Kontrolliertes Trinken als Behandlungsziel

Transcription

Kontrolliertes Trinken als Behandlungsziel
Berner Fachhochschule
Hochschule für
Sozialarbeit HSA Bern
Institut für Sozialplanung und Sozialmanagement ISS
Länggassstrasse Postfach 6564
3001 Bern
Telefon 031 300 35 55
Telefax 031 300 35 56
Kontrolliertes Trinken als Behandlungsziel –
Bestandesaufnahme des aktuellen Wissens
Literatur- und Expertenbericht zum Modul A der dreiteiligen wissenschaftlichen Studie
„Kontrolliertes Trinken – Bestandesaufnahme und Umfrage zur Akzeptanz und Praxisumsetzung als Behandlungsziel“
Harald Klingemann (Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern, Schweiz)
Robin Room (Center for Social Research on Alcohol and Drugs, Stockholm University, Stockholm, SE)
Harold Rosenberg (Psychology Department, Bowling Green State University, Bowlin Green, OH, USA)
Sina Schatzmann (Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern, Schweiz)
Linda Sobell (Center for Psychological Studies, Nova Southeastern University, Ft. Lauderale, FL, USA)
Mark Sobell (Center for Psychological Studies, Nova Southeastern University, Ft. Lauderale, FL, USA)
Ein Projekt im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit und in Zusammenarbeit
mit der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen (EKA)
Vertrag Nr. 02.001548/2.24.02-184 & Vertrag 04.001356/2.24.02-184
Bern, Dezember 2004
2
Die Autoren
Prof. Dr. Dr. h.c. Harald Klingemann, Projektverantwortlicher, ist dipl. Volkswirt sozialwissenschaftlicher Richtung und Leiter der Sparte angewandte Forschung an der Hochschule für Sozialarbeit HSA
Bern. Er war unter anderem verantwortlich für die Projekte ISDATS (International Study of the Development of Alcohol Treatment Systems) und ISDRUTS (International Study of the Development of Drug
Treatment Systems) sowie für zahlreiche Studien im Suchtbereich auf nationaler Ebene (Klingemann &
Takala, 1987; Klingemann, Takala et al., 1992; Klingemann & Hunt, 1998; Klingemann & Bergmark,
1999)1. Seine langjährige soziologische Forschungserfahrung insbesondere an der Schnittstelle zwischen dem Selbstheilungsphänomen und professioneller Intervention und detaillierte Kenntnisse des
Suchtberatungs- und Behandlungskontextes in der Schweiz, ergänzen die Perspektive der klinischen
Psychologie, welche durch die KoautorInnen Mark und Linda Sobell und Harold Rosenberg eingebracht wird sowie die sozialhistorische Problemsichtweise von Robin Room (vgl. die folgenden AutorInnenstichworte).
Prof. Dr. Robin Room, Soziologe, ist Professor und Direktor des SoRAD (Center for Social Research
on Alcohol and Drugs) an der Universität von Stockholm (Schweden). Er war langjähriger Leiter der
Alcohol Research Group bzw. Addiction Research Group in Berkeley (USA) und in verantwortlicher
Position an der ehemaligen Addiction Research Foundation (ARF) in Kanada tätig. Als Träger des Jellinek Preises und anderer akademischer Auszeichnungen zählt er zu den führenden Alkoholforschern.
Bereits bei der ARF, vor allem auch auch in seinem Wirkungsfeld bei SoRAD zählt die Analyse von
Behandlungssystemen zu seinen Hauptinteressen. So zeichnete er sich etwa verantwortlich für Studien zum „social handling“ von Alkohol- und Drogenproblemen, zu „informal responses“ und „treatment systems“, zur Entwicklung und Funktion von „alcohol and drug control systems“ sowie zu (inter-)
kulturellen Aspekten des Alkoholkonsums (z.B. Room, 1998; Room, 2000; Room, 2001; Demers,
Room et al., 2001). Im Beitrag des vorliegenden Berichts kommt seine fundierte wissenschaftshistorische Expertise am Beispiel des ideengeschichtlichen Wandels, in welchen sich das Thema KT einbetten lässt, zum Tragen.
Prof. Dr. Harold Rosenberg, dipl. Klinischer Psychologe, ist Professor für Psychologie an der Bowling
Green State University in Ohio (USA). Seit über 20 Jahren setzt er sich im Bereich der Therapie- und
angewandten klinischen Forschung mit dem Thema Alkoholabhängigkeit auseinander (z.B. Rückfall=
1
Detaillierte Angaben zu den Literaturreferenzen dieses Abschnitts befinden sich im Literaturverzeichnis Kapitel 1
(Einleitung)
3
problematik, Screening-Verfahren, „behavioral assement of alcohol problems“, Prävention bei Fahren
in angetrunkenem Zustand, Erfolgserwartungen bei Alkoholtherapie, Kontrolliertes Trinken als Behandlungsziel). Seine Forschung zu KT umfasst vor allem Umfragen bei Behandlungsanbietern hinsichtlich
der Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken in den USA, Kanada und England (Rosenberg, Melville et al.,
1992; Rosenberg & Davis, 1994; Rosenberg, Devine & Rothrock, 1996). Zu seinen in diesem Zusammenhang relevanten Veröffentlichungen zählt eine umfassende Literaturübersicht zu KlientInnenCharakteristika in Zusammenhang mit KT und ein entsprechendes Reviewkapitel zu KT in der „Encyclopedia of Psychotherapy“ (Rosenberg, 1993; Rosenberg, 2002).
