Kinder psychisch kranker Eltern – eine

Transcription

Kinder psychisch kranker Eltern – eine
Kinder psychisch kranker Eltern –
eine vergessene Klientel zwischen
Jugendhilfe und Psychiatrie?
Jörg M. Fegert
Ulm
Warum vergessene Klientel ?
‡
In Belastungs- oder Erkrankungssituationen wird
der erwachsene Elternteil als Einzelindividuum
angesehen
„
„
‡
Verknüpfung wird dem sozialen Netz des psychisch
kranken Elterteils überlassen
Verknüpfungsleistungen von Kindern werden häufig
weder berücksichtigt noch akzeptiert oder eingebunden
Befindet sich das Kind in der Belastungs- oder
Erkrankungssituation, dann
„
„
„
„
wird von den Ressourcen einer traditionellen
vollständigen Familie ausgegangen
Besuchszeiten
Elternmitarbeit
Insbesondere Rehamaßnahmen
Zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie
‡
Psychiatrie
„
„
‡
Jugendhilfe
„
„
‡
Schnelle Rehabilitation, frühe Entlassung baut
auf Angehörige zur Stabilisierung
In Abhängigkeit von Psychopathologie
schwankende Kompetenz, Zuverlässigkeit etc,
Krisen (Fallbeispiel erweiterter Suizid)
Elternverantwortung
Schwankender Hilfebedarf,
Kurzzeitmaßnahmen mit hohem
Betreuungseinsatz
Jugendpsychiatrie
„
„
Erhöhtes Risiko der Kinder
Folie à deux
„mündige Familie“
„Problemsituationen“
Reduzierung des
Verwaltungsaufwandes, der
Einmischung, Überwachung
und Kontrolle
Erkennen
Einvernehmliche Lösungen
Beraten, Informieren
Hilfen anbieten
Kontrollieren „Wächteramt“
Eltern berücksichtigen die
altersentsprechenden
Kindesinteressen
Spezifische Kindesinteressen
berücksichtigen
DEREGULIERUNG
SPEZIALISIERUNG
Aspekte früher Prävention in Familien mit
Risikokonstellationen
• Niedrigschwellige und aufsuchende Angebote
• Verknüpfung und Ergänzung unterschiedlicher Hilfen mit
Bausteincharakter
• spezifische und differenzierte Angebote für psychisch
kranke Eltern und Familien mit unterschiedlichen
psychozialen Risiken z.B. Komorbidität Sucht
• Angebote als Brücken zu folgenden
Entwicklungsherausforderungen
• Aufbau einer stabilen und verlässlichen Beziehung
• Angebote in entwicklungscharakteristischen Zeiten von
Offenheit (für Veränderung)
Kindliche Basisbedürfnisse und die
Berücksichtigung dieser Tatsachen in der UNKinderrechtskonvention
Basic need
Liebe und Akzeptanz
UN-Kinderrechtskonvention
Präambel, Art. 6;
Art. 12, 13, 14
Ernährung und Versorgung
Art. 27, Art. 26, Art. 32
Unversehrtheit, Schutz vor
Gefahren, vor materieller
emotionaler und sexueller
Ausbeutung
Art. 16, Art. 19,
Art. 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40
Bindung und soziale
Beziehungen
Gesundheit
Wissen und Bildung
Art. 8, 9, 10, 11;
Art. 20, 21, 22
Art. 24, 25, 23, 33
Art. 17;
Art. 28, 29, 30, 31
Beschriebene Risikosituationen
• geringes erhöhtes Risiko für Kinder aus
Einelternfamilien in Bezug auf Verhaltensund Schulleistungsproblemen (Graham et
al. 1999, Steinhausen et al. 1999), z. B.
Ontario-Child-Health-Study (Plum et al.
1988)
• höheres Risiko für Sozialstörungen aber
stärkere Armut und Abhängigkeit vom Sozialsystem bei Einelternfamilien als
Covariate
Sehr junge alleinerziehende Mütter
(Morash und Rucker 1989)
• deutlich erhöhtes Risiko von Delinquenz
bei den Kindern
• Farrington (1999) betont Bedeutung von
elterlichem Verhaltensvorbild, elterlichen
Streitbeziehungen, häufigen Wechsel der
primären Bezugsperson für die
Entstehung von delinquenten Verhalten
• Bindungsqualität
Kinder schizophrener Eltern
• Höhere Inzidenz von allgemeiner
Psychopathologie
– Kinder schizophrener Mütter 10-16%
Erkrankungsrisiko für Schizophrenie
– Quellen: Copenhagen high risk project; New
York high risk projekt, NIMH, finnische
Adoptionsstudie
– Vgl. Watson et al. 1999
Internalisierende Probleme
• Dunedin-Studie aus Neuseeland (Williams
et al. 1990. Mütterliche Depression)
• Sekundärpräventive Intervention zur
Steigerung der Bindungsqualität und
Feinfühligkeit bei jugendlichen Müttern
(Ziegenhain et al. 1999)
• Depression oder andere psychische Belastungen der Mutter zentraler
Verlaufsprädiktor bei sexuell
missbrauchten Kindern (Fegert et al.
