wollen dich, und du weisst das im VCS
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wollen dich, und du weisst das im VCS
© Peter Krebs Die Ostsee ist eröffnet 18 VCS MAGAZIN / JUNI 2010 DEUTSCHLAND Velotour Mit dem Velo entdeckt man die wunderbaren Sandstrände und die Seebäder der Ostsee. Aber auch ihre versteckten Stellen. Eine Reise von Rostock via Stralsund nach Rügen. N ach der Fahrt durch das Industrieviertel von Rostock kreischen die Möwen und es steigt uns der Geruch von Salz und Fisch in die Nase: Bei der Ankunft in Warnemünde werden wir von einem Ostseegefühl erfasst, von einer vorpommerschen Meeresatmosphäre. Der Küstenort mit dem schmucken Kern dient als Hafen der Universitätsstadt Rostock und als ihr Seebad. Gegen Westen dehnt sich der Strand aus feinem hellem Sand aus. Dafür ist die Ostsee bekannt: für den feinen Sand und die feinen Seebäder. Aber sie enthält viel mehr als das. Auf dem Strand stehen als Farbtupfer die Strandkörbe. Warnemünde ist die Wiege dieses deutschen Outdoorsofas. Der erste Strandstuhl kam hier am 15. Juni 1882 zum Einsatz. Er schützte die meereshungrige, rheumakranke und adelige Elfriede von Maltzahn vor Sonne und Wind. Erfunden hat ihn ein kaiserlicher Hof-Korbmachermeister aus Rostock. Von Warnemünde aus hat sich das solide und praktische Sitz- und Liegemöbel über die ganze Ostseeküste und weiter ausgebreitet und ist zu ihrem Wahrzeichen geworden. Wir ziehen den Velosattel dem Kissen vor, nehmen Kurs auf Stralsund, also nach Osten und setzen uns der Aprilbrise aus, die aus Sibirien und Estland her bläst, von dort, wo die Ostsee Westmeer heisst. Der Gegenwind ist halb so schlimm, weil sich der Küsten-Radweg hinter der hohen Düne duckt, die den Strand über viele Kilometer begleitet. So erreichen wir bald einmal das Halbinseltrio FischlandDarss-Zingst. Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Wir kannten die Ostsee bloss vom Hörensagen. Bis 1989 war sie jenseits von Lübeck hinter dem Eisernen Vorhang abgeriegelt. Dann fielen die Grenzbäume, die altersschwache DDR verschwand von der politischen Landkarte. Das «kleine und flache Nebenmeer des Atlantischen Ozeans» wurde auch für Leute aus dem Westen zugänglich. «Hiermit erkläre ich die Ostsee für eröffnet!»: Diese Worte fallen uns ein, mit denen der Landrat von Swinemüne laut dem Schriftsteller Kurt Tucholsky die Saison 1922 eingeweiht haben soll. Abendstimmung am Strand, am Westrand der Halbinsel Darss. Es ist ein Naturschutzgebiet mit einem Waldreservat im Hinterland. VCS MAGAZIN / JUNI 2010 19 © Peter Krebs Strandkörbe sind das Symbol der Ostsee, Hochmoor im Darsser Wald (oben), Veloanhänger statt Autos am Hafen von Kloster auf der Insel Hiddensee (links). ten so viel Glück. Manch einer kehrte nie zurück. Dann schickte die Reederei der Witwe einen Beileidsbrief und eine Monatsheuer als Rente. Das ebene Land bleibt durch die grosse Weite des Himmels und der Wasserflächen in Erinnerung, durch Vogelrufe und heitere Farbklänge. Der Radweg führt entlang von Schilfgürteln, über Kanäle und durch Buchten. Wir radeln durch den Darsser Urwald und kommen zum Weststrand. Diese Küste mit dem Leuchtturm aus Backstein gilt als eine der schönsten der Ostsee. Es ist Abend, die Wellen schäumen über den kilometerlangen Strand, den nur Möwen und ein einsamer Jogger beleben. Die rote Sonne beleuchtet die Buchen und Kiefern, deren zerzauste Kronen waagrecht gegen das Land hin wachsen. Sie sehen aus wie erstarrte Fackeln im Wind. Würden wir auf dem Darss wohnen, kämen wir jeden Abend an diesen Ort. Man atmet hier so frei wie das Meer und seine Brandung. In Prerow speisen wir in einem