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Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Sonderdruck aus „Stahlbau“ Heft 7/2011 Umschlag_neu.indd 2 26.10.2011 12:59:02 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 520 Fachthemen Natalie Stranghöner Jürgen Krampen Christoph Lorenz DOI: 10.1002/stab.201101449 Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Warmgefertigte Hohlprofile nach DIN EN 10210 werden derzeit in Europa hauptsächlich in Wanddicken bis 20 mm in der bei den Stahlhändlern in der Regel vorrätigen Güte S355J2H eingesetzt. Eine immer wieder kehrende Frage betrifft die Einsatzfähigkeit dieser Hohlprofile bei tiefen Temperaturen bedingt durch die in der Produktnorm festgelegte Prüftemperatur der Kerbschlagzähigkeit bei –20 °C: Ist ein Stahl der Güte S355J2H auch unterhalb von –20 °C Außentemperatur einsetzbar oder sollte aus Sicherheitsüberlegungen heraus lieber eine höherwertige Stahlgüte eingesetzt werden? Der vorliegende Beitrag beschreibt das Zähigkeitsverhalten von warmgefertigten Hohlprofilen auf der Basis experimenteller Untersuchungen und erläutert den Zusammenhang zwischen der in den Produktnormen geforderten Mindestzähigkeit bei definierter Prüftemperatur und dem bruchmechanisch basierten Sprödbruchkonzept der DIN EN 1993-1-10 zur Stahlgütewahl. The use of hot-finished hollow sections with wall thicknesses up to 20 mm at low temperatures. In Europe, hot-finished hollow sections according to DIN EN 10210 are mainly used with wall thicknesses up to 20 mm and steel grade S355J2H which is normally in stock at the steel suppliers. A recurring question concerns the usability of those hollow sections at low temperatures due to the test temperature of impact toughness at –20 °C set in the product standard: Is a steel grade S355J2H applicable below –20 °C service temperature, or should, by security considerations, rather a higher-quality steel be used? This paper describes the toughness behaviour of hot-finished hollow sections based on experimental studies and explains the relationship between the required impact toughness in the product standards at a defined test temperature and the fracture mechanics based concept for the choice of steel material of DIN EN 1993-1-10. 1 Einleitung Der Einsatz von Stahl bei tiefen Temperaturen erstreckt sich auf eine Vielzahl von Stahlkonstruktionen unterschiedlichster Art. Neben den klassischen Stahlkonstruktionen im Hochund Brückenbau sind in diesem Zusammenhang exemplarisch auch Maste für Skilifte, Pistenbullys, Mobilkrane, Baumaschinen sowie Anlagen der Fördertechnik zu nennen (s. Bild 1). Auch wenn diese Konstruktionen nicht explizit dem bauaufsichtlichen Bereich zugeordnet sind, orientieren sich die Hersteller mangels anderer Vorgaben an den Regelungen im Bausektor. Bei der Konstruktion und Berechnung von Stahlbauten wird vorausgesetzt, dass die eingesetzten Baustähle definierte Festigkeits- und Verformungseigenschaften haben, damit 2 die gültigen Berechnungsregeln anwendbar sind. Dabei werden insbesondere ausreichende lokale Dehnfähigkeit und plastisches Umlagerungsvermögen vorausgesetzt. Ausreichende Werkstoffeigenschaften werden durch eine entsprechende Stahlgütewahl er- zielt, die die erforderlichen Festigkeitsund Verformungseigenschaften gewährleistet. Wenn Stahl bei tiefen Temperaturen eingesetzt werden soll, muss eine Stahlsorte gewählt werden, die eine ausreichende Zähigkeit bei den angestrebten Einsatztemperaturen aufweist, da Stahl bei tiefen Temperaturen und nicht genügender Zähigkeit spröde brechen kann. Sprödbruch ist immer auszuschließen, da es sich hierbei um einen plötzlichen Bruch des Bauteils ohne vorherige Ankündigung z. B. durch Verformung handelt. Die Gewährleistung einer Mindestzähigkeit der eingesetzten Stähle erfolgt über die in den jeweiligen Produktnormen spezifizierten Anforderungen an die Kerbschlagzähigkeit, die mit Hilfe des Kerbschlagbiegeversuchs bei definierter Prüftemperatur nachgewiesen wird. Die in den Produktnormen der Baustähle angegebene Anforderung an die Kerbschlagarbeit, z. B. T27J = –20 °C für einen S355J2H, stellt hierbei lediglich eine Mindestanforderung an die Zähigkeitseigenschaften des Stahls dar, die sich u. a. in der Bezeichnung der Stahlsorte widerspiegelt (s. Bild 2). Bild 1. Einsatz von Stahl bei tiefen Temperaturen am Beispiel von Masten für Skilifte (Fotos: Fa. Pomagalski) Fig. 1. Use of steel at low temperatures exemplary shown for masts of ski-lifts (photos: Pomagalksi) © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 80 (2011), Heft 7, S. 520 - 529 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 521 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Zusatzsymbole für Stähle Hauptsysmbole C D H W ... Stahlgruppe S Baustahl P Stahl für Druckbehälter ... ... mit besonderer Kaltumformbarkeit für Schmelztauchüberzüge Hohlprofile wetterfest ... Hauptsysmbole Zusatzsymbole für Stahlerzeugnisse Mechanische Eigenschaften S... Minimalwert der Streckgrenze [N/mm2] ... ... Besondere Anforderungen +H mit Härtbarkeit +Z15 Mindest-Brucheinschnürung senkrecht zur Oberfläche 15 % … … Zusatzsymbole für Stähle Mechanische Eigenschaften Kerbschlagarbeit Prüftemperatur 27J 40J 60J [°C] JR KR LR +20 J0 K0 L0 r0 J2 K2 L2 -20 J3 K3 L3 -30 J4 K4 L4 -40 J5 K5 L5 -50 J6 K6 L6 -60 Zusatzsymbole für Stahlerzeugnisse S355J2H+Z15 Art des Überzugs +A feueraluminiert + CU