Lic. phil. Sina Schatzmann, dipl. Sozial- und Entwicklungspsychologin, ist wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern (Schweiz). Sie ist als Projektmitarbeiterin an der
Durchführung des Gesamtforschungsauftrages zum Kontrollierten Trinken beteiligt und konnte Erfahrungen im Rahmen weiterer Studien im Suchtbereich sammeln (z.B. Wicki, Schatzmann et al., 2001;
Nett, Schatzmann et al., 2003a/b; Nett & Schatzmann, 2004).
Prof. Dr. Linda Sobell und Prof. Dr. Mark Sobell, Professoren für Psychologie am Center for Psychological Studies der Nova Southeastern Universität in Fort Lauderale (USA), sind international bekannt als
Pioniere in der Erforschung des Kontrollierten Trinkens und lösten in den 1970er Jahren heftige Kontroversen um dieses Thema aus. Als „landmark“ ihrer Tätigkeit gilt die Studie „Individualized behavior
therapy for alcoholics (IBTA)“ (Sobell & Sobell, 1973a; Sobell & Sobell, 1973b; Sobell & Sobell, 1976).
Es handelte sich dabei um die erste Studie überhaupt, die in den USA KT als Behandlungsziel unter
kontrollierten Bedingungen untersuchte. Sobell und Sobell zählten zu den ersten, die für die spezifische Zielgruppe der „ProblemtrinkerInnen“ KT als ein adäquates Behandlungsziel vorschlugen (Sobell
& Sobell, 1975; Sobell, M. 1978a; Sobell, M., 1978b, Sobell & Sobell, 1978). Ihre Beiträge im vorliegenden Bericht stellen daher die Gelegenheit zu einer rückblickenden und an die aktuellen Entwicklung angepasste Bilanzierung zum KT dar.
4
Inhaltsverzeichnis / Contents
1 Einleitung ................................................................................................................. 7
2 Ein kurzer Rückblick auf die Entstehung des Kontrollierten Trinkens..................... 15
2 A Brief History of Controlled Drinking ..................................................................... 21
3 Begriffe und Definitionen ........................................................................................ 29
3.1
Terminologie ..................................................................................................................... 29
3.2
Definitionen ....................................................................................................................... 31
3.3
Schadensreduzierung ........................................................................................................ 33
3 Semantics and Definitions ...................................................................................... 35
3.1
Terminology ...................................................................................................................... 35
3.2
Definitions ......................................................................................................................... 37
3.3
Harm Reduction ................................................................................................................ 38
4 Theoretische Erläuterungen zum Kontrollierten Trinken......................................... 41
4.1
Lernprinzipien.................................................................................................................... 42
4.2
Verhaltensautomatismen.................................................................................................... 43
4.3
Kognitionsmodelle ............................................................................................................. 44
4.4
Ein integrativer Ansatz: Erklärung von Kontrolliertem Trinken mittels einer adaptierten Version
des „Kognitiv-behavioralen Rückfallmodells“ nach Marlatt ................................................... 45
4.5
Psychoanalytischer Ansatz................................................................................................. 49
4.6
Schlussfolgerung ............................................................................................................... 49
4 Theoretical explanations for controlled drinking ..................................................... 51
4.1
Learning principles ............................................................................................................ 51
4.2
Automaticity of Behavior .................................................................................................... 53
4.3
Cognitive models ............................................................................................................... 53
4.4
An integrative approach: Adapting Marlatt’s cognitive-behavioral re-lapse model to explain
controlled drinking ............................................................................................................. 54
4.5
Psychoanalytic approach ................................................................................................... 58
4.6
Conclusion ........................................................................................................................ 58
5 Internationale Forschung - Zielgruppen .................................................................. 61
5.1
Indikationen und Zielgruppen ............................................................................................. 61
5.2
Zusammenführung mehrerer Prognosefaktoren................................................................... 64
5
5.3
Vorteile der Option Kontrolliertes Trinken in der Therapie..................................................... 65
5.4
Internationale Forschung zur Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken ..................................... 67
5 International research – Target groups ................................................................... 69
5.1
Indications and target groups ............................................................................................. 70
5.2
Integrating multiple predictors ............................................................................................ 72
5.3
Advantages of offering controlled drinking in treatment ....................................................... 73
5.4
International Research on Acceptance of Controlled Drinking .............................................. 74
6 Forschungs- und Diskussionsstand zum Kontrollierten Trinken in der Schweiz und
ausgewählten Nachbarländern................................................................................... 80
6.1
KT-Forschung in der Schweiz ............................................................................................ 80
