Ein Spaziergang durch «South Park
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Ein Spaziergang durch «South Park
Neue Z}rcer Zeitung FILM Freitag, 10.03.2000 Nr.59 68 Amerikas Angst vor den Abgründen der Komik Ein Spaziergang durch «South Park» – und andere dunkle Orte «Der Witz ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (des lüsternen und feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis», schreibt Sigmund Freud in seiner Monographie über den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Er unterscheidet zwischen dem harmlosen und dem unanständigen oder «tendenziösen» Witz. Je tendenziöser der Witz, desto unkontrollierter das Lachen, das den Schamwall zwischen Anstand und Triebleben zum Einsturz bringt. Nur Unverschämtes ist unverschämt lustig, deshalb kann der tendenziöse Witz auf den guten Geschmack keine Rücksicht nehmen. Die amerikanische Cartoon-Serie «South Park», die uns am surrealen Alltag von vier aufgeweckten Drittklässlern teilhaben lässt, hat sich mit dem Frontalangriff gegen den guten Geschmack in den letzten zwei Jahren einen Kultstatus auch ausserhalb der USA geschaffen. Die deutsche Fassung wird auf RTL im Spätprogramm gesendet. Nicht einmal die Witze über das Judenkind Kyle werden zensuriert, und doch ist die deutsche TV-Fassung harmloser als die Originalversion. Was fehlt, ist der Tonfall: Er verleiht dem Zynismus jene ungerührte Fröhlichkeit, die den europäischen Rücken so cool hinunterrieselt. Was Timing und Schärfe angeht, kann der kürzlich angelaufene Film «South Park: Bigger, Longer And Uncut» mit der Fernsehserie nicht ganz mithalten: «South Park»-Kenner vermissen Mr. Hankey, der für die Leinwand offenbar nicht fein genug war. Lustvolles Wühlen im Dreck «Mr. Hankey, the Christmas Poo / Small and brown he comes from you / Sit on the toilet, here he comes / Squeezing 'tween your festive buns.» Man traut seinem Englisch nicht, aber genau das (und Schlimmeres) wurde in der Weihnachtsausgabe der Serie gesungen. «Man kann diesen Humor mögen», schreibt der Kritiker einer grossen deutschen Tageszeitung, «oder man kann ihn nicht mögen. Ich mag ihn nicht.» Ganz so tabufrei, wie wir es uns gerne einbilden, ist unser postpsychoanalytisches Zeitalter eben doch nicht. Die gelegentliche Zote geniesst in besseren Kreisen eine ähnliche Wertschätzung wie ein deftiges Sauerkrautgericht bei Gourmets, der Fäkalhumor jedoch hat in den langen Jahren nach dem Kindergartenalter keine Chance mehr. Die übermütige braune Wurst mit dem Südstaatenakzent («Mr. Hankey, der Weihnachtskot», heisst es in der RTL-Fassung viel zu erwachsen) schreckt vor keinem Abgrund der Infantilität zurück. «He's seen the love inside of you / 'Cause he is a piece of poo.» Entweder man schaltet den Fernseher aus, oder man wühlt mit Lust im Dreck und ist ab sofort für jede Schweinerei zu haben. Dabei sieht die Zeichentrickfilmwelt von «South Park» so unschuldig aus, wie sich Erwachsene die ungetrübte Kinderphantasie vorstellen. Durch die ewig verschneite Landschaft Colorados schieben sich der fette Cartman, der kluge Kyle, der spiessige Stan und der arme Kenny. Manchmal fliegen sie auch wie Bauklötzchen durch die Gegend, denn sie sind Kartonfiguren, wie Kinder sie gern ausschneiden. Und doch ist «South Park» nichts für Kinder: Das kindliche Milieu ist nur ein Trick, eine Art Hebelarm der Satire. Der verfressene, verwöhnte, cholerische Cartman etwa hat eine Schwäche für alles Deutsche, deshalb erscheint er zu Halloween mit Hakenkreuzbinde, schwarzer Haartolle und Hitlerschnäuzchen. Die