Predigt am 16

Transcription

Predigt am 16
Predigt zu Markus 10, 46-52
Was sucht dieser blinde Bartimäus da am Wegesrand? Die Leute, die bei ihm vorbeigehen, sehen,
dass er blind ist, und dass er seinen Mantel ausbreitet, damit man Münzen dort hineinlegt. Die
Leute sehen einen Bettler, der auf Almosen angewiesen ist! Aber sie sehen nicht, mit welcher
Sehnsucht Bartimäus am Wegesrand sitzt. Wir leben in einer medialen Welt. Es sind unzählige
Bilder, die unser Auge tagtäglich verarbeiten muss. Wir sehen Superstars, die im Rampenlicht
stehen, Politiker, die ins Zwielicht geraten. Wir sehen Bilder von verwundeten Menschen, die
einem Attentat zum Opfer gefallen sind. Wir sehen Börsianer, die über die Entwicklungen an den
Finanzmärkten spekulieren. Aber was wissen wir schon über die Menschen, denen wir am Rande in
den Medien oder auch live am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen begegnen? Bartimäus sucht nach
einem Sinn in seinem Leben. Aber er sieht keinen Sinn. Innerlich empfindet er Armut! Was
Bartimäus betrifft, in ihm sieht man den blinden Bettler, der schon irgendwie zurechtkommt. Wie
es in ihm aussieht, das aber hat niemand sehen wollen. Man könnte fragen, wer hier eigentlich
blind ist?! Der blinde Mann am Wegesrand oder die Menschen, die an ihm vorübergehen, aber
nicht seine eigentliche Not erkennen?!
Ich hoffe, dass ihr euch durch die sehr eindrückliche Darstellung der Szene etwas besser in die Rolle
des Bartimäus hineindenken und auch hineinfühlen könnt…! Ich denke, jeder kann sich in einer
gewissen Weise mit diesem Blinden identifizieren: Etwas in mir sehnt sich danach, gesehen zu
werden…! Etwas in mir sucht in dem, was ich gerade erlebe, einen Sinn…! Etwas in mir fühlt sich
armselig an, weil ich gewisse Erwartungen nicht erfüllen kann…! Etwas in mir schreit zum Himmel.
Was würde passieren, wenn du über all das die Kontrolle verlierst? Bewusst oder unbewusst
versuchen wir all diese Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu behalten, die uns irgendwie
unangenehm sind. Kontrolle ist sicherlich gut, aber manchmal wäre es besser, wenn wir´s einfach
rausschreien – so wie Bartimäus: „Jesus, erbarme dich meiner”. Das ist ein hilfesuchender, ein
erbarmungswürdiger Schrei, der nicht zu überhören ist! Bewunderswert, dass Bartimäus sich nicht
von Menschen einschüchtern lässt und stattdessen noch lauter schreit: „Erbarme dich meiner”!
Obwohl Bartimäus blind war, erkennt er, dass er sein Leben nicht selbst verändern kann. Niemand
kann ihm helfen, wenn da nicht Gott erbarmend in sein Leben eingreift. Was für eine demütige
Selbsterkenntnis, die Bartimäus da herausschreit! Er gesteht sich selbst ein: Ich bin arm vor dir,
mein Gott. Ich brauche dein Erbarmen. Da gehört schon etwas dazu, das vor allen Leuten
einzugestehen. Könntest du das so sagen... so beten... oder es auch herausschreien: „Erbarme dich
meiner”? Was hindert dich eigentlich daran? Es ist ein gewisses Kontrollbedürfnis! Es ist dein Ego,
1
dass es dir so schwer macht. Dein Ego will dir bewusst machen, dass du schon irgendwie selbst
zurechtkommst. Dann will ich einfach nicht einsehen, dass ich Hilfe brauche, und darauf
angewiesen bin, dass Gott sich meiner erbarmt. Ich möchte nicht, dass die anderen sehen, wie
armselig ich mich fühle. Ich möchte mein Leben kontrollieren – oder zumindest anderen das Gefühl
vermitteln, dass ich alles unter Kontrolle habe…! Der Gedanke, sich Gott anzuvertrauen, kann
einem auch Angst machen. Denn man weiß ja nicht genau, was passiert, wenn man die Kontrolle
an eine höhere Macht abgibt.
Soviel ist sicher, wenn man ehrlich darum bittet: „Erbarme dich meiner“, dann bleibt Jesus stehen.
Gott macht sich bemerkbar. Bartimäus hat das so erlebt!
Mir begegnet oft der Satz: „Ich glaube nur, was ich sehe”. Glaube ist aber nur dann Glaube, wenn
ich nicht sehe und doch glaube - sozusagen blind vertraue! Davon erzählt diese Geschichte. Jesus
bleibt stehen und sagt: „Ruft ihn!” Warum läßt Jesus den blinden Mann herbeirufen? Sieht er
nicht, dass dieser Mann blind ist? Wie sollte Bartimäus Jesus überhaupt ausfindig machen? Jesus
läßt sich finden. Das aber verlangt die Bereitschaft, aufzustehen und das hinter sich zu lassen, was
einem so vertraut ist! Für Bartimäus bedeutete das konkret, seinen guten Platz zum Sammeln der
Almosen aufzugeben. Auch damals schon wird es so gewesen sein: Weggegangen, Platz vergangen!