6.2
Wege zum KT: Methodenforschung - Interventionstechniken und Praxiserfahrungen ............ 88
6.3
Alkoholismuskonzepte im Widerstreit: Die Debatte um das KT in der Schweiz und Deutschland
......................................................................................................................................... 98
6.4
KT in der Schweiz im Spiegel der Expertenmeinungen ...................................................... 107
6.5
KT auf dem Hintergrund der Suchtbehandlungssysteme im Wandel................................... 113
7 Klinische Aspekte ................................................................................................. 123
7.1
Kontraindikationen........................................................................................................... 123
7.2
Therapiezielbestimmung und Limiten ................................................................................ 124
7.3
Trinkumgebung ............................................................................................................... 125
7.4
Bedeutung des Ziels und Vertrauen .................................................................................. 126
7.5
Therapieziel-Gespräch mit der Klientel.............................................................................. 126
7.6
Einstellung des/der TherapeutIn ....................................................................................... 128
7.7
Pharmakoligische Interventionen ...................................................................................... 128
7 Clinical Issues ...................................................................................................... 130
7.1
Contraindications ............................................................................................................ 130
7.2
Goal Choice and Limits .................................................................................................... 131
7.3
Drinking Context .............................................................................................................. 132
7.4
Goal Importance and Confidence ..................................................................................... 133
7.5
Discussing Goals with Clients........................................................................................... 133
7.6
Therapist Orientation ....................................................................................................... 134
7.7
Anti-craving substances ................................................................................................... 135
8 Kontrolliertes Trinken als moralische Leistung und Sozialprogramm .................... 139
8.1
Die moralische Wertung von Kontrolliertem oder Gemässigtem Trinken ............................. 139
8.2
Kontrolliertes/Gemässigtes Trinken als moralische Leistung .............................................. 142
6
8.3
Weshalb gerade jetzt? ..................................................................................................... 145
8 Controlled Drinking as a Moral Achievement and a Social Program ...................... 148
8.1
The moral valence on controlled or moderate drinking ....................................................... 148
8.2
Controlled/moderate drinking as a moral achievement ...................................................... 150
8.3
Why now? ....................................................................................................................... 153
9 Anhang / Appendix................................................................................................ 158
Tabellenverzeichnis / Table index
Tabelle 1: Auswahl von Meilensteinen zur KT-Debatte in der Schweiz ........................................... 100
Tabelle 2: Herausgeber und Inhalte von KT-Materialien im Schweizer Internet................................ 104
Tabelle 3: Printmedien und Jahreszahlen von KT-Artikeln.............................................................. 105
Tabelle 4: ExpertInnen-Sample (N=11) ......................................................................................... 108
Abbildungsverzeichnis / Figure Index
Abbildung 1: Projektzeitplan ............................................................................................................ 9
Abbildung 2: Marlatt Modell ………………………………………………………………………………….48
Figure 3: Marlatt’s Model............................................................................................................... 57
Abbildung 4: Beurteilung von KT durch verschiedene Akteure in Prozent (n=45) ............................ 106
7
1 Einleitung
(H. Klingemann und S. Schatzmann)
In der Schweiz erfreut sich das Kontrollierte Trinken (KT) als Behandlungsziel in jüngster Vergangenheit zunehmenden Interesses. Insbesondere lässt sich auf nationaler Ebene in den letzten Jahren ein
starker Anstieg von KT-Therapieangeboten im ambulanten Sektor ausmachen. Die Relativierung des
Abstinenzparadigmas im Drogenbereich, die tendenzielle Schrumpfung des stationären Sektors und
die Akzeptanz des Schadensbegrenzungsansatzes strahlen auch auf das Alkoholbehandlungssystem
aus. Die Bereitschaft, kostengünstige, wenig invasive Therapien anzubieten, wird durch Mittelknappheit und Sparmassnahmen im Gesundheitssektor ganz allgemein verstärkt. Die Konzeption von Behandlung auf einem Kontinuum vom selbstorganisierten Ausstieg aus der Sucht bis hin zur spezialisierten Fachklinik erlaubt es, auf unterschiedliche Problemlagen einzugehen und die tradtionelle Fixierung auf Schwerstabhängige zu überwinden. Bezeichnend ist nun, dass diese Veränderungsprozesse
in der Behandlungspraxis kaum evaluiert und wissenschaftlich begleitet worden sind. Für ein evidenz
basiertes Vorgehen bei dem die Verfolgung von Therapiezielen, hier dem Kontrollierte Trinken, diagnose- und zielgruppengerecht erfolgt, fehlen bis anhin die Voraussetzungen. Teilweise herrscht eine begriffliche und konzeptuelle Unsicherheit und es liegen keinerlei Daten über die faktische Anwendung
und Umsetzung der Idee des Kontrollierten Trinkens in der Schweiz vor. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Ausschreibung des Bundessamtes für Gesundheit (BAG)2 auf Grundlage einer Projektskizze
„Kontrolliertes Trinken“ der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen (EKA) vom Februar 2002.
