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Werkstatt: Praxis Heft 79
ImmoKlima Immobilien- und wohnungswirtschaftliche
Strategien und Potenziale zum Klimawandel
Ein Projekt des Forschungsprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) betreut vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundedesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).
Werkstatt: Praxis
In der Schriftenreihe Werkstatt: Praxis veröffentlicht das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ausgewählte, praxisorientierte Ergebnisse aus der Ressortforschung.
IMPRESSUM
Herausgeber
Bundesministerium für Verkehr,
Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin
Wissenschaftliche Begleitung
Bundesinstitut für Bau-, Stadtund Raumforschung (BBSR)
im Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung (BBR), Bonn
Bearbeitung
Institut Wohnen und Umwelt GmbH (IWU), Darmstadt
Iris Behr (Projektleitung)
Dr. Christian v. Malottki
Martin Vaché
Peter Werner
Andrea Ratschow
Nassauische Heimstätte, Frankfurt a.M./Weimar
Hans Fürst
Andrea Just
Bundesinstitut für Bau-, Stadtund Raumforschung (BBSR)
im Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung (BBR), Bonn
Ute Birk (Leitung)
Redaktion
Institut Wohnen und Umwelt GmbH (IWU), Darmstadt
Iris Behr
Druck
DCM Druck Center Meckenheim GmbH
Bestellungen
[email protected],
Stichwort: Werkstatt: Praxis 79
Nachdruck und Vervielfältigung
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Bitte senden Sie uns zwei Belegexemplare zu.
Die vom Auftragnehmer vertretene Auffassung ist
nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch.
ISSN 1436 - 0063 (Schriftenreihe)
ISBN 978-3-87994-980-9
Werkstatt: Praxis Heft 79
Berlin 2012
Inhalt
Zusammenfassung / Abstract
1
Themenstellung
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
1.7
2
3
4
5
6
7
8
8
13
Klimaschutz und Klimaanpassung als Herausforderungen des Klimawandels
13
Klimaschutz als Herausforderung für die Immobilienwirtschaft 13
Klimaanpassung als Herausforderung für die Immobilienwirtschaft
15
Synergien und Konflikte zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung
20
Struktur der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
21
Forschungsleitfragen 24
Auswahl der Pilotprojekte26
Technologie- und Innovationsstrategie
29
2.1 Technologieeinsatz: Motive und Ziele
2.2 Handlungsstrategien im Technologieeinsatz
2.3Fazit
29
33
34
Akteurslogiken und Kooperationen
35
3.1 Klima- und sonstige Ziele die in Kooperationen verwirklicht werden
3.2 Einflussgrößen gelungener Kooperationen
3.3 Kooperation mit professionellen Partnern
3.4 Kooperation mit unbezahlten Fachleuten und unbezahlten Ehrenamtlichen
3.5 Kooperation mit den Bewohnern
3.6 Kooperation mit Politik und Verwaltung
3.7 Kooperation bei der Energie- und Wärmeversorgung
3.8Fazit
35
38
38
39
40
40
42
43
Marktstrategien und wirtschaftlicher Nutzen
44
4.1 Unternehmensziele und Leitbilder
4.2 Marktstrategien bei kommunalen Projektentwicklungen
4.3 Marktstrategien bei kommerziellen Projektentwicklungen
4.4 Marktstrategien von Bestandshaltern
4.5 Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsbewertung
4.6 Wirtschaftlichkeitsbewertung bei kommerziellen Projektentwicklungen
4.7 Wirtschaftlichkeitsbewertung bei Bestandshaltern
4.8Fazit
44
46
46
47
48
48
49
52
Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
53
5.1 Synergien und Konflikte zwischen immobilienwirtschaftlichen und klimapolitischen Zielen
5.2 Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte in Kommunen
5.3 Die Immobilien- und Wohnungswirtschaft als Adressat von Klimaschutzkonzepten
5.4 Mitwirkungsbereitschaft der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
bei der Erstellung von integrierten Klimaschutzkonzepten
5.5 Mitwirkung der Immobilien- und Wohnungswirtschaft bei der Erstellung
von integrierten Klimaschutzkonzepten
5.6Fazit
53
53
54
Klimaanpassung und Risikomanagement
60
6.1Einführung
6.2 Transparenz und Wahrnehmung von Risiken
6.3 Defizite im Versicherungsmarkt
6.4 Kompensationsforderungen an die öffentliche Hand
6.5Fazit
60
60
62
63
63
Rahmenbedingungen: Recht, Förderung, Governance (gute Verwaltung) 64
7.1 Rechtliche Instrumente
7.2 Ökonomische Instrumente
7.3 Informelle Instrumente: Information, Beratung, Forschung
7.4Fazit
64
66
68
68
Schlussfolgerungen und Handlungserfordernisse
69
55
57
59
Literaturverzeichnis
9
10
11
12
13
14
15
Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Integrierte Energie-, Modernisierungsund Nutzerkonzepte im Quartier77
9.1 Das Projekt – Ausgangssituation
9.2Projektziele
9.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
9.4Projektforschung
78
80
80
82
Klimapakt Hamburg-Niendorf Nord: Integrierte Energie-,
Modernisierungs- und Nutzerkonzepte für 60er-Jahre-Bestände
83
10.1 Das Projekt – Ausgangssituation
10.2Projektziele
10.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenbündel
10.4Projektforschung
83
84
85
86
Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Integrierte nachhaltige Entwicklung
eines neuen Stadtquartiers durch private Akteure
87
11.1 Das Projekt – Ausgangssituation
11.2Projektziele
11.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
11.4Projektforschung
88
89
89
90
Interkulturelle Bildungs- und Begegnungsstätte Bodhicharya
in Berlin-Friedrichshain
91
12.1 Das Projekt – Ausgangssituation
12.2Projektziele
12.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
12.4Projektforschung
92
93
94
95
Klima, Umwelt und Soziales im Leitbild des Siedlungswerkes Stuttgart 96
13.1 Der Projektrahmen
13.2 FreiburgLeben 13.3 SeelbergWohnen in Stuttgart-Bad Cannstatt
13.4Projektforschung
96
98
100
101
Nachhaltige Unternehmensstrategie der Thierergruppe
102
14.1 Der Projektrahmen
14.2 Residenz Bellevue in Günzburg
14.3 Lechpark in Augsburg-Hochzoll
14.4 Prinz-Eugen-Park (PEP) in Günzburg
14.5Projektforschung
102
103
105
107
109
Solarenergetische Siedlung Marienhöhe in Erfurt: Projektentwicklung einer
solarenergetischen Siedlung110
15.1 Das Projekt – Ausgangssituation
15.2 Projektziele 15.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
15.4Projektforschung
16
72
110
112
113
114
„SolarGardenCity“ in Hoyerswerda; Klimagerechte Inwertsetzung von Stadt115
16.1 Das Projekt – Ausgangssituation
16.2 Projektziele 16.3 Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
16.4Projektforschung
115
116
117
118
Abbildungsverzeichnis
Abbildung
1: Karte der Klima-Anfälligkeitsraumtypen
19
Abbildung
2: Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
21
Abbildung
3: Baualtersverteilung deutscher Wohngebäude
23
Abbildung
4: Integrierte Wohnungs- und Immobilienwirtschaftliche Strategien zum Erreichen der Klimaziele 25
Abbildung
5: Lage der Pilotprojekte
27
Abbildung
6: Einordnung der Akteursrolle der Immobilien- und Wohnungsunternehmen
bei kommunalen Klimastrategien
57
Abbildung
7: Lageplan des Gesamtgebietes mit Projektgebiet
77
Abbildung
8: Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Bestand vorher mit Gebäudeeinschnitten (links)
und Bestand nachher mit 16 cm Wärmedämmung-Metallkassetten-Fassade
und Schließung der Gebäudeeinschnitte
78
9: Berlin-Tempelhof Marienhöhe
82
Abbildung 10: Übergabe des E-Autos an Stromtankstelle
82
Abbildung 11: Lage der Quartiere I - III
83
Abbildung 12: Hamburg-Niendorf Nord: Modernisiertes Hochhaus (oben) und
saniertes Hochhaus mit Solarfassade (unten)
86
Abbildung 13: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Bebauungsplan
87
Abbildung 14: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Besichtigung des Baufeldes und Alte Gleistrasse
88
Abbildung 15: Berlin-Friedrichshain: Lageplan des Quartiermanagementgebietes Boxhagener
Platz mit Projektstandort
91
Abbildung 16: Berlin-Friedrichshain: Neugestaltung des Hofgarten
92
Abbildung 17: Siedlungswerk Stuttgart: Struktur der Projektentwicklung
97
Abbildung 18: FreiburgLeben: Wettbewerbsentwurf des Projektes, Lageplan und Modell
98
Abbildung 19: FreiburgLeben 98
Abbildung
Abbildung 20:Stuttgart-Bad Cannstadt SeelbergWohnen 100
Abbildung 21: Stuttgart-Bad Cannstadt SeelbergWohnen
101
Abbildung 22: Residenz Bellevue in Günzburg: Bilder aus dem Quartier
104
Abbildung 23: Lechpark in Augsburg-Hochzoll
106
Abbildung 24: Prinz-Eugen-Park (PEP) in Günzburg: Vorhaben- und Erschließungsplan
108
Abbildung 25: Erfurt Marienhöhe, Lageplan
110
Abbildung 26: Gelände Marienhöhe in Erfurt
111
Abbildung 27: „SolarGardenCity“ in Hoyerswerda: Bilder aus dem Quartier
118
Tabellenverzeichnis
Tabelle
1: Technologische Lösungen in den Pilotprojekten
30
Tabelle
2: Erfolgsversprechende Kooperationen in den Pilotptojekten
36
Tabelle
3: Leitbilder und Marktstrategien an den Pilotstandorten
45
Tabelle
4: Entwicklung der Mieten im Quartier Marienhöhe (Bestand)
51
Tabelle
5: Kommunale Konzepte der Gemeinden in den Pilotstandorten
55
Tabelle
6: Beiträge der Projektträger zu Klimaschutzkonzepten und Stadtentwicklung an den Pilotstandorten
58
Tabelle
7: Rahmenbedingungen: Recht und Förderung an den Pilotstandorten
65
Tabelle
8: Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Das Wichtigste in Kürze
79
Tabelle
9: Hamburg-Niendorf Nord: Das Wichtigste in Kürze
84
Tabelle 10: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Das Wichtigste in Kürze
87
Tabelle 11: Bodhicharya in Berlin-Friedrichshain: Das Wichtigste in Kürze
91
Tabelle 12: Siedlungswerk Stuttgart: Das Wichtigste in Kürze
96
Tabelle 13: Thierergruppe: Das Wichtigste in Kürze
102
Tabelle 14: Erfurt-Marienhöhe: Das Wichtigste in Kürze
110
Tabelle 15: „SolarGardenCity“ in Hoyerswerda: Das Wichtigste in Kürze
115
Abkürzungsverzeichnis
BBR
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
BBSR
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BMVBS
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
CO2
Kohlendioxid
CSR
Corporate Social Responsibility
DAS
Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel
eG
Eingetragene Genossenschaft
EnEV
Energieeinsparverordnung
EPBD
Energy Performance of Buildings Directive
EU
Europäische Union
e.V.
Eingetragener Verein
ExWoSt
Experimenteller Wohnungs- und Städtebau
GbR
Gesellschaft bürgerlichen Rechts
IPPC
Intergovernmental Panel on Climate Change
IWU
Institut Wohnen und Umwelt
IzR
Informationen zur Raumentwicklung
KfW
Kreditanstalt für Wiederaufbau
KWK
Kraft-Wärme-Kopplung
NH
Nassauische Heimstätte
PEP
Prinz-Eugen-Park
ZÜRS
Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen
ImmoKlima
8
Zusammenfassung
Die Prognosen des Zwischenstaatlichen
Ausschusses für Klimaänderungen zeigen
bis zum Jahr 2100 die Verschärfung und Beschleunigung der heute schon beobachteten Klimaänderungen. Extremwitterungen
werden an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Internationale und nationale Prognosen und Untersuchungen rechnen deshalb
mit erheblichen Kosten für die Behebung
von Klimaschäden und für Anpassungsmaßnahmen.
Klimaschutz: Ziele, Maßnahmen und Beiträge der Immobilienwirtschaft
Deutschland will die Treibhausgase bis 2020
um bis zu 40 % gegenüber den Emissionen
des Jahres 1990 senken. Die zentralen Handlungsbereiche dafür sind die Erhöhung der
Energieeffizienz von Gebäuden, die Umstellung auf weniger klimaschädliche Mobilität,
die zunehmende Deckung des Energiebedarfs durch regenerative Energieträger und
der Ausbau der Versorgungsinfrastruktur
zum Transport der regenerativ erzeugten
Energie. Hier ist die Immobilienwirtschaft
gefordert. Es gilt, die Potenziale im Gebäudebereich für die Reduktion des Energieverbrauchs und die daraus folgende Verringerung der CO2-Emissionen zu heben.
Die Immobilien- und Wohnungswirtschaft
– in „ImmoKlima“ durch die acht Pilotprojekte repräsentiert – werden tätig durch die
Einsparung von Energie und den Einsatz
erneuerbarer Energien und durch die Realisierung energieeffizienter Siedlungsstrukturen. Als Abnehmer von Energie aus erneuerbaren Energieträgern und nachhaltigen
Produkten in Bau- und Nutzungsphase bestehen Einflussmöglichkeiten auf die Energieerzeugung und die Produktherstellung.
Zudem ist die Förderung eines klimagerechten Nutzerverhaltens für einige Pilotprojekte ein zentraler Ansatzpunkt.
Auswirkungen des Klimawandels auf die
Immobilienwirtschaft?
Schon jetzt erkennbare Phänomene, wie
steigende Jahresdurchschnittstemperaturen, ansteigende Luftfeuchtigkeit, Zunahme von Hitzewellen und Trockenheit im
Sommer sowie von winterlichen Niederschlägen, Winterstürmen und vermehrte
Hochwassergefahr im Winter und Frühjahr,
haben bislang noch geringe bis mäßige
Auswirkungen auf die einzelnen Immobi-
Werkstatt: Praxis Heft 79
lien. Für die Immobilien- und Wohnungswirtschaft sind die Risiken im Wesentlichen
noch versicherbar. Es ist jedoch damit zu
rechnen, dass bei zunehmender Intensität
und Häufigkeit der Extremwetterereignisse
mittel- und langfristig der Handlungsdruck
auf die Immobilienwirtschaft zunehmen
wird. Die Immobilieneigentümer benötigen
mehr Transparenz und Informationsgrundlagen zur Einschätzung zukünftiger Risiken
durch Extremwetterereignisse, die in einem
bundesweiten Geoinformationssystem zu
Klimarisiken (GIS-ImmoRisk), das bis 2016
im Auftrag des BMVBS/BBSR erarbeitet
wird, bereitgestellt werden sollen.
Synergien und Konflikte zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung
Zwischen Klimaschutz, Klimaanpassung
und weiteren Zielsetzungen, ausgelöst aus
unterschiedlichen privaten und öffentlichen Interessenslagen, bestehen sowohl
Synergien als auch Zielkonflikte. So verlangt
die wirtschaftliche Grundstücksausnutzung
häufig eine städtebauliche Dichte, die mit
den Freiflächenansprüchen eines gesunden
Stadtklimas kollidieren kann. Ein durchgrüntes Quartier bietet für Bewohner und
Bewohnerinnen große Aufenthaltsqualität,
die auf den Wert der Immobilie ausstrahlt
und im Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Baumbestand im Quartier
schafft bioklimatische Entlastung durch
die Beschattung, schränkt aber gleichzeitig
den Einsatz von Solaranlagen ein. Klimarelevante Festsetzungen (z. B. zum Hochwasserschutz, Frischluftschneisen, geringe
Verdichtung) reduzieren die Grundstücksausnutzung bzw. erfordern investive Maßnahmen, die sich im Grundstückspreis spiegeln.
Mit integrierten Strategien die Klimaziele
erreichen
„ImmoKlima“ nimmt die Potenziale und
Beiträge der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zum Erreichen der Klimaziele
in den Blick. Die Unternehmensstrategien
bei Projektentwicklung und bewirtschaftung und die Kooperationen zwischen den
Akteuren stehen im Fokus der Betrachtung. Bei der Wirtschaftlichkeit der Strategien und Maßnahmen werden nicht nur
betriebswirtschaftliche Aspekte, sondern
solche der Unternehmensrendite (Corporate Social Responsibility), Leitbilder und
Unternehmensziele berücksichtigt. Neben
den Möglichkeiten der Immobilien- und
Wohnungswirtschaft, auf lokale und regio-
Zusammenfassung
nale Konzepte Einfluss zu nehmen, werden
Handlungsbedarfe und -möglichkeiten in
den Bereichen Gesetzgebung, Förderpolitik
und Informationsgrundlagen untersucht
und entsprechende Empfehlungen kommuniziert. Die aufgeworfenen Forschungsfragen werden in „ImmoKlima“ von und
mit acht Pilotprojekten bearbeitet. Diese
repräsentieren Kapitalgesellschaften und
Genossenschaften, Eigentümer mit unterschiedlich stark ausgeprägter Institutioneller Gemeinwohlverpflichtung. Durch die
Integration von alternativen Wohnprojekten
wurden Konstellationen untersucht, welche
in ihrem Professionalisierungsgrad teilweise
ähnlich wie private Einzeleigentümer agieren.
Technologie- und Innovationsstrategie
Klimaschutz- und –anpassungsmaßnahmen, wie sie von den Pilotprojekten durchgeführt werden, verbinden bautechnische
Maßnahmen an einzelnen Gebäuden (zur
Energieeffizienz, Lüftung, Verschattungsanlagen zum Hitzeschutz) mit Konzepten und
Lösungen für das Quartier (z. B. zur Schaffung von Elektromobilität, durch Energieversorgungskonzepte oder Grünkonzepte).
Dabei binden sie die lokalen Ressourcen
und das räumliche Umfeld des Gebäudes zu
verschiedenen Zwecken, wie Energieerzeugung durch Abwasserwärme und Nutzung
vorhandener Heizwerke und zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität und der Freiflächengestaltung, in die Gesamtplanung ein.
Der Technologieeinsatz der Pilotprojekte
entfaltet eine dreifache Wirkung: Er ist Innovationsträger, der oft durch verschärfte Anforderungen im Ordnungsrecht vorangetrieben wird. Technologie setzt auf langfristig
angelegtes kooperatives Handeln und fördert damit die Sozialkapitalbildung. Durch
die Verbindung mit sozialen, ökologischen
und ökonomischen Wertvorstellungen
werden neue Leitbilder der Nachhaltigkeit
durch den Technologieeinsatz geschaffen
(Corporate Social Responsibility).
Kooperationen auf Augenhöhe
Die Pilotprojekte arbeiten in bekannten
und vertrauten Kooperations- und Organisationsstrukturen (im sozialen Bereich
zur Stabilisierung von Quartieren und zur
Minderung von Mietrückständen und Fluktuation). Sie erweitern damit das eigene
Geschäftsfeld und können eine umfassende Aufgabenerfüllung sicherstellen und
integrieren quartiersbezogene, gebäudebezogene und nutzerbezogene Maßnahmen
9
zur Erreichung der Klimaziele (z. B. Smart
Metering, Hinwirken auf klimabewusstes
Verbrauchsverhalten, Förderung der Elektromobilität, Einkauf von energieeffizienten
Haushaltsgeräten). Konkrete gemeinsame
Ziele, verbindlich geregelt, Interessensausgleich, transparenter und wertschätzender
Umgang unter den Beteiligten sind die Voraussetzungen für gelungene Kooperationen.
Um die technischen, wirtschaftlichen und
organisatorischen Anforderungen der Projekte zu bewältigen, ist kooperatives Verwaltungshandeln unter voller Ausschöpfung
des geltenden Rechts erforderlich.
Marktstrategien und Wirtschaftlichkeit
Der wirtschaftliche Nutzen umfasst bei den
Pilotprojekten nicht nur das konkrete Objekt sondern häufig auch das Quartier (z. B.
bei der Energieversorgung) das Image des
Unternehmens und den sozialen Auftrag,
der sich aus dem Unternehmensleitbild
ergibt. Bei den Marktstrategien der kommunalen Projektentwickler konkurrieren
häufig langfristig angelegte integrierte Klimastrategien mit kurzfristigen haushalterischen Verwertungsinteressen. Die kommerziellen Projektentwickler nutzen häufig
schwierige Grundstücks- bzw. Eigentumssituationen als Wettbewerbsvorteil bei der
Grundstücksakquisition, indem sie neben
der Berücksichtigung öffentlicher und sozialer Belange besonders innovative Lösungsansätze unter Einbindung lokaler Ressourcen anbieten. Die Entwicklung von ziel- und
nachfragegerechten Angeboten mit einem
bestimmten energetischen und technologischen Standard erfordert die präzise
Kenntnis des lokalen Wohnungsmarktes.
Bestandshalter haben einerseits geringere
Spielräume durch vorgegebene Bestände
und vorhandene Mieter und Mieterinnen,
andererseits eröffnet der Umstand, Investor
und Betreiber zu sein, die Bandbreite an Lösungen zur Verteilung von Investitions- und
Betriebskosten.
Fordern – Fördern – Informieren
Bei der Beforschung der acht Pilotprojekte hat sich gezeigt, dass die Verschärfung
energetischer Anforderungen in Verbindung
mit weiteren ordnungsrechtlichen Regelungen die Rentierlichkeit von Investitionen
erschweren, jedoch können sie gleichzeitig
technologische Innovationen und kreative
Lösungen vorantreiben. Besonders anreizwirksam hat sich hierbei das Zusammenspiel aus gesetzlicher Norm und dem relativ
zum gesetzlichen Standard höheren Effizi-
ImmoKlima
10
Werkstatt: Praxis Heft 79
enzniveau der KfW-Förderstufen gezeigt.
Die Pilotprojekte zeigen mit der Förderkulisse zufrieden, erwarten jedoch mehr Verstetigung bei der Förderung und die Verbesserung des Zugangs zu Informationen. Die
Anpassung vorhandener bzw. die Schaffung
akzeptierter und umsetzbarer Zielvorgaben
und Normen werden gewünscht, um auf
Klimaänderungen und die damit verbundenen Anpassungserfordernisse zu reagieren.
Somit wird insgesamt kein Bedarf an neuen
Gesetzen gesehen – eher geht es um den Abbau des Vollzugsdefizits. Bei der Anwendung
des geltenden Rechts werden individuell gemeinsam ausgehandelte, Vertragslösungen
dem hoheitlichen Handeln vorgezogen.
Abstract
Trotz der großen Bedeutung der Immobilien- und Wohnungswirtschaft für das Erreichen der Klimaziele findet noch relativ
wenig Austausch mit der öffentlichen Hand
statt, wenn es um die Entwicklung von übergeordneten Konzepten und neuen Lösungsansätzen geht. Deshalb ist das Know how
und der Innovationstransfer aus der professionellen Immobilien- und Wohnungswirtschaft in die kommunale Praxis und zu den
Privateigentümern wichtig. Dies ist möglich
durch Beförderung des Dialogs und individuelle Klimavereinbarungen auf lokaler
Ebene zwischen der Immobilienwirtschaft,
der Kommune, dem Senat oder dem Land
sowie durch den Erfahrungsaustausch über
Energie-Benchmarks von Vorreiterprojekten unter Marktbedingungen. Zur Einschätzung zukünftiger Klimarisiken und als Entscheidungsgrundlage für Investitionen zu
Anpassungsmaßnahmen sind detaillierte
Informationen und zielgruppengerechte Instrumente erforderlich.
Germany plans to reduce the greenhouses
gas emissions by 2020 by up to 40% compared with the emissions of 1990. In order
to reach this goal, the energy efficiency of
dwellings has to be increased, mobility has
to become less climate-damaging, the energy demand needs to be increasingly covered
by renewable energies and an adequate network for transporting renewable energies is
required. The real estate and housing sector
is put to the test. The aim is to use the potentials of buildings to reduce the energy
consumption and to consequently reduce
greenhouses gas emissions.
According to the forecast of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), the
already visible climate change will aggravate
and accelerate by 2100. Weather extremes
will increase both in respect to frequency
and intensity. Consequently, international
and national forecasts and surveys foresee
significant costs for repairing climate -related damages and carrying out adaptation
activities.
Climate Protection: goals, measures and
contribution of the real estate sector
The real estate and housing sector - in the context of ImmoKlima represented by eight pilot
projects –contributes by launching energysaving measures, by using renewable energies
and by creating energy-efficient urban settlements. As it is a consumer of renewable energies and a user of sustainable construction
products during construction and use, it may
influence energy production and the production of constructions. Some pilot projects put
special emphasis on enhancing the climateoriented behavior of their tenants.
Does the climate change already show an
impact on the real estate sector?
Visible phenomena such as the increase of
the yearly average temperature, the increase
of humidity, heat spells and droughts during summer as well as the increase of rain
falls, thunder storms and an increased risk
of flood during winter and spring have not
yet touched individual properties to a remarkable extent. So far, the real estate and
housing sector is able to cover the risks by
means of insurances. However, it is envisaged that, due to increasing intensity and
frequency of weather extremes, the pressure
to act will increase. Real estate owners need
Abstract
more transparency and further information
in order to assess future risks of weather extremes. A tool based on geographic information (GIS-ImmoRisk) is commissioned by
the BMVBS/BBSR and elaborated for Germany and will be delivered until 2016.
Synergies and conflicts between climate
protection and climate adaptation
There are both synergies and conflicts of interests between climate protection, climate
adaptation and other goals to be taken into
consideration by different private and public players. An economic sound exploitation
of a plot of land requires a certain settlement
density which may conflict with the demand
for open spaces needed for a healthy local
climate. A green area offers high residential
qualities for the inhabitants thus influencing the value of the real estate and increasing
the competitiveness of the housing company. A quarter staffed with trees improves
the microclimate due to its shading effects,
however, reduces the application of solar
panels. Climate-related planning regulations (for example for flood water protection,
open spaces for fresh air, low building density) reduce the exploitation of the building
plot and require investments with an impact
on the purchase price.
Reaching the climate goals by means of integrated strategies
ImmoKlima looks at the potentials and contributions of the real estate and housing sector for reaching the climate goals. The focus
is on company strategies in the field of project development and management as well
as cooperation amongst stakeholders. The
effectiveness of the strategies and activities
is not only defined by economic aspects but
includes corporate social responsibility, visions and company goals. Besides the possibilities of the real estate and housing sector
to influence local and regional concepts, the
demands for further changes in legislation,
funding and information are analysed and
relevant recommendations are communicated. The questions raised in the context
of ImmoKlima are answered by and with the
eight pilot projects. They represent jointstock companies and housing cooperatives,
owners that differ in respect to their relevant
institutional obligation to public welfare.
The integration of alternative housing projects allowed for looking into different constellations which, in terms of their professional degree, sometimes operate similar to
private landlords.
11
Technology and innovation strategy
Climate protection and climate adaptation
activities, as shown by the pilot projects,
combine con-structive measures executed
on buildings (energy efficiency, ventilation,
shading for heat protection) with concepts
and solutions addressing the quarter (for
example electro mobility, energy supply
concepts or greening concepts). The strategy brings together local resources and the
nearby environment of the dwelling for different reasons such as energy production
by using the heat of waste water, optimising
existing power plants, improving outdoor
qualities and shaping free spaces. There
is a threefold impact of the pilot projects’
technologies: They imply innovation, quite
often promoted by tightened legal restrictions. Technologies are based on long-term
cooperation and thus enhance social capital
generation. By connecting social, ecological
and economic values, new guiding principles of sustainability are generated.
Cooperation on equal terms
The pilot projects operate in well established and familiar cooperative and organizational structures (in the social context in
order to stabilize housing areas and reduce
rent arrears and fluctuation). They thus enlarge their business segment, guarantee a
comprehensive execution of tasks and integrate quarter-related, building-related and
user-related measures to reach the climate
goals (such as smart metering, enhancing
climate-oriented behavior supporting electro mobility, purchasing energy-efficient
household appliances). Precise common
goals, binding for all partners, balance of
interests, transparent and respectful social
manners amongst stakeholders are prerequisites for successful cooperation. Cooperative administrative action with the full coverage of the established law is required in
order to cope with the technical, economic
and organizational demands of the projects.
Market strategies and effectiveness
In the context of the pilot projects, the
economic benefit is not only restricted to
concrete constructions but also covers local quarters (for example in the field of
energy supply) the image of a company as
well as the social mandate deriving from
a company’s vision. Market strategies of
municipal project developers often show
competition between integrated long-term
climate strategies and short-term fiscal interests. Commercial project developers often
ImmoKlima
12
benefit from complicated real estates or ownership situations while they try to acquire
properties by offering innovative solutions
and integrating local resources apart from
considering public and social requirements.
The development of target-orientated offers covering a certain energy and technology standard demands detailed knowledge
about local housing markets. Housing companies face less leeway in handling stock
and tenants; nevertheless, investments and
operation costs are easier to be distributed
as they are both investors and managers of
the housing stock.
Demanding – funding – information campaigning
The inquiry of the eight pilot projects showed that, due to stricter energetic demands
combined with legal regulations, the cost
effectiveness of investment becomes more
difficult. At the same time, technological innovation and creative solutions are pushed.
The interaction of legal norms and KfW funding, demanding higher energy efficiency
than the legal standard, are of particular
interest. The pilot projects are content with
the funding structure, however, they expect
more continuity in the field of funding and
improved access to information. Adapta-
Werkstatt: Praxis Heft 79
tion of existing and creation of acceptable
and applicable benchmarks and norms are
expected in order to react to climate change
and related adaption needs. All in all, no
need is seen for new legal regulations – but
norms need to be better executed. While
applying the law, consensually elaborated
contracts are preferred to mandatory regulation.
Despite the housing and real estate sector’s
huge impact on reaching the climate goals,
there is still little exchange between the
sector and the public sector when it comes
to the development of overall concepts
and new solutions. Therefore, transferring
knowhow and innovation from the housing
and real estate sector to the local level as
well as to private landlords is important.
This can be realised by enhancing the dialogue and by means of individual climaterelated agreements between the real estate
and the housing sector, municipalities and
federal states. Exchange of experiences on
energy benchmarks of pioneer projects working under market conditions is also helpful.
Detailed information and well-targeted instruments are needed to assess future climate
risks as well as to take profound decisions
on investments in adaptation activities
Themenstellung
1 Themenstellung
1.1 Klimaschutz und Klimaanpassung als Herausforderungen
des Klimawandels
Die Prognosen des Zwischenstaatlichen
Ausschusses für Klimaänderungen1 zeigen bis zum Jahr 2100 eine Verschärfung
und Beschleunigung der heute beobachteten Klimaänderungen. Extremwitterungen werden an Häufigkeit und Intensität
zunehmen. Stern2 rechnet bei Untätigkeit
weltweit mit Kosten von 5 bis 20 % des globalen Bruttoinlandsproduktes. Dies würde
sich auf die Ökonomie in Europa wie auch
in Deutschland negativ auswirken. Nach
Berechnungen des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung3 müsste die deutsche
Volkswirtschaft in den kommenden 50 Jahren bis zu 800 Mrd. US$ für die Behebung
von Klimaschäden, erhöhte Energiekosten
und Anpassungskosten aufwenden. Durch
unverzügliches Handeln könnten enorme
Schäden vermieden werden. Auf der internationalen Ebene hat die Weltgemeinschaft
das Langfristziel, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen, in Kopenhagen
im Dezember 2009 in der Kopenhagen-Vereinbarung festgehalten und 2010 in Cancún
erstmals offiziell anerkannt4. Der Klimawandel ist daher eine zentrale und gesamtgesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit.
Als sicher gilt, dass sich der Klimawandel
sowohl auf die Natur als auch auf Wirtschaft
und Gesellschaft in erheblichem Maße auswirken wird.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ergeben sich zwei zentrale politische
Handlungsfelder:
• Der Klimaschutz zielt auf die Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels
(Mitigation) und damit die Reduzierung
schädlicher Treibhausgase. Dies hält einen Anstieg der weltweiten Temperaturen
zumindest in Grenzen. Zentrale Ansatzpunkte sind die Reduktion des Energieverbrauchs
(Suffizienzstrategie),
die
Steigerung der Energieeffizienz und die
Deckung des Restbedarfs durch Nutzung
regenerativer Energiequellen.
• Die Klimaanpassung (Adaptation) zielt
auf die Verringerung der Verwundbarkeit
(Vulnerabilität) und die Stärkung der Wi-
13
derstandsfähigkeit (Resilienz) von Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber den
Auswirkungen des Klimawandels, die
nicht mehr verhindert werden können.
1.2 Klimaschutz als Herausforderung für die Immobilienwirtschaft
Ziele
Das Bundeskabinett hat mit dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm (IEKP)
im August 2007 konkrete Maßnahmen zur
Erfüllung der Energieeinsparziele bis 2020
festgelegt. Deutschland will die Treibhausgase bis 2020 um bis zu 40 % gegenüber
den Emissionen des Jahres 1990 senken. Mit
dem Energiekonzept der Bundesregierung
vom 28.09.2010 sowie dem Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Energiewende
vom 06.06.2011 im Nachgang zur Atomreaktorkatastrophe in Fukushima wurden die
Ziele bis 2050 fortgeschrieben und die konzeptionellen Strategien weiterentwickelt.
Die zentralen Handlungsbereiche umfassen die Erhöhung der Energieeffizienz von
Gebäuden, die Umstellung auf weniger klimaschädliche Mobilität, die zunehmende
Deckung des Energiebedarfs durch regenerative Energiequellen und den Ausbau der
Versorgungsinfrastruktur zum Transport der
regenerativ erzeugten Energie.
Da der Verkehrssektor im Vergleich zur
Immobilienwirtschaft nur in geringerem
Maße zur Emissionsreduktion beiträgt5, ist
es von großer Bedeutung, die Potenziale im
Gebäudebereich für die Rückführung des
Energieverbrauchs und die daraus folgende
Verringerung der CO2-Emissionen so weit
wie möglich zu heben. Der Gebäudebereich
verursacht in Deutschland ca. 20 % der CO2Emissionen und verbraucht ca. 40 % der
Endenergie für Raumwärme, Warmwasser
und Beleuchtung.
Das Energiekonzept der Bundesregierung
von 20106 sieht die folgenden Ziele im Gebäudesektor vor:
• Primärenergiebedarf Neubau: Ab 2020
klimaneutrale Neubauten (auf Basis primärenergetischer Kennwerte)
• Primärenergiebedarf Gebäudebestand:
Erreichung eines nahezu klimaneutralen
Gebäudebestands bis 2050, dazu ist eine
Minderung des Primärenergiebedarfs um
80 % gegenüber dem Jahr 2008 angestrebt.
(1)
Vgl. IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change:
Vierter
Sachstandsbericht.
2007. Vgl. www.de-ipcc.de.
Vgl. UBA – Umweltbundesamt
(Hrsg.): Klimaänderung. Wichtige Erkenntnisse aus dem 4.
Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen der
Vereinten Nationen (IPCC),
Dessau-Roßlau, 2009.
(2)
Stern, N.: The Economics of
Climate Change. The Stern
Review, Cambridge University
Press, Cambridge, 2007.
(3)
Kempfert, C.: Klimawandel
kostet die deutsche Volkswirtschaft Milliarden, in: Wochenbericht des DIW Berlin Nr.
11/2007, S. 166.
(4)
www.bmu.de/klimaschutz/
klimaschutz_im_ueberblick/
doc/2896.php, zuletzt aufgerufen 18.04.2012
(5)
Wisniewski, M. et al.: Klima
ist Business. Agenda 450 für
Deutschland. Deloitte, 2009, S.
54 und 61.
(6)
Vgl. Bundesregierung: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und
bezahlbare
Energieversorgung. Berlin, 2010.
ImmoKlima
14
• Wärmebedarf Gebäudebestand: Reduzierung des Wärmebedarfs im Gebäudebestand bis 2020 um 20 % gegenüber 2008.
• Sanierungsrate Gebäudebestand: Verdopplung der energetischen Sanierungsrate für den Gebäude-Wärmeschutz von
derzeit jährlich etwa 1 %7 auf 2 % des gesamten Gebäudebestandes.
• Ein sektorspezifisches Ziel für die Reduktion von Treibhausgasen im Gebäudebereich ist im Energiekonzept der
Bundesregierung nicht enthalten. Allerdings besteht ein sektorübergreifendes,
deutschlandweites Ziel der Reduzierung
der Treibhausgasemissionen bis 2020 um
40 % und bis 2050 um 80 %, jeweils bezogen auf das Basisjahr 1990.
Klimaschutzmaßnahmen sind im volkswirtschaftlichen Sinne zumindest zum Teil Umweltexternalitäten bzw. öffentliche Güter.
Trotz der in Kapitel 4 vertieften Diskussion
um den wirtschaftlichen Nutzen von Investitionen in den Klimaschutz ist davon auszugehen, dass die Klimaschutzziele ohne
Engagement der öffentlichen Hand bzw.
ohne Eingriffe in den freien Markt nicht zu
erreichen sind. Aus diesem Grund hat die
Bundesregierung eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt.
Maßnahmen der Bundesregierung
Maßnahmen auf Gebäudeebene
Die Bundesregierung handelt in diesem Bereich
1.mit der Verschärfung ordnungsrechtlicher Anforderungen;
2. mit ökonomischen Maßnahmen, wie der
Förderung von Maßnahmen, die über die
rechtlichen Anforderungen hinausgehen,
sowie Energieabgaben (z. B. Finanzierung der Einspeisevergütung für regenerativ erzeugten Strom) oder marktnahe
Instrumente wie den Emissionshandel
(EU ETS);
(7)
Bauteilbezogene Zahlen sind
dem Projekt Datenbasis Gebäudebestand zu entnehmen.
Vgl. Diefenbach et al.: Datenbasis
Gebäudebestand.
Datenerhebung zur energetischen Qualität und zu den
Modernisierungstrends
im
deutschen Wohngebäudebestand. Darmstadt, IWU, 2010.
(8)
Krämer-Zain, B., Renner: Gesamtenergieeffizienz, in: Bundesbaublatt 10/2009.
3. mit weichen Maßnahmen zur Erhöhung
der Markttransparenz und zur Information der betroffenen Eigentümer.
Aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen (Energieeinsparverordnung EnEV
2009, Energieeinspargesetz EnEG, Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz EE-WärmeG
und Heizkostenverordnung 2009) bestehen für Wohn- und Nichtwohngebäude
gestiegene Anforderungen an den zulässi-
Werkstatt: Praxis Heft 79
gen Jahres-Primärenergiebedarf von Heizung, Warmwasser, Lüftung und Kühlung,
an den erforderlichen Wärmeschutz der
Gebäudehülle und an den sommerlichen
Wärmeschutz. Auch bauliche Änderungen
von Bestandsgebäuden müssen den Anforderungen der EnEV 2009 gerecht werden.
Hier sind die Bagatellgrenzen verschärft
worden (schon die Sanierung von mehr als
10 % der gesamten Außenfassade verlangt
die Einhaltung des EnEV-2009-Standards).
Bei den Bestandsgebäuden sind außerdem
die Dämmpflicht der obersten Geschossdecken, der Kellerdecken, der Ersatz elektrischer Speicherheizungen und der Einbau
energieeffizienter Heizsysteme verpflichtend. In der Vergangenheit hat die Anwendung der EnEV-Standards vor allem den
Privateigentümern Probleme bereitet. Das
Vollzugsdefizit schien hier sehr groß zu sein.
Die Einhaltung der EnEV-Standards scheiterte häufig an der fehlenden öffentlichen
Kontrolle und dem dafür notwendigen Personal. Diesem Vollzugsdefizit will die EnEV
2009 durch verschärfte Bußgelder für Eigentümer und Fachleute, Nachweispflichten,
Einsatz der Bezirksschornsteinfegermeister
und ggf. Rückzahlung von Fördermitteln
entgegenwirken.
Die derzeitige Novellierung der EU-Gesamtenergieeffizienz-Richtlinie vom 16. September 2002 („recast EPBD“), in Deutschland
durch die verschiedenen Energieeinsparverordnungen umgesetzt, wird bis zum
Jahr 2020 dazu führen, dass Niedrig- bzw.
Nullenergiehäuser zum Standard werden.
Dieses Niveau entspricht in etwa dem Passivhausstandard8
(www.enev-online.org/
enev2009). Die Umsetzung der Vorgaben
der EU-Richtlinie in nationales Recht wird
zu weiteren Verschärfungen der Energieeinsparverordnung führen. Des Weiteren wurde eine Novellierung des Baugesetzbuchs
(BauGB) mit dem Ziel der klimawandelgerechten Stadtentwicklung beschlossen. Änderungen am Mietrecht zur Erleichterung
energetischer Sanierungen und zur Verbesserung von Contracting-Lösungen liegen im
Referentenentwurf vor.
Zudem wurden zahlreiche Förderprogramme wie z. B. „Energieeffizient Bauen“, „Energieeffizient Sanieren“ und „Sozial investieren – Energetische Gebäudesanierung“
beschlossen. Förderprogramme können
sowohl als Kredite als auch als Zuschüsse
gestaltet sein.
Ansätze für weiche Instrumente liegen einerseits in der Erhöhung der Markttranspa-
Themenstellung
renz, z. B. durch die Energieausweise oder
die Ausweisung energetischer Merkmale in
Mietspiegeln, andererseits durch Fortbildung von Handwerkern und die Energieberatung von Eigentümern, die bspw. durch
typologiegestützte Informationsmaterialien
unterstützt werden kann.
Eine regelmäßige Evaluierung des Instrumentariums findet über Forschungsprojekte wie bspw. „Maßnahmen zur Umsetzung
der Ziele des Energiekonzepts im Gebäudebereich – Zielerreichungsszenario“, „Evaluierung und Fortentwicklung der EnEV 2009:
Untersuchung zu ökonomischen Rahmenbedingungen im Wohnungsbau“9 oder das
Monitoring der KfW-Energiesparprogramme10 statt.
15
werb16 integrative Strukturen und Strategien
auf der stadträumlichen Ebene anzuregen
und zu erproben. Im ersten Programm sind
einige Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft als Fördernehmer zu finden, im zweiten sind zwar Gebäude als
energieverbrauchende Teilsysteme in mehreren Wettbewerbsbeiträgen berücksichtigt,
aber die Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft sind in den Beiträgen so
gut wie gar nicht vertreten. Das Bundesbauministerium widmet sich mit den Projekten
„Energetische Sanierung von Großwohnsiedlungen“, „Energetische Stadtsanierung“
und „Anforderungen an energieeffiziente
und klimaneutrale Quartiere“ der Quartiersebene17. In diesem Zusammenhang steht
auch ein neues Förderprogramm der KfW
zur energetischen Stadtsanierung18.
Quartiersansatz
Neben der Ebene des einzelnen Gebäudes –
und damit dem Verantwortungsbereich des
einzelnen Gebäudeeigentümers – können
auf der übergreifenden Ebene der Stadt oder
des Quartiers Skaleneffekte erzielt werden.
Insbesondere ist hier die Vernetzung von
Gebäude, Energieerzeugung und Mobilität
möglich. Große, spektakuläre und international bekannte Stadtentwicklungsvorhaben,
wie Dongtan bei Schanghai in China oder
Masdar in Abu Dhabi in den Vereinigten
Arabischen Emiraten11 bieten die Möglichkeit, klimaneutrale, so genannte „Nullemissionsstädte“ oder „Zero Emission Cities“ zu
projektieren. Das Ziel der Nullemissionsstadt oder besser gesagt der klimaneutralen
Stadt wird aber auch von etlichen deutschen
Kommunen mittelfristig angestrebt12. Das
Bundesumweltministerium fördert dabei
zahlreiche deutsche Kommunen bei der
Erstellung von integrierten Klimaschutzkonzepten. Bisher wurden 893 kommunale
Klimaschutzkonzepte13 vom Bundesumweltministerium gefördert (Stand März
2012)14. Die Förderung ist daran gebunden,
dass intensive Beteiligungsverfahren die Erstellung der Konzepte begleiten und somit
die Akteure der Stadtgesellschaft eingebunden werden. Die großen kommunalen Wohnungsunternehmen werden dabei häufig als
ein wichtiger Adressat angesehen. Neue Entwicklungskorridore für Städte wollen auch
zwei Programme zur „Energieeffizienten
Stadt“ aufzeigen. Während das Programm
des Bundeswirtschaftsministeriums15 stark
auf die Entwicklung von technischen Innovationen abzielt, versucht der vom Bundesforschungsministerium betreute Wettbe-
Beiträge der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
Der Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft im Handlungsfeld Klimaschutz liegt einerseits in der Einsparung
von Energie und dem Einsatz erneuerbarer Energien, andererseits im Beitrag zur
Verwirklichung energieeffizienter Siedlungsstrukturen. Als Abnehmer von Energie aus erneuerbaren Energieträgern und
nachhaltigen Produkten in der Bau- und
Nutzungsphase kann die Immobilien- und
Wohnungswirtschaft zudem Einfluss auf die
Energieerzeugung und die Produktherstellung nehmen, um den Einsatz erneuerbarer
Energien zu befördern und die Energiewende in der Energiewirtschaft zu beschleunigen. Zudem können Bestandshalter selbst in
die Erzeugung und Vermarktung von Strom
und Wärme einsteigen und damit neue
Märkte erschließen. Auch die Förderung eines klimagerechten Nutzerverhaltens kann
ein Ansatzpunkt sein.
1.3 Klimaanpassung als Herausforderung für die Immobilienwirtschaft
Auswirkungen des Klimawandels auf die
Immobilienwirtschaft
In Deutschland sind Veränderungen durch
den Klimawandel zu erwarten die sich wie
folgt auf die Immobilien- und Wohnungswirtschaft auswirken können 19, 20, 21, 22.
(9)
Vgl. für beide Projekte www.
bbsr.bund.de
(10)
Vgl. www.iwu.de
(11)
Biello, D.: Ökostädte der Zukunft. Spektrum der Wissenschaft Heft 1/09, 2009.
(12)
Weilerbach, Potsdam, Kaiserslautern, Günzburg, Städteverbund des Mittleren Fuldatals
(13)
Vgl. Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Merkblatterstellung von Klimaschutzkonzepten. Bonn, 23. 11.2011. Vgl.
Deutsches Institut für Urbanistik: Praxisleitfaden Klimaschutz in Kommunen. Berlin,
2011.
(14)
Vgl. www.bmu.de/klimaschutzinitiative
(15)
Vgl. www.eneff-stadt.info/
(16)
Vgl.www.wettbewerb-energieeffiziente-stadt.de
(17)
Vgl. für alle Projekte www.bbsr.
bund.de
(18)
Vgl. www.kfw.de
(19)
Vgl. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:
Studie
zur klimatischen Entwicklung
im Land Brandenburg bis
2055 und deren Auswirkungen
auf den Wasserhaushalt, die
Forst- und Landwirtschaft sowie die Ableitung erster Perspektiven. Potsdam, 2003.
(20)
Umweltbundesamt: Klimawandel in Deutschland — Vulnerabilität und Anpassungsstrategien klimasensitiver Systeme.
Dessau-Roßlau, 2005.
(21)
Bayerisches Landesamt für
Umwelt (2007): Klimaanpassung Bayern 2020.
(22)
BMVBS/BBSR (2010): Klimawandel als Handlungsfeld der
Raumordnung: Ergebnisse der
Vorstudie zu den Modellvorhaben
„Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“
Forschungen Heft 144.
ImmoKlima
16
Anstieg der Jahresdurchschnittstemperaturen, besonders im Winterhalbjahr
Im Hinblick auf die Klimaanpassung ist die
Veränderung von Jahresdurchschnittswerten im Regelfall unkritisch. Lediglich der Anstieg der Luftfeuchtigkeit im Winter könnte
zu Problemen bei bestimmten Gebäuden
führen, deren Außenwandkonstruktion bereits jetzt im Jahresgang latent tauwassergefährdet ist (z. B: Fachwerkhäuser )23.
Zunahme von Hitzewellen und Trockenheit
im Sommer
In ganz anderer Weise muss sich die Immobilienwirtschaft auf künftig höhere Temperaturen im Sommer einstellen. Schäden
betreffen hier nicht die Gebäude sondern
die Nutzbarkeit und auch die Nutzer. Sehr
hohe Tagestemperaturen und insbesondere eine nur geringe Temperaturabsenkung
in der Nachtzeit belasten den Organismus
erheblich. Für geschwächte Personen ergibt sich daraus ein besonderes Risiko. Aus
der Auswertung von Todesfällen im Zusammenhang der Hitzewelle des Jahres 2003 in
Frankreich ergab sich, dass neben älteren
Menschen, die in Krankenhäusern, Senioren- oder Pflegeeinrichtungen untergebracht waren, überproportional Personen
betroffen waren, die in unzureichend gedämmten und überhitzten Dachgeschossen
meist älterer Häuser aus der Zeit von vor
1975 wohnten. Aber auch die Arbeitsbedingungen in Bürogebäuden mit großflächiger
Verglasung ohne Sonnenschutz können bei
hohen Außentemperaturen prekär werden
und die Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränken.
(23)
Vgl. Werner, P., Chmella-Emrich, E.: Folgen des Klimawandels: Gebäude und Baupraxis
in Deutschland – Beiträge zur
nationalen Anpassungsstrategie. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und
Raumordnung,
BBR-OnlinePublikationen, Nr. 10/2008.
Die Lösung kann nicht im massenhaften
Einsatz energieintensiver elektrisch betriebener Raumklimageräte und Ventilatoren
oder in Klimaanlagen mit hohem Energiebedarf liegen. Vielmehr sind intelligente
Systeme für zukünftigen Kühlungs- und
Lüftungsbedarf gefragt, um behagliche Innenraumbedingungen zu gewährleisten.
An neueren Beispielen des Büro- und Wohnungsbaus lässt sich zeigen, wie durch eine
ganzheitliche Gebäudeplanung der Schutz
vor sommerlicher Überwärmung und zugleich der Schutz vor Wärmeverlusten im
Winter erreicht werden kann. Maßnahmen
sind z. B. eine Gestaltung der Außenhülle
nach dem Sonnenstand, die Ausrichtung
des Gebäudes bzw. der Nutzräume zu den
Himmelsrichtungen, außen liegender baulicher bzw. steuerbarer Sonnenschutz, aus-
Werkstatt: Praxis Heft 79
gewogene Dimensionierung der Fensterflächen, leistungsfähige Sonnenschutzgläser,
Speichermassen,
Latentwärmespeicher,
Phase Change Materials und intelligente
technische Lösungen für die Innenklimatisierung, wie Nachtlüftungssysteme, Kühldecken, Erdwärmetauscher etc.
Bisher ist unklar, inwieweit durch den Klimawandel auch die Qualitätseigenschaften von Baumaterialien beeinflusst werden. Eine verstärkte UV-Einstrahlung kann
Baumaterialien (vor allem Kunststoffe und
andere bauchemische Produkte) schneller altern lassen, mit der Folge kürzerer Instandhaltungszyklen (z. B. bei Anstrichen)
und der Gefahr von verfrühtem Bauteilversagen.
Zunahme von winterlichen Niederschlägen,
insbesondere Starkniederschlägen
Die vorhergesagten häufigeren Starkregenereignisse stellen höhere Anforderungen an
die Siedlungswasserwirtschaft. Hier ist in
großen Teilen die öffentliche Hand bei der
Bemessung von Kanalnetzen und Klärsystemen gefragt. Notwendig ist aber eine Integration privater Grundstücksflächen in das
System kurzfristiger Retentionsflächen und
Versickerungsflächen von Oberflächenwasser. Im Bereich der Immobilien- und Wohnungswirtschaft kann die Leistungsfähigkeit der Gebäudeentwässerung in der Regel
als relativ elastisch angesehen werden. Die
Tendenz zur Nutzung intelligenter Rückhalte- und Überlaufsysteme bei angemessener Dimensionierung von Abflussrinnen
und Rohren dürfte bei neueren Gebäuden
ausreichend Reserven beinhalten. Das ist
auch bei den üblicherweise großzügig dimensionierten häuslichen Grundleitungen
zu erwarten. Baupraxis, technische Regeln
und Normung haben im Prinzip bisher
eine hohe Sicherheit auch bei Starkregenereignissen gewährleistet. Bei Gebäuden
des älteren Bestands mit unzureichenden
Ableitungssystemen muss bei erkennbarem Bedarf (kurzfristigem Überlaufen der
Dachrinnen, Rückstau in den Grundleitungen mit der Folge von Wassereintritt in Kellerräume aufgrund fehlender oder defekter
Rückstauventile) nachgerüstet werden.
Werden die Winter milder und feuchter,
dann besteht die Gefahr, dass die Aktivitäten
von Pilzen, Bakterien usw. zunehmen. Das
Vordringen von neuen Materialschädlingen
(z. B. Termiten) ist ein weiterer Aspekt, der
für die Bau- und Immobilienwirtschaft an
Bedeutung gewinnen kann.
Themenstellung
Zunahme von Schneelasten
Auch wenn langfristig mit einem deutlichen
Rückgang der Schneefälle zu rechnen ist, ist
bereits heute in einigen Regionen das Phänomen festzustellen, dass die Schneelasten
zunehmen. In den schneereichen Regionen,
wie z. B. dem Bayerischen Wald oder dem
Erzgebirge, wird zum Teil trockener, leichter Schnee vermehrt durch nassen Schnee
ersetzt, der ein Mehrfaches an Gewicht
mit sich bringt. Dies kann bei bestimmten
Dachkonstruktionsweisen, älteren Gebäuden und Gebäuden mit großen freispannenden Dächern zum Überschreiten der bei der
Planung zugrunde gelegten Schneelastannahmen führen und mit erheblicher Gefahr
verbunden sein.
Steigende Hochwassergefahr im Winter und
Frühjahr
Für (zunehmende) Überschwemmungen
der Flüsse im Binnenland können nur Staat
und Kommunen z. B. durch Ausweitung der
Retentionsflächen oder Erhöhung von Deichen Vorsorge treffen. Überschwemmungen bringen für Gebäude nur eine relative
Veränderung: Wenn flussnahe Gebäude in
den unteren Geschossen gelegentlich überflutet werden, ist das vor allem ein Problem
der Oberflächenbeläge und der Einrichtung,
mit der Folge eines hohen Reinigungs- und
Trocknungsaufwands nach Ablaufen des
Hochwassers und einer Einschränkung der
Nutzung. Massiv gebaute Gebäude trocknen danach in der Regel ohne bleibende
konstruktive Schäden auch wieder aus.
Leichtbauweisen, wie Trockenbau-, Holzund Lehmkonstruktionen können allerdings dauerhaft zerstört werden. Größere
Schäden können jedoch auch bei niedrigen
Wasserständen durch Gründungsunterspülungen oder Bodensenkungen in Folge von
kurzzeitigen Veränderungen des Grundwasserstandes entstehen. Problematisch für die
Immobilien- und Wohnungswirtschaft wird
es, wenn sich die Überschwemmungsgebiete ausweiten und sich Neubewertungen
von Standorten ergeben, da die dort befindlichen Gebäude in der Regel nicht mit entsprechend resilienten Bauweisen errichtet
wurden.
17
dazu führen, dass normierte Anforderungen für einzelne Bauteile angepasst werden
müssen. Möglicherweise sind z. B. die technischen Anforderungen an Dachdeckungen
(z. B. Verklammerung von Dachziegeln und
Einbau von Sturmhaken in Abhängigkeit
von Dachneigung und Windbelastung) und
die Festlegung der Windlastzonen zu überprüfen. Faktisch gilt aber auch hier, dass die
entsprechenden in Deutschland geltenden
Normen relativ große Sicherheit bieten.
Die technischen Kenntnisse sind verfügbar,
auch für den höchsten Standard der Windlastzone IV, der bislang nur für Küstenbereich und Inseln gilt. Relevante Schäden sind
vor allem bei älteren Gebäuden zu erwarten,
da Schäden in der Regel auf Bauteilversagen
in Folge von dynamischer Belastung zurückzuführen sind.
Bei neueren Gebäuden stellen Aufbauten
wie Solaranlagen, Sende- und Empfangsanlagen von Rundfunk und Mobilfunk,
Leitern, Abgasleitungen, aber auch außen
angebrachte Verschattungselemente besonders vulnerable Elemente dar, die aus der
Verankerung gelöst oder verformt werden
können. Bei unzureichender Befestigung
können gegebenenfalls auch schwere Bauteile aus der Verankerung gelöst werden
(Beispiel Hauptbahnhof Berlin). Neben der
korrekten Ausführung der Befestigungen,
der Stabilität der Halterungen geht es dabei auch um die dynamische Belastbarkeit
der Materialien und ihrer Befestigungen.
Hier sind insbesondere die Hersteller und
bauausführenden Firmen gefragt, die entsprechenden Standsicherheitsnachweise zu
erbringen.
Ein weiteres Problem höherer Windlasten
stellen Schäden durch Bäume dar, deren
Standsicherheit weniger sicher zu beurteilen ist und die auch nicht ohne Not gefällt
werden sollten. Sie können auf Gebäude wie
auf Fahrzeuge fallen und gehen damit auch
als Bepflanzung verloren. Als potenziell
problematisch können sich auch Schäden
an außen liegenden Wärmedämmsystemen durch Aufprall loser Gegenstände, z. B.
Dachziegel, Äste etc. erweisen, da die verwendeten Materialien nur von begrenzter
Resistenz gegen punktförmige Krafteinwirkung sind.
Zunahme von Winterstürmen
Die Immobilienwirtschaft wird sich darauf
einstellen müssen, dass es zu häufigeren und
höheren Beanspruchungen durch dynamische Windlasten kommen kann. Dies kann
Zunahme von Gewittern, u.a. mit Hagel und
Schlagregen
Schlagregen kann den konstruktiven Außenbauteilen der Gebäude in Deutschland
ImmoKlima
18
aufgrund der traditionellen Bauweisen und
geltender technischer Regeln relativ wenig
anhaben, wenn der Niederschlag ordentlich
nach außen abgeführt wird und die Flächen
zyklisch abtrocknen können.
Förderprogrammen oder Schaffung von
Markttransparenz geboten ist.
Technologien für den Klimaschutz können
zu einer Erhöhung des Klimafolgerisikos
beitragen, wenn mit ihnen eine Erhöhung
der baukonstruktiven Komplexität und des
technischen Ausbaustandards verbunden
ist (Schädigung von sensiblen Bauteilen wie
Dämmschichten und technischen Anlagen
wie Photovoltaik in exponierten Bereichen
durch Extremwetterereignisse).
Die Vulnerabilität von Regionen gegenüber
dem Klimawandel ist sehr unterschiedlich
ausgeprägt und wird v. a. bedingt durch
klimatische und naturräumliche Rahmenbedingungen, die die Prädisposition einer
Region gegenüber negativen Auswirkungen
des Klimawandels bestimmen25. Obgleich
regionale Prognosen auf Basis der gegenwärtig verwendeten regionalisierten Klimamodelle noch mit großen Unsicherheiten
behaftet sind (Bundesregierung 2008 und
www.dwd.de), lassen sich folgende regionale Schwerpunkte negativer Auswirkungen
des Klimawandels absehen:
Anstieg des Meeresspiegels
Der Anstieg des Meeresspiegels hat Auswirkungen auf den Küstenbereich. Daraus sind
aber keine zusätzlichen Anforderungen an
Gebäude (aber an Standorte für Gebäude)
abzuleiten. Dem Anstieg des Meeresspiegels
kann nur durch eine Erhöhung der Deiche
begegnet werden.
Bewertung
Für Kalifornien wird geschätzt, dass von
den 2,7 Billionen Euro Immobilienvermögen ungefähr 1,7 Billionen durch Folgen des
Klimawandels gefährdet sind24. Natürlich
ist die Situation in Kalifornien mit den Gefährdungspotenzialen Meeresspiegelerhöhung, Waldbrände und Pazifikstürme nicht
mit Deutschland vergleichbar, zeigt aber in
welchen ökonomischen Dimensionen in
einzelnen Regionen zu denken ist.
(24)
Kahrl, F.; Roland-Holst, D.:
California Climate Risk and
Response. Department of Agricultural and Resource Economics, University of California
Berkeley, Research Paper No.