1999)
Kinder von Eltern mit
Suchtproblemem
• Alkohol:
– FAS
– Verhaltensauffälligkeiten, Delinquenz (Reich
et al 1993)
– Hyperkinetische Störungen
– Emotionale Störungen und Sunstanzkonsum
• Drogen: Mischung biologischer und
sozialer Risiken
– Entwicklungsstörungen bei pränataler Cocain
und Heroinexposition
Anteil alleinerziehender Mütter in der
erwachsenenpsychiatrischen Ambulanz des Uniklinikums ULM
16%
28%
alleinlebend mit Kind
zusammenlebend mit Kind
alleinlebend ohne Kind
28%
zusammenlebend ohne
Kind
28%
Stichtag: Mitte 1. Quartal 2002
n = 83 Frauen
17 – 55 Jahre
§ 2 SGB IX Behinderung
• (1) Menschen sind behindert, wenn
ihre körperliche Funktion, geistige
Fähigkeit oder seelische Gesundheit
mit hoher Wahrscheinlichkeit länger
als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Sie sind von der
Behinderung be-droht, wenn die
Beeinträchtigung zu erwarten ist.
• (2) Menschen sind im Sinne des Teils
2 schwerbehindert, wenn bei ihnen
ein Grad der Behinderung von
wenigstens 50 vorliegt und sie ihren
Wohnsitz, ihren gewöhnlichen
Aufenthalt oder ihre Beschäftigung
auf einem Arbeitsplatz im Sinne des
§ 73 rechtmäßig im Geltungsbereich
dieses Gesetzbuches haben.
Body Functions &
Structures
Activities
Participation
Contextual Factors
Environmental Factors
(external influence on
functioning)
+
Personal Factors
(internal influence on
functioning)
Features of the
physical, social, and
attitudinal world
+
Attributes of the
person
Level of Functioning
Body
(body parts)
Individual
(person as a whole)
Society
(life situations)
Characteristics
Body function
Body structure
Performance of
individuals activities
Involvement in life
situations
Functional and structural
integrity
Activity
Participation
Facilitators
Impairment
Activity limitation
Participation
resrtriction
Barriers /
hindrances
Positive aspect
(Functioning)
Negative aspect
(Disability)
Qualifiers:
Uniform Qualifier: Extent or Magnitude
First Qualifier
Second Qualifier
Localization
Overview of components of ICIDH-2
Assistance
Subjective
satisfaction (under
development)
(under development)
Hilfen für behinderte oder von
Behinderung bedrohte Kinder
u
Grppe der
behinderten
Erwachsenen
Gleichstellung
mit anderen
Behinderten
Behinderung
und Teilhabe
SGB IX
Integration
Kinder
KJHG
SGB VIII
Hilfen für behinderte oder von
Behinderung bedrohte Kinder
Gleichstellung
mit anderen
Behinderten
Gruppe der
behinderten
Erwachsenen
Behinderung
und Teilhabe
SGB IX
Integration
Kinder
§39 BSHG
(überörtlicher Träger
für stationäre
Maßnahmen)
KJHG
SGB VIII
ca. 3,5 Mrd DM
§35a KJHG
örtlicher Träger
Nicht mehr Bezug auf Eingliederungshilfeverordnung,
sondern ICD 10
=
SGB V
Krankenbetreuung
Hochrisikosituationen für Kinder
• Schwere psychische Erkrankung der
Betreuungsperson
– Sucht und Drogen
– Depression, Suizidalität
– Schizophrenie
• Häufige Wechsel des Betreuungssettings
• Sozioökonomische Belastung
• Belastung durch Trennungsfolgen,
erzwungener Umgang etc.