Rektorin verknurrt ihn zu einem Educational video. Jedesmal, wenn Hitler eine Rede bellt, geht ein Strahlen über Cartmans mondrundes Gesicht. «Kann ich's nochmal sehen?» fragt er die Rekto- © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG rin begeistert, während sie ihm aus einem Leintuch ein Gespensterkostüm zu schneidern versucht, das dann aussieht wie die weisse Tracht des Ku Klux Klan. Kinder können nicht zynisch sein. Wenn es so aussieht, als könnten sie es, dann ist es jemand anders. Es gehört zu den Eigenheiten der amerikanischen Mediendebatten, dass die Satire über Gewalt mehr Anstoss erregt als die nackte Gewalt der ganz normalen Fernsehunterhaltung. Das Lachen befreit, besonders von der Moral – «Anästhesie des Herzens» hat der Philosoph Henri Bergson dieses subversive Potential einmal genannt. Spätestens seit der Schulschiesserei von Littleton, wo ein Freund der beiden Amokläufer in einem «South Park»-T-Shirt zur Vernehmung erschienen war, gerät «South Park» seitens der Family-Values-Fraktion zunehmend unter Beschuss. Dabei ist «South Park» ein Signal dafür, wie sicher Amerika sich derzeit fühlt: Bei den Tabus, die hier gebrochen werden, handelt es sich um genuin amerikanische Empfindlichkeiten. Pflichtpensum PC «Oh my God, they killed Kenny! You bastards!» In jeder Folge rufen die Kinder diesen Satz, denn in jeder Folge stirbt Kenny, das Alkoholikerkind, dessen muntere Rede in der stets zugezogenen Kapuze seiner orangen Windjacke erstickt. «Kenny's family is poor, and he doesn't mind», sagt Cartman, und Kennys Protest bleibt in der Kapuze hängen. Mit Kenny stirbt nicht nur Kenny, sondern der American Dream: das Versprechen, dass Armut kein Schicksal sei. Zum Pflichtpensum jeder amerikanischen Satire gehört im weiteren die Political Correctness. «Kyle, ich habe so oft dicker, dummer Jude zu dir gesagt. Das war nicht so gemeint. Du bist kein Jude», sagt Cartman in Kameradschaftslaune zu seinem Freund, als sie im Schützengraben sitzen und den Weltuntergang abzuwenden versuchen. «Ich bin aber einer. Ich bin Jude.» – «Nein, nein Kyle. Sei nicht so hart zu dir.» Kürzer und böser könnte man's nicht sagen. Über Juden darf man Witze machen, denn sie sind die erfolgreichste Minorität Amerikas. Schwarze jedoch sind selbst für «South Park» tabu. «Chef», der warmherzige Kantinenkoch und feurige Erotomane, ist der einzige Schwarze und gleichzeitig der einzige vernünftige Mensch im provinziell verrückten Städtchen South Park. Horror vor «dirty words» Die «South Park»-Macher Matt Stone und Trey Parker wollen weder anklagen noch die Welt verbessern. «Wir wollen nur witzig sein», sagen sie in Interviews. Genau deshalb ist ihre Satire so brillant: Je weniger der Spürsinn der Komik von einer politischen Absicht gestört wird, desto zuverlässiger findet er die wunden Punkte. «South Park» ist ein meta-medialer Cartoon, denn parodiert wird ein Unterhaltungstrend, für den die Serie selbst mitverantwortlich ist: jener stark körperbezogene Humor, den Männer zwischen siebzehn und fünfundzwanzig (das Traumpublikum der Werbestrategen!) unwiderstehlich finden. Dass die magischen Dirty Words von den Fernsehanstalten fein säuberlich weggebeept werden, scheint der Faszination keinen Abbruch zu tun. Der Film «South Park: Bigger, Longer And Uncut» wurde von dieser verklemmten Realität eingeholt, noch bevor er ins Kino gekommen war. «Asses of Fire» ist der Titel eines obszönen, infantilen Films im Film, den Jugendliche erst ab siebzehn sehen dürfen. Für das Quartett der schrecklichen Kinder