08102801, 2008.
(25)
Zebisch, M. et al.: Klimawandel in Deutschland. Vulnerabilität und Anpassungsstrategien klimasensitiver Systeme.
Umweltbundesamt,
Climate
Change 08/05, Dessau, 2005.
Werkstatt: Praxis Heft 79
Regionale Differenzierung von Vulnerabilitäten
• Südostdeutsche Hügel- und Beckenlandschaft: Die Region ist durch geringe Wasserverfügbarkeit und die Gefahr von Dürren im Sommer geprägt. Besonders die
Lausitz wird unter hohen sommerlichen
Temperaturen zu leiden haben. Weiterhin
besteht Hochwassergefahr entlang der
großen Flüsse Oder und Elbe.
• Oberrheingraben: Bereits jetzt werden hier die höchsten Temperaturen in
Deutschland gemessen. In Zukunft wird
hier mit der stärksten Erwärmung innerhalb Deutschlands gerechnet. Hinzu
kommt eine Zunahme von Starkniederschlagsereignissen und Hochwassergefahren.
So kommt das Portal cash-online.de in einer Pressemitteilung vom 14. Dezember
2009 anlässlich der Ergebnisse der Studie
von HypoVereinsbank und Oekom Research
zu dem Ergebnis, dass die Immobilienwirtschaft die Risiken des Klimawandels vernachlässige.
• Mittelgebirge: Hier steigen die winterlichen Niederschlagsmengen an und erhöhen die Hochwassergefahr. Spezielle
Gefährdungen entstehen durch lokale
Hochwasserereignisse, die von konvektiven Starkniederschlägen ausgelöst werden.
Immobilienmärkte unterliegen wie alle anderen Märkte dem Wettbewerb und regeln
viele Probleme per Marktlösung. Im Bereich
der Klimaanpassung könnte z. B. auch der
Immobilienmarkt – bei Verkauf oder Vermietung – fordern, dass der Anbieter Immobilien frei von Klimarisiken mit einer funktionalen Nutzung gewährleistet. Auch ein
funktionierender Versicherungsmarkt trägt
zur effizienten Absicherung von Risiken bei
(vgl. hierzu Kapitel 6). Nichtsdestotrotz ist
zu klären, wo und in welchem Umfang wegen Marktversagens staatliches Handeln in
Form von ordnungsrechtlichen Regelungen,
• Voralpenraum: Aufgrund der begrenzten
Retentionsflächen im Alpenraum besteht
Hochwassergefahr.
• Küstenbereiche: Der Anstieg des Meeresspiegels betrifft die unmittelbaren Küstenbereiche, ebenso gibt es hohe Sturmgefahr.
Außerdem wird bereits ein Schwerpunkt der
Zunahme von Hagelschlagereignissen für
Teile von Baden-Württemberg registriert.
Für die Ballungsräume wird die Zunahme
der Hitzebelastung als besonders problematisch (z. B. aus Gründen der Gesundheitsge-
Themenstellung
19
Abbildung 1: Karte der Klima-Anfälligkeitsraumtypen
Quelle: BMVBS/BBR (Hrsg.): Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel – Vorstudie für Modellvorhaben. BBROnline-Publikation 19/2008. Bonn/Berlin, 2008
fährdung) angesehen. Eine Übersicht über
raumordnungsrelevante Anfälligkeiten gibt
Abbildung 1.
Anpassungsstrategie und Aktionsplan der
Bundesregierung
Deutsche Anpassungsstrategie (DAS)
Um die Verwundbarkeit gegenüber den
Folgen des Klimawandels zu mindern bzw.
die Anpassungsfähigkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme
zu erhalten oder zu steigern und mögliche
Chancen zu nutzen, hat die Bundesregierung am 17.12.2008 die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS)
beschlossen. Die DAS verfolgt einen integralen Ansatz zur Bewertung von Risiken und
Handlungserfordernissen, unterstützt aus
Vorsorgegesichtspunkten eine nachhaltige
Entwicklung und reflektiert die internationale Verantwortung Deutschlands. Ziel der
Strategie ist es, die Verletzlichkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökologischer
Systeme gegenüber den Folgen des Klimawandels zu verringern bzw. deren Anpassungsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern.
Allerdings existieren hier – anders als im Klimaschutz – keine auf der nationalen Ebene
definierten quantifizierten Zielvorgaben. In
der DAS werden die Auswirkungen auf die
unterschiedlichsten Bereiche von Landund Forstwirtschaft über Industrie und Tourismus bis zur menschlichen Gesundheit
analysiert. Genannt ist auch das Bauwesen.
Aktionsplan Anpassung
Der Aktionsplan Anpassung der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 fasst die verschiedenen Aktivitäten des Bundes zusammen und basiert auf folgenden Säulen:
• Wissen bereitstellen: Hierzu zählen zum
einen die Klimaforschung als auch verschiedene Forschungsprojekte, welche
sich der Klimaanpassung in den verschiedensten Teilbereichen widmen.
• Anpassung rechtlicher Regelungen, technischer Normen und von Förderprogrammen (die im Vergleich zum Klimaschutz
allerdings von deutlich untergeordnetem
Umfang sind)
• Anpassung der bundeseigenen Infrastruktur (Straßen, Schienen, Wasserstraßen,
Forste)
• internationale Verantwortung, vor allem
Entwicklungszusammenarbeit und internationale Forschungskooperation
Durch entsprechende Beteiligungsformate
sollen Eigeninitiativen aus dem privaten,
nicht-behördlichen Bereich, z. B. strategi-
ImmoKlima
20
sche Partnerschaften zwischen Verbänden,
Unternehmungen oder Stiftungen angeregt
und aufgegriffen werden26.
Forschungsprojekte
Im Rahmen der Säule „Wissen bereitstellen“
nennt der Aktionsplan Anpassung folgende
Forschungsprojekte, die Schnittstellen zu
Strategien der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zum Klimawandel aufweisen.
• KLIMZUG – Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten (BMBF, 2008-2014):
Ziel ist es, für sieben ausgewählte Modellregionen in Deutschland innovative Anpassungsstrategien an den Klimawandel
zu entwickeln.
• Fortführung der Modellregionen Raumordnung KlimaMORO (BMVBS/BBSR,
2011-2013): Die acht Modellvorhaben
„Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel” (KlimaMORO) haben in den
letzten zwei Jahren erste regionale Ansätze
entwickelt. Nun gilt es, vielversprechende
Ansätze aus einigen der Modellregionen
weiterzuentwickeln, zu ergänzen und zu
verstetigen (www.klimamoro.de).
(26)
Vgl. Bundesregierung: Deutsche Anpassungsstrategie an
den Klimawandel. Berlin, 2008,
S. 8 ff., S. 62 ff.
(27)
BMVBS (Hg.) Klimawandelgerechte
Stadtentwicklung.
Ursachen und Folgen des Klimawandels durch urbane Konzepte begegnen. Forschungen, Heft 149. Bearbeitet von
S. Greiving et al. Berlin, 2011,
S. 45 ff.
(28)
BMVBS (Hg.): StadtKlima Kommunale Strategien und
Potenziale zum Klimawandel.
Lokale Klimaanalysen. ExWoSt-Informationen 39/2. Bearbeitet von F. Schlegelmilch,
S. Greiving et al. Bonn/Berlin,
2012.
(29)
Umweltbundesamt
(Hrsg.)
Entwicklung eines Indikatorensystems für die Deutsche
Anpassungsstrategie an den
Klimawandel (DAS). Climate
Change 22/2011, Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau 2011.
• Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR) startete Ende
2009 das ExWoSt Forschungsfeld „Urbane
Strategien zum Klimawandel“ mit zwei
Forschungsschwerpunkten. Neben den
immobilien- und wohnungswirtschaftlichen Strategien und Potenzialen zum Klimawandel (ImmoKlima) in Forschungsschwerpunkt II, dessen Ergebnisse und
Erkenntnisse im vorliegenden Bericht
dargestellt werden, betrachtet der Forschungsschwerpunkt I27, 28 die kommunalen Strategien und Potenziale zum Klimawandel (StadtKlima).
In der vor kurzem veröffentlichten Studie
„Entwicklung eines Indikatorensystems für
die Deutsche Anpassungsstrategie an den
Klimawandel (DAS)“29, werden Indikatoren
für das Handlungsfeld Bauwesen präsentiert, die „impacts“ und „responses“ zusammenfassend widerspiegeln. Für die Bereiche
Gebäude- und Infrastrukturschäden, städtische Umweltqualität und Gebäudefunktionalität (impacts) werden Antworten (responses) erarbeitet, die sich an Bauherren
und Planer richten, den Planungs-und Bauprozess, den Objektschutz, Bautechnik und
Baumaterialien berücksichtigen und – wie
auch die DAS – den Forschungsbedarf (im
Bauwesen) betonen. Die Indikatoren berühren Finanzwirtschaft und Fördermittel,
Werkstatt: Praxis Heft 79
Wärmebelastung, Lärm und Flächennutzung.
1.4 Synergien und Konflikte zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung
Klimaschutz und Klimaanpassung sind zwei
politische Ziele, die beide aus dem Klimawandel resultieren und gemeinsam Eingang
sowohl in kommunale Klimakonzepte als
auch in die Investitionsplanung der Immobilien- und Wohnungswirtschaft finden.
Allerdings gibt es zwischen beiden Zielen
Synergien und Konflikte, die im Folgenden
benannt werden sollen und teilweise im
Laufe des Berichts wieder aufgegriffen werden.
Gebäude und Grundstück
Klimaschutz und Klimaanpassung ergänzen sich hinsichtlich der Qualität der Außenhülle, insbesondere bei gutem Wärmeschutz, der in Hitzeperioden das Gebäude
vor Überhitzung schützt(vgl. DAS 2009: 49).
Die Verbesserung des sommerlichen Wärmeschutzes stellt hierbei aber eher einen
Nebeneffekt der verbesserten Energieeffizienz dar.
Es gibt zudem Synergieeffekte, wenn Systeme zur Beheizung auch zur (sommerlichen)
Kühlung genutzt werden können.
Der generelle Anstieg der Temperaturen
kann den Heizwärmebedarf und damit den
Energieverbrauch von Gebäuden senken.
Problematisch ist allerdings ein vermehrter
Einsatz von Kühlgeräten im Sommer, insbesondere wenn es sich um elektrisch betriebene Geräte mit geringer Energieeffizienz
handelt.
Bei der Nutzung von Dach-, Fassaden- und
Freiflächen können Konflikte auftreten, da
die Flächen häufig nicht gleichzeitig die
Funktionen Energiegewinnung und Verminderung von Überwärmungseffekten
erbringen können. Darüber hinaus erfüllen
Freiflächen vielfältige soziale Aufgaben, die
nicht vernachlässigt werden sollen. Welche Funktion im Vordergrund stehen sollte
bzw. wie mehrere Funktionen miteinander
verknüpft werden können, ist objekt- bzw.
projektbezogen zu gewichten und zu lösen.
Energieversorgung
Energieversorger sind nicht notwendigerweise interessiert an der Förderung von
Themenstellung
Energieeffizienz in Gebäuden. Zum einen
erwirtschaften sie ihre Gewinne aus dem
Verkauf von Energie. Zum anderen kann
umso mehr in erneuerbare Energien und
neue Technologien investiert werden, je
mehr erwirtschaftet wird. Infrastrukturen
zur Energieversorgung beziehungsweise
zur Wasserver- und -entsorgung brauchen
eine gewisse Mindestauslastung, um technisch und wirtschaftlich zu funktionieren.
Gerade in Gebieten mit abnehmender Bevölkerungszahl stellen sich hierbei Konflikte
ein, wenn beispielsweise eine verbesserte
Energieeffizienz von Gebäuden und der
vermehrte Einsatz erneuerbarer Energien
Probleme in einem vorhandenen Fernwärmenetz hervorrufen oder der Rückbau von
Gebäuden verbunden mit längeren Trockenperioden zu einer Unterauslastung von
Abwassersystemen führt.
Allerdings gehen Versorger dazu über, sich
auch als Dienstleister für Beratung in Sachen
Einsparung und Effizienz zu verstehen. Die
Rekommunalisierung von Versorgern und
die damit verbundene kommunale/regionale politische Einflussnahme unterstützen
diese Trends.
Siedlungsplanung
Die Stadtplanung kann einen Beitrag zum
Klimaschutz leisten, indem sie durch Leitbilder und deren baurechtliche Umsetzung
die Entstehung von kompakten und urbanen Strukturen fördert, welche die Zahl der
notwendigen Wege reduzieren, deren Länge
verkürzen und den Modal Split über die bessere Erschließbarkeit durch den Umweltverbund verändern. Im Neubau ist die hierfür
notwendige städtebauliche Dichte unmittelbar möglich, im Siedlungsbestand ist eine
entsprechende Nachverdichtung zumindest
stark begrenzt. Unter dem Aspekt der Klimaanpassung – und dabei insbesondere bei
der Vermeidung von Hitzeinseln – kann die
Erhöhung der baulichen Dichte allerdings
kontraproduktiv sein. Bisher sollte sich die
städtebauliche und planerische Entwicklung an den Zielen einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung und somit an dem Leitbild
der kompakten europäischen Stadt orientieren30. Greiving und Fleischhauer kommen
bei der Untersuchung der städtebaulichen
Leitbilder „kompakte Stadt“, „Entwicklung
entlang der Achsen“ und „dezentrale Konzentration“ sowie bei den eher marktgetriebenen Entwicklungen „Edge City“ und „Die
Zwischenstadt“ zu dem Ergebnis, dass es
das klimawandelgerechte Leitbild (noch?)
21
nicht gibt. Als Ansatzpunkte für ein Leitbild
werden benannt:
• hinreichend hohe städtebauliche Dichte;
• ausreichend qualifizierte und vernetzte
Freiräume, um Hitzeinseln zu vermeiden;
• engmaschiges Infrastrukturnetz, aber Vermeidung zu hoher Infrastrukturkonzentration.
Diese eher planerische und damit der Frage
nach den kommunalen Strategien zum Klimawandel zugeordnete Diskussion hat auf
die Immobilienwirtschaft insofern Auswirkungen, als sie mit der Festsetzung der zulässigen baulichen Dichte einen zentralen
Parameter des Grundstückswerts betrifft.
Grundstückseigentümer werden in einem
Konflikt zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung ein wirtschaftliches Interesse
haben, eine höhere bauliche Dichte zu realisieren, es sei denn, bei höherer baulicher
Dichte wären wirtschaftliche Einbußen, beispielsweise durch schlechte Vermarktungsoder Vermietungschancen absehbar.
1.5 Struktur der Immobilien- und
Wohnungswirtschaft
Zur Immobilienwirtschaft werden alle Unternehmen gezählt, die gemäß dem Lebenszyklusansatz in die Planung, Erstellung,
Finanzierung, Bereitstellung sowie die Verwaltung und Vermittlung von Immobilien
involviert sind. Die Wohnungswirtschaft ist
dabei eine Teilmenge der Immobilienwirtschaft. Das Kennzeichen von Immobilien
ist, dass sie als heterogene Güter standortund meist funktionsgebunden sind, eine
lange Lebensdauer aufweisen und die Umwelt sowie die damit verbundenen Lebensbedingungen nachhaltig prägen. Neben den
Primärfunktionen erfüllen Immobilien Zusatzfunktionen, die von der Altersvorsorge
über die Sicherung von Krediten bis hin zum
Denkmalschutz reichen31. Die Immobilien
können nach der Art der Nutzung unterschieden werden. In der amtlichen Statistik
wird dabei meist lediglich zwischen Wohnund Nichtwohngebäuden unterschieden,
die Systematik der Bauwerke findet nur in
speziellen Statistiken Anwendung32.
Weiterhin kann bei den Eigentümern nach
Selbstnutzern und Vermietern differenziert
werden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen
Lebenszyklusphasen von Immobilien33 lassen sich die Aufgabenbereiche in der Immobilienwirtschaft in den Bereich Projektent-
(30)
Greiving, S.; Fleischhauer, M.:
Klimawandelgerechte Stadtentwicklung. Rolle der bestehenden
städtebaulichen
Leitbilder und Instrumente.
BBSR-Online-Publikation
24/2009.
(31)
gif – Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung
e.V. (Hg.): Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft. Bearbeitet vom
ifo-Institut. Wiesbaden, 2005.
Die genannten Aspekte werden v.a. in der älteren Studie
von 2005 dargestellt.
ImmoKlima
22
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 2: Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
Haus- und WEG-Verwalter
Kommune
Akteure
Quartiersbewohner
Projektentwickler
Nichtwohngebäude
Wohngebäude
Mieter
Privatunternehmen
- Bürogebäude
- Einzelhandel
- Produktion und Logistik
- Kultur- und Sportstätten
- Hotels und Gaststätten
- Öffentliche Wohnungsunternehmen
- Private Wohnungsunternehmen
- Genossenschaften
- Private Kleineigentümer
Öffentliche Hand
- Kirchen
- Verwaltungsgebäude
- Selbstnutzer
- Gemeinbedarfsgebäude (Schulen,
Rathäuser, Kultur- und Sportstät ten)
- Krankenhäuser
Zivilgesellschaft
Bauwirtschaft
Regionalplanung
Geschäfts- und Hypothekenbank
Energieversorger
Quelle: Eigene Darstellung
(33)
Vgl. German Facility Management Association (GEFMA):
Facility Management; Grundlagen. GEFMA-Richtlinie 100.
Ohne Ortsangabe, 2004. Vgl.
Isenhöfer, B.; Väth, A.: Lebenszyklus von Immobilien.
In: Schulte, K.-W.: Immobilienökonomie. Band 1. Betriebswirtschaftliche
Grundlagen.
München, 1998, S. 141 – 148.
(34)
BBSR (Hg.) Wohnungs- und
Immobilienmärkte in Deutschland. Analysen Bau. Stadt.
Raum, Band 5, Bonn, 2011.
(35)
Vgl. Statistisches Bundesamt
(Hg.): Statistisches Jahrbuch
2009. Wiesbaden, 2009.
(36)
Voigtländer, M.; Demary, M.;
Gans, P.; Meng, R.; SchmitzVeltin, A.; Westerheide, P.: Wirtschaftsfaktor Immobilien. Die
Immobilienmärkte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Gutachten im Auftrag von DV und gif. In:
Zeitschrift für Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2009.
(37)
Bulwien, H.; Denk, U.; Scheffler,
R.: Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus aktuellen Büroflächenbestandserhebungen in
Deutschland. In: Zeitschrift für
Immobilienökonomie, Sondernummer 2008, S. 77 – 88.
wicklung (Neubau/Umlaufvermögen) und
Bestandsbewirtschaftung (Asset und Facility Management/Anlagevermögen) unterteilen. Als Sonderfall im Rahmen der Bewirtschaftung ist die Sanierung (Refurbishment)
separat zu betrachten. Mit Projektentwicklung von Immobilien sind alle Untersuchungen, Entscheidungen und Planungen
sowie vorbereitende Maßnahmen gemeint,
die erforderlich sind bzw. als zweckmäßig
erachtet werden, um den Erwerb und die
Bebauung eines oder mehrerer Grundstücke vorzubereiten oder durchzuführen. Dabei sind die Phasen Projektinitiierung, -konzeption, -management, -vermarktung bis
zur Nutzung von Interesse. Die Bewirtschaftung bzw. das Asset und Facility Management beleuchten die Aktivitäten, Abläufe
und Prozesse in der Nutzungsphase von Immobilien. Dabei sind die Bereiche Organisationsverwaltung, Vermietung, Vermarktung,
Instandhaltung, Modernisierung/Umbau,
Erweiterung und Umnutzung von Interesse.
Die Bedeutung und Struktur der Immobilienwirtschaft und ihrer Teilbereiche lässt sich
vor dem Hintergrund des Klimawandels und
der damit verbundenen Sanierungstätigkeit
mit den folgenden Zahlen illustrieren.
Gebäudebestand
In Deutschland befinden sich 39,9 Millionen
Wohneinheiten in 17,9 Millionen Wohngebäuden mit einer Gesamtwohnfläche von
3,4 Milliarden m2. Der Wohnungsbestand
wird zu 43,2 % von den Eigentümern selbst
genutzt34. Drei Viertel des Bestandes wird
von privaten, nicht-professionellen Eigentümern, nur ca. 25 % werden durch Wohnungsunternehmen oder sonstige professionelle Träger bewirtschaftet35. Abbildung 3
zeigt, dass Gebäudetypen aus Baualtersklassen dominieren, die heute zu Sanierungsbedarf führen.
Die gesamte Nutzfläche von Büroimmobilien beträgt 311 Millionen qm36. 70 % der
gewerblichen Bürogebäudeflächen kann
den institutionellen Anlegern (z. B. Immobilienfonds) zugeordnet werden. Daten zur
Struktur von Bürogebäuden liegen flächendeckend nicht vor. Eine Abschätzung aufgrund der wenigen zur Verfügung stehenden Daten ist nicht zuverlässig möglich. Im
Hinblick auf die Altersstruktur zeigen sich
in Anlehnung an37 im Rahmen einer Primärerhebung im Städtevergleich Potsdam,
Frankfurt a. M., Fürth, Nürnberg, Stuttgart,
Köln, Hamburg, München, Berlin deutli-
Themenstellung
23
Abbildung 3: Baualtersverteilung deutscher Wohngebäude
Quelle: Loga, T.; Diefenbach, N.; Born, R.: Deutsche Gebäudetypologie. Beispielhafte Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von typischen Wohngebäuden., 2011. Dabei ist zu beachten, dass die Berechnung der Werte für die einzelnen Gebäudetypen mit statistischen Fehlern
behaftet ist. Diese Fehler sind (prozentual auf den jeweiligen Ausgangswert bezogen) in ihrer Tendenz umso größer, je niedriger der Anteil der
Gebäudezahl des jeweiligen Typs an der Gesamtzahl der deutschen Wohngebäude ist. Beispielsweise sind die angegebenen Kennwerte in der
Kategorie GMH mit großen Unsicherheiten behaftet.
ImmoKlima
24
(38)
Voigtländer, M.; Demary, M.;
Gans, P.; Meng, R.; SchmitzVeltin, A.; Westerheide, P.: Wirtschaftsfaktor Immobilien. Die
Immobilienmärkte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Gutachten im Auftrag von DV und gif. In:
Zeitschrift für Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2009.
(39)
Odin, S.: Der Bestandsmarkt
in Deutschland – ein Markt für
die TGA-Firmen? CCI 4/2003,
S. 1-5.
(40)
Vgl. Voigtländer, M.; Demary, M.; Gans, P.; Meng, R.;
Schmitz-Veltin, A.; Westerheide, P.: Wirtschaftsfaktor Immobilien. Die Immobilienmärkte
aus
gesamtwirtschaftlicher
Sicht. Gutachten im Auftrag
von DV und gif. In: Zeitschrift
für Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2009.
(41)
Vgl. ebenda.
(42)
Nelson, A.: By 2030 the US will
have rebuilt almost half its built
environment. Research Paper.
Stand: 2004.
www.citymayors.com/development/built_environment_
usa.html
(43)
Sieverts, T.: Die Stadt in der
zweiten Moderne, eine europäische Perspektive. Informationen zur Raumentwicklung,
Heft 7/8/1998, S. 455 – 473.
(44)
BBSR (Hg.) Wohnungs- und
Immobilienmärkte in Deutschland. Analysen Bau.Stadt.
Raum, Band 5, Bonn 2011.
(45)
Statistisches
Bundesamt,
Fachserie 5, Reihe 1, 2010.
(46)
Bardt, H.; Demary, M.; Voigtländer, M.: Immobilien und
Klimaschutz – Potenziale und
Hemmnisse, Trends 2/2008,
Mai 2008.
(47)
Diefenbach, N. et al.: Datenbasis Gebäudebestand. Datenerhebung zur energetischen
Qualität und zu den Modernisierungstrends im deutschen
Wohngebäudebestand. Darmstadt, IWU, 2010.
Werkstatt: Praxis Heft 79
che Unterschiede. Zwischen 1950 und 1990
entstanden vor allem in Westdeutschland
viele nach wie vor genutzte Bürogebäude.
Der Anteil an Büroflächen, die nach 1990
entstanden sind, ist dagegen in Frankfurt a. M.,
München und Potsdam besonders groß38. Eine
grobe Schätzung ist von Odin 200339 vorgenommen worden. Hiernach lassen sich folgende Altersstrukturen annehmen: jünger
als 10 Jahre sind bis zu 34 % der Bauobjekte, 10 – 15 Jahre alt sind bis zu 28 %, 15 – 20
Jahre alt bis zu 18 %, 20 – 25 Jahre alt bis zu
9 % und über 25 Jahre alt noch einmal bis zu
11 %. Angesichts der geringen Neubauraten
der letzten Jahre gibt diese relativ alte Abschätzung nach wie vor einen guten Überblick über den Bestand.
ten sich die Baugenehmigungszahlen/Fertigstellungsraten massiv ab, erst seit 2011
gibt es eine Trendumkehr auf niedrigem
Niveau (von 264 319 Wohngebäuden in 2004
auf 184 441Wohngebäude in 2010)45. Im Jahr
2011 haben die Genehmigungen von Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr um 21,7 %
zugenommen, im Geschosswohnungsbau
um 26,8 %. Im Vergleich zum Bestand wurde
in den letzten Jahren deutlich mehr Fläche
in Büro- und Verwaltungsbauten erstellt.
Dies liegt an der kürzeren Nutzungsdauer
von gewerblich genutzten Immobilien, was
wiederum andere Investitionsstrategien
nach sich zieht.
Der Einzelhandel umfasst ca. 120 Mio. m²
Verkaufsfläche. Die Verkaufsflächenexpansion, insbesondere Anfang der 1990er Jahre ist mit einer rückläufigen Flächenproduktivität verbunden. Da Handelsformate
mit höherem Flächenbedarf an Bedeutung
gewinnen, ist die Entwicklung der einzelnen Betriebstypen mit Veränderungen im
Flächenbestand und der Flächenstruktur
verbunden. Insbesondere die Entwicklung
der Shopping-Center spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Zwischen 2000 und
2008 sind über 3 Millionen m² Neuflächen
entstanden40.
Wohn- und Gewerbeimmobilien unterscheiden sich erheblich in den Erneuerungszeiträumen und damit in ihren Innovationszyklen:
Der Investitions- oder Sanierungszyklus bei
Wohnimmobilien beträgt in der Regel mehr
als 30 Jahre, während er bei Gewerbeimmobilien unter 30 Jahren liegt46. Kalkulationen mit
einer Gesamtnutzungsdauer von 10 – 15 Jahren und Modernisierungszyklen von weniger
als 5 Jahren sind keine Seltenheit.
Die Daten zeigen, dass Wohngebäude den
weit überwiegenden Teil der Gebäudefläche einnehmen, im Schnitt aber älter sind
als Bürogebäude. Außerhalb von Wohn- und
Bürogebäuden sowie Einzelhandel ist die
Quantifizierung des Bestandes schwierig. Das
gesamte Immobilienvermögen (mit Grundstücken und öffentlichen Infrastrukturbauten,
ohne Ausrüstungen und sonstige Anlagegüter) betrug 8.974 Mrd. € im Jahr 200841.
Neubau
Der Blick auf die Baugenehmigungen bzw.
die Baufertigstellungen erlaubt Hinweise
auf den Handlungsbedarf nach Immobilientypen im Handlungsfeld Projektentwicklung.
Während in den USA, auch bedingt durch
eine andere Baukultur, davon ausgegangen
wird, dass innerhalb von 30 Jahren mehr als
die Hälfte der Gebäude durch neue ersetzt
sein werden42, ergeben sich für Deutschland
weitaus längere Zyklen43. Die Neubauquote
bei Wohnungen liegt mittlerweile deutlich
unter 1 % des Bestandes jährlich44. Nach
dem Neubauboom der 90er Jahre schwäch-
Modernisierung
Trotz dieser Zahlen bleiben die aktuellen
energetischen Modernisierungsraten im
Wohngebäudebereich weit hinter der Rate
zurück, die sich rechnerisch aus einem Nutzungszyklus von 30 Jahren ergäbe. Für die
Wärmedämmung der Außenwand ergibt
sich exemplarisch auf Basis der vom IWU
durchgeführten deutschlandweiten Repräsentativbefragung „Datenbasis Gebäudebestand“ in den Jahren 2005 – 2008 eine Modernisierungsrate von 0,82 % pro Jahr47.
Es ist deshalb geboten, die Modernisierungsraten bzw. den Modernisierungsstandard signifikant zu erhöhen, wenn die Klimaschutzziele der Bundesregierung erreicht
werden sollen. Bei den Nichtwohngebäuden
ist hierzu die statistische Basis über den Zustand der Gebäude unzureichend.
1.6Forschungsleitfragen
Das ExWoSt-Forschungsvorhaben „Immobilien- und wohnungswirtschaftliche Strategien und Potenziale zum Klimawandel“
nimmt die Potenziale und Beiträge der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zum Erreichen der Klimaziele in den Blick.
Im Mittelpunkt stehen die Unternehmensstrategien bei Projektentwicklung und Bewirtschaftung, die Kooperationen die dafür
Themenstellung
25
Abbildung 4: Integrierte Wohnungs- und Immobilienwirtschaftliche Strategien zum Erreichen der Klimaziele
Technologie- und Innovationsstrategie
(Kapitel 2)
Akteurslogiken und
Kooperationen
(Kapitel 3)
Marktstrategie und Wirtschaftlichkeit
(Kapitel 4)
Integrierte Strategien zu
Klimamaßnahmen als Bestandteil
von Marktstrategien
Für kooperatives Handeln
geeignete Ziele
Technologie und Technologieinnovationen
Klimamaßnahmen als Marktvorteil
Bereich der Kooperation
Wirtschaftlichkeit von Klimamaßnahmen
Akteure
Energieversorgungskonzepten
Positive Einflussgrößen
Hemmnisse
... entwickelt...
... entwickelt...
Integrierte Strategie:
Die Immobilien- und Wohnungswirtschaft
... trägt bei zu...
Integrierte Klimakonzepte
(Kapitel 5)
Beiträge der Wohnungswirtschaft/
Immobilienunternehmen
Kommunale Konzepte
Schnittstellen zwischen Wohnungswirtschaft/Immobilienunternehmen
und kommunalen Konzepten
Möglichkeiten und Grenzen
... arbeitet
mit....
... benötigt...
Staatliche
Rahmenbedingungen
(Kapitel 7)
... nutzt...
Instrumente für
Klimaanpassungsstrategien
(Kapitel 6)
Klimamaßnahmen als Bestandteil
von Marktstrategien
Klimamaßnahmen als Marktvorteil
Risikomanagement
Wirtschaftlichkeit von Klimamaßnahmen
Transparenz und Informationssysteme
Versicherungsmarkt
Anforderungen an die
öffentliche Hand
... konzipiert...
... gestaltet...
... fördert...
Die öffentliche Hand...
Schlussfolgerungen und Handlungserfordernisse (Kapitel 8)
Quelle: BMVBS/BBR (Hrsg.): Eigene Darstellung
zwischen den Akteuren der Immobilienund Wohnungswirtschaft untereinander
und mit anderen Akteuren wie beispielsweise Energieversorgern, Kommunen, aktiven Quartiersbewohnern oder der Bauwirtschaft eingegangen werden. Bei der
Wirtschaftlichkeit der unternehmerischen
Strategien und Maßnahmen werden über
betriebswirtschaftliche Aspekte hinaus, Aspekte der Unternehmensrendite (Corporate Social Responsibility) sowie Leitbilder
und Unternehmensziele berücksichtigt.
Untersucht werden auch das Interesse und
die Möglichkeiten der immobilienwirtschaftlichen Akteure auf lokale oder regionale Konzepte Einfluss zu nehmen und
die damit verbundene Bereitschaft der öffentlichen Hand zur Kooperation (gover-
nance). Forschungsziel ist es weiterhin,
Handlungsbedarfe und -möglichkeiten
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
und ihrer Partner sowie der Politik in den
Bereichen Gesetzgebung, Förderpolitik
und Informationsgrundlagen zu identifizieren und entsprechende Empfehlungen zu kommunizieren. Die vom BBSR im
Forschungsansatz entwickelten und durch
die Untersuchung leitenden Forschungsleitfragen wurden in die Kapitel dieses Berichts übergeleitet. Integrierte Strategien
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
bestehen in einer miteinander in Einklang
gebrachten sinnvollen Kombination der in
den Einzelkapiteln diskutierten Einzelstrategien. Dieser integrierte Ansatz wird in Abbildung 4 visualisiert.
ImmoKlima
26
• Forschungsleitfrage Integrierte Strategien und Technologieeinsatz: In Kapitel 2
werden integrierte Unternehmensstrategien mit Blick auf den Technologieeinsatz
im Rahmen integrierter Energieversorgungskonzepte bearbeitet. Berücksichtigt
wird das Zustandekommen von Innovationen in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft. Unternehmensstrategien gehen über den Technologieeinsatz hinaus
und beinhalten weit gefasste Wirtschaftlichkeitserwägungen. Diesen wird eine
eigene Forschungsleitfrage (in Kapitel 5)
gewidmet.
• Forschungsleitfrage Akteurslogiken und
Kooperationen: In Kapitel 3 geht es um
die Darstellung unterschiedlicher Kooperationsstrukturen und Kooperationspartner und deren Bewertung im Hinblick auf
Schlagkraft, Erfolgschancen und Beitrag
zur Umsetzung von Innovationen und
integrierter Konzepte. Hier besteht große
Nähe zur weiteren Forschungsleitfrage in
Kapitel 6) nach den Beiträgen der Akteure zu integrierten Klimakonzepten und
dem Zusammenspiel der immobilienwirtschaftlichen Strategien mit dem kommunalen Interesse an Klimaschutz und Klimaanpassung.
• Forschungsleitfrage
Wirtschaftlicher
Nutzen, Anreize und Marktvorteile: In
Kapitel 4 wird geklärt, inwieweit Maßnahmen zum Klimawandel Bestandteil
einer Marktstrategie sind, ob sie einen
Marktvorteil darstellen und wie die Akteure die Wirtschaftlichkeit beurteilen.
Die Frage nach den Anreizen für die Immobilienwirtschaft zur Entwicklung und
Umsetzung von Klimaanpassungsstrategien wird mit der Forschungsfrage zu den
Rahmenbedingungen (in Kapitel 7) mit
behandelt.
• Forschungsleitfrage Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten: Kapitel 5 startet
mit der Frage nach Synergien und Konflikten zwischen den kommunalen Zielen in
Bezug auf Klimaschutz und Klimaanpassung und den Anforderungen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft. Außerdem widmet sich das Kapitel der Frage,
welchen Beitrag die Immobilien- und
Wohnungswirtschaft zu kommunalen Klimaschutzkonzepten leisten kann und will.
• Forschungsleitfrage Instrumente für
Klimaanpassungsstrategien: Im Forschungsverlauf hat sich sehr rasch der Be-
Werkstatt: Praxis Heft 79
darf nach einem Geoinformationssystem
zur Risikoabschätzung herausgestellt. Die
offen formulierte Frage der Forschungskonzeption nach möglichen Instrumenten für Klimaanpassungsstrategien in der
Immobilien- und Wohnungswirtschaft
und die Nennung des Beispiels Informationssysteme unternimmt deshalb eine
Bewertung privatwirtschaftlicher Mechanismen der Risikovorsorge, d. h. der Wahrnehmung von Risiken durch die Immobilienwirtschaft und die Absicherung durch
Versicherungen. Vor dem Hintergrund
der dort auftretenden Marktineffizienzen wird die Notwendigkeit staatlicher
Einflussnahme diskutiert, die u. a. in der
Erhöhung der Risikotransparenz durch
Informationssysteme bestehen kann. In
Kapitel 6 werden diese Fragen unter der
Überschrift Klimaanpassung und Risikomanagement behandelt.
• Forschungsleitfrage Einfluss der Rahmenbedingungen auf Entwicklung und
Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsstrategien: In Kapitel 7 werden auf der Grundlage wissenschaftlicher
Erkenntnisse und unter besonderer Berücksichtigung der Erkenntnissen aus den
Pilotprojekten normative und vertragliche
Rechtsinstrumente, Fördermaßnahmen
und sonstige Maßnahmen bewertet.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: In Kapitel 8 werden die zentralen Erkenntnisse des Projekts zusammengefasst.
Es werden Schlussfolgerungen über die Notwendigkeit zusätzlicher Rahmensetzungen
oder die Änderung bestehender Instrumente abgeleitet.
1.7 Auswahl der Pilotprojekte
Für das Forschungsvorhaben „ImmoKlima“
wurden insgesamt acht Pilotprojekte im
Rahmen von Interessenbekundungsverfahren ausgewählt. Es konnten sich Projekte
in der Entwicklung oder Umsetzung aber
auch solche, die bereits in der Nutzung sind
bewerben. Dabei war es möglich, sich entweder nur mit Klimaschutz- oder Klimaanpassungsstrategien, als auch mit integrierten Strategien zu den beiden Bereichen zu
bewerben. Der Fokus lag bei den Bewerbern
eindeutig im Bereich Klimaschutz. Anhand
eines Erhebungsbogens wurde eine engere
Auswahl getroffen. Die Kandidaten wurden
im Anschluss bereist. Wichtig bei der endgültigen Auswahl war, dass aus den Projekten
Erkenntnisse im Sinne des Forschungsan-
Themenstellung
27
Abbildung 5: Lage der Pilotprojekte
Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
satzes zu erwarten waren. Die Pilotprojekte
wurden nicht finanziell subventioniert. Lediglich die durch den Forschungsaufwand
im Rahmen von Veranstaltungen und durch
die Arbeit mit den Projektforschern entstanden Kosten wurden pauschal vergütet. Die
acht ausgewählten Pilotprojekte wurden jeweils durch ein Projektforscherteam aus den
Instituten empirica in Bonn, Forschung und
Beratung (F+B) in Hamburg und WEEBER+
PARTNER in Stuttgart begleitet. Der vorliegende Bericht wertet für alle acht Pilotprojekte die Ergebnisse der Projektforscher hinsichtlich der Forschungsleitfragen aus und
stellt ergänzend Ergebnisse aus den drei
Projektwerkstätten und den Diskussionen
während der Bereisungen der Pilotprojekte
dar.
Die Auswahl der Pilotprojekte erfolgte darüber hinaus so, dass eine breite Abdeckung
immobilienwirtschaftlicher Akteurstypen
gegeben war, insbesondere sollten soweit
möglich Projektentwicklung und Bestandsbewirtschaftung, Kapitalgesellschaften und
Genossenschaften sowie Eigentümer mit
verschiedenen Graden an institutioneller Gemeinwohlverpflichtung im Projekt
vertreten sein. Durch die Integration von
alternativen Wohnprojekten wurden Konstellationen untersucht, welche in ihrem Professionalisierungsgrad teilweise ähnlich wie
private Einzeleigentümer agieren. In vier
Pilotprojekten stehen Bewirtschaftungsstrategien (als Strategien für immobilienwirtschaftliches Anlagevermögen) im Mittelpunkt der Untersuchung:
• zwei Traditionsgenossenschaften, die umfangreiche Wohnungsbestände langfristig
bewirtschaften, auf stabile Warmmieten,
langfristige Vermietbarkeit und die Attraktivität für neue Zielgruppen achten,
energetische und altersgerechte Modernisierungsvorhaben im Bestand durchführen und dabei neben Maßnahmen an der
Gebäudehülle, standortbezogene Energieversorgungskonzepte, nutzerbezogene
Strategien sowie Mobilitätsansätze verfolgen:
ImmoKlima
28
• Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG mit dem Projekt
„Integrierte Energie-, Modernisierungsund Nutzerkonzepte im Quartier Marienhöhe in Berlin-Tempelhof“, und
• Baugenossenschaft FLUWOG-NORDMARK eG mit dem Projekt „Klimapakt
Hamburg-Niendorf Nord Integrierte
Energie-, Modernisierungs-und Nutzerkonzepte für 60er Jahre-Bestände der
Baugenossenschaft FLUWOG-NORDMARK eG“
• zwei nicht gewinnorientierte Projektentwicklungen alternativer (Wohn-)Projekte,
d. h. privater selbst nutzender Interessensgruppen, die nachhaltiges Wohnen
mit Gemeinschaftsflächen und verschiedenen gewerblichen und sozialen Nutzungen anbieten:
• Initiative Möckernkiez, Möckernkiez eG
mit dem Projekt „Möckernkiez BerlinKreuzberg integrierte, nachhaltige Entwicklung eines neuen Stadtquartiers
durch private Akteure“. Aufgrund der
Projektgröße trat sukzessive Professionalisierung ein und damit etliche Gemeinsamkeiten mit klassischen Projektentwicklern, und
• der Verein Bodhicharya Deutschland
e. V. Buddhistisches Zentrum für Frieden und Verständigung mit dem Projekt „Klimagerechte Revitalisierung
eines Denkmalensembles Kulturelle
Begegnungsstätte Bodhicharya, BerlinFriedrichshain“, welche ihr Bauprojekt
weitgehend durch Spenden und Eigenleistung finanziert.
Vier weitere Projekte betreffen Strategien für
das immobilienwirtschaftliche Umlaufvermögen (Projektentwicklung und Verkauf):
• zwei regional tätige Projektentwickler und
Bauträger mit nachhaltigen, klimagerechten und kosteneffizienten Unternehmensstrategien für den Verkauf von Immobilien:
• die Stuttgarter Siedlungswerk gemeinnützige Gesellschaft für Wohnungsund Städtebau mbH, ein Unternehmen
des Bistums Rottenburg-Stuttgart und
der Landesbank Baden-Württemberg,
mit den Projektentwicklungen „Stuttgart SeelbergWohnen“ in Stuttgart-Bad
Cannstatt und „FreiburgLeben“ in Freiburg (Breisgau) und
• die inhabergeführte Unternehmensgruppe TTS Thierer Thierer Smola
Werkstatt: Praxis Heft 79
GbR TPP Projektentwicklungs-GmbH
und MTP Wohn- und Gewerbebau mit
Projektentwicklungen zu „nachhaltigen Unternehmensstrategien der TPP
Projektentwicklungs-GmbH,
Günzburg: Projektbeispiele in Günzburg und
Augsburg“. Hier wurde innerstädtisches
Wohnen in Günzburg (Residenz Bellevue) und in Augsburg (Lechpark Hochzoll) realisiert. Die Nachnutzung einer
militärischen Konversionsfläche mit
Freizeit- und Gewerbenutzung ist in der
Planung.
• zwei klimaaffine Projektentwicklungen
mit und für Kommunen:
• die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG)
Thüringen mbH, die mit der Landeshauptstadt Erfurt und Schoppe/Dr.
Anton GbR Erfurt, einem privaten Bauträger das Projekt: „Projektentwicklung
der solarenergetischen Siedlung ErfurtMarienhöhe“ entwickelt und klimaangepasstes Bauen auf der „grünen Wiese“
verwirklichen will, und
• die Firma ascenticon AG, welche für
die Stadt Hoyerswerda als Projektentwickler einer innerstädtischen Fläche
auftritt. Der Leistungsauftrag durch die
Kommune an die asenticon AG endete
mit Vorlage einer Machbarkeitsstudie
Anfang 2011 und wurde nicht verlängert. Die asenticon AG hat in Konsequenz die Projektträgerschaft für das
Pilotprojekt „SolarGardenCity“ beendet
und die Projektforschung wurde daher
bereits Ende Oktober 2011 abgeschlossen und dokumentiert den Stand bis zu
diesem Zeitpunkt.
Die Projekte werden im Anhang des Berichts
vorgestellt.
Technologie- und Innovationsstrategie
29
2 Technologie- und Innovationsstrategie
Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen (wie sie von den Pilotprojekten
durchgeführt werden) erfolgen zunächst
durch bautechnische Maßnahmen am Gebäude (Energieeffizienz und Hitzeschutz),
im räumlichen Umfeld des Gebäudes zur
Nutzung von Wärmepotenzialen und Freiflächengestaltung) und im Angebot der
erzeugten Energie für Elektromobilität im
Quartier.
Die Entwicklung innovativer Bauprodukte
stellt einen zunehmend forschungsintensiven Industriezweig dar, an welchem die
Immobilienunternehmen als Abnehmer
der Produkte in der Regel nicht an der Produktentwicklung beteiligt sind. Gleichzeitig
erfordert die geringe Vorfertigungstiefe im
konkreten Anwendungsfall (Gebäude, Energieversorgung, Siedlung) von der planenden, errichtenden und betreibenden Organisation (Projektentwickler/Bauträger oder
Bestandshalter) die Fähigkeit und Bereitschaft, hoch individualisierte technologisch
innovative Systeme zu planen, umzusetzen
und zu betreiben. In den Pilotprojekten sind
dafür Ansätze zu erkennen.
Der Einsatz von Gebäudetechnologien, die
Komplexität von technischen, bauphysikalischen und nutzerbezogenen Faktoren
in Gebäude und Quartier setzt im Unternehmen Innovationsverhalten und abgestimmte Strategien voraus die Technik und
Prozessinnovation, Wirtschaftlichkeit und
Nutzerakzeptanz gleichermaßen berücksichtigen müssen.
Im Folgenden wird die Wechselwirkung
zwischen Art, Motiven und Zielsetzung des
Technologieeinsatzes und der Akteursstruktur, d. h. der Organisationsform, der institutionellen Einbindung und der Unternehmensstrategie untersucht.
2.1 Technologieeinsatz: Motive
und Ziele
Alle Pilotprojekte verbinden Elemente der
Gebäudeenergieeffizienz (Hülle, Lüftung,
Verschattung) mit der Effizienzsteigerung
der Heizsysteme (Errichtung oder Umstellung auf effizientere Wärme- und Stromerzeugungsinfrastruktur, Erhöhung der
Primärenergieeffizienz durch Kraft-WärmeKopplung) und der Nutzung von regenerativen Energiequellen (Sonne, Abwasser-
wärme). Die Pilotprojekte bemühen sich
um gebietsbezogene Nutzung vorhandener
Heizwerke und Netze.
Neben dem Hauptziel, durch die Steigerung
der energetischen Gebäudeeffizienz weniger Energie zu verbrauchen, wird der Technologieeinsatz zur Optimierung von Stoffkreisläufen (Reduktion der grauen Energie
durch Recyclingbaustoffe, Grau- und Regenwassernutzung) und gesundheitlichen
Vorteilen (Schadstoffarmut, raumklimatische Vorteile) genutzt. In der Übersicht stellt
sich dies in Tabelle 1 dar.
Bei den zwei siedlungsplanerischen Pilotprojekten Erfurt und Hoyerswerda soll die
Nutzung solarer Energien für Strom und
Wärme im Mittelpunkt einer möglichst
energieautarken Siedlungsstruktur stehen. Zur Diskussion steht der Einsatz von
Passivhauskomponenten, effizienter Heizungs- und Anlagentechnik und den Einsatz
von Solarenergie. Der theoretisch mögliche
Technologieeinsatz orientiert sich an den
Zielen einer integrierten Stadtentwicklung
und energetischen Stadterneuerung, gründet auf dem 2008 fortgeschriebenen INSEK
und dem 2010 verabschiedeten Energieund Klimaschutzkonzept. Die angesprochenen Technologien basieren dabei weniger
auf den konkreten örtlichen Bedingungen
und Möglichkeiten. Vielmehr wird die Projektidee von der positiven Konnotation „solarer“ Technologien getragen. Der Technologieeinsatz wird zum Leitmotiv erhoben,
das auch im Marketing und der Namensgebung „SolarGardenCity“ (Hoyerswerda)
herausgestellt wird. Die Wahl eines nicht
aus den örtlichen Notwendigkeiten und
Potenzialen abgeleiteten Technologieeinsatzes erzeugt in beiden Planungsprojekten
allerdings Zielkonflikte (z. B. zwischen einer funktional begründeten Baukörperausrichtung und städtebaulich-kontextuellen
Notwendigkeiten in Hoyerswerda, zwischen
baulandeffizienter städtebaulicher Dichte und solarem Ertrag in Erfurt), die zu inkonsistenten Planungszielen und letztlich
zur Verstärkung von Bruchlinien zwischen
divergierenden Akteursinteressen führen.
In Hoyerswerda wird befürchtet, dass die
klimaorientierten Ziele, die (baurechtlich)
nur schwer festschreibbar sind, angesichts
der schwierigen finanziellen Situation der
Kommune zugunsten kurz- und mittelfristiger wirtschaftlicher Ziele zurückgenommen
ImmoKlima
30
Werkstatt: Praxis Heft 79
Tabelle 1: Technologische Lösungen in den Pilotprojekten
Projekt
Wärmeschutz
Energieversorgung
Sonstige Besonderheiten
Marienhöhe in BerlinTempelhof
Austausch der Nachtstromspeicheröfen und
Geplant: „Energieinsel“ durch
gemeinsame Nutzung eines
BHKWs im Quartier
Photovoltaik-Fassade und Solarstrom Tankstelle im Quartier
„Substitutionshaus“ mit
Passivhauskomponenten
und Lüftung mit Wärmerückgewinnung
Solare Warmwasserversorgung Beleuchtungskonzepte
Erfassung und Rückkopplung
des Nutzerverhaltens (Smart
Metering)
Möckernkiez in BerlinKreuzberg
Passivhausstandard mit
Option des PlusEnergiehauses
Einsatz erneuerbarer Energien, Energieeffizienz in der
Nutzung
Denkmalschutz
Bodhicharya in BerlinFriedrichshain
Auswahl der Standards
werden von den verfügbaren Mitteln bestimmt
Variantenplanung für die
Gebäudeheizung
Denkmalschutz
KfW-Neubau-Standard
EnEV 2009
Hamburg-Niendorf
Nord
Wäschetrocknungskonzepte
Beratung und Information der
Nutzer
Durchführung der Sanierungsmaßnahmen in Eigenleistung
Umfangreiches Materialienrecycling
FreiburgLeben in
Freiburg
besser als EnEV-Standard
(2007)
Regenerative Wärmeversorgung: Abwasserwärme mit
Wärmepumpe / Wasserschnecke und Holzpellet
Kessel
SeelbergWohnen in
Stuttgart-Bad Cannstatt
besser als EnEV-Standard
(2007)
Regenerative Wärmeversorgung: Abwasserkanal-Wärmetauscher und BHKW
Residenz Bellevue in
Günzburg
Besser als der EnEVStandard = KfW 70 nach
EnEV2009
Zwei BHKWs
Beton-Schwerlastwand zur
Hangstützung gleichzeitig als
Speicher: mit Heiz-/Kühlschlangen genutzt
Lechpark in AugsburgHochzoll
besser als EnEV 2004=
Niedrigenergiehäuser - 60
KWh Lüftung mit Wärmerückgewinnung
Solare Gewinne durch Südorientierung,
Wohngesundheit und Raumklima
als Vermarktungsargument
Fassadensanierung unter
Einsatz von Photovoltaik
Nutzung der von auf der Fläche produzierten Abwärme
Verschattungselemente
Prinz-Eugen-Park in
Günzburg
Hackschnitzel-Heizanlage mit
Solarthermie für Brauchwassererwärmung
Unwirtschaftlich wg. Gestiegener Preise und somit obsolet:
Holzhackschnitzel-Kraftwerk
Marienhöhe in Erfurt
Möglichst energieeffizienter Neubau (Passivhaus)
SolarGardenCity in
Hoyerswerda
Quelle: Eigene Darstellung
Nutzung solarer Energie als
Leitbild
Nutzung solarer Energie als
Leitbild
Technologie und Innovationsstrategie
werden. Eine über die Leitidee hinausführende konkrete Auseinandersetzung mit
lokalen klimatischen Herausforderungen
ist im Projektstandort Erfurt in Ansätzen erkennbar, diente aber (noch) nicht zur Konkretisierung eines bestimmten technologischen Konzeptes.
Bei den Projektentwicklern mit Neubauvorhaben (Thierergruppe in Günzburg und
Augsburg sowie Siedlungswerk in Stuttgart und Freiburg) werden Technologiestrategien ergriffen, bei der die Planung aus
der Bebauungsplanebene kommend, hin
zur Objektebene konkretisiert wird. Auch
hier stehen Technologien zur Steigerung
der wärmetechnischen Effizienz im Mittelpunkt. Während im Bereich der Gebäudehülle marktübliche ein- bzw. zweischichtige
Wandaufbauten aus Massivbaustoffen zum
Einsatz kommen, werden bei der technischen Gebäudeausrüstung innovative, auf
den Standort und das Umfeld bezogene Lösungen gewählt. Im besten Fall werden lokale Ressourcen (Hanglagensicherung durch
Spundwand mit Wärme-/Kälteleitungen in
Günzburg oder Abwasserwärme in Freiburg
und Stuttgart) im Energiekonzept integriert.
Hierbei werden auch firmenspezifische Unterschiede erkennbar: Während die Thierergruppe vorwiegend auf bewährte und technisch ausgereifte Lösungen setzt, werden in
den untersuchten Projekten des Siedlungswerkes Stuttgart technische Neuentwicklungen zur Wärmeversorgung und Kühlung
erprobt, die einen höheren Planungs- und
Entwicklungsaufwand erfordern.
Der erreichte wärmetechnische Standard
der analysierten Projekte unterscheidet sich
dagegen kaum. Beide Unternehmen setzen
auf die über den jeweilig gültigen EnEV 200x
-Vorgaben liegenden KfW-Förderstufen Der
zur Erreichung dieser Standards erforderliche Mehraufwand lag, zumindest während
der Gültigkeit der EnEV 2002 und 2007, innerhalb eines wirtschaftlich vertretbaren
Kostenrahmens. So konnten die Anforderungen der EnEV 2002 beispielsweise noch
mit einschaligen Außenwandbauteilen erfüllt werden.
Die gebäudebezogene Gesamtenergieeffizienz der analysierten Projekte liegt deshalb
nicht substanziell über dem marktüblichen
Standard im freifinanzierten Wohnbau. Dies
ist vor dem Hintergrund der Markteinordnung der jeweiligen Projekte verständlich,
zum einen, da der Markt weit über dem
Wettbewerbsumfeld liegende Innovationen
mangels Vergleichbarkeit kaum honorieren
31
kann, zum anderen, da die Wahl einer bestimmten Technologie (Bauteilaktivierung,
Fußbodenheizung) auch eine Festlegung
des Unternehmens auf ein bestimmtes
Marktsegment bedeutet, die bei den untersuchten Projektträgern nicht mit dem
Unternehmensziel (Thierergruppe: freifinanzierter Wohnungsbau im mittleren und
gehobenen Preissegment, Siedlungswerk:
mittleres und oberes Preissegment, aber
auch geförderter Wohnungsbau) vereinbar
wäre. Das Vorgehen der beiden Unternehmungen ist somit geeignet, auch von anderen Unternehmungen angewendet zu werden.
Beide Unternehmen stehen bei der Energieerzeugung exemplarisch für die Möglichkeiten, standortspezifische Potenziale zur
Gewinnung lokal verfügbarer Energieressourcen zu nutzen. Beim Projekt Residenz
Bellevue in Günzburg musste die Hangsicherung (Abrutschgefahr) nach dem Abriss der bestehenden Gebäude wirtschaftlich
dargestellt werden. Statt kostenintensiverer Betonspund- oder Injektionswände mit
Bohrpfählen zur Hangsicherung konnte das
gleiche Ergebnis mit deutlich niedrigeren
Kosten durch eine Schwerlastwand erreicht
werden. Aufgrund der damit zur Verfügung
stehenden trägen Speichermasse wurde die
Wand mittels Bauteilaktivierung zur Gebäudetemperierung in das Energiekonzept
integriert. Hingegen wird im Günzburger
Konversionsgebiet Prinz-Eugen-Park (PEP)
aus Kostengründen (Holzpreissteigerung)
von dem geplanten Biomasse-Kraftwerk
mit Holzhackschnitzeln abgesehen. Standardtechnologien der Energieerzeugung
(Kraft-Wärme-Kopplung) sollten durch das
Biomasse-Kraftwerk mit Holzhackschnitzeln als Brennstoff und zur redundanten
Absicherung mit Erdgas und/oder Bio-Erdgas zum Einsatz kommen. Das Energieversorgungskonzept konzentriert sich jetzt auf
die Versorgung der Betriebe auf dem PEPGelände und den umliegenden Großabnehmern mit Strom und Wärme. Gewonnen
werden Strom und Wärme auf dem Gebiet
aus der Abwärme (einschließlich der Niedertemperatur-Abwärme aus einem Ladeluftkühlerbetrieb).
Lokale Ressourcen werden in Stuttgart
durch die Nutzung der Wärmeenergie eines Abwasserkanals für die Wärmepumpe
und in Freiburg durch Nutzung des vorhandenen Grundwasserbrunnens zum Heizen
und Kühlen über eine Groß-Wärmepumpe
sichergestellt. Das Siedlungswerk setzt da-
ImmoKlima
32
rüber hinaus auf hoch innovative Energiespeichertechnik (Eisspeicher), mit der Wärmeangebot und Nachfrage im Jahresgang
ausgeglichen werden sollen. Das System
wird durch einen großen Holzheizkessel
ergänzt. Damit wird eine CO2-neutrale Wärmeversorgung erreicht. Die beschriebenen
Technologien werden vom Siedlungswerk in
dieser Weise erstmalig angewendet. Deshalb
gehört zum integrierten Konzept die Betriebsüberwachung, um die Erfahrungen in
künftigen eigenen Projekten nutzen zu können. Bereits während der Laufzeit des ExWoSt- Forschungsvorhabens sind Übertragbarkeiten festzustellen: Die Thierergruppe
plant seit Ende 2011 in einem Wohnungsbauprojekt für 12 Häuser in Penzberg, die
Abwärme des Schmutzwassers nach dem
Vorbild des Siedlungswerkes zu nutzen.
Gleichzeitig
soll
das
Energieversorgungskonzept mit der Minderung der
Abwassereinleitung verbunden werden.
Die Maßnahmen zur Reaktion auf örtlich
bestehende klimatische Vulnerabilitäten
sind dagegen weniger differenziert. Zwar
werden klimatische Argumente zur Rechtfertigung der Gestaltung von Außenräumen,
der Baukörperstellung und der Materialwahl angeführt. Da diese jedoch weitgehend
kongruent zu städtebaulichen Notwendigkeiten sowie Komfort- und Benutzungsvorteilen sind, ist ein kausaler Einfluss klimatischer Faktoren auf die Baugestaltung und
Bauausführung, der über die Einhaltung
bau- und planungsrechtlicher Normen (Beachtung von Hochwasserhöchstständen,
Regenwasserversickerung auf dem Grundstück) hinausgeht, nicht zu erkennen. Auch
die mit ökologischen Vorteilen begründete
Maximierung der Grundstücksausnutzung
unter Reduktion notwendiger versiegelter
Erschließungsflächen am Projektstandort
Augsburg entsteht in erster Linie aus der
Notwendigkeit, dem eigenen Unternehmen
durch Verhandlung mit der Kommune, beim
Grundstückseinkauf einen Wettbewerbsvorteil ohne Abstriche bei der Vermarktbarkeit
zu erzielen, denn als bewusste Reaktion auf
klimatische Gegebenheiten.
Unabhängig von den Zielen und Motiven
der Unternehmungen werden Synergien
zwischen
Klimaanpassungsmaßnahmen
und (wirtschaftlichen) Unternehmensinteressen erreicht.
Bei den nicht gewinnorientierten Vorhaben
Möckernkiez und Buddhistisches Zentrum
kommen unterschiedliche Argumentati-
Werkstatt: Praxis Heft 79
onsmuster für den Technologieeinsatz zum
Tragen. Die wirtschaftliche Situation der
von Ehrenamtlichen getragenen Organisation des Buddhistischen Zentrums erlaubt
nur eine eingeschränkte und schrittweise
Umsetzung der selbst gesteckten Ansprüche an Klimaschutz und -anpassung. Der
Einsatz innovativer Technologien wird daher nicht nur durch die denkmalgeschützte
Bausubstanz und die restriktiven Standortbedingungen (verdichtete Blockrandbebauung) eingeschränkt, sondern auch durch
die bauabschnittsweise Umsetzung, da eine
Projektrealisierung an einem Stück wegen
der nicht sichergestellten Finanzierung
nicht möglich ist. Aufgrund der engen Verbindung zwischen Spenden und konkreten
investiven Maßnahmen zielt der Technologieeinsatz vor allem auf eine Reduktion
der laufenden Betriebs- und Energiekosten.