Restaurant, das als Ferienhaus der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB diente. Ja, wo ist eigentlich die Deutsche Demokratische Das Nebenmeer beherbergt NebenNebenmeere: die Bodden, die Lagunen der Ostsee. Sie liegen wie der Saaler Bodden, den wir als ersten antreffen, zwischen den Inseln und dem Festland und sind über schmale Arme mit dem offenen Meer verbunden. Ihr Brackwasser ist oft weniger salzhaltig als dieses, da auch süsse Bäche sie speisen. Viele befinden sich im Perimeter des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, der vor 20 Jahren gegründet wurde und sich von der Darss bis Hiddensee erstreckt. Graal-Müritz, Dierhagen, Wustrow: Die Dörfer an der Küste nennen sich See- oder Heilbäder. Sie sind stolz auf die Seepromenaden und den städtischem Charakter ihrer Strassen. Bis im 19. Jahrhundert, zur Zeit der Segelschiffe, waren die Inseln eine Seefahrergegend. «Fast alle Konfirmanden Ja, wo ist eigentlich die alte gingen in den 1860er-Jahren zur DDR hingekommen? See», heisst es in der Sammlung zur Lokalgeschichte, die der junge Wirt von Peterssons Hof in Born einge- Republik hingekommen? Zwanzig Jahre richtet hat. Sein stilvolles Café befindet nach ihrem Ende sind nur noch wenige sich in der Scheune eines Ensembles, das Spuren sichtbar. Es scheint, als wollten Kapitän Carl von Petersson bauen liess, die Leute diesen Teil der Vergangenheit der 1888 auch eines der ersten Hotels auf vollständig entsorgen und vergessen. der Darss baute. Nicht alle Seefahrer hat- Die meisten Häuser sind renoviert und 20 farbig angestrichen. Ab und zu holpern wir über einen Weg aus altsozialistischen Betonplatten, die man bald unter Schutz stellen sollte. Nur in Barth hat auf dem zentralen Platz ein Brunnen überlebt samt der Propagandapoesie, die in den Stein des Trogs gemeisselt bleibt: «Den Fischern wollen wir geben, die Boote zu reicher Fahrt. Wie schaffen am besseren Leben, im sozialistischen Barth.» Wir sind zurück auf dem Festland. Im Frühling machen hier Zehntausende Kraniche Zwischenstation auf dem Zug von Afrika und Spanien zu den Nistplätzen in Skandinavien. Die eleganten Vögel finden in den glitzernden Bodden sichere Schlafplätze und auf den Feldern Nahrung, die teils extra bereitgestellt wird, um die Konflikte mit den Bauern zu entschärfen. Für den Zug der Kraniche sind wir leider zu spät, sie sind Ende März weitergeflogen. Im Herbst kehren sie wieder. Das Nahrungsangebot für Velofahrer ohne festen Wohnsitz ist etwas prekär. Schlecht steht es vor allem um das Schloss Hohendorf, ein Juwel, das bis vor kurzem eine Gräfin als Hotel führte. Jetzt ist die Pforte verschlossen, auf der Treppe steht ein Plastikkübel mit einem Zettel: «Die Post bitte hier hinein, die Gräfin». Aber es sind ja nur noch wenige Kilometer bis Stralsund. In dieser Hansestadt, die mit Wismar ein Weltkulturerbe bildet, mangelt es nicht an Nahrung jeder Art. Ihr Herz schlägt auf dem Alten Markt, dem grossartigen Platz in der Altstadt. Hier gibt es Cafés mit Blick auf die Backsteinfassaden der St. Nikolai-Kirche und des angebauten Rathauses. Kirche und Politik umarmen sich im alten Rostock, während gotische und barocke Giebelhäuser den Reichtum der hanseatischen Kaufleute bezeugen. Das schönste ist das Wuflam-Haus, das sich ein ehemaliger VCS MAGAZIN / JUNI 2010 DEUTSCHLAND Velotour Bürgermeister um 1390 bauen liess und in dem man heute in historischer Umgebung einkehren kann. Durch die gepflästerte Fährstrasse erreichen wir die Hafeninsel, ihre Kneipen und das Ozeanum, das eine «einmalige Reise durch die Unterwasserwelt der nördlichen Meere» anpreist. Der moderne Bau steht als