In dieser Skizze wird u.a. festgeshalten, dass „…die Diskussion in der Schweiz in Fachkreisen bisher
uneinheitlich und eher zurückhaltend geführt wurde … von Fachkreisen differenzierte Stellungsnahmen
bisher weitgehend fehlen … und die Diskussion durch den uneinheitlichen Gebrauch des Ausdrucks
‚Kontrolliertes Trinken’ erschwert wird“. Die Erteilung dieses Mandats an die Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern hat zum Ziel, den aktuellen Wissensstand zu KT zu erfassen, die Verbreitung, Akzeptanz und Umsetzung von KT als Behandlungsziel in der Schweiz empirisch zu untersuchen sowie
Empfehlungen auszuarbeiten, die für die Praxis direkt handlungsleitend sein können. Die Studie ist
modular aufgebaut:
Modul A: Bestandesaufnahme des aktuellen Wissens zu KT als Behandlungsziel
Ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam erarbeitet einen umfassenden Überblick über
den Stand des Wissens auf dem Gebiet des Kontrollierten Trinkens. Besonderes Augenmerk wird
=
2
Vgl. Projektausschreibung vom Bundesamt für Gesundheit BAG vom 23.01.02
8
dabei auf konzeptuelle und begriffliche Klärungen, theoretischen Erklärungsmodellen und die klinischen Umsetzungspraxis gelegt. Zur Vertiefung der Situationsbeurteilung in der Schweiz, werden ausgewählte Expertenmeinungen zusätzlich herangezogen.
Modul B: Umfrage zur Akzeptanz und Praxisumsetzung von KT als Behandlungsziel
Die Leitungsteams der sich im Alkoholbereich befindenden ambulanten und stationären Institutionen
werden vom Forschungsteam der HSA Bern schriftlich befragt, um die Bekanntheit, Akzeptanz und
behandlungspraktische Relevanz des KT Konzepts in der Schweiz erstmals repräsentativ zu erheben
(N= ca. 300). Es geht insbesondere darum die Umsetzungspraxis von KT näher zu beleuchten, beispielsweise welche Zielgruppe laut Meinung der Befragten für das Behandlungsziel KT in Frage kommt
oder welche (Kontra-)indikationen bei der Therapieauswahl Berücksichtigung finden. Prof. Dr. Harold
Rosenberg leistet bei der Durchführung des Surveys als Experte Unterstützung; es werden soweit
angebracht, Erhebungsinstrumente verwendet, die einen späteren Vergleich mit ausländischen Studien erlauben.
Modul C: Erarbeitung von Empfehlungen mit handlungsleitendem Charakter für die Praxis
Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Module A und B wird im Rahmen von Fokusgruppen ein
Empfehlungskatalog erarbeitet, der als Grundlage für fachliche Aufklärung, Weiterbildung und Präventionsbelange dienen kann. Die Fokusgruppen setzten sich aus Expertinnen und Experten mit Tätigkeit
im Schweizer Suchtbereich zusammen, welche bereits zum grössten Teil als kompetente Auskunftspersonen im Rahmen des Moduls A beansprucht worden waren.
Für die Durchführung des Forschungsprojekts ist eine Laufzeit von insgesamt zwei Jahren vorgesehen
(vgl. Abb. 1). Der vorliegende Bericht beinhaltet die Ergebnisse der Literaturanalyse (Modul A), jedoch
ohne Schlusskapitel (Fazit und Empfehlungen) und ohne Executive Summary. Diese Teile werden erst
gegen Projektende (Oktober 2005) veröffentlicht, damit Ergebnisse der Module B und C Berücksichtigung finden können.
9
2003
Modul A
2004
2005
Erarb.
Exec.
Summ.
Erarbeitung Literaturreview
Modul B
Modul C
Durchführung Survey
und
Berichterstattung
Erarbeitung
Empfehlungskatalog
Abbildung 1: Projektzeitplan
Der vorliegende Bericht setzt sich nebst der Einleitung aus sieben weiteren Kapiteln zusammen. Auf
ein eigenständiges Kapitel mit Schlussfolgerungen (Fazit und Empfehlungen) wurde mit Blick auf die
erst geplanten Surveys und Fokusgruppendiskussionen bewusst vorläufig verzichtet. Für die Leserschaft ist es wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass, mit Ausnahme des Kapitels sechs über die Verhältnisse in der Schweiz und in Deutschland, die übrigen Kapitel jeweils vom englischsprachigen Original begleitet sind. Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle der Diplomübersetzerin Frau Karin
Stutz, welche sich der Aufgabe der nicht immer leichten Übersetzung der Fachbeiträge der amerikanischen KollegInnen angenommen hat sowie den Expertinnen und Experten, welche geholfen haben,
die Situation in der Schweiz zu charakterisieren und bereit waren, im Rahmen eines kleinen Vernehmlassungsverfahrens nochmals kurz Rückmeldung zu geben.