Geringe Investitionsmittel zwingen zur maximalen Wiederverwendung von Materialie
n(ressourcenschonendes Bauen). So treten
auch hier (ungeplant) Synergien zwischen
Klimamaßnahmen und den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Buddhistischen
Zentrums ein. Das Pilotprojekt Möckernkiez ist nach seinem Selbstverständnis als
soziales und ökologisches Demonstrationsprojekt ausgelegt, bei dem ein über dem
marktüblichen Niveau liegender Technologieeinsatz selbstverständlich und aufgrund
der Mitgliederstruktur auch finanzierbar ist.
Das Planungskonzept sieht hier Passivhausstandard vor (mit der Option auf eine Verschärfung zum „Plusenergiehaus“). Ähnlich
wie bei den Projekten Erfurt und Hoyerswerda wird hier Technologie zur Klammer,
unter der divergierende Ansprüche der genossenschaftlich organisierten Eigentümergemeinschaft vereint werden können.
Reaktionen auf die problematischen mikroklimatischen Bedingungen der innerstädtischen, verdichteten Standorte sind in
den Planungskonzepten vorgesehen, der
derzeitige Stand lässt jedoch noch keine
Rückschlüsse darauf zu, ob ein über die gesetzlichen Bestimmungen (z. B. Biotopflächenfaktor) hinausgehender Realisierungsstand erreicht werden wird. Die weitgehende
Kongruenz zwischen Komfortaspekten
(Aufenthaltsqualität, Verschattung, Schallschutz) und Aspekten der Klimaanpassung
führt zu tatsächlichen Synergien zwischen
den Interessen der Unternehmen und den
Notwendigkeiten der Klimaanpassung – es
kann deshalb dahingestellt bleiben inwieweit die Planungsziele tatsächlich von klimatischen Faktoren getrieben werden.
Technologie und Innovationsstrategie
Die Vorhaben der genossenschaftlich organisierten Bestandhalter Hamburg-Niendorf,
der FLUWOG-NORDMARK eG und BerlinTemperhof Marienhöhe der 1892 betreffen
energetische Modernisierungen, bei denen neben dem Ziel einer möglichst hohen
Energieeffizienz (EnEV-Neubaustandard)
auch innovative Technologien bei der Anlagentechnik (teildezentralisierte solarthermische Wärmeerzeugung, Elektrotankstelle,
Vorhangfassaden mit Fassadenelementen
aus
Photovoltaik-Dünnschichtmodulen,
Smart Metering) umgesetzt wurden. Der
Anlass des Technologieeinsatzes war bei
beiden Projekten unterschiedlich: Die 1892
reagierte auf die ordnungsrechtlichen Vorgaben der EnEV 2009, wonach die alten
Nachtspeicheröfen bis spätestens Ende
2019 (§10a EnEV2009) außer Betrieb zu nehmen sind. Die Maßnahmen der FLUWOGNORDMARK eG waren dagegen integrierter
Bestandteil einer strategischen Quartiersaufwertung, bei der räumliche und energetische Maßnahmen zur Sicherung der
Vermietbarkeit und zur Ansprache neuer
Mieterschichten dienen sollten.
Synergien zwischen Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen sind in den gezeigten Technologien zu erkennen. Ansätze
sind hier vor allem bei der Herstellung mikroklimatisch wirksamer Maßnahmen gegen
stadtklimatische Hitzeeffekte gegeben (z. B.
durch Hofbepflanzungen, Dachbegrünung),
sowie bei der Dämmung der Gebäudehülle,
die sowohl eine Klimaschutz- wie auch eine
Klimaanpassungsmaßnahme darstellt. Auch
Zielkonflikte lassen sich erkennen: technologische Komponenten des Gebäudes, die
primär dem Klimaschutz dienen (wie Anlagen zur solaren Energiegewinnung oder außen liegende Sonnenschutzeinrichtungen
mit Lichtlenkung), können die Schadensanfälligkeit (z. B. von exponierten Dach- und
Fassadenbauteilen) erhöhen und sind somit
aus Sicht der Klimaanpassung (zumindest
aus Perspektive des Gebäudes, weniger des
Nutzers) in ihrer Wirkung tendenziell vulnerabilitätserhöhend.
2.2 Handlungsstrategien im Technologieeinsatz
Ob und warum in einem Pilotprojekt eine
bestimmte Technologie zum Einsatz kommt,
hängt nicht nur von den unternehmerischen Zielsetzungen und dem Nutzen, der
durch den Technologieeinsatz erzielt werden soll, ab, sondern auch wesentlich von
33
den Rechten der handelnden Akteure am
Grundstück, (Planungshoheit, Grundeigentum), den vorhandenen internen Wissensbeständen und dem Zugang zu externen
Wissensressourcen (z. B. Fachingenieure).
Innerhalb der handelnden Organisationen sind die Entscheidungen über den
Einsatz innovativer Technologien meist
an bestimmte Personen/Akteure oder Akteursgruppen geknüpft. Voraussetzung
hierfür sind eigenes Fachwissen und Entscheidungskompetenzen. In einigen der Pilotprojekte treten solche Akteure besonders
hervor: Im Pilotprojekt Erfurt sind dies die
Personen Schoppe und Dr. Anton GbR die
als erfahrene Projektentwickler als Initiator
des Projektes gelten dürfen. Die Innovationskraft der Thierergruppe wird durch deren Geschäftsführer getrieben. Die Initiative
Möckernkiez zeigt, welche Professionalisierung von Laienakteuren gefordert wird (und
möglich ist), um fundierte Entscheidungen
über technische Sachverhalte treffen zu
können. Im Pilotprojekt Möckernkiez wird
beispielsweise der Vorstand bei seinen Entscheidungen durch interne Facharbeitsgruppen unterstützt.
Bei der Einbindung externen Fachwissens
in den Innovationsprozess sind zwei Verhaltensmuster erkennbar:
• Bildung von Akteurskonstellationen aus
einem Pool bekannter und bereits in der
Vergangenheit beauftragter Experten.
• Durchführung von Wettbewerbsverfahren.
Die Thierergruppe wählt den ersten Weg.
Zweierlei Gründe dürften dafür sprechen
– die Risikominimierung (die Eignung des
Experten und das Wissen über bestimmte
technologische Präferenzen sind bekannt)
und die Kosten- und Zeiteffizienz. Im Gegenzug könnte sich die fehlende Öffnung
gegenüber neuen, abweichenden Lösungsansätzen langfristig auch potenziell als
nachteilig erweisen. Bei den Pilotprojekten
des Siedlungswerks in Stuttgart und Freiburg, bei den Projekten Möckernkiez und
Marienhöhe in Erfurt kommt Wettbewerben
ein vielfältiger Nutzen zu: Das Instrument
des Wettbewerbs wirkt dabei auf drei Ebenen qualitätssichernd: erstens, weil in Vorbereitung des Wettbewerbs eine sachliche
Zieldefinition mit erwünschten Qualitäten
definiert, vorbereitet und damit gesichert
wird. Zweitens, weil unterschiedliche Lösungsansätze unternommen und vergli-
ImmoKlima
34
chen werden können. Drittens, weil die Beteiligung Dritter (unabhängige Fachleute,
Kommunalpolitik, Nachbarschaft etc.) Akzeptanz und Unterstützung im weiteren Verfahren sichert, da Konflikte bereits während
der Entscheidungsfindung diskutiert und
Kompromisse gefunden werden können.
Exemplarisch ist der Architekturwettbewerb
für das Quartier Möckernkiez zu erwähnen:
er hatte eine integrierende und qualifizierende Funktion, die auch darin bestand, die über
1000 Genossenschaftsmitglieder bis zu einem
gewissen Grad in den Entscheidungsprozess
einzubinden. Es mussten daher klare Bewertungsstandards gefunden werden, um eine
qualifizierte Diskussion mit dieser großen
Zahl an Beteiligten durchführen zu können.
2.3Fazit
Damit kann der Nutzen des Technologieeinsatzes in den Pilotprojekten in drei Fallgruppen kategorisiert werden:
• Technologie ist Innovationsträger. Die
schrittweise Verschärfung gesetzlicher
Normen erfordert von Herstellern und
Anwendern innovative Produkte. Unternehmerische Innovationsbereitschaft und
die Investition in betriebliche Innovationsfähigkeit (Humankapital, Wissensressourcen, Vernetzung) sind Voraussetzung
zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.
Die Initiierung und Verstetigung des bautechnischen Innovationsprozesses ist für
Projektentwickler und Bauträger wie die
Thierergruppe und das Siedlungswerk
Stuttgart, aber auch für Bewirtschafter
(FLUWOG-NORDMARK eG, 1892) eine
notwendige Strategie, um bei steigenden
Anforderungen an die Energieffizienz,
gesetzt vom Markt und von Normen, dennoch wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit
erweitert sich die Nutzenbewertung des
Technologieeinsatzes: Die Wirtschaftlichkeit innovativer Technologien liegt in
ihrer Eignung, betriebliche Lern- und Erfahrungsprozesse in Gang zu setzen, die
mittelfristig zu einer Sicherung der Marktstellung beitragen. Die Bildung lokaler Innovationsgruppen aus Vertretern der Bauwirtschaft, Fachplanern und Kommunen,
kann zur Etablierung und Verstetigung
innovativen Verhaltens auf lokaler Ebene
dienen.
• Technologie ist Instrument der Sozialkapitalbildung. Die branchenspezifische
Standortgebundenheit und Regulierungsintensität im Wohnungs- und Siedlungs-
Werkstatt: Praxis Heft 79
bau forciert die Notwendigkeit langfristiger Kooperationsfähigkeit mit externen
zivilgesellschaftlichen und kommunalen
Akteuren. Die Entwicklung innovativer
Technologien setzt dabei in verstärktem
Maße auf integrierte Konzepte, deren
Umsetzungserfolg vielerlei Zugriffsrechte auf externe Ressourcen (Grundwasser,
Oberflächenwasser, Restwärme Dritter,
Erdwärme, Flächenressourcen) erfordert, die nicht ohne intensiven Austausch
und eine entsprechende Transparenz der
Entscheidungsfindung auskommt. Der
Planungsprozess derartiger technologiegetragener Konzepte kann daher als vertrauensbildende Maßnahme in der Akteursinteraktion angesehen werden. Der
Nachweis technologischer Kompetenz
zur Steigerung der Ressourceneffizienz
wird von den Akteuren Thierergruppe,
Siedlungswerk Stuttgart und Möckernkiez aktiv zur Stärkung ihres unternehmerischen Sozialkapitals eingesetzt, was
ihnen im Gegenzug Wettbewerbsvorteile bei der Grundstücksbeschaffung und
planungsrechtlichen Ausnutzung ihrer
Grundstücke verschafft. Die inszenierten Technologien der Abwasserrückgewinnung im Pilotprojekt Stuttgart, des
Wasserkraftwerkes in Freiburg, der Photovoltaikfassade in Berlin-Marienhöhe
oder der avantgardistischen Aufstockung
in Hamburg-Niendorf eignen sich aufgrund ihrer ästhetischen Inwertsetzung
besonders zur symbolischen Bindung
politischer Entscheidungsträger und zur
Verwendung in der Unternehmenskommunikation, auch wenn ihr tatsächlicher
Nutzwert durch die Inszenierung nicht
erhöht wird.
• Technologie ist Instrument der Leitbildgenerierung. Die Festlegung auf bestimmte technologische Leitbilder kann
innerhalb der Trägerorganisationen, aber
auch im Umgang mit der Öffentlichkeit
zur Erzeugung und Stärkung (selbst-)
bindender Kräfte und damit zur Überwindung divergierender Akteursinteressen beitragen. Die Festlegung auf eine
technologische Vision „Solarsiedlung“ in
Erfurt und Hoyerswerda, bzw. „Plusenergiehaus“ im Projekt Möckernkiez, sind
Beispiele für derartige interne und externe Bindungswirkungen.
Aktuerslogiken und Kooperationen
35
3 Akteurslogiken und Kooperationen
Die Bewältigung der komplexen Herausforderungen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung lassen sich – wie bereits in
den Kapiteln 1 und 2 beschrieben – häufig
nur oder mindestens besser in kooperativer
Weise, d. h. durch das Arbeiten in Netzwerken erreichen. Die Potenziale von Kooperationen, d. h. von integriertem statt isoliertem Vorgehen, wird in verschiedenen – auch
für dieses Forschungsvorhaben relevanten
– Bereichen beobachtet und als Instrument
nutzbar gemacht48. Die Akteure der Wohnungswirtschaft setzen verstärkt auf Kooperationen, um eigene Aufgaben des Kerngeschäfts und Aufgaben, die ihr Kerngeschäft
unterstützen, besser erledigen zu können.
Die Zusammenarbeit mit Partnern hat ihren
Ausgang genommen im sozialen Bereich
und soll zur Stabilisierung von Quartieren
sowie zur Minderung von Mietrückständen, Leerstand und Fluktuation beitragen 49.
Während Kooperationen im Allgemeinen
nicht zugespitzt sind auf die Bewältigung
des Klimawandels, sondern dieses Thema
eines von mehreren, in Kooperation besser
zu bewältigendes Thema ist, lässt sich bei
den Pilotprojekten des Forschungsvorhabens „ImmoKlima“ eine Schwerpunktsetzung auf das Thema Klimawandel in Kooperation erkennen.
Wohnungsunternehmen haben außerdem
die Vorteile der genossenschaftlichen Prinzipien von Selbsthilfe, Selbstbestimmung,
Selbstverantwortung und der spekulationsfreien (gemeinsamen) Vermögensbildung
„entdeckt“. Was in den jungen Genossenschaften von Anfang an Leitmotiv für die
Verwirklichung ihrer auf gemeinschaftliches
Wohnen und Arbeiten angelegten Wohnprojekte50 ist, hat für die Traditionsgenossenschaften – aber auch die privatwirtschaftlich
organisierten Wohnungsunternehmen (wie
das Siedlungswerk) – vor allem in Hinblick
auf die Ansprache ihrer Mitglieder, ihrer
„Kunden“, wie sie von einem Pilotprojekt
genannt werden, wieder an Bedeutung gewonnen und ist Bestandteil ihrer Strategien.
Im Folgenden werden zunächst anhand eines tabellarischen Überblicks die vorrangigen (Klima-)Ziele, die von den Projektträgern in den Pilotprojekten verfolgt werden,
die Akteurskonstellationen sowie die Kooperationsbereiche dargestellt. Anschließend werden diese Akteurskonstellationen
in ihren Betätigungsfeldern mit den Ein-
flussgrößen für gelungenes Handeln sowie
den sichtbaren Hemmnissen beschrieben
und analysiert.
3.1 Klima- und sonstige Ziele die
in Kooperationen verwirklicht
werden
Die Bestandshalter, die 1892 und FLUWOGNORDMARK eG, wollen ihre Wohnungsbestände zukunftstauglich machen. Die
alteingesessenen und überwiegend älteren
Bewohner sollen von den Modernisierungsmaßnahmen möglichst wenig belästigt werden. Sie sollen nach der Modernisierung
deutlich geringere Heizkosten haben, in
einer altengerechten Wohnung möglichst
dauerhaft an die Genossenschaft gebunden
bleiben. Ziel der Genossenschaften ist es
weiterhin, mit besonderen Maßnahmen und
Strategien (Strom-Tankstelle für das Elektroauto bei der 1892, das „Substitutionshaus“
als optimale Synthese aus allen klimarelevanten Faktoren, einschließlich Smart Metering bei der FLUWOG-NORDMARK eG) das
Bewusstsein für Klima und Energiesparen
zu entwickeln und zu stärken und sich ein
modernes klimaorientiertes Image zu geben. Die traditionell gute Identifikation und
Verbundenheit mit den Genossenschaften
soll auf diesen Bereich ausgedehnt werden,
um so auch junge neue Kunden zu gewinnen. Beim Stuttgarter Siedlungswerk stehen
energieeffiziente Wohnbauprojekte, gestützt auf innovative Energietechnologie mit
ergänzenden sozialen Infrastruktureinrichtungen (Pflegeheim, Kindertagesstätte, Kinder- und Familienzentrum) im Mittelpunkt.
Eigentumswohnungen, soziale Infrastruktur
und geförderter Wohnungsbau sollen miteinander harmonieren. Bei der MöckernkiezInitiative steht die Entwicklung eines Quartiers zum nachhaltigen Wohnen und Leben
im Vordergrund. Als überdurchschnittlich
finanzkräftig ausgestattete Genossenschaft
will sie soziales und ökologisches Wohnen
mit intensiver Ausstrahlung ins Quartier erreichen. Dies soll zunächst durch die (vom
Bezirk vertraglich vorgegebene) Kiezstation mit Kindertagesstätte erreicht werden.
Perspektivisch gehen die Ziele in eine Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten
(Integrationshotel und Kleingewerbe). Hierzu hat die Genossenschaft schon Studien zu
den Möglichkeiten der Gewerbeentwicklung beauftragt. Der Verein Bodhicharya
(48)
Hier können genannt werden:
das Bund-Länder Programm
Soziale Stadt, Kooperation im
Quartier, (KiQ), Eigentümerstandortgemeinschaften
im
Stadtumbau (ESG) des BBSR,
das neue KfW-Programm:
energetische Stadtsanierung.
(49)
Behr, Iris et al.: Neue Soziale
Fragen des Wohnens. Studie im Auftrag des Verbandes
der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft e.V. (VdW
südwest). Darmstadt, IWU,
2008. Download unter www.
iwu.de.
(50)
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMBVBS) (Hrsg.):
Erschließen von Genossenschaftspotenzialen. Forschungen Heft 126. Bearbeitet von
H. Maron, P. Potter und A.
Simbriger (Klaus Novy Institut),
Bonn, Berlin 2007.
ImmoKlima
36
Werkstatt: Praxis Heft 79
Tabelle 2: Erfolgsversprechende Kooperationen in den Pilotptojekten
Projekt
Ziele
Erfolgreiche Akteurskonstellationen
Bereiche der Kooperation
Marienhöhe in BerlinTempelhof
Nutzerverträgliche Modernisierung
Eingespielte Geschäftsbeziehungen zwischen bewährten Partnern (Ecoplan
GmbH)
Umfassende energieeffiziente
und altengerechte Sanierung auf
Neubaustandard mit angestrebter
Warmmietenneutralität
Professionelle Partner mit
Ortskenntnissen
Planung und Durchführung der
Maßnahmen
Siedlungsausschuss, Haussprecher- und Bewohnerversammlungen
Bewohnerbetreuung während der
Baumaßnahmen
Senkung der „2.Miete“
Dauerhafte Vermietung
durch: altengerechtes
Wohnungsangebot und
Ansprache von jungen Familien, Energieeffizienz zur
Heizkostenbegrenzung,
Hamburg-Niendorf
Nord
Klimabewusstsein bei den
Nutzern stärken
Siedlungsverein ZUSAMMEN e.V.)
Bewusstseinsstärkung im
Umgang mit den energetischen
Ressourcen
Klimaorientiertes Image des
Unternehmens stärken
Blockheizkraftwerks-Trägerund Betreibergesellschaft
mbH (BTB)
Stromtankstelle für Elektroautos
gespeist aus der PhotovoltaikFassade
Senatsverwaltungen (SenStadt und SenGUV)
Wärmeversorgung (Contracting)
Eingespielte Geschäftsbeziehungen zwischen gleich
starken Partnern
Beratung bei und Akzeptanz für
Modernisierungsmaßnahmen
Professionelle Partner mit
Ortskenntnissen
Einführung von Smart Metering im
„Substitutionshaus“*
Professionelles Sozialmanagement
Informations- und Erfahrungsaustausch über Energieverbräuche
und Nutzerverhalten
Nutzerverträgliche Modernisierung,
Bezahlbare Mieten nach
Modernisierung
Dauerhafte Vermietung
durch: altengerechtes
Wohnungsangebot und
Ansprache junger Familien,
Energieeffizienz zur Heizkostenbegrenzung,
Klimabewusstsein bei den
Nutzern stärken
Einsatz ehrenamtlicher Arbeit der Genossenschaftsbewohner
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU)
Klimaorientiertes Image des
Unternehmens stärken
Quartiersbezug: Offener
Treffpunkt im Waschhaus
und Gemeinschaftsraum im
„Substitutionshaus“
Möckernkiez in BerlinKreuzberg
Genossenschaftliches
Projekt für ökologisches
und soziales Wohnen und
Arbeiten mit Ausstrahlung
ins Quartier
Externe Büros und Experten
Genossenschaftsmitglieder
Interne FachAGs
Verein Möckernkiez e.V.
Initiative Möckernkiez
Modellvorhaben (Verbrauchsmonitoring von Warmwasser und
Wärmemengen)
Energiesparberatung
Neue Marke der FlUWOG-NORDMARK, die ein Energiesparhaus
bezeichnet aus Passivhauskomponenten zur Reduktion
des Primärenergiebedarfs und
Maßnahmen zur Optimierung des
Nutzerverhaltens.
Wohnprojekt und Freiflächenentwicklung, gewerbliche Machbarkeitsstudie, Projektsteuerung
Themenspezifische Projektbegleitung und inhaltliche Unterstützung des Vorstandes (FachAGs)
Innovationszentrum für
Mobilität und gesellschaftlichen Wandel
Kontakte mit externen Akteuren
und Außendarstellung im Quartier(Integration des Kiez in die
Gesamtkonzeption Quartiersmanagement)
Bezirk FriedrichshainKreuzberg
Vernetzung mit anderen Genossenschaften
Initiativen aus anderen
Quartieren
Grundstückserwerb und
Umsetzung städtebaulicher
Anforderungen (Denkmalschutz,
Verdichtung)
Bodhicharya in BerlinFriedrichshain
Aufbau eines buddhistischen Zentrums unter Berücksichtigung von Ökologie
und Ressourcenschutz
Dem Zentrum verbundene
Fachleute und Förderer
Planung der Maßnahmen, und
Finanzierung der Maßnahmen
Vereinsmitglieder
Energiekonzept
Quartiersbewohner
Durchführung der Sanierungsmaßnahmen
Bezirk FriedrichshainKreuzberg
Sensibilisierung für Ressourcenschutz
Grundstückserwerb und Umsetzung städtebaulicher Anforderungen
(Denkmalschutz, Verdichtung,
Ausgleichsbeträge)
Akteurslogiken und Kooperationen
37
Projekt
Ziele
Erfolgreiche Akteurskonstellationen
Bereiche der Kooperation
FreiburgLeben* in
Freiburg
Klimaorientierung,
*Inhouse Experten,
Bereitstellung von sozialer
Infrastruktur
*bewährter Partner (EGSPlan),
Projektplanung (ETW, Mietwohnungen, soziale Einrichtungen)
und
Soziale Mischung beim
Wohnungsangebot (Kinderheim)
*Architekten
SeelbergWohnen*
in Stuttgart-Bad
Cannstatt
Integration von behinderten/alten Menschen im
Quartier
Bildungsauftrag und
Bewusstseinsschärfung für
Klimaschutz und Energiesparen
BADENOVA AG &Co KG
St. Augustinus Heim (katholische Kirche)
Tochterunternehmen
(ImmoTherm)
St. Anna Stiftung Ellwangen,
Malteser Hilfsdienst, Kath.
Sozialdienst, Stadtdekanat
Stuttgart
*Energieversorgungskonzept
(Abwasserwärmenutzung)
*Architekturwettbewerbe
,Kinder und Familienzentrum/
Freiburg
ETW, Mietwohnungen, Betreutes
Seniorenwohnen, Pflegeplätze,
KiTa
*Grundstückserwerb und Nutzungsanforderungen
Freundeskreis “SeelbergLeben“
*Gemeinde (Politik und Verwaltung)
Residenz Bellevue in
Günzburg
Zielgruppenscharfe Vermarktung von ETWs im höherpreisigen Segment unter
Ausnutzung klimarelevanter
Aspekte
Philosophie der Partnerschaft in „bewährten
Konstellationen“
Gemeinde (Politik und Verwaltung), Bezirk
Konzentration auf eigene
Expertise
Analyse der Grundstücksausnutzung
Mobilisierung schwieriger Brachflächen
Marktanalyse: Zielgruppenauswahl
Energieversorgungskonzepte
Fachingenieure
Lechpark in Augsburg-Hochzoll
Zielgruppenscharfe Vermarktung von ETWs im höherpreisigen Segment unter
Ausnutzung klimarelevanter
Aspekte
„Philosophie der Partnerschaft“ in „bewährten Konstellationen“
Gemeinde (Politik und Verwaltung)
Konzentration auf eigene
Expertise
Analyse der Grundstücksausnutzung
Mobilisierung schwieriger Brachflächen
Marktanalyse: Zielgruppenauswahl
Energieversorgungskonzepte
Fachingenieure
Prinz-Eugen-Park in
Günzburg
Nachnutzung eines Kasernenareals mit Schwerpunkt
Entsiegelung und Optimierung von Energieerzeugung
und Energienutzung im
Gelände
„Philosophie der Partnerschaft“ in „bewährten Konstellationen“
Analyse der Grundstücksausnutzung
Gemeinde und Bezirksregierung
Änderung des Bebauungsplanes,
Abschluss eines VEPs
Gemeinde
Rekommunalisierung der Energieversorgung
(Konzessionsgeberin)
Marienhöhe in Erfurt
SolarGardenCity in
Hoyerswerda
Ansprache unterschiedlicher
Nutzergruppen, Projektplanung unter dem Leitthema:
SolarGarden City
Gewinnen neuer Nutzergruppen durch hohe
Qualitäts- und Umweltstandards
Klimagerechte Revitalisierung innerstädtischer
Brachfläche
GETEC AG
Wärme- und Energielieferung
Beauftragung diverser
Fachgutachter
Vorbereitung der Bauleitplanung
(Solarenergie und Energieeffizienz)
Stadtwerke Erfurt Energie
GmbH
Gemeinsame Energieversorgung
Kommunale Wohnungsgesellschaft mbH Erfurt
(KOWO)
Übergegangene Projektträgerschaft
Kommunalverwaltung
Projektentwicklung
Städtische Wohnungsgesellschaft, Wirtschafts- u.
Versorgungsbetriebe mbH,
Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, Wohnungsgenossenschaft,
Regionale Wirtschafts- und Ressourcenentwicklung
Sächsische Energieagentur
Dresden, M.-Luther-Universität Halle, Ostsächsische
Sparkasse
Quelle: Eigene Darstellung
Raumordnungsverfahren
Stadtreparatur
Energie- und Klimaschutzkonzept
ImmoKlima
38
Deutschland e. V. Buddhistisches Zentrum
für Frieden und Verständigung will den Aufbau und Ausbau seines neuen Zentrums so
ökologisch und ressourcenschonend wie
möglich durchzuführen. Die inhabergeführte TPP-Projektentwicklungsgesellschaft
mbH verwendet explizit das Thema Ressourcenschonung (Brachflächennutzung und
Flächen sparen) sowie Energieeffizienz zur
Vermarktung ihrer Projekte. Bei der Kommune Hoyerswerda steht die Projektplanung
unter dem Leitthema SolarGardenCity mit
Klimaschutz, Erneuerbare Energien, Klimaanpassung, Vegetationsaufbau, Temperaturausgleich, Innenstadtentwicklung, Urbanität und Stadt der kurzen Wege. Gleichzeitig
sollen (auch hier) unterschiedliche Nutzer
bzw. Nutzungsformen angesprochen werden
(Wohneigentum, Mietwohnungen, Seniorenwohnen, Kleinteiliges Gewerbe). Erfurt
zielt auf Klimaschutz und Klimaanpassung
und will damit ein Standortprofil entwickeln,
das neue Nachfragegruppen anspricht und
mit hohen Qualitäts- und Umweltstandards
die Vermarktung befördern.
3.2 Einflussgrößen gelungener
Kooperationen
Einführend kann festgestellt werden, dass
die Kooperationen der Pilotprojekte erfolgversprechend sind, wenn Partner gewählt
werden können, mit denen gemeinsame
Ziele und Schnittmengen vorhanden sind.
Bei gesetzten Akteuren (aus Politik und Verwaltung) ist es erforderlich, sehr frühzeitig
gemeinsame Ziele zu identifizieren, auszuhandeln und im Projektverlauf zu überprüfen und anzupassen. Ziele können gemeinsam erreicht werden, wenn die erwünschten
Ziele, Aufgaben und Zuständigkeiten der
einzelnen Akteure sehr präzise verbindlich
und verlässlich geregelt werden. Regelungen können in Gestalt von privatrechtlichen
und/oder öffentlich-rechtlichen Verträgen,
in Genehmigungsverfahren oder durch Regelungen des Genossenschaftsrechts erfolgen. Auch die sozialen Regelungen, d. h.
das nicht in Verträgen gefasste ehrenamtlichen Engagement, hat in den Pilotprojekten Einfluss auf das Gelingen. Hier ist die
klare Aufgabenbegrenzung zur Vermeidung
von Überforderung besonders wichtig. Im
Einzelnen lassen sich bei den verschiedenen Akteuren bzw. Kooperationspartnern
die folgenden erfolgreichen Akteurslogiken
(Konstellationen), aber auch Hemmnisse
erkennen.
Werkstatt: Praxis Heft 79
3.3 Kooperation mit professionellen Partnern
Die Projektträger arbeiten mit eigenem
Fachpersonal (Fachingenieure, Architekten), Tochtergesellschaften, mit externen
Büros und Unternehmungen zur Vorbereitung, Qualifizierung und Durchführung der
Projekte. Das Siedlungswerk verstärkt beispielsweise die eigene unternehmensinterne Expertise – zertifiziert und in einem Qualitätsmanagement-Handbuch festgehalten
– durch die kontinuierliche Kooperation mit
dem Büro EGS-Plan.
Die Spannweite der Beauftragung wird
beim Blick auf das Buddhistische Zentrum,
die Thierergruppe und die Möckernkiez
eG deutlich: Aus wirtschaftlichen Gründen
kann das Buddhistische Zentrum für Fachplanungen (wie z. B. das Gebäudeheizungskonzept) nicht immer Aufträge auf Honorarbasis erteilen. Fachplanungen und deren
Umsetzung müssen zum Teil solange aufgeschoben werden, bis die Spendenmittel
dafür gesammelt worden sind. So steht als
nächste größere Investition die Installation
der Heizungsanlage für den Tempelbereich
an (Fundraisingaktion „Wärme für den Tempel“). Möckernkiez eG hingegen ist wirtschaftlich in der Lage, u. a. für juristische
Begleitung, Projektsteuerung, Marktanalyse
für gewerbliche Nutzungen, Erstellung des
Bebauungsplans sowie sozialwissenschaftliche und ökologische Beratung eine externe
Expertise zu beauftragen. An die Grenzen
stößt der genossenschaftliche Anspruch,
selbstverwaltet und mitbestimmt zu arbeiten, wenn neben dem beauftragten Knowhow Zeit- und Kostendruck bei der Umsetzung auftreten. Um trotzdem die Balance
zwischen beauftragter Professionalität und
Selbstverwaltung zu wahren, wird bei der
Beauftragung auf die „Öko-Affinität“ der
Auftragnehmer geachtet. Die Thierergruppe
als inhabergeführtes und privates Unternehmen, realisiert die Expertise überwiegend
aus eigener Kraft unter begrenzter Einschaltung von Fachingenieuren für (energie-)
technische Lösungen. Bei der Marktanalyse
verlässt sich der Geschäftsführer im Wesentlichen auf seine eigenen Erfahrungen und
Ortskenntnisse. Die Thierergruppe verlangt
für den Erfolg zudem bewährte Konstellationen mit Partnern, die sich kennen und sich
vertrauen.
Die Bedeutung von Vertrauen und eingespielten Geschäftsbeziehungen steht auch
Akteurslogiken und Kooperationen
bei der FLUWOG-NORDMARK eG im Vordergrund. Der „direkte Draht“ zur Entscheidungsebene gleich starker Partner ist erforderlich und eher in der Kooperation mit
kleinen und mittelständisch aufgestellten
Unternehmen gegeben und weniger mit
großen Konzernen. Als weitere Auswahlkriterien treten Ortskenntnis und räumliche
Nähe neben das erforderliche Leistungsspektrum und die Kosten für die Leistung.
So ist die Kooperation mit den Stadtwerken
Norderstedt für Planung und Realisierung
des Smart Metering zustande gekommen.
Die zunächst avisierte E.ON Hanse war
nicht an der Kooperation interessiert, obwohl sie Wärme- und Stromlieferant ist.
Zuverlässigkeit und Vertrauen in den Partner ist für die Genossenschaften aus einem
weiteren Grund von (wirtschaftlichem) Interesse: jede schlechte Dienstleistung (z. B.
Heizkostenabrechnung) wird vom Bewohner direkt der Genossenschaft und nicht
dem beauftragten Dienstleister zugeordnet.
Aus diesem Grund erledigt die FLUWOGNORDMARK eG die Heizkostenabrechnung
selbst und gewinnt gleichzeitig die Verbrauchsdaten.
3.4 Kooperation mit unbezahlten
Fachleuten und unbezahlten
Ehrenamtlichen
Bei jungen Genossenschaften und alternativen (Wohn-)Projekten wird vieles im
Ehrenamt erarbeitet. Auch Fachkompetenz
und Erfahrungswissen kommen in unbezahlter oder nur teilweise bezahlter Form
zum Einsatz. Die Mitarbeit von Fachleuten
und Genossenschafts- bzw. Vereinsmitgliedern ist einerseits notwendig, um finanzielle Beschränkungen zu kompensieren,
andererseits ist dies Ausdruck des Organisationsprinzips der Selbstverwaltung und
Selbsthilfe.
Die finanziellen Engpässe können allerdings nur zum Teil durch unbezahlte Arbeit
kompensiert werden. Beim Buddhistischen
Zentrum werden selbst Sanierungsarbeiten
an der Außenfassade unter fachlicher Anleitung ehrenamtlich von (nicht professionellen) Vereinsmitgliedern bzw. Quartiersbewohnern erledigt. Dieser Umstand wird
zum Hemmnis, weil für die Entscheidung
über Umfang, Verteilung und Zeitpunkt der
Durchführung der geplanten Maßnahmen
wenig zeitlicher Spielraum bleiben, denn es
entscheidet vor allem die zeitliche Verfügbarkeit der Mittel. Aufgrund der finanziellen
39
Engpässe ist die Bildung eines Expertenkernteams nicht möglich, was einer Kontinuität in der Planung des Energie-Konzeptes entgegensteht. Das Energiekonzept
und die Beratungs- und Bauleistungen zur
Projektentwicklung wurden von mehreren
Fachleuten erarbeitet und überarbeitet, da
Einzelne mit ihrer begrenzten (ehrenamtlich eingesetzten) Kapazität nicht das ganze
Projekt begleiten konnten.
Bei der Möckernkiez eG wird die oben beschriebene beauftragte Expertise von den
internen Fach-Arbeitsgruppen ergänzt,
begleitet und kontrolliert. Verschiedene
Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit fachlichen Themen zur Projektplanung und
-durchführung. Information und Beteiligung werden aus Interesse häufig fachlich
hochqualifiziert, aber ehrenamtlich erledigt. Allerdings würde eine vollständige Honorierung dieser Aktivitäten den Rahmen
selbst dieser finanzstarken Genossenschaft
sprengen. Angesichts der wachsenden Mitgliederzahl, des Projektfortschritts und der
umfangreichen Steuerungsaufgaben sind
in der Zwischenzeit aus den zunächst unbezahlten Vorstandstätigkeiten bezahlte Stellen für sieben Mitarbeiter entstanden. Das
umfangreiche Engagement und die Vielzahl
der aktiv Mitwirkenden einerseits sowie
Zeit- und Kostendruck andererseits stoßen
an die Grenzen genossenschaftlicher Selbstorganisation: Die Mitglieder fordern umfangreiche und über die gesetzlich festgelegten Mitspracheregelungen hinausgehende
Beteiligung und Mitentscheidung. Um die
Ansprüchen zu erfüllen, werden Kommunikationsstrategien eingesetzt: so erfolgte z. B.
eine Mitgliederbefragung zur Architektur,
die auch im Auslobungstext berücksichtigt
worden war. Zur Auswahl des Landschaftsarchitekturbüros wurde eine Onlinebefragung durchgeführt.
Als Zwischenfazit zeigen die beiden Selbstnutzer Buddhistisches Zentrum und Möckernkiez eG, dass der Erfolg des freiwilligen/unbezahlten Einsatzes von der präzisen
Aufgabendefinition,
Aufgabenverteilung
und Zuständigkeitsregelung abhängt. Beide Pilotprojekte bestätigen aber auch, dass
die ehrenamtlich Aktiven bei der Vielfalt der
übernommenen Aufgaben an ihre Grenzen stoßen und Überforderung eintreten
kann 51. Beide Pilotprojekte wünschen deshalb stärkere Unterstützung durch Beratung
und öffentliche Mittel.
Das Zusammenwirken von professionellem
Einsatz und Ehrenamt beruht bei der 1892,
(51)
Aus dem Kontext des ehrenamtlichen Engagements im
sozialen Bereich ist bekannt,
dass ehrenamtlich Tätige zur
Selbstausbeutung neigen und
deshalb zur Vermeidung der
Überforderung klare Strukturen und professionelle Unterstützung erforderlich. sind.
Vgl. Behr, I. et al.: Neue Soziale Fragen des Wohnens.
Studie im Auftrag des Verbandes der Südwestdeutschen
Wohnungswirtschaft e.V. (VdW
südwest). Darmstadt, IWU,
2008, S. 57 ff.
ImmoKlima
40
der FLUWOG-NORDMARK eG und beim
Siedlungswerk auf dem sozialen Auftrag der
Unternehmen. Die Tätigkeitsbereiche sind
die Beratung und Begleitung der überwiegend älteren Genossenschaftsbewohner bei
den energetischen Modernisierungsmaßnahmen. Akzeptanz für diese wird hergestellt indem sie mit (Energie-)Beratung verbunden wird (Heizen und Lüften). Der oben
beschriebenen Überforderung wird durch
den Einsatz von professionellem Sozialmanagement entgegengewirkt. Dieses kann
durch ehrenamtlich tätige Bewohner (des
Siedlungsvereins ZUSAMMEN e.V.) ergänzt
und bereichert werden. Das Siedlungswerk
verknüpft z. B. für die Integration von behinderten und alten Menschen im Wohnquartier und für die Bewusstseinsschärfung
für Energiesparen und Klimaschutz Ehrenamt und professionelle Kooperationen.
Im Freundeskreis „Seelberg Leben“ haben
sich im lokalen Umfeld tätige Institutionen (St. Anna Stiftung Ellwangen, Malteser Hilfsdienst, Katholischer Sozialdienst,
Katholische Kirchengemeinde Liebfrauen,
Siedlungswerk) zusammengeschlossen und
arbeiten zusammen mit Interessierten aus
der Nachbarschaft an der Quartiersentwicklung. Eine ökologische und Bewohner
aktivierende Ausrichtung ist bislang nicht
ersichtlich, wäre aber vorstellbar.
So illustrieren die Pilotprojekte, dass durch
die Kooperation von (bezahlten) Fachleuten
und ehrenamtlich Tätigen die Risiken der
Überforderung des Ehrenamtes begrenzt
werden. Befördert werden dabei bislang
vor allem soziale Themen zunehmend aber
auch konkrete Fragen zum Energiesparen.
Mittelbar wirkt sich dies auf den Umgang
mit dem Klimawandel aus.
(52)
Vgl. Hacke, U.: Einflussnahme
auf das Nutzerverhalten durch
„Energy Awareness Services“.
Neue Dienstleistungen zur
Förderung des Energiebewusstseins bei Mietern. In: IzR
10/2010, S. 877 – 889.
(53)
Vgl. Hacke, U., Born, R.: Wirkungs- und Akzeptanzanalyse
von EDMpremium, Kurzbericht zur Analyse des Aachener Feldversuches der ista
Deutschland GmbH, IWU 2011.
(54)
Vgl. Mack, B., Hallmann, S.:
Stromsparen in Lummerlund
– eine Interventionsstudie in
einer Passiv- und Niedrigenergiehaussiedlung, Umweltpsychologie 2004, S. 12-18.
3.5 Kooperation mit den Bewohnern
Die Nutzer der Wohnungen können mit ihrem konkreten Verhalten einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung von Klimazielen leisten und werden damit Akteur und
Kooperationspartner für die Projektträger.
Die Kooperation mit den „Kunden“ (wie sie
von den Unternehmen gesehen werden)
bietet besondere Potenziale für den Klimaschutz beim Umgang mit der Heizwärme,
beim (Warm-)Wasserverbrauch und beim
Einsatz elektrischer Energie.
Wenngleich der Einfluss des Verbraucherverhaltens in den Pilotprojekten – wie über-
Werkstatt: Praxis Heft 79
haupt bei den Wohnungsunternehmen bislang noch wenig erforscht52, 53, 54 ist, gehören
Information, Unterstützung und Beratung
der Nutzer vor und bei den Modernisierungsmaßnahmen zur Bewirtschaftungsstrategie. Hierfür ist bei der 1892 ein eigenes
Budget vorgesehen. Vorrangiges Ziel ist es,
die Modernisierungsmaßnahme möglichst
reibungslos abzuwickeln, die Bewohner
geringstmöglich zu belästigen, Mietminderungen zu vermeiden, die Zufriedenheit
mit der modernisierten Wohnung und den
Mietpreisen zu sichern und gleichzeitig die
Genossenschaftsmitglieder für das Thema
Energiesparen zu sensibilisieren.
Die Modernisierung wird zum Anlass genommen, Sensibilisierungs- und Informationsmaßnahmen zum bewussten Umgang
mit den Ressourcen durchzuführen. Neben den „üblichen“ Hinweisen zu Strom,
Heizung und Wassersparen ist bei der
FLUWOG-NORDMARK eG und der Thierergruppe der Einsatz des Smart Metering
vorgesehen (dazu siehe bereits 2.3). Durch
zeitnahe Information über Stromverbrauch
und die Möglichkeit, Strom zu unterschiedlichen Tarifen zu nutzen, sollen die Nutzer ihr Verhalten (zugunsten niedrigerer)
Stromverbräuche anpassen.
Im Zuge der Teilnahme an ImmoKlima
ist die 1892 eG auch als Modellvorhaben
bei der Klimavereinbarung zwischen dem
Berliner Senat und der lokalen Wohnungswirtschaft aufgenommen worden. Die
FLUWOG-NORDMARK eG arbeitet mit der
Hamburger Senatsverwaltung als Pilotprojekt für die Umsetzung von Smart Metering.
Mithilfe des gemessenen tatsächlichen Verbrauches an Heizwärme und Warmwasser
sollen die Erfolge der Nutzeransprache und
der energetischen Modernisierung überprüft werden.
3.6 Kooperation mit Politik und
Verwaltung
Die Pilotprojekte bzw. ihre Projektträger
treten den Akteuren der öffentlichen Hand
in unterschiedlichen Situationen und in
unterschiedlichen Rollen gegenüber. Beim
Grundstückserwerb (Siedlungswerk, Möckernkiez eG, Buddhistisches Zentrum,
Thierergruppe) stehen sich Projektträger
und Stadt bzw. Bezirk als Vertragspartner
gegenüber, um u. a. Grundstückspreis,
Nutzungsanforderungen, wie geförderter
Wohnraum, soziale Einrichtungen beim
Siedlungswerk und der Möckernkiez eG),
Akteurslogiken und Kooperationen
Denkmalschutzanforderungen (Buddhistisches Zentrum und Thierergruppe in Augsburg), energetische Standards (Freiburger
Energiestandard) oder das Maß der baulichen Verdichtung (Thierergruppe in Augsburg) auszuhandeln.
Bei dem Pilotprojekt Erfurt-Marienhöhe
stellt sich die Kooperation zwischen dem
Projektträger LEG Thüringen (2,92 ha), der
Stadt Erfurt (6,93 ha) und dem privaten Bauträger Schoppe/Dr. Anton GbR (1 ha) auf
Grund ihrer gemeinsamen Beteiligung am
Grundeigentum bei unterschiedlicher Interessenlage sehr speziell dar. Das Projektinteresse der beiden öffentlichen Akteure zielt
auf die Schaffung von Bauland und die Realisierung von Erlösen aus werterhöhenden
Maßnahmen (Planungswertausgleich). Die
Interessen des Akteurs Schoppe/Dr. Anton
GbR als Projektentwickler und Bauträger
mit Erfahrung in energetisch hochwertigen
Projekten sind dagegen nicht nur auf den
Grundstücksverkauf, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette bis zum möglichst
zügigen Immobilienverkauf ausgerichtet.
Zum Laufzeitende des Forschungsvorhabens haben sich die Stadtverordneten der
Stadt Erfurt für einen Projektträgerwechsel
entschieden. Die Projektentwicklung soll
nunmehr durch die kommunale Wohnungsgesellschaft (KoWo) erfolgen in der Erwartung, die Wertschöpfungspotenziale für die
Stadt selber zu heben.
Weitere Interessensgegensätze treten innerhalb der Stadt durch ihre unterschiedlichen
Rollen als planende Behörde und als Grundstückseigentümerin zu Tage. Während der
Projektlaufzeit ist es in Erfurt nicht gelungen, die Interessen vor allem der Kämmerei
an der Grundstücksverwertung , des Stadtplanungsamtes an der Entwicklung des gesamten Areals mit den Interessen der privaten GbR an einer raschen Entwicklung einer
Teilfläche in Einklang zu bringen und durch
die Konstituierung einer effektiven Projektentwicklungsstruktur – war als erster Schritt
gedacht und ist heute noch in der Findung –
in einen geordneten, transparenten Prozess
zu führen. Das gemeinsame Leitbild der Solarsiedlung, das gewissermaßen die durchaus unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure bündeln sollte, erweist sich
aber auch im Detail als schwierig. Während
der kommunale Akteur in hohem Maße auf
externes Expertenwissen zur Legitimation
von Entscheidungen setzt, ist der private
Grundeigentümer bereits längere Zeit in der
gesuchten Marktnische tätig und verfügt
41
über eigenes Expertenwissen und Erfahrungen in der Praxis die jedoch nicht adäquat
von der Stadt eingebunden werden.
Für die erfolgreiche Umsetzung der Pilotprojekte ist die Abstimmung mit den Fachämtern in kooperativem Verwaltungshandeln erforderlich. Flexibilität (mehrfache
Planänderungen im Prinz-Eugen-Park in
Günzburg, um wirtschaftliche Nutzungen
zu ermöglichen, großzügige Ausnutzung
der Grundstücke für Wohnbebauung bei
reduzierten Erschließungsflächen in Augsburg), gegenseitiges Vertrauen und Transparenz (Beispiel: frühzeitige Abstimmung
und Durchführung von Wettbewerben beim
Siedlungswerk mit den Kommunen Freiburg
und Stuttgart), sind Facetten des kooperativen Verwaltungshandelns und Bedingungen
des Erfolgs. Die Kooperation ist immer dann
erfolgreich, wenn beide Vertragspartner Vorteile und Nutzen aus der Projektdurchführung ziehen (Darstellung des Projektes als
Beitrag zum Klimakonzept in Günzburg und
Freiburg, Entwicklung schwieriger Brachflächen in Augsburg und Günzburg). Kooperatives Verwaltungshandeln des Bezirks
Friedrichshain-Kreuzberg wird im Umgang
mit dem Buddhistischen Zentrum und der
Möckernkiez eG sichtbar: so stundet der
Bezirk dem Buddhistischen Zentrum Ausgleichsbeträge, die nach dem Errichten von
Wohnungen und der damit verbundenen
(erhöhten) Verdichtung fällig werden, um
das Projekt zu ermöglichen. Ebenso verzichtet der Bezirk bei der Möckernkiez eG
auf die vertraglich vorgesehene Sanierung
des Zollpackhofes und genehmigt den Abriss, weil sich die Sanierung im Projektverlauf als nicht wirtschaftlich durchführbar
gezeigt hat. Kooperationsbereit, um den Erfolg und die Umsetzung des Projektes zu befördern, zeigte sich auch die Stadt Stuttgart
im Verzicht auf Gebühren für die Abwasserwärmenutzung aus dem Abwasserkanal für
die Wärmegewinnung im Projekt SeelbergWohnen.
Die beschriebenen Bedingungen gelten sowohl auf der hier behandelten konkreten
Projektebene, aber auch bei der Zusammenarbeit im übergeordneten Kontext der
Entwicklung von kommunalen Klimakonzepten der öffentlichen Hand und den Beiträgen der Projektträger dazu, wie sie in Kapitel 5 behandelt werden.
Kooperatives Verwaltungshandeln bzw.
kooperative Beteiligungsformen werden
nicht nur von den Pilotprojekten als Moment erfolgreicher Kooperationen benötigt,
ImmoKlima
42
sondern werden auch aus Sicht der öffentlichen Hand als unverzichtbar für die Entscheidungsfindung im Kontext der Klimawandelproblematik erachtet. Als Elemente
eines notwendigen Governance-Prozesses
werden auch von der öffentlichen Hand
Kommunikation, Information und Partizipation, die über das rechtlich vorgegebene
Maß hinausgehen, genannt. Auch aus Sicht
der öffentlichen Hand sollen mit diesen
Beteiligungsformen Akteure frühzeitig eingebunden werden, um die Akzeptanz für
die geplanten Maßnahmen zu erhöhen. Außerdem soll befürchtetem Misstrauen der
Öffentlichkeit gegenüber den öffentlichen
Entscheidungsträgern vorgebeugt werden55.
3.7 Kooperation bei der Energieund Wärmeversorgung
Bei der Umsetzung der integrierten Energieerzeugungs- und Versorgungskonzepte sind
die Projektträger weitreichender und komplexer auf Kooperationen angewiesen als in
den übrigen Bereichen ihrer Projekte.
Wie in Kapitel 3.3 beschrieben, arbeiten
die Pilotprojekte bei der energetischen Modernisierung bzw. dem Neubau effizienter
Wohnungen mit firmeneigenen oder beauftragten Fachleuten.
(55)
BMVBS (Hg.) Klimawandelgerechte
Stadtentwicklung.
Ursachen und Folgen des Klimawandels durch urbane Konzepte begegnen. Forschungen, Heft 149. Bearbeitet von
S. Greiving et al. Berlin, 2011,
S. 78 f.
Für die erforderliche Wärme- und Stromversorgung werden von den Projektträgern
verschiedene Kooperationsformen gewählt.
Hierbei ist das Siedlungswerk ein Beispiel
dafür, wie die Immobilien- und Wohnungswirtschaft zunehmend auch auf dem Energiemarkt tätig wird. So erfolgt die Energieversorgung in Stuttgart durch die Tochterfirma
ImmoTherm mit den Gesellschaftern (Stadtwerke Tübingen, TW Friedrichshafen, Siedlungswerk). ImmoTherm ist der gesetzte Vertragspartner für die Eigentümer und Mieter.
Die Energielieferung erfolgt in der Rechtsform
des Energiecontractings. ImmoTherm wird
außerdem für die Investition der aufwändigen Investitionskosten des Energie-Konzeptes
benötigt. Durch die Verbundenheit von Siedlungswerk und ImmoTherm kann die Verteilung der Investitionskosten (durch Investitionskostenzuschüsse in Höhen zwischen 75 %
- 100 %) zwischen den beiden Gesellschaften
vorgenommen werden und daraus folgend
die Höhe der Betriebskosten gesteuert werden. Zum wirtschaftlichen Erfolg dieser juristisch verbundenen Kooperationsform siehe
auch Kapitel 4.3.
Werkstatt: Praxis Heft 79
Der in Freiburg eingesetzte ContractingPartner, die Badenova Wärmeplus GmbH
&Co KG, ergab sich zwingend, nachdem
aus dem Innovationsfonds “Klima- und
Wasserschutz“ der Badenova Gesellschaft
Wärmeplus GmbH &Co KG ein sehr hoher
Baukostenzuschuss für die Umsetzung des
Energiekonzepts (einschließlich Monitoring) gewährt worden war.
Eine freiwillige Kooperation wird bei der
Stromversorgung der FLUWOG-NORDMARK eG Wohnungen eingegangen: durch
die (vertragliche) Kooperation mit den
Stadtwerken Norderstedt können Angebote
von zeitabhängigen Stromtarifen und dem
Aufbau des Smart Metering geschaffen werden.
Für die Wärmeversorgung muss die FLUWOG-NORDMARK auf den Großversorger EON Hanse, die 1892 auf Vattenfall
zurückgreifen. Hierbei erfolgen die Wärme- und Stromlieferung zu für die jeweilige Genossenschaft ungünstigen Lieferbedingungen, die von den beiden großen
Anbietern bestimmt werden. So entstehen mangels Marktmacht asymmetrische
„Zwangspartnerschaften“mit großen Playern, wobei weder Verhandlungen „auf Augenhöhe“ stattfinden noch gemeinsame Interessen existieren.
An dieser asymmetrischen Allianz scheitern bislang die weitergehenden Überlegungen der genossenschaftlichen integrierten Energieversorgungskonzepte der
FLUWOG-NORDMARK eG: Die nach der
Modernisierung der Bestände reduzierten
Wärmebedarfe und die gewonnenen solaren Energieangebote wären geeignet, auch
Bestände sonstiger Eigentümer im Quartier
zu versorgen. Die Netzinhaber waren jedoch
für diese Kooperation nicht zu gewinnen.
Die Alternative, ein eigenes Wärmenetz zu
betreiben oder sich hierfür mit benachbarten Eigentümern zusammenzuschließen,
war für die Genossenschaften wirtschaftlich nicht leistbar, auf Grund des fehlenden
Know-hows auch nicht realisierbar, so dass
es dahingestellt bleiben kann, ob dies zum
Geschäftszweck einer Wohnungsgenossenschaft gehört.
Anders stellt sich die Kooperation bei der
Schaffung einer integrierten Wärmeversorgung für das Quartier im Prinz-Eugen-Park
(PEP) in Günzburg dar: Für die geplante
Rekommunalisierung der Günzburger Ener-
Akteurslogiken und Kooperationen
gieversorgung auf dem PEP-Gelände wirken die Thierergruppe mit der Gemeinde
als Konzessionsgeberin und GETEC AG als
Wärme- und Energielieferant zusammen.
Auf der Grundlage eines Letter of Intent
zwischen Thierergruppe und GETEC AG
sowie auf der Grundlage von Vorverträgen
zur Wärmelieferung, werden gemeinsam
Potenziale der Kunden und technische Voraussetzungen ermittelt. Hier treffen sich
Nutzungs- und Vermarktungsinteressen des
Energieversorgers, der Gemeinde und des
Projektentwicklers.
3.8Fazit
Die Analyse der Kooperationen in den Pilotstandorten lässt sich mit folgenden Schlussfolgerungen zu den Erfolgsfaktoren und
Hemmnissen zusammenfassen.
• Gelungene Kooperationen identifizieren
konkrete Ziele und Schnittmengen (aus
Gesellschaftszweck, Unternehmensleitbild, Projektidee), treffen klare Vereinbarungen über Aufgaben und Zuständigkeiten und schließen verbindliche Verträge
ab.
Als Hemmnisse sind hierbei zu erkennen:
Das bloße Stützen auf (politisch) erstrebenswerte oder verabredete Programme
sowie unterschiedliche Akteurslogiken,
die sich aus fiskalische Zwängen, verschiedenen Zeithorizonten und Entwicklungsvorstellungen ergeben. Die gemeinsame
Zieldefinition und Verwirklichung wird weiterhin gefährdet bei wachsender Größe und
Mitwirkungsrechten der Projektgruppe und
wachsender Komplexität der Ziele.
• Vertrauensvoller und fairer Umgang der
Partner miteinander (Governance): Projekte werden in großer Offenheit und
Transparenz von Anbeginn des Projektes bis hin zum Abschluss des Projektes
durchgeführt. Die Projektpartner stehen
sich gleichberechtigt gegenüber, sie wirken zusammen „auf Augenhöhe“. Alle
notwendigen Beteiligten werden frühzeitig und über den ganzen Prozess der
Vorbereitung und Durchführung hin beteiligt. Die jeweiligen Kompetenzen aller
Beteiligten werden genutzt. Informelle
Komponenten (Innovatives Denken, Projekttreiber bzw. ein Kümmerer, Non-Profit-Engagement) werden genutzt. Das Projekt ist der gemeinsame Erfolg aller und
wird nach außen so dargestellt.
43
Als Hemmnisse sind zu erkennen: Selbstausbeutung und Überforderung im Ehrenamt bei knappen finanziellen und personellen Mitteln und fehlender organisatorischer
und finanzieller Unterstützung.
• Kooperatives Verwaltungshandeln: benötigt wird flexibles Eingehen auf die spezifischen technischen, wirtschaftlichen
und organisatorischen Erfordernisse des
Projektes, die das geltende Recht auch zulässt.
Als Hemmnisse sind zu erkennen: Politische
Vorgaben und Zwänge bestimmen das Verwaltungshandeln.
Ermessensspielräume
werden nicht ausreichend ausgeschöpft.
Fachverwaltungen folgen ihrer je eigenen
Logik; die übergreifende Zusammenarbeit
bedarf des Anstoßes und der Koordination.
Die Strukturen bzw. treibenden Personen
dafür sind häufig nicht ausreichend vorhanden. Aufgabenstellung und Kompetenzen
der Fachverwaltung (z. B. Liegenschaftsamt
und Stadtplanungsamt) stoßen an Grenzen,
wenn Verhandlungen und Entscheidungen
komplexer, privatwirtschaftlich ausgerichteter Immobilienentwicklungen anstehen
(insbesondere bei Grundstücksveräußerungen und Grundstücksnutzungen).
• Wissenssicherung und Wissensweitergabe: in den Projekten gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen werden durch
Dokumentationen (z. B. Partizipationsfibel, Informationsmaterial, Managementhandbuch) gesichert.
ImmoKlima
44
Werkstatt: Praxis Heft 79
4 Marktstrategien und wirtschaftlicher
Nutzen
Die Träger der Pilotprojekte von ImmoKlima unterstreichen die Notwendigkeit,
dass Investitionen „wirtschaftlich“ sein
müssen. Das bedeutet, dass eine Übernahme und praktische Umsetzung von zusätzlichen Klimaschutzstandards oder von
neuen Anforderungen auf dem Gebiet der
Klimaanpassung in die Geschäftsstrategie
der Unternehmen der Immobilien- und
Wohnungswirtschaft nur dann erfolgreich
sein kann, wenn diese Anstrengungen auch
wirtschaftlichen Nutzen generieren. Dabei
ist der Begriff des wirtschaftlichen Nutzens
breit zu fassen und ist abhängig vom Unternehmenszweck und den jeweiligen Leitbildern.
4.1 Unternehmensziele und Leitbilder
Unternehmerisches Handeln findet im sozialen und politischen Kontext statt. Dieser
wird durch formelle und informelle Bindungen geprägt. Neben den übergeordneten
rechtlichen Bindungen bestehen vertragliche Bindungen mit Kunden, Mietern und
der Öffentlichen Hand. Informelle Bindungen bestehen in die Nachbarschaft und Öffentlichkeit. Die Notwendigkeit, in beiden
Fällen für einen Interessens- und Risikoausgleich sorgen zu müssen, sollte daher
grundlegender Gegenstand des unternehmerischen Handelns sein. Dies gilt besonders für die lokal oder regional agierende
Wohnungswirtschaft, deren Geschäftsmodell auf langfristigen Beziehungen mit Mietern und den Kommunen aufbaut.
(56)
Die Auswahl der Pilotprojekte ImmoKlima basiert nicht
auf einer Zufallsstichprobe
sondern auf Basis der integrierten Klimaschutz- und/oder
Klimaanpassungsstrategien,
die innerhalb der Projekte bzw.
des Unternehmens verfolgt
wurden.
(57)
Europäische
Kommission:
Grünbuch – Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen 2001, S. 7. CSR wird
als Integration sozialer Belange und Umweltbelange in die
Unternehmenstätigkeit und in
die Wechselbeziehungen mit
den Stakeholdern auf freiwilliger Basis definiert.