auffälliger Kontrast neben dem «Dornröschenspeicher»: einem schlossmässigen Kornhaus mit Ziertürmchen und Stufengiebel. Die Gorch Fock liegt vor Anker. Die Odyssee dieses 1933 gebauten, stolzen Segelschulschiffs ist ein Abbild der europäischen Geschichte. Die Wehrmacht versenkte es 1945 vor Stralsund vor den Augen der anmarschierenden Sowjetsoldaten, die es später hoben und reparierten. Nun segelte die Bark als Towaritsch (Genosse) durch die Meere, kam mit dem Ende der UdSSR unter ukrainische Flagge. Heute gehört sie dem Verein Tall-Ship Friends, der sie instand stellen lässt, um den Dreimaster wieder in Betrieb zu nehmen, samt den 123 Segeln, die alle einen Namen haben. Am Abend bestellen wir in der Fährkneipe ein Bier zum Hering. Wir entscheiden uns fürs einheimische Störtebeker, das «Bier der Gerechten». Was bei uns die Berge sind, ist hier das Meer. Man isst Fisch, alle Helden sind Seefahrer und Klaus Störtebeker ist der Wilhelm Tell der Ostsee. Der von Schweden lizenzierte Freibeuter und Pirat überfiel die Schiffe der mächtigen Hanse, deren Kaufleute er als Pfeffersäcke verspottete: zusammen mit seinen Vitalienbrüdern und später, als er sein Seeräubergeschäft in die Nordsee verlegte, mit den Likedeelern. Die teilten die reiche Beute brüderlich. Störtebeker ist mehr Legende als eine historisch verbürgte Gestalt. Einige behaupten, er stamme aus Rügen und habe in der Piratenschlucht bei Sassnitz einen Schatz vergraben, den er nicht mehr habe holen können. 1401 nahmen ihn die Hambur- ger gefangen und köpften ihn. Die Pfeffersäcke frohlockten. Wir befinden uns nun schon auf dem Schiff nach Hiddensee, der Insel im Westen von Rügen, über die wir viel Gutes gehört haben. Tatsächlich ist sie sehr entzückend und sehr schmal, aber immerhin 30 Kilometer lang. Auf den Parkplätzen an der Anlegestelle stehen Dutzende von Veloanhängern. Hiddensee ist autofrei. Das schafft eine eigene, entspannte und doch wache Stimmung. «Wind, Sturm und ewig brandende, rauschende, donnernde Flut! Lerchen zuweilen im Vollmond des Nachts!», so erlebte sie der Schriftsteller und Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann (1862–1946), der viele Sommer auf Hiddensee verbrachte und im Ort Kloster ein Haus besass. Überfahrt nach Schaprode auf die Insel Rügen. Die Velotour wird zur Seereise. Seit der Wende boomt Rügen als Feriendestination. Es wird viel gebaut, nicht © Peter Krebs Der Alte Markt von Stralsund, dem Tor zur Insel Rügen, mit der Nikolaikirche und der angebauten Schmuckfassade des Rathauses. VCS MAGAZIN / JUNI 2010 21 DEUTSCHLAND immer mit gutem Geschmack. Aber auf dem Radweg entdecken wir die herrlichsten Küsten. Wir ritzen die Finger am omnipräsenten Sanddorn, dessen Früchte zu Likör, Konfitüre und Kosmetika verarbeitet werden. Beim Kap Arkona stehen zwei ziegelrote Leuchttürme, ein alter und ein neuerer. Der alte leuchtet nicht mehr, dafür kann man darin heiraten. Nur darf man sich am Kap, das immerhin fast 40 m.ü.M. liegt, nicht zu weit hinauswagen. Deutschland ist an seiner nördlichsten Stelle weich und bröckelt. Das gilt ebenso für die Kreidefelsen im Westen von Jasmund. Sie sind wirklich so zuckerhaft bezaubernd wie sie Caspar David Friedrich auf seinem romantischen Gemälde «Kreidefelsen von Rügen» darstellt. Es entstand in Erinnerung an seine Hochzeitsreise 1818, als Rügen eben von Schweden an Preussen gefallen war. Das Bild kann vielleicht als Liebeserklärung an seine junge Frau und die Landschaft interpretiert werden, die er mit ihr besuchte, wobei nicht ganz klar ist, welche Stelle ihm als Modell diente. Die berühmten Wissower Klinken, die 2005 im Meer versanken, sollen