Trotz alledem scheint Bartimäus die Entscheidung nicht so schwer gefallen zu sein. Er springt
sponan auf und - eine interessante Randnotiz - er wirft seinen Mantel ab...! Sein Mantel war zwar
alt und verschlissen, aber auch vertraut. Für Bartimäus ist dieser Mantel mehr als nur ein altes,
liebgewordenes Kleidungsstück. Denn nachts hüllte er sich in seinen Mantel, um zu schlafen und
tagsüber sammelte er damit Almosen. Nur ein Mantel - nur eine Randnotiz, aber wir ahnen, was
dieser Mantel für Bartimäus bedeutet hat. Dieser Mantel gab ihm Sicherheit. Was sind wir bereit,
aufzugeben, von dem, was uns so vertraut ist? Was hält dich davon ab, zum Glauben zu kommen?
Sind es vertraute Menschen, die du nicht verlieren willst? Oder sind es irgendwelche
Gewohnheiten, die du nicht so einfach ablegen kannst? Sind es alte Geschichten, wo du von der
Gemeinde oder sonst wem enttäuscht worden bist? Sind es alte Verletzungen, über die du nicht
reden möchtest? Es gibt viele verschiedene Dinge, für die dieser Mantel stehen könnte. Jesus weiß
ganz genau, wie schwer es ist, Altvertrautes loszulassen. Genau aus diesem Grund, ruft er
Bartimäus zu sich, um ihm dann diese alles entscheidende Frage zu stellen: „Was willst du, dass ich
dir tun soll?” Wozu diese Frage. Es ist doch offensichtlich, dass hier ein Blinder wieder sehend
werden möchte, oder nicht?! Wenn Jesus dich fragen würde: „Was willst du”, was würdest du
antworten? Hast du eine konkrete Vorstellungen von dem, was sich in deinem Leben verändern
soll? Was will ich eigentlich von Gott? Bartimäus antwortet: „Ich will sehend werden”! Wenn wir
das so hören „Ich will sehend werden”, dann spüren wir, zu welchem Glauben diese Frage Jesu
2
herausfordert. Dieser Bartimäus glaubt das wirklich: Jesus kann mich heilen. Und Bartimäus will
Heilung erfahren, auch wenn er nicht weiß, wie sein Leben dann aussehen wird...! Manchmal
beobachte ich, wie Menschen vor dieser Frage stehen: „Was will ich eigentlich?“ und sie nichts
anderes wollen, als das alles so bleibt, wie es ist. Was willst du? Nun geht es uns ja recht gut…!
Während beispielsweise in Griechenland viele Menschen existentielle Ängste haben und nicht
wissen, wie es weitergehen soll, wollen wir unbedingt den Status Quo aufrecht erhalten. Wir
hoffen, dass alles gut wird und alles so weiterläuft, wie bisher. Am liebsten möchte man die Augen
vor bestimmten Dingen verschließen. Vielleicht geht es uns einfach zu gut?! Bartimäus will sehen
und Jesus tut das Wunder! Das Verwunderliche ist, dass ihm sein Glaube tatsächlich geholfen hat!
Jesus hat sich seiner erbarmt. Bartimäus konnte mit eigenen Augen sehen, dass es wirklich besser
ist, blind zu vertrauen. Sein Glaube hat ihn geheilt. Seine Augen sind heil geworden. Aber noch viel
mehr: Der ganze Mensch Bartimäus ist heil geworden. Dieser Bartimäus - als er noch blind war konnte sich selbst nur als Bettler sehen: Ich bin nichts wert; ich bin auf Almosen anderer
angewiesen, also geduldet, von einigen sogar verachtet, aber eben nicht wertgeachtet. Nun steht
Bartimäus vor Jesus und er sieht in ihm, dass Gott sein Angesicht über ihm leuchten lässt. Er
bekommt eine Ahnung davon, wie sehr Gott ihn liebt! Und das ist die eigentliche Heilung, die hier
geschieht: Bartimäus sieht sich nicht mehr als den, der als Bettler nichts wert ist, sondern als einen
Menschen, den Gott wertschätzt! Diese neue Sicht führt zu der Veränderung, die er in seinem
Leben gesucht hatte...! Der gott-suchende Bettler wird zu einem, der Jesus nachfolgt. Jesus sagt
zwar „geh hin”, aber Bartimäus will gar nicht zurück. Er will ein neues Leben mit Gott beginnen!
Ich finde diese Geschichte mit Bartimäus illustriert wunderbar, was Vertrauen heißt. Ich fasse kurz
zusammen: 1. Achte auf dich selbst – schau genau hin, wonach du dich sehnst. 2. Sieh doch ein,
dass du Gott brauchst, der sich deiner erbarmt. 3. Steh auf und geh im Gebet auf Gott zu 4. Sag ihm
ganz konkret, was er dir tun soll. Gott sieht, was du brauchst. Wenn du das glauben kannst, wirst
du die Welt mit anderen Augen sehen. Allerdings will Gott auch sehen, ob du ihm wirklich
vertraust...! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
AMEN
3