Kupferüberzug +Z feuerverzinkt ... ... Zusatzsymbole für Stahlerzeugnisse Behandlungszustand +A weichgeglüht +AR wie gewalzt +C kaltverfestigt +CR kaltgewalzt +M thermomechanisch umgeformt +N normalgeglüht oder normalisierend umgeformt +QT vergütet +SR spannungsarmgeglüht ... ... Zusatzsymbole für Stähle Physikalische Eigenschaften M thermomechanisch gewalzt (KV t 40 J bei T = -20°C) ML thermomechanisch gewalzt (KV t 27 J bei T = -50°C) N normalgeglüht/normalisierend gewalzt (KV t 40 J bei T = -20°C) NL normalgeglüht/normalisierend gewalzt (KV t 27 J bei T = -50°C) Bild 2. Bezeichnungssystem der Stähle nach DIN EN 10027-1 [1] Fig. 2. Designation system for steels according to DIN EN 10027-1 [1] Die baupraktische Bedeutung der in den Produktnormen spezifizierten Mindestkerbschlagarbeit ist vielen Anwendern aber nicht klar. So ist z. B. eine weit verbreitete Meinung, dass ein Stahl unabhängig von der Bauteildicke nur bis zu der in der Produktnorm spezifizierten Temperatur, bei der die Mindestanforderung an die Kerbschlagarbeit erfüllt sein muss, eingesetzt werden darf. Dies ist nicht der Fall. Im vorliegenden Beitrag soll die Aussagekraft des Kerbschlagbiegeversuchs und die daraus resultierende Bedeutung der in den Produktnormen spezifizierten Mindestanforderung an die Kerbschlagarbeit sowie die modernen Konzepte zur Werkstoffwahl zur Vermeidung von Sprödbruch bei Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen bei tiefen Temperaturen erläutert werden. ausgeprägte Abhängigkeit der erzielten Kerbschlagarbeit KV von der Probentemperatur T, wie es im Bild 5 in einem typischen KV-T-Diagramm dargestellt ist. Während die Hochlage durch hohe Kerbschlagarbeitswerte bei hohen Temperaturen und Gleitbruch gekennzeichnet ist, tritt bei tiefen Temperaturen und geringen Kerbschlagarbeitswerten in der Tieflage der sogenannte Spalt- bzw. Sprödbruch ein. Dazwischen liegt der breit streuende Übergangsbereich, bei dem der Bruch sowohl aus Anteilen verformungsreichen Gleit- als auch verformungslosen Spaltbruchs besteht. Der Übergangsbereich wird in den Produktnormen durch die im unteren Bereich der KV-T-Kurve liegende Übergangstemperatur Tü = T27J bzw. T40J Pendelschlagwerk Bild 4. Modernes instrumentiertes 450 J-Pendelschlagwerk (Institut für Metallund Leichtbau der Universität Duisburg-Essen) Fig. 4. Modern instrumented 450 J-impact testing machine (Institut für Metall- und Leichtbau der Universität Duisburg-Essen) angegeben. Je niedriger die Übergangstemperatur T27J bzw. T40J ist, desto weiter ist der Übergangstemperaturbereich hin zu niedrigen Temperaturen verschoben und desto zäher ist der verwendete Stahl. Die Übergangstemperatur ist allerdings keinesfalls mit der Bauteil-Einsatztemperatur gleichzusetzen. Da der Kerbschlagbiegeversuch lediglich das Werkstoffverhalten hinsichtlich der Zähigkeit widerspiegelt, jedoch keine Aussage zum komplexen Bauteilverhalten unter Berücksichtung der diversen Einflussfaktoren wie Blechdicke, Spannungszustand, Einsatztemperatur, Kaltverformung etc. macht, kann der Kerbschlagbiegeversuch nicht direkt als Prüfverfahren zur Beurteilung der Sprödbuchanfälligkeit eines Bauteils herangezogen werden. Der Kerbschlagbiegeversuch stellt aber einen sehr einfach durchWiderlager Schleppzeiger Widerlager Kerbschlagbiegeprobe 2 Der Kerbschlagbiegeversuch und seine baupraktische Bedeutung Ausgangsposition Auflager Hammer Beim Kerbschlagbiegeversuch nach DIN EN 10045-1 [2] wird eine mit einer mittigen Kerbe versehene Probe der Maße 55 mm × 10 mm × 10 mm in einem Pendelschlagwerk mit einem einzigen Schlag bei definierter Temperatur durchschlagen (s. Bilder 3 und 4). Die dabei in Joule gemessene Schlagarbeit ist nach Norm „ein Maß für die Widerstandsfähigkeit der Werkstoffe gegen schlagartige Beanspruchung“. Kennzeichnend für unsere üblicherweise ferritischen Baustähle ist eine Auftrefflinie der Finnenschneide Steigwinkel E Position nach dem Schlag Auflager Fallwinkel D Charpy-V-Probe Hammerfinne Fallhöhe hF Kerbschlagbiegeprobe Steighöhe hS Widerlager 10 Auflager Maschinensockel 55 10 10 Standard 8 r=0,25 45° 10 7,5 oder 5 Untermaßprobe Bild 3. Kerbschlagbiegeversuch: Prinzip eines Pendelschlagwerks und Probenabmessungen einer Charpy-V-Kerbschlagbiegeprobe nach DIN EN 10045-1 [2] Fig. 3. Impact Test: Principle of an impact testing machine and dimensions of a Charpy-V-test specimen according to DIN EN 10045-1 [2] Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 3 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 522 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Kerbschlagarbeit KV Kerbschlagarbeit-Temperatur-Kurve KV-T-Kurve und Steine, der Universität Karlsruhe und University of Toronto [6], sowie der Universität Duisburg-Essen [7], bei denen an warmgefertigten Hohlprofilen anhand von Kerbschlagbiegeversuchen die KV-T-Kurven an verschiedenen Positionen entlang des Umfangs der Profile ermittelt wurden. In Bild 7 sind experimentell ermittelte KV-T-Kurven eines warmgefertigten rechteckigen Hohlprofils RHS 100 × 100 × 12,5 der Stahlsorte S355J2H dargestellt, die der Untersuchung von Kosteski, Packer und Puthli [6] entnommen sind. Warmgefertigte Hohlprofile weisen über ihren Umfang eine sehr homogene Verteilung Einflüsse auf die Lage des Temperaturübergangsbereichs Hochlage Beanspruchungsbedingte Einflussgrößen Gleitbruch Übergangsbereich Geschwindigkeit Kerbtiefe, Risslänge