Es folgt ein kurzer kursorischer Überblick über den Inhalt des vorliegenden Berichtes. Im Kapitel zwei
wird ein kurzer historischer Abriss der wissenschaftspolitischen Diskussion um das Thema „Kontrolliertes Trinken in Nordamerika“ geboten, welche dann später, zumindest teilweise, auch in Europa
rezipiert wird. Zu den Landmarkstudien, welche das Abstinenzparadigma in Frage stellten und die
Diskussion eröffneten, zählen die Studien von Davies (1962), Pattison (1966) und den Sobells (1973a;
1973b) in Kanada, welche Erfolge von nicht-abstinenzorientierten Therapien dokumentieren und plausibel machen. Gestützt wurde dieser Perspektivenwechsel durch die Publizierung erster epidemiologischer Studien in den 70er Jahren, welche fliessende Übergänge und Differenzierungen in der Alkoholproblematik deutlich machten. Im Lichte dieser Ergebnisse erschien die einseitige Ausrichtung des
Therapieangebotes auf Schwerstabhängige wenig bedürfnisgerecht. Dennoch stiess die Infragestellung des deterministischen Krankheitskonzeptes auf erbitterten Widerstand bis hin zum Versuch die
Sobells der wissenschaftlichen Unredlichkeit zu bezichtigen. Bis zum heutigen Tage sind daher in den
USA Studien zu Kontrolliertem Trinken nach wie vor „politisch eher unkorrekt“. Die Schärfe der emoti-
10
onalen Debatte, welche in diesem Kapitel Revue passiert, mag heute verwundern, ist aber angesichts
der Dominanz der AA (Alcoholics Anonymous) im amerikanischen Therapiesystem vielleicht doch verständlich. Auf wissenschaftlicher Ebene wurde in einem aktuellen Reviewartikel von Miller et al. (2003)
nachgewiesen, dass Kurzinterventionen die am häufigsten mit positivem Ergebnis evaluierte Therapieform sind. Beim bekannten multizentrischen Projekt MATCH (Allen et al., 1999) konnte ebenfalls kein
Zusammenhang zwischen Therapieintensität und Therapieerfolg festgestellt werden. Es wird so die
Frage nach dem Potential von Kurzbehandlungen auch mit Blick auf die schwer abhängigen PatientInnen aufgeworfen, welche dann in späteren Kapiteln noch genauer aufgegriffen wird.
Auf dem Gebiet des Kontrollierten Trinkens wird die Debatte zusätzlich durch terminologische und
semantische Unschärfen erschwert. Im Kapitel 3 werden dementsprechend zunächst unterschiedliche
Termini für den Konsum von kleineren Mengen Alkohol diskutiert und auf ihre analytische Brauchbarkeit bewertet, wie etwa die Abgrenzung des Kontrollierten vom Sozialen Trinken. Als brauchbarste
Begriffe erscheinen „light drinking“ und „Risikoarmes Trinken“. Passend hierzu werden Mengen und
Häufigkeitsregulierungen erörtert – in der Regel epidemiologisch abgeleitet – und schliesslich Schadensreduzierung als mögliches therapeutisches Zwischenziel umrissen. Die Argumentation mündet in
die Propagierung abgestufter Behandlungsstrategien.
Die theoretischen Erläuterungen zum Kontrollierten Trinken im Kapitel 4 setzen sich kritisch mit dem
„Mythos der Gleichheit aller AlkoholikerInnen“ und einer angeblich neurologisch bedingten Irreversibilität des Alkoholismus auseinander. Zu den theoretischen Bezugsrahmen für die Rückkehr zum kontrollierten Trinken zählen die Basismechanismen der operanten Konditionierung und Lerntheorie, kognitive erwartungsorientierte Modelle, Ansätze zur Erklärung und Veränderung automatisierter Verhaltensweisen und psychoanalytische Erwägungen, welche auf die subjektive Funktionalität der Sucht abstellen und Selbstheilung verständlich machen. Das Kapitel wird mit der Vorstellung des einflussreichen
integrativen Modells von Marlatt (Marlatt & Gordon, 1985) abgeschlossen, welches sowohl kognitive
als auch verhaltenstheoretische Elemente prozesshaft modelliert.
Die Frage, wodurch sich Untergruppen und situative Kontexte auszeichnen, welche die Kontrolle des
Alkoholkonsums begünstigen und inwiefern Kontrolliertes Trinken als Therapieziel in der Behandlungspraxis akzeptiert worden ist, wird im internationalen Forschungsüberblick des Kapitels 5 behandelt. Bei der Indikation von Zielgruppen und Korrelaten des Kontrollierten Trinkens liegen empirische
Befunde zu folgenden Kriterien vor, welche entsprechende Erfolgsraten beeinflussen: Schweregrad
der Abhängigkeit, Gesundheitszustand der KlientInnen, Selbstkonzeptualisierung bzw. Rollenübernahme, PatientInnenmitwirkung bei der Therapiezielbestimmung, soziale Unterstützung und Vorbilder
sowie Alter und Geschlecht. Im zweiten Teil des Kapitels werden die Vorteile der Übernahme von Kontrolliertem Trinken als Therapieziel im Behandlungskontext zunächst ganz allgemein abgehandelt und
11
dann eine internationale Übersicht über die Akzeptanz oder Ablehnung von Kontrolliertem Trinken bei
verschiedenen Akteuren des Behandlungssystems geliefert. Generell kann vor allem im stationären
Bereich eine viel grössere Skepsis als im ambulanten Sektor festgestellt werden. Im Gegensatz zu
Nordamerika zeigen jedoch Befragungsergebnisse in Australien und westeuropäischen Ländern eine
relative breite Akzeptanz des Kontrollierten Trinkens als ein mögliches Behandlungsziel.