Vor diesem Hintergrund sind die oben beschriebenen Leitbilder zu würdigen. Sie
enthalten unterschiedlich pointierte Aussagen zum Umgang mit dem Klimawandel.
Die ImmoKlima-Unternehmen, verstehen
sich im weitesten Sinne als „nachhaltige“
Bewirtschafter bzw. Projektentwickler und
verfolgen nicht ausschließlich kurzfristige
Verwertungsinteressen56. Sie besitzen vielmehr überdurchschnittliche Sensibilität für
soziale und ökologische Themenstellungen.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind daher
als Dokumentation des Verhaltens eines
Teils der „klimaaffinen Avantgarde“ in der
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zu
werten, was den Pilotcharakter der Projekte
bzw. der Unternehmensstrategien unter-
streicht.
Hier bietet sich die Verortung der Unternehmensziele in die Begrifflichkeit der
„Corporate Social Responsibility“ (CSR)57
an. Zwar unterstellt die Definition der CSR
die Wahrnehmung einer freiwilligen Verantwortlichkeit, die über gesetzliche Normen
hinausgeht. Die bloße Erfüllung gesetzlicher
Mindeststandards umfasst aber in der Regel
noch nicht alle notwendigen Verhaltenserfordernisse, die zur Sicherung des Fortbestand des Unternehmens notwendig sind.
Die Erfüllung sozialer und ökologischer
Standards, die über gesetzliche Vorschriften hinausgehen, ist also kein altruistisches
Verhalten, sondern, wie insbesondere die
Pilotprojekte des Siedlungswerks, der TPP,
der FLUWOG-NORDMARK eG und der 1892
zeigen, Teil einer Strategie zur Sicherstellung des Unternehmenserfolgs.
Folgende Motive und Zielsetzungen einer
CSR können in den Unternehmensleitbildern der Projektträger identifiziert werden:
• Wirtschaften nach sozialen und ökologischen Standards, die aus religiösen oder
ethischen Werteordnungen abgeleitet
werden (Siedlungswerk, Buddhistisches
Zentrum, Thierergruppe).
• Selbstbestimmung nach eigenen ökologischen und sozialen Standards (Möckernkiez, Buddhistisches Zentrum e. V.).
• Sicherung des sozialen Umfelds und
Schutz der Wohnraumversorgung für ihre
Mitglieder (1892, FLUWOG-NORDMARK
eG).
• Sicherung und Verbesserung städtischer
Lebensbedingungen (Erfurt, Hoyerswerda).
• Bereitstellen von sozialen und ökologischen Leistungen für die Nachbarschaft
(Möckernkiez, Buddhistisches Zentrum
e.V., Siedlungswerk).
Im Folgenden werden die verschiedenen,
durch die Pilotprojekte repräsentierten
Maßnahmen auf ihre strategische Zielsetzung hin untersucht.
Marktstrategien und wirtschaftlicher Nutzen
45
Tabelle 3: Leitbilder und Marktstrategien an den Pilotstandorten
Projektträger
Leitbilder/Unternehmenszweck/Zielsetzung
Marktstrategien
Marienhöhe in
Berlin-Tempelhof
Bezahlbarer Wohnraum für genossenschaftliche Bewohner
Energieeffiziente Modernisierung
Möglichst warmmietenneutrale Modernisierung
Leuchtturmprojekt zur Imagebildung und zur
Kundenbindung
Gewinnen neuer Mitglieder (Junge Familien)
Moderene und innovative Genossenschaft
Photovoltaik-Fassade+ Stromtankstelle +Carsharing für die Genossenschaftsmitglieder
Wettbewerbsfähigkeit der Bestände sichern
Beratung und Nutzersensibilisierung
Sicherung eines stabilen sozialen Umfelds,
bezahlbarer Wohnraum
Sicherung von Standort und Wettbewerbsfähig
Energieeffiziente, altengerechte Modernisierung
imageträchtiges Einzelvorhaben Smart Metering im
„Substitutionshaus“
Hamburg-Niendorf Nord
Warmmietenneutralität
keit
solares Energeiversorgungskonzept
car2go
Beratung und Nutzersensibilisierung
Möckernkiez in
Berlin-Kreuzberg
Stadtquartier für gemeinschaftliches, ökologisches, barrierefreies, Generationen verbindendes, interkulturelles, selbstbestimmtes Wohnen
Hohe ökologische Ansprüche (Passivhaus und
Freiflächengestaltung)
Förderung umweltfreundlicher Mobilität
Soziale und ökologische Ausstrahlung ins
Quartier
Bodhicharya in
Berlin-Friedrichshain
Klimaorientierte Modernisierung eines denkmalgeschützten Ensembles zu einem buddhistischen Zentrum
Nutzen der finanziellen und ideellen Potenziale der
Mitglieder
Förderer und der Quartiersbewohner
interkultureller Austausch
Einbeziehung der Nachbarschaft
Siedlungswerk
Stuttgart
ThiererGruppe
Vorreiter in Verbindung von sozialen und ökologischen Zielen sowie
Nutzen der örtlichen Ressourcen für die Energieversorgung mit innovativen Technologien,
Ressourcenschonung
Kauf und Betriebskosten im Marktniveau halten
durch ausgewogene Contractinglösung
Urbarmachen innerstädtischer Brachen
Zugriffauf die Fläche, wenn Konkurrenz versagt hat
Schaffen von Nischenprodukten
Energetische Standards über EnEV-Niveau
Sparsame Ressourcenverwendung
minimale Flächenversiegelung bei Steigerung der
Nettobaufläche
Marienhöhe in
Erfurt
Solarenergetische Entwicklung einer Wohnsiedlung
Nutzung einer Premiumlage am Stadtrand mit
guter ÖPNV-Anbindung
Ansprache neuer Lebensstilgruppen durch hohe
Qualitäts- und Umweltstandards
SolarGardenCity
in Hoyerswerda
Innerstädtische Brachflächenentwicklung mit
Energie- und Klimaschutzkonzept
Quelle: Eigene Darstellung
Ansprache neuer Nutzergruppen (Grundlage:
Machbarkeitsstudie)
ImmoKlima
46
4.2 Marktstrategien bei kommunalen Projektentwicklungen
Die Strategie im Projekt Erfurt-Marienhöhe
bewegt sich bislang ausschließlich auf der
Ebene der (vorbereitenden) Bauleitplanung.
Das Projektinteresse der Akteure zielt auf
die Schaffung von Bauland und die Realisierung von Erlösen aus werterhöhenden
Maßnahmen (Planungswertausgleich). Die
hochwertige Lage soll durch die Betonung
von Qualitäts- und Umweltstandards eine
zahlungskräftige Zielgruppe anziehen und
im Stadtgebiet halten. Die dabei entstehenden Interessenkonflikte zwischen den beteiligten Eigentümern werden in den Kapiteln
3.1 und 7.2. dargestellt.
Die Zielvorstellung einer energieeffizienten
Stadtentwicklungsstrategie im Neubau, die
allein auf dem Instrumentarium der Bauleitplanung aufbaut, erscheint grundsätzlich
geeignet, um Lösungen zum Klimaschutz
auf kommunaler Ebene im Wohnungsneubau zu verankern, da hierbei über geringe
Dichte, Freiflächen, hochwertige Gebäude
eine entsprechende zahlungskräftige Kundschaft gefunden werden kann. Inwieweit
das Projekt mit einer geplanten Siedlungsdichte von ca. 8 - 12 Wohneinheiten pro
Hektar Nettobauland tatsächlich übertragbare Lösungen der Siedlungsentwicklung
darstellen kann, kann zum derzeitigen Projektstand nicht beurteilt werden. Fragestellungen der Klimaanpassung sind, wie das
Beispiel Erfurt zeigt, direkt in die Beurteilungsmechanismen der (vorbereitenden)
Bauleitplanung zu integrieren.
4.3 Marktstrategien bei kommerziellen Projektentwicklungen
Die Wertschöpfungskette beim Wohnungsneubau umfasst die Bereiche Grundstückserwerb,
Baureifmachung/Erschließung,
Projektentwicklung und Bauplanung sowie
die Baurealisierung bzw. Bauträgerschaft.
Beide untersuchten Projektträger (Thierergruppe und Siedlungswerk) sind in allen
Phasen vertreten. Zur Absicherung der unterschiedlichen Risiken wird für verschiedene Entwicklungsphasen teilweise eine
einzelne wirtschaftlich unabhängige Unternehmensorganisation eingesetzt. Aufgrund
der Angebotsknappheit am Grundstücksmarkt bietet dieses diversifizierte Geschäftsmodell Vorteile bei der Baulandbeschaffung.
Wie das Beispiel der Thierergruppe zeigt,
können durch entsprechende Wissens-
Werkstatt: Praxis Heft 79
vorsprünge Marktvorteile besonders aus
schwierigen Grundstücks- bzw. Eigentumssituationen erwachsen, wenn der Projektentwickler mit den Kooperationspartnern
in der Lage ist, flexible und detailangepasste Lösungen (z. B. zur Reduktion der inneren Erschließungsflächen zugunsten von
Wohn- und Grünflächen in den Pilotprojekten in Günzburg) zu finden. Die besondere
Berücksichtigung öffentlicher Belange und
die Wahrnehmung der Chancen, die aus der
Nachfrage nach möglichst ressourcenschonenden Lösungen entstehen, können bei
Verhandlungen mit der öffentlichen Hand
Wettbewerbsvorteile darstellen. Das Siedlungswerk Stuttgart setzt hierbei zum einen
auf technologische Innovation. Als Multiplikator werden lokale Politiker in die Öffentlichkeitsarbeit eingebunden (z. B. durch inszenierte Eröffnungen). Zum anderen wird
durch die Zusammenarbeit mit herausragenden Planungsbüros und die Lösungsfindung durch Wettbewerbsverfahren eine
baukulturell hochwertige und transparente
Entscheidungsfindung ermöglicht.
Auch in solchen Fällen, in denen mit derartigen Neuentwicklungen kurzfristig kein
wirtschaftlicher Nutzen auf Objektebene
erzielt werden würde, könnte dennoch die
Entwicklung und Erprobung auf Unternehmensebene wirtschaftlicher Vernunft
entsprechen. Mittelfristig sind durch wiederholte Anwendung innovativer Technologien Erfahrungskurveneffekte zu erwarten,
die auch auf Objektebene zu wirtschaftlichen Lösungen führen können. Gleichzeitig
können durch die Vorbildfunktion technologische Innovation verbreitet und damit
positive gesellschaftliche Wirkungen erzielt
werden (Siedlungswerk).
Die Preisstruktur im Wohnungsneubau erfordert eine sorgfältige Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen, die für den Standort,
das Marktsegment und die Wohntypologie
in Frage kommen. Die a-priori-Festlegung
auf eine bestimmte Marketingstrategie führt
dazu, dass die Wahl der energetischen Standards und Technologien auf die Zielgruppen
abgestimmt sein muss. Trotz der deutschlandweit überdurchschnittlichen Kaufkraft
an einigen Pilotstandorten ist der maximal
vom Markt zu tragende Preis das Auswahlkriterium. Das einzelne Unternehmen ist
aufgrund seiner geringen Marktmacht Preisnehmer und muss sein Produkt an die Standards und Preise im Wettbewerbsumfeld
anpassen. Die Mehrkosten eines über dem
gesetzlich geforderten Standard liegenden
Marktstrategien und wirtschaftlicher Nutzen
Gebäudes von ca. 3,5 - 15 % (KfW 70 bzw.
KfW 40-Standard, nach unveröffentlichten
Berechnungen des IWU), bezogen auf die
reinen Baukosten, führen im Gesamtverkaufspreis nur zu einem Aufschlag von max.
ca. 7 %. Angesichts des kompetitiven Marktumfeldes ist dieser Aufschlag jedoch kaum
am Markt durchzusetzen und muss mit höheren Grundstücksausnutzungen oder Abstrichen in anderen Bereichen kompensiert
werden
Klimatisch herausragend angepasste und
überdurchschnittlich energieeffiziente Wohnungen können deshalb für den Anbieter
besondere Marktchancen darstellen: auf
der Nachfrageseite die Chance, seine Marktstellung durch Produktdiversifizierung zu
verbessern (bei besonders innovativen Produkten wie Passivhäusern im Geschosswohnungsbau ist lokal sogar eine Monopolstellung vorstellbar), auf der Angebotsseite die
Chance, durch innovative und kostengünstige Lösungen die vom Markt geforderte
Qualität zu niedrigeren Kosten als das Wettbewerbsumfeld bereitzustellen.
In diesem Zusammenhang sind die Strategien der Thierergruppe und des Siedlungswerks besonders hervorzuheben. Beide
Unternehmen haben erfolgreiche Strategien entwickelt, um das Dilemma der inkongruenten Interessen von Investoren (möglichst geringe investive Kosten) und Nutzern
(Senkung der Betriebskosten) zu lösen. Bei
den Projekten PEP Günzburg und Lechpark
Augsburg geschieht dies durch Gründung
rechtlich eigenständiger Firmen (PEP Energy GmbH & Co. KG), beim Siedlungswerk
durch die Kooperation mit der Badenova
Wärmeplus GmbH & Co. KG in Freiburg und
mit dem eigenen Tochterunternehmen Immotherm in Stuttgart), die im Rahmen eines
den Kunden bindenden Contractingmodells
den Betrieb der wärmeerzeugenden Anlagentechnik gewährleisten. Damit können
Investitionskosten in die Betriebsphase verlagert, gleichzeitig das Betreiberrisiko der
innovativen Anlagentechnik für den Nutzer
minimiert werden. Aus dem laufenden Betrieb können Erfahrungen wiederum in die
technische Weiterentwicklung einfließen.
Mit dieser Strategie gelingt es den Unternehmen, höhere Entwicklungskosten auf
die Endkunden abzuwälzen und damit den
Verkaufspreis dem Marktumfeld anzupassen und dennoch, wie im Fall SeelbergWohnen, einen Energiepreis knapp unterhalb
des Marktniveaus zu erreichen. Für die Käufer reduziert sich dadurch zwar die Höhe des
47
Kostenvorteils durch geringeren Energieverbrauch, die in die Bewirtschaftungsphase
überwälzten höheren Investitionskosten
sind im Gegensatz zur unbekannten Entwicklung der Energiekosten jedoch exakt
berechenbar. Insgesamt ergeben sich damit
geringere Sensitivitäten gegenüber Kostensteigerungsrisiken für den Nutzer.
Insgesamt haben sowohl die Thierergruppe als auch das Siedlungswerk Strategien
gefunden, mit denen sie spezifische Marktsegmente unterschiedlich kaufkräftiger und
innovativer Zielgruppen bedienen und bei
denen Klimaschutz und Klimaanpassung im
Rahmen des wirtschaftlich Machbaren zum
Vermarktungskonzept gehören.
4.4 Marktstrategien von Bestandshaltern
Maßnahmen der genossenschaftlichen Bestandshalter (FLUWOG-NORDMARK eG,
1892) lassen eine andere strategische Ausrichtung erkennen. Die Handlungsspielräume im Bestand sind geringer, da die baukonstruktive und gebäudetechnische Situation
berücksichtigt werden muss. Die Zielgruppe
der Nutzer ist zudem bekannt und muss bei
der Realisierung berücksichtigt werden.
Im Gegenzug öffnet die Einheit aus Investor und Betreiber eine größere Bandbreite
an Lösungen, da das Betreiberrisiko selbst
getragen wird und die Abwägung zwischen
Investitionshöhe und Betriebskosten im
gleichen Unternehmen getroffen wird. Dennoch ist, wie an den genossenschaftlichen
Projekten Hamburg-Niendorf und BerlinMarienhöhe zu sehen ist, die Nutzerkompatibilität der gewählten Technologie und die
Nutzereinbindung in die Planung und den
Betrieb notwendiger Bestandteil der technologischen Nutzen-Risikobewertung.
Folgende strategische Zielsetzungen sind in
beiden Pilotprojekten erkennbar:
• Wettbewerbsvorteile: Senken des Mietausfallrisikos und der Heizkosten, Kundenbindung durch verbesserte Wohnqualität, Weiterreichen von Kostenvorteilen
(Stromlieferung) und Serviceleistungen
• Gesundheitsvorsorge: Verbesserung des
Innenraumklimas, Barrierefreiheit
• Betriebskostensenkung (Wartung und Instandhaltungsaufwand)
• Standortsicherung: Ansprache neuer, jüngerer Zielgruppen, Verbesserung der Auf-
ImmoKlima
48
enthaltsqualität, Quartiersmanagement,
Senkung des Leerstandsrisikos
• Marketing: Generieren eines innovativen
Images, Schaffen von Identifikationsträgern durch visuell herausstechende bauliche Maßnahmen (Photovoltaikfassade,
Dachaufbauten und Solarstromnutzung
bei der Stromtankstelle)
Die Besonderheit der integrierten Ansätze
der beiden Pilotprojekte liegt in der Kopplung baulich-räumlicher, energetischer und
nutzerbezogener Maßnahmen, wodurch
nicht nur Kostenvorteile bei der Baurealisierung erzielt werden konnten, sondern auch
Märkte für neue Dienstleistungen (Stromlieferung, Elektromobilität, Beschaffung
von energiesparenden Haushaltsgeräten)
geschaffen wurden.
4.5 Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsbewertung
Der stark divergierende Umfang und die unterschiedliche Zielsetzung der Maßnahmen
bei den Pilotprojekten zeigt, dass der Nutzen, den der Projektträger daraus zieht, auf
unterschiedlichen Akteurslogiken beruht,
für die jedoch insgesamt rationales Verhalten unterstellt werden kann, d. h. Verhalten,
das auf den Fortbestand des Unternehmens
ausgerichtet ist. Zu unterscheiden ist hierbei
die Betrachtungsebene der Nutzenbewertung (Objektebene, Unternehmensebene
und gesellschaftliche Ebene), der Zeithorizont (einperiodige, d. h. unmittelbare oder
mehrperiodige Refinanzierung) und die Art
des zu bewertenden Nutzens (monetärer
und nicht monetärer Nutzen).
(58)
Nach einer Untersuchung
des BFW aus dem Jahr 2004
(Immobilienzeitung 1.7.2004)
betrug die durchschnittliche
Eigenkapitalquote bei Bauträgern 6 %. 90 % der Verbindlichkeiten bestanden in kurzfristigen Krediten.
(59)
Die Umsatzrendite im Wohnbauträgergeschäft betrug in
der Betriebsgrößenklasse von
20 - 49 Beschäftigten im Jahr
2009 beispielsweise 3 % (Vgl.
Statistisches Bundesamt: Produzierendes Gewerbe, Kostenstruktur der Unternehmen im
Baugewerbe (Fachserie 4, Reihe 5.3). Wiesbaden, 2010, Tabelle 10, Ausgewählte Kosten).
• Wirtschaftlichkeit auf Objektebene bedeutet, dass die durchgeführten Investitionen durch Erlöse aus dem gleichen
Objekt erwirtschaftet werden müssen.
Der wirtschaftliche Nutzen entsteht aus
Mehrerlösen, die durch die Investition
erzielt werden (Verkaufserlös, Mietzinszahlungen). Eine einperiodige Refinanzierung bedeutet, dass die Maßnahmen
sofort positive Erlöse generieren müssen,
d. h. die Erlöse die Höhe der dafür aufgewandten Kosten überschreiten müssen.
Dieses Wirtschaftlichkeitsmodell findet
z. B. bei Investitionsentscheidungen im
Umlaufvermögen statt. Mehrperiodige
Refinanzierung bedeutet, dass die investive Maßnahme über mehrere Perioden
durch Erlöse aus dem gleichen Objekt refinanziert wird. Über den Lebenszyklus des
Werkstatt: Praxis Heft 79
Objektes verteilt gibt es Perioden mit Einzahlungsüberschüssen und Perioden mit
Auszahlungsüberschüssen. Im langfristigen Mittel gleichen sich die Zahlungsströme aus. Wirtschaftlichkeit bedeutet dann,
dass der Barwert der saldierten Zahlungsströme positiv ist.
• Wirtschaftlichkeit auf Unternehmensebene bedeutet, dass die oben dargestellte
Saldierung der Zahlungsströme nicht für
das Einzelobjekt betrachtet wird, sondern auf Portfolioebene. Maßnahmen, die
selbst bei langfristiger Betrachtung keinen
positiven Ertrag aufweisen, können dennoch nutzenbringende Investitionen sein.
Technologische Demonstrationsvorhaben
stellen z. B. Investitionen in betriebliche
Wissensressourcen dar, die dazu beitragen
sollen, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Auch Maßnahmen,
die zu einer positiven Außendarstellung
beitragen, sind betrieblicher Aufwand mit
nichtmonetärem Nutzen, der auf Unternehmensebene wirtschaftlichen Nutzen
generiert und damit in erweitertem Sinne
zur Wirtschaftlichkeit beiträgt.
• Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet
Wirtschaftlichkeit, dass die gesellschaftlichen Kosten und Einnahmen (Steuerzahlungen, soziale und umweltbezogene Kosten und Nutzen) des unternehmerischen
Handelns im Saldo positiv sind.
4.6Wirtschaftlichkeitsbewertung
bei kommerziellen Projektentwicklungen
Bei den Geschäftsmodellen der Projektentwicklung/Bauträgerschaft (Thierergruppe,
Siedlungswerk Stuttgart) stellt eine unmittelbare Refinanzierung auf Objektebene den
Regelfall dar, da nach erfolgter Veräußerung
keine Erlöse mehr erwirtschaftet werden
können. Bauträgertätigkeiten sind in der Regel hochgradig fremdkapitalfinanziert58. Zusammen mit der im Baugewerbe üblichen
äußerst niedrigen Umsatzrendite59 und des
hohen Einzelrisikos, sind hohe Eigenkapitalrenditen im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich marktüblich. Als Kehrseite
des Risikos können bereits geringe Kostensteigerungen oder zeitliche Verzögerungen
im Bauablauf existenzgefährdend wirken.
Die wirtschaftliche Strategie der untersuchten Pilotprojekte in dieser Kategorie liegt
in der Erzielung von positiven Verkaufserlösen aus der Veräußerung des Umlauf-
Marktstrategien und wirtschaftlicher Nutzen
vermögens. Darüber hinaus sind beim Akteur Siedlungswerk Stuttgart Ansätze einer
stringenten betrieblichen Innovations- und
Kommunikationsstrategie zu erkennen, die
stark auf neuartigen und experimentellen
energieeffizienten Technologien basiert.
Begünstigt wird dies durch die Konzentration der Marktaktivitäten in hochpreisigen
Regionen und die Unternehmensgröße, die
dazu beiträgt, Entwicklungsrisiken abzufedern. Der Akteur Thierergruppe setzt im
Gegensatz dazu auf risikoärmere, marktreife
Technologie, die dem gewählten Marktumfeld und der Unternehmensgröße angemessen ist. Die Unternehmenskommunikation
ist dementsprechend auch stärker auf die
Ansprache von Endkunden ausgelegt. Die
trotz des großen technologischen Aufwands
(z. B. Spundwand mit Heiz-/Kühleffekt) erreichten Energieeffizienzgrade liegen nicht
deutlich über dem Wettbewerbsumfeld. Es
ist daher zu vermuten, dass der Demonstrations- und Kommunikationseffekt innovativer Technologien größeren Stellenwert in der Akteurslogik einnahm als die
energetische Effizienzsteigerung. Durch die
Unternehmen wird mit dem integrierten
Modell der Wärmelieferung auch ein neues
Geschäftsfeldes erschlossen, indem die Beratungs- und Energielieferleistungen am allgemeinen Markt angeboten werden (dieses
Modell wird z. B. in Günzburg mit der PEP
Energy GmbH & Co. KG, beim Siedlungswerk mit ImmoTherm bzw. mit der Badenova Wärmeplus GmbH &Co. KG verfolgt).
Bei der konkreten Investitionsentscheidung
werden nur teilweise als Instrumente quantitative Modelle der Standortanalyse, der
Marktpotenzialanalyse und der Wirtschaftlichkeitsberechnung (dynamische Investitionsrechnung, Vollständiger Finanzplan)
eingesetzt. Die zunehmende Verwendung
quantitativer Modelle für Investitionsrisiken
wird in dem stark auf Fremdkapitalfinanzierung basierenden Geschäftsmodell auch
von den Erfordernissen der Kreditwirtschaft
forciert. Inwieweit die Projektträger derartige Instrumente einsetzen, und welche Anforderungen und Einschätzungen der Banken dabei existieren, ist nicht bekannt.
Die Entscheidungsfindung über die Wahl
des energetischen Konzeptes basiert bei beiden untersuchten Akteuren auf Prognoseberechnungen, bei denen Investitionskosten
den zukünftig erwarteten Betriebskosten
(Kapitalkosten, Kosten für Energieträger,
Wartung und Instandhaltung) in einem dynamischen Investitionsmodell gegenüber-
49
gestellt werden. Die Entscheidungsvariable
ist hierbei das Kostenoptimum zwischen der
Höhe der investiven und laufenden Kosten
(Barwertbetrachtung, interner Zinsfuß). Die
Wirtschaftlichkeitsberechnungen werden
von spezialisierten Ingenieurbüros erstellt.
Die Möglichkeit, Investitionskosten im Rahmen von Contracting-Modellen zum Teil in
die Betriebskosten zu verlagern, eröffnet
den Akteuren die Möglichkeit, Kostenobergrenzen bei den Investitionskosten einzuhalten, ohne auf bestimmte Technologien
zu verzichten. Die Problematik dieses Entscheidungsmodells liegt in der Sensitivität
der Ergebnisse hinsichtlich der Annahmen
über die zukünftige Entwicklung der Energiekosten. Die großen Preisvolatilitäten bei
Primärenergieträgern der letzten Jahre erschweren eine verlässliche Prognose der zukünftigen Preisdynamik. Die Argumentation, dass die angebotene Holzpellet-Heizung
„dauerhaft optimale Energiekosten, günstiger als fossile Brennstoffe“ verspreche, wird
z. B. in der Endkundenansprache im Projekt
Lechpark Augsburg angewandt. Eine solche
Gewissheit ist für die Zukunft aber objektiv
nicht möglich.
Da das Risiko letztlich von den Kunden getragen wird, ist es denkbar, dass hierbei
auch die Entscheidungsrationalität der Konsumenten mit einfließt, d. h. die Wahl einer
bestimmten Technologie (z. B. Pellets) damit
begründet wird, dass der Kunde, aber nicht
das Unternehmen, die genannte Energiequelle bevorzugt.
4.7Wirtschaftlichkeitsbewertung
bei Bestandshaltern
Bei Bestandsbewirtschaftern erfolgt in der
Regel eine Investition im Anlagevermögen,
verbunden mit einer mehrperiodigen Refinanzierung60 der getätigten Investitionen.
Aufgrund gegebener oder nur bedingt beeinflussbarer Investitionszyklen in der
Wohnungswirtschaft müssen sich sowohl
Maßnahmen zum Klimaschutz als auch
Maßnahmen zur Klimaanpassung an den
üblichen Investitionszyklen ausrichten.
Klimaschutz und Klimaanpassung mögen deshalb unterschiedliche Ziele sein, in
der Investitionsplanung der Unternehmen
sind sie gemeinsam zu denken. Dies verbietet auf analytischer Ebene keineswegs
die Trennung von Klimaschutz und Klimaanpassung. Umsetzungskonzepte müssen
sich jedoch zwingend der Investitionspraxis
(60)
Da ein positiver Saldo aus
Kosten und Erlös (z. B. in Form
eines Jahresüberschusses =
“Gewinn“) letztlich zur Finanzierung der Eigenkapitalkosten
dient, werden Refinanzierung
und Wirtschaftlichkeit hier synonym verwendet.
ImmoKlima
50
stellen und insbesondere Klimaschutz und
Klimaanpassung weitgehend als integrales
Maßnahmenpaket entwickeln. Zudem sind
Synergien und Konflikte zwischen beiden
Zielen zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 1.4).
Für die systematische Planung von Bestandsinvestition werden von der Wohnungswirtschaft zunehmend Portfoliomanagementsysteme an Stelle von einzelfallbezogenen
Instandhaltungsentscheidungen
eingesetzt. Diese Herangehensweise wird in den
Pilotprojekten nur teilweise verfolgt.
So traf die 1892 die Entscheidung für die umfassende energetische Modernisierung ohne
Portfolioanalyse. Anlass war die im Zuge der
EnEV-Novellierung notwendige Umstellung
von Nachtspeicheröfen auf ein anderes Beheizungssystem. Darauf wurde ein schrittweises Entscheidungsverfahren angewandt,
bei dem auf Basis von Vorerfahrungen im
ersten Schritt ein energetischer Mindestsollstandard (KfW 115, EnEV 2009) festgelegt wurde. In einem zweiten Schritt wurden
die Mehrkosten geprüft, die zum Erreichen
eines Neubaustandards nach EnEV 2009
(KfW 100) nötig waren. Danach wurden Ausführungsvarianten für die Ertüchtigung der
Gebäudehülle und das Wärmeversorgungssystem erstellt und anhand von Vergleichsrechnungen der damit verbundenen Investitions- und Betriebskosten verglichen.
Entschieden wurde sich für die Lösung mit
den niedrigsten Betriebskosten. Angaben
über die tatsächliche Kapitalkostenstruktur
der Maßnahme, d. h. Höhe von Fremdkapitalkosten und Eigenkapitalanteilen, sind im
Forschungsverlauf nicht vorgelegt worden.
Projektforschung und Geschäftsbericht der
189261 stellen fest, dass die niedrigen KfWFremdkapitalkosten (neben den niedrig
verzinsten Spareinlagen der Genossen und
niedrigen Kapitalmarktzinsen) entscheidend für die Finanzierbarkeit der Maßnahme sind. Die Zinsbelastung vergleichbarer
Maßnahmen der 1892 lag bei max. 2 % 61.
Die Entscheidungsfindung basiert also nicht
auf einer Kosten-Nutzen-Optimierung des
Maßnahmenumfangs, sondern auf ex ante
getroffenen Festlegungen, für die dann die
o. g. Umsetzungsstrategie erarbeitet wurde.
(61)
Vgl. Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft
von
1892 eG: Geschäftsbericht
2010, S. 30.
(62)
Vgl. ebd., S.22, 28
Sie müssen sich jedoch zwingend der Investitionspraxis stellen und insbesondere Klimaschutz und Klimaanpassung weitgehend
als integrales Maßnahmenpaket entwickeln.
Zudem sind Synergien und Konflikte zwischen beiden Zielen zu berücksichtigen (vgl.
Kapitel 1.4).
Werkstatt: Praxis Heft 79
Für die systematische Planung von Bestandsinvestition werden von der Wohnungswirtschaft zunehmend Portfoliomanagementsysteme an Stelle von einzelfallbezogenen
Instandhaltungsentscheidungen
eingesetzt. Diese Herangehensweise wird in den
Pilotprojekten nur teilweise verfolgt.
So traf die 1892 die Entscheidung für die umfassende energetische Modernisierung ohne
Portfolioanalyse. Anlass war die im Zuge der
EnEV-Novellierung notwendige Umstellung
von Nachtspeicheröfen auf ein anderes Beheizungssystem. Darauf wurde ein schrittweises Entscheidungsverfahren angewandt,
bei dem auf Basis von Vorerfahrungen im
ersten Schritt ein energetischer Mindestsollstandard (KfW 115, EnEV 2009) festgelegt wurde. In einem zweiten Schritt wurden
die Mehrkosten geprüft, die zum Erreichen
eines Neubaustandards nach EnEV 2009
(KfW 100) nötig waren. Danach wurden Ausführungsvarianten für die Ertüchtigung der
Gebäudehülle und das Wärmeversorgungssystem erstellt und anhand von Vergleichsrechnungen der damit verbundenen Investitions- und Betriebskosten verglichen.
Entschieden wurde sich für die Lösung mit
den niedrigsten Betriebskosten. Angaben
über die tatsächliche Kapitalkostenstruktur
der Maßnahme, d. h. Höhe von Fremdkapitalkosten und Eigenkapitalanteile, sind im
Forschungsverlauf nicht vorgelegt worden.
Projektforschung und Geschäftsbericht der
189262 stellen fest, dass die niedrigen KfWFremdkapitalkosten (neben den niedrig
verzinsten Spareinlagen der Genossen und
niedrigen Kapitalmarktzinsen) entscheidend für die Finanzierbarkeit der Maßnahme sind. Die Zinsbelastung vergleichbarer
Maßnahmen der 1892 lag bei max. 2 % 62.
Die Entscheidungsfindung basiert also nicht
auf einer Kosten-Nutzen-Optimierung des
Maßnahmenumfangs, sondern auf ex ante
getroffenen Festlegungen, für die dann die
o. g. Umsetzungsstrategie erarbeitet wurde.
Die 1892 strebt mit den Modernisierungsmaßnahmen Warmmietenneutralität an.
Für die Bestandsmieten gelingt dies nicht
vollständig: Die Summe aus der Netto-KaltMiete und den Heizkosten liegt nach der
Modernisierung bei 5,34 € gegenüber 4,72 €
vor der Modernisierung. Legt man hingegen
die Mieten von vergleichbaren Neuvermietungen in Höhe von 5,75 € - 7,36 € zu Grunde,
wird Warmmietentenneutralität erreicht.
Bedeutsam sind die Erlöse aus der Neuvermietung vor allem für die Rentabilität
der Modernisierungsmaßnahme. Die 1892
Marktstrategien und wirtschaftlicher Nutzen
51
Tabelle 4: Entwicklung der Mieten im Quartier Marienhöhe (Bestand)
€/m²
vor der Sanierung
nach der Sanierung
Veränderung
in %
Netto-Kalt-Miete
3,52
4,92
1,40
40
Heizkosten
1,20
0,42
0,78
65
Quelle: eigene Darstellung nach Angaben der 1892 und von empirica
setzt auf eine schrittweise Anpassung des
mittleren Mietniveaus durch die natürliche
Mieterfluktuation, da marktübliche Neuvertragsmieten nur bei Neuvermietungen
verlangt werden. Aufgrund der unterdurchschnittlichen Fluktuationsraten von 3,5 %
in den betroffenen Beständen und der sehr
niedrigen Ausgangsmieten, wird das mittlere Mietniveau auf absehbare Zeit niedrig
bleiben. Da der Mietpreis auch nach Erhöhung unter den ortsüblichen Vergleichsmieten bleibt, ist er finanziell durchsetzbar.
Bei den vom Unternehmen nachrichtlich
genannten Gesamtkosten von ca. 8 Mio. €
ist die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme
auf Projektebene angesichts der geringen
Erlössteigerungspotenziale aus höheren
Mieteinnahmen fraglich. Aufgrund der geringen marginalen Mehrkosten einer Modernisierung auf EnEV-Neubaustandard gegenüber einem geringeren Standard, ist die
Entscheidung für den Neubaustandard dennoch nachvollziehbar. Defacto erfordert ein
derartiges Objekt dann tatsächlich eine Art
„Quersubventionierung“ innerhalb der Genossenschaft, d. h. eine anteilige Überwälzung der Investitionskosten auf alle Genossenschaftsmitglieder. Sie wird gerechtfertigt
mit im Mittel geringerem Modernisierungsaufwand anderer Gebäude, u. a. der denkmalgeschützten Bestände, über welche die
1892 verfügt. Die angegebenen Kosten von
ca. 8 Mio. € entsprechen ca. 36 % des Instandhaltungs- und Modernisierungsvolumens
von 21,87 Mio. € im Geschäftsjahr 2010 (Geschäftsbericht 2010 der 1892 eG), der Anteil
der von der Maßnahmen betroffenen 304
Wohnungen entspricht aber nur ca. 4,6 %
des gesamten Wohnungsbestandes. Zusätzlich ist anzunehmen, dass es bei diesem
Projekt auch nicht monetäre Nutzenerwägungen wie die Stärkung der betrieblichen
Innovationskraft, die Kundenbindung am
wettbewerbsintensiven Berliner Wohnungsmarkt und die Öffentlichkeitswirksamkeit
eine Rolle spielten.
Auch der Projektträger FLUWOG-NORDMARK eG setzt bei seinen Projekten auf öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, mit denen die Innovationskraft des Unternehmens
visuell unterstrichen werden soll. Die Insze-
nierung als „innovative“ Genossenschaft soll
die Ansprache und Bindung neuer, jüngerer
Kunden an das Unternehmen erleichtern.
Da dies in erster Linie durch ein positives
Identifikationsangebot erzielt wird, ist die
Gefahr des Ausschlusses des bestehenden
Kundenstamms gering. Dennoch zeigen die
Maßnahmen am Pilotprojekt Hamburg-Niendorf, dass diese Strategie auch über die öffentliche Inszenierung hinaus geeignet sein
kann, die Problemfelder demographischer
Wandel, Quartiersstabilität, Gesundheitsvorsorge und Energiekostensteigerung integriert zu betrachten. Diese Strategie wird
mit der Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit auf Unternehmensebene
begründet, auch wenn dies angesichts der
aktuellen Marktlage in Hamburg unproblematisch erscheinen mag.
Auch die Grundsatzentscheidung zur
Durchführung von Maßnahmen an sich
wurde am Pilotstandort Hamburg-Niendorf
anscheinend ohne Wirtschaftlichkeitsberechnungen getroffen, da dies von zum
Entscheidungszeitpunkt noch unbekannten zukünftigen Finanzierungskonditionen
abhängig war und daher nur für einzelne
Bauabschnitte durchgeführt wurde. Hingegen wurde für das so genannte „Substitutionshaus“, in welchem alle klimarelevanten
Faktoren ermittelt und kombiniert werden
(Senkung des Primärenergiebedarfs durch
Sanierung mit Passivhauskomponenten
und Maßnahmen zur Optimierung des Nutzerverhaltens) eine Kalkulation auf Basis
eines vollständigen Finanzplans gemacht.
Die Gesamtkosten der umfangreichen
Modernisierung lagen etwa auf gleichem
Niveau wie Neubaukosten im Geschosswohnungsbau, wofür vor allem die kostenintensive Aufstockung verantwortlich sein
dürfte. Die Finanzierung der Maßnahme
erfolgt über höhere Mieten für die Neubauwohnungen im aufgestockten Bauteil, die
sich an eine andere Zielgruppe richten. Für
Bestandswohnungen sind Erhöhungen von
ca. 19 % oder 90 ct/m² vorgesehen, womit
die Mietsteigerungen noch im Bereich der
Warmmietenneutralität liegen dürften. Die
Wirtschaftlichkeit der Durchführung wurde
durch eine Optimierung der Maßnahme auf
ImmoKlima
52
verschiedene Fördermittel hin und äußerst
günstige Kreditfinanzierungen ermöglicht.
Eine Wirtschaftlichkeit auf Objektebene
wird nicht angestrebt. Auch hier erfolgt eine
Mitfinanzierung durch alle Mitglieder der
Genossenschaft. Angesichts der erhofften
positiven externen Quartierseffekte (Stabilisierung der Bewohnerschaft, Verbesserung
der Servicequalität etc.), von denen auch
das stark am Ort präsente Gesamtunternehmen profitiert, wäre eine Wirtschaftlichkeit
auf Objektebene auch nicht zielführend.
Unter diesen Umständen ist der hohe technologische Standard der Maßnahmen in den
Pilotprojekten Hamburg-Niendorf und Berlin-Marienhöhe bemerkenswert. Angesichts
des hohen Kostenaufwands erscheint es jedoch nicht möglich, derartige Maßnahmen
im Gesamtbestand vermehrt außerhalb der
normalen Instandhaltungszyklen durchzuführen, auch wenn durch wiederholte Maßnahmendurchführung Erfahrungskurveneffekte zu Kostensenkungen führen dürften.
4.8Fazit
Für die Beurteilung des wirtschaftlichen
Nutzens von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen spielen bei den Pilotprojekten mehr als nur die reinen Kosten und
Erlöse auf Objektebene eine Rolle:
• Die Unternehmen bedienen eine spezifische Nachfrage am Markt nach qualitativ hochwertigen, ökologisch korrekten
und innovativen Produkten. Klimaschutz
und Klimaanpassung dienen dabei auch
der Imagebildung und müssen dann entsprechend sichtbar und kommunizierbar
sein. Imageträchtige Vorhaben stärken
gleichzeitig die Verhandlungsposition mit
Politik und Stadtplanung und eröffnen
Chancen bei der Grundstücksakquise.
Durch Bürgerinitiative entwickelte Wohnprojekte wie im Möckernkiez, die jenseits
der klassischen Immobilienunternehmen
und Traditionsgenossenschaften agieren,
werden Klimaschutz und Klimaanpassung tendenziell noch höher gewertet,
ohne dass dabei die Regeln der Rentabilität von Maßnahmen außer Kraft gesetzt
werden könnten.
• Durch den Einsatz innovativer Technologien entstehen für die Unternehmen Lerneffekte, welche künftige Entscheidungen
verbessern und die Marktposition auch
in Zukunft sichern. Innovation entsteht
dabei immer dort, wo etablierte Partner
Werkstatt: Praxis Heft 79
(d. h. v.a. die Unternehmen und deren
Planer bzw. Fachingenieure) vertrauensvoll zusammenarbeiten und Unternehmen zeitlich und finanziell bereit und auf
grund ihrer Fachkompetenz in der Lage
sind, Neues auszuprobieren.
Der Begriff des wirtschaftlichen Nutzens ist
demnach weiter zu fassen, da die Betrachtungsebene über die Projektebene hinausgeht.
Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
53
5 Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
5.1 Synergien und Konflikte zwischen immobilienwirtschaftlichen und klimapolitischen
Zielen
Vor dem Hintergrund der Frage, wie die
Immobilienwirtschaft in die Erstellung von
Strategien zum Klimawandel auf der kommunalen und der Länderebene eingebunden ist und was sie dazu beitragen kann,
sollen zunächst die unterschiedlichen Interessenslagen klargestellt werden. Kommunen und andere Gebietskörperschaften verfolgen mit ihrer Klimapolitik Ziele,
welche sich am Allgemeinwohl orientieren
und sicherstellen müssen, dass jeder Akteur
seinen Anteil dazu beiträgt. Die Unternehmen der Immobilienwirtschaft sind Wirtschaftssubjekte, deren Geschäftszweck in
der gewinnorientierten Planung, Errichtung
und Vermarktung bzw. Bewirtschaftung von
(Wohn-)Gebäuden besteht. Hierbei müssen
sie sich eng an der Nachfrage der Kunden
orientieren. Bei dieser Sichtweise können
ordnungsrechtliche Regelungen rentierliche
Investitionen erschweren.
Wie in Kapitel 4 dargestellt, realisieren die
Pilotprojekte jedoch immobilien- und wohnungswirtschaftliche Strategien, die den
Klimawandel über die rechtlichen Erfordernisse hinaus bewusst als Marktvorteil
nutzen, sei es zur Vermarktung gegenüber
dem Kunden oder zur Positionierung bei
der Kommune (z. B. bei der Sicherung einer
günstigen Ausgangsposition beim Grundstückserwerb). Auch die persönliche Überzeugung der investierenden Eigentümer
bzw. ein ethisch motiviertes Leitbild (Siedlungswerk, Buddhistisches Zentrum) sind
Motive, den Klimawandel in ihrer Strategie
zu berücksichtigen.
Auch ohne Staatseingriff befördert der
Markt die Umsetzung klimapolitischer Ziele. Steigende Energiepreise „erzwingen“ die
energetische Modernisierung bzw. verbessern deren Wirtschaftlichkeit. Für Bestandshalter (1892 und FLUWOG-NORDMARK
eG) besteht damit durchaus der Druck, die
Wettbewerbsfähigkeit der Bestände zu sichern. Dies gilt theoretisch in noch höherem Maße für die Klimaanpassung, da ein
unmittelbarer Nutzen in Form der Minimie-
rung von Gesundheits- oder Bauschadensrisiken geschaffen wird. Auf diese stark mit
dem Versicherungsmarkt verbundenen Fragestellungen wird in Kapitel 5 eingegangen.
Soweit klimarelevante Erkenntnisse (z. B.
Freihalteflächen für Hochwasserschutz oder
Frischluftschneisen, geringere Verdichtungen) in Festsetzungen (planerischer oder
vertraglicher Art) Eingang finden, kann
dies zu einer Wertminderung von Grundstücken führen, weil die Ausnutzung des
Grundstücks geringer wird oder weil investive Maßnahmen erforderlich werden, die
sich dann bei der Kaufpreisbildung niederschlagen63. Hier können Interessenkonflikte
zwischen Klimaanpassung auf städtischer
Ebene und der Immobilienwirtschaft eintreten. Fiskalische Interessen der kommunalen Grundstückseigentümer bergen die
Gefahr, dass Wissen über Klimarisiken nicht
berücksichtigt wird bzw. der Überwälzung
von Risiken von der planenden Kommune
auf den Investor. Für den Interessenausgleich zwischen den öffentlichen Erwartungen und denen der Immobilienwirtschaft ist
es deshalb erforderlich, frühzeitig vor der
Kaufentscheidung über klimatische Risiken64
und kommunale Erwartungen den offenen
Austausch vorzunehmen.
5.2 Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte in Kommunen
Lokale und regionale Immobilien- und
Wohnungsunternehmen treffen auf sehr
unterschiedliche
Ausgangsbedingungen
und Mitwirkungsmöglichkeiten, wenn es
um die Erstellung von integrierten Klimakonzepten durch Kommunen geht. Außerdem liegen vollständig unterschiedliche
Voraussetzungen bei kommunalen Klimaschutzkonzepten auf der einen Seite und
kommunalen Klimaanpassungskonzepten
bzw. -strategien auf der anderen Seite vor.
Während mittlerweile für zahlreiche Kommunen im Detail ausgearbeitete und durch
Beteiligungsverfahren begleitete integrierte Klimaschutzkonzepte existieren (bisher
wurden 893 kommunale Klimaschutzkonzepte vom Bundesumweltministerium gefördert, Stand März 201265), ist dieses für
den Bereich der Klimaanpassung so gut wie
(63)
Diese Überlegungen wurden
bei den vom Projektforscher
WEEBER+PARTNER Initiierten
Stuttgarter Runden Tischen im
Kontext des Klimaplanungspasses diskutiert. Ähnliche
Zielkonflikte treten beim Leitfaden klimAix auf (vgl. BMVBS
(Hg.): StadtKlima – Kommunale Strategien und Potenziale
zum Klimawandel. ExWoStInformationen 39/2. Bonn /
Berlin, 2012, S. 8).
(64)
Um die Abschätzung von Klimarisiken zu unterstützen,
wird mit ImmoRisk ein neuer
Forschungsansatz durch das
BBSR erarbeitet: auf der Basis
einer Datenrecherche wird ein
„Werkzeug“ zur Unterstützung
der Risikoabschätzung von
Klimafolgen für u. a. die Pilotstandorte und flächenbezogen
eine Konzeption zur Entwicklung eines Geoinformationssystems erarbeitet.
ImmoKlima
54
gar nicht festzustellen.
In allen Städten der Pilotprojekte existieren
Klimaschutzkonzepte bzw. sind diese in Bearbeitung (vgl. Abbildung 5). Einige dieser
Städte sind schon seit Jahren im Bereich Klimaschutz sehr aktiv und können mehrfache
Fortschreibungen von Energie-, CO2-Minderungs- oder integrierten Klimaschutzkonzepten vorweisen, wie die Städte Hamburg
und Freiburg. In Günzburg liegt noch kein
Konzept vor, jedoch existiert ein vom Stadtparlament verabschiedetes Positionspapier
mit weitreichenden Klimaschutzzielen. Die
Stadt Günzburg will bis zum Jahre 2030 eine
energieautarke Stadt sein.
Eine Ausnahme stellen die beiden ImmoKlima-Standorte und Stadtstaaten Hamburg
und Berlin dar, wo auf der Landesebene Klimaanpassungsstrategien ausgearbeitet werden bzw. verabschiedet worden sind. Die
Bezirksämter dieser beiden Städte, die als
unmittelbare kommunale Behörde in Bezug
auf die Standorte der Pilotprojekte anzusehen sind, haben entweder keine Kompetenzen in den Bereichen „Energie und Klima“
oder haben (noch) keine eigenen Konzepte
ausgearbeitet. Viele inhaltliche Aussagen
und Vorgaben auf der gesamtstädtischen
Ebene sind so abgefasst, dass sie sachlich
und vom Maßstab auf die Bezirke übertragbar sind.
Insbesondere in Großstädten liegen lokale
Informationen vor, die ein klimaangepasstes Bauen ermöglichen. In Städten, wie
zum Beispiel dem ImmoKlima-Standort
Stuttgart, existieren vielfach sogar gute
bis herausragende stadtklimatologische
Grundlagen66. Allerdings beziehen sich
diese Informationsgrundlagen nur auf die
Ist-Situation und lassen keine Schlussfolgerungen für zukunftsweisende Klimaanpassungsbedarfe zu.
5.3 Die Immobilien- und Wohnungswirtschaft als Adressat
von Klimaschutzkonzepten
(65)
http://www.bmu.de/klimaschutzinitiative, aufgerufen am
13.04.2012.
(66)
Das Umweltamt Stuttgart hat
bereits 1977 eine städtebauliche Klimafibel veröffentlicht,
die bundesweit als Vorbild
genutzt wurde und seit Kurzem noch mal aktualisiert und
als Online-Ausgabe vom Land
Baden-Württemberg verbreitet
wird.
Alle kommunalen Klimaschutzkonzepte der
Pilotstandorte benennen Handlungserfordernisse im Bereich von Immobilien und
Gebäuden und enthalten an die Akteure der
Immobilien- und Wohnungswirtschaft gerichtete Maßnahmenvorschläge. Besonders
umfangreich ist dies in den beiden Stadtstaaten gegeben. Überall (dies gilt auch für
zahlreiche andere von der Forschungsassistenz ausgewerteten Klimaschutzkonzepte)
Werkstatt: Praxis Heft 79
wird der Wohnungswirtschaft und den privaten Gebäudeeigentümern bzw. Bauherren
eine hohe Verantwortung für das Erreichen
der kommunalen Klimaschutzziele zugewiesen. In allen Konzepten wird auf die
Energieeinsparpotenziale im Gebäudebereich verwiesen. Die wichtigsten direkten
Anforderungen an die Immobilien- und
Wohnungswirtschaft in den Klimaschutzkonzepten der Pilotprojektstandorte sind:
• Neubaustandards nach KfW und Passivhaus-Instrument: städtebaulicher Vertrag
(Stuttgart)
• Verstärkte energetische Modernisierung
– Instrument: kommunalen Förderprogrammen (Günzburg, Hamburg)
• informelle Instrumente: Informationsund Beratungskampagnen zur Steigerung
der energetischen Modernisierungsrate
Weitere indirekte Anforderungen, die sich
an Energieversorgungsunternehmen, Gewerbe, Kommune und auch an die Akteure
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
richten sind:
• Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung (Berlin, Erfurt). Instrument: Planung und Realisierung von Nahwärmenetzen, Bau von
Blockheizkraftwerken.
• Verstärkte Nutzung von erneuerbaren
Energien (Freiburg).
• Siedlungsstruktur und Durchgrünung
durch kompakte Stadtentwicklung (Augsburg) – Instrument: formelle Bauleitplanung
Die in den Klimaschutzkonzepten angesprochenen Gebäudestandards und gebäudetechnische Elemente beziehen sich
überwiegend auf die Verbesserung der Energieeffizienz und den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien. Soweit Synergien mit
Anforderungen zur Klimaanpassung existieren, werden diese erwähnt, z. B. Verschattungselemente, um Energieverbräuche für
die Kühlung zu reduzieren. Die wenigen
vorliegenden Hinweise und Strategien zur
Klimaanpassung beziehen sich auf die Außenanlagen von Gebäudeensembles und
deren Grünstrukturen.
Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
Tabelle 5: Kommunale Konzepte der Gemeinden in den Pilotstandorten
Berliner Klimastrategie 2008/09
Berlin
Bericht zum Klimawandel des Landes Berlin (2009)
Stadtentwicklungsplan Klima (verabschiedet im Mai 2011): „Urbane Lebensqualität im Klimawandel sichern“
Landesenergieprogramme nach dem Berliner Energiespargesetz alle vier Jahre
Hamburg
Klimaschutzkonzept 2007-2012, Fortschreibung 2010/2011: Unterlegung des Konzeptes mit
finanziellen Mitteln (23,5 Mio. € p.a. direkt, weitere 75 Mio. € aus Fachtiteln/Drittmitteln) und
Aufnahme des Themas Klimaanpassung (Fokus auf Sektor Gebäude/Stadtentwicklung)
Stuttgart
Fortschreibung des bestehenden Klimaschutzkonzeptes (KLIKS) durch „10 Aufgabenfelder
der Klima- und Energiepolitik in Stuttgart“ (2007)
Kommunales Förderprogramm Sanierung, energetische Standards im Neubau, Förderung der
Entwicklung von Kraft-Wärme-Kopplung und die Initiierung eines Modellstadtteils
Traditionell hervorragende Informationen über das Stadtklima
Klimawandel-Anpassungskonzept Stuttgart „KLIMAKS“ geplant
„Solarhauptstadt“
Freiburg
Gutachten „Freiburg 2050 - Auf dem Weg zur Klimaneutralität“
12-Punkte Plan der Stadt Freiburg mit Förderprogrammen zum Wärmeschutz und zur KWK
Günzburg
Positionspapier „Energie. In Günzburg. Der Weg zur energieautarken Stadt“ mit weitreichenden Zielsetzungen
Kommunales Förderprogramm für Passivhäuser und Wärmeschutzmaßnahmen im Altbaubereich
Augsburg
Erster Klimaschutzbericht 2008 mit 9-Punkte-Plan zur Augsburger Klimaoffensive
Mitwirkung am regionalen Klimaschutzkonzept des Wirtschaftsraumes Augsburg
Erfurt
Quelle:
Integriertes Klimaschutzkonzept in Bearbeitung
Eigene Darstellung
5.4 Mitwirkungsbereitschaft der
Immobilien- und Wohnungswirtschaft bei der Erstellung
von integrierten Klimaschutzkonzepten
Von der grundsätzlichen Frage nach Synergien und Konflikten zwischen kommunalem
Klimaschutz und immobilienwirtschaftlichen Unternehmensinteressen (vgl. Kapitel
5.1) zu trennen, ist die konkrete Frage nach
der Bereitschaft der Unternehmen, sich in
klimapolitische Prozesse mit ihren Erfahrungen aus der Praxis einzubringen.
Für privatwirtschaftliche Immobilienunternehmen ist es ambivalent, sich in lokale politische Prozesse einzubringen. Zum einen
können und müssen sie Rahmenbedingungen, die sie selbst betreffen, mitgestalten,
zum anderen sind demokratische Prozesse
arbeitsintensiv und langwierig und widersprechen damit der eigenen Kultur der Effizienz bzw. stellen Kosten dar, die durch die
erforderliche Arbeitszeit zur Teilnahme an
Sitzungen oder Veranstaltungen entstehen.
Die kommunalen Wohnungsunternehmen
werden seitens der Kommunen in der Regel stärker in die kommunalen Strategien
eingebunden. Auf bundes- und landespolitischer Ebene übernehmen die Verbände
die politische Interessenvertretung. Auf ihre
Mitwirkung wird auch im Folgenden noch
eingegangen.
Für die kommunale Ebene gilt einschränkend, dass die Aktivitäten vieler Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft – insbesondere der Projektentwickler
– eher ortsübergreifend angesiedelt sind
und sich innerhalb einer Kommune nur auf
einen oder mehrere Projektstandort(e) konzentrieren. Die Unternehmen haben also
nicht die kommunale Gesamtentwicklung
im Blick, sie sind meist auf der Stadtteilebene tätig. Dies wird deutlich beim Siedlungswerk und der Thierergruppe. Die räumliche
Fokussierung auf Teile des Kommunalgebiets gilt aber auch für Bestandshalter wie
die beiden Traditionsgenossenschaften, den
Möckernkiez oder das Buddhistische Zentrum.
Darüber hinaus ist die Rolle der Unternehmen
durch ihre Eigentümerstruktur, Geschäftsziele, Historie und Marktposition unterschiedlich
vorgeprägt. Diese beiden Voraussetzungen
bestimmen, wie stark die Bindungen an die
jeweilige kommunale Entwicklung ausgebildet sind und wie stark damit die Bereitschaft
und das Interesse ist, sich in kommunale Entscheidungsprozesse zu integrieren. So lassen
sich folgende Aussagen für die vier Kategorien
der Unternehmen der Pilotprojekte von ImmoKlima (vgl. Kapitel 1.6) treffen:
• Traditionelle Genossenschaften (FLUWOG-NORDMARK eG Hamburg und
1892 Berlin)
55
ImmoKlima
56
Die Unternehmen haben ein besonderes
Interesse an der langfristigen Entwicklung
der Standorte. Kommunale Strategien,
die eine langfristige Standortsicherung
begünstigen, erfahren deshalb ein besonderes Interesse und entsprechende Unterstützung bzw. werden auf der Quartiersebene sogar angeregt. Nichtsdestotrotz
erfolgt eine klare Abwägung zwischen Aufwand der Beteiligung und Nutzen für die
Genossenschaft.
• Projektentwickler (Siedlungswerk Stuttgart und Thierergruppe in Günzburg und
Augsburg)
Diese regional agierenden Unternehmen
suchen sich die Gebiete für ihre Projekte
aus einer Vielzahl von potenziellen Standorten selbst aus, sie sind weder an eine
einzelne Kommune noch an einen konkreten Standort gebunden. Dennoch gibt
es an den Schwerpunktstandorten Aktivitäten, die aber auch durch eigene Interessen geleitet werden z.B. das Konzept zur
Rekommunalisierung der Energeiversorgung in Günzburg mit der TPP (vgl. hierzu
auch Kapitel 4).
• Flächenentwicklungen mit und für Kommunen (LEG Thüringen und Hoyerswerda/ascenticon)
Die kommunalen Akteure orientieren sich
vorab an den Zielen der kommunalen
Klimaschutzkonzepte. Für die privatwirtschaftlichen Partner wurde hier eine Marke kreiert, die zur Ansprache von Kunden
genutzt werden soll.
• Alternative (Wohn-)Projekte (Möckernkiez und Buddhistisches Zentrum).
Die Ziele beider Projekte sind an Konzepte von spezifischen Lebensstilen gekoppelt und dienen bei den aktiven Personen
auch der Verwirklichung eigener nachhaltiger Wohn- und Lebensformen. Deshalb
ist der Blick auf eine langfristige Nutzung
als eigener Lebensstandort gerichtet, der
auch einem Klimawandel standhalten
kann. Das inhaltliche Interesse an kommunalen Konzepten ist damit prinzipiell
gegeben, allerdings tritt der übergreifende
Blick zurück gegenüber den Herausforderungen der Umsetzung des eigenen Projekts.
In den kommunalen Klimaschutzkonzepten
Werkstatt: Praxis Heft 79
der Projektstandorte werden zudem Ziele,
Standards und Maßnahmen für die Akteure
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
formuliert, die aber von den Projektträgern
von ImmoKlima als „Geschäftsmodell“ in
der Regel ohnehin schon vorweg genommen werden, wie etwa der Einsatz erneuerbarer Energien (z. B. in Stuttgart) oder
die Realisierung des KfW-Neubaustandards
nach EnEV 2009 bei der Gebäudesanierung (z. B. in Berlin-Tempelhof). Die Projektträger haben sich durch die allgemeine
Klimaschutzdebatte und durch die Förderprogramme des Bundes leiten lassen, diese
Anstrengungen zu unternehmen und die
entsprechenden Maßnahmen, Ziele und
Strategien in ihr Geschäftsmodell einzubauen. Die lokale Debatte und die lokalen
Klimaschutzkonzepte bilden einen ergänzenden Orientierungsrahmen für das eigene
Handeln bzw. dieses erfährt durch die kommunalen Klimaschutzkonzepte eine zusätzliche Bestätigung.