Werkstoffbedingte Einflussgrößen Kaltverformung Alterung Kornverfeinerung Reinheitsgrad Phosphor, Schwefel Kohlenstoff Mischbruch Tieflage Spaltbruch Tü Temperatur T Bild 5. Kerbschlagarbeit-Temperatur-Kurve Fig. 5. Impact energy-temperature-curve zuführenden Versuch dar, weshalb in den Produktnormen die Zähigkeit eines Werkstoffs als Mindestanforderung einer definierten Kerbschlagarbeit bei definierter Temperatur angegeben wird. 3 Zähigkeitsanforderungen gemäß Produktnormen In den Produktnormen für Baustähle, der Normenreihe der DIN EN 10025-1 bis 6 [3] für warmgefertigte Lang- und Flacherzeugnisse bzw. der DIN EN 10210-1 [4] für warmgefertigte Hohlprofile und DIN EN 10219-1 [5] für kaltgefertigte Hohlprofile, wird die Zähigkeit eines Baustahls durch die Mindestanforderung an die Temperatur bei einer definierten Kerbschlagarbeit (i. d. R. 27 J oder 40 J) gefordert. Exemplarisch bedeutet dies für einen S355J2H nach DIN EN 10210, dass der Stahl bei –20 °C Prüftemperatur mindestens 27J Kerbschlagarbeit aufweisen muss. Üblicherweise liegt die erzielte Kerbschlagarbeit bei –20 °C aber wesentlich höher als nach Norm gefordert, so dass die vorhandene T27JTemperatur erheblich niedriger ist und der Stahl damit eine deutlich höhere Zähigkeit aufweist. In Bild 6 ist das prinzipielle Verhalten dargestellt. Das Gleiche gilt für einen S355NH nach DIN EN 10210: hier wird nach Produktnorm bei –20 °C eine Mindestkerbschlagarbeit von 40 J gefordert. Auch diese wird in der Regel bei Qualitätsstählen weit überschritten. Bestätigt wird das zuvor beschriebene Zähigkeitsverhalten durch experimentelle Untersuchungen an der Versuchsanstalt für Stahl, Holz 4 Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 KV gemessene KV-T-Kurve eines S355NH KV > 40J gemessene KV-T-Kurve eines S355J2H KV > 27J Mindestanforderung nach Produktnorm für einen S355NH KV = 40J KV = 27J Mindestanforderung nach Produktnorm für einen S355J2H T40J < -20°C T27J -20°C < -20°C T Bild 6. Vergleich der nach Produktnorm geforderten T27J-Temperatur für einen S355J2H bzw. T40J-Temperatur für einen S355NH mit einer jeweils für einen Qualitätsstahl typischen, tatsächlich vorhandenen Kerbschlagarbeit-Temperatur-Kurve FIg. 6. Comparison of the required T27J-temperature for a S355J2H respectively T40J-temperature for a S355NH according to the product standard considering typical, realistic impact-energy-temperature-curves Bild 7. KV-T-Kurven eines warmgefertigten rechteckigen Hohlprofils RHS 100 × 100 × 12,5 der Stahlsorte S355J2H aus einer Untersuchung von Kosteski, Packer und Puthli [6] Fig. 7. KV-T-curves of a hot-finished rectangular hollow section RHS 100 × 100 × 12,5, S355J2H as a result from investigations carried out by Kosteski, Packer and Puthli [6] 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 523 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen der Festigkeiten und Zähigkeiten auf, was sich auch in Bild 7 bestätigt findet. Im Rahmen der Forschungsarbeiten von Kosteski, Packer und Puthli wurde die Zähigkeitsverteilung entlang des Umfangs von hauptsächlich kaltgefertigten Hohlprofilen und einem warmgefertigten rechteckigen Hohlprofil experimentell mit Hilfe von Kerbschlagbiegeversuchen untersucht. Hierbei wurden längsorientierte Kerbschlagbiegeproben sowohl aus den Flanschen als auch aus den Ecken mit innen liegender und außen liegender Kerbe entnommen. Des Weiteren wurde aus den Flanschen auch eine querorientierte Kerbschlagbiegeprobe untersucht. Es ist eindeutig zu erkennen, dass alle längsorientierten Proben einen sehr ähnlichen KV-T-Kurvenverlauf mit hohen Kerbschlagarbeitswerten haben. Selbst die – i. d. R. nicht maßgebende – querorientierte Kerbschlagbiegeprobe zeigt sehr hohe Kerbschlagarbeitswerte. Bei –20 °C ergibt sich für die längsorientierten Proben als unterster Mittelwert eine Kerbschlagarbeit von KVl = 151 J und für die querorientierte Probe KVq = 127 J – in beiden Fällen wesentlich höher als die nach Norm geforderten 27 J Kerbschlagarbeit. Selbst bei der niedrigsten Prüftemperatur von –45 °C ergibt sich für die längsorientierten Proben immer noch ein unterster Mittelwert von KVl = 54 J und für die querorientierte Probe KVq = 83 J. Am Institut für Metall- und Leichtbau der Universität DuisburgEssen wurden weitere acht warmgefertigte MSH-Profile untersucht, die von der Firma Vallourec & Mannesmann zur Verfügung gestellt wurden [7]. Die Profile der Stahlsorten S355J2H und S355J0H entstammen den Werken Hamm, Düsseldorf und Mülheim und decken damit die drei Herstellungsverfahren nahtlos – Stopfenwalzverfahren (Werk Düsseldorf), nahtlos – Rohrkonti-Walzverfahren (Werk Mülheim) und geschweißt – warm umgeformt (Werk Hamm) ab. Die geometrischen Abmessungen variieren zwischen 500 × 300 × 20 bis 120 × 120 × 11 (s. Tabelle 1). Insgesamt wurden 464 Kerbschlagbiegeversuche mit Charpy-V-Proben nach DIN EN 10045-1 aus den Gurt- und Eckbereichen mit unterschiedlichen Kerblagen in den Eckbereichen (innen und außen) und unterschiedlicher Tabelle 1. Versuchsprogramm – MSH-Profile (Universität Duisburg-Essen) [7] Table 1. Test program – MSH hollow sections (University of Duisburg-Essen) [7] Kurzbezeichnung Profilmaße Stahlsorte Anzahl der Charpy-V-Proben Herstellungsverfahren Gurte A Ecken „B“, „C“ L T I A Ham 12,5 400 × 400 × 12,5 S355J2H 20 20 10 10 geschweißt Ham 16,0 400 × 300 × 16,0 S355J2H 20 20 12 12 geschweißt Ham 20,0 500 × 300 × 20,0 S355J2H 20 20 10 10 geschweißt D 12,5 180 × 180 × 12,5 S355J2H 20 20 10 10 Stopfenwalzverfahren D 16,0 250 × 150 × 16,0 S355J2H 20 20 12 12 Stopfenwalzverfahren D 17,5 200 × 200 × 17,5 S355J2H 20 20 12 12 Stopfenwalzverfahren D 20,0 300 × 300 × 20,0 S355J2H 20 20 12 12 Stopfenwalzverfahren Mh 11,0 120 × 120 × 11,0 S355J0H 20 20 18 18 Rohrkonti-Walzverfahren Probenlage in den Flanschbereichen (longitudinal und transversal) bei Prüftemperaturen zwischen +20 °C bis –85 °C durchgeführt (s. Bild 8). Die Auswertung der Versuche erfolgte in Anlehnung an die Auswertung von Versuchen an kaltgefertigten Hohlprofilen, die für den JRC-Hintergrundbericht „Choice of Steel Material to Avoid Brittle Fracture for Hollow Section Structures, Addition to EN 19931-10“ am Institut und Lehrstuhl für Stahlbau und Leichtmetallbau der RWTH Aachen angefertigt wurde [8]. Die hier beschriebenen Versuchsergebnisse sind in diesem Hintergrundbericht verarbeitet worden. In Bild 9 sind exemplarisch für sechs der untersuchten Profilquerschnitte die experimentell ermittelten KV-T-Kurvenverläufe dargestellt. Auch hier wird ersichtlich, dass die untersuchten warmgefertigten Hohlprofile unabhängig von ihrer Herstellungsart eine homogene Verteilung der Zähigkeitseigenschaften über ihren Umfang in den Gurt- und Eckbereichen aufweisen (s. auch Bild 10). Die KV-T-Kurven in Bild 9 wurden durch Approximation der Messwerte über die folgende tanh-Funktion ermittelt, um aus dieser auch die T27J-Temperaturen bestimmen zu können: ⎡ ⎛ T − B⎞ ⎤ . KV = A ⎢1 + tanh ⎜ ⎝ C ⎟⎠ ⎥⎦ ⎣ (1) A, B und C beschreiben dabei Koeffizienten zur Anpassung der Funktion an die Messwerte. Die Bestimmung der Koeffizienten erfolgte mit der Methode der kleinsten Fehlerquadrate an den Mittelwerten aus den jeweiligen Probensätzen. Die mit Hilfe der Funktion auf der Basis der Messwerte berechneten T27J-Temperaturen T27J,exp sind in Tabelle 2 getrennt für die Longitudinal- und Transversal-Proben als Bild 8. Lage der Kerbschlagbiegeproben [7] Fig. 8. Orientation of the impact test specimens [7] Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 5 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 11:25 Seite 524 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen RHS 500 x 300 x 20,0, S355J2H (Werk Hamm) RHS 400 x 300 x 16,0, S355J2H (Werk Hamm) SHS 300 x 300 x 20,0, S355J2H (Werk Düsseldorf) SHS 200 x 200 x 17,5, S355J2H (Werk Düsseldorf) SHS 180 x 180 x 12,5, S355J2H (Werk Düsseldorf) SHS 120 x 120 x 11,0, S355J0H (Werk Mülheim) Bild 9. Experimentell ermittelte KV-T-Kurven von warmgefertigten MSH-Profilen aus der Untersuchung der Universität Duisburg-Essen [7] Fig. 9. Experimental KV-T-curves of hot-finished MSH hollow sections as a result from investigations carried out at the University of Duisburg-Essen [7] gewichtete Mittelwerte getrennt nach der Herstellungsart und als gewichtete Mittelwerte über alle drei Herstellungsarten zusammengestellt und der nach Produktnorm geforderten, nominellen T27J-Temperatur T27J,nom gegenübergestellt. Ferner sind die Kerbschlagarbeitswerte bei den nach Produktnorm geforderten Prüftemperaturen von –20 °C für S355J2H bzw. 0 °C für S355J0H ausgewertet. Aus Tabelle 2 wird ersichtlich, dass sowohl für die Stahlsorte S355J2H als auch für die Stahlsorte S355J0H in Longitudinal- und in Transversalrichtung mit Werten um ∼ –100 °C wesent- 6 Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 lich bessere T27J-Temperaturen vorliegen als nach Produktnorm gefordert. Danach ergeben sich über alle untersuchten Profile im Mittel Differenzen zwischen der experimentellen T27JTemperatur T27J,exp und der nominellen T27J-Temperatur T27J,nom von ΔT27J = –84 K für die Longitudinalrichtung und ΔT27J = –77 K für die Transversalrichtung. Des Weiteren wird ersichtlich, dass die Kerbschlagarbeitswerte bei der nach Produktnorm geforderten Prüftemperatur von T = –20 °C bzw. 0 °C mit Werten größer 200 J in Longitudinalrichtung wesentlich über den geforderten 27 J liegen. Von generellem Interesse sind auch die Hochlagenwerte der Kerbschlagarbeit KVUS (US: Upper Shelf). Diese können entweder aus der berechneten KV-T-Kurve oder aus den experimentellen Ergebnissen direkt abgeleitet werden. Die Hochlage gibt den maximalen Wert der Kerbschlagarbeit an. Dieser lässt sich bei Verwendung der tanh-Funktion direkt durch den Koeffizienten A bestimmen. Da es sich bei der Ermittlung der KVT-Kurve um eine Ausgleichsrechnung handelt, stimmen die errechneten Werte für die Hochlage nicht zwingend mit den experimentell ermittel- 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 525 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Tabelle 2. Gemessene Kerbschlagarbeitswerte bei T = –20 °C (für S355J2H) bzw. 0 °C (für S355J0H) sowie Gegenüberstellung der aus gemessenen Werten ermittelten T27J-Temperaturen T27J,exp mit den nach Produktnorm nominell geforderten Werten T27J,nom (Universität Duisburg-Essen) [7] Table 2. Measured impact values at T = –20 °C (S355J2H) respectively 0 °C (S355J0H) and comparison of the T27J-temperatures T27J,exp calculated from measured values with nominal values T27J,nom required in the product standard (University of Duisburg-Essen) [7] Werk KV bei T27J,nom in J ΔKV = KV – 27 J T27J,exp in J in °C ΔT27J = T27J,exp – T27J,nom in K alle Longitudinalproben (gewichtete Mittelwerte) S355J2H (T27J,nom = –20 °C) Hamm (3 Profile) 237 210 –134 –114 Düsseldorf (4 Profile) 188 161 –75 –55 Auswertung über alle Longitudinalproben S355J2H (T27J,nom = –20 °C) gewichteter Mittelwert – L 209 S355J2H 182 –100 –80 Alle Longitudinalproben (Mittelwerte) S355J0H (T27J,nom = 0 °C) Mülheim (1 Profil) 233 206 –109 –109 Auswertung über alle Longitudinalproben S355J2H u. S355J0H gewichteter Mittelwert – L – S355J2H u. S355J0H – –101 –84 Alle Transversalproben (gewichtete Mittelwerte) S355J2H (T27J,nom = –20 °C) Hamm (3 Profile) 191 164 –102 –82 Düsseldorf (4 Profile) 171 144 –83 –63 Auswertung über alle Transversalproben S355J2H (T27J,nom = –20 °C) gewichteter Mittelwert – T 180 S355J2H 153 –91 –71 Alle Transversalproben (Mittelwerte) S355J0H (T27J,nom = 0 °C) Mülheim (1 Profil) 181 154 –120 –120 Auswertung über alle Transversalproben S355J2H u. S355J0H gewichteter Mittelwert - T S355J2H u. S355J0H – – ten Werten bei +20 °C überein. Um die Hochlagenwerte weder zu übernoch zu unterschätzen, wurden im Rahmen der vorgenommenen Auswertung für die Werte von KVUS die experimentell ermittelten Werte als Mittelwert bei +20 °C angesetzt: KVUS = KV20°C,exp . (2) Diese Vorgehensweise ist bei den vorliegenden Profilen zulässig, da sich alle der Untersuchung zugrunde liegenden Hohlprofile bei T = +20 °C in der Hochlage befinden. Eine generelle Übertragung auf andere Profile oder Flacherzeugnisse ist aber nicht zwangsläufig möglich. Wie aus Bild 11 ersichtlich wird, zeigen alle Hohlpro- –95 –77 file Hochlagenwerte unabhängig von ihrer Lage von KVUS größer 200 J bzw. anders formuliert: streuen um einen Wert von ca. 250 J. Die zur Hochlage gehörende Temperatur TUS lässt sich nicht direkt berechnen, da sich die tanh-Funktion ihrem Maximalwert asymptotisch für T → ∞ nähert. Aus diesem Grund wurde die TUS-Temperatur bei 97,5 % des bei +20 °C aus der berechneten KV-T-Kurve resultierenden KV-Wertes KV20°C,calc abgeleitet: TUS = T0,975⋅KV 20° C,calc . (3) Auf dieser Basis wurde TUS relativ nah an KVUS konservativ bestimmt. Anstelle der 97,5 % kann aber auch ein Wert von 95 % o. ä. angesetzt werden. Da es keine einheitliche Definitionsgrundlage für TUS gibt, ist diese nur stets anzugeben. In Bild 12 sind die Temperaturen TUS für die Eck- und Gurtbereiche angegeben. Zusammenfassend wird aus der durchgeführten Untersuchung deutlich, dass die Zähigkeitseigenschaften der hier untersuchten warmgefertigten Hohlprofile der Stahlsorten S355J2H und S355J0H ausgesprochen gut sind. Derzeit laufen am Institut für Metall- und Leichtbau der Universität Duisburg-Essen weitere Untersuchungen an dünneren warmgefertigten Hohlprofilen der Stahlsorte S355J2H mit einer Wanddicke von 10 mm, an denen Kerbschlagbiegeproben als Untermaßproben untersucht werden. Aufgrund der geringen Wanddicken sind ähnlich gute bis noch bessere Ergebnisse zu erwarten. Die vorgenannten Untersuchungen wurden nicht für Stähle der Festigkeiten S235, S275, S420 und S460 durchgeführt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass bei diesen Festigkeitsklassen ein gleichwertiges Verhalten zu verzeichnen ist, zumal in den Festigkeitsklassen S420 und S460 nur Feinkornbaustähle der Güten N bzw. NL angeboten werden, die auf Grund ihres Fertigungsprozesses per se bessere Zähigkeitseigenschaften aufweisen. Zur abschließenden Validierung sind für diese Festigkeitsbereiche allerdings noch vergleichende stichprobenartige Untersuchungen durchzuführen. Des Weiteren sind noch die dicken Wanddickenbereiche größer 20 mm zu untersuchen, die eher selten und dann in Sonderkonstruktionen zum Einsatz kommen, um letztendlich die Übertragbarkeit der Ergebnisse auch auf diese Wanddickenbereiche gewährleisten zu können. 4 Werkstoffwahl zur Vermeidung von Sprödbuch bei tiefen Temperaturen 4.1 Sprödbruchkonzept der DIN EN 1993-1-10 Unter Verwendung der Zähigkeitsanforderungen an den Werkstoff aus der Produktnorm wurde ein bruchmechanisches Konzept zur Werkstoffwahl zur Vermeidung von Sprödbruch bei tiefen Temperaturen entwickelt ([9], [10]), dass auf europäischer Ebene in der DIN EN 1993-1-10 [11] und [12] und auf nationaler Ebene in der Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 7 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 526 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Bild 10. Gegenüberstellung der experimentell ermittelten T27J-Temperaturen in Abhängigkeit der Herstellwerke und der Probenlage (Gurt-Ecke) Fig. 10. Comparison of the experimental T27J-temperatures in dependence on the production plants and the orientation of the test specimens (flange-corner) Bild 11. Gegenüberstellung der experimentell ermittelten Kerbschlagarbeitswerte KVUS = KV20°C,exp in Abhängigkeit der Herstellwerke und der Probenlage (Gurt-Ecke) Fig. 11. Comparison of the experimental impact values KVUS = KV20°C,exp dependent on the production plants and the orientation of the test specimens (flange-corner) Bild 12. Gegenüberstellung der Hochlagenwerte TUS (bei 97,5 % KV20°C,calc) in Abhängigkeit der Herstellwerke und der Probenlage (Gurt-Ecke) Fig. 12. Comparison of the temperature values for the upper shelf TUS (at 97,5 % KV20°C,calc) dependent on the production plants and the orientation of the test specimens (flange-corner) DASt-Richtlinie 009 [13] seinen Eingang gefunden hat. Dieses Sprödbruchkonzept berücksichtigt neben den Zähigkeitseigenschaften das Beanspruchungsniveau, die Einsatztemperatur, die Bauteildicke, die