Eine umfassende Aufarbeitung des Standes der Diskussion um Kontrolliertes Trinken in der Schweiz
und im benachbarten deutschsprachigen Raum findet sich in Kapitel 6. Dieses stützt sich nicht allein
auf Literatur- und Berichtsauswertungen sondern zusätzlich auf die Befragung von elf Expertinnen und
Experten aus Behandlung, Prävention und Wissenschaft sowie eine kursorische Analyse der themenspezifischen Medienberichterstattung. Im Unterschied zum benachbarten Deutschland ist hier die
Diskussion nüchterner geführt und bereits in den 70er Jahren aufgegriffen worden. Im Einzelnen referiert das Kapitel Schweizer Katamnesestudien aus dem stationären Bereich, aber auch SAMBAD Daten (Statistik der ambulanten Behandlung und Betreuung im Alkohol- und Drogenbereich) zur Therapiezielwahl und beleuchtet diese hinsichtlich ihrer Relevanz für Kontrolliertes Trinken als Therapieergebnis. Je nach Definition scheint aus klinischer Perspektive KT für etwa 6 bis 30 Prozent der PatientInnen geeignet. Übereinstimmend mit den internationalen Befunden herrscht eher die Ansicht vor,
dass dieses Therapieziel eher für den ambulanten Bereich relevant und eine Einübung im stationären
Rahmen wohl ausgeschlossen sei. Die Medienanalyse ergibt während der letzten drei Jahre ein verstärktes Interesse an der Thematik und zeigt überdies, dass sich in Printmedien von den verschiedenen Akteuren, vor allem Angehörige gegenüber der Idee des Kontrollierten Trinkens skeptisch äussern. Bei der Vernehmlassung dieses Kapitels ging noch eine interessante präventionsrelevante
Rückmeldung ein: Situationsbezogenes KT als Therapieziel gewinnt besondere Bedeutung angesichts
des beträchtlichen Anteils episodischer Konsumenten. Diese epidemiologischen Erkenntnisse sind
auch in Kampagnen wie „Alles im Griff“ (Eidgenössisches Alkoholprogramm lanciert vom Bundesamt
für Gesundheit BAG) eingeflossen.
Während im Kapitel 4 eher die allgemeinen Voraussetzungen und Gruppenprofile erörtert wurden,
welche die Erfolgschancen des Einsatzes von KT Programmen beeinflussen, thematisiert Kapitel 7
Aspekte der klinischen Praxis, das heisst die konkrete Vorgehensweise bei der Therapiezielberatung.
Detailliert werden folgende Punkte erörtert: Aufklärung über medizinische und soziale Kontraindikationen, Therapiezielbestimmung und nähere Qualifizierung hinsichtlich der subjektiven Bedeutung und
Motivationsstärke, die Präzisierung von Limiten und Konsumbedingungen, Regeln für die Umsetzung
im Zeitverlauf (Modifizierbarkeit der Zielbestimmung, vorgeschaltete Abstinenzperiode ja oder nein,
Kontrolltipps für Impulsives Trinken) und die Einstellung der TherapeutInnen zum Kontrollierten Trinken
als Therapieziel.
12
Im Kapitel 8 beschreibt Robin Room das sozialhistorische, ideengeschichtliche Umfeld, in welches die
Idee vom Kontrollierten Trinken eingeordnet werden kann und verständlich wird: Als Kernbestandteile
der „Weltanschauung des Kontrollierten Trinkens“ gelten die Höherbewertung des Gemässigten Trinkens gegenüber Abstinenz, die negative Bewertung des Rausches und eine ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Interventionen auf dem Alkoholmarkt. Was die beiden ersten Aspekte betrifft, so
wird KT gewissermassen als tägliche Charakterprüfung des modernen Pilgers verstanden, eine moralische Leistung, die der Abstinente verweigert.
Bern, im Dezember 2004
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2 Ein kurzer Rückblick auf die Entstehung des Kontrollierten Trinkens
(M. Sobell und L. Sobell)
Vor 1962 war nur sporadisch und kaum beachtet in Fallstudien über Personen berichtet worden, die
nach einer Alkoholtherapie in der Lage waren, kleinere Mengen Alkohol ohne Folgeprobleme zu konsumieren (Pattison, Sobell & Sobell, 1977). Im Jahre 1962 jedoch publizierte der britische Arzt D. L.