ist es ein leichtes, sich ins Kino zu schmuggeln – als sie wieder herauskommen, sind sie verdorben. Mit Ausdrücken wie «donkey raping shit eater» oder «shitfaced cockmaster» bringen sie nicht nur im Film Kyles Mom auf die Barrikaden (sie wird mit ihrem Feldzug gegen Dirty Words schliesslich den dritten Weltkrieg heraufbeschwören), sondern auch die freiwillige Zensurbehörde der Motion Picture Association of America. Das Laiengremium, das analog zum Schwurgericht aus Eltern verschiedener Gesellschaftsschichten zusammengesetzt ist, hätte dem Film um ein Haar jenes Rating verpasst, das sonst Pornos und Brutalos vorbehalten ist. Dies nicht wegen der Gewaltszenen, sondern wegen der Dreckworte – eine Verlogenheit, die selbst so abgeklärte Geister wie Matt Stone und Trey Parker aus der Fassung bringt. Antwort auf Entertainment-Verblödung Kein Geringerer als Stephen Sondheim hält die Musical-Parodie «South Park: Bigger, Longer, And Uncut» für das beste Musical der letzten fünf Jahre. Das Kitschigste an Kitschfilmen ist die Musik. «South Park» schlägt virtuos zurück, mit sämtlichen Genres der Popmusik. Man denkt etwa an den filmmusikalischen Geniestreich in Lubitschs «To Be or Not to Be» – wer hätte gedacht, dass es so etwas noch gibt. Besondere Aufmerksamkeit gilt der familienfreundlichen Massenware aus dem Hause Disney. Im Film sehen wir einen handzahmen, unglücklich verliebten Satan, der in die Fänge des diabolischen Saddam Hussein geraten ist und nun als Sexobjekt herhalten muss. Er lässt seine Einsamkeitsarie von einem Felsvorsprung triefen – ein wörtliches Zitat aus Disneys «The Beauty and The Beast». Wie schon die Cartoon-Serien «The Simpsons» und «Beavis and Butthead» ist «South Park» eine Antwort auf die unaufhaltsame Verblödung des kommerziellen Entertainments. Hier wird dem Publikum wieder etwas zugetraut: Wo die Sitcoms dem Publikum mit eingeblendeten Lachern auf die Sprünge helfen, muss man in «South Park» aufpassen, dass einem die besten Pointen nicht entwischen. Mit dem Massenerfolg der Serie ist für einmal der Traum der Branche in Erfüllung gegangen. Was vielen gefällt, muss deswegen nicht schlecht sein. Die Spannung zwischen infantilstem Witzmaterial und avanciertester Dramaturgie gehört zu dem, was «South Park» zum Kunstwerk macht. «Oh my God, they killed – never mind», sagt Stan irritiert, als Kenny dem sicheren Tod eins ums andere Mal triumphierend von der Schippe hüpft (woraus man übrigens schliessen darf, dass Kenny um sein Schicksalsmotiv weiss). Es könnte durchaus sein, dass «South Park» – zusammen etwa mit den Stummfilmen Chaplins und Keatons, den anarchisch-surrealen Anti-Disney-Cartoons eines Tex Avery und natürlich den Monty Python – zu jener raren Unterhaltungskunst gehört, die den kommerziellen Erfolg überdauern wird. Die Frage ist allerdings, wie lange das Spiel mit dem Kommerz gutgehen kann. Mit dem Merchandising von «South Park» soll Comedy Central letztes Jahr bereits über hundert Millionen Dollar umgesetzt haben. Grossverdiener haben im Showbusiness (und anderswo) kaum je die Grösse zum Verzicht auf noch mehr Geld, man denke nur an «Die drei Tenöre». Um so höher muss man es Stone und Parker anrechnen, dass sie sich geweigert haben, den Film «jugendfrei» zurechtzuschneiden, «so it would make sh--loads of money», wie sie in einem Interview sagen. «We're still making a sh--load of money, so f-- 'em.» Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung FILM Freitag, 10.03.2000 Nr.59 68 Sieglinde Geisel © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 2