Die Pilotprojekte von ImmoKlima zeigen,
dass durchaus Mitwirkungsbereitschaft gegeben ist, wenn die Unternehmen entsprechende Vorteile erkennen. Diese können
zum einen in den bereits in Kapitel 3 angesprochenen Vorteilen durch Kontakte zur
Politik bestehen. Die Kommune kann durch
Bereitstellung von Daten und Markttransparenz den Unternehmen wertvolle Informationen an die Hand geben. So kann sie durch
Wärmekataster auf Baugebiete mit erhöhtem Energieverbrauch aufmerksam machen
und somit Unternehmen, die über größere
Bestände verfügen, über die entsprechenden Ergebnisse informieren. Auch die Bereitstellung von Energienutzungsplänen mit
Informationen zu vorhandenen Ressourcen
der Energieversorgungsunternehmen wäre
von Vorteil. Gleiches gilt für die Nutzung
von Stadtklimakarten, die Aussagen über
Frisch- und Kaltluftschneisen bzw. Kaltluftinseln sowie über überwärmte Stadtgebiete
ermöglichen. Dieses Problem dürfte in den
Großstädten besonders gravierend sein. So
liegen in den Großstädten eher Stadtklimakarten vor oder es sind klimatische Gutachten erstellt worden. Diese Daten können die
Grundlage sowohl für die Bauleitplanung
als auch für die Standortanalyse von Seiten
privatwirtschaftlicher Akteure bilden. Die
Zielkonflikte die mit dieser Markttransparenz einhergehen können, sind in Kapitel
5.1 beschrieben worden.
Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
5.5 Mitwirkung der Immobilienund Wohnungswirtschaft bei
der Erstellung von integrierten
Klimaschutzkonzepten
Die Projektträger von ImmoKlima waren an
der Erstellung der integrierten kommunalen
Klimaschutzkonzepte bislang nicht beteiligt.
Die Unternehmen wurden weder über das
Vorhaben „Erstellung eines kommunalen Klimaschutzkonzeptes“ informiert, noch wurden sie konkret zur Mitwirkung am Beteiligungsprozess eingeladen. Allerdings ist auch
wie in Kapitel 5.4 beschrieben, das Interesse
der Unternehmen begrenzt. Eine Ausnahme
stellt das Projekt in Erfurt dar, weil die Stadt
hier selbst mit als Projektträger auftritt.
In Städten wie Freiburg oder auch Augsburg
– und dies trifft für viele Kommunen bundesweit zu – sind zwar spezielle Akteursoder Expertenrunden zum Handlungsfeld
„Planen und Bauen“ eingerichtet worden,
lokale oder regionale Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft fehlen
jedoch in diesen Runden (noch).
Projektforscher empirica. Mit dem Verband
Berlin-Brandenburgischer
Wohnungsunternehmen e. V. (BBU) und der Berliner Senatsverwaltung werden die Ergebnisse des
Pilotprojektes (vor allem hinsichtlich der
Energieverbräuche nach der Modernisierung) beobachtet, ausgewertet und ggf. zur
Grundlage für weitere Strategien und Vereinbarungen auf Senatsebene mit der lokalen
Wohnungswirtschaft verwendet. Geplant
ist, aus den konkreten Projektergebnissen
einen weiter gehendenden Know-howTransfer aus der Praxis der Wohnungswirtschaft für übergeordnete Ziele (z. B. Klimaschutzgesetz, Standardverschärfungen etc.)
zu ermöglichen. Der BBU übernimmt dabei
eine wichtige Mittlerfunktion zwischen dem
Projektpartner und der Senatsebene.
Abbildung 6: Einordnung der Akteursrolle der
Immobilien- und Wohnungsunternehmen bei
kommunalen Klimastrategien
Bei Durchsicht der Klimaschutzkonzepte
fällt auf, dass die Städte bei der Erstellung
und Umsetzung von Klimaschutzkonzepten nur an ihre eigenen kommunalen Wohnungsunternehmen (z. B. KOWO in Erfurt,
SWSG in Stuttgart, SAGA in Hamburg) denken, wenn die Zusammenarbeit mit der Immobilien- und Wohnungswirtschaft thematisiert wird. Dies gilt insbesondere für die
Durchführung von Modellprojekten.
Allerdings werden auch neue Wege beschritten, um Kommunen und Wohnungswirtschaft enger miteinander zusammenzubringen, um die angestrebten Klimaschutzziele
zu erreichen. Es werden bilaterale Klimagipfel eingerichtet, z. B. in Augsburg, gemeinsame Klimaschutzvereinbarungen zwischen
beiden Partnern verabschiedet, z. B. in Berlin oder wie in Hamburg ein „Bündnis für
das Wohnen“ abgeschlossen.
Mittelbar können die Pilotprojekte durch
ihre Verbände an Klimaschutzkonzepten
mitwirken. Dies wurde deutlich bei der 1892
und der FLUWOG-NORDMARK eG. In den
Städten Berlin und Hamburg vertreten die
Verbände mehr als 100 Wohnungsunternehmen und sind grundsätzlich Partner der Senatsverwaltungen.
Allerdings erfolgte selbst auf dieser Ebene die Wahrnehmung der Aktivitäten der
Projektpartner in Berlin erst durch das
ExWoSt-Vorhaben und die Ansprache der
Quelle: WEEBER + PARTNER, 2012
Abbildung 6 veranschaulicht, wie das Potenzial der Pilotprojekte bzw. der Projektträger
(das Wohnungsunternehmen, der Bürger,
der Energieversorger) mit dem der Kommune vernetzt und für kommunale Klimakonzepte von der Öffentlichen Hand eingesetzt
werden könnte. Die Erfahrungen und auch
Schwierigkeiten bei der Umsetzung von
kommunalen Klimaschutz- und Klimaanpassungszielen sowie das vorbildliche Vorgehen der Projektträger bieten Beiträge für
Klimakonzepte an. Die in der Abbildung
angedeute Interaktion mit den Kommunen
ist bislang noch nicht ausreichend gegeben.
Abschließend werden in der Tabelle 6 die
Potenziale und konkrete Beiträge der Projektträger für kommunale Konzepte bzw.
integrierte nachhaltige Stadtentwicklung
zusammengefasst.
57
ImmoKlima
58
Werkstatt: Praxis Heft 79
Tabelle 6: Beiträge der Projektträger zu Klimaschutzkonzepten und Stadtentwicklung an den Pilotstandorten
Landeshauptstadt
Stuttgart und Siedlungswerk Stuttgart
Siedlungswerk ist in Stuttgart als zukunftsfähige Entwicklungsgesellschaft bekannt. Inhaltlicher
Austausch wird durch die Projektforscher mit „Rundem Tisch“ initiiert, Schwerpunkte: Qualität
der Stadtklimadaten, Prognosen über die erwarteten Klimaänderungen Die Stadt Stuttgart
zeigt, welche Daten heute und in Zukunft vorliegen. Das Siedlungswerk verdeutlicht den
Bedarf an parzellenscharfe Informationen für ihre Planungen. Die Umsetung der Abwassernutzung durch das Siedlungswerk hat wichtige Erkenntnisse auch für die Stadt gebracht. Die
Energiegewinnung aus der Abwasserwärme des kommunalen Abwassersystems wird daher
auch für andere Stadtteile geplant, was die Innovationsbereitschaft der Kommunen zeigt..
Stadt Günzburg und
Thierergruppe
Die Thierergruppe verbindet mit der Entwicklung des PEP den Anstoßnfür eine Neuausrichtung der kommunalen Energieversorgung. Es besteht die Chance für die Rekommunalisierung
der Energieversorgung mit der Stadt Günzburg als wichtiger strategischer Partner(Konzessi
onsvergabeverträge). Der Diskussionsprozess zwischen Thierergruppe und Stadt Günzburg
beginnt: TPP entwickelt mit der Gemeinde ein Konzept zur Rekommunalisierung der Energieversorgung.
Freie und Hansestadt Hamburg,
Bezirk Eimsbüttel
und Baugenossenschaft FLUWOGNORDMARK
Die Projektforschung hat Informationsgespräche zwischen der Behörde für Stadtentwicklung
und Umwelt und der FLUWOG-NORDMARK angeregt. Schwerpunkte: tatsächliche energetische Modernisierungskosten und Energieverbräuche nach Modernisierung. Für den Bezirk
Eimsbüttel ist die FLUWOG-NORDMARK ein wichtiger Partner für die Quartiersentwicklung
vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Über AK Wohnungsunternehmen als
Partner der Senatsverwaltung wird Pilotprojekt wahrgenommen. Bei der Umsetzung des
Smart meterings macht die FLUWOG-NORDMARK wichtigwe Erfahrungen, die für die Senatsverwaltung in Hamburg nutzbringend sind.
Land Berlin und
Berliner Bau- und
Wohnungsgenossenschaft von 1892
Klimaschutzvereinbarung zwischen Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen und Senatsverwaltung. Projektforschung hat Gesprächsrunden zwischen den zwei
Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
und der 1892 initiiert. Schwerpunkte: Kennwerte zu energetischen Modernisierungskosten
und Energieverbräuchen nach Modernisierung im Pilotprojekt. Austausch über mögliche Einsparziele und konkrete Planungen des Landes Berlin, z. B. zum Klimaschutzgesetz.
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
und Interkulturelle
Bildungs- und
Begegnungsstätte
Bodhicharya
Bodhicharya bemüht sich um eine engere Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Schwerpunkte: klimagerechte Sanierungen bei denkmalgeschützten
Gebäuden und wirtschaftliche Lösungen für klimagerechte Sanierungen, Stellenwert des Zentrums für das Quartier (soziale Funktion – Hospiz). Trotz einhelliger politischer Zustimmung und
besondere Unterstützung durch Bezirksbürgermeister wird das Projekt von der Verwaltung
nicht (als beispielhaft) wahrgenommen.
Land Berlin, Bezirk
FriedrichshainKreuzberg und InitiativeMöckernkiez
Die Initiative Möckernkiez stößt als Projekt nachhaltiger sozialer und ökologischer Quartiersentwicklung auf Interesse des Bezirks: Die Größe des Projektes, die Nachfrage nach Wohnraum
und anderen Angeboten (Gewerbe, Hotel etc.), der Projektfortschritt, das öffentliche Interesse
einschließlich Pressearbeit, die mittlerweile internationale Bekanntheit des Projektes (Vorbildcharakter) haben dafür gesorgt, dass das Projekt im Land und im Bezirk als Beitrag und
Impuls zu Stadtentwicklung und Klimakonzepten wahrgenommen wird.
Landeshauptstadt
Erfurt und Stadt
Hoyerswerda
Sonderkonstellation durch das Zusammentreffen von Projektträgerschaft und KlimakonzeptVerantwortung in den Kommunen
Quelle:
Eigene Darstellung
Beitrag der Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu integrierten Klimakonzepten
5.6Fazit
Die Zusammenarbeit von Kommunen und
Immobilienwirtschaft bei der Erstellung
von Klimaschutzkonzepten bzw. bei der integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung
ist ausbaubedürftig und ausbaufähig. Dies
betrifft die inhaltliche Konzeptentwicklung
und die organisatorischen Entscheidungsprozesse innerhalb der politischen Gremien
und die Einbindung der Immobilienwirtschaft in diese.
In den Pilotprojekten haben die Immobilienunternehmen gezeigt, dass sie – trotz
konkreter Maßstabsebene – nützliche Erkenntnisse und Beiträge für praxistaugliche Klimakonzepte leisten können. Ihre
Beiträge zu den übergeordneten Konzepten können dabei durch die Verdeutlichung
der innovativen Praxis über die Verbände
„vermittelt“ und somit für Verwaltung und
Politik nutzbar werden (wie dies bei den
Projektpartnern aus Hamburg und Berlin
geschehen ist). Einzelne Unternehmungen können dann indirekte Anstöße geben,
wenn ihre Projekte eine über das Projekt
hinausgehende Wirkung entfaltet und die
Kommune diesen Nutzen erkennt. Hierfür stehen die begonnenen Dialogprozesse
des Siedlungswerks in Stuttgart und TPP in
Günzburg. Gerade kleinere Projekte (wie die
Interkulturelle Bildungs- und Begegnungsstätte Bodhicharya) und Unternehmen in
größeren Städten werden (bislang) nicht als
relevanter Akteur wahrgenommen bzw. erkannt.
Die Pilotprojekte zeigen auch auf der übergeordneten Ebene der Konzeptentwicklung,
dass gemeinsame Interessen, gemeinsamer
Nutzen und gegenseitiges Vertrauen Bedingung für ein erfolgreiches Zusammenwirken
sind.
Der Stand der Pilotprojekte lässt noch keine
belastbaren Aussagen zu, ob aus den konkreten Maßnahmen der Projektträger oder
der “Vermittlung“ durch deren Verbände ein
Know-how-Transfer von der Immobilienund Wohnungswirtschaft in die politischen
und administrativen Entscheidungsprozesse fließen wird. Erste Ergebnisse sind zu erkennen. Eine organisatorische Verankerung
und Verbindlichkeit wird hergestellt durch
den runden Tisches in Stuttgart und die Aufnahme der Zusammenarbeit im workshop
„Vergleich vor und nach der Sanierung“ bei
der Berliner Senatsverwaltung. Dies sind
die Orte in denen die Praxiserfahrungen der
Projektträger und ihre Erkenntnisse aus den
Pilotprojekten in die übergeordneten Strategien einfließen können.
Bei der Untersuchung der Pilotprojekte wird
auch deutlich, dass sich Verwaltungshandeln und politische Entscheidungen anders
darstellen, als das Handeln von privatwirtschaftlich ausgerichteten Wohnungs- und
Immobilienunternehmen. Hier sind die
Themen Gutes Verwaltungshandeln (governance) und Vollzugsdefizite (compliance)
betroffen, die allerdings nicht eigener Gegenstand des EXWoSt-Forschungsvorhabens waren.
Umgekehrt muss den politischen und administrativen Entscheidungsträgern klar
sein, dass die Immobilienwirtschaft sich nur
dann an übergeordneten Prozessen beteiligt, wenn sie dabei einen wirtschaftlichen
Nutzen generiert. Auch hier ist der Begriff
des wirtschaftlichen Nutzens aber breit zu
sehen. Er kann in Zugang zu Fördermitteln
und der Beeinflussung von lokalen Regeln
bestehen, aber auch in einer Steigerung
des Bekanntheitsgrads innovativer Projekte
oder der Verbesserung des Kontakts zu lokalen Entscheidern.
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ImmoKlima
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Werkstatt: Praxis Heft 79
6 Klimaanpassung und Risikomanagement
6.1Einführung
Anpassungsmaßnahmen
an
Klimafolgen sind als privates Gut anzusehen, d. h.
der Nutzen von Anpassungsmaßnahmen
kommt den Immobilieneigentümern bzw.
den -nutzern zugute. Theoretisch ist also
davon auszugehen, dass Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel leichter im
Markt zu implementieren sein sollten als
Klimaschutzmaßnahmen, welche das Engagement eines jeden Einzelnen erfordern,
aber wenn man von möglichen Marktvorteilen absieht, vornehmlich der Allgemeinheit
zugute kommen. Denn der Klimawandel
erhöht Risiken, bspw. für die Bausubstanz
oder für die Gesundheit des Nutzers. Professionell agierende Eigentümer puffern
entweder das Risiko über erhöhte Versicherungsprämien ab oder investieren so, dass
die Risiken und die Versicherungsprämien
für das Gebäude sinken. Da dies auch den
Mietern zugute kommt, legt der Eigentümer/Vermieter die Beiträge zur Gebäudeversicherung auf die Mieter um. Für letztere
ist dies zum einen eine immer noch untergeordnete Nebenkostenposition, zum anderen profitieren die Mieter von der Minimierung der Risiken, bspw. für seinen Hausrat.
Gebäudenutzer (Mieter, selbstnutzende
Eigentümer) würden zudem, wenn sie vollständig informiert wären, über eine höhere
Zahlungsbereitschaft für Investitionen am
Gebäude, welche Gesundheitsrisiken reduzieren, verfügen.
In der Praxis funktioniert diese reine Marktlösung aus drei Gründen nicht:
• Die Risiken sind nicht ausreichend transparent, so dass sie nicht adäquat wahrgenommen werden.
• Der Versicherungsmarkt setzt keine richtigen Preissignale
• Die Leistungen der öffentlichen Hand bei
Extremwetterereignissen verhindern privatwirtschaftliche Lösungen.
• Diese drei Aspekte sollen im Folgenden
näher diskutiert werden.
6.2 Transparenz und Wahrnehmung von Risiken
Ein Vergleich der beiden Handlungsbereiche Klimaschutz und Klimaanpassung zeigt,
dass das Thema Klimaschutz in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft angekommen ist und mittlerweile vor allem durch die
gesetzlichen Vorgaben und Fördermöglichkeiten einen hohen Stellenwert erreicht hat.
Hingegen spielt das Thema Klimaanpassung
bezüglich der eigenen Handlungserfordernisse in der Praxis kaum bis keine Rolle. Zu
Beginn des Projektes ImmoKlima wurden
die Pilotprojekte nach ihrer Einschätzung
bzgl. der Risiken des Klimawandels gefragt.
Zwar wurden hier zahlreiche der in Kapitel
1.3 genannten möglichen negativen Konsequenzen als relevant bewertet, jedoch
sorgte die geschlossene Fragestellung unter
Nennung der Risiken dafür, dass die Befragten diese als Hinweis aufgriffen, ohne dass
ein Umgang mit diesen Risiken konkret
belegt werden konnte. In den anschließenden Gesprächen ergab sich, dass die Pilotprojekte das Thema Klimaanpassung noch
nicht als eigenständiges Problem mit hoher
Relevanz vergegenwärtigt hatten. Dies bedeutet nicht, dass die Pilotprojekte keine
Maßnahmen zum Schutz vor Schlagregen
und Stürmen ergreifen oder den sommerlichen Hitzeschutz für irrelevant halten.
Diese Maßnahmen firmieren jedoch unter
Risiko-/Schadensmanagement bzw. Erhöhung des Wohnkomforts und nicht unter
Klimaanpassung. Dadurch besteht beim
Start eines Dialogs zwischen Immobilienwirtschaft, deren Versicherungen, der Wissenschaft und der kommunalen Planung ein
gewisses Maß an Kommunikationsschwierigkeiten. Diese Erkenntnisse dürften von
den Pilotprojekten auf die Immobilien- und
Wohnungswirtschaft im Allgemeinen übertragbar sein.
Gerade bei den Projektentwicklungen unter
den Pilotprojekten liegt die Integration der
Klimaanpassung in die unternehmerische
Strategie weniger in einer Risikoabwägung,
als vielmehr in einer sich an der Nachfrage
des Marktes orientierenden Vorstellung von
einem qualitätsvollen und verantwortungsvollen Produkt. Dies schließt ein, dass dieses
Produkt auf Risiken im bestimmungsgemäßen Gebrauch und auf die aktuellen Komfortansprüche inhaltlich und wirtschaftlich
Klimaanpassung und Risikomanagement
wettbewerbsfähig antwortet. Die Bemühungen zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität in Freiräumen durch Bewahrung und
Ausbau von Grünflächen und Baumbeständen, durch Verzicht auf zulässige Nachverdichtung (1892, FLUWOG-NORDMARK eG),
zur Verbesserung der thermischen Behaglichkeit und der Durchlüftung/Klimatisierung (sommerliche Kühlung und winterliche Erwärmung) von Wohnungen, sind in
erster Linie Antworten auf Gesundheitsfürsorge und Komfortansprüche, können aber
im weitesten Sinne als Klimaanpassungsstrategie bezeichnet werden.
Von den Pilotprojekten wurde mehrfach
betont, dass eigene Strategien zur Anpassung an den Klimawandel vom Zugriff auf
kleinräumige Klimadaten abhängig sind.
Denn die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen auf der einen und der
daraus resultierende Handlungsdruck auf
der anderen Seite, sind für Unternehmen
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
gar nicht abschätzbar und für deren Versicherungen nur sehr eingeschränkt. Außerdem erfordern Investitionen und Technologien für Klimaanpassungsmaßnahmen
verlässliche Planungsgrundlagen, um mit
der branchenüblichen Verteilung von technischen und vertraglichen Risiken (Gewährleistungspflichten, zugesicherte werkvertragliche Vereinbarungen über Standards,
Erfüllung von Auflagen des öffentlichen und
privaten Baurechts) kompatibel zu sein.
Es gibt grundsätzlich zwei Probleme bei
kleinräumigen klimatischen Risikoanalysen:
• Zum einen liegen für die Pilotprojekte keine ausreichend kleinteiligen Daten vor,
auf denen sich eine standortspezifische
Anpassungsstrategie aufbauen ließe. Die
vorliegenden stadtklimatischen Grundlageninformationen (Berlin, Freiburg,
Stuttgart, Erfurt und Hamburg) reichen
den Projektträgern nicht aus. Sie benötigen für ihre Projektvorhaben parzellenscharfe Informationen, denn ohne diese
können sie keine eigene Anpassungsstrategie entwickeln. Aus dem laufenden Forschungsvorhaben StadtKlima konnten für
die Pilotprojekte noch keine konkreten Erkenntnisse erwachsen. Nutzen könnte ggf.
für die gewerblichen Entwicklungen der
Thierergruppe aus dem Leitfaden des Projektes klimAix gezogen werden; hier wird
für die Beurteilung von Gewerbegebieten
bezüglich ihrer Anfälligkeit für Extremwetterereignisse ein Leitfaden erarbeitet67.
61
• Zum anderen sind Prognosen ungenau –
und zwar je langfristiger umso spekulativer. In der Regel basieren die Risikokarten
auf Ex-post-Analysen (Auswertung von
zurückliegenden Klimadaten oder klimatischen Extremereignissen) und nicht auf
Prognosen zukünftiger Risiken. Mittlerweile können für die meisten Pilotstandorte
regionale Klimaprognosen herangezogen
werden. Diese weisen jedoch hohe Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden
Ereignisse auf. Es fehlen zudem belastbare
Prognosen für einige Pilotstandorte(z. B.
Erfurt oder Hoyerswerda) und erst recht
fehlen Prognosen auf Stadtteil- oder gar
Baublockebene. Erste Perspektiven mit
dieser Raumauflösung sind in Modellvorhaben, zum Beispiel für Frankfurt/M. und
Wien, mit Hilfe des Klimasimulationsmodells MUKLIMO_3 des Deutschen Wetterdienstes erarbeitet worden68, 69 . Von besonderem Interesse dürfte auch das Projekt
Regklam von TU Dresden, IÖR und der
Stadt Dresden sein, wo Wirkungsprognosen und Szenarien zum Klimawandel bis
auf stadtstrukturelle Raumeinheiten, wie
zum Beispiel locker bebaute Einfamilienhaus-Gebiete, verdichtete Blockbebauung,
Stadtzentrum usw., heruntergebrochen
worden sind. Dieser stadtstrukturelle Ansatz ermöglicht die Bereitstellung von sehr
kleinräumigen Orientierungshilfen für die
Immobilen- und Wohnungswirtschaft.
Die mangelnde Transparenz der Risiken
sorgt dafür, dass Eigentümer und Mieter die
Risiken nicht ausreichend erkennen. Entscheidend für die Beurteilung von Risiken
– sowohl für Versicherungen als auch für Gebäudeeigentümer – ist der Erwartungswert
der Schäden, der sich aus der Multiplikation
vom Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenssumme errechnet. Insbesondere bei
Sturmschäden, Hagelschäden und Starkregen stehen geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten hohen Schadenssummen gegenüber.
Dies ist bereits für professionelle Versicherungen problematisch, da bei Ex-Post-Betrachtungen von Schadensfällen eine lange Beobachtungsdauer notwendig ist, um
realistische Wahrscheinlichkeiten ableiten
zu können. Hinzu kommt das Problem der
räumlichen Differenzierung. So sind gerade
die Risiken für Starkregen sehr kleinräumig.
Zukünftige Änderungen von Risiken durch
den Klimawandel sind mit der notwendigen Detailliertheit schon für professionelle
Akteure schwer kalkulierbar. Für den Laien
ist es nahezu unmöglich, die Risiken seines Gebäudes valide zu beurteilen. Dies gilt
(67)
BMVBS (Hg.): StadtKlima Kommunale Strategien und
Potenziale zum Klimawandel.
Lokale Klimaanalysen. ExWoSt-Informationen 39/2. Bearbeitet von F. Schlegelmilch,
S. Greiving et al. Bonn/Berlin,
2012.
(68)
Früh, Barbara et al.: Estimation of Climate-Change Impacts
on the Urban Heat Load Using
an Urban Climate Model and
Regional Climate Projections.
J. Appl. Meteor. Climatol., 50
(2011), S. 167–184.
(69)
Nemec, J.;, Žuvela-Aloise, M.:
Temperaturunterschiede in der
Stadt – Stadtklima der Zukunft
in Wien. Wien, Zentralanstalt
für Meteorologie und Geodynamik Abteilung Klimaforschung, 2011. In: http://www.
zamg.ac.at/forschung/klimatologie/
klimamodellierung/focus/
ImmoKlima
62
umso mehr, da die Versicherungswirtschaft
Risiken zwar als Ausgangspunkt für Beitragskalkulationen oder die Ablehnung von
Kunden (siehe unten 6.3) will, die Berechnungen oder die eingegangenen Grundlagendaten aber nicht öffentlich zugänglich
macht. Von Interesse für die Immobilienund Wohnungswirtschaft könnte deshalb
der in Stuttgart geplante Klipps-Klimaanpassungspass sein. Der Pass soll die klimatischen Rahmenbedingungen am konkreten
Standort anzeigen.
Etwas anders stellt sich die Situation beim
Hochwasser dar. Hier sind zum einen empirisch erfassbare Schäden häufiger und zum
anderen sind Überschwemmungsbereiche
bei gegebener Geländehöhe auch gut modellierbar. Deshalb verfügen die Versicherer
im Bereich des Hochwasserschutzes über
sehr genaue Kartierungen („ZÜRS-Zonen“),
die auch öffentlich zugänglich gemacht
werden sollen70. Hiermit besteht über die
öffentlich-rechtliche Lösung mit Hochwasserschutzzonen hinaus die Chance auf eine
transparente privatwirtschaftliche Lösung.
Das Problem eines derartigen Abbaus von
Informationsasymmetrien liegt allerdings in
der Gefahr, dass Eigentümer die transparente Information dazu nutzen, um Gebäude in
geringen Risikozonen zukünftig nicht mehr
zu versichern. Dadurch fragen nur noch
Kunden mit hohen Risiken Versicherungen
nach (so genannte adverse Selektion). Die
Versicherungen können unterschiedliche
Risiken schlechter gegeneinander ausgleichen (geringeres Risikopooling) und müssen die Versicherungsbeiträge erhöhen
und/oder Hochrisikokunden ausschließen.
6.3 Defizite im Versicherungsmarkt
Der Markt für Versicherungen deckt nicht
alle Risiken ab und setzt durch nicht ausreichende Differenzierung der Risikoprämien
keine Anreize zur Senkung des gebäudebezogenen Risikos (im Gegensatz zum standortbezogenen Risiko), etwa durch Investitionen in die Klimaanpassung.
(70)
Pressemitteilung des Gesamtverbandes der deutschen
Versicherungswirtschaft vom
19.05.2011, vgl. www.gdv.de.
Gegenüber der professionellen Wohnungswirtschaft sind Privateigentümer in höherem Maße gegenüber Risiken durch Extremwetterereignissen exponiert. Dies hat
mehrere Gründe:
• Während institutionelle Anbieter durch
Werkstatt: Praxis Heft 79
ihre größeren Wohnungsportfolios das
Standortrisiko einzelner Teilbestände
durch Diversifikation reduzieren können,
verfügen Privateigentümer, aber auch
kleinere Unternehmen, Genossenschaften oder Wohnprojekte wie das Buddhistische Zentrum oder der Möckernkiez nur
über wenige Wohneinheiten, die meist an
einem Standort konzentriert sind. Schadensfälle treiben somit Privateigentümer
potenziell in den wirtschaftlichen Ruin.
Größere Wohnungsunternehmen wären
durch die Streuung des Portfolios selbst
ohne Versicherung weniger verwundbar.
• Zumindest größere institutionelle Eigentümer verfügen über ein professionelles Risikomanagement, welches sich nicht nur den
Themen der Marktrisiken (bspw. durch Änderung von Nachfragepräferenzen) widmet,
sondern auch den Eintrittswahrscheinlichkeiten von Klimarisiken. Das Instrument
der Risikomatrizen kann hier Eintrittswahrscheinlichkeiten und mögliche Schadenshöhen visualisieren, dient dem Unternehmenscontrolling als wertvoller Input und
ermöglicht ein Gegensteuern zur Begrenzung von Schäden. Privateigentümer haben
diese Möglichkeit nicht.
• Im Gegensatz zu Wohnungsunternehmen
sind Privateigentümer schlechter versichert. Der Gesamtverband der deutschen
Versicherungswirtschaft meldet, dass 72 %
der deutschen Hauseigentümer keine Elementarschadensversicherung haben.
• Der Portfolioeffekt hat auch Auswirkungen
auf die Versicherbarkeit von Immobilien.
Die professionelle Wohnungswirtschaft
verfügt über eine größere Marktmacht
gegenüber Anbietern von Versicherungsleistungen, so dass im Rahmen der Versicherung eines ganzen Portfolios auch
einzelne problembehaftete Immobilien
mitversichert werden können. Einzeleigentümer hingegen sind nicht nur freiwillig unterversichert, sondern können in bestimmten Risikokonstellationen gar keine
Versicherung abschließen. Dies betrifft
laut dem Gesamtverband der deutschen
Versicherungswirtschaft zwar nur eine
untergeordnete Menge von Immobilien.
Im Hochwasserbereich wird bspw. die
Zahl von 1,5 % angegeben. Da dieser Wert
aber nur risikobehaftete Immobilien betrifft, liegt der Anteil der nicht versicherbaren Schadensfälle deutlich höher.
Klimaanpassung und Risikomanagement
6.4 Kompensationsforderungen an
die öffentliche Hand
Insbesondere Schadensereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und hohen
Schäden werden von den Betroffenen als
höhere Gewalt wahrgenommen. Durch die
angesprochene Unterversicherung von Gebäuden von Einzeleigentümern löst dies im
Schadensfall politische Forderungen nach
finanzieller Kompensation aus.
Wird dieser Forderung nachgegeben, so
konterkariert dies die Risikovorsorge und
die Versicherungsbereitschaft des einzelnen
Hauseigentümers. Damit wird eine Marktlösung der Form „höheres Risiko durch den
Klimawandel = höhere Kosten = eigenverantwortliche Anpassung an den Klimawandel“ noch zusätzlich untergraben.
Zudem ist es verteilungspolitisch bedenklich, Bevölkerungsgruppen mit Vermögen
ihre Vermögensschäden zu ersetzen.
6.5Fazit
Ziel der Politik sollte es vor allem sein, das
notwendige Problembewusstsein zu schaffen, damit die Anpassungsaktivitäten der
Immobilienwirtschaft rechtzeitig initiiert
werden können. Hauptaufgabe ist damit
die Erhöhung der Transparenz von Risiken
– denn nur so kann auch eine Marktlösung
funktionieren. Dies ist vor allem bei privaten Eigentümern wichtig, da diese über
andere Investitionshorizonte und, im Falle
von Selbstnutzung, über andere steuerliche
Möglichkeiten verfügen als die professionelle Wohnungswirtschaft mit ihren 30- bis
50-jährigen Investitionshorizonten. Das
BBSR hat aus diesem Grund aus dem ExWoSt-Forschungsvorhaben ImmoKlima ein
weiteres Forschungsvorhaben „Risikoabschätzung der zukünftigen Klimafolgen in
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
(ImmoRisk) entwickelt. Im ImmoRisk soll
auf Basis verfügbarer Daten ein „Werkzeug“
zur Unterstützung der Abschätzung von Klimafolgen an fünfzehn Standorten (u.a. die
ImmoKlima-Projektstandorte) entwickelt
werden. Darüber hinaus wird eine Konzeption zur Entwicklung eines bundesweiten
Geoinformationssystems erarbeitet. Dieses soll ab 2013 umgesetzt werden und die
Transparenz von Klimarisiken für Immobilieneigentümer erhöhen .
Es ist wert, an die Diskussion um die Einführung einer Elementarschadenpflichtver-
63
sicherung anlässlich des Elbhochwassers
2002 zu erinnern. Damals wurde von der
Finanzministerkonferenz mit dem Hinweis
auf rechtliche Bedenken und mangelnde
Akzeptanz die Einführung abgelehnt. Der
Vorteil einer solchen Versicherung besteht
jedoch darin, dass adverse Selektion, d. h.
eine Nachfrage nach Versicherungen nur
durch Risikokunden vermieden wird und
diese trotzdem versichert werden.
Der Freistaat Bayern verzichtet deshalb
nach Angabe des Gesamtverbandes der
deutschen Versicherungswirtschaft auf
Zahlung steuerfinanzierter Direkthilfen im
Naturkatastrophenfall. Nur wer sich nicht
versichern konnte und dies auch nachweist, kann auf Hilfe des Staates hoffen. Die
Versicherungswirtschaft verstärkt zugleich
ihre Aktivitäten zur Erhöhung der Versicherungsdichte in der Elementarschadenversicherung.
Die beste Lösung liegt jedoch nicht in der
Abdeckung des standortbezogenen Risikos durch Versicherungen, sondern in der
vermehrten Vorsorge der Eigentümer gegenüber Folgeschäden, etwa in Form einer
Minimierung von Auswirkungen des Klimawandels. Da gegen das standortbezogene Risiko aufgrund der Immobilität von
Gebäuden auf individueller Ebene keine
Maßnahmen möglich sind (diese würden in
globalen Aktionen gegen den Klimawandel
bestehen), wird davon ausgegangen, dass
der Gebäudeeigentümer das durch den
Klimawandel erhöhte Standortrisiko durch
Maßnahmen zur Senkung der gebäudebezogenen Schadensanfälligkeit ausgleicht.
Versicherungen könnten hier eine hervorragende Steuerungswirkung erzielen, indem
höhere Risiken höher bepreist wären. Damit
würde dem Gebäudeeigentümer klar kommuniziert, welchen Investitionen zur Absicherung gegen den Klimawandel welche
Ersparnisse im Bereich der Beiträge gegenüberstehen. Muster für die dafür erforderliche Transparenz sind die bereits genannten
ZÜRS-Zonen beim Hochwasser. Eine weiter
gehende Lenkungswirkung durch Versicherungsbeiträge, die insbesondere auf die
baulichen Gegebenheiten des Gebäudes
Rücksicht nimmt, ist jedoch derzeit nicht zu
erkennen. Ob die Gründe auf fehlende Daten oder auf die Vermeidung adverser Selektionsprobleme, die letztlich zu einem geringeren Abdeckungsgrad der Versicherungen
führen, zurückzuführen sind, ist nicht zu
erkennen.
ImmoKlima
64
Werkstatt: Praxis Heft 79
7 Rahmenbedingungen: Recht, Förderung,
Governance (gute Verwaltung)
Die wissenschaftliche Analyse der Pilotprojekte hat gezeigt, dass Anforderungen von Klimaschutz über die Marktnachfrage und die
rechtlichen Anforderungen (im Wesentlichen
niedergelegt in Normen wie EnEV, EEWärmeG, privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen), Förderkriterien (KfW-Standards, Landes- und Kommunalprogramme),
selbstverständlich in der Projektentwicklung
berücksichtigt und zu marktkonformen Lösungen entwickelt werden. Ein weiterer dem
öffentlichen Gut Klima nützender Aspekt ist
das damit verbundene gute Image bzw. die
Herstellung eines Alleinstellungsmerkmales
für den Projektträger. Auch dies ist im Grunde eine Maßnahme zur Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit, selbst wenn die Projektträger ihre Maßnahmen nicht immer als
Klimaanpassung bezeichnen, tut dies ihrem
Beitrag zur Klimaanpassung keinen Abbruch.
Dieser Umstand sollte jedoch in der Politikberatung und den ggf. daraus resultierenden
weiteren Strategien in der Politik nicht übersehen werden.
7.1 Rechtliche Instrumente
Die hohe Komplexität (Nachfrage, Produktstandard usw.) und die Standortabhängigkeit des Gutes „Wohnung“ erzeugt
beträchtliche Entwicklungs- und Haftungsrisiken, die verlässliche Standards (bautechnische und planungsrechtliche Normen)
und rechtlich verbindliche Festlegungen
(städtebaulicher Vertrag oder Baugenehmigung) benötigen. Die Untersuchung der
Pilotprojekte hat gezeigt, dass die Akteure
kaum in der Lage waren, die abstrakte und
unsichere Informationslage zu klimatischen Standortrisiken (wie sie in Kapitel 6
beschrieben worden sind) angemessen in
ihre Planung einzubeziehen, obwohl durch
die Auseinandersetzung mit dem Standort detailliertes Expertenwissen vorhanden
ist. Als notwendige Steuerungsinstrumente
werden daher in erster Linie die gesetzlichen Rahmenbedingungen anerkannt und
gewünscht. Öffentlich-rechtliche Standards
wie Dichtegrenzen, Bodenversiegelung,
Baunormen oder energetische Standards
bieten (auch aus Sicht der Projektträger)
verlässliche und wettbewerbsneutrale Rahmenbedingungen.
Energierecht und Mietrecht
Aus der Sicht zahlreicher Unternehmen der
Immobilien- und Wohnungswirtschaft erschweren ordnungsrechtliche Regelungen
(z. B. Mietrecht, steigende Anforderungen
zur Energieeinsparung oder zum Einsatz
regenerativer Energien durch die EnEV bzw.
das EEWärmeG) rentierliche Investitionen.
Trotz der (rechtlichen) Möglichkeit, diese
Kosten an die Alt-Mieter in Form einer erhöhten Miete oder geänderter Nebenkosten
weiterzugeben, erlaubt dies „der Markt“ oft
nicht. Dies haben die 1892 und die FLUWOG-NORDMARK bestätigt. Die energiesparenden Investitionen (und ihre Vorteile
für die Nutzer) werden nur zum Teil von den
direkten Nutznießern bezahlt, verbleibende
Anteile der Investitionskosten werden von
der Gesamtheit der Genossenschaft getragen. Auch wenn im Neubau gleiche Anforderungen für alle Wettbewerber gelten, so
sorgen höhere Preise für den Endkunden
dennoch für einen entsprechenden Rückgang der Nachfrage und damit eine Verkleinerung des Marktes.
Jedoch zeigen die Pilotprojektträger, dass
die stetige Verschärfung der Standards einen spürbaren Innovations- und Professionalisierungsdruck in den Unternehmen
erzeugt, der die Entwicklung technologischer Innovationen im Bereich der Baustoffe und der Anlagentechnik maßgeblich
vorangetrieben hat. Hierbei stellt sich das
Zusammenspiel aus gesetzlicher Norm
und dem relativ zum gesetzlichen Standard
höheren Effizienzniveau bestimmter KfWFörderstufen als besonders anreizwirksam
heraus. Für hohe Standards (die akzeptiert
werden können) wird allerdings eine langfristig planbare Förderung bei verlässlichen
und berechenbaren Fördervoraussetzungen erwartet.
Bautechnische Normen
Klimaänderungen (Starkwind, Schneelasten,
Hochwasser, Hitze, Regen) und die damit verbundenen Klimaanpassungserfordernisse bedürfen der Anpassung vorhandener bzw. der
Schaffung von akzeptierten und umsetzbaren
Zielvorgaben und Normen. Für einzelne Kli-
Rahmenbedingungen: Recht, Förderung, Governance (gute Verwaltung)
65
Tabelle 7: Rahmenbedingungen: Recht und Förderung an den Pilotstandorten
Projekt
Fördermaßnahmen
rechtliche Rahmenbedingungen
Marienhöhe in Berlin-Tempelhof -1892
KfW-115 Standard, Landesförderung
EnEV 2009 Neubau-Standard, Genossenschafts- und Mietrecht
Hamburg-Niendorf Nord
Landesförderung: Effizienzhaus
70-Standard
EnEV 2009, Genossenschafts- und
Mietrecht,
Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg
Grundstücksvergabe, Förderprogramme,
Grundstückskaufvertrag, Bauleitplanung und Städtebaulicher Vertrag,
Abrissgenehmigung für denkmalgeschützen Zollpackhof
Bodhicharya in Berlin-Friedrichshain
Stundung von Ausgleichsbeträgen,
Förderprogramm „Grüne Höfe“
Kaufvertrag, Denkmalschutz, Bebauungsplan
FreiburgLeben in Freiburg
Kommunaler Gebührenverzicht für
Abwasserwärmenutzung,
Grundstückskaufvertrag, Bauleitplanung –Städtebaulicher Vertrag
Baukostenzuschuss aus Innovationsfonds Klima- und Wasserschutz
SeelbergWohnen in Stuttgart-Bad
Cannstatt
Kommunale Wohnungsbauprogramm: Eigentumsprogramm für junge
Familien
Bauleitplanverfahren, Grundstückskaufvertrag
Residenz Bellevue in Günzburg
KfW 70-Standard
EnEV 2009, Grundstückskaufverträge
mit mehreren Eigentümern, Denkmalschutz, Bebauungsplan
Lechpark in Augsburg-Hochzoll
60 kWh-Häuser
Grundstückskaufvertrag EnEV 2004,
§ 34 BauGB, Ermessensspielräume
ausschöpfen
Prinz-Eugen-Park in Günzburg
Raumordnungsplan, Bebauungsplan,
Grundstückskaufvertrag, Ermessensspielräume ausschöpfen
Marienhöhe in Erfurt
Bauleitplanung: Bebauungsplan
SolarGardenCity in Hoyerswerda
Bauleitplanung
Quelle:
Eigene Darstellung
maereignisse sind die Grundlagen bereits
gegeben: DIN-Normen zum sommerlichen
Wärmeschutz und zu Höchstabflussgrenzen
von Oberflächenwasser71, zu Schneelasten
und zu Windlasten liegen bereits vor – ihre
Fortschreibung gilt es zu überprüfen. Andere
Ereignisse wie Hagelschäden oder trockenheitsbedingte Bodensetzungen sind bislang
noch nicht ausreichend geregelt. Zur Bewertung der Risiken und zum Erfordernis der
Anpassung bautechnischer Normen besteht
weiterer Forschungsbedarf. Im Rahmen des
ImmoKlima-Sondergutachtens72 sowie mit
der Entwicklung des Instruments ImmoRisk
wird hierzu ein erster Beitrag geleistet. In einem weiteren Schritt wird ab 2013 ein Geoinformationssystem für Immobilieneigentümer im Auftrag des BMVBS/BBSR entwickelt.
Städtebaurecht und Grundstückskaufverträge
Wie Tabelle 7 zeigt, werden alle Pilotprojekte
mit den Instrumenten des (allgemeinen und
besonderen) Städtebaurechts umgesetzt.
Die Pilotprojekte schätzen beim Vorhabenund Entwicklungsplan und beim städtebaulichen Vertrag vor allem die größere Flexibilität und Eignung für situationsangepasste
Lösungen (gegenüber dem klassischen Bebauungsplan). Mit diesen Instrumenten
können die Besonderheiten des Einzelfalles
(z. B. Anforderungen an die soziale Infrastruktur, Anforderungen an die Wohnnutzung, Ausnutzung des Grundstücks, Minimierung der
öffentlichen Erschließungsflächen, Stellplätze) gut abgesichert werden bzw. können mit
diesen Instrumenten kommunalpolitisch gesetzte (soziale, energierelevante oder klimaanpassungsrelevante) Anforderungen vereinbart
werden, die über die gesetzlichen Standards
hinausgehen. Die Erkenntnisse aus den Pilotprojekten decken sich mit den Befunden der
Berliner Gespräche zum Städtebaurecht aus
dem Jahre 2010: Fazit dieser Gespräche war,
dass das Städtebaurecht und Energiefachrecht ausreichend differenzierte Regelungen
bzw. ein vielfältiges Instrumentarium für die
klimagerechte Stadtentwicklung enthalte, die
sich in der Praxis bewähren. Hervorgehoben
wird die Bedeutung städtebaulicher Verträge für die Umsetzung klimaschutzbezogener
Zielsetzungen sowie der konsensuale Umsetzungsansatz. Angesichts des differenzierten
Instrumentariums gehe es nicht um die Entwicklung neuer flächenpolitischer Instrumente und Verfahren sondern darum, die vorhandenen Instrumente in der Praxis vollständig
auszuschöpfen. Hierbei erschweren die hohe
technische Komplexität energiefachrechtlicher Vorgaben und unzureichende personelle
Ausstattung den Vollzug73.
(71)
Z. B. Anpassung der DIN 4108,
sommerlicher Wärmeschutz,
DIN
1986-100,
Entwässerungsanlagen für Gebäude und
Grundstücke. (72)
Vgl. BMVBS / BBSR (Hg.): Szenarien des Klimawandels für
Privateigentümer von Wohnimmobilen. Bearbeitet von Martin
Vaché. BBSR-Online-Publikation 17/2012.
(73)
BMVBS (Hg.): Berliner Gespräche zum Städtebaurecht. Bearbeitet von A. Bunzel und S.
Hanke (DIFU). S. 7f; 10f; 26f;
55f; Bonn/ Berlin, 2010.
ImmoKlima
66
Für die Vorgaben und Umsetzung von Klimamaßnahmen kann auch das klassische
Instrument Bebauungsplan wirkungsvoll
eingesetzt werden, wenn dies in Verbindung
mit der kommunalen Grundstücksvergabe
erfolgt. Verfügt die Gemeinde über das Eigentum an den Flächen, kann sie mit der
Ausgestaltung der Kaufverträge steuern:
Maßnahmen zu Klimaschutz und Klimaanpassung, Baumaßnahmen und soziale Anforderungen können vertraglich abgesichert
werden (so in Stuttgart, Freiburg, Berlin).
Angesichts der begrenzten kommunalen
Flächenreserven ist dieses Instrument zwar
grundsätzlich sehr geeignet aber eher auf
Einzelfälle beschränkt.
Rechtliche Absicherung von Smart Metering und Warmmietverträgen
(74)
Hacke, U.: Einfluss auf das
Nutzerverhalten durch „Energy Awareness Services“. Neue
Dienstleistungen zur Förderung des Energiebewusstseins
bei Mietern“ in Verbraucher
und Klimaschutz, BBSR, Informationen zur Raumentwicklung 2010.
(75)
Behr, Iris et al.: Heizkosten im
Passivhaus – Warmmiete oder
Flatrate-Modell. Praxiserfahrungen. Darmstadt, IWU, 2010.
(76)
Vgl. Hacke, U.: Nutzerverhalten
im Mietwohnbereich. Studie
im Auftrag des vdw südwest.
Darmstadt, IWU.
Die Einführung von Smart Metering als
neue Dienstleistung zur Förderung des
Energiebewusstseins bei Mietern durch
Verbrauchstransparenz74 befindet sich bei
einem Pilotprojekt (FLUWOG-NORDMARK
eG zusammen mit den Stadtwerken Norderstedt) in der Vorbereitungsphase. Zunächst werden die rechtlichen Beziehungen
zwischen den Mietern, den so genannten
Anschlussnutzern, den Messstellenbetreibern und Messdienstleistern sowie den
Netzbetreibern als Wärme- bzw. Stromlieferanten entwickelt. Für das Zusammenspiel
der datenschutzrechtlichen Regelungen,
des Energiewirtschaftsgesetzes und des
BGB liegen bislang keine Regelungen bzw.
gerichtliche Überprüfungen vor. Akzeptanz
und Streitanfälligkeit sind somit noch offen.
Regelungsinstrument könnte eine Rechtsverordnung nach dem Energiewirtschaftsgesetz werden. Hierfür sind im Pilotprojekt
miet- und datenschutzrechtliche Fragen
zum Einbau von Smart Metern in Mehrfamilienhäusern identifiziert und mit Lösungsansätzen erarbeitet worden. Diese dürften
von grundlegender Bedeutung für andere
Wohnungsunternehmungen sein die Smart
Metering Maßnahmen einführen möchten.
Smart Metering steht im Pilotprojekt im
Zusammenhang mit der novellierten Heizkostenverordnung. Von den darin vorgesehenen Möglichkeiten der pauschalierten
Abrechnung von Heizkosten und Warmwasserkosten wird kein Gebrauch gemacht. Die
Einsparpotenziale, die im Verzicht von Installation von Messgeräten und Abrechnung
liegen75, stellen für FLUWOG-NORDMARK
eG keinen ausreichenden Vorteil dar. Ohne
die Sanktion der verbrauchsabhängigen
Abrechnung wird ein verschwenderischer
Werkstatt: Praxis Heft 79
Umgang mit Heizung und Warmwasser befürchtet. Auch werden Klagen befürchtet,
wenn keine individuelle verbrauchsabhängige Abrechnung erfolgt. Zur Absicherung
möglicher Streitfälle werden freiwillig separate Wärmemengenzähler für Wasser und
Wärme installiert. Der in der Heizkostenverordnung niedergelegte technische Fortschritt wird in der Praxis (noch) nicht nachvollzogen. Es bleibt weiteren empirischen
Forschungen vorbehalten, ob die rechtlichen Möglichkeiten praxistauglich sind76.
Denkmalschutz
Denkmalschutz sowie die Berücksichtigung
baukultureller Belange unterhalb der Ebene des formalen Denkmalschutzes sind für
die Pilotprojekte ambivalent zu beurteilen.
Denn einerseits entstehen hier Auflagen,
welche Projekte verteuern und vorab schwer
zu kalkulieren sind. Zum anderen sind mit
der Nutzung von Denkmalgrundstücken
auch prägende Gebäude verbunden, die
den Charakter eines Gebietes ausmachen
und auch die Chance eröffnen, sich mit der
eigenen Erfahrung im Umgang mit schwierigeren Ausgangssituationen von Wettbewerbern abzusetzen. Für die Berücksichtigung
der Erfordernisse des Denkmalschutzes erwarten die Pilotprojekte organisatorische
und finanzielle Unterstützung und den flexiblen Umgang mit dem Denkmalschutz im
Einzelfall. Denkmalschutz benötigt die präzise Identifizierung der damit verbundenen
Kosten und deren wirtschaftliche Berücksichtigung bei der Projektentwicklung.
7.2 Ökonomische Instrumente
Förderprogramme
Die Projektentwickler von Neubauvorhaben
und die Bestandshalter sind dem Grunde
nach mit der angebotenen Förderkulisse
zufrieden. Die Kenntnisse über die unterschiedlichen Programme sind bei der Mehrheit vorhanden und ihr Einsatz gelingt. Wichtig ist für die Pilotprojekte eine langfristig
planbare, verlässliche Förderung mit stabilen
Fördervoraussetzungen. Die Notwendigkeit
der Verstetigung der Förder-programme wird
vor allem für die KfW-Programme gesehen.
Der kurzfristige Finanzierungsbedarf von
Projektentwicklungen erschwert die Möglichkeit, Bauträger/Projektentwickler wie
das Siedlungswerk und die Thierergruppe
über Förderkredite anzusprechen. KfW-Fördermittel können jedoch an den Endkunden
übertragen werden, so dass die Zuschuss-
Rahmenbedingungen: Recht, Förderung, Governance (gute Verwaltung)
Förderung über die Nachfragelenkung ein
wirksames Instrument darstellen kann. Für
die Projektentwickler wirken sich die rasche
Veränderung der KfW-Förderkonditionen
allerdings nachteilig aus, wenn bei Projektstart vorhandene KfW-Programme zum
Zeitpunkt der Veräußerung an (private) Erwerber nicht mehr für die Kaufpreisfinanzierung verwendet werden können. Für die
Politik entsteht so ein Dilemma zwischen
schneller Anpassung und Feinjustierung der
Förderung und einer hohen Inanspruchnahme durch die Kreditnehmer.
Bei Bestandsbewirtschaftern haben sich
niedrige Fremdkapitalkosten für langfristige Kredite als zentrales Kriterium der Wirtschaftlichkeit erwiesen, da die Gesamtkapitalrentabilität der Unternehmen ohnehin
sehr niedrig ist. Zusätzlich sind Anreiz- und
Lenkungswirkungen durch Tilgungszuschüsse der KfW-Förderprogramme zu
erkennen, indem genau die Maßnahmen
umsetzt werden, die förderfähig sind. Allerdings bestätigen die Genossenschaften
1892 und FLUWOG-NORDMARK eG die
oben aufgestellten Anforderungen an die
die KfW-Konditionen, die sich gegenwärtig
schneller ändern als die Planungs- und Entscheidungsprozesse der Bestandshalter verlaufen und somit keine berechenbare Größe
darstellen. Im Gegensatz dazu erachten sie
die Konditionen der Landesförderung für
die Modernisierungsvorhaben als besser
geeignet. Vorteilhaft sind neben den sehr
günstigen Zinsbedingungen die hohe Flexibilität bei Wohnflächen- und Einkommensgrenzen (FLUWOG-NORDMARK eG). Die
Landesförderung verlangt außerdem keine
Belegungsrechte (1892).
Für das nicht-gewinnorientierte Vorhaben
des Buddhistischen Zentrums stellt sich die
Förderthematik grundsätzlich anders dar.
Eine umfassende Förderberatung und der
Kenntnistransfer ist erforderlich. Vergleichbar dem bei kleineren Städten und Gemeinden konstatierten erheblichen Defizit
bei der Kenntnis über mögliche Förderprogramme und staatliche Finanzierungsquellen77 konnte das Buddhistische Zentrum
mangels personeller und finanzieller Ressourcen passende Fördermaßnahmen gar
nicht erst eruieren und folglich nicht in
Anspruch nehmen. Inwieweit die Programmkonditionen auf Grund der geringen
Eigenkapitalausstattung (zu großen Teilen
auf Spendenmittel angewiesen) überhaupt
erfüllt werden könnten wurde deshalb gar
nicht festgestellt.
67
Für eine verbesserte Inanspruchnahme der
grundsätzlich gut ausgestalteten Förderprogramme durch kleine, ressourcenarme Akteure sollte die Information und Beratung
intensiviert werden. Hierbei kann an eingeführte und neue Programme angeknüpft
werden. So betont die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen,
kulturellen und öffentlichen Einrichtungen
im Rahmen der Klimaschutzinitiative des
BMU“ den Abbau von „bestehenden Hemmnissen und Informationsdefiziten“ und
fördert deshalb „die beratende Begleitung
bei der Durchführung ausgewählter Klimaschutzmaßnahmen“. Adressaten sind u. a.
antragstellende Einrichtungen nicht-gewinnorientierter Art.
Das neue KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung – Zuschüsse für integrierte Quartierskonzepte und Sanierungsmanager“(seit
2012) vollzieht den Schritt vom Einzelvorhaben auf die Quartiersebene. In den Berliner
Gesprächen zum Städtebaurecht werden
quartiersbezogene Maßnahmen als wichtiger Ansatz zur Abstimmung von Klimaschutz- und Klimaanpassung mit anderen
(öffentlichen) Belangen gesehen. Von ihnen
kann der Anstoß zur Bündelung von Mitteln
aus unterschiedlichen Förderprogrammen
ausgehen78. Das neue KfW-Programm fördert zudem auch Information und Beratung.
Es richtet sich (auch) an die Akteure der
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, d.
h. an Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften sowie Eigentümerstandortgemeinschaften (GbR oder e. V.). Die skizzierten
Anforderungen an die integrierten Konzepte
bzw. die Sanierungsträger entsprechen den bei
den Pilotprojekten von ImmoKlima identifizierten Schwerpunkten, Erfolgsfaktoren und
Hemmnissen wie Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen, Maßnahmen der Erfolgskontrolle,
Zeitplan und Verantwortlichkeiten, Information und Beratung sowie Öffentlichkeitsarbeit.
Die nach dem KfW-Programm förderfähigen
Maßnahmen sind solche, die insbesondere
für die ressourcenarmen Akteure – stellvertretend das Buddhistische Zentrum – notwendig
sind79. Sinnvoller Bestandteil der Quartierskonzepte sind Modellrechnungen, um die
Wirkungen von integrierten Maßnahmen zu
bewerten und die Einsparpotenziale gegenüberzustellen80, 81, 82.
Steuern, Gebühren, Ausgleichsbeträge,
Wertauszuwächse
Die für die Pilotprojekte erforderliche Wirtschaftlichkeit ihrer Klimaschutz- und Kli-
(77)
BMVBS (Hg.) Klimawandelgerechte
Stadtentwicklung.
Ursachen und Folgen des Klimawandels durch urbane Konzepte begegnen. Forschungen, Heft 149. Bearbeitet von
S. Greiving et al. Berlin, S. 61
ff, 2011.
(78)
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Hanke (DIFU). Bd. 1, S. 7 ff, 56
f, Bonn/ Berlin, 2010.
(79)
KfW: Merkblatt Kommunale und soziale Infrastruktur.
Energetische Stadtsanierung
- Zuschüsse für integrierte
Quartierskonzepte und Sanierungsmanager. Programmnummer 432. In: www.kfw.de/
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Stand
01.04.2012.
(80)
Bayerisches
Umweltministerium / Bayerisches Wirtschaftsministerium /Oberste
Baubehörde (Hg.): Leitfaden
Energienutzungsplan.
Bearbeitet von G. Hausladen und T.
Hamacher. München, 2011.
(81)
Koziol, M.: Plausibilitätscheck.
Vorgehensweise zur Ermittlung der Eignung von aktuellen
und potenziellen zukünftigen
Energieversorgungssystemen.
Cottbus, 2011.
(82)
BMVBS (Hg.): Anforderungen
an energieeffiziente und klimaneutrale Quartiere. Bearbeitet von C. v. Malottki et al.,
ExWoSt-Info 42/1, Bonn, 2012.
ImmoKlima
68
maanpassungsmaßnahmen wird durch verschiedene, manchmal auch unerwartete,
die Projektträger überraschende finanzielle
Nebeneffekte beeinflusst.
So wird die Auswirkung der Modernisierung
auf die Grundsteuer als Belastung betrachtet. Die Modernisierungsmaßnahmen führen zu Einheitswerterhöhungen und daraus folgend Grundsteuererhöhungen. Die
grundsätzlich mögliche Weitergabe an die
Mieter löst das Problem nicht, weil Mietsteigerungen nach Modernisierung neben
allgemein steigenden Betriebskosten (trotz
reduzierter Heizkosten) als Gesamtbelastung durch die Miete gesehen werden. Die
Kosten der Modernisierung (einschließlich
der erhöhten Grundsteuer) können vor allem bei Bestandsmietern nur zum Teil weitergegeben werden. Auch die gesetzlich
mögliche Modernisierungsumlage des § 559
BGB wird nicht vollständig ausgeschöpft.
Die begrenzte Weitergabe hat verschiedene
Gründe: Sie ergibt sich aus der Konkurrenz
auf dem Mietenmarkt, aus den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mieter sowie aus
unternehmenspolitischen Vorgaben.
Weitere Belastungen wären bei einigen Pilotprojekten durch die bestehende rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsbeträgen aufgrund der Erhöhung der
baulichen Dichte eingetreten (Buddhistisches Zentrum) oder beim Siedlungswerk
durch die Gebührenpflicht für die Nutzung
der Wärme des Abwasserkanals. In beiden
Fällen hat die öffentliche Hand durch Stundung bzw. durch Verzicht eine wirtschaftliche Erleichterung herbeigeführt.
(83)
BMVBS (Hg.): Wie bereiten
sich Regionen auf den Klimawandel vor? S. 22: Studie im
Auftrag des BMVBS/BBSR:
„Querschnittsauswertung von
Status-Quo-Aktivitäten
der
Länder und Regionen zum
Klimawandel durch das Institut für Umweltplanung. Landschaftsentwicklung und Naturschutz, 2010
In allen Fällen entstehen Zielkonflikte mit
dem öffentlichen Interesse hinsichtlich der
Einnahmen aus den Wertsteigerungen, die
gleichzeitig zu (weiteren) finanziellen Belastungen beim Investor führen und in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Maßnahmen
eingehen müssen. Dieser Zielkonflikt wurde
speziell deutlich im Pilotprojekt Erfurt Marienhöhe wo kommunale Haushalts-(sanierungs-)
Interessen durch die Vermarktung des gesamten Projektgebietes mit der raschen und
hochwertigen Entwicklung eines kleinen Teilgebietes kollidieren. Auch die Beendigung der
gemeinsamen Projektträgerschaft mit dem
erfahrenen Projektträger LEG zugunsten der
kommunalen Projektträgerschaft durch das
kommunale Wohnungsunternehmen ist dem
Interesse an der alleinigen wirtschaftlichen
Verwertung geschuldet. Unter dem Aspekt der
Identifikation von Hemmnissen besteht hier
weiterer Forschungsbedarf.