Davies eine Studie über eine kleinere Anzahl PatientInnen, die sich nach einer abstinenzorientierten
Alkoholtherapie zu „normal“ Trinkenden entwickelt hatten (Davies, 1962). Davies hatte zwar ein paar
Jahre zuvor bereits Ergebnisse zu Gemässigtem Trinken publiziert (Davies, Shepherd & Myers, 1956),
doch der neu erschienene Artikel konzentrierte sich nun ausschliesslich auf genau dieses Therapieergebnis. Die Publikation löste eine hitzige und heftige Kontroverse aus, wohl in erster Linie, weil er darin
die Irreversibilität von Alkoholerkrankungen anzweifelte, einen der Grundpfeiler der damals vorherrschenden Konzeptualisierung von Alkoholproblemen. Gemäss dieser in den USA dominierenden Konzeptualisierung gelten alle Personen mit einem Alkoholproblem als „AlkoholikerInnen“, die sich biologisch von „Nicht-AlkoholikerInnen“ unterscheiden und an einer progressiven und irreversiblen Krankheit leiden (Pattison et al., 1977). Der dominierende 12-Schritte-Ansatz in der Alkoholtherapie basierte
in erster Linie auf der Krankheitseinsicht der betroffenen Person und der Akzeptanz ihrer für immer
währenden Unfähigkeit zu kontrolliertem Alkoholkonsum (McCaul & Furst, 1994). Der Bericht von Davies war weit mehr als eine weitere Therapieergebnisstudie – vielmehr hatte er mit einem Frontalangriff
auf die Richtigkeit der vorherrschenden Theorie der Alkoholproblematik zu deren Widerlegung angesetzt.
Zusätzliche Publizität erlangte das Thema, als die Herausgeber des Quarterly Journal of Studies on
Alcohol, in welchem der Artikel von Davies erschienen war, eine grössere Anzahl Kommentare zum
Artikel einholten und veröffentlichten. Besonders bemerkenswert unter den Erwiderungen waren Behauptungen, wonach Personen, die nach einer Phase von Alkoholproblemen zu einem problemfreien
Alkoholkonsum zurückfanden, ipso facto gar nie „echte” AlkoholikerInnen gewesen sein könnten, unabhängig vom Schweregrad des vormals festgestellten Alkoholproblems (Lemere, 1963). Mit grosser
Vehemenz wurde die Verbreitung entsprechender Ergebnisse bekämpft, mit der Begründung, sie
könnte unter AlkoholikerInnen eine Rückfallsepidemie auslösen, wenn diese – vergeblich – versuchten,
mit Mass zu trinken.
Mitte und Ende der sechziger Jahre wurde die Rolle der Abstinenz für die Bewältigung von Alkoholproblematiken durch Pattison kritisiert (Pattison, 1966). Er publizierte zwei Berichte über die Erfolge
von nicht auf das Ziel Abstinenz ausgerichteten Therapien (Pattison, Coe & Rhodes, 1969; Pattison,
Headley, Gleser & Gottschalk, 1968). Zu diesem Zeitpunkt war noch in keiner der publizierten Studien
16
Gemässigtes Trinken als Ziel gesetzt worden. Dies änderte sich Anfang der siebziger Jahre mit der
Publikation von zwei Berichten über Therapieprogramme zur Erzielung eines gemässigten Alkoholkonsums: Einem aus Australien (Lovibond & Caddy, 1970) und einem weiteren aus den USA (Sobell &
Sobell, 1973). Letzterer erregte besondere Aufmerksamkeit, vielleicht weil in den Medien darüber berichtet wurde, aber höchstwahrscheinlich aufgrund des umfassenden Follow-up, zu dem die Prüfung
von Aufzeichnungen über Verhaftungen und Verhalten im Strassenverkehr sowie die Befragung von
den PatientInnen nahe stehenden Auskunftspersonen beitrugen.
Da erste epidemiologische Studien erst Anfang der siebziger Jahre publiziert wurden, mangelte es in
der Literatur bis zu jenem Zeitpunkt weitgehend an einer Abhängigkeitsgrad-bezogenen Differenzierung. Diese ersten Studien zeigten nun aber, dass sich „AlkoholikerInnen” als Gruppe qualitativ nicht
eindeutig von Nicht-AlkoholikerInnen abgrenzen lassen, sondern dass vielmehr ein fliessender Übergang besteht: Viele erlebten gar keine Schwierigkeiten, bei einigen erreichten die festgestellten Probleme einen leichten bis mittleren Schweregrad und bei einer kleinen Gruppe bestand eine schwere
Abhängigkeit (Cahalan & Room, 1974; Pattison et al., 1977). Die meisten der angebotenen Therapien
waren, wie sich herauskristallisierte, auf Schwerabhängige ausgerichtet; PatientInnen mit einer geringeren Abhängigkeit überschritten hingegen nur selten die Schwelle klinischer Behandlung.