• Belastung durch vorausgegangene
Traumata
• Belastung durch Behinderung oder
Beschreibung der Rostocker
Inanspruchnahme - Stichprobe
• n = 274 stationär behandelte Patienten der
Klinik für Kinder- u. Jugendneuropsychiatrie/
Psychotherapie der Universität Rostock aus
den Jahren 1998 und 1999
• n = 62 Kinder alleinerziehender Mütter
(22,6 %)
– Davon kapp 10% psychisch krank und über
40% suchtkrank (vs. 21% sonstige
Inanspruchnahme)
• n = 212Kinder aus vollständigen Familien
(77,4%)
Geschlecht
• n = 162 männliche Patienten (59,1 %)
• n = 112 weibliche Patienten (40,9 %)
Durchschnittsalter
• 12;11 Jahre (J/Mo) Kinder alleinerziehender Mütter
• 12;02 Jahre (J/Mo) Kinder aus vollständigen Familien
• n = 86 Kinder jünger als 11 Jahre
• n = 188 Kinder 11 Jahre und älter
Hältst du es vor anderen geheim, dass du in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie bist?
Mittelwerte
3
2
1
0
alleinerziehend (N = 62)
F = 3,853; p = .051
vollständige Familien (N = 179)
Motivationsskala: Einstellung zur Behandlung
40
Mittelwerte
30
20
10
0
F = 7,172; p = .008
F = 4,895; p = .029
Aufnahmezeitpunkt
4 Wochen später
alleinerziehend
vollständige Familien
Kenntnisstand bei Aufnahme
6
- ist eine Psychiatrie?
5
- Wer arbeitet in einer Was Psychiatrie?
Mittelwert
4
- Was glaubst du, warum du
aufgenommen wurdest?
3
2
1
0
Alleinerziehend
(N=63)
F = 4,783; p=.03
Vollständige Familien
(N=179)
Haben Deine Eltern mit Dir über die Psychiatrie und das, was auf Dich
zukommt, gesprochen?
50
N = 291
%
<14 Jahre
>14 Jahre
40
30
20
10
0
ja sehr
keine Angaben = 5 weiß nicht = 2
eher ja
teils teils
eher nein
überhaupt nicht
Organisationsebene z.B. SGB IX
• Unklare oder multiple Zuständigkeiten
bedingen zahllose Behördengänge
– Delegationsketten, behördliches St.
Florians-Prinzip
– Bearbeitungsfristen nach SGB IX : 3
Wochen (Entscheidung,
Weiterleitung…dann Vorleistung)
• Selbstbeschaffung der Hilfe durch
alleinerziehende Eltern nach nochmaliger
„angemessener Fristsetzung“ Rechtsanspruch
auf Erstattung (§§ 14 u. 15 SGB IX aber nicht
für BSHG und KJHG)
– Servicestellen, Globalbudgets
Problematik von „Vernetzung“
• Erkennen des Vernetzungsbedarfs
• Bereitschaft der zu vernetzenden (aller
Beteiligten) zu interagieren;
Voraussetzungen:
– Persönlicher Umgang
– Zeit- und Finanzressourcen für
Vernetzungsarbeit (beachte
Stellenbeschreibungen)
– Case-Management statt „Hin- und
Herschieben“
– Einbeziehung von Kindern
Erziehungsdefizit vs. Problem
des Kindes
• Anspruchsbegründung durch Defizit
– kann als stigmatisierend erlebt werden
– Streit um Definitionsmonopol
• „geeignet und notwendig“
• Aktive Nachfrage vs. Nachgehede
„Fürsorge“
• Zeitdimension
• Delegationsketten (behördliches
St.Floriansprinzip)
– Widersprüchliche Expertenrunden (z.B.
Erwachsenenklinik, Schule vs. Jugendhilfe)
Klassifikation von Hilfen Sinne der Vorrangigkeit der Kostenträger
Art der Maßnahme
Gesetzliche Grundlage
Eigenleistungen der Familie,
Selbsthilfegruppen
Spezielle Beschulung
subsidiäre
Rangfolge
ärztl. Behandlungen
-ambulant
-teilstationär
-stationär
und Behandlungen durch
Heilhilfsberufe
-Logopädie
-Krankengymnastik
-Ergotherapie
Leistungsträger
Eigene Ressourcen
Ländergesetze
Kultusbehörde
gesetzl.
Krankenversicherung
bis zu gewissen
Leistungsgrenzen
SGB V
RehaAnglG
Versorgung mit orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln
Hilfen zur Pflege
SGB XI
(Pflegeversicherung)
Frühförderung
BSHG/KJHG=SGBVIII/
SGB IX
Sozialamt oder Jugendamt
Hilfen zur Erziehung
Eingliederungshilfe für seelisch
behinderte Kinder
Eingliederungshilfe für
körperlich und geistig behinderte
Kinder vorrangig KJHG
KJHG= SGB
VIII
Jugendamt
SGB VIII
SGB IX
BSHG
Sozialamt
Kooperationsmodell ambulant
•
Ambulante Vorstellung
– auf Eigeninitiative
– zugewiesen durch JA
Diagnostik und
Information über
Ergebnisse
Wenn nein: Frage
erzieherischer Bedarf:
§§27 ff Hilfeplanung
Psychische Störung nach ICD 10 ja/nein
Wenn ja: 6 Monatskriterium;
Beeinträchtigung bei Teilhabe?