Werkstatt: Praxis Heft 79
7.3 Informelle Instrumente: Information, Beratung, Forschung
Wie in Kapitel 6.2 bereits dargestellt wurde,
kritisieren nahezu alle Pilotprojekte, dass sie
sich mit dem Thema Klimaanpassung auch
deshalb nicht näher befassen können, weil
ausreichend räumlich detaillierte Informationen über zukünftige Risiken und Gesundheitsbeeinträchtigungen fehlen. Diese Kritik
greift der Punkt „Wissen bereitstellen“ im Aktionsplan Anpassung auf. Nichtsdestotrotz
ist zu konstatieren, dass hier noch erhebliche
Defizite bestehen, die nur in gemeinsamen
Projekten von Meteorologen, Stadtklimatologen, Wohnungswirtschaft und Versicherungswirtschaft bearbeitet werden können.
Dies bestätigt auch eine „Querschnittsauswertung von Status-Quo-Aktivitäten der
Länder und Regionen zum Klimawandel „83
wonach die Stärken der Regionalplanung in
den informellen Instrumenten der Beratung,
Information und Moderation von Aktivitäten
zur Klimawandelanpassung liegen. Hingegen fehlen oft Grundlagen – besonders zu
den regionalökonomischen Folgen des Klimawandels – um die Betroffenheit der lokalen Akteure herzustellen.
7.4Fazit
Insgesamt wird kein Bedarf an neuen Gesetzen gesehen. Das geltende Recht gibt
einen ausreichenden Rahmen. Innerhalb
des geltenden Rechts werden vertragsrechtliche, konsensual ausgehandelte Lösungen als die geeignete Regelungsform
angesehen. Bei der Anwendung der vorhandenen Gesetze ist eher der Abbau des
Vollzugsdefizites vordringlich. Vollzugsdefizite ergeben sich aus inkonsistenten Zielen und Zielkonflikten sowie aus fehlenden
finanziellen und personellen Ressourcen
bei den Kommunen, um das Regelungsinstrumentarium, z. B. des besonderen
Städtebaurechts, oder die Förderung von
klimapolitischen Vorstellungen umsetzen
zu können. Bei den förderpolitischen Rahmenbedingungen sind die Verstetigung
der Förderung und die Ermöglichung eines erleichterten Zugangs zu Informationen als Bedarfe identifiziert worden. Die
Förderung von integrierten Konzepten im
Quartier ist durch das neue KfW-Programm
seit 2012 umgesetzt. Eine gesonderte Förderung der Klimaanpassung wird nicht als
Bedarf gesehen, jedoch als integraler Bestandteil sollte Klimaanpassung bei den
Förderkonzepten einbezogen werden.
Schlussfolgen und Handlungserfordernisse
69
8 Schlussfolgerungen und Handlungserfordernisse
Die Herausforderung des Klimaschutzes
ist in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft angekommen. Hierfür sorgen
sowohl die teilweise kritisch betrachteten
ordnungsrechtlichen Anforderungen als
auch die Förderung, welche umfangreich in
Anspruch genommen wird und eine starke
Lenkungswirkung übernimmt, so dass im
Extremfall die Entscheidung zwischen Maßnahmen nur aufgrund der Höhe der jeweiligen Förderung getroffen wird.
Klimaanpassungsstrategien sind bei den Pilotprojekten in Ansätzen erkennbar und als
integraler Bestandteil in die Gesamtplanung
einbezogen. Zum einen stellt die mangelnde Verfügbarkeit kleinräumiger Klima- oder
Schadensdaten ebenso wie die hohe Ungenauigkeit von regionalen Klimaprognosen
ein Hemmnis für Beschäftigung mit der
Thematik für die Akteure der Immobilienund Wohnungswirtschaft dar. Hier besteht
Handlungsbedarf bei Bund, Kommunen,
Klimaforschung und Versicherungswirtschaft. Zum anderen sind Bemühungen
zur Optimierung der Aufenthaltsqualität in
Freiräumen, der thermischen Behaglichkeit
und der Durchlüftung/Klimatisierung von
Wohnungen in erster Linie Antworten auf
Gesundheitsfürsorge und Komfortansprüche. Sie können zwar im weitesten Sinne als
Klimaanpassungsstrategie bezeichnet werden. Sie werden allerdings von den Unternehmen nicht als solche wahrgenommen.
Sie werden auch nur im Rahmen ohnehin
stattfindender größerer Maßnahmen im Lebenszyklus einer Immobilie realisiert.
Eine zunehmende Anzahl von Unternehmen
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
erfüllt mehr als die gesetzlichen Anforderungen an den Klimaschutz bei Modernisierungsmaßnahmen und setzten gleichzeitig
– wenn auch aus anderen Motiven heraus
– Maßnahmen zur Klimaanpassung um. Darunter befinden sich auch die ImmoKlimaPilotprojekte. Diese können allerdings nicht
als repräsentativ für die Immobilien- und
Wohnungswirtschaft in Deutschland bewertet werden, sondern stellen eher einen Teil
der Avantgarde dar. Für die Beurteilung des
wirtschaftlichen Nutzens von Klimaschutzund Klimaanpassungsmaßnahmen spielen
bei ihnen nicht nur die reinen Kosten und
Erlöse auf Objektebene eine Rolle:
1. Die Unternehmen bedienen eine spezifische Nachfrage am Markt nach qualitativ
hochwertigen, ökologisch korrekten und
innovativen Produkten. Klimaschutz und
Klimaanpassung dienen dabei der Imagebildung und müssen dann auch entsprechend sichtbar und kommunizierbar
sein. Imageträchtige Vorhaben stärken
gleichzeitig die Verhandlungsposition
mit Politik und Stadtplanung und eröffnen Chancen bei der Grundstücksakquise. Wohnprojekte jenseits der klassischen
Immobilienwirtschaft bewerten Klimaschutz und Klimaanpassung tendenziell
noch höher, ohne dass dabei die Regeln
der Rentabilität von Maßnahmen außer
Kraft gesetzt werden könnten.
2.Durch den Einsatz innovativer Technologien entstehen für die Unternehmen
Lerneffekte, welche künftige Entscheidungen verbessern und die Marktposition auch in Zukunft sichern. Innovation
entsteht dabei immer dort, wo etablierte
Partner (d. h. v.a. die Unternehmen und
deren Planer bzw. Fachingenieure) vertrauensvoll zusammenarbeiten und Unternehmen zeitlich und finanziell bereit
sind, Neues auszuprobieren.
Der Begriff des wirtschaftlichen Nutzens ist
also relativ bei den Projektträgern zu betrachten und erfasst nicht nur das konkrete
Objekt sondern betrachtet (häufig) ein Ensemble und das Quartier als ganzheitliches
Projekt. Bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Nutzens beziehen sich die Projektträger auf ihren sozialen Auftrag und lassen
sich von Aspekten der corporate social responsibilty leiten.
Obwohl die Immobilien- und Wohnungswirtschaft ein zentraler Akteur zur Erreichung der Klimaschutzziele ist, findet im
Rahmen der Erstellung kommunaler Klimaschutzkonzepte nur wenig Austausch
zwischen der öffentlichen Hand und der
privaten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft statt. Zum einen bestehen Hemmnisse darin, dass die politischen Prozesse
für die Unternehmen aufwändig sind und
nur dann begleitet werden, wenn ein entsprechender Nutzen in Form von Kontakten
oder Mitsprache bei relevanten politischen
Entscheidungen besteht. Auf der anderen
Seite war in den Pilotprojekten von Immo-
ImmoKlima
70
Klima festzustellen, dass die Kommunen im
Wesentlichen ihre eigenen Wohnungsunternehmen im Blick haben und die Pilotprojekte Anstrengungen unternehmen mussten, um überhaupt als relevante Akteure
wahrgenommen zu werden. Hier besteht
deutlicher Verbesserungsbedarf, zumal am
Markt agierende Akteure wesentliche Inputs
für kommunale Konzepte und Konzepte auf
der Landesebene geben können und diese „näher an die Praxis“ führen. Durch die
bundesdespolitische Ebene könnte dies bei
Förderung von Klimaschutzkonzepten berücksichtigt werden. In den Kommunen der
Pilotprojekte haben die Projektforscher teilweise derartige Kommunikationsprozesse
erfolgreich angestoßen.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen Klimaschutz und
Klimaanpassung zwar Synergien gibt (so
kommt der Verzicht der FLUWOG-NORDMARK eG auf eine Nachverdichtung dem
Kleinklima und der Freiflächensicherung als
Maßnahme der Klimaanpassung zu Gute),
aber ebenso Konflikte zwischen öffentlichem und privatem Interesse auftreten können. So können die (städtebauliche) Dichte,
die wirtschaftliche Grundstücksausnutzung
einerseits und Freiflächenansprüche und
Stadtklima andererseits miteinander kollidieren. Kollidieren können auch die planerischen Vorstellungen zu hochwertiger, gering
verdichteter, energieeffizienter PremiumBebauung (Marienhöhe Erfurt) mit der dafür am Standort fehlenden Nachfrage.
(84)
Vgl. dazu das aktuelle Projekt
„Maßnahmen zur Umsetzung
der Ziele des Energiekonzepts
im Gebäudebereich – Zielerreichungsszenario“ des BBSR
(Bearbeiter: IWU)
Das rechtliche und fördertechnische Instrumentarium für die Erreichung der Klimaschutzziele ist vielfältig und weit entwickelt. Die Bundesregierung agiert mit einer
Mischung aus ordnungsrechtlichen Anforderungen, Fördermitteln und den oben
beschriebenen informellen Instrumenten
der Beratung, der organisatorischen Unterstützung und der Wissensverbesserung.
Diese informellen Instrumente erscheinen
auf der kommunalen Ebene ausbaubar und
sollten verstärkt in Förderprogrammen,
die an die kommunalen Akteure gerichtet
sind, Eingang finden. In diese Richtung weisen das neue KfW-Programm Energetische
Stadtsanierungs-Zuschüsse für integrierte
Quartierskonzepte und Sanierungsmanager
(seit 2012) und die BMU-Förderrichtlinie
zur Förderung von Klimaschutzprojekten in
sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen im Rahmen der Klimaschutzinitiative vom Dezember 2010. Förderprogramme
können den organisatorischen Rahmen bilden
Werkstatt: Praxis Heft 79
für die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft seitens der öffentlichen Hand. Ziel muss
es sein, die Anwendung innovativer Strategien
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft in
die Breite zu bringen. Wohnungs- und Immobilienunternehmen, seien es Bestandshalter,
Projektentwickler oder Bauträger, haben dabei
eine Vorbildrolle auch für private Eigentümer.
Innovative Unternehmen können Vorbild „demonstrator“ für weniger innovative sein.
So sollte der Innovationstransfer stärker als
bisher in den Fokus der Betrachtung gelangen, auch wenn dies aufgrund der Konkurrenz zwischen Unternehmen – insbesondere zwischen Projektentwicklern, in deutlich
geringerem Maße zwischen institutionellen
Bestandshaltern – schwierig ist. Zum Innovationstransfer zwischen Wohnungsunternehmen und Privateigentümern wären
bspw. Modellprojekte des Bundes oder von
Kommunen denkbar. Wichtig sind grundsätzlich sowohl bei Förderung als auch bei
ordnungsrechtlichen Anforderungen, die
Offenheit gegenüber verschiedenen Technologien. Die Frage, mit welchen technologischen Strategien eine Erreichung der Klimaschutzziele möglich ist, muss der Markt,
aber vor dem Hintergrund von begrenzten
Potenzialen (bspw. bei regenerativer Energieversorgung durch Biomasse) auch die
Forschung beantworten84. Die Betrachtung der Pilotprojekte führt zu der Diskussion, wie sich innovative Einzelvorhaben
– „Leuchttürme“ – zur allgemeinen Modernisierungstätigkeit (mit geringerer Modernisierungstiefe) verhalten sollen. Hier sollte
das eine getan werden ohne das andere zu
lassen. Wie in der Untersuchung gezeigt,
gibt es Innovationssprünge in Leuchtturmprojekten, von denen mittelfristig auch die
Standardmodernisierung profitieren kann.
Hier entstehen unter Umständen neue Erfordernisse für Regulierung und Förderung,
die dann doch zur speziellen Förderung
bestimmter Technologien führen könnten.
Zeitlich nicht schnell anpassbare Instrumente wie die klassische Bauleitplanung
sind – im Gegensatz zu den Regelungen des
städtebaulichen Vertrages – weniger geeignet für die Erreichung der Klimaschutzziele.
Größere professionelle Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft können
steigende Klimarisiken über Versicherungen gut abpuffern. Hier wäre ein Eingriff
der öffentlichen Hand gar nicht erforderlich. Im vorliegenden Bericht wurde jedoch
aufgezeigt, dass der Versicherungsmarkt
Schlussfolgen und Handlungserfordernisse
nicht gut funktioniert. Erstens sind die Risiken auch aufgrund fehlender kleinräumiger
Daten nicht ausreichend transparent. Zweitens sind insbesondere Privateigentümer
oft nicht ausreichend versichert, obwohl sie
im Gegensatz zu institutionellen Bestandshaltern keinerlei räumliche Risikostreuung
betreiben können. Drittens tendiert die öffentliche Hand dazu, Kompensationsforderungen nach Großschadensereignissen wie
Überschwemmungen nachzugeben und
damit Versicherungslösungen zu konterkarieren. Hier ist eine Versicherungspflicht für
Gebäudeeigentümer zu diskutieren, um die
Forderungen an die öffentliche Hand im Falle
größerer Schadensereignisse zu minimieren.
Die kleinere Lösung besteht darin, öffentliche
Kompensationszahlungen an den Nachweis
der Nichtversicherbarkeit von Risiken zu koppeln. Von großer Bedeutung ist die Erhöhung
der Transparenz von Risiken. Hier besteht von
öffentlicher Seite erheblicher Gestaltungsspielraum – z. B. über die Klimaforschung
und die Entwicklung entsprechender Bewertungswerkzeuge85. Sinnvoll wäre es auch, die
Versicherungswirtschaft, die über umfangreiche Daten zu Schadensfällen verfügt, zu einer
Mitwirkung zu bewegen. Die Veröffentlichung
der ZÜRS-Zonen für die Vulnerabilität von
Gebäuden gegenüber Hochwasser geht hier
in die richtige Richtung. Vor dem Hintergrund
der Handlungsmöglichkeiten im Bereich von
Risikotransparenz und Versicherungsmarkt
erscheint die Klimaanpassung damit grundsätzlich als kein Politikfeld, in dem eigene
Förderprogramme aufgelegt werden sollten,
es profitiert immer der Gebäudeeigentümer
selbst von einem geringen Risiko. Denn letztendlich profitiert immer der Gebäudeeigentümer oder -nutzer von geringeren Risiken,
so dass er es auch ist, der dafür aufkommen
sollte. Anpassungen an Baunormen sind
denkbar und auch schnell umsetzbar, sie
sollten geprüft werden. Problematisch sind
hier allerdings regionale Besonderheiten.
Im Bereich des Hochwasserschutzes spielt
auch das Bauplanungsrecht eine Rolle, wobei hier alle gesetzlichen Instrumente vorhanden sind.
Insgesamt sind die Anforderungen des Klimaschutzes im Gebäudebereich trotz der
Präsenz des Themas in der öffentlichen Diskussion eine immense Herausforderung. Bei
der Klimaanpassung erscheinen die Probleme zumindest für die professionelle Immobilien- und Wohnungswirtschaft aufgrund
der Versicherbarkeit von Risiken bewältigbar, allerdings stellt die fehlende Transparenz der Risiken ein Hemmnis dar, welches
71
es zu beseitigen gilt.
Bei der Bearbeitung des Projektes ImmoKlima hat sich weiterer Forschungs- und
Handlungsbedarf ergeben. Diesen sieht die
Forschungsassistenz wie folgt:
• Veränderungen bzw. (erhöhte) Anforderungen an Klimaanpassungsmaßnahmen
setzen Kenntnisse über die Klimarisiken
voraus. Hier sollte in Übereinstimmung mit
dem Aktionsplan Anpassung die Forschung
verstärkt werden. Die Ergebnisse müssen
auch an die Immobilien- und Wohnungswirtschaft kommuniziert werden.
• Die öffentliche Hand sollte verstärkt Risikodaten generieren, vorhandene Risikodaten veröffentlichen oder auf eine
Veröffentlichung von Fremddaten, gerade
durch die Versicherungswirtschaft, hinwirken. Schadensereignisse wie Hochwasser, Hitzewellen oder Orkane könnten
nach ihrem Eintreten durch eine Begleitforschung evaluiert werden.
• Die Rolle der Nutzer, die Möglichkeiten,
ihr Verhalten zu Gunsten eines klimabewussten Verhaltens zu beeinflussen sowie
die Akzeptanz von technologischen Innovationen (Smart Metering, Feedback-Ansätze, Kommunikationstechniken) ist bislang nur wenig erforscht. Die Aktivierung
der Nutzer und Nutzerinnen wird in den
Pilotprojekten als sehr wichtig beurteilt.
• Die Pilotprojekte intendierten bei den
integrierten Energieversorgungskonzepten Lösungen, die über ihre eigenen Projektgrenzen hinausgingen. Für die angestrebten Quartierslösungen (Energie- und
Wärmelieferung in den Quartieren Marienhöhe Berlin-Tempelhof oder Abgabe der
überschüssigen Energie in fremde Netze,
Rekommunalisierung der Energieversorgung in Günzburg) sind sie auf die Zusammenarbeit mit den Energieversorgern des
Quartiers angewiesen. Diese notwendige
Zusammenarbeit können die Projektträger nicht alleine herstellen, sondern sind
auf die organisatorische und/oder finanzielle Unterstützung durch die öffentliche
Hand angewiesen. Das oben erwähnte
KfW-Programm Energetische Stadtsanierung – Zuschüsse für integrierte Quartierskonzepte und Sanierungsmanager will auf
diese Unzulänglichkeiten reagieren. Die
avisierte Begleitforschung zum KfW-Förderprogramm sollte die Möglichkeiten zur
Steigerung der Kooperationsbereitschaft
zwischen Eigentümern im Blick haben.
(85)
Vgl. dazu das aktuelle Projekt
ImmoRisk des BBSR (Bearbeiter: Prof. D. S. Bienert)
ImmoKlima
72
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Das letzte Zugriffsdatum auf alle angegebenen Links im Internet ist der 1. April 2012.
Anhang Kurzportraits der Pilotprojekte
Berlin-Tempelhof: Marienhöhe
77
9 Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Integrierte Energie-, Modernisierungs- und
Nutzerkonzepte im Quartier
Das Projekt auf der Marienhöhe in Berlin-Tempelhof umfasst die komplexe energetische Sanierung von 304 Wohnungen sowie die Schaffung einer eigenen lokalen Energieversorgung mitten
in Berlin, wobei strategisch die gesamte Siedlung mit rd. 1.300 Wohnungen einbezogen ist.
Bestände mit Nachtstromspeicheröfen werden auf andere Systeme umgestellt.
Abbildung 7: Lageplan des Gesamtgebietes mit Projektgebiet
Quelle: Berliner Bau und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG
Tabelle 8: Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Das Wichtigste in Kürze
Name des Projektträgers + Sitz
Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG, Berlin
Eigentümerstruktur
Eingetragene Genossenschaft
GrößedesUnternehmens
11.300 Mitglieder, 6.500 Wohnungen, 88 Mitarbeiter
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Vermietung, Instandhaltung und nachhaltige Bewirtschaftung, des Wohnungsbestandes und Wohnungsneubaus im genossenschaftlichen Grundgedanken
Nutzungen
Wohnen
Projekt + Standort
Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Integrierte Energie-, Modernisierungs- und Nutzungskonzepte im
Quartier
Projektziel
Komplexe energetische Sanierung von Bestandswohnungen
Art des Projekts
Bestandsbewirtschaftung
GrößeundNutzung
9 Gebäude, 304 WE, nur Wohnnutzung
Lage
Bestandswohngebiet der 1920er bis 1960er Jahre
Quelle:
Eigene Darstellung
ImmoKlima
78
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 8: Marienhöhe in Berlin-Tempelhof: Bestand vorher mit Gebäudeeinschnitten (links) und Bestand nachher mit 16 cm Wärmedämmung-Metallkassetten-Fassade und Schließung der Gebäudeeinschnitte
Quelle: 1892, ECOPLAN GmbH
9.1 Das Projekt – Ausgangssituation
Projektträger ist die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG. Sie ist
mit rd. 6.500 Wohnungen und 11.000 Mitgliedern eine der großen Berliner Genossenschaften. In den Beständen der 1892 sind
alle Baualtersklasen vertreten, sie verfügt
über Wohnungen aus der Gründerzeit, den
20er und 30er bis hin zu den 60er bis 2000er
Jahren.
Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur
Stilllegung der Nachtstromspeicheröfen
(EnEV 2007) war die 1892 gezwungen, auf
andere Wärme- bzw. Energieversorgungssysteme umzustellen. Zum damaligen Zeitpunkt waren rd. 2.000 Wohnungen der 1892
mit Nachtstromspeichergeräten – zum Teil
noch aus den frühen 1960er Jahren – ausgestattet. Bis 2019 sind alle Nachtstromspeicheröfen auszutauschen. Die 1892 hat sich
entschieden, bei der Sanierung ihrer Bestände nach dem Baualter vorzugehen, d. h. mit
den Beständen der 60er Jahre zu beginnen.
Die Siedlung Marienhöhe besteht aus 9 Einzelgebäuden der Baujahre 1965 und 1966
mit 304 Wohnungen und Wohnungsgrößen
von 40 - 90 m². Sie hat den direkten Zugang
zum Park Marienhöhe und zu einer Kleingartensiedlung und ist geprägt von parkartig
gestalteten Außenanlagen. Die Bauweise ist
offen mit Zeilenbauten und einem Punkthochhaus.
Da der energetisch sanierte Wohnungsbestand der 1892 eG eines Projektes aus 2009
in Berlin-Charlottenburg auf hohe Akzeptanz bei den Bewohnern stößt, wurde auch
für die Modernisierung der Marienhöhe ein
entsprechender Masterplan erarbeitet. Die
konkrete Entscheidung der Genossenschaft
für die umfassende Modernisierung ihrer
Bestände in Charlottenburg basierte auf der
Prüfung von 11 verschiedenen Szenarien.
Die 1892 hat sich für die Modernisierung
entsprechend dem KfW 100 Standard ENEV
2009 entschieden, weil die Genossenschaft
neben dem Ziel der langfristigen Werthaltigkeit ihrer Bestände auch umweltfreundliche
und energiesparende Strategien zur Begrenzung der Betriebskosten für ihre Genossen
verfolgt.
Durch den Projektpartner, das Büro ECOPLAN GmbH Planungsbüro und Beratende
Ingenieure, wurde in der Marienhöhe im
Jahr 2009 eine umfassende, systematische
Bestandsaufnahme durchgeführt.
Die untersuchten Varianten reichen von einem bloßen Austausch der vorhandenen
Nachtstromspeicheröfen durch eine zentrale Heizungsanlage über zentrale Wärmepumpenanlagen bis hin zu einer komplexen
Modernisierung. Neben der selbstverständlichen Beachtung gesetzlicher Vorgaben
liegt das Hauptaugenmerk auf der Errichtung von zukunftsfähigem, d. h. langfristig
vermietbarem Wohnraum mit einem möglichst geringen Verbrauch an Primärenergie
und geringen Betriebskosten.
Die Fassaden, die Fenster, das Dach und die
Keller werden entsprechend der Vorgaben
ertüchtigt bzw. erneuert. Bei der Planung
wurde u. a. darauf geachtet, die architektonischen Besonderheiten der Objekte (Fassa-
Berlin-Tempelhof: Marienhöhe
79
den mit „Hoffmannschen Blumenfenstern“)
zu erhalten. Weitere Maßnahmen sind: Außerbetriebnahme und Rückbau der bestehenden Nachtstromspeicheröfen, Rückbau
der elektrischen Trinkwasser-Durchlauferhitzer, Installation einer Zentralheizung und
einer zentralen Trinkwarmwasserbereitung,
der Einbau einer kontrollierten Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie die
Modernisierung der kompletten Küchenstränge und eine Erneuerung der Bäder. In
den Bädern werden, sofern von den Bewohnern gewünscht, bodengleiche Duschen für
eine generationenübergreifende Nutzung
eingebaut. Der Verbrauch von Trinkwarmwasser wird über zentrale Wärmemengenzähler gemessen.
dernisierten Wohnungen umgelegt.
Die 1892 eG hat sich für den Ausbau eines
Nahwärmenetzes mit Anschluss an eine
Heizzentrale mit KWK-Technik entschieden.
• (Kostenlose) Umzugshilfen für den Modernisierungszeitraum.
Nach der Ermittlung der entsprechenden
Heizlasten wurde für die Wärmeversorgung im Rahmen einer Ausschreibung ein
Wärmeversorger gesucht. Voraussetzung
hierfür war der einzuhaltende Primärenergiefaktor zwischen 0,56 und 0,9. Aufgrund
der örtlichen Nähe zu weiteren rd. 1.000
Wohnungen, die bereits vor fünf Jahren an
die Blockheizkraftwerks-Träger- und Betreibergesellschaft mbH Berlin (BTB) vergeben
wurden, wurde die BTB als Wärmelieferant
und Kooperationspartner ausgewählt. Die
BTB betreibt im direkten Umfeld ein Kesselhaus mit einem Blockheizkraftwerk (BHKW).
Aufgrund erfolgter Modernisierungen im
Gebäudebestand sind Überkapazitäten vorhanden, so dass lediglich ein zusätzliches
BHKW zu den bestehenden Anlagenteilen in
der Siedlung installiert werden muss. Damit
entsteht eine Energieeffizienzinsel, die in
der Lage ist, neben dem Altbestand auch die
jetzt zur Modernisierung anstehenden Wohnungen ausreichend mit Wärmeenergie zu
versorgen. Der Strom, den das BHKW über
Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt, wird in das
Netz des örtlichen Stromanbieters Vattenfall Europe AG eingespeist. Darüber hinaus
arbeitet die BTB daran, den Strom den Bewohnern als „Genossenschaftsstrom“ anzubieten. Hierbei sollen die kurzen Wege und
damit verbundenen geringen Netzentgelte
zu einem günstigeren Angebot führen.
Insgesamt werden durch das Vorhaben die
CO2-Emissionen um 84 % bzw. um 1.717.195
kg/Jahr reduziert. Die Bestandsmieten nach
Modernisierung sind annähernd warmmietenneutral, die Modernisierungskosten werden nicht vollständig auf die Mieten der mo-
Das Selbstverständnis der 1892 als Wohnungsgenossenschaft erfordert eine transparente und umfassende Strategie zur Kommunikation und Umsetzung der geplanten
Maßnahmen mit den Bewohnern, die nicht
nur Genossenschaftsmitglieder sondern in
gleicher Weise als Kunden betrachtet werden. So wird jeder Arbeitsschritt schon vor
der Durchführung kommuniziert und durch
eine Vielzahl an Informations- und Beratungsangeboten begleitet, für die gesonderte Mittel bei der 1892 eingeplant werden:
• Es gab die Möglichkeit, sich im Verwalterbüro zu informieren und beraten zu
lassen.
• Während der gesamten Bauzeit stand den
Bewohnern ein Bauleitungsbüro vor Ort
zur Verfügung.
• Der Umgang mit der neuen Heizungsanlage wurde erläutert.
• Informationen zum Thema Feuchtigkeit
in der Wohnung wurden aufbereitet.
Durch die Einbeziehung des Siedlungsausschusses, der Haussprecher und der Bewohner, z. B. in Versammlungen, Sprechstunden, auf Hoffesten oder über den Concierge,
erfolgte eine Bewusstseinsstärkung im Umgang mit den energetischen Ressourcen.
Hierdurch wurden die Motivation der Bewohner zum Energiesparen und ihre Zufriedenheit insgesamt gefördert.
Mit der Photovoltaik-Fassade am Hochhaus
Arnulfstraße 93 und der angeschlossenen
Stromtankstelle wird das Thema regenerative Energieverbräuche sichtbar gemacht.
Der erzeugte Strom wird vor Ort eingespeist
und den Bewohnern und Angestellten der
Wohnungsgenossenschaft werden Stromtankstelle und Elektroauto bereitgestellt.
Das Elektroauto soll zusammen mit Informationskampagnen Anreiz für die Bewohner sein, für Fahrten in die Innenstadt vom
benzingetriebenen Pkw auf das Elektroauto
zu wechseln und die genossenschaftseigene
Stromtankstelle zu nutzen.
Diese Vorgehensweise erforderte bereits von
Anfang an eine enge – der Genossenschaftsphilosophie und der Projektidee folgende
– Kooperation mit den Fachplanern, dem
Büro ECOPLAN GmbH Planungsbüro und
Beratende Ingenieure.
ImmoKlima
80
9.2Projektziele
Die Projektziele der Berliner Bau- und
Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG
sind durch ihr Selbstverständnis als Wohnungsgenossenschaft mit engem und spezifischem Kundenbezug geprägt. Mit dem
Projekt Energieeffizienzinsel Berlin Marienhöhe sind im Wesentlichen folgende Ziele
verbunden:
• Erhalt der Wertbeständigkeit und Sicherung der langfristigen Vermietbarkeit der
Wohnungen durch eine energetische und
generationengerechte
Modernisierung
unter Einhaltung des KfW Neubau-Standards nach EnEV 2009;
• Umweltfreundliche und energiesparende
Erzeugung von Strom und Wärme und
Weiterleitung an die Bewohner (Kosten
für den Strom unterhalb der marktüblichen Kosten);
• Erhöhung der Bewohnerzufriedenheit;
• Vermeidung von Leerständen;
• Umsetzung einer möglichst warmmietenneutralen Modernisierung im Sinne des
Genossenschaftsgedankens;
• Schaffung eine Energieinsel für Wärme
und Strom zur Stärkung der Unabhängigkeit von großen Energielieferanten;
• Entwicklung eines Leuchtturmprojektes
z. B. durch Vorbildfunktion mit dem Elektroauto;
• signifikante Reduzierung der CO2-Emissionen.
Ein in diesem Sinne erfolgreiches Projekt
stärkt den Grundgedanken der Genossenschaft und festigt sowohl die Marktfähigkeit
der Wohnungsbestände als auch die Attraktivität der Genossenschaft selbst.
Die Planung für die Modernisierungen sah
jeweils vor, die Arbeiten vor Einbruch der
kalten Jahreszeit abschließen zu können.
Der 1. Bauabschnitt wurde im April 2010
begonnen und im November 2010 fertig
gestellt. Der 2. Bauabschnitt wurde im April 2011 begonnen und im November 2011
fertig gestellt. Die Fertigstellung der Photovoltaik-Fassade wurde ebenfalls 2011 abgeschlossen. Entgegen der Planung konnte die
Stromtankstelle aufgrund bürokratischer
Hindernisse nicht termingerecht in Betrieb
genommen werden. Da der vorgesehene
Standort (im öffentlichen Raum) nicht genehmigt wurde, ist jetzt eine Alternative auf
einer privaten Fläche unmittelbar vor dem
Werkstatt: Praxis Heft 79
Haus der Photovoltaik-Fassade gewählt
worden.
Anfang 2012 konnten die tatsächlichen Endenergieverbräuche für Warmwasser mit den
geplanten Angaben verglichen werden. Das
jetzt vorliegende Ergebnis von 17,13 kWh/
m² (tatsächlicher Verbrauch nach Modernisierung) ist im Vergleich zu sonstigen Werten in Berlin laut Berlin-Brandenburgischer
Wohnungsunternehmen e. V. günstig (Werte in Berlin zwischen 26 und 40 kWh/m²).
Darüber hinaus hat die Gegenüberstellung
des errechneten Bedarfswertes und des tatsächlichen Verbrauchswertes Bedeutung für
die Praxis. Das mithilfe der 1892 ermittelte
Ergebnis zeigt, dass die Werte (errechnet
und tatsächlich) weit auseinander liegen.
Die tatsächlichen Werte sind wichtig für die
Diskussion um die Energieausweise. Die
Ergebnisse der 1892 zeigen, dass, wenn die
Bewohnerdichte hoch ist (Bautypologie),
sich der tatsächliche Wert dem berechneten Erwartungswert nähert. Dies bedeutet,
dass die EnEV-Vorgaben letztendlich von
schlechten Rahmenbedingungen ausgehen
(eher von Hochhäusern). Die Auswertung
der Heizkosten und der „energetischen Situation vor und nach der Modernisierung“
erfolgt im Juni 2012 in Abstimmung mit dem
Senat.
9.3 Klimaorientierte Konzepte und
Maßnahmenpakete
Die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG hat sowohl im Interesse
ihrer Genossenschaftsmitglieder wie auch
als Genossenschaft selbst ein strategisches
Interesse an geringen Ressourcenverbräuchen in ihrem Wohnungsbestand und an
langfristig wettbewerbsfähigen Wohnungen.
Die schließt einen verantwortungsvollen
Umgang durch Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen implizit ein.
Die Stadt Berlin verfügt über gute stadtklimatologische Grundlagen. Darüber hinaus
gibt es stadtstrukturbezogen erste Projektionen für die zukünftige thermische sommerliche Belastung. Ein Stadtentwicklungsplan
Klima mit Aussagen zum Klimawandel und
zum Anpassungsbedarf liegt seit Kurzem
vor.
Für praktische Anwendungen in der Stadtplanung ist zusammen mit dem Deutschen
Wetterdienst DWD das Stadtbioklimamodell
UBIKLIM (Urbanes BIoKLImaModell), entwickelt worden, welches in Berlin bereits
1996 zur Bewertung der thermischen Situ-
Berlin-Tempelhof: Marienhöhe
81
ation eines typischen Sommertages zum
Einsatz kommt. Das in diesem Modellverfahren erfolgte Downscaling regionaler Klimaprojektionen ermöglicht die kombinierte
Berücksichtigung der durch den globalen
Klimawandel zu erwartenden Änderungen
und der durch die städtischen Nutzungen
hervorgerufenen Einflüsse, wobei die Hintergrundbelastung durch das globale beziehungsweise das daraus abgeleitete regionale Klima definiert wird. Zur Ermittlung der
künftigen Hintergrundbelastung werden die
Resultate regionaler Klimamodelle herangezogen; ausgewertet wurden REMO- und
WettReg-Daten für den Kontrollzeitraum
1971 - 2000 und die Projektionszeiträume
2021 - 2050 sowie 2071 - 2100.
an Informationen im Hinblick auf künftige
Handlungsnotwendigkeiten interessiert ist.
Die Genossenschaft hat eine differenzierte
Liste mit Daten zur energetischen Modernisierung der Siedlung Marienhöhe erstellt.
Aufgrund der Stadtgröße und der Bebauungsdichte ist Berlin durch ein Stadtklima
mit ausgeprägten Überwärmungsgebieten
gekennzeichnet: Klimaprojektionen für Berlin bis zum Jahr 2050 bzw. 2100 deuten darauf hin, dass langfristig mit einer markanten
Erwärmung und einer damit verbundenen
Zunahme der Wärmebelastung innerhalb
der Stadt zu rechnen ist.
• Helle Fassadenfarben und damit Schutz
vor der Zunahme von Hitzewellen im
Sommer;
Neben der spürbaren Veränderung der genannten Klimakenngrößen haben extreme
Klimaereignisse deutlich zugenommen. Von
einer weiteren Zunahme extremer Wetterereignisse ist auch für Berlin auszugehen.
Die Stadt Berlin ist gegenwärtig dabei, die
wichtigsten Klimawandelfolgen für Berlin
herauszuarbeiten und die verschiedenen
Stadtstruktur- und Nutzungstypen auf eine
entsprechende Vulnerabilität hin zu überprüfen sowie daran anschließend Mitigations- und Adaptionsmaßnahmen für Stadtplanung und Architektur abzuleiten.
Aus dem Pilotprojekt ist – durch die Projektforschung (empirica) angestoßen – der
partnerschaftlichen Austausch zwischen
der 1892, dem BBU und den zwei Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und
für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz hervorgegangen. Das Projekt wird
von der Senatsverwaltung als Modellprojekt
aufgenommen. Die Senatsverwaltung ist an
einem Erfahrungsaustausch über die konkreten Erfahrungen und Maßnahmen – sowie deren Kosten – der Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 interessiert. Die
1892 wiederum ist an einer konstruktiven
Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung
interessiert, weil sie wissen möchte, wie sich
die Rahmenbedingungen und Rahmensetzungen in Berlin entwickeln und weil sie
Im Sinne des Klimaschutzes und der Klimaanpassung werden im Projekt Marienhöhe die nachfolgenden Maßnahmen
durchgeführt. Dabei handelt es sich zum
Teil um Maßnahmen, die primär unter dem
Gesichtspunkt des Klimaschutzes gesehen
werden, jedoch auch Wirkungen im Hinblick auf die Klimaanpassung haben:
• Gebäudedämmung und damit Schutz vor
der Zunahme von Hitzewellen im Sommer;
• Einsatz außen liegender Verschattungselemente: Erneuerung der defekten bauzeitigen Markisen nach der Modernisierung und damit Schutz vor der Zunahme
von Hitzewellen im Sommer;
• Kontrollierte Be- und Entlüftung der Wohnungen mit Wärmerückgewinnung für
das Treppenhaus, um Schimmelbildungen zu vermeiden und eine gute Raumluftqualität zu gewähren;
• Bereitstellung von Schneewerkzeugen für
die Bewohner;
• Concierge: Unterstützung der Bewohner,
z. B. an warmen Tagen Einkauf für Ältere
(durch Kontakt Informationen über Befinden).
Im Hinblick auf den Klimawandel ist die
Durchgrünung im Quartier Marienhöhe
optimal. Die Außenanlagen sind parkartig
gestaltet und es gibt einen direkten Zugang
zum Park Marienhöhe und zur Kleingartensiedlung. Außerdem ist die Bauweise insgesamt sehr offen. Im Rahmen der Modernisierungsmaßnahmen werden die Freiräume
neu gestaltet, jedoch sind vor dem Hintergrund der ohnehin guten städtebaulichen
Rahmenbedingungen keine klimatischen
Aufwertungen bei der Freiraumgestaltung
notwendig. Der Verzicht auf eine Nachverdichtung des Quartiers unterstreicht
die Wertschätzung der Freiräume und der
Durchgrünung des Quartiers durch die 1892.
Generell verfolgt die 1892 eine Strategie der
Bestandsentwicklung im Hinblick auf Klimaanpassung und Klimaschutz in folgenden zentralen Bereichen:
ImmoKlima
82
• Bauliche Maßnahmen an der Gebäudehülle (Dämmung, Wärmeschutzfenster);
• Bauliche Maßnahmen an der Anlagentechnik (erneuerbare Energien, höhere Effizienz herkömmlicher Technik, sonstige
Steuerungstechniken);
• Maßnahmen der Verhaltensänderung der
Bewohner (z. B. Information und Beratung zum richtigen Heizverhalten, zum
Stromverbrauch in der Wohnung, Ergänzung mit technischen Mitteln).
Dabei werden folgende Maßnahmen bzw.
Maßnahmenpakete eingesetzt:
• Wärmedämmung der Gebäude und neue
Fenster entsprechend KfW-Neubaustandard (KfW 100- Standard nach EnEV 2009);
• Demontage vorhandener Nachtstromspeicherheizungen und Einbau von XTherm-Heizkörpern;
Werkstatt: Praxis Heft 79
nungsgenossenschaft von 1892 eG – Integrierte Energie-, Modernisierungs- und
Nutzungskonzepte im Quartier Marienhöhe in Berlin Tempelhof“ wurde durchgeführt von:
empirica Forschung und Beratung
Kurfürstendamm 234
10719 Berlin
Telefon: (030) 88 47 95-0
Fax: (030) 88 47 95-17
www.empirica-institut.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Abbildung 9: Berlin-Tempelhof Marienhöhe
• Einbau einer kontrollierten Be- und Entlüftung der Wohnungen mit Wärmerückgewinnung für das Treppenhaus;
• Bau einer Photovoltaik-Fassade und Einrichtung einer Stromtankstelle. Photovoltaik-Fassade mit Luftspeicher (vorgehangene hinterlüftete Fassade) und somit
passive Kühlung der Hausfassade auch
für den Fall, dass die Photovoltaik-Anlage
warm ist;
• Energieinsel für Wärme und Strom zur
stärkeren Unabhängigkeit von großen
Energielieferanten (Erweiterung der bestehenden
Nahwärmeversorgungsanlage mit einem zusätzlichen BHKW),
Versorgung der Bewohner mit „Genossenschaftsstrom“ (energiesparend und preisgünstig);
Quelle: Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft
von 1892
Abbildung 10: Übergabe des E-Autos an Stromtankstelle
• Information und Beratung der Bewohner
zur Einsparung von Energie.
9.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima
Pilotvorhaben „Berliner Bau- und Woh-
Quelle: Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft
von 1892
Hamburg-Niendorf Nord
10 83
Klimapakt Hamburg-Niendorf Nord:
Integrierte Energie-, Modernisierungs- und Nutzerkonzepte
für 60er-Jahre-Bestände
Das Vorhaben der FLUWOG-NORDMARK eG in drei Quartieren im Hamburger Stadtteil Niendorf Nord mit insgesamt 620 Wohnungen – die vorwiegend in den 1960er Jahren errichtet
wurden – setzt auf der Angebots- bzw. Objektebene (Gebäude) wie auf der Nachfrage- bzw.
Subjektebene (Bewohnerverhalten) an.
Gegenstand ist die Entwicklung einer neuen „Marke“ für ein Energiesparhaus („Substitutionshaus“) durch intelligente bauliche und nichtbauliche Maßnahmenkombinationen in den Bestandsgebäuden.
Abbildung 11: Lage der Quartiere I - III
Bestandes der Baugenossenschaft wärmegedämmt.
Die Wohnanlage in Niendorf-Nord zählt zu
den größeren Beständen der Genossenschaft
und ist daher von besonderer Bedeutung im
Rahmen der Unternehmensstrategie.
Quelle: Fluwog-Nordmark eG
10.1 Das Projekt – Ausgangssitua
tion
Der Projektträger, die Baugenossenschaft
FLUWOG-NORDMARK eG ging 1969 aus
der Fusion der Flughafen-Wohnungsbau
Genossenschaft mit dem Bauverein NORDMARK hervor. Das vorrangige Ziel der FLUWOG-NORDMARK eG ist in ihrer Satzung
definiert als „die gute, sichere und verantwortungsvolle Wohnungsversorgung unserer Mitglieder in einer demokratischen Organisation.“
Das Pilotprojekt „Klimapakt Hamburg Niendorf Nord“ ist eingeordnet in die Marktstrategie der FLUWOG-NORDMARK, ihren
gesamten Wohnungsbestand zukunfts- und
wettbewerbsfähig weiterzuentwickeln –
dem Bewusstsein, „dass der Markt auch mal
umkippen kann“. Vor diesem Hintergrund
ist es Ziel der FLUWOG-NORDMARK eG,
die Versorgungssicherheit und bezahlbare
(Warm-)Mieten für die Mitglieder nachhaltig zu sichern. Seit mehr als zehn Jahren
saniert die FLUWOG-NORDMARK ihre Bestände energetisch. Bislang sind 36 % des
Im Jahr 2009 lebten in Niendorf mehr Senioren und weniger erwerbsfähige Personen als
im städtischen Durchschnitt. Der Anteil der
über 65-Jährigen in Niendorf wächst zunehmend seit 2005. Angaben zur Altersstruktur
der Bewohner der FLUWOG-NORDMARK
Siedlung in Niendorf-Nord liegen nur für
die Hauptmieter vor. Danach ist jeder vierte über 70 Jahre alt. Das Durchschnittsalter
liegt bei knapp 54 Jahren.
Das Projekt Niendorf-Nord liegt rd. 12 km
nördlich der Hamburger Innenstadt am
Stadtrand. Der Pilotstandort verteilt sich auf
drei Quartiere (siehe Abbildung 11):
• Quartier I im zentralen Bereich mit 391 WE;
• Quartier II am Viehlohweg mit 229 EW;
• Quartier III am östlichen Rand mit 181 WE
(Quartier III ist nicht direkt Gegenstand
der ImmoKlima Beforschung, wird aber
im Rahmen der Forschungsbegleitung mit
betrachtet.)
Im Fokus des Projekts steht der klima- und
altengerechte Umbau des Wohngebäudes
Quedlinburger Weg 76 sowie die Einbindung
der Bewohner in die Energieeinsparziele
durch Beratung und Information zu Energieverbrauch, Einsparmöglichkeiten und Nutzerverhalten in Verbindung mit intelligenter
Verbrauchserfassung und verbessertem Service. Hierfür sind mit dem Büro ÖKOPLAN,
dem Erfassungsdienstleister KALORIMETA
und den Stadtwerken Norderstedt die tech-
ImmoKlima
84
Werkstatt: Praxis Heft 79
Tabelle 9: Hamburg-Niendorf Nord: Das Wichtigste in Kürze
Baugenossenschaft FLUWOG-NORDMARK eG, Hamburg
Name des Projektträgers + Sitz
Eigentümerstruktur
Eingetragene Genossenschaft
Größe des Unternehmens
6.500 Mitglieder, 4.300 Wohnungen, 30 Mitarbeiter
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Schaffung und Bereitstellung von bezahlbaren Mietwohnungen für die Mitglieder der Genossenschaft
Nutzungen
Wohnen
Projekt + Standort
Hamburg-Niendorf
„Klimapakt Hamburg-Niendorf Nord: Genossenschaftliche Innovationen bei der Modernisierung von
60er-Jahre-Gebäuden“
Projektziel Lage
Komplexe energetische Sanierung von Bestandswohnungen in zwei Quartieren in Hamburg Niendorf
Art des Projekts
Bestandsbewirtschaftung
Größe und Nutzung
620 WE, nur Wohnnutzung
Lage
Bestandswohngebiet im Stadtteil Niendorf, Bebauung überwiegend 1960er Jahre
Quelle: Eigene Darstellung
nischen, organisatorischen (Kommunikationskonzept) und (datenschutz-)rechtlichen
Grundlagen geschaffen worden. Kalorimeta
wurde gewählt, nachdem die Zusammenarbeit mit der Hamburger Energieagentur,
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt
– Hamea – aufgrund personeller Engpässe
in der Energieagentur nicht möglich war.
Für die Nutzerkommunikation steht eine
Diplom-Sozialpädagogin des Sozialmanagements der FLUWOG-NORDMARK eG
zur Verfügung. Sobald die Wohnungen zur
Vermietung bereitstehen, wird mit den Interessenten in Einzelgesprächen das Konzept
dargestellt werden.
Diese Maßnahmenkombination bezieht
den Primärenergieverbrauch des gesamten
Gebäudes ein, d. h. auch Strom- und Wärmeverbrauch der Bewohner. Für Hamburg
hat diese Strategie im Sinne des Klimaschutzkonzeptes Pilotcharakter.
In Kooperation mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und der
Hamburgischen Wohnungsbaukreditanstalt
werden die Maßnahmen im Pilotprojekt
intensiv abgestimmt, um die wirkungsoptimierte Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten zu erreichen.
Die Zusammenarbeit wird als sehr positiv
wahrgenommen, da der Fördermittelgeber
Handlungsspielräume hinsichtlich Wohnflächendefinitionen, Einkommensgrenzen
und weiteren relevanten Aspekten ausschöpft.
Die E.ON Hanse liefert die Nahwärme- und
Energieversorgung für das Quartier. Allerdings handelt es sich nicht um eine echte, d. h. gleichrangige Kooperation, da die
Preisvorteile durch die verbesserte Energieeffizienz nicht adäquat an die FLUWOGNORDMARK weitergegeben werden. In die-
sem Kontext ist diese Konstellation im Sinne
integrierter Klimawandel-Strategien wenig
förderlich, da die Integration regenerativer
Energien seitens der E.ON Hanse nicht unterstützt wird.
Perspektivisch ist darüber hinaus vorgesehen, weitere Partner in das Projekt zu integrieren. Dies ist zum einen der Car Sharing
Anbieter „Car2Go“, um das Thema Mobilität
und E-Mobilität zu integrieren. Zum anderen soll im Rahmen der Beschaffung energieeffizienter Geräte (z. B. Kühlschränke)
mit geeigneten Partnern (Handel, Hersteller) zusammengearbeitet werden.
10.2Projektziele
Um ihr Profil als serviceorientierte und moderne Genossenschaft weiter zu schärfen,
will die FLUWOG-NORDMARK deutlich
über aktuelle Standards beim Einsatz zeitgemäßer und innovativer Gebäudetechniken
hinausgehen und insbesondere wirkungsvolle – aber alltagsrobuste – Maßnahmenkombinationen einsetzen.
Dabei sind die Neben- bzw. Verbrauchskosten ein wichtiger Bestandteil: der
Primärenergiebedarf soll sowohl durch
bauliche Maßnahmen als auch durch informelle Handlungsansätze im Bereich der
Verhaltensoptimierung der Bewohner ohne
Komfortverlust deutlich reduziert werden
und somit zu einer Absenkung der Energiekosten führen.
Konkretes Ziel vor Ort ist der Erhalt attraktiver und bezahlbarer Wohnanlagen durch
Stärkung zentraler Funktionen im Quartier,
durch die Bereitstellung von Serviceangeboten und durch ein attraktives Wohnumfeld.
Zielgruppe sind die dort wohnende Senioren, aber auch junge Familien, die als künf-
Hamburg-Niendorf Nord
tige Mietergeneration eine wichtige neue
Zielgruppe sind. Folgende Aspekte wurden
hierbei Teil der Konzeption:
• Wettbewerbsfähigkeit im Wohnungsmarkt
• Minderung der Verbrauchskosten durch
energetische Modernisierungen
• Versorgungssicherheit für die Mitglieder
• funktionierende Nachbarschaften
85
• Einbau einer kontrollierten Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung
• Einbau eines Aufzugs
• Einsatz optimierter Licht- und Aufzugsteuerung
• Erarbeitung von Maßnahmen zur passiven Kühlung und/oder solaren Klimatisierung
• angemessenes Wohnumfeld
Im Vielohweg 124a - 130d (Quartier II) ist
vorgesehen:
10.3
• Dämmung der Gebäudehülle
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenbündel
Auf der Ebene des Stadtteils Niendorf und
des Bezirks Eimsbüttel liegen bislang keine kleinräumigen, handlungsleitenden Erkenntnisse zu den zu erwarteten Folgen des
Klimawandels vor.
Schlüsselprojekt im Untersuchungsgebiet
ist das Gebäude Quedlinburger Weg 76
(Quartier I), das nter folgenden Prämissen
zukunftsorientiert entwickelt wird:
• Bestands- und Quartiersentwicklung unter den Aspekten des demographischen
Wandels und des Gesundheitsschutzes
• Klimaschutz durch energetische Modernisierung
• Information und Beratung der Bewohner
zum Nutzerverhalten im Interesse des Klimaschutzes und der Auswirkungen des
Klimawandels
Baulich erfolgt eine Gebäudesanierung mit
Passivhauskomponenten. Ziel ist die deutliche Einsparung von Primärenergie (auch
Strom) und die Entwicklung einer neuen
„Marke“ für ein Energiesparhaus unter dem
Label „Substitutionshaus“:
• Umbau der Balkone mit thermischer
Trennung vom Gebäude
• Dämmung der Gebäudehülle
• Einbau neuer Fenster
• Aufstockung (Staffelgeschoss) und Dämmung des Daches
• Einbau einer Thermosolar-Anlage zur Unterstützung der Beheizung und Warmwasserbereitung
• Umgestaltung der Grundrisse zu barrierefreien, altengerechten Wohnungen
• Erneuerung der Sanitär-und Heizungsinstallationen
• Die Holzfenster von 1994 werden aus
Gründen der Nachhaltigkeit erhalten und
erst im Jahr 2013 ausgetauscht
• Einbau einer kontrollierten Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung
• Aufbau eines Solarnetzes bzw. einer solaren Wärmewirtschaft im Verbund für das
Quartier
• Umstellung der Warmwasserversorgung
auf dezentrale Frischwarmwasserbereitung. Auf Grund hygienischer Vorteile
(kurze Leitungswege) kann hierbei mit
deutlich niedrigeren Temperaturen gefahren werden.
Folgende Arbeiten stehen zum Zeitpunkt
der Berichtserstellung (April 2012) noch an:
Substitutionshaus (Quartier I, Quedlinburger Weg 76)
• Finalisierung der technischen Spezifikation
• Fortführung des begonnenen Umbaus
(Herstellung neuer Grundrisse etc.)
• 2012: Verhandlungen mit Haushaltsgeräteherstellern, um Sammelbestellungen
für energiesparende Hausgeräte für den
Neubezug des altengerechten Wohngebäudes Quedlinburger Weg 76 zu ermöglichen
• Beginn der Interessentengespräche mit
potenziellen Mietern
Smart Metering
• Konkretisierung der Überlegungen über
Einsatz und Technik von Smart Metering
(mit Kooperationspartner Kalorimeta und
dem Ingenieurbüro Ökoplan sowie den
Stadtwerken Norderstedt)
• Konkretisierung eines Nutzungsvertrages
für die Bewohner (Thema Datenschutz)
• Entwurf eines Beratungskonzeptes für die
ImmoKlima
86
Bewohner des Quartiers Niendorf-Nord
(zusammen mit Hamea)
Quartier II, Vielohweg
Abbildung 12:
Werkstatt: Praxis Heft 79
Hamburg-Niendorf Nord: Mo-
dernisiertes Hochhaus (oben) und saniertes Hochhaus mit Solarfassade (unten)
• alte Gaskessel entfernen
• neue Leitungssysteme
• Installation solarthermischer Anlagen
Das Gesamtsystem der geplanten solaren
Sanierung, bestehend aus optimiertem Netz,
Frischwarmwasserbereitung und Fernüberwachung, stellt mit damit verbundenem
Monitoring eine Technologieinnovation in
der Gebäudesanierung dar. Die Verbräuche
werden um ca. 20 % niedriger sein als bei
vergleichbaren energetischen Sanierungen.
Seit Oktober 2009 lässt die Genossenschaft
FLUWOG-NORDMARK die Heizkostenabrechnung für die Quartiere I und III nicht
mehr durch den Energieversorger E.ON
Hanse erstellen, sondern übernimmt diese
Leistung in Eigenregie. Ziel ist es, die Transparenz der Abrechnungen, die Eigenkontrolle und die Beratungsmöglichkeiten für
die Bewohner zu verbessern. Mit diesem
Angebot reagiert die Genossenschaft auf
entsprechende Kritik der Mitglieder an den
bisherigen Abrechnungen.
Darüber hinaus werden mit der Behörde
für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU)
und der Hamburger EnergieAgentur als
Kooperationspartnern der Einsatz intelligenter Verbrauchs-Messtechniken (Smart
Metering) pilothaft eingeführt. Sowohl der
Stromverbrauch wie auch der Heizwärmeverbrauch werden individuell erfasst und
für die Bewohner aufbereitet.
Die Planungen zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs stellen einen
weiteren Beitrag zum Klimaschutz dar. Im
Rahmen einer integrierten Strategie für
die klimagerechte Gesamtentwicklung des
Quartiers in Niendorf, beabsichtigt die Genossenschaft die Einrichtung einer Car-Sharing- und einer Fahrradleihstation.
Im Handlungsfeld Wohngesundheit ist die
Durchführung von Workshops und Beratungen zu den Themen Haustechnik, Energieeinsparung, Nutzerverhalten und gesundes
Wohnklima vorgesehen. Im Nachbarschaftstreff der Wohnanlage wird es Informationsveranstaltungen der Genossenschaft geben,
in denen allgemeine und individuelle Beratungen zum Thema Wohngesundheit und
Energieeinsparung angeboten werden.
Quelle: Fluwog-Nordmark eG
10.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima Pilotvorhaben „Klimapakt Hamburg-Niendorf
Nord: Genossenschaftliche Innovationen
bei der Modernisierung von 60er-Jahre-Gebäuden“ wurde durchgeführt von:
empirica Forschung und Beratung
Kurfürstendamm 234
10719 Berlin
Telefon: (030) 88 47 95-0
Fax: (030) 88 47 95-17
www.empirica-institut.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Berlin-Kreuzberg Möckernkiez
87
11 Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg:
Integrierte nachhaltige Entwicklung
eines neuen Stadtquartiers durch private
Akteure
Auf dem Projektgelände in Berlin-Kreuzberg entwickelt die Möckernkiez Genossenschaft für
selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen eG ein Stadtquartier für gemeinschaftliches, ökologisches, barrierefreies, Generationen verbindendes, interkulturelles und selbstbestimmtes Wohnen mit rund 400 Wohnungen, Gemeinschaftsräumen, einem Kinder- und Jugendzentrum, einer Kindertagesstätte, verschiedenen Gewerbeeinheiten, einem barrierefreien
Hotel, einem Kiezcafé, einem ambulanten Pflegedienst, Büros, Werkstätten sowie Praxen für
verschiedene Dienstleister.
Abbildung 13: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Bebauungsplan
Quelle: Möckernkiez eG
Tabelle 10: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Das Wichtigste in Kürze
Name des Projektträgers + Sitz
Möckernkiez
Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen eG, Berlin
Eigentümerstruktur
Eingetragene Genossenschaft
GrößedesUnternehmens
7 Mitarbeiter, über 1.000 Mitglieder, Bestände erst im Aufbau
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Förderung des gemeinschaftlichen, ökologischen, barrierefreien, Generationen verbindenden, interkulturellen und selbst bestimmten Wohnens in dauerhaft gesicherten Verhältnissen
Nutzungen
Geplant: Wohnen, Gewerbe, soziale Einrichtungen
Projekt + Standort
Berlin-Kreuzberg: Möckernkiez Berlin – integrierte, nachhaltige Entwicklung eines neuen Stadtquartiers
durch private Akteure
Projektziel
Errichtung und Bewirtschaftung eines Stadtquartiers „Möckernkiez“ für gemeinschaftliches, ökologisches, barrierefreies, Generationen verbindendes, interkulturelles und selbstbestimmtes Wohnen auf
einem innerstädtischem Baufeld
Art des Projekts
Projektentwicklung (später Bestandsbewirtschaftung)
GrößeundNutzung
3 ha, geplant: ca. 400 WE, Gemeinschaftsräume, verschiedene Gewerbenutzungen und soziale Einrichtungen
(Umfang des Bauvorhabens ca. 100 Mio. €)
Lage
Quelle: Eigene Darstellung
Berlin-Kreuzberg, Lage am Rand des Gleisdreieckparks, ehem. Bahngelände
ImmoKlima
88
11.1 Das Projekt – Ausgangssituation
Träger des Modellvorhabens ist die Möckernkiez Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen
eG, die für die Planung und Errichtung des
Stadtquartiers „Möckernkiez“ sowie die anschließende Verwaltung und Bewirtschaftung der Gebäude und des Geländes im Mai
2009 gegründet wurde. Im März 2010 wurde der Kaufvertrag für das oben genannte
Grundstück unterschrieben.
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 14: Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Besichtigung des Baufeldes (oben) und Alte Gleistrasse über der Yorckbrücke (unten)
Zur Verwirklichung dieser Ziele wurde sukzessive die dreigliedrige Organisationsstruktur aufgebaut:
• Initiative Möckernkiez: Hierbei handelt es
sich um eine Kreuzberger Stadtteilinitiative – ein Netzwerk von bürgerschaftlich
engagierten Menschen und Menschen
aus verschiedenen Institutionen.
• Möckernkiez Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches
Wohnen eG: Die Genossenschaft ist für
das Bauen und Verwalten von Wohnungen, Gemeinschafts- und Gewerberäumen unter besonderer Mitwirkung der
zukünftigen Bewohner zuständig.
• Verein Möckernkiez e. V.: Der Verein unterstützt die Gestaltung des sozialen und
kulturellen Miteinanders. Über den Verein
werden auch Menschen aus der Umgebung einbezogen.