Erstmals wandte sich die Wissenschaft nun Menschen mit Alkoholproblemen, aber ohne schwere
Abhängigkeitsproblematik zu; es wurde spekuliert, dass sich diese besser für das Therapieziel KT
eigneten als schwer abhängige PatientInnen (Pattison et al., 1977). Bestätigt wurde dieser Eindruck in
einer britischen Studie, in welcher gezeigt wurde, dass Männer mit geringerer Abhängigkeitsschwere
mit einer kurzen Therapie (einmalige Sitzung) bessere Ergebnisse erzielten als mithilfe einer intensiveren Therapie (Standardbehandlung, variable Dauer), und dass sich bei dieser Gruppe überdies tendenziell eher Gemässigtes Trinken als Therapieergebnis ergab (Orford, Oppenheimer & Edwards,
1976). Ab etwa dem gleichen Zeitpunkt tauchen in der Literatur immer häufiger Berichte auf über erfolgreiche Kurzbehandlungen von PatientInnen mit einer weniger schweren Abhängigkeit (nachfolgend
als „ProblemtrinkerInnen” bezeichnet) und dem Therapieziel Gemässigtes Trinken, insbesondere über
das so genannte Miller’s program in den USA (Miller & Joyce, 1979; Miller & Taylor, 1980). Dies war
erst die Vorhut einer ganzen Flut von Publikationen über das Therapieergebnis KT nach Kurzinterventionen bei ProblemtrinkerInnen, bei denen Gemässigter Alkoholkonsum als Therapieziel zugelassen
war (Bien, Miller & Tonigan, 1993; Heather, 1986; Heather & Robertson, 1983).
In der Zwischenzeit jedoch nahm die Kontroverse über das Therapieergebnis Kontrolliertes Trinken
eine unheilvolle Wendung und wurde weit aggressiver ausgetragen als 1962 bei der Publikation des
Artikels von Davies. Im Kreuzfeuer der Kritik stand die rund ein Jahrzehnt zuvor von Sobell und Sobell
(1973) publizierte Studie, welche das Therapieergebnis von schwer abhängigen PatientInnen mit The-
17
rapieziel KT zum Thema hatte. In der ursprünglichen Studie sowie in den Follow-ups (Caddy, Addington & Perkins, 1978; Sobell & Sobell, 1976) wurde berichtet, dass die Probanden, die mit Zufallsverfahren einer kognitiven Verhaltenstherapie mit dem Ziel KT zugewiesen worden waren, signifikant bessere Ergebnisse erzielten als vergleichbare PatientInnen, die ebenfalls mit Zufallsverfahren einer Standardtherapie mit Abstinenzziel zugeteilt worden waren. Interessanterweise konnten die Studienteilnehmenden mit dem Therapieziel Kontrolliertes Trinken im Follow-up eine erheblich höhere Anzahl
abstinent gelebter Tage vorweisen als die Teilnehmenden mit dem Therapieziel Abstinenz. 1982 wurden die Ergebnisse dieser Studie in der Literatur angezweifelt (Pendery, Maltzman & West, 1982), die
eigentliche Stossrichtung des Angriffs zielte jedoch auf Wissenschaftsbetrug ab (Marlatt, 1983).
In vier unabhängig voneinander durchgeführten Untersuchungen und einem Gerichtsverfahren konnte
den Sobells keinerlei Unregelmässigkeiten nachgewiesen und keine Grundlage für die Vorwürfe gefunden werden (Sobell & Sobell, 1984; Sobell & Sobell, 1989). Seltsam mutet jedoch nach wie vor an,
weshalb es bei einem derartigen Beweismangel überhaupt erst zu einem solchen Angriff hatte kommen können. In ihrer Replik auf die Vorwürfe wiesen die Sobells (1984) darauf hin, dass es in dieser
Auseinandersetzung um einen Kernkonflikt zwischen der wissenschaftlichen Alkoholismusforschung
und volkstümlichen Überzeugungen ging. Während langer Jahre war die vorherrschende Meinung
vom Gedankengut des Buches Alcoholics Anonymous (Anonymous, 1939) geprägt gewesen, dessen
Ansichten jedoch einer wissenschaftlichen Basis entbehrten (Pattison et al., 1977). Mit zunehmender
Erforschung der Alkoholismusproblematik wurde immer offensichtlicher, dass viele der AA-Ideen wissenschaftlich nicht belegbar waren, und es wurde angeregt, neue, wissenschaftlich begründbare Konzeptualisierungen zu entwickeln (Pattison et al., 1977). Die sorgfältig durchgeführte Studie der Sobells
mit dem für einige PatientInnen formulierten Therapieziel KT war nur ein Beispiel dafür, wie die herkömmliche Auffassung unter Beschuss geriet. Wäre es den GegnerInnen gelungen, die Studie der
Sobells zu Fall zu bringen, hätte man den Herausforderern damit nicht nur einen herben Rückschlag
versetzt, sondern ihnen vielleicht auch gleich das Rückgrat gebrochen.
Gemäss den Sobells nahm die Kontroverse einen für wissenschaftliche Revolutionen nicht ungewöhnlichen Verlauf (Kuhn, 1970), indem sich nämlich nicht allmählich ein Meinungswandel vollzog, sondern
sich die neuen Erkenntnisse in einem eigentlichen Meinungskampf durchsetzen mussten. Im vorliegenden