Beanspruchungsgeschwindigkeit u. a. Die Zähigkeitseigenschaften werden hierbei über die in den Produktnormen angegebene Mindestanforderung an die Kerbschlagarbeit bei definierter Prüftemperatur berücksichtigt, da die eigentlich erforderliche Größe, die bruchmechanische Zähigkeit KIc, keine Größe ist, die in den Produkt- 8 Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 normen angegeben werden kann, da sie unter anderem bauteilabhängig ist. Bei der einfachsten und sicherlich auch am häufigsten gewählten Vorgehensweise nach diesem Konzept erfolgt die Auswahl der erforderlichen Stahlgütegruppe in Abhängigkeit der Stahlsorte (Festigkeit), Bezugstemperatur TEd und Bezugsspannung σEd anhand einer Tabelle mit zulässigen Erzeugnisdicken (s. Tabelle 3), die für ermüdungsbeanspruchte Bauteile alle Kerbfälle nach DIN EN 1993-1-9 [14] abdeckt. Hierbei entspricht die Bezugstemperatur TEd im Regelfall der Einsatztemperatur Tmdr des betrachteten Bauteils (s. Tabelle 4), und die Bezugsspannung σEd resultiert aus der statischen Berechnung aus der Einwirkungskombination für die außergewöhnliche Bemessungssituation. Das Sprödbruchkonzept der DIN EN 1993-1-10 basiert auf Großbauteilversuchen an Flachstählen, deren tatsächlich vorhandenen Zähigkeitseigenschaften wesentlich besser waren als nach Produktnorm gefordert. Im Detail bedeutet dies, dass die gemessenen T27JTemperaturen im Vergleich zu den nominellen T27J-Temperaturen nach Produktnorm im Mittel eine Abweichung von ΔΔTR = -45 K aufwiesen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache und der Modellungenauigkeit sowie des im Eurocode angestrebten Sicherheitsindex von β = 3,8 ergab sich für das Sprödbruchkonzept der EN 1993-1-10 ein additives Teilsicherheitselement von ΔTR = –7 K [9], das implizit in den Tabellenwerten der Tabelle 3 enthalten ist. 4.2 Anwendbarkeit der DIN EN 1993-1-10 auf warmgefertigte Hohlprofile nach DIN EN 10210 Neben der Untersuchung der Zähigkeitsverteilung entlang des Umfangs sollte mit den bereits erläuterten Untersuchungen am Institut für Metallund Leichbau der Universität Duisburg-Essen eine Aussage über die prin- 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 527 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Tabelle 3. Zulässige Erzeugnisdicken t in mm zur Gewährleistung ausreichender Bruchzähigkeit nach DIN EN 1993-1-10 Table 3. Maximum permissible plate thicknesses t in mm to ensure sufficient fracture toughness according to DIN EN 1993-1-10 Stahlsorte Bezugstemperatur TEd in °C1) Kerbschlagarbeit KV Stahlsorte Stahlgütegruppe bei T in °C Jmin 10 0 –10 –20 –30 –40 –50 10 σEd = 0,75 · JR S235 S275 90 75 65 55 45 –10 –20 –30 –40 –50 σEd = 0,25 · fy(t) 20 27 60 50 40 35 30 25 20 40 35 135 115 100 85 75 65 60 J0 0 27 90 75 60 50 40 35 30 125 105 90 75 65 55 45 175 155 135 115 100 85 75 J2 –20 27 125 105 90 75 60 50 40 170 145 125 105 90 75 65 200 200 175 155 135 115 100 JR 20 27 55 45 35 30 25 20 15 80 70 55 50 40 35 30 125 110 95 80 70 60 55 J0 0 27 75 65 55 45 35 30 25 115 95 80 70 55 50 40 165 145 125 110 95 80 70 J2 –20 27 110 95 75 65 55 45 35 155 135 115 95 80 70 55 200 190 165 145 125 110 95 –20 40 135 110 95 75 65 55 45 180 155 130 115 95 80 70 200 200 190 165 145 125 110 ML/NL –50 27 185 160 135 110 95 75 65 200 200 180 155 130 115 95 230 200 200 200 190 165 145 JR 20 27 40 35 25 20 15 15 10 65 55 45 40 30 25 25 110 95 80 70 60 55 45 95 80 65 55 45 40 30 150 130 110 95 80 70 60 J0 0 27 60 50 40 35 25 20 15 J2 –20 27 90 75 60 50 40 35 25 135 110 95 80 65 55 45 200 175 150 130 110 95 80 K2/M/N –20 40 110 90 75 60 50 40 35 155 135 110 95 80 65 55 200 200 175 150 130 110 95 ML/NL –50 27 155 130 110 90 75 60 50 200 180 155 135 10 95 80 210 200 200 200 175 150 130 M/N –20 40 45 35 30 140 120 100 85 70 60 50 200 185 160 140 120 100 85 ML/NL –50 27 135 115 95 80 65 55 45 190 165 140 120 100 85 70 200 200 200 185 160 140 120 Q –20 30 70 60 50 40 30 25 20 110 95 75 65 55 45 35 175 155 130 115 95 M/N –20 40 90 70 60 50 40 30 25 130 110 95 75 65 55 45 200 175 155 130 115 95 80 S460 95 80 65 55 80 70 QL –40 30 105 90 70 60 50 40 30 155 130 110 95 75 65 55 200 200 175 155 130 115 95 ML/NL –50 27 125 105 90 70 60 50 40 180 155 130 110 95 75 65 200 200 200 175 155 130 115 QL1 –60 30 150 125 105 90 70 60 50 200 180 155 130 110 95 75 215 200 200 200 175 155 130 Q 0 40 15 10 10 S690 1) σEd = 0,50 · fy(t) 0 M/N S355 S420 0 –10 –20 –30 –40 –50 10 fy(t)(1) 40 30 25 20 65 55 45 35 30 20 20 120 100 85 75 60 50 45 Q –20 30 50 40 30 25 20 15 10 80 65 55 45 35 30 20 140 120 100 85 75 60 50 QL –20 40 60 50 40 30 25 20 15 95 80 65 55 45 35 30 165 140 120 100 85 75 60 QL –40 30 75 60 50 40 30 25 20 115 95 80 65 55 45 35 190 165 140 120 100 85 75 QL1 –40 40 90 75 60 50 40 30 25 135 115 95 80 65 55 45 200 190 165 140 120 100 85 QL1 –60 30 110 90 75 60 50 40 30 160 135 115 95 80 65 55 200 200 190 165 140 120 100 In der Regel entspricht die Bezugstemperatur TEd der Einsatztemperatur Tmdr nach Tabelle 4. Tabelle 4. Einsatztemperaturen Tmdr für verschiedene Bauteile nach DIN EN 1993-1-10/NA Table 4. Operation temperature Tmdr for various applications according to DIN EN 1993-1-10/NA Zeile Bauteil Einsatztemperatur Tmdr in °C 1 Stahl- und Verbundbrücken 2 Stahltragwerke im Hochbau –30 2a außen liegende Bauteile –30 2b innen liegende Bauteile –30 3 Kranbahnen (außenliegende Bauteile) –30 4 4a Stahlwasserbau Verschlusskörper, die zeitweilig ganz