Viele der aktuellen Genossenschaftsmitglieder hatten sich bereits 2007 in einer Bürgerinitiative engagiert, die das Ziel hatte, das
Baufeld Möckernkiez in bürgerschaftlicher
Eigenregie zu bebauen und das soziale Leben im Kiez zu fördern. Dieses Anliegen
wurde auch von der Politik unterstützt.
Laut Satzung hat die Genossenschaft den
Zweck, ihre Mitglieder durch eine gute,
sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung zu fördern. Die Genossenschaft hatte Anfang Januar 2012 über
1.000 Mitglieder (Mischung aus Jung und
Alt), davon haben rund 400 bereits Anteile
gezeichnet. Die Anteile variieren zwischen
5.000 und 200.000 Euro. Dennoch hat niemand einen Anspruch auf eine bestimmte
Wohnung. Erst wenn alle Wohnungen geplant sind, werden diese nach einem noch
zu entwickelnden Verfahren vergeben. Vorteil einer Genossenschaft gegenüber einer
Baugemeinschaft ist, dass auch diejenigen
Menschen, die nicht kaufen können, nicht
ausgeschlossen werden.
Quelle: Fotos Inka Drohn
Das drei Hektar große Baufeld liegt auf dem
Gelände des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs an der Ecke Yorck-/Möckernstraße in Berlin-Kreuzberg. Im Westen und
Norden grenzt das Grundstück, das auf
einem 3,50 m hohen Plateau liegt, an den
neu entstehenden Gleisdreieck-Park. Entlang der Yorckstraße am südlichen Rand
erstreckt sich das alte Gebäude des ehemaligen Zollpackhofes. Das Gleisdreieck (ca. 60
ha) wurde mehrere Jahre teilweise als Baulogistikzentrum für den Potsdamer Platz
und große innerstädtische Verkehrsprojekte
zwischengenutzt. Eigentümer der Flächen
war die Vivico Real Estate GmbH, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Die
Vivico hat dem Baufeld die Bezeichnung
„Möckernkiez“ gegeben.
Die umgebende Bebauung stammt überwiegend aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Darunter befinden sich mehrere denkmalgeschützte Ensembles mit Villen, Wohn- und
Gewerbebauten sowie Baudenkmäler, unter
anderem Mietshäuser, Yorckbrücken und
S-Bahnhof Yorckstraße. Das Bezirksrathaus
Berlin-Kreuzberg Möckernkiez
und drei Grundschulen sind nahe gelegen.
Die Bergmannstraße, eine sehr beliebte Einkaufsstraße mit vielen Cafés und Restaurants,
ist in ca. 15 Minuten zu Fuß erreichbar.
Das Baufeld ist sehr gut an den öffentlichen
Nahverkehr angeschlossen und zentral gelegen. Entlang der Yorckstraße verlaufen in
beide Richtungen gut ausgebaute Radwege.
Schon die Anfangsphase war durch intensive Kooperation mit vielen Auftragnehmern
und ehrenamtlichen Partnern geprägt:
• Stattbau Stadtentwicklungsgesellschaft
mbH Berlin, Netzwerkagentur GenerationenWohnen: planerische Begleitung,
Durchführung von Veranstaltungen z. B.
Planungswerkstätten,
Fachgespräche,
Informationsveranstaltungen, Durchführung Architektenwettbewerb
• Baufrösche – Architekten und Stadtplaner
GmbH: Entwicklung des städtebaulichen
Entwurfs für das Baufeld (federführend,
unter Beteiligung weiterer Architekten,
der Beratungsstelle GenerationenWohnen
und der Mitglieder)
• Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Abschluss Städtebaulicher Vertrag, Durchführung Bebauungsplanverfahren
• Drees & Sommer: Erarbeitung der Auslobungsunterlagen für den Architektenwettbewerb, Vorplanung zum Energie-konzept
• Freie Planungsgruppe Berlin GmbH: Leitung der Verhandlungen im Rahmen des
Bebauungsplanverfahrens mit dem Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg im Auftrag der
Genossenschaft; technische Leitung, Erarbeitung des Bebauungsplans
• Jacoby Rechtsanwälte: Verhandlungen
zum Grundstückskauf und umfassende
immobilienrechtliche Beratung
• Universität Stuttgart, Städtebau-Institut:
Wissenschaftliche Forschung zu Städtebau und Nachhaltigkeit.
11.2Projektziele
Die Genossenschaft definiert die Projektziele zusammenfassend wie folgt: „Das Projekt
hat zum Ziel, eine innovative, moderne und
angenehme Wohnumgebung zu schaffen, die
mit geringem Ressourceneinsatz behaglich
ist. Die Umsetzung des Bauvorhabens soll einen hohen Lebensstandard und ein beispielhaft ökologisch nachhaltiges Leben in guter
Gemeinschaft mit den Nachbarn im Kiez
89
und zu bezahlbaren Kosten ermöglichen.“
Das Projekt soll zeigen, wie und mit welchen Wirkungen Klimaschutzbelange und
Maßnahmen zur Klimaanpassung schon
frühzeitig im Planungsprozess berücksichtigt werden können. Dazu gehört ein nachhaltiger Städtebau, ein Energiekonzept für
das gesamte Quartier, klimafreundliche
Hochbauentwürfe und Freiraumgestaltung,
technische Lösungen, ein klimagerechtes
Verkehrskonzept und ein bewusstes Nutzerverhalten. Eine Besonderheit und große
Herausforderung ist, dass ein so umfassendes und großes Projekt ehrenamtlich initiiert und bei sehr engem Kostenrahmen mit
einem hohen Anspruch an Partizipation der
Genossenschaftsmitglieder umgesetzt wird.
Das Quartier wird im Sinne einer mehrdimensional nachhaltigen Stadtentwicklung
geplant und soll Vorbildcharakter haben als
ein generationenübergreifendes, ökologisches und soziales Bauvorhaben. Mit dem
Projekt wird eine integrierte Strategie zum
Klimaschutz und zur Klimaanpassung verfolgt. Der Projektträger orientiert sich an
den Kriterien des Deutschen Gütesiegels
Nachhaltiges Bauen in Gold und hat sich die
Erfüllung dieser Kriterien zum Ziel gesetzt.
Eine Zertifizierung ist derzeit aus Kostengründen nicht beabsichtigt.
Neben ökologischen Zielen verfolgt das Projekt gleichermaßen soziale Ziele. Das Quartier soll nach den Prinzipien des „Design für
Alle“, das die Verschiedenartigkeit und die
Lebensqualität aller Menschen berücksichtigt, gestaltet werden.
Die Förderung und Stärkung des sozialen
Zusammenhalts und Miteinanders spielt
eine wichtige Rolle. Der im April 2008 gegründete Verein Möckernkiez e. V. soll die
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass
ein Quartier mit gelebter Nachbarschaft
gelingen kann. Die Angebote des Vereins
sollen allen Menschen – auch über den Möckernkiez hinaus – offen stehen. Wesentlich
für den gesamten Prozess ist die Partizipation der zukünftigen Bewohner sowie der
Menschen aus den umliegenden Gebäuden
bei der Gestaltung des Quartiers.
11.3
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Das städtebauliche Rahmenkonzept berücksichtigt die klimatischen Entwicklungen
durch die Ausrichtung und Gestaltung der
Gebäude. Der Rahmenplan sieht für das Bau-
ImmoKlima
90
feld Möckernkiez ein Mischgebiet mit einer
maximalen GRZ von 0,8 und einer GFZ von
2,5 vor. Ein Nachteil der hohen Dichte ist, dass
mit wenig solaren Erträgen zu rechnen ist. Die
Vivico hatte diese hohe Baudichte wegen der
hohen Grundstückspreise ausgehandelt.
Nach dem Umweltatlas Berlin liegen für das
Baufeld unter anderem folgende Informationen vor:
• Der Kaltluftvolumenstrom um 22 Uhr (zu
Beginn einer austauscharmen Strahlungsnacht) wird mit 80 bis 200 m³/s als gering
bewertet. Die Fläche des Gleisdreieckparks hat eine sehr hohe stadtklimatische
Bedeutung
(Kaltluftentstehungsgebiete
mit Zuordnung zu belasteten Siedlungsräumen, höchste Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierung, Vermeidung
von Austauschbarrieren gegenüber bebauten Randbereichen, Emissionen reduzieren, mit benachbarten Freiflächen vernetzen)
• Das Baufeld Möckernkiez liegt im Belastungsbereich, die Bewertungskategorie
nach VDI ist weniger günstig (Siedlungsräume mit geringer, in Einzelfällen mäßiger bioklimatischer Belastung, hohe
Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierung, möglichst keine weitere Verdichtung, Verbesserung der Durchlüftung
und Erhöhung des Vegetationsanteils, Erhalt aller Freiflächen, Entsiegelung und
ggf. Begrünung der Blockinnenhöfe)
• Szenarien Klimawandel: für den Bereich
ist je nach Art und Dichte der Bebauung
für den Zeitraum 2021 bis 2050 von einer
Gesamtzahl der Tage mit Wärmebelastung von 21 - 24 bzw. 24 - 27 auszugehen;
die Zunahme der Wärmebelastung 2071
bis 2100 zu 1971 bis 2000 liegt bei einer
mittleren Anzahl von 21 - 23 bzw. 23 - 25
zusätzlicher Tage mit Wärmebelastung in
den benachbarten Blöcken des Möckernkiez. (Tag mit Wärmebelastung: Tag, an
dem tagsüber zwischen 9 und 15 UTC die
gefühlte Temperatur mindestens an drei
Stundenterminen 32°C und damit starke
Wärmebelastung erreicht oder überschritten hat (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: Umweltatlas Berlin.
In: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/
umwelt/umweltatlas/, Thema 04.12 Klimawandel und Wärmebelastung der Zukunft).
Mit dem Projekt wird eine integrierte Strategie zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung verfolgt. Die zentralen Komponenten
hierzu sind im Klimaschutz:
Werkstatt: Praxis Heft 79
• Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch
Passivhausstandard, Einsatz erneuerbarer
Energien, Energieeffizienz in der Nutzung,
Förderung umweltfreundlicher Mobilität (Car- und Fahrradsharing), autofreies
Quartier, Integration wohnortnaher Versorgungseinrichtungen (kurze Wege);
• reduzierter und umweltschonender Ressourcenverbrauch durch Verwendung
von recycelten und klimafreundlichen
Materialien und Produkten, Grau- und
Regenwassernutzung und Regenwasserversickerung, Einsatz energiesparender
Techniken, Berücksichtigung des Gesamt-/Primärenergiebedarfs, des Trinkwasserbedarfs und der Flächeninanspruchnahme.
In der Klimaanpassung:
• Verbesserung des Mikroklimas und Stabilisierung der städtischen Artenvielfalt
durch Begrünung der Dächer und Fassaden (u. a. sommerliche Kühlung), bauliche Maßnahmen zur Verschattung und als
Sonnenschutz, ökologisch nachhaltiges
Begrünungs- und Freiraumkonzept.
Wichtig ist dem Projektträger dabei, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit
miteinander zu verbinden. Er erwartet, dass
nur durch eine konsequent ökologische und
nachhaltige Bauweise bezahlbares Wohnen
langfristig sichergestellt werden kann.
11.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima
Pilotvorhaben „Möckernkiez Berlin – integrierte, nachhaltige Entwicklung eines neuen
Stadtquartiers durch private Akteure“ wurde
durchgeführt von:
WEEBER + PARTNER
Institut für Stadtplanung und Sozialforschung
Mühlrain 9
70180 Stuttgart
Telefon: (0711) 62 00 93 60
Fax: (0711) 62 00 93 89
www.weeberpartner.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Berlin-Friedrichshain: Bodhicharya
91
12 Interkulturelle Bildungs- und Begeg-
nungsstätte Bodhicharya in Berlin-Friedrichshain
Klimagerechte Revitalisierung eines Denkmalensembles
Im Mittelpunkt dieses Pilotprojektes im Berliner Stadtteil Friedrichshain steht die klimaorientierte
Wiederherrichtung, Modernisierung und der Umbau eines innerstädtischen Denkmalensembles
zu einem sozialen und interkulturellen Zentrum.
Abbildung 15: Berlin-Friedrichshain: Lageplan des Quartiermanagementgebietes Boxhagener Platz
mit Projektstandort
Quelle: F + B, Endbericht
Tabelle 11: Bodhicharya in Berlin-Friedrichshain: Das Wichtigste in Kürze
Name des Projektträgers + Sitz
Bodhicharya Deutschland e.V.,
Buddhistisches Zentrum für Frieden und Verständigung, Berlin-Friedrichshain
GrößedesUnternehmens
Gemeinnütziger Verein
Eigentümerstruktur
Angestellt: 4 Mitarbeiter, Ehrenamtlich: ca. 30 Mitarbeiter
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Förderung der Kultur, der Bildung und mildtätiger Zwecke u. a. durch interreligiöse Dialoge und soziale
Projekte, wie z. B. ein ambulantes Hospiz mit der Ausbildung ehrenamtlicher Hospizhelfer und die Arbeit
mit Strafgefangenen
Nutzungen
Soziales und kulturelles Zentrum
Projekt + Standort
„Klimagerechte Revitalisierung eines Denkmalensembles – Interkulturelle Bildungs- und Begegnungsstätte Bodhicharya“, Berlin-Friedrichshain
Projektziel
Klimaorientierte Revitalisierung eines Denkmalensembles
Aufbau einer Begegnungsstätte zur Förderung der Kultur, der Bildung sowie mildtätiger Zwecke, durch
Studium und Praxis der buddhistischen Lehre zur Kultivierung von geistigem Frieden und Stabilität
Art des Projekts
Eigennutzung, grundstückskonkrete Projektentwicklung und Bestandsbewirtschaftung einer revitalisierten Immobilie
GrößeundNutzung
Grundstück ca. 1.800 m² mit kleinteiliger Bebauung;
Seminar-, Büro- und Veranstaltungsräume für kulturelle und soziale Projekte, Bibliothek, Kiezcafé, kleiner
Laden, Wohnungen, ökologischer Nachbarschaftsgarten, Spielplatz
Lage
Quelle: Eigene Darstellung
Innerstädtisches Quartier mit typischer gründerzeitlicher Mietskasernenbebauung in Berlin-Friedrichshain
ImmoKlima
92
12.1 Das Projekt – Ausgangssitu-
ation
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 16: Berlin-Friedrichshain: Neugestal-
tung des Hofgartens
Träger des Projekts „Klimagerechte Revitalisierung eines Denkmalensembles – Interkulturelle Bildungs- und Begegnungsstätte
Bodhicharya“ ist der Verein Bodhicharya
Deutschland e. V. Grundlage des Projekts ist
die ethische Überzeugung von Bodhicharya
Deutschland e. V. von der eigenen Verantwortung für die Natur und den Erhalt einer lebenswerten Umwelt im Einklang von
Mensch und Natur.
Der Verein wurde 2001 zu Beginn der
Grundstücksverhandlungen mit dem Land
Berlin von Mitgliedern des gemeinnützigen
buddhistischen Vereins Karma Kagyu Gemeinschaft Deutschland e. V. gegründet, um
einen rechtlichen Rahmen für eine selbstständige Projektentwicklung des Pilotprojekts zu schaffen.
Das Pilotprojekt Kinzigstraße 25 - 29 liegt
inmitten des ehemaligen Quartiersmanagementgebiets „Boxhagener Platz“ im Ortsteil
Friedrichshain des Bezirks FriedrichshainKreuzberg.
Das 75 ha große Quartier „Boxhagener Platz“
im Berliner Ortsteil Friedrichshain gehört
mit seinen ca. 18.500 Bewohnern zu den am
dichtesten besiedelten Gebieten Berlins und
ist geprägt durch eine Blockrandbebauung
aus dem 19. Jahrhundert, mit der für Berlin
typischen Mischung von Wohnen und Gewerbe.
Ziel des Mitte des letzten Jahrzehnts ausgelaufenen Quartiersmanagements „Boxhagener Platz“ war es, unter breiter Beteiligung
der Bewohnerschaft das Gebiet als Wohn-,
Arbeits- und Freizeitstandort attraktiver zu
gestalten und Handlungsschwerpunkte für
die Quartiersentwicklung zu bestimmen.
Dabei hatten die Verbesserung des Wohnumfeldes, die Qualifizierung der Bildungseinrichtungen und die Gewerbe- und Wirtschaftsentwicklung Priorität. In all diesen
Bereichen sind mittlerweile positive Veränderungen feststellbar und das Quartier befindet sich insgesamt in einem städtebaulichen und sozialen Aufwertungsprozess.
Die städtebauliche und mikroklimatische
Situation erfordert jedoch Beiträge zur Verbesserung des lokalen Mikroklimas. Da das
Quartier nur über sehr wenige Grünflächen
verfügt, steht ihre Erhaltung und Pflege im
Vordergrund. Das Pilotprojekt bietet vor diesem Hintergrund die Chance, einen ebenso
wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur
Quelle: Fotos Inka Drohn
Verbesserung des innerstädtischen Mikroklimas zu leisten wie auch zur Quartiersentwicklung dieses multikulturellen Stadtteils
insgesamt.
Das in Berlin-Friedrichshain in der Kinzigstraße 25 - 29 gelegene denkmalgeschützte
Ensemble aus dem Jahre 1860 umfasst eine
ursprünglich unstrukturierte Stadtrandbebauung mit kleingewerblicher Durchmischung. Historisch überliefert sind anfangs
inmitten von Gärten gelegene zwei- bis dreigeschossige Wohnhäuser, Stallungen und
Remisen, die einst eine Geflügelhandlung,
ein Fuhrunternehmen und eine Getreideund Tierfutterhandlung beherbergten.
Auf einer Grundfläche von rund 1.800 m²
entsteht derzeit ein buddhistisches Zentrum
mit Seminar-, Büro- und Veranstaltungsräumen für kulturelle und soziale Projekte, mit
Bibliothek, Kiezcafé, einem kleinen Laden,
einem ökologischen Nachbarschaftsgarten,
Spielplatz sowie Wohnungen für Mitarbeiter, Dozenten und Gäste. Die klimagerechte Revitalisierung des Denkmalensembles
soll auch Impuls für eine integrierte Quartiersentwicklung sein.
Nach langwierigen Verhandlungen mit dem
Land Berlin erfolgte die Besitzübertragung
2003 an Bodhicharya Deutschland e. V. Die
Herrichtung des Grundstücks erfolgte überwiegend in Eigenleistung durch ein „Bau-
Berlin-Friedrichshain: Bodhicharya
team“ ehrenamtlicher Mitarbeiter unter
professioneller – teilweise jedoch ebenfalls
ehrenamtlicher – Leitung von Inka Drohn
vom Berliner Architekturbüro archid. Das
heute aus mehreren kleinen Baukörpern
mit Um- und Erweiterungsbauten bestehende Gebäudeensemble wird seit 2003 mit
sehr viel ehrenamtlicher Arbeit des Vereins
„Bodhicharya Deutschland e.V.“ und Unterstützung aus der Nachbarschaft in mehreren Bauabschnitten instandgesetzt, umgebaut und erweitert.
Das gesamte Projekt wird weitgehend durch
bürgerschaftliches Engagement „von Vielen
für Viele“ getragen und unterhalten, es gibt
keine wesentliche öffentliche Förderung.
Das Buddhistische Zentrum finanziert sich
aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden, das
Spendenaufkommen bestimmt den Baufortschritt. Die ehrenamtlich geleistete Arbeit und die Öffnung der Begegnungsstätte
ins Quartier für die Bürgerschaft, für kulturelle und soziale Projekte, für Besucher und
Gäste von Seminaren und Veranstaltungen
haben das Zentrum von Anfang an zu einem
Ort der Begegnung gemacht, der Menschen
unterschiedlichster sozialer und kultureller
Herkunft anzieht und ihnen die Möglichkeit
gibt, gemeinsam zu wachsen, zu lernen und
zu leben. Interkultureller Austausch soll hier
praktisch erlebbar sein und das Verständnis
füreinander fördern.
Im Laufe der Projektentwicklung vollzog
sich eine schrittweise Professionalisierung:
Das vereinseigene Bauteam wurde bereits
seit 2004 sukzessive durch angestellte Mitarbeiter verstärkt und für den Neubau des
Tempels schließlich fast vollständig durch
professionelle Baufirmen ersetzt. Die Fachingenieursleistungen (Haustechnik, Tragwerksplanung) wurden sowohl auf ehrenamtlicher Basis als auch auf Grundlage
marktüblicher Honorarverträge erbracht.
Entsprechend der thematischen Breite des interkulturellen Zentrums arbeitet
Bodhicharya mit einem breiten Spektrum
unterschiedlicher kultureller, religiöser, sozialer und umweltpolitischer Akteure zusammen und wird bzw. wurde in der Vergangenheit seit Projektbeginn von einer
Vielzahl ehrenamtlicher Helfer unterstützt,
die vielfältige Planungs- und Bauleistungen
übernehmen. Diese Unterstützung findet
häufig in Form einer zeitlich begrenzten,
aufgabenbezogenen Mitarbeit statt.
Insgesamt ist dieses Pilotprojekt durch eine
93
komplexe interne Entscheidungs- und Projektstruktur charakterisiert, mit hohem
Abstimmungs- und Organisationsaufwand
durch ehrenamtliche Strukturen mit wechselnden Akteuren und einer damit verbundenen hohen Zahl an Schnittstellen.
Im Rahmen der umwelt- und klimawandelbezogenen Aktivitäten von Bodhicharya
gab es informelle Kontakte mit der Initiative
„TransitionTown Friedrichshain-Kreuzberg“
bei der Gestaltung der Garten- und Hofflächen. Darüber hinaus war das Projekt Teil
der Projektreihe „StadtKlimaWandel“ des
NABU Berlin und wurde im Rahmen dieser
Reihe einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.
Die ungesicherte Finanzierungssituation und die unmittelbare Abhängigkeit des
Projektfortgangs von jeweils vorhandenen
finanziellen Mitteln erschweren und verlangsamen die Projektdurchführung. Die
Überarbeitung des Wirtschaftsplans erfolgt
2012 durch den Finanzvorstand des Vereins.
Nach dem Wegfall zweier buddhistischer
Stiftungen als Finanzgeber und der Ablehnung eines Antrags auf Förderung durch
Lottomittel ist die Finanzierung des Projektabschlusses weiterhin nicht gesichert. Der
Verein hat die noch fehlenden Projektmittel
auf ca. 900.000 € kalkuliert.
Der Umstand, dass Spenden eher für konkrete investive Maßnahmen akquiriert werden können, die unmittelbar und physisch
durch die Spender wahrnehmbar sind, erschwert die Finanzierung der laufenden
Bewirtschaftung des Zentrums, kommt
aber den Maßnahmen zur Klimaanpassung und zum Klimaschutz zugute. Diese
Maßnahmen zielen außerdem explizit auf
die Herbeiführung dauerhaft geringer Betriebskosten durch ressourcenschonende
Technologien. Gleichzeitig sollten sie geeignet sein, in der Bauphase ein Höchstmaß an
Selbsthilfe der (nicht-professionellen) Nutzer zuzulassen.
12.2Projektziele
Im Mittelpunkt des Pilotprojekts steht die
klimaorientierte Wiederherrichtung, Modernisierung und der Umbau eines innerstädtischen Denkmalensembles zu einem
beispielgebenden sozialen und kulturellen
Zentrum mit folgenden Zielsetzungen:
• Klimaorientierte Revitalisierung
Denkmalensembles
eines
ImmoKlima
94
• Aufbau einer Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlichster sozialer und
kultureller Herkunft
• Förderung der Kultur, der Bildung, sowie
mildtätiger Zwecke
• Studium und Praxis der buddhistischen
Lehre zur Kultivierung von geistigem Frieden und Stabilität
• Interkultureller Austausch, Förderung des
friedensstiftenden Dialoges zwischen den
Kulturen und den Weltreligionen
• soziale und pädagogische Projekte, vielfältige Aktivitäten in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales
• Klimaschutz und Verbesserung des innerstädtischen Mikroklimas
• Stärkung des Bewusstseins für ökologische Kreisläufe und umweltwirksame
Maßnahmen
• Schaffung und Erhalt von Rückzugsgebieten und Nistplätzen für Wildtiere
• Erhöhung der Lebensqualität im Stadtteil
12.3
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Die Stadt Berlin verfügt über gute stadtklimatologische Grundlagen. Darüber hinaus
gibt es stadtstruktur-bezogen erste Projektionen für die zukünftige thermische sommerliche Belastung. Ein Stadtentwicklungsplan Klima mit Aussagen zum Klimawandel
und zum Anpassungsbedarf liegt seit Kurzem vor.
Für praktische Anwendungen in der Stadtplanung ist zusammen mit dem Deutschen
Wetterdienst DWD das Stadtbioklimamodell
UBIKLIM (Urbanes BIoKLImaModell), entwickelt worden, welches in Berlin bereits
1996 zur Bewertung der thermischen Situation eines typischen Sommertages zum
Einsatz kommt. Das in diesem Modellverfahren erfolgte Downscaling regionaler Klimaprojektionen ermöglicht die kombinierte
Berücksichtigung der durch den globalen
Klimawandel zu erwartenden Änderungen
und der durch die städtischen Nutzungen
hervorgerufenen Einflüsse, wobei die Hintergrundbelastung durch das globale beziehungsweise das daraus abgeleitete regionale Klima definiert wird. Zur Ermittlung der
künftigen Hintergrundbelastung werden die
Resultate regionaler Klimamodelle herangezogen; ausgewertet wurden REMO- und
Werkstatt: Praxis Heft 79
WettReg-Daten für den Kontrollzeitraum
1971 - 2000 und die Projektionszeiträume
2021 - 2050 sowie 2071 - 2100.
Auf Grund der Stadtgröße und der Bebauungsdichte ist Berlin durch ein Stadtklima
mit ausgeprägten Überwärmungsgebieten
gekennzeichnet: Klimaprojektionen für Berlin bis zum Jahr 2050 bzw. 2100 deuten darauf hin, dass langfristig mit einer markanten
Erwärmung und einer damit verbundenen
Zunahme der Wärmebelastung innerhalb
der Stadt zu rechnen ist.
Neben der spürbaren Veränderung der genannten Klimakenngrößen haben extreme
Klimaereignisse deutlich zugenommen. Von
einer weiteren Zunahme extremer Wetterereignisse ist auch für Berlin auszugehen.
Die Stadt Berlin ist gegenwärtig dabei, die
wichtigsten Klimawandelfolgen für Berlin
herauszuarbeiten und die verschiedenen
Stadtstruktur- und Nutzungstypen auf eine
entsprechende Vulnerabilität hin zu überprüfen sowie daran anschließend Mitigations- und Adaptionsmaßnahmen für Stadtplanung und Architektur abzuleiten.
Bodhicharya Deutschland e. V. und seine
Mitglieder sind aufgrund ihrer weltanschaulichen Orientierung in hohem Maße für die
Belange des Klimaschutzes und der Klimaanpassung sensibilisiert. Die zeigt sich sowohl in der Gesamtkonzeption des Vorhabens als auch in den einzelnen Maßnahmen
und Maßnahmenpaketen des Vorhabens.
Auch wenn die baulichen Maßnahmen des
Vereins Bodhicharya nicht systematisch aus
den Erkenntnissen der Stadt Berlin abgeleitet wurden, so beziehen sich eine ganze Reihe der Ausprägungen des Vorhabens explizit
auf die Auswirkungen des Klimawandels
und auf den Klimaschutz und können insofern als Beitrag zur Strategie Berlins verstanden werden.
Die vorgesehenen baulichen Maßnahmen
des Projekts zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung, die weitestgehend mit aktiver Einbindung und Unterstützung der
Nutzer entwickelt und umgesetzt wurden,
beinhalten u. a.:
• die Begrünung der Dächer
• die Entsiegelung und Begrünung ehemaliger Garagenhöfe
• eine ressourcenschonende Bauweise
durch Recycling vorhandener Materialien
und weitgehenden Einsatz von natürli-
Berlin-Friedrichshain: Bodhicharya
chen Baustoffen
• die Nutzung regenerativer Energien durch
Solarenergie und Wärmerückgewinnung
• die Optimierung der thermischen Gebäudehülle
• Schaffung und Erhalt von Rückzugsgebieten und Nistplätzen für Wildtiere (z. B. Vögel und Nutzinsekten)
• die Optimierung der thermischen Gebäudehülle
• Der Biotopflächenfaktor, d. h. das Verhältnis von naturhaushaltswirksamen
Flächen zur gesamten Grundstücksfläche, betrug vor dem Umbau 0,175. Nach
Fertigstellung der geplanten Maßnahmen
wird der Biotopflächenfaktor 0,43 betragen und sich somit mehr als verdoppeln.
Dabei setzt Bodhicharya nicht nur auf rein
bauliche Strategien, sondern zielt auf einen
ganzheitlichen Ansatz, der auch „nicht-bauliche“ Maßnahmen und Konzepte explizit
einschließt.
Im „Arbeitskreis Ökologie“ werden beispielsweise die Möglichkeiten des eigenen
individuellen Handelns im Alltag – wie z. B.
ressourcen- und umweltschonendes Wirtschaften – bearbeitet. Ziel dieser Aktivitäten
ist es, die Besucher und Gäste der Seminare
und Veranstaltungen auch als Multiplikatoren nach außen zu nutzen.
Im „Arbeitskreis Garten“ mit offenen Workshops und Aktionen – ökologische Gartenplanung, Dachbegrünung, Entsiegelung
von Hofflächen, Anlegen einer Ökoecke etc.
– wird das Bewusstsein für ökologische Kreisläufe und umweltwirksame Maßnahmen
95
geschult und vertieft. Die Workshops finden
in den Frühjahrs- und Sommermonaten in
einem Abstand von ca. 6 Wochen mit jeweils
ca. 5 bis 12 Teilnehmern statt. Der Interessentenkreis des AK Garten umfasst ca. 30 bis
35 Personen.
Der neu geschaffene Garten soll allen Menschen offen stehen und auch einen besonderen Spielplatz beinhalten der die Sinne,
Kreativität und die Motorik der Kinder anspricht. Umgeben von einem „Garten der
Sinne“ bietet dieser Spielplatz in dem kleinmaßstäblichen historischen Ensemble die
seltene Gelegenheit, Ruhe und Harmonie
mitten in der Großstadt zu erfahren.
12.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima Pilotvorhaben „Klimagerechte Revitalisierung
eines Denkmalensembles – Interkulturelle
Bildungs- und Begegnungsstätte Bodhicharya“, Berlin-Friedrichshain“ wurde durchgeführt von:
F+B Forschung und Beratung für Wohnen,
Immobilien und Umwelt GmbH
Adenauerallee 28
20097 Hamburg
Telefon: (040) 28 08 10-0
Fax: (040) 28 08 10 20
www.fund-b.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
ImmoKlima
96
Werkstatt: Praxis Heft 79
13 Klima, Umwelt und Soziales im Leitbild des Siedlungswerkes Stuttgart
Im Leitbild des Siedlungswerks Stuttgart sind sowohl soziale als auch ökologische Zielsetzungen verankert. Daraus abgeleitet verfolgt das Siedlungswerk eine Unternehmensstrategie,
die konsequent beide Aspekte miteinander verbindet. Dabei werden die besonderen Chancen
jedes Standorts jeweils differenziert analysiert und in der Projektentwicklung explizit berücksichtigt.
13.1
Der Projektrahmen
Projektträger ist die „Siedlungswerk gemeinnützige Gesellschaft für Wohnungs- und
Städtebau mbH“, Stuttgart, die mit dem
Bau von über 27.000 Wohneinheiten und
der Verwaltung von mehr als 23.000 Wohnungen ein bedeutendes Wohnungs- und
Städtebauunternehmen in Baden-Württemberg ist. Das Unternehmen wurde 1948
als „Siedlungswerk der Diözese Rottenburg
in Stuttgart GmbH“ gegründet. Seit 1975 firmiert es unter dem heutigen Namen. Zu den
Hauptgesellschaftern gehören das Bistum
Rottenburg-Stuttgart und die Landesbank
Baden-Württemberg.
Das Stuttgarter Siedlungswerk entwickelt,
baut, vermarktet und verwaltet Wohnbauprojekte und dazugehörige soziale Infrastruktureinrichtungen – in den ImmoKlima
Pilotgebieten ein Pflegeheim, eine Kindertagesstätte und ein Kinder- und Familienzentrum.
Basierend auf dem Leitbild des Siedlungswerks, den Menschen in den Mittelpunkt des
Handelns zu stellen, werden alle Projekte und
deren Standorte hinsichtlich ihrer sozialen
und ökologischen Möglichkeiten überprüft.
Das Siedlungswerk verfolgt mit Engagement, Kompetenz und Resonanz eine Unternehmensstrategie, die soziale und ökologische Ziele konsequent in Einklang bringt.
Bei der Konzeptentwicklung und Umsetzung für die einzelnen Projekte werden die
besonderen Bedingungen und Chancen am
Standort und im Quartier sehr differenziert
berücksichtigt und innovative Lösungen in
sozialer wie auch ökologischer Hinsicht entwickelt.
In sozialer Hinsicht ist das Ziel des Siedlungswerks, durch ein breites Wohnungsangebot möglichst viele Bevölkerungsgruppen
anzusprechen. Ergänzt wird dieses Angebot
durch Sondernutzungen mit sozialem Charakter.
Tabelle 12: Siedlungswerk Stuttgart: Das Wichtigste in Kürze
Name des Projektträgers + Sitz
Siedlungswerk gemeinnützige Gesellschaft für Wohnungs- und
Städtebau mbH, Stuttgart
Eigentümerstruktur GmbH; Gesellschafter: Bistum Rottenburg, LBBW
GmbH; Gesellschafter: Bistum Rottenburg, LBBW
Größe des Unternehmens
200 Mitarbeiter, 5.300 eigene Mietwohnungen, 18.000 verwaltete Eigentumswohnungen, Bautätigkeit
ca. 500 Einheiten pro Jahr als Bauträgermaßnahmen
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Bau und Unterhaltung von Wohnungsbau, Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen
Nutzungen
Wohnen
Projekt 1 + Standort
Freiburg/Breisgau, FreiburgLeben
Projektziel
Umnutzung eines ehemaligen Werksgeländes zu einem Quartier für hochwertiges Wohnen
Art des Projektes
Projektentwicklung
Größe und Nutzung
ca. 125 WE, Kinder- und Familienzentrum St. Augustinus, Büro ca. 2.000 m²
Lage
Innenstadtnähe
Projekt 2 + Standort
Stuttgart-Bad Cannstatt, SeelbergWohnen
Projektziel
Umnutzung eines ehemaligen Werksgeländes zu einem Quartier für hochwertiges Wohnen
Art des Projektes
Projektentwicklung
Größe und Nutzung
1,6 ha, 133 ETW, 19 Appartements, 6 Miet-WE, Kindertagesstätte, Pflegeheim
Lage
Innenstadt
Quelle: Eigene Darstellung
Siedlungswerk Stuttgart
97
Abbildung 17: Siedlungswerk Stuttgart: Struktur der Projektentwicklung
Leitbild
Projektentwicklung
Soziale Verantwortung
Ökologische Verantwortung
Ziel: Schaffung eines sozial intakten Wohngebietes
für unterschiedliche Nutzergruppen
Ziel: Entwicklung eines ökologischen Energiekonzeptes
zur CO2 Reduzierung
Suche nach lokal vorhandenen Bedürfnisssen /
Möglichkeiten
Suche nach lokal nutzbaren Energiequellen
Suche nach Partnern
FreiburgLeben
Untersuchung der möglichen Varianten
Stuttgart
Seelberg/Wohnen
103 Eigentumswohnungen
92 Eigentumswohnungen
Kinder- und Familienzentrum
St. Augustinus
- 40 geförderte Wohnungen
- 10 Appartements für Senioren
- 8 Appartements für Menschen
mit Körperbehinderungen
- 30 betreute Seniorenwohnungen
- 50 Pflegeplätze
(St.Anna Stiftung)
- Kindertagesstätte für 65 Kinder
(Stadt Stuttgart)
Mehrwert
Stuttgart
Seelberg/Wohnen
FreiburgLeben
- Wärmepumpe nutzt Grundwasser
- Wasserschnecke zur
Stromerzeugung
- Holzpellets zur Abdeckung der
Spitzenlast
- Abwasserkanal Wärmetauscher
- BHKW zur Stromerzeugung
- BHKW zur Abdeckung der
Spitzenlasten
Gesellschaft - Umwelt - Unternehmen
Quelle:Siedlungswerk
In ökologischer Hinsicht werden bei allen
größeren Bauprojekten des Siedlungswerks
Standortanalysen durchgeführt und Energieund Klimastudien mit unterschiedlichen Varianten eingeholt. Das Unternehmen legt besonderen Wert auf Klimaschutz (ausreichende
Gebäudedämmung, Reduktion des CO2-Ausstoßes, Verwenden von erneuerbaren Energien). Klimaanpassung stand bislang jedoch
noch nicht explizit im Fokus des Siedlungswerks, gleichwohl umfassen die Projekte des
Siedlungswerks auch Aspekte der Vorbeugung
gegen die Auswirkungen des Klimawandels.
Neben diesen Kriterien spielen aber auch
wirtschaftliche Aspekte sowie architektonische Qualitäten eine Rolle. Um auch diese
garantieren zu können, wurde in den Projekten jeweils ein Architektenwettbewerb
durchgeführt. Die Projekte wurden im Anschluss an die Entwicklungsplanung durch
das Siedlungswerk realisiert, vermarktet
und durch die Siedlungswerk Verwaltungsgesellschaft (SWV) nach der Fertigstellung
weiter betreut.
Um die Qualität in der Planung zu garantieren, werden bei allen größeren Projekten
Architekturwettbewerbe durchgeführt. Das
Siedlungswerk übernimmt die Baureifmachung der Grundstücke, die komplette Projektentwicklung und die Realisierung der
Objekte. Zum weiteren Leistungsbild gehört
die Vermarktung bzw. Vermietung und die
spätere Verwaltung der Gebäude.
Das Siedlungswerk arbeitet in gegenseitigem
Vertrauen und Respekt mit seinen Projektpartnern zusammen. Dadurch ist sichergestellt, dass nicht nur während der Projektierungs- und Realisierungsphase, sondern
auch weit darüber hinaus eine nachhaltige
Entwicklung der Projekte garantiert ist.
Gegenstand der Projekte ist die Schaffung
neuer sozial intakter Wohnquartiere für unterschiedliche Nutzergruppen und die Entwicklung ökologischer Energiekonzepte zur
CO2-Reduzierung durch die Verwendung
von Energieressourcen aus dem jeweiligen
Baugrundstück.
ImmoKlima
98
13.2FreiburgLeben
Das Projekt – Ausgangssituation
Das Planungsgebiet des Projekts FreiburgLeben liegt zwischen Kartäuserstraße und
Schlossberg östlich der Innenstadt Freiburgs. Es handelt sich um das ehemalige
Werksgelände der Firma Coats/MEZ. Hier
entstehen rund 125 Wohneinheiten, das St.
Augustinus-Heim für Kinder und Jugendliche und ein Dienstleistungsgebäude.
Werkstatt: Praxis Heft 79
Anfang 2006 wurde das Büro EGS-Plan damit beauftragt, verschiedene Energiekonzepte auf dem Grundstück zu prüfen. Ziel
war, KfW-60-Häuser zu bauen und regenerative Energien für die Energieversorgung zu
nutzen. Fest stand bereits, dass der nördlich
des Grundstücks vorbeifließende Gewerbekanal zur Stromerzeugung genutzt werden
sollte.
Im Jahr 2006 lobte das Siedlungswerk einen
begrenzt offenen Wettbewerb unter 15 Ar-
Abbildung 18: FreiburgLeben: Wettbewerbsentwurf des Projektes, Lageplan und Modell
Quelle: Ackermann und Raff
Abbildung 19: FreiburgLeben
Quelle: Siedlungswerk Stuttagrt
Das Planungsgebiet war ursprünglich als
Gewerbegebiet ausgewiesen. Da das Siedlungswerk auf dem Grundstück hochwertige Eigentumswohnungen errichten wollte,
war eine Änderung des Bebauungsplans
notwendig. Im Zuge dieser „Grundstücksveredelung“ mussten zehn Prozent der Flächen der Stadt Freiburg kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Das Siedlungswerk
einigte sich mit der Stadt Freiburg darauf,
dass auf den städtischen Flächen eine katholische Einrichtung für Kinder und Jugendliche – das St. Augustinus Heim im Erbbaurecht entstehen sollte. Im Heim sollten
25 Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren
aufgenommen werden, darunter auch Kinder, die behindert oder von Behinderung
bedroht sind.
chitekturbüros mit dem Titel „Wohnen und
Arbeiten am Schlossberg“ aus. Im Einzelnen
wurde gefordert:
• Öffnung des Gewerbekanals auf der gesamten Grundstücksbreite;
• Schaffung von beidseitigen mindestens
5 m breiten Gewässerrandstreifen am
Gewerbekanal, naturnahe Gestaltung,
Ausschluss jeglicher Bebauung und Flächenversiegelung in den Gewässerrandstreifen;
• keine Bebauung nördlich des Gewerbekanals;
• Erhalt der Natursteinmauern im Bereich
der nördlichen Gebietsgrenze und soweit
möglich am Gewerbekanal;
Siedlungswerk Stuttgart
• weitgehender Erhalt des Baumbestandes
im Gebiet;
• Erhöhung des Grünflächenanteils im Gebiet;
• Reduktion der Flächenversiegelung;
• möglichst Versickerung der anfallenden
Niederschläge auf dem Gelände.
Die Jury entschied sich für den Entwurf von
Ackermann & Raff aus Tübingen. Besonders
gewürdigt wurde die verkehrliche und fußläufige Anbindung zwischen Fabrikstraße
und Augustinerweg/Schlossberg sowie die
städtebauliche Einbindung des St. Augustinus-Heims. Ebenso überzeugte die Gestaltung des Platzes vor dem St. AugustinusHeim, der einen Entréecharakter ausbildet.
Nach dem Wettbewerbsverfahren wurde
von der Stadt Freiburg 2006 ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt, der
2008 vom Gemeinderat beschlossen wurde.
Der Verkauf verlief sehr gut, so dass zum
Zeitpunkt der Berichterstellung der erste Bauabschnitt ausverkauft und bezogen
und das Dienstleistungsgebäude vermietet
ist. Die 54 Wohnungen des zweiten Bauabschnitts konnten noch vor Rohbaufertigstellung innerhalb eines Jahres komplett verkauft werden.
Zum Zeitpunkt der Bewerbung und Aufnahme als Pilotprojekt war dieses Projekt des
Siedungswerks bereits fertig geplant und
befand sich in Realisierung.
Im März 2008 wurde mit den Bauarbeiten
des ersten Bauabschnitts begonnen. Bei der
Planung des neuen Stadtquartiers wurde
großer Wert auf eine versetzte Anordnung
der Häuser und eine strömungsdurchlässige Bauweise gelegt. So können die vom
Schlossberg kommenden kühlen Winde
durch die Gebäude hindurch in Richtung Innenstadt gelangen. Eine großzügige Gartengestaltung und der an der Grundstücksgrenze verlaufende offengelegte Gewerbekanal
bringen zudem viel Grün in das Quartier.
Das St.-Augustinus-Heim für Kinder und Jugendliche und das Dienstleistungsgebäude
beleben den Quartiersplatz. Im Erdgeschoss
ist eine Bäckerei mit Stehcafé eingezogen,
die sich zum Quartierplatz hin öffnet. Der
Wohnungsbau gruppiert sich um die „Grüne
Mitte“ im Quartiersinnern. Der unbefestigte
Bodenbelag und die Schatten spendenden
Bäume laden zum Boulespielen ein. Das
Quartier ist autofrei, die Parkierung erfolgt
in einer Tiefgarage mit zwei Zufahrten.
99
Inzwischen befindet sich der 2. Bauabschnitt in Fertigstellung. Alle Wohnungen
sind bereits verkauft.
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Da bei der Wettbewerbsauslobung bereits
EGS-Plan mit Überlegungen zum Energiekonzept beauftragt worden war, konnten
im Ausschreibungstext genaue Angaben zur
Energieversorgung gemacht werden:
Die Gebäude sollen mit einem sehr niedrigen Primärenergieverbrauch (der Energiebedarfskennwert gerechnet nach Freiburger
Verfahren von 65 kWh/m² ist einzuhalten)
und mit lokalen Energiekreisläufen auskommen. Hierauf basiert das Energieversorgungskonzept mit den folgenden Bausteinen:
• Reduktion des Wärmebedarfes durch
kompakte Bauweise und eine gute Wärmedämmung;
• Wärmeversorgung der Gebäude aus einer
Heizzentrale mit einem Verteilnetz für das
gesamte Quartier;
• Erzeugung der Wärme durch eine Wärmepumpe, daher werden Niedertemperaturheizflächen (z. B. Fußbodenheizung)
benötigt;
• Als Antriebsquelle für die Wärmepumpe
soll ein vorhandener Grundwasserbrunnen (Wärmequelle) und ein zu errichtendes Wasserrad (Strom) genutzt werden;
• Das Wasserrad wird im östlichen Teil des
Grundstückes, im Gewerbekanal errichtet. Es kann transparent eingehaust werden;
• Dachflächen des Gebäudes sollen sich für
die Integration von Solartechnik eignen.
Sowohl thermische Sonnenkollektoren
als auch PV-Module sind als Nachrüstung
denkbar.
Das Quartier verfügt über eine eigene Heizzentrale mit Nahwärmenetz. Die Basis bilden der entlang des Geländes verlaufende
Gewerbekanal und der auf dem Grundstück
vorhandene ehemalige MEZ-Brunnen. Das
ganzjährig zehn Grad Celsius warme Wasser
wird mit einer Wärmepumpe auf die notwendige Temperatur gebracht. Die elektrische Antriebsenergie für die Wärmepumpe
wird durch eine Wasserschnecke im Gewerbekanal erzeugt. Diese ökologischen Komponenten sowie eine Holzpellet-Heizung für
winterliche Spitzenheizlasten machen das
ImmoKlima
100
System sehr wirtschaftlich.
Die Fußbodenheizung kann im Sommer auf
Wunsch einen Kühleffekt (um zwei Grad) in
den Wohnungen erzeugen. Dafür wird kaltes
Wasser durch die Heizungsrohre gepumpt.
Das System ist unabhängig von fossilen
Energieträgern. Dadurch wird eine CO2Reduzierung um 90 Prozent erreicht. Zusätzlich bietet das Konzept der Nahwärmeversorgung eine einfache Möglichkeit, in
der Zukunft weitere neue Energietechniken
mit einzubinden. Die Umsetzung und Bewirtschaftung erfolgt durch den regionalen Energieversorger Badenova Wärmeplus
GmbH & Co. KG.
13.3
SeelbergWohnen in Stutt-
gart-Bad Cannstatt
Das Projekt - Ausgangssituation
Werkstatt: Praxis Heft 79
gefielen die Klarheit und Prägnanz der „Winkelgruppe“ bestehend aus Pflegeheim und
betreutem Wohnen und den drei „Wohnwinkeln“, die vielfältige Freiräume und Höfe
ausbilden. Zudem wurde die Lage und Größe des Quartiersplatzes und die gute Einbindung des Bestands gelobt. In klimatischer
Hinsicht wird laut Umweltgutachten eine
klimatische Verbesserung gegenüber dem
ursprünglichen Zustand erreicht (Grünflächen, begrünte Dächer etc.).
Das neu geschaffene Wohnquartier „SeelbergWohnen“ besteht aus:
• 106 Eigentumswohnungen, darunter barrierefreie Wohnungen und Familienwohnungen im Förderprogramm „Preiswertes
Wohneigentum für Paare und Alleinerziehende mit Kindern“ der Landeshauptstadt Stuttgart;
• 27 Senioren-Eigentumswohnungen im
Wohnverbund mit der St. Anna Stiftung;
Das etwa 1,6 ha große Terrot-Areal der ehemaligen gleichnamigen Strickmaschinenfabrik liegt in Stuttgart im Seelbergviertel zwischen Wildunger Straße und Daimlerstraße.
In der Nähe befindet sich der Bahnhof Bad
Cannstatt und der Wilhelmsplatz.
• 12 Appartements in einer SeniorenWohngemeinschaft;
Nach der Insolvenz der alteingesessenen
Strickmaschinenfabrik im Jahr 2001 standen
die Gebäude leer. Vorübergehend konnten
Teile von Existenzgründern, Vereinen und
Künstlern angemietet werden. Das U-förmige Gebäude – das „Blaue Haus“ – wurde von
Künstlern zwischengenutzt. Diese Künstlergruppe setzte sich sehr für den Erhalt des
ortsbildprägenden Gebäudes ein. 2005 bot
die Stadt Stuttgart im Rahmen des TerrotInsolvenzverfahrens dem Siedlungswerk
das Areal zum Kauf an. Wegen des nicht so
guten Rufs Bad Cannstatts gab es zunächst
Unklarheiten darüber, ob das Gebiet erworben werden sollte.
• eine Kindertagesstätte mit 6 Gruppen;
2006 wurde vom Siedlungswerk Stuttgart
gemeinsam mit der St.-Anna-Stiftung Ellwangen unter der Prämisse „Generationenübergreifendes Wohnen und Arbeiten im
Innenstadtquartier“ ein eingeladener Wettbewerb unter zwölf Architekturbüros ausgeschrieben. In der Auslobung – die in engem
Kontakt mit der Stadtverwaltung entstand
– wurde festgelegt, dass ein Mischgebiet mit
generationenübergreifendem Wohnen und
nicht störenden gewerblichen Nutzungen
entstehen sollte.
Die Jury entschied sich für den Entwurf von
Ackermann & Raff aus Tübingen. Besonders
• 7 Appartements in einer Wohngemeinschaft für Körperbehinderte;
• 6 Mietwohnungen im „Blauen Haus“;
• ein Pflegeheim mit 50 Pflegeplätzen der
St.-Anna-Stiftung.
Mitte 2011 waren das Pflegeheim und 127
Wohnungen bezugsfertig, davon 79 Eigentumswohnungen, 28 Seniorenwohnungen
und 20 Mietwohnungen, die im Anlagevermögen des Siedlungswerks verbleiben. Im
Juli 2011 wurde mit den Bauarbeiten des
zweiten Bauabschnitts begonnen, wo bis
Herbst 2012 weitere 36 Wohnungen bezugsfertig sein sollen.
Abbildung 20: Stuttgart-Bad Cannstadt Seel-
bergWohnen
Quelle:Siedlungswerk
Siedlungswerk Stuttgart
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
In der Karte „Klima-Analyse“ des Umweltatlas der Landeshauptstadt Stuttgart ist das
Gebiet als Stadtkern-Klimatop dargestellt.
Stadtkern-Klimatope sind durch einen intensiven Wärmeinseleffekt, eine geringe
Feuchte, starke Windfeldstörungen, einen
problematischen Luftaustausch und eine
Schadstoffbelastung der Luft gekennzeichnet.
Nach dem Architektenwettbewerb beauftragte das Siedlungswerk EGS-Plan mit der
Ausarbeitung eines Energiekonzepts für
das Quartier. Darin enthalten waren unterschiedliche Wärmeversorgungsvarianten:
• Gas-Brennwertkessel (dezentral);
• Gas BHKW + Gaskessel (zentral);
• Abwasser-Wärmepumpe + Gas BHKW +
Gaskessel (zentral);
• Holzpelletkessel + Gaskessel;
• Holzpelletkessel + Pflanzölkessel.
101
13.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima
Pilotvorhaben „Klima, Umwelt und Soziales im Leitbild des Sied-lungswerks Stuttgart – Unternehmerische Strategien an den
Beispielen „FreiburgLeben“ und Stuttgart
„Seelberg Wohnen““ wurde durchgeführt
von:
WEEBER + PARTNER
Institut für Stadtplanung und Sozialforschung
Mühlrain 9
70180 Stuttgart
Telefon: (0711) 62 00 93 60
Fax: (0711) 62 00 93 89
www.weeberpartner.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Abbildung 21: Stuttgart-Bad Cannstadt SeelbergWohnen
In der Daimlerstraße wurde ein geeigneter
Abwasserkanal gefunden. Das Siedlungswerk konnte sich mit der Stadt Stuttgart
über die Nutzung der Abwasserwärme vertraglich einigen. Somit fiel die Entscheidung
für die Variante Abwasser-Wärmepumpe,
die zwar hohe Investitionskosten und einen
zusätzlichen Installationsaufwand bedeutet, jedoch sehr geringe Energiekosten und
keine Emissionen. Die Wärmepumpe nutzt
die Abwasserwärme zur Versorgung des gesamten Quartiers. Das Gas-Blockheizkraftwerk (BHKW) erzeugt den benötigten Strom
zum Antrieb der Wärmepumpe und deckt
den restlichen Wärmebedarf ab.
Die berechneten Primärenergiebedarfswerte der Gebäude laut Energieausweis betragen für die neu gebauten Mehrfamilienhäuser (als Berechnungsgrundlage diente
das Haus 1) 59 kWh/(m2a) und unterschreiten damit die während der Planung gültige
EnEV 2007 um 27 %.
Das neue Pflegeheim, das ebenfalls einen
errechneten Primärenergiebedarf von 59
kWh/(m2a) aufweist, unterschreitet die
EnEV-Anforderung um 25 %. Das integrierte,
umgenutzte Fabrikgebäude „Blaues Haus“
mit Kindertagesstätte und 25 Wohnungen
unterschreitet die EnEV mit 63 kWh/(m2a)
um 20 %.
Quelle: Siedlungswerk, Weeber+Partner
ImmoKlima
102
Werkstatt: Praxis Heft 79
14 Nachhaltige Unternehmensstrategie der
Thierergruppe
Die Thierergruppe, bestehend insbesondere aus den beiden Unternehmen TPP-Projektentwicklungsgesellschaft mbH und MTP, Günzburg, fokussiert auf umweltverträgliche bzw. energieeffiziente Technologien und auf die Gestaltung eines innovativen Verfahrensansatzes im Rahmen der Baulandentwicklung. Dies wird anhand von drei Projektbeispielen untersucht.
Im unternehmerischen Handeln der inhabergeführten Thierergruppe ist die ökologische Zielstellung aus persönlichem Verantwortungsbewusstsein verankert.
14.1
Der Projektrahmen
Die TPP als Teil der Thierergruppe ist eine
Projekt- und Baulandentwicklungsgesellschaft, die sich im Wesentlichen um die
„Urbarmachung“ von problembehafteten
innerstädtischen Flächen bemüht.
Sehr häufig findet dies im Bereich bereits
bestehender Gebäudestrukturen oder bestehender Bauleitplanungen, die nicht zur
Realisierung gekommen sind, statt.
Im Rahmen einer Baulandentwicklung
überträgt die Kommune der Thierergruppe
– in der Regel durch Abschluss eines städtebaulichen Vertrages – die Vorbereitung und
Durchführung städtebaulicher Maßnahmen. Mit dem Erschließungsvertrag überträgt die Kommune die technische Durch-
führung und kostenmäßige Abwicklung der
Erschließung eines Baugebietes auf einen
Dritten. Der Kommune entstehen dabei keine Aufwendungen, so dass keine Erschließungsbeiträge erhoben werden müssen. Der
Herstellung der Erschließungsanlage durch
den Erschließungsträger steht gleichsam als
kommunale Gegenleistung die Beitragsbefreiung gegenüber. Der Erschließungsträger
refinanziert sich ausschließlich durch den
Verkauf der Grundstücke. Dieses Verfahren
bezeichnet Thierergruppe als „Ankaufverfahren“, da üblicherweise die Grundstücke
von Thierergruppe vor der Erschließung
gekauft werden, dann im eigenen Risiko im
Einvernehmen mit der Gemeinde erschlossen und nach Fertigstellung der Erschließungsanlage zur Refinanzierung verkauft
werden.
Tabelle 13: Thierergruppe: Das Wichtigste in Kürze
Name des Akteurs + Sitz
Thierergruppe (TPP Projektentwicklungsgesellschaft mbH und MTP Wohn- und Gewerbebau GmbH),
Günzburg
Eigentümerstruktur
GmbHs im Eigentum eines privaten Eigentümers
GrößedesUnternehmens
9 Mitarbeiter
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Baulanderschließung, Projektentwicklung
Nutzungen
Wohnen, Gewerbe, Konversion
Projekt 1 + Standort
Günzburg, ehem. Radbrauerei, Wohnpark „ Residenz Bellevue“
Projektziel
Entwicklung einer innerstädtischen Gewerbebrache zu hochwertiger und attraktiver Wohnnutzung unter
energetischen und ökologischen Gesichtspunkten
Art des Projekts
Projektentwicklung
GrößeundNutzung
35 WE, nur Wohnnutzung
Lage
Zentral, Rand der Altstadt
Projekt 2 + Standort
Augsburg, Lechrainstraße, „Lechpark Hochzoll“
Projektziel
Entwicklung einer innerstädtischen Gewerbebrache zu hochwertiger und attraktiver Wohnnutzung unter
energetischen und ökologischen Gesichtspunkten
Art des Projekts
Projektentwicklung
GrößeundNutzung
8.000 m², 21 WE, 20 RH, 3 EFH
Lage
Wohnquartier, Stadtrand
Projekt 3 + Standort
Günzburg, ehem. Kaserne, Prinz-Eugen-Park (PEP)
Projektziel
Entwicklung einer Konversionsfläche mit Realisierung von vier Nutzungsbereichen
Art des Prokekts
Projektentwicklung
GrößeundNutzung
28 ha, Wohnen, Gewerbe, Beherbergung, Büro, Energieerzeugung
Lage
Stadtrand/Gewerbegebiet (ehemal. Kaserne)
Quelle: Eigene Darstellung
Thierergruppe
Das Ziel der geringstmöglichen Flächenversiegelung bei der Ausweisung von Bauland
ist nach dem Verständnis der Thierergruppe
bereits in der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Dadurch verbleiben mehr Flächen
ohne eine Oberflächenversiegelung. Es entsteht mehr Nettobauland für mehr Wohneinheiten und damit eine wirtschaftlichere Nutzung der vorhandenen Flächen bei
gleichzeitiger Schonung der Umwelt. Die
Ausführung von begrünten Flachdächern
unterstützt die Regenrückhaltung und entlastet entweder die Versickerungsanlagen
oder die städtischen Klärwerke. Damit sind
sowohl klimaschützende wie auch klimaanpassende Maßnahmen allein durch eine
sorgfältige Bauleitplanung zu erreichen. So
geplante
Baulanderschließungskonzepte
schaffen zudem eine Kleingliedrigkeit, die
sich bei Wohnnutzungen in einem sehr verkehrsberuhigten und behaglichen Wohnumfeld widerspiegelt.
Die Grundsätze der Projektentwicklungsphilosophie bestehen in der Schaffung von
neuen Lösungsansätzen in der Projektentwicklung durch detaillierte Analyse der
Ausgangssituation, im Ausloten von Handlungsspielräumen, im Mut zu ungewohnten
Wegen und kreativen Lösungen, in einem
hohen Maß an Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit, im fundierten Wissen
um den Markt bzw. die jeweiligen lokalen
Teilmärkte, im Wissen um die technischen
Möglichkeiten und im durch langjährige Erfahrung getragenen Wissen um die Wohnbedürfnisse der Kunden.
14.2 Residenz Bellevue in Günz-
burg
Das Areal, auf dem der Wohnpark Residenz
Bellevue realisiert werden soll, liegt am Rand
der Altstadt von Günzburg (20.000 Einwohner), die vom Standort aus fußläufig zu erreichen ist. Nach der Bevölkerungsprognose
des Bayerischen Statistischen Landesamtes
geht die Einwohnerzahl im Landkreis Günzburg in den nächsten zwanzig Jahren (2009
- 2029) um rd. 3 % zurück – entgegen dem
positiven Trend in anderen Landesteilen.
Hiervon dürfte auch die Stadt Günzburg
negativ betroffen sein. Gleichzeitig wird der
Anteil der älteren Bevölkerung im Landkreis und in der Stadt deutlich wachsen und
somit ist die Entwicklung von adäquaten
Wohnangeboten für Ältere eine wichtige Zukunftsaufgabe.