es entgegen einer verbreiteten Meinung nicht gewesen sein. Welch ein Kontrast zur nächsten Station. Prora gilt als das längste Haus der Welt. Der Komplex erstreckt sich über 4½ Kilometer entlang des Küstenbogens auf der Schmalen Heide zwischen Jasmund und der Granitz. Die nationalsozialistische Freizeitorganisation «Kraft durch Freude» errichtete hier von 1936 bis 1939 fünf Häuserblocks, in denen 20 000 Leute gleichzeitig Ferien machen sollten. Das «Seebad Rügen» wurde nie in Betrieb genommen. Heute steht die Anlage unter Denkmalschutz, ist aber grösstenteils leer. Die Stiftung Neue Kultur führt ein Dokumentationszentrum mit dem Ziel, Prora zu erhalten und es in «angemessener Weise zu entwickeln und zu nutzen». Der Koloss mit der schmucklosen, kasernenartigen Architektur beklemmt und fasziniert gleichzeitig. Es ist der Ausdruck eines Regimes, das seine Verheissungen von einem besseren Leben vor allem als Propaganda verstand und sie zur totalen Kontrolle nutzte. Statt in die Ferien schickte Hitler seine Untertanen an die Front. In einem versteckten Waldstück im nahen Sassnitz ist zu se- VCS MAGAZIN / JUNI 2010 © Peter Krebs Velotour Das traditionsreiche Kurhaus von Binz liegt direkt am langen Strand. Der Platz mit Musikpavillon ist das Zentrum des Tourismus dieses Ostseebads. hen, wohin das führte. Dort befindet sich das Gräberfeld von teilweise unbekannten und sehr jungen Soldaten, die noch in den letzten Kriegstagen im April und Mai 1945 einen sinnlosen Tod starben. Dann kommt das Seebad Binz. Rügens Rimini. Wieder ein Kontrast. Die Hotels entlang der belebten Strandpromenade sind weiss gestrichen und mit verspielten Balkonen verziert. Sie künden von der Leichtigkeit des Seins im Urlaub. Ja, es gäbe noch viel zu berichten von Binz und Rügen. Vom Fürst Malte (1783- 1854), dem einst die halbe Insel gehörte, auch Binz und Prora und Putbus, wo er ein Schloss, ein Theater und den «Circus» baute, einen kreisrunden Platz mit vornehmen Häusern ringsherum. Oder von den Fährleuten in Moritzdorf, die die Velofahrer über die Baaber Rinne rudern, sowie vom «rasenden Roland», der Dampfbahn. Sie zischt und stampft fahrplanmässig zwischen Putbus, Binz und Göhren. Doch mit den Ferienberichten verhält es sich wie mit den Ferien selber. Peter Krebs Sie sind immer zu kurz. Nützliche Informationen Anreise/Rückreise: In Sommer verkehrt am Freitag ein CNL-Nachtzüge (Sirius) ab Zürich und Basel bis Binz. Er transportiert auch Fahrräder (retour am Samstag). Weitere Nachtverbindungen via Berlin oder Hamburg nach Rostock und Stralsund. Dazu eine geeignete IC-Tagesverbindung mit Velomitnahme (reservieren): Von Basel nach Rostock bzw. Stralsund, umsteigen in Karlsruhe. Radweg: Der mittlere Teil des Ostseeküsten-Radwegs führt von Lübeck bis Ahlbeck/Usedom und enthält die 260 Kilometer lange Rügenrundfahrt (Bikeline-Radtourenbuch Ostseeküstenradweg, Teil 2). Unser Vorschlag ist ein Teil dieses Abschnitts. Von Stralsund nach Hiddensee nehmen wir das Schiff. Organisierte Reisen: Organisierte Reisen mit Gepäcktransport und Unterkunft kann man beim VCSReispartner via verde reisen buchen: www.via-verde-reisen.ch, Tel. 0848 823 823 (Normaltarif) oder bei Railtour: www.railtour.ch/ostsee Beste Jahreszeit: In der Hochsaison im Juli und August ist das Meer am wärmsten, aber dann sind auch Unterkünfte, Strände und Strassen am vollsten. Die Radtour lässt sich bei rauerem Klima auch im Frühjahr (ab April) und im Herbst (bis Mitte Oktober) durchführen. Im März und im September/Oktober findet der Zug der Kraniche statt. Informationen und Tipps: Routen, Adressen, Führer usw.: www.verkehrsclub.ch/touren 23