oder zu einem großen Teil aus dem Wasser herausgenommen werden –30 4b einseitig von Wasser benetzte Verschlusskörper –15 4c beidseitig teilweise von Wasser benetzte Verschlusskörper –15 4d Verschlusskörper, die sich vollständig unter Wasser befinden –15 zipielle Anwendbarkeit der DIN EN 1993-1-10 zur Stahlsortenwahl auch auf warmgefertigte Hohlprofile getroffen werden. Dazu war insbesondere die Beantwortung der Fragestellung von Interesse, in welcher Höhe bei warmgefertigten Hohlprofilen die Abweichung zwischen den tatsächlich vorliegenden gemessenen T27J-Temperaturen und der nach Norm geforderten nominellen T27J-Temperatur liegt. Hierbei galt es auch zu untersuchen, ob die in der EN 1993-1-10 unterstellte Abweichung von ΔΔTR = –45 K zwischen den nominellen und experimentell ermittelten T27J-Temperaturen auch für warmgefertigte Hohlprofile angesetzt werden kann. Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 9 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 528 N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen Wie bereits erläutert, ergab sich die Temperaturdifferenz ΔT27J im Mittel über alle Profile zu ΔT27J = –84 K, die damit deutlich unter der Temperaturdifferenz ΔΔTR = –45 K liegt. Somit weisen die hier untersuchten warmgefertigten Hohlprofile wesentlich bessere Zähigkeitseigenschaften auf, als die im Rahmen der Entwicklung der EN 1993-1-10 untersuchten Flachstähle, was den Schluss zulässt, dass warmgefertigte Hohlprofile von dem in der EN 1993-1-10 enthaltenen Sicherheitselement von ΔTR = –7 K unterschätzt werden. Die EN 1993-1-10 liegt damit in ihrer Anwendbarkeit in Bezug auf warmgefertigte Hohlprofile auf der sicheren Seite. Dies bedeutet letztendlich, dass die DIN EN 1993-1-10 auch für warmgefertigte Hohlprofile eine wirtschaftliche Werkstoffwahl zulässt. Die Wahl einer höherwertigen Stahlsorte im Hinblick auf die Zähigkeit als nach den zulässigen Erzeugnisdicken der DIN EN 1993-1-10 erforderlich, bringt bezüglich der Vermeidung von Sprödbruch keinen Mehrwert und sollte aus Wirtschaftlichkeitsgründen vermieden werden. Es ist zu erkennen, dass für warmgefertigte Hohlprofile mit Wanddicken bis 20 mm selbst für das ungünstigste Spannungsniveau in Kombination mit der ungünstigsten Bezugstemperatur von –50 °C – mit Ausnahme von S355J0H – jede Stahlsorte einsetzbar ist. Bis zu Bezugstemperaturen von –40 °C kann bei Wanddicken bis zu 20 mm sogar jede verfügbare Stahlsorte eingesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass warmgefertigte Hohlprofile, wie in Abschnitt 3 erläutert, sehr gute Zähigkeitseigenschaften über den gesamten Umfang aufweisen, die wesentlich über den Anforderungen der Produktnorm liegen, ist die Wahl einer höherwertigen Stahlsorte als nach DIN EN 1993-1-10 aus dem Wunsch nach besseren Zähigkeitseigenschaften herrührend als unwirtschaftlich anzusehen. Exemplarisch bedeutet dies für Bauteile mit Wanddicken bis 25 mm aus der Standardgüte S355J2H, dass selbst bis Einsatztemperaturen bis –50 °C keine bemessungsrelevanten Vorzüge für die Wahl des höherwertigen S355NH vorliegen. 4.3 Werkstoffwahl zur Vermeidung von Sprödbruch beim Einsatz warmgefertigter Hohlprofile mit Wanddicken bis 20 mm Die Stahlsortenwahl für warmgefertigte Hohlprofile nach DIN EN 10210 im Wanddickenbereich bis 25 mm zeigt sich selbst bei tiefen Temperaturen als völlig unproblematisch, wenn die sogenannte Standardgüte S355J2H eingesetzt werden soll: nach DIN EN 1993-1-10 sind diese Profile bis –50 °C bei maximaler Beanspruchung einsetzbar; vorausgesetzt zusätzlich ungünstig wirkende Einflüsse aus Kaltverformung und erhöhte Dehnraten sind nicht vorhanden. Eine künstliche Forderung einer höherwertigen Stahlgüte, wie z. B. eines S355NH oder gar S355NLH, bringt in Bezug auf die Stahlsortenwahl zur Vermeidung von Sprödbruch keinen Vorteil und kann aus wirtschaftlichen Gründen vermieden werden. Experimentelle Untersuchungen am Institut für Metall- und Leichtbau der Universität Duisburg-Essen an warmgefertigten Hohlprofilen der Stahlsorten S355J2H und S355J0H mit Hilfe von Kerbschlagbiegeversuchen haben ergeben, dass diese eine ausgesprochen homogene Zähigkeitsverteilung entlang des Umfangs aufweisen und so hohe Kerbschlagarbeitswerte – auch bei tiefen Temperaturen – Quadratische und rechteckige, warmgefertigte Hohlprofile werden in Europa heutzutage vornehmlich in Wanddicken bis 20 mm, runde, warmgefertigte Hohlprofile in Wanddicken bis 25 mm in der Standardgüte S355J2H eingesetzt, da diese Güte beim Handel auf Lager vorrätig ist. Die Frage, die sich nun im Wesentlichen für den Tragwerksplaner, Fertiger und Kunden stellt, ist, ob diese Standardgüte für den Einsatz auch bei tiefen Temperaturen ausreichend ist, oder ob eine höherwertige Güte, z. B. S355NH, eingesetzt werden muss. Dies ist natürlich von dem Beanspruchungsniveau und damit der statischen Auslastung sowie von der tatsächlichen Einsatztemperatur abhängig. Ausgehend von dem maximal möglichen Beanspruchungsniveau von σEd = 0,75 fy(t) sind in Bild 13 die maximal zulässigen Erzeugnisdicken nach DIN EN 1993-1-10 für die nach der Produktnorm für warmgefertigte Hohlprofile, der DIN EN 10210, geltenden Stahlsorten grafisch aufbereitet. 