
amerikanischen Seite würde eine solche Strategie vielmehr dazu führen, dass 87
Prozent der Afghanen, die bisher keinen Schlafmohn kultiviert haben, mit dem
Anbau beginnen. Des Weiteren besteht keine Infrastruktur, um medizinische Produkte mit der entsprechenden Qualität herstellen und vertreiben zu können. Der
Aufbau solcher Strukturen würde die Internationale Gemeinschaft weitere Milliarden US-Dollar kosten.274 Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung trifft
zu diesem Vorschlag keine Aussagen.
Die geringe Wirksamkeit der Rauschgiftbekämpfung in Afghanistan durch sich
widersprechende Vorgehensweisen führt zu der immer wieder postulierte Forderung nach mehr Abstimmung und Koordination. Sie wird jedoch aufgrund von
Bereichsegoismen und Vermischung von Wiederaufbau, Rauschgiftbekämpfung
und Terrorismusbekämpfung konterkariert. 275 Eine der geforderten Veränderungen ist daher die Wiederbelebung der gemeinsamen internationalen Bemühungen
im Rahmen von erreichbaren Zielen.276 Die amerikanische Seite empfiehlt ihren
Partnern in diesem Zusammenhang den Einsatz in Afghanistan mit höchster Priorität zu behandeln.277 Diese Empfehlung bestätigt die Annahme, dass zur Umsetzung einer erfolgreichen Strategie auch ein internationaler Konsens zu Zielen und
Prinzipien erforderlich ist.278 Die afghanische Regierung hat durch ihre Verpflichtung gegenüber der Internationalen Gemeinschaft im Afghanistan Compact und
der National Drug Control Strategy den Grundstein zur Lösung des Drogenproblems gelegt. Fraglich ist jedoch, ob die von allen engagierten Staaten betonte Eigenverantwortung der afghanischen Regierung, deren Durchsetzungsfähigkeit in
Teilen des Landes aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkt ist, ein besseres
koordiniertes Vorgehen ermöglicht. Hier ist die Internationale Gemeinschaft weiterhin erheblich gefordert.
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Rauschgiftproduktion ein Problem ist, welches
mit Grundbedürfnis-, Nachhaltigkeits-, Partizipations- und Regierungsproblemen
273
Vgl. Foreign & Commonwealth Office (2007): Counter-Narcotics. Unter:
http://www.fco.gov.uk/en/fco-in-action/uk-in-afghanistan/Counter-Narcotics/# , zuletzt geprüft am
28.06.2008.
274
Vgl. Schweich (2007): U.S. Counternarcotics Strategy for Afghanistan. S. 10.
275
Vgl. Schetter (2004): Kriegsfürstentum und Bürgerkriegsökonomien in Afghanistan. S. 32
276
Vgl. Center For The Study Of The Presidency (2008): Afghanistan Study Report. S. 9.
277
Vgl. The Atlantic Council (2008): Saving Afghanistan. S. 1.
278
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 341.
70
in enger Verbindung steht.279 Aber auch die Sicherheitslage ist ein wichtiger Aspekt. Es handelt sich also um ein komplexes System, das sowohl auf einer ökonomischen als auch auf einer gewaltspezifischen Ebene gesellschaftlich und traditionell entwickelt ist.280 Das Drogenproblem als rein afghanisches Entwicklungsproblem zu analysieren, ist in Anbetracht der Nachfrage der Konsummärkte, die
das Angebot und damit den Anbau beeinflussen, zu einseitig. Daher erscheint eine
gemeinsame und konkrete strategische Ausrichtung auf die Rauschgiftbekämpfung über die Grenzen Afghanistans sinnvoll. Welche Strategien und Ansätze das
afghanische Rauschgiftproblem letzten Endes lösen und damit auch die Gesamtsituation verbessern werden, kann aufgrund der Gemengelange zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden.
279
280
Vgl. Seger (1998): Entwicklung und Drogen in Asien. S. 340.
Vgl. Schetter (2004): Kriegsfürstentum und Bürgerkriegsökonomien in Afghanistan. S. 32
71
ANHANG
Anhang Nr. 1
Hierarchie der Komponenten der afghanischen NDCS.
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control Strategy. S. 16.
Anhang Nr. 2
Prioritäten der NDCS
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control Strategy. S. 17.
72
Anhang Nr. 3
Verantwortliche afghanische Institutionen
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control Strategy. S. 25.
73
Anhang Nr. 4
Operationalisierung der afghanischen NDCS
Islamic Republic of Afghanistan Ministry of Counter-Narcotics (2006): National Drug Control Strategy. S. 26.
Anhang Nr. 5
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 23.
Vgl. UNODC (2008): Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey.
S. 1
74
Anhang Nr. 6
Trends im Schlafmohnanbau 2007/2008
UNODC (2008): Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey. Februar 2008. S. 3.
75
Anhang Nr. 7
Schlafmohnanbau seit 1994
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 9.
76
Anhang Nr. 8
Opiumproduktion seit 1994
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 12.
77
Anhang Nr. 9
Veränderungen des Schlafmohnanbaus in den Provinzen von 2006 auf 2007
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 12.
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 29.
78
Anhang Nr. 10
Veränderungen der Opiumproduktion in den Provinzen von 2006 auf 2007
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 30.
79
Anhang Nr. 11
Schlafmohnpflanzzeit
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 61.
80
Anhang Nr. 12
Schlafmohnerntezeit
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 62.
81
Anhang Nr. 13
Vergleich zwischen legaler Wirtschaft und Opiatwirtschaft
UNODC (2007): Afghanistan Opium Survey 2007. S. 17.
82
Anhang Nr. 14
Organigramm Afghan Ministry of Interior
Johnson (2008): Afghanistan Security. S. 18.
83
Anhang Nr. 15
U.S. Counter Narcotics Strategy
Gootnick (2006): Afghanistan Drug Control. S. 9.
84
Anhang Nr. 16
Afghanische Aufklärungskampagne
Gootnick (2006): Afghansitan Drug Control. S. 27.
85
Anhang Nr. 17
Internationales Militär in Afghanistan
Independent Panel Canada (2008): Canada’s Future Role in Afghanistan. S.
86.
86
Anhang Nr. 18
Verteilung der Wiederaufbauteams in Afghanistan
Independent Panel Canada (2008): Canada’s Future Role in Afghanistan. S.
85.
87
Anhang Nr. 19
Schmuggelrouten aus Afghanistan
N
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88
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