In Konfliktfällen Hilfekonferenz
Ärztliche Stellungnahme
Datenschutz und Einwilligung
Ergebnis multiaxiale Diagnostik
Realisierter Untersuchungsplan
Konkrete Teilhabebeinträchtigung
Umsetzung der Hilfe
Forderungen
• Spezifische Qualitätssicherung beim Umgang mit psychisch
kranken Eltern und ihren Kindern
• Strukturqualität
– Beschreibung der lokalen Strukturen
– Analyse, welche immanenten Voraussetzungen mit der spezifischen
Lebenssituation inkompatibel sind
• Prozessqualität
– Differentielle Beschreibung der Behandlungs- bzw. Hilfeprozesse und
ihre Auswirkung auf das Familiensystem
• Ergebnisqualität
– Unterschiedliche Outcomes
– Längere Behandlungszeiten/kürzere Behandlungszeiten
– Tatsächliche Umsetzung von Hilfen bzw. Realisierung von
Ansprüchen
Ziele eines verbesserten Umgangs
• Analyse spezifischer Faktoren der
Benachteiligung durch multiple
unüberschaubare Behördenzuständigkeiten
• Risikofaktoren in spezifischen
Belastungssituationen, Wächteramt
• Case-Management unter Nutzung der
vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten
zur Mobilisierung diverser Ressourcen
• Koordination von Hilfen und Maßnahmen
• Beschreibung und Anpassung der
Versorgungsstruktur unter
Berücksichtigung subjektiver
Vorurteilsstrukturen
Entwicklungspsychologisches Beratungsmodell Projektvorhaben
Entwicklung eines entwicklungspsychologischen
Curriculums
ÎFörderung der frühen Eltern-Kind-Beziehung
ÎPrävention von Verhaltensauffälligkeiten und
Entwicklungsstörungen
Îniedrigschwellig
Îkurzfristig durchführbar
Îzeitlich begrenzt
Îflexibel in unterschiedlichen Praxisfeldern und
institutionellen Hilfestrukturen integrierbar
Beratungsmodell, 2001 (Zi)
Entwicklungspsychologisches Beratungsmodell Projektvorhaben
Entwicklung eines entwicklungspsychologischen
Curriculums
Inhaltliche Schwerpunkte
ÎDiagnostik kindlichen Regulationsverhaltens
ÎDiagnostik der Eltern-Kind-Interaktion
Vermittlung über
ÎVerhaltensbeobachtungstraining
Beratungsmodell, 2001 (Zi)
Ergebnisse früher Beziehungsförderung in sozial
benachteiligten Familien
Verbesserte allgemeine soziale Kompetenzen der Mütter /
positive soziale Interaktion
(Barnard, Morriset & Spieker, 1993; versus wissensvermittelnd/didaktisch)
Verbessertes feinfühliges, positiv stimulierendes Verhalten
der Mütter (Erickson, Korfmacher & Egeland, 1992)
Verbesserte emotionale Beteiligung der Mütter frühgeborener Kinder (Beckwith, 1988)
Positive Bindungsentwicklung bei Kindern depressiver
Mütter (Lyons-Ruth, Connell, Grunebaum & Botein, 1990)
Positive Bindungsentwicklung bei hoch-irritablen Kindern
und verbessertes feinfühliges Verhalten der Mütter
(van den Boom, 1991, 1994, 1995)
Ziegenhain, 2001
Stützung psychisch kranker
Eltern; Kooperation
Fordern Sie Kooperation ein
Fragen Sie im ASD , in der Klinik etc. nach
(bei Unsicherheit über Zuständigkeiten)
Machen Sie deutlich, warum Sie sich „einmischen“
Machen Sie Ihre Aktivitäten aktenkundig
Fragen Sie nach („Wann kann ich wieder anrufen?“)
Behalten Sie Ihre (professionelle) Verantwortung
Stützen Sie die Eltern (Einfordern ihrer Rechte)
Struktur der Kurselemente
Bindungstheorie
Säuglingsforschung
Kind
Modell der
Passung
Entwicklungsprobleme
und -störungen
Eltern
Grundelemente
und Prozess
der Beratung
Entwicklungspsychologische Beratung
Klinische Entwicklungspsychologie
Entwicklungspsychologische Grundlagen
Kooperation und
Implementierung
Universitätsklinikum Ulm, Klinik und Poliklinik für KJPP/ „Entwicklungspsychologisches Beratungsmodell“/Mauri Fries et al./ Stand : Oktober 2001