10 Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 5 Zusammenfassung vorliegen, dass die der Untersuchung zugrunde liegenden warmgefertigten Hohlprofile vom bruchmechanischen Bemessungskonzept der DIN EN 1993-1-10 zur Stahlsortenwahl unterschätzt werden, womit die Anwendbarkeit der DIN EN 1993-1-10 in Bezug auf warmgefertigte Hohlprofile auf der sicheren Seite liegt. Weitergehende Untersuchungen an dünnwandigen Hohlprofilen mit Untermaßproben sowie an eher dickwandigen Profilen (größer 20 mm) und den Festigkeiten S235, S275, S420 und S460 stehen noch aus. Da allerdings die bisher untersuchten Profile mit Wanddicken bis 20 mm aus S355J2H in Europa zu den derzeit gebräuchlichsten Profilen gehören, sind die für die Praxis maßgeblich relevanten, warmgefertigten Hohlprofile abgedeckt. Literatur [1] DIN EN 10027-1:2005-10: Bezeichnungssysteme für Stähle. Teil 1: Kurznamen. Deutsche Fassung EN 100271:2005. [2] DIN EN 10045-1:1991-04: Metallische Werkstoffe – Kerbschlagbiegeversuch nach Charpy. Teil 1: Prüfverfahren. Deutsche Fassung EN 10045-1:1990 [3] DIN EN 10025-1 bis 6: Warmgewalzte Erzeugnisse aus Baustählen – Teile 1 bis 6. [4] DIN EN 10210-1:2006-07: Warmgefertigte Hohlprofile für den Stahlbau aus unlegierten Baustählen und Feinkornbaustählen – Teil 1: Technische Lieferbedingungen. Deutsche Fassung EN 10210-1:2006. [5] DIN EN 10219-1:2006-07: Kaltgefertigte geschweißte Hohlprofile für den Stahlbau aus unlegierten Baustählen und aus Feinkornbaustählen – Teil 1: Technische Lieferbedingungen. Deutsche Fassung EN 10219-1:2006. [6] Kosteski, N., Packer, J. A., Puthli, R. S.: Notch Toughness of Cold-Formed Hollow Sections. CIDECT Report 1B-2/03, October 2003. [7] Stranghöner, N., Lorenz, C., Berg., J.: Zähigkeitsuntersuchungen an warmgefertigten Hohlprofilen. Versuchsbericht, 29.11.2010, Institut für Metall- und Leichtbau, Universität Duisburg-Essen. [8] Wardenier, J., Ritakallio, P., Iglesias, G., Puthli, R. S., Packer, J. A., Krampen, J., Feldmann, M., Eichler, B., Kühn, B., Stranghöner, N., Dahl, W., Langenberg, P., Kouhi, J., Pope, R., Sedlacek, G.: Choice of Steel Material to Avoid Brittle Fracture for Hollow Section Structures. Addition to EN 1993-1-10, JRC Scientific and Technical Report (in preparation). 12_520-529_Stranhoerner (1449)_000-000_Ziegler (3sp).qxd 27.06.11 08:18 Seite 529 S235 VEd = 0,75 fy (t) 5 S23 Zulässige Erzeugnisdicke t [mm] 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 Zulässige Erzeugnisdicke t [mm] J 0H 5 S23 -40 JRH -30 -20 -10 0 Bezugstemperatur TEd [°C] 10 180 170 160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 S275 VEd = 0,75 fy(t) S2 75 H NL 75 S2 H 5J2 S27 65 5 S27 45 35 25 -50 NH -40 J0H -30 -20 -10 0 Bezugstemperatur TEd [°C] 10 S355 VEd = 0,75 fy(t) S3 55 H NL 5 S3 H 5N S35 5J2 H 5J S35 35 25 15 -50 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 J2 H 5 S23 -50 Zulässige Erzeugnisdicke t [mm] 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 -40 0H -30 -20 -10 0 Bezugstemperatur TEd [°C] 10 S420 VEd = 0,75 fy(t) S4 20 S4 Zulässige Erzeugnisdicke t [mm] Zulässige Erzeugnisdicke t [mm] N. Stranghöner/J. Krampen/Ch. Lorenz · Einsatz von warmgefertigten Hohlprofilen mit Wanddicken bis 20 mm bei tiefen Temperaturen H NL H 20N 45 -50 -40 -30 -20 -10 0 Bezugstemperatur TEd [°C] 10 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 S460 VEd = 0,75 fy(t) S4 60 NL 6 S4 H 0N H 25 -50 -40 -30 -20 -10 0 Bezugstemperatur TEd [°C] 10 Bild 13. Zulässige Erzeugnisdicken für warmgefertigte Hohlprofile nach DIN EN 10210 gemäß DIN EN 1993-1-10 für das maximale Beanspruchungsniveau von σEd = 0,75 fy(t) Fig. 13. Maximum permissible wall thicknesses for hot-finished hollow sections according to DIN EN 10210 on the basis of DIN EN 1993-1-10 depending on a service stress of σEd = 0,75 fy(t) [9] Stranghöner, N.: Werkstoffwahl im Stahlbrückenbau. DASt-Forschungsbericht 4, Düsseldorf: Stahlbau Verlagsund Service GmbH 2006. [10] Kühn, B.: Beitrag zur Vereinheitlichung der europäischen Regelungen zur Vermeidung von Sprödbruch. Schriftenreihe Stahlbau-RWTH Aachen, Heft 54, Aachen: Shaker Verlag 2005. [11] DIN EN 1993-1-10:2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten – Teil 1-10: Stahlsortenauswahl im Hinblick auf Bruchzähigkeit und Eigenschaften in Dickenrichtung. Deutsche Fassung EN 19931-10:2005 + AC:2009. [12] DIN EN 1993-1-10/NA:2010-12: Nationaler Anhang – National festgelegte Parameter – Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten – Teil 1 bis 10: Stahlsortenauswahl im Hinblick auf Bruchzähigkeit und Eigenschaften in Dickenrichtung. [13] DASt-Richtlinie 009:2008: Stahlsortenauswahl für geschweißte Stahlbauten. Deutscher Ausschuß für Stahlbau, Düsseldorf: Stahlbau Verlags- und Service GmbH. [14] DIN EN 1993-1-9:2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten – Teil 1 bis 9: Ermüdung. Deutsche Fassung EN 1993-19:2005 + AC:2009. Autoren dieses Beitrages: Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Natalie Stranghöner, [email protected] Christoph Lorenz M.Sc., [email protected] Universität Duisburg-Essen, Institut für Metall- und Leichtbau, Universitätsstraße 15, 45141 Essen Dipl.-Ing. Jürgen Krampen, [email protected] V & M Deutschland GmbH, Theodorstraße 90, 40472 Düsseldorf Sonderdruck aus: Stahlbau 80 (2011), Heft 7 11 V & M DEUTSCHLAND GmbH Verkauf MSH-Profile Theodorstraße 90 40472 Düsseldorf Tel. +49 211 960-2881 Fax +49 211 960-2395 Technische Beratung Tel. +49 211 960-2523 Fax +49 211 960-2606 [email protected] Vallourec Gruppe Umschlag_neu.indd 1 V & M 3B0041B-11D www.vmtubes.de 26.10.2011 12:58:54