103
Das Projekt – Ausgangssituation
Die bestehenden Gebäude auf dem ehemaligen Brauereiareal werden abgerissen und
es entstehen vier neue Wohngebäude mit 35
Wohnungen und Tiefgarage. Projektträger
ist die MTP Wohn- und Gewerbebau GmbH.
Die Zugänge zu den Wohnungen werden
schwellenfrei gestaltet und erfüllen somit
Ansprüche der angestrebten Hauptnachfragegruppe Senioren: Haushalte ab 55 Jahren,
die ihr Einfamilienhaus verkaufen und einen zentraleren Standort suchen. Zwischen
den Gebäuden wird ein großer Grünzug angelegt als parkähnliche Verbindung der bestehenden Grünanlagen und Weiterführung
des Grünkonzeptes der Stadt Günzburg. Alle
Gebäude sind mit den Tagesbereichen nach
Süd und Südwest ausgerichtet, die Schlafräume nach Norden und Osten. Auf Grund
des zentralen Standortes, der Objektqualität
einschließlich der energetischen Konzeption kann unter Fokussierung auf die genannte Zielgruppe mit Preisen von bis zu 3.000 €/
qm Wohnfläche in der Residenz Bellevue ein
Verkaufspreisniveau oberhalb des marktüblichen Niveaus (2.000 – 2.200 €/qm Wohnfläche) angeboten werden.
Die größte Herausforderung bei der Entwicklung des Vorhabens der Residenz
Bellevue lag in der erforderlichen Grundstücksarrondierung, da das Areal fünf Einzeleigentümern gehörte.
Eine weitere Herausforderung lag in den
Kosten der Grundstücksaufbereitung. Auf
Grund der Lage des Areals am Fuß eines
Hangs mussten bei der Entwicklung Hangsicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, da ansonsten die Gefahr bestand, dass
der Hang nach Abriss der Bestandsgebäude aus statischen Gründen auf die Fläche
rutscht. Aus üblicher Ingenieurs-Perspektive gab es zwei Alternativen: zum einen, vor
dem Abriss des Gebäudes eine Betonspundwand (eine etwa einen halben Meter dicke
Wand, die 6 - 7 Meter oberirdisch sichtbar
und 3 - 5 Meter im Erdreich verankert wäre)
zu errichten, zum anderen eine so genannte Injektionswand (60 Bohrpfähle mit einer
Tiefe von jeweils 16 Metern) einzubringen.
Aufgrund der damit verbundenen zu hohen
Kosten und auf Grund der Nachteile, die mit
den herkömmlichen Lösungen verbunden
wären, bestand erheblicher „Druck eine alternative Lösung zu finden“. Diese bei der
Thierergruppe intern gefundene Lösung
bestand dann darin, eine Masse (800 m³ Be-
ImmoKlima
104
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 22: Residenz Bellevue in Günzburg: Bilder aus dem Quartier
Quelle: Thierergruppe
ton) zwischen dem Bestandsgebäude und
dem Hangfuß einzubringen, die genau der
Masse des Bestandsgebäudes entspricht
und somit unter statischen Gesichtspunkten eine Hangrutschung vermeidet. Es wurde dann im Weiteren überlegt, „wie man die
Schwerlastwand zusätzlich nutzen kann“.
Im Ergebnis dieser Überlegungen stand die
Idee, die Betonmasse unter energetischen
Gesichtspunkten zu nutzen, Heizschleifen
in den Beton einzugießen und diese mit
Wasser zu befüllen und für Wärmeerzeugung im Winter sowie Kühlung im Sommer
zu nutzen.
Nachdem das letzte Grundstück des Areals
im Juli 2011 vom Projektträger gekauft wurde, wurde der Bauantrag im August 2011 gestellt, und nach Genehmigung startete der
Verkauf der ersten Wohnungen im unmittelbaren Anschluss. Mittlerweile sind (Stand
Februar 2012) 60 % der Wohneinheiten in
der Residenz Bellevue vermarktet.
Projektziele
Das Projektziel der Thierergruppe bestand –
der Firmenphilosophie folgend – darin, ein
Grundstück in der Innenstadt von Günzburg
„urbar“ zu machen, d. h. eine inhaltlich und
wirtschaftlich tragfähige Projektkonzeption
zu entwickeln – was anderen Projektentwicklern bislang nicht gelungen war. Dabei
soll dieses Projekt positiv zur Innenstadtentwicklung beitragen, hohen energetischen
und ökologischen Ansprüchen genügen
und ein attraktives Angebot bieten für die
von der Thierergruppe besonders in Fokus
genommenen Zielgruppe der „best agers“,
die in die Innenstadt zurückziehen.
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Die Gebäude wurden als KfW 70-Haus nach
EnEV 2009 realisiert. Durch einen gerin-
geren Energieverlust als in der EnEV 2009
vorgeschrieben sowie der Unterschreitung
der Wärmeabgabe der wärmedämmenden
Hülle – als Förderkriterium nach den Richtlinien der KfW-Bank – spricht die Thierergruppe davon, ein Projekt realisiert zu haben, dass „eine Stufe besser ist“ als die EnEV
2009 (Klimaschutz).
Aus klimatischen Gründen werden im Südwesten außen liegende Verschattungselemente installiert (Klimaanpassung), die
Fenster zu den übrigen Himmelsrichtungen
erhalten Rollläden.
Zur Vermeidung von Wärmebrücken werden die Balkone vorgestellt (Klimaschutz).
Zur Regenwasserrückhaltung und positiven
Beeinflussung des Klein- und Mikroklimas
werden auf den Dächern großflächig Dachbegrünungen gepflanzt (Klimaanpassung).
Zwei Blockheizkraftwerke (je 4,7 kW) im
Projekt liefern eine 70 %ige Grundlast der
Wärmeenergie, Gasbrennwertkessel decken
die Spitzenlasten ab. 50 % des Strombedarfs
werden durch die BHKW abgedeckt, der übrige Strom wird extern eingekauft (Klimaschutz).
Die aus statischen Gründen eingebrachte
Beton-Schwerlastwand ist ebenfalls Bestandteil des energetischen Konzeptes. Im
Beton werden Rohrschlangen eingebracht,
in denen Wasser in den Kreislauf der Gebäude geführt wird. Im Winter hat das Wasser
auf Grund dieser besonderen Konstruktion
eine – im Vergleich mit einer herkömmlichen Wasserzuführung – erhöhte Temperatur von 8 - 12° C, so dass die Erhitzung
für die Fußbodenheizung der Wohnungen
weniger Energie verbraucht (Klimaschutz).
Das gleiche Prinzip sorgt umgekehrt im
Sommer dafür, dass das Rohrsystem in den
Fußböden der Wohnungen zur Kühlung
dient: hier liegt die Temperatur bei 12° C. In
Thierergruppe
einem herkömmlichen System müsste das
Wasser zur Nutzung im Fußbodensystem
erst energieaufwändig gekühlt werden (Klimaschutz und -anpassung).
Der Stromverbrauch wird zentral für alle
Wohnungen erfasst und kann im Tagesund Wochenverlauf dargestellt werden. Die
Verwaltung (in den ersten drei Jahren wird
dies von der Thierergruppe übernommen)
kann dann die Bewohner auf Optimierungsmöglichkeiten hinweisen, die im Ergebnis
zu einer besseren Verteilung der Stromverbrauchs führen soll, so dass der im Projekt
produzierte Strom in hohem Maße von den
Bewohnern genutzt wird (Klimaschutz).
Über den Contractor GETEC besteht das
Angebot, Green Gas einzukaufen. Alternativ kann auch das Biogas-Angebot des Anbieters Erdgas Schwaben zum Betrieb der
BHKWs eingesetzt werden (Klimaschutz).
Auf einen Einbau einer Wärmepumpe wurde aus Kostengründen verzichtet. Demgegenüber wurde der Nutzen als zu gering
bewertet.
14.3 Lechpark in Augsburg-
Hochzoll
Auf einem 8.000 qm großen, vormals gewerblich genutzten Grundstück an der
Lechrainstraße, hat die Thierergruppe im
Zeitraum von 2004 - 2007 die Wohnanlage
„Lechpark Hochzoll“ realisiert. Das Grundstück gehörte dem Bezirk Schwaben, der
dort bis 2004 eine Gehörlosenschule betrieben hatte. Im Kontext des Baus eines neuen Gehörlosenzentrums in zentralerer Lage
durch die Stadt Augsburg wurde die Schule
in der Lechrainstraße nicht mehr benötigt.
Der Bezirk Schwaben hatte mit der Stadt
Augsburg vereinbart, den Neubau des Gehörlosenzentrums sowie den Bau eines Museums mit zu fördern. Es wurde vereinbart,
dass der Wert des Grundstücks in der Lechrainstraße der Zuschuss des Bezirks Schwaben für die Stadt Augsburg ist.
Das Areal liegt 4 - 5 km östlich der Augsburger Innenstadt in fußläufiger Nähe zum Ufer
des Lech. Westlich an das Grundstück grenzt
eine Parkanlage an. Nördlich befinden sich
Einfamilienhäuser, südlich liegen Genossenschaftsbauten.
Das Projekt – Ausgangssituation
Im Lechpark in Augsburg-Hochzoll wurden
unterschiedliche Wohnformen realisiert:
105
21 Wohnungen, 20 Reihenhäuser für 2- bis
5-Personenhaushalte und 3 freistehende
Einfamilienhäuser. Die Gebäude haben
eine Nord-Süd Ausrichtung und eine entsprechende Orientierung der Schlafräume nach Osten/Norden und der Tagesbereiche nach Süden/Westen. Das Konzept
umfasste eine optimale Baulandnutzung
bei geringstmöglicher Versiegelung, Regenwasserversickerung, Dachbegrünung zur
Regenwasserrückhaltung, teilw. Nutzung
als Dachterrassen, KfW 60 (EnEV2004), Pelletheizung + Solarthermie für alle Wohneinheiten, kontrollierte Be- und Entlüftung,
begrünte Dächer und Baustoffe mit Umweltsiegel „Blauer Engel“. Die Thierergruppe hat
außerdem die Ausarbeitung des kompletten
Erschließungs- und Grünordnungskonzeptes übernommen, um unter rechtlichen
praktischen, ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten umfassenden Einfluss auf die Projektentwicklung zu haben.
Die Reihenhäuser wurden in einer Spanne
von rd. 225.000 bis 330.000 € verkauft, die
Geschosswohnungen lagen im Schnitt bei
etwa 2.600 €/qm und reichten in der Spitze
bis knapp 3.000 €/qm.
Im Zeitraum von 3 - 4 Monaten nach der
Wettbewerbsentscheidung wurde der Versiegelungsgrad mit dem Ziel, eine größere
Nettobaufläche zu erreichen, weiter reduziert. Dies geschah durch eine frühzeitige,
intensive und proaktive Kommunikation
mit den relevanten Trägern öffentlicher Belange, d. h. insbesondere der Müllabfuhr,
der Feuerwehr und dem Rettungsdienst.
Im Unterschied zum herkömmlichen Herangehen wurde die Diskussion persönlich
zwischen der Thierergruppe und den jeweiligen Stellen geführt. Umsetzungsprobleme
konnten unmittelbar besprochen werden,
und neue Lösungen ergaben sich auch in
den Gesprächen. Ein wichtiger Punkt nach
Einschätzung der Thierergruppe war auch,
dass sie die Träger nach alternativen Lösungsvorschlägen gefragt hat, um so erst gar
nicht eine ausschließliche Verteidigungshaltung der Akteure und ein Beharren auf vermeintlichen Vorschriften herauszufordern
(vom DAD „decide - announce - defend“
zum EED „engage - deliberate - decide“). Im
Ergebnis konnte so erreicht werden, dass die
o. g. Träger nicht mehr mit sehr großen Fahrzeugen in das Gebiet hereinfahren müssen,
sondern kleinere Fahrzeuge verwenden,
was dann auch wieder eine geringere erforderliche Verkehrsfläche und somit einen
geringeren Versiegelungsgrad zur Folge hat.
ImmoKlima
106
Dabei konnten mehrere hundert qm Grundstücksfläche eingespart werden, die dann
wieder als bebaubare Fläche genutzt werden konnte.
Der Lechpark Hochzoll wurde im Jahr 2007
fertig gestellt. Alle Wohneinheiten sind verkauft und bezogen.
Projektziele
auf dessen Wettbewerbsfähigkeit hat. Zudem eröffnet die „Gestaltungshoheit“ über
die Erschließung die nach dem Selbstverständnis der Thierergruppe zwingend erforderlichen Spielräume zur Umsetzung von
über den Marktstandards liegenden Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen
im jeweiligen Vorhaben.
Der Lechpark Hochzoll in Augsburg spricht
verschieden Zielgruppen an. Dabei sind
v. a. Familien in die Reihen- und Einfamilienhäuser gezogen und Ein- und Zweipersonenhaushalte in die Geschosswohnungen.
Der Lechpark Hochzoll positionierte sich im
Augsburger Markt als Wohnprojekt mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Der innovative Ansatz in diesem Projekt im
Hinblick auf den Klimawandel liegt insofern
im planerischen Prozess, der schließlich
zu einer Flächeneinsparung in Verbindung
mit einem möglichst geringen Versiegelungsgrad geführt hat. Entscheidende Stellschraube war der kreative Umgang mit den
Definitionen der Mindestanforderungen an
die Dimensionierung der Verkehrsflächen.
Für die Thierergruppe liegt ein zentraler
Ansatz für Wirtschaftlichkeit in der Maxime: Die Erschließung folgt dem Projekt und
nicht umgekehrt.
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Ein zentrales Ziel lag daher auch in diesem Projekt darin, die Kontrolle über das
Erschließungskonzept zu erhalten, da dieses wesentlichen Einfluss auf Qualität und
Wirtschaftlichkeit des Projekts und damit
Abbildung 23: Lechpark in Augsburg-Hochzoll
Quelle:Thierergruppe
Werkstatt: Praxis Heft 79
Aus den vorliegenden Klimaprognosen für
den süddeutschen Raum lassen sich nur
wenige Anknüpfungspunkte ableiten, die
eine Betroffenheit des Areals des Lechpark
Hochzoll durch den Klimawandel definieren
können.
Thierergruppe
Die Gebäude sind als Niedrigenergiehaus
60 KWh konzipiert. Durch einen geringeren
Energieverlust als in der damals geltenden
EnEV 2004 sowie der Unterschreitung der
Wärmeabgabe der wärmedämmenden Hülle (Qp) als Förderkriterium nach den Richtlinien der KfW-Bank spricht die Thierergruppe davon, ein Projekt realisiert zu haben, das
„eine Stufe besser“ ist als die damalige EnEV
2004 (Klimaschutz).
Der kompakte Baustil ermöglicht ein günstiges Außenhülle/Volumen-Verhältnis, so
dass der Energiebedarf reduziert wird (Klimaschutz).
Die südliche Orientierung der Gebäude erlaubt eine optimale passive thermische Nutzung der Sonnenenergie (Klimaschutz).
Wärmeschutzverglasung (k-Wert 1,1) ermöglicht es, die eingestrahlte Sonnenwärme im Hausinneren effizient zu nutzen (Klimaschutz).
Die Außenwanddämmung wurde als Kalksandstein mit Vollwärmeschutz mit 12 - 14
cm Dämmung ausgeführt (Klimaschutz und
Klimaanpassung).
Ein Kontrolliertes Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung wurde eingebaut (Klimaschutz und Klimaanpassung).
Zur Wärmeversorgung des Lechpark Hochzoll wurde eine 270 kW-Biomasse-Heizzentrale mit solarthermischer Unterstützung der
Brauchwassererwärmung errichtet. Hierzu
wurde eine 25 qm große solarthermische
Anlage auf dem Dach des Mehrfamilienhauses realisiert. Diese Anlage deckt entsprechend den ingenieurtechnischen Untersuchungen 100 % des Wärmebedarfs der
Anlage ab (Klimaschutz).
Die Reihenhäuser wurden, wo möglich, mit
einer Dachbegrünung zur Regenwasserrückhaltung und zur positiven Beeinflussung des Mikroklimas ausgestattet. Einige
Reihenhäuser erhielten Dachterrassen (Klimaschutz und Klimaanpassung).
Darüber hinaus wurde bei der Konzeption
und Vermarktung auf das Thema Wohngesundheit besonderer Wert gelegt. Eine aktive Regulierung der Raumfeuchtigkeit, eine
gleichmäßige Raumtemperatur und ein
insgesamt gutes Raumklima wurden mittels
der Mischung aus zweischaliger Bauweise,
kontrollierte Be- und Entlüftung und durch
begrünte Dächer erreicht. Die ausgewählten
Baustoffe tragen das Umweltsiegel „Blauer
Engel“ (Klimaschutz und Klimaanpassung).
107
14.4 Prinz-Eugen-Park (PEP) in Günzburg
Das Konversionsprojekt „Prinz-Eugen-Park“
(PEP) in der bayerischen Kreisstadt Günzburg
liegt rd. 3 km nördlich der Günzburger Innenstadt und umfasst eine Fläche von 28 ha.
Das Projekt – Ausgangssituation
Der Vorhaben- und Entwicklungsplan für
den PEP sieht die Realisierung von vier Nutzungsbereichen vor:
• Freizeit, Sport und Erholung
• Entertainment, Unterhaltung, Messeveranstaltungen
• Schulung, Bildung und spielerische Wissenschaftsvermittlung bei Kindern
• Gewerbe, Lagerfläche, Parkhaus, Ausstellung, Biomasse-Heizkraftwerk
Der Freizeit- und Entertainmentbereich mit
einem um einen See angelagerten Feriendorf (Villagio) liegt im südlichen Bereich des
PEP, das Thema Energie (Biomasse-Heizkraftwerk) ist zusammen mit gewerblichen
Nutzungen im nördlichen Abschnitt der Liegenschaft vorgesehen.
In der ursprünglichen Planung war vorgesehen, den PEP ausgehend von den Freizeitbereichen zu entwickeln, um so auch dem
Entwicklungsleitbild des PEP eines multifunktionalen Freizeit-, Sport-, Entertainment- und Schulungspark frühzeitig gerecht
zu werden.
Ein Teil des Areals des PEP wird von gewerblichen Unternehmen mit befristeten Mietverträgen genutzt. Diese Bestandsgebäude
werden mit photovoltaischen Anlagen und
Fassadenmodernisierungen ertüchtigt. Im
Hinblick auf die Vermarktung der Energie
ist vorgesehen, neben dem Eigenverbrauch
durch das Energie herstellende Unternehmen auch private Haushalte und kleine
und mittlere Unternehmen zu bedienen.
Mit der Gemeinde Günzburg wird an einem
Konzept zur Rekommunalisierung der Energieversorgung gearbeitet. Energieintensive
Unternehmen sollen für den Standort gewonnen werden.
Angesichts der geringen Resonanz von Investoren im Freizeitbereich wurde bereits
im Herbst 2011 die Entwicklungsstrategie
überarbeitet und die baurechtliche Umnutzung der für das Feriendorf vorgesehenen
Flächen zu Gewerbeflächen bei der Stadt
Günzburg beantragt.
ImmoKlima
108
Werkstatt: Praxis Heft 79
Abbildung 24: Prinz-Eugen-Park (PEP) in Günzburg: Vorhaben- und Erschließungsplan
Quelle: Thierergruppe und Stadt Günzburg
Eine weitere Änderung hat sich in Bezug auf
das ursprünglich geplante Biomasse-Kraftwerk auf dem Areal ergeben. Vor dem Hintergrund des gestiegenen Holzpreises stellt
sich der Kraftwerksbetrieb als nicht mehr wirtschaftlich dar, so dass hierauf verzichtet wird.
Darüber hinaus werden – auch in Zusammenarbeit mit dem Regierungsbezirk
Schwaben – für die leer stehenden Unterkunftsgebäude auf dem Areal temporäre
Nachnutzungsmöglichkeiten gesucht.
Projektziele
Günzburg ist Standort von Legoland
Deutschland, dem mit mehr als 1,5 Mio. Besuchern pro Jahr viertgrößten Freizeitpark
Deutschlands. In Günzburg ist eine Vielzahl
von Unternehmen aus dem produzierenden
Gewerbe ansässig. Das Umfeld des Gewerbegebietes Donauried besteht zudem aus
zahlreichen Lebensmittel verarbeitenden
Betrieben auch von nationaler Bedeutung
(Zott Molkerei, Lieken Backwaren, HaVi als
McDonalds Exklusivlieferant, Rad Brauerei, Küchle Backoblaten etc.). Hierdurch
ergeben sich außerordentlich interessante
Wärme-, Kälte- und Stromabnehmer. Die
Ansprache dieser Kunden war der Ausgangspunkt für die ursprüngliche Projektkonzeption.
Im Juli 2006 leitete die Bezirksregierung von
Schwaben das Raumordnungsverfahren für
den PEP, einem „multifunktionalen Freizeit-,
Sport-, Entertainment- und Schulungspark“
ein. Währenddessen wurde das Grobkonzept des PEP von der Thierergruppe verfeinert. 2006 wurde, als weiteres Modul des
Nutzungskonzeptes im Prinz-Eugen-Park,
ein Biomasse-Heizkraftwerk (26 MW) mit
aufgenommen.
Vor dem Hintergrund der sich in jüngster
Zeit abzeichnenden Entwicklungshemmnisse für den Freizeitbereich des PEP gibt es
alternative bzw. weiterführende Überlegungen, die an dem im PEP angedachten Energiethema (Blockheizkraftwerk) ansetzen
und in Abstimmung mit einer kommunalen
Strategie gegenwärtig entwickelt werden.
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Aus den vorliegenden Klima-Prognosen für
den süddeutschen Raum lassen sich nur wenige Anknüpfungspunkte ableiten, die eine
Betroffenheit des Areals des PEP durch den
Klimawandel definieren. Einzige Ausnahme
sind Hochwasser der Donau.
Im Ergebnis eines voll ausgebauten PEP
wird die versiegelte Fläche auf dem 28 ha
großen Areal geringer sein als zur Zeit der
ehemaligen Kaserne. Dies wird erreicht
durch einen teilweisen Abbruch der Gebäude, deren Flächen dann nicht wiederbebaut,
sondern Grünflächen werden. So entsteht
Thierergruppe
bspw. im Südwesten des Grundstücks ein
großer See mit angrenzenden unbebauten
Uferbereichen.
Ein nennenswerter Teil der ehemaligen Kasernengebäude wird nicht abgerissen, sondern modernisiert/saniert und neuen Nutzungen zugeführt.
Der PEP liegt im Einzugsbereich der Donau.
Zu diesem Zweck sind Schutzmaßnahmen
im Süden vorgesehen. Durch den auf dem
Grundstück liegenden Freizeitsee im Südwesten des Grundstücks verfügt der PEP über eine
entsprechende Retentionsfläche, in die ein
Hochwasser gezielt eingeleitet werden kann.
Der PEP ist für die Thierergruppe Impuls für
eine Neuausrichtung des Energiekonzeptes der Stadt Günzburg. Zu diesem Zweck
stehen im nordwestlichen Bereich des PEPAreals Flächen für ein Biomasse-Kraftwerk
rd. 35.000 qm zur Verfügung, auf denen bis
zu 30 MW Feuerungsleistung über Holzhackschnitzel als Brennstoff und für die
redundante Absicherung weitere 20 MW
über fossile Brennstoffe/Erdgas installiert
werden dürfen. Neben der Versorgung des
109
PEP bietet sich die Chance, Teile des nahen
Gewerbegebietes Donauried mitzuversorgen. Diese Maßnahme ist eingebunden in
eine Energieversorgungsstrategie der Stadt
Günzburg.
14.5Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima Pilotvorhaben „Nachhaltige Unternehmensstrategie der Thierergruppe Projektentwicklungsgesellschaft mbH, Günzburg anhand
ausgewählter Beispiele“ wurde durchgeführt von:
empirica Forschung und Beratung
Kurfürstendamm 234
10719 Berlin
Telefon: (030) 88 47 95-0
Fax: (030) 88 47 95-17
www.empirica-institut.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
ImmoKlima
110
Werkstatt: Praxis Heft 79
15 Solarenergetische Siedlung Marienhöhe
in Erfurt: Projektentwicklung einer
solarenergetischen Siedlung
Im Westen der Erfurter Kernstadt soll auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche von
ca. 10 ha ein neues hochwertiges Angebot entstehen – vorbildlich in Bezug auf Klimaschutz
und -anpassung, Städtebau, Verkehrskonzept und Wirtschaftlichkeit. Der Standort gilt als Premiumstandort für eine Wohnungsbauentwicklung. Er zeichnet sich durch eine sehr gute ÖPNVAnbindung, die Nähe zum Stadtzentrum sowie seine Südhanglage und den damit verbundenen
Blick auf die Erfurter Altstadt aus.
Abbildung 25: Marienhöhe in Erfurt, Lageplan
Quelle: Landeshauptstadt Erfurt
15.1 Das Projekt – Ausgangssituation
Projektträger des Projekts „Solarenergetische Siedlung Erfurt Marienhöhe“ ist die
Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen
mbH (LEG Thüringen). Die LEG kann da-
bei ihre langjährige Erfahrung beim Ausbau
des Technologie- und Wirtschaftsstandortes
Thüringen und aus der Baulandentwicklung
einbringen. Alleiniger Gesellschafter ist der
Freistaat Thüringen. Die Landeshauptstadt
Erfurt ist in doppelter Funktion Projektpartner: als Eigentümer (Amt für Grundstücks- und Gebäudeverwaltung) und als
Träger der Planungshoheit (Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung). Schoppe/
Dr. Anton GbR sind zwei private Projektentwickler, die seit acht Jahren erfolgreich
in der Immobilienentwicklung tätig sind.
Der städtische Anteil an dem Gebiet beträgt
6,93 ha (64 %), der der LEG 2,92 ha (27 %)
und derjenige der Schoppe/Dr. Anton GbR
1 ha (9 %).
Das für die Projektentwicklung vorgesehene Grundstück liegt westlich des Stadtzentrums in einer Südhanglage auf einer
Anhöhe mit Blick auf die Altstadt der Landeshauptstadt Erfurt. Das Gebiet wird im
Norden begrenzt durch die stark befahrene
Tabelle14:Erfurt-Marienhöhe:DasWichtigsteinKürze
Name des Projektträgers + Sitz
LEG Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH, Erfurt
Eigentümerstruktur
242 Mitarbeiter, 9 Auszubildende, Wohnen: ca. 1.500 Einheiten, Gewerbeflächen: ca. 120.000 m² +
weitere Geschäftsfelder
GrößedesUnternehmens
242 Mitarbeiter, 9 Auszubildende, Wohnen: ca. 1.500 Einheiten, Gewerbeflächen: ca. 120.000 m² +
weitere Geschäftsfelder
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Stadt- und Regionalentwicklung; Entwickeln, Verwalten und Vermarkten von Immobilien und Konversionen; Akquisition, Technologie, Internationale Kon-takte und Marketing; Unternehmer- und Fachkräfteservice; Wirtschaftsförderung
Nutzungen
Wohnen, Gewerbe, Industrieimmobilien
Projekt + Standort
Erfurt: „Solarenergetische Siedlung Erfurt Marienhöhe; Projektentwicklung einer solarenergetischen
Siedlung
Projektziel
Drei Grundstückseigentümer – die LEG Thüringen, die Landeshauptstadt Erfurt und die Schoppe/
Dr. Anton GbR – planen gemeinsam die Entwicklung einer solarenergetischen Siedlung am Standort
„Marienhöhe“.
Art des Projekts
Projektentwicklung
GrößeundNutzung
10 ha, 60 bis 80 WE, nur hochwertige Wohnnutzung
Lage
Innenstadtrand, bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche im Westen der Erfurter Kernstadt
Quelle: Eigene Darstellung
Erfurt: Marienhöhe
111
Abbildung 26: Gelände Marienhöhe in Erfurt
Quelle: Weeber+Partner
Binderslebener Landstraße. Auf dieser verläuft auch die Stadtbahnlinie. Die Bebauung nördlich der Straße ist seit den 1930er
Jahren entstanden und städtebaulich sehr
heterogen. Im Westen bildet die Grenze der
städtische Hauptfriedhof. Im Süden grenzt
der Brühler Herrenberg an, dort ist in den
1990er Jahren eine Wohnsiedlung entstanden; ab 2007 wurde dort auch die „Solarund Ökosiedlung am Bonifaciusbrunnen“
mit 12 Einfamilienhäusern entwickelt.
Das Gebiet verfügt über eine sehr gute Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr:
Die Stadtbahn verkehrt im 10-MinutenTakt, die Fahrzeit ins Stadtzentrum beträgt
10 Minuten. Zwei Haltestellen im Radius
von 450 m befinden sich in fußläufiger Entfernung von der Marienhöhe. Verkehrsgünstig gelegen ist das Gebiet auch im Blick auf
den PKW-Verkehr, nicht zuletzt durch die
Nähe zum Flughafen. Allerdings sorgt der
Fluglärm für Beeinträchtigungen. Durch
die Nähe zum Stadtzentrum – Fahrzeit zum
Hauptbahnhof 13 Minuten – sind auch die
guten überörtlichen Bahnverbindungen
(ICE) leicht erreichbar.
Die Überlegungen für eine Bebauung auf
der Marienhöhe reichen schon lange zurück. Seit der Zeit nach der „Wende“ wurden
die Möglichkeiten immer wieder diskutiert.
1990 wurde ein Aufstellungsbeschluss für
einen Bebauungsplan „Bei dem Kreuzchen/
Am Schleifwege“ gefasst, 1997 ein Rahmenplan entwickelt, aber nicht vom Stadtrat beschlossen.
Die neuerlichen Überlegungen wurden
durch Initiativen aus dem Stadtrat angestoßen. Der größte Teil des Grundstücks war
bereits in städtischem Eigentum, eine weitere Teilfläche wurde 1997 von der LEG erwor-
ben. Im Jahr 2007 führte die Landeshauptstadt Erfurt einen vorbereitenden Workshop
zur Eignung des Standorts als Pilotprojekt
zu Klimaschutz und Klimaanpassung mit
Vertretern der Immobilienbranche und Forschungseinrichtungen durch; dabei gab es
auch kontroverse Positionen zur Bebauung
der bisher landwirtschaftlichen Fläche.
Zur Vorbereitung des Projekts hat die Stadt
ein Gutachten zur solarenergetischen und
energieeffizienten Bauleitplanung erstellen
lassen. Außerdem hat die Stadt ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet, um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die
Entwicklung zu schaffen und gleichzeitig die
ökologischen Ziele zu verankern. Der Aufstellungsbeschluss wurde 2009 mit großer
Mehrheit gefasst, der frühere Aufstellungsbeschluss von 1990 wurde aufgehoben. Ein
vorhabenbezogener Bebauungsplan mit
den jeweiligen Einzeleigentümern war politisch nicht gewollt, weil auf eine ganzheitliche Entwicklung des gesamten Geländes
Wert gelegt wurde.
Mit dem Begriff „Marienhöhe“ verbindet
sich in Erfurt vor allem die beliebte Kleingartenanlage gleichen Namens. Sie soll
großenteils erhalten bleiben. Das Projekt
mit voraussichtlich 60 bis 80 Wohneinheiten wird von den Grundstückseigentümern
LEG Thüringen mbH, der Landeshauptstadt
Erfurt und der Schoppe/Dr. Anton GbR, Erfurt, gemeinsam entwickelt und soll zeigen,
wie sich Investitionen in Klimaschutz und
Klimaanpassung wirtschaftlich umsetzen
lassen und den Bedürfnissen neuer Nutzergruppen entgegenkommen – in Verbindung
von technischen energetischen Lösungen,
intelligentem Städtebau und innovativem
Verkehrskonzept.
ImmoKlima
112
Weitere Kooperationspartner sind
• die Stadtwerke Erfurt Energie GmbH als
lokaler Energieversorger, die ggf. als Betreiber gemeinschaftlicher Energieversorgungsanlagen gewonnen werden sollen,
• das Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (TMBLV),
Ref. 51 demografischer Wandel und Monitoring, Klima- und Umweltschutz, als
zuständiges Fachministerium im Freistaat
Thüringen.
Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, dass im
Herbst 2011
• alle Fachbeiträge und Gutachten im Rahmen der Aufgabenstellung für den städtebaulichen und solarenergetischen Wettbewerb in eine Gesamtstrategie integriert
sind,
• die Ergebnisse des Wettbewerbs vorliegen,
• die baulichen Standards der Klimaschutzund Klimaanpassungsstrategien definiert,
auf Realisier-barkeit geprüft sind,
• die Instrumente und Strategien zur Umsetzung der Umweltziele (u. a. Festsetzungen im Bebauungsplan, städtebauliche
Verträge, zivilrechtliche Instrumente u. a.)
definiert und vorstrukturiert sind,
• vertragliche Vereinbarungen nach § 11
Abs. 1 Nr. 4 BauGB für Betrieb und Nutzung von Gemeinschaftsanlagen (Solarkraftwerk, Regenrückhaltungs- und Versickerungsanlagen) konzipiert sind,
• Voraussetzungen für die Herstellung der
Erschließungsanlagen (Ausführungsplan,
Bodenordnung, Erschließungsverträge) in
Erarbeitung sind.
Zum Ende des Forschungsvorhabens im
Frühjahr 2012 war angestrebt, dass
• der Bebauungsplan „Marienhöhe“ Planreife nach § 33 BauGB besitzt,
• die Voraussetzungen für die Realisierung
der Erschließungsanlagen vorliegen,
• die Vermarktung startet.
Die für 2011 geplanten Arbeitsschritte sind
zu Beginn des Jahres 2012 noch nicht abgeschlossen. Für die zweite Jahreshälfte 2011
stand besonders die Klärung der Projektträgerschaft, die Konstituierung der Projektstruktur, die Fertigstellung und Auswertung
der Gutachten, die bündelnde Gesamtbetrachtung und Ableitung von Zielen aus den
Einzelgutachten und die Ausschreibung des
Werkstatt: Praxis Heft 79
städtebaulichen Ideenwettbewerbs an. Insgesamt ist festzustellen, dass es aufgrund
der bisher fehlenden Projektentwicklungsstruktur und des fehlenden Finanzrahmens
bei der Zeitplanung zu erheblichen Verzögerungen gekommen ist.
Während zu Beginn des Forschungsvorhabens beabsichtigt war, dass die LEG als
Projektentwickler und Erschließungsträger
des Gesamtareals unternehmerisch tätig
wird und die Projektentwicklung im Rahmen eines Geschäftsbesorgungs- und Treuhändervertrags übernimmt, soll nunmehr
gemäß Stadtratsbeschluss vom 18.01.2012
die Projektträgerschaft für die Wohnungsbauentwicklung der Marienhöhe an die
KoWo (Kommunale Wohnungsgesellschaft
mbH Erfurt) übertragen werden. Die LEG
Thüringen hat in diesem Zusammenhang
mit Schreiben vom 20.12.2011 das Interesse an einer Projektträgerschaft zurückgezogen. Als Grundlage für diese Entscheidung
wurden seitens der Stadt verschiedene Entwicklungsmodelle, einschließlich der Gründung einer eigenen Stadtentwicklungsgesellschaft, untersucht und bewertet. Die
Untersuchung und Entscheidungsfindung
erwiesen sich als langwieriger als erwartet.
Dadurch haben sich die Voraussetzungen
auch für die Projektforschung mehrfach geändert.
15.2Projektziele
Die Strategie für die Entwicklung der solarenergetischen Siedlung „Marienhöhe“
verbindet Klimaschutz und Klimaanpassung. Im Mittelpunkt steht die Vermeidung
bzw. Verringerung des CO2-Ausstoßes durch
Einsatz emissionsloser erneuerbarer Energien und die Senkung des Energiebedarfs
durch entsprechende Energiestandards.
Dies bezieht sich auf die Entwicklung und
Nutzung von Wohnimmobilien und auf die
Deckung der Mobilitätsbedürfnisse. Das
Konzept geht über die Gebäudeebene hinaus (gedacht ist an ein Solarkraftwerk als
Gemeinschaftsanlage im Quartier) und
berücksichtigt gesamtstädtische Bezüge
(Grün, Kaltluft, Feinstaub).
Primäres Ziel des Projektträgers und der
Kooperationspartner ist der wirtschaftliche
Erfolg des Projekts. Durch ein erfolgreiches
Beispiel soll für die lokalen Marktakteure
nachgewiesen werden, dass unter allgemeinen Marktbedingungen Investitionen
in Klimaschutz und Klimaanpassung unternehmerisch nachhaltig sind und Wettbe-
Erfurt: Marienhöhe
werbsvorteile schaffen können. Beabsichtigt
ist eine Standortprofilierung, die mit hohen
Qualitäts- und Umweltstandards dem Wertewandel bestimmter Lebensstilgruppen in
Umweltschutzfragen gerecht wird.
Die Landeshauptstadt Erfurt verspricht sich
damit die Erschließung neuer Angebotssegmente und die Ansprache potenzieller
Zuzügler – wie beispielsweise der Einpendler – im interkommunalen Wettbewerb um
Einwohner. Zudem erwartet die Landeshauptstadt Erfurt verallgemeinerbare Erkenntnisse über realistische und zumutbare
Klimaschutz- und Klimaanpassungsanforderungen und über die Umsetzung entsprechender Ziele unter lokalen Marktbedingungen, die Rückschlüsse auf die Definition
von Standards und Zielen für kommunale
Klimaschutzkonzepte erlauben.
15.3
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Für die Stadt Erfurt liegen umfangreiche
Messdaten zur thermischen Situation sowie
zu den Windverhältnissen und deren Veränderungen in den letzten 20 Jahren vor. Diese
lassen prognostische Einschätzungen zu.
Allerdings hat die Stadt Erfurt selbst bisher
keine wissenschaftlich und gutachterlich
untersetzten Klimaprognosen erstellt. Von
der TLUG liegt ein von den globalen und
Thüringer Klimaszenarien abgeleiteter „Klimatischer Ausblick“ für die Stadt Erfurt vor.
Für den Standort Marienhöhe selbst gibt
es bisher keine konkreten Klimauntersuchungen. Es wurde jedoch abgeschätzt, dass
aufgrund der moderat nach Süden geneigten und gewässerfernen Standortsituation
bestimmte Aspekte nicht oder weniger relevant sind.
Anhand dieser Einschätzungen werden folgende Risiken identifiziert:
• zunehmende Starkwindereignisse (Stadt
Erfurt und Standort lagebedingt nur eingeschränkt betroffen)
• zunehmende
Starkregenereignisse/Regenwasserversickerung (nach Süden geneigter Standort, nicht versickerungsfähige Böden, gewässerfern, aber Abfluss in
Richtung Breitstrom, Überschwemmungen: Maßnahmen Regenrückhaltung)
• Kaltluftentstehung/Temperaturerhöhung
(Temperaturanstieg Erfurt im Jahresdurchschnitt um 3 ° C; Standort Marienhöhe in Kalt-/Frischluftentstehungsge-
113
biet, Bedeutung für Be- und Entlüftung
der Stadt/Abfluss in Tallage; Standort
selbst weniger betroffen, gespeist durch
Hauptfried-hof/Gärten)
• Biotopsituation (Bedeutung für Biotopverbund zwischen Hauptfriedhof und angrenzender Gartenanlage, Bedeutung z. B. für
Fledermäuse, Amphibien, Zauneidechsen)
• Feinstaubbelastung (problematisch bei
Inversionswetterlagen,
Überschreitung
der Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub in Heinrichstraße, Bedeutung für
lufthygienische Situation)
• ggf. Degradation der Böden durch Erosion
Daraus wurden Handlungserfordernisse für
gezielte planerische Voruntersuchungen,
Standortanalysen und Gutachten abgeleitet,
durch welche die projekt- und standortspezifischen Vulnerabilitäten und Risiken konkret untersucht sowie weitere Handlungserfordernisse identifiziert werden sollen. Die
Handlungsstrategien beziehen sich auf die
Zieldefinition für das Projekt und Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes (Energiekonzept, energetisches Konzept, städtebauliches
Konzept, Regenentwässerungskonzept). Dabei sollen insbesondere die solaren Eigenschaften der Gebäude, die Belüftungs- und
Bewindungssituation, das Offenhalten von
Flächen, der Biotopverbund sowie die passive und aktive Solarenergienutzung untersucht und berücksichtigt werden.
Im Rahmen eines teilräumlichen Klimagutachtens werden die Auswirkungen von Bebauungsszenarien – u. a. bauliche Ausnutzung und Ausrichtung der Baukörper – auf
die klimatische und lufthygienische Funktion der Fläche für das Stadtgebiet untersucht
und Maßnahmen zum Klimaschutz und zur
Klimaanpassung abgeleitet. Dazu gehören
auch die Funktion des Standortes für die
Kaltluftentstehung und Frischluftzufuhr
einschließlich Vorschlägen für die Sicherung dieser Funktion sowie ggf. aufgrund
der Hanglage erforderliche Maßnahmen
zum Schutz bzw. zur Anpassung an Starkregenereignisse. Diese Aspekte werden bei der
Aufgabenstellung für den städtebaulichen
Wettbewerb und durch entsprechende Festsetzungen im Bebauungsplan berücksichtigt, ebenso die bioklimatische Optimierung
des Quartiers durch Gebäude- und Freiflächengestaltung. Das Klimagutachten liegt
der Stadtverwaltung vor, befindet sich aber
noch in der Abstimmung und wurde von der
Unteren Immissionsschutzbehörde noch
nicht freigegeben.
ImmoKlima
114
Die Dächer haben in ihrer Funktion als klimatische Entlastungsflächen ebenso wie als
Flächen für solare Energiegewinnung eine
große Bedeutung. Abhängig vom späteren
Bebauungs- und Energiekonzept kommen
Solaranlagen auf den Südseiten der Dächer
sowie Dachbegrünungen auf den nicht solar
genutzten Dachflächen in Betracht.
Die Konzeption des Projekts Marienhöhe
umfasst folgende Bausteine:
• Baustein Energie: Entwicklung und Umsetzung einer solarenergetisch optimierten städtebaulichen Struktur, die für die
Bebauung passive Energiegewinne sichert
und Energieverluste reduziert (auf der
Grundlage des Gutachtens zur solarenergetischen und energieeffizienten Bauleitplanung sowie einer projektbezogenen
solarenergetischen
Entwurfsoptimierung); Solarkraftwerk als Gemeinschaftsanlage zur effektiven und emissionsfreien
Nahwärmeerzeugung; Energiestandard
Gebäude: Passiv-, Nullenergie- oder Plusenergiehaus; Verwendung CO2-neutraler
nachwachsender Rohstoffe zur Verminderung der kritischen Feinstaubbelastung.
• Baustein Verkehr: der Standort in Nähe
zum Stadtzentrum und gute ÖPNV-Anbindung durch die Stadtbahntrasse lassen
ein geringeres Verkehrsaufkommen mit
entsprechend geringeren Emissionen erwarten; gute Erreichbarkeit DB-Fernverkehr; Schaffung Carsharing-Stellplätze in
Abstimmung mit dem lokalen Betreiber
teilAuto Mittelthüringen, ggf. verbunden
mit einer Reduzierung der Stellplatzverpflichtungen.
Werkstatt: Praxis Heft 79
• Baustein Boden- und Grundwasserschutz/Anpassung an Starkregenereignisse: lt. Konzeption flächensparende
Bauweise, Minderung der Versiegelung;
private oder gemeinschaftliche Anlagen
der Regenwasserversickerung, -rückhaltung oder Brauchwassernutzung.
• Baustein Mikroklima/Anpassung an Temperaturanstieg; Konzentration des Großgrüns in Bereichen gesamtstädtischer
Grünverbindungen und im Bereich der
Zuwege zum ÖPNV, Vermeidung solarenergetischer Verluste durch geeignete Art- und
Standortwahl von Bäumen im Quartier.
15.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima
Pilotvorhaben „Solarenergetische Siedlung
Erfurt Marienhöhe; Projektentwicklung einer solarenergetischen Siedlung “ wurde
durchgeführt von:
WEEBER + PARTNER
Institut für Stadtplanung und Sozialforschung
Mühlrain 9
70180 Stuttgart
Telefon: (0711) 62 00 93 60
Fax: (0711) 62 00 93 89
www.weeberpartner.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Hoyerswerda: „SolarGardenCity“
115
16 „SolarGardenCity“ in Hoyerswerda; Klimagerechte Inwertsetzung von Stadt
Das Motto des Energie- und Klimaschutzkonzeptes „Hoyerswerda – Alte Energiestadt mit
Neuer Energie“ sollte in zwei zusammen etwa 7 ha großen Stadtbrachen im nördlichen Zentrumsbereich von Hoyerswerda, die unter dem Leitthema „SolarGardenCity“ entwickelt werden,
konkretisiert und realisiert werden.
16.1 Das Projekt – Ausgangssituation
Projektträger ist die asenticon AG, Potsdam,
deren Kerngeschäftsfelder in der Projektentwicklung und dem Projektmanagement für
Stadtentwicklungsprozesse bzw. Brachflächenentwicklung liegen.
Das Projektgebiet bildet den Übergang zwischen der südlich gelegenen historischen
Altstadt und einer offenen, vier- bis sechsgeschossigen Zeilenbebauung aus der Nachkriegszeit im so genannten Elsterbogen.
SolarGardenCity“ ist die Vision für die klimagerechte Revitalisierung innerstädtischer Brachflächen in Hoyerswerda und
wird konsequent aus dem Energie- und Klimaschutzkonzept abgeleitet. Sie ist zugleich
ein Element der angestrebten regionalen
Wirtschafts- und Ressourcenentwicklung
und von strategischer Bedeutung im Rahmen der Stadtreparatur.
Das 2010 beschlossene kommunale Energie- und Klimaschutzkonzept führt den
grundsätzlich integrierten Planungsansatz
der Stadt Hoyerswerda fort und leitet sich
aus dem kommunalen Programm zur energetischen Stadterneuerung sowie dem Aktionsplan Klima und Energie des Freistaates
Sachsen aus Jahr 2009 ab. Es ergänzt das
integrierte Stadtentwicklungskonzept von
2008 und das Stadtteilentwicklungskonzept
Altstadt von 2008 der Stadt Hoyerswerda.
„Das Zeitalter der fossilen Energien und damit die „alte Energiestadt“ neigt sich dem
Ende zu und die „neuen Energien“ und
mit ihnen vielleicht auch ein neues, nachhaltiges, lebensfähiges und liebenswertes
Hoyerswerda stehen in Aussicht. Wagen
wir den Aufbruch, klug, mutig und im Vertrauen auf die Kraft der Gemeinschaft und
jedes Einzelnen.“ (Zitat aus dem Vorwort
des Oberbürgermeisters für das funktionale
Energie- und Klimaschutzkonzept der Stadt
Hoyerswerda, Dezember 2009).
Die Stadt Hoyerswerda durchläuft den
zweiten grundlegenden Wandel ihrer jüngeren Geschichte. Während der erste durch
ein mehr als vier Jahrzehnte andauerndes
Wachstum geprägt war, wird der zweite
durch einen tiefgreifenden Schrumpfungsprozess geprägt. Während allerdings der
Wandel von einer knapp 8.000 Einwohner
zählenden ländlich geprägten Kleinstadt in
der sächsischen Lausitz zu einer Mittelstadt
mit 71.000 Einwohnern und dem Zentrum
der Braunkohle- und Energiewirtschaft der
Tabelle 15: „SolarGardenCity“ in Hoyerswerda: Das Wichtigste in Kürze
Name des Projektträgers + Sitz
asenticon AG, Potsdam
Eigentümerstruktur
AG mit privatwirtschaftlichen Anteilseignern
Größe des Unternehmens
8 Mitarbeiter, Bilanzsumme ca. 960.000 €
Zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens
Projektentwicklung
Nutzungen
keine eigenen Bestände
Projekt + Standort
Hoyerswerda, „SolarGardenCity Hoyerswerda Altstadt – Klimagerechte Inwertsetzung von Stadtbrachen
Projektziel
Inwertsetzung von Stadtbrachen in der historischen Altstadt von Hoyerswerda durch eine den Erfordernissen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung entsprechende Bebauung
Art des Projekts
Projektentwicklung
Größe und Nutzung
7 ha, geplant: Eigentumswohnungsbau, Mietwohnungsbau, altersgerechtes Wohnen, kleinteiliges
Gewerbe
Lage
Innenstadt
Quelle: Eigene Darstellung
ImmoKlima
116
ehemaligen DDR staatlich verordnet und
organisiert war, wird der dramatische Rückgang an Arbeitsplätzen und Einwohnern
– seit 1990 hat die Region mehr als 100.000
Arbeitsplätze und die Stadt etwa die Hälfte
ihrer Einwohner verloren – weitgehend lokal
bewältigt werden müssen.
Die Neustadt von Hoyerswerda (überwiegend Geschosswohnungsbau in Großtafelbauweise) wird weiter schrumpfen, die
Altstadt soll durch Wohnen, Dienstleistung,
Handel und nichtstörendes Gewerbe dauerhaft gestärkt werden. Die Bergbaulandschaft
wird langsam in eine Erholungslandschaft
umgestaltet, das „Lausitzer Seenland“ wird
künftig Europas größtes künstliches Seengebiet. Gleichzeitig verändern großflächige
Absenkungen des Grundwassers im Zuge
des Bergbaus spürbar das regionale Klima.
Trotzt intensiver Bemühungen gelang es
bisher nicht, die innerstädtischen Brachen
zu revitalisieren. Der Projektentwickler, die
asenticon AG, verfolgte das Ziel, Akteure aus
der Immobilien- und Wohnungswirtschaft
mit Erfolg versprechenden Konzepten einzubinden, um die „SolarGardenCity“ im Sinne des Energie- und Klimaschutzkonzeptes
zu realisieren.
Während der Erarbeitung des Energieund Klimaschutzkonzeptes der Stadt
Hoyers¬werda wurden Kooperationen zwischen einer Reihe von Akteuren gebildet.
Wesentliche Projektpartner sind die Stadtverwaltung, die Wohnungsgesellschaft Hoyerswerda mbH, die Wohnungsgenossenschaft LebensRäume Hoyerswerda eG, die
städtischen Wirtschafts- und Versorgungsbetriebe GmbH, die Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, das Unternehmens-/Projektnetzwerk Hoyerswerda, die Sächsische
Energieagentur Dresden, die Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, die Ostsächsische Sparkasse und die asenticon AG.
Nach weitgehend abgeschlossener Sanierung der Bestände soll das Altstadtzentrum
zu einem attraktiven Standort für Wohneigentum, Mietwohnungen, Seniorenwohnungen und für kleinteiliges Gewerbe entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund
stellen diese Brachen ein sehr wichtiges
Potenzial für die künftige Stadtentwicklung dar, da sie die Ansiedlung von Bürgern ermöglichen, die – aus der dramatisch
schrumpfenden Neustadt und den Stadtrandzonen kommend – in Hoyerswerda verbleiben möchten, aber einen neuen Wohnund Lebensmittelpunkt suchen.
Werkstatt: Praxis Heft 79
Eine wesentliche Herausforderung für die
Projektentwicklung der „SolarGardenCity“
wird sein, trotz wirtschaftlich sehr enger
Vorgaben die besondere klimaorientierte
Ausrichtung des Projekts und dessen zentrale innerstädtische Lage als Alleinstellungsmerkmal für eine erfolgreiche Positionierung am örtlichen Wohnungsmarkt zu
nutzen. Wichtige Voraussetzung hierfür wird
sein, trotz der erhöhten Energiestandards
und der damit verbundenen Mehrkosten
wirtschaftlich konkurrenzfähige Immobilienprodukte zu entwickeln.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt
Hoyerswerda sich in einem schwierigen
Prozess der Haushaltskonsolidierung befindet. In diesem Zusammenhang werden
offensichtlich alle kommunalen Ressourcen
überdacht. Dies betrifft auch die Stadtentwicklungsgesellschaft Hoyerswerda mbH,
die zum 01.01.2012 aufgelöst worden ist. Die
Stadt Hoyerswerda, maßgebliche Eigentümerin der in Rede stehenden Brachflächen,
hat sich bis heue nicht dazu geäußert, ob
und wie das Vorhaben fortgeführt werden
soll. Somit existiert nach Abschluss der
Machbarkeitsstudie kein Vertragsverhältnis
mehr, das die Projektträgerschaft der asenticon AG legitimiert. Insoweit bleibt abzuwarten, wie die Stadt entscheidet und ob bzw. in
welcher Form die „SolarGardenCity“ fortgeführt werden kann.
16.2Projektziele
Ziel des Projektes die Inwertsetzung von
zwei zusammen etwa 7 ha großen Stadtbrachen im nördlichen Zentrumsbereich
von Hoyerswerda, die unter dem Leitthema
„SolarGardenCity“ entwickelt werden (siehe
Lageplan). Dabei steht „Solar“ für Klimaschutz, Energieeffizienz und erneuerbare
Energien, „Garden“ für Klimaanpassung, Vegetationsaufbau sowie Temperaturausgleich
und „City“ für Innenstadtentwicklung, Urbanität und kurze Wege.
Die Flächen befinden sich zum weit überwiegenden Teil im Besitz der Stadt Hoyerswerda.
Kern des Projektes sind fünf nicht bauliche
Maßnahmepakete im Rahmen der Projektentwicklung, die die Basis für die Realisierung des Vorhabens durch Unternehmen
der Wohnungswirtschaft und private Investoren bzw. Eigennutzer schaffen. Sie sollen
letztendlich auch Vorgaben für spätere bauliche Maßnahmen treffen, insbesondere für
die Erstanwendung von klimawirksamen
Hoyerswerda: „SolarGardenCity“
Technologien in Hoyerswerda.
Ziel des Projektträgers ist es, herauszuarbeiten, wie sich Projektentwicklung auf fünf
Ebenen manifestiert:
• städtebaulich = als attraktive innenstädtische Quartiere
• objektbezogen = als von Nutzern und Investoren begehrte Gebäude
• ökologisch = als innovativer Beitrag zu Klimaschutz und -anpassung
• politisch = als erlebbarer Erfolg politischen Handelns
• unternehmerisch = als Leistungsangebot
mit Alleinstellungsmerkmal.
Diese konsequente Integration unterschiedlicher Planungen, Planungsebenen und
Fachdisziplinen soll ganz gezielt Synergieeffekte ermöglichen bzw. befördern. So sollen
durch integrative Projektarbeit von Beginn
an für die Kommune und die Bürger bezahlbare Baukosten und geringe Betriebskosten
erreicht werden, soll die Kombination von
Low- und High-Tech positive wirtschaftliche
Effekte auslösen, soll über das Bekanntmachen technologischer Innovationen bei Bau
und Gebäudeausrüstung internationales
Know-how auf die lokale Ebene übertragen
werden. Aus städtebaulicher Sicht wirkt sich
die integrative Projektarbeit stärkend für die
Innenstadt und für die Zentrumsfunktionen
aus, insbesondere indem nachfragegerechte
Wohn- und Gewerberäume geschaffen werden. Vorgegangen werden soll in miteinander zweckdienlich verknüpften Schritten:
• Etablieren einer geeigneten Akteurskonstellation;
• Sichern notwendiger Kooperationen;
• Managen unabdingbarer Voraussetzungen, wie z. B. Planungsrecht, Verfügbarkeit von Grundstücken zu angemessenen
Preisen, Medienerschließung nach den
Maßgaben des Energie- und Klimaschutzkonzeptes;
• Positionierung in
Wohnungsmarkt;
einem
schwierigen
• Relevante Zielgruppen identifizieren
(Marktanalyse) und interessieren (Markttest);
• Darstellen und Bewertbarmachen der Gestaltungsmittel, Technologien und Maßnahmen für Klimaschutz und -anpassung
für potenzielle Immobiliennutzer und
-käufer;
117
Entwickeln, Erproben eines Vermarktungsmodells.
Die asenticon AG hat im Januar 2011 die
Machbarkeitsstudie vorgelegt, deren Ergebnisse eine Grundlage für die Entscheidung
der Stadt Hoyerswerda bilden, ob und in
welcher Weise die Brachflächen entwickelt
und an gewerbliche und private Investoren
und Bauherren verkauft werden. Die Machbarkeitsstudie verweist auch auf die zentralen Konflikte der weiteren Projektentwicklung:
• das Ziel der Stadt, hohe Grundstückserlöse zu erzielen und das Ziel der Grundstückserwerber, geringe Grundstückspreise als eine Grundlage rentabler
Immobilieninvestitionen zu zahlen;
• das Ziel, klimagerecht und altersgerecht
zu bauen und das Ziel, kostensparend zu
bauen;
• das Ziel der Stadt, die Brachen soweit in
Wert zu setzen, also in die Grundstücksentwicklung zu in-vestieren, bis die Baugrundstücke tatsächlich Käufer finden
und das Ziel der Stadt, dafür aus dem
kommunalen Haushalt möglichst wenig
Mittel aufzuwenden.
16.3
Klimaorientierte Konzepte und Maßnahmenpakete
Hoyerswerda liegt in einer der Regionen in
Deutschland, die durch den Klimawandel
voraussichtlich mit am stärksten von sommerlicher Trockenheit und Hitze betroffen
sein werden. Das Sächsische Landesamt für
Umwelt, Landwirtschaft und Geologie stellt
hierzu z. B. regionalisierte Rasterklimadaten
(RAKLIDA) zur Verfügung. Diese oder vergleichbare Klimadaten und Klimaprojektionen haben allerdings bislang keine Relevanz
für kommunale Planungen in Hoyerswerda.
Für den Standort Hoyerswerda ist von einer
zunehmenden Zahl an sommerlichen Hitzetagen und Extremwetterereignissen (Starkregen, Hagelzüge) sowie Hochwasser und
Überschwemmungen auszugehen. Dabei
ist noch nicht hinreichend abschätzbar, wie
sich die weitere Entwicklung der Bergbaufolgelandschaft in der Region auf die Wasserversorgung und unter Umständen auch
auf die Entwicklung des regionalen Klimas
auswirken wird.
Die daraus resultierenden veränderten Anforderungen an die Gebäude werden u. a.
sein:
ImmoKlima
118
• steigender Wasserbedarf im Sommer
• Optimierung von Raumklima (Klimaanlage,
Be- und Entlüftungssysteme, Beschattung)
• erhöhte Ansprüche an die technische Infrastruktur (z. B. Entwässerung bei Starkregen, etc.)
• veränderte Ansprüche an die Ausgestaltung und Pflege von Freiflächen (z. B.
Schattenplätze, Wasserflächen, Bewässerung von Grünflächen)
Das Projekt „SolarGardenCity“ verbindet
hierzu konzeptionell einen breiten Mix innovativer Strategien und Maßnahmen zum
Klimaschutz und zur Klimaanpassung:
Optimierung der thermischen Hülle der
Gebäudes (Verglasung, Einsatz moderner
Dämmstoffe und -technologien)
• Effiziente Heizungs- und Anlagentechnik
unter Einsatz technologischer Innovationen
• Einsatz erneuerbarer Energien, insbesondere passive und aktive Nutzung von Solarenergie
• Reduktion der CO2-Emissionen durch
Nutzung regenerativer Energien und intelligente Auswahl von klimaaktiven Bau-
Werkstatt: Praxis Heft 79
stoffen und -materialien
• Flächensparendes Bauen und Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs
• Garten- und landschaftsgestalterische
Maßnahmen zur thermischen Entlastung
• Innovatives Wassermanagement
16.4Projektforschung
Die Projektforschung für das ImmoKlima Pilotvorhaben „SolarGardenCity“ Hoyerswerda Altstadt – Klimagerechte Inwertsetzung
von Stadtbrachen“ wurde durchgeführt von:
F+B Forschung und Beratung für Wohnen,
Immobilien und Umwelt GmbH
Adenauerallee 28
20097 Hamburg
Telefon: (040) 28 08 10-0
Fax: (040) 28 08 10 20
www.f-und-b.de
[email protected]
Die Ergebnisse der Projektforschung fanden
Eingang in die Bewertungen des vorliegenden Berichts.
Abbildung 27: „SolarGardenCity“ in Hoyerswerda: Bilder aus dem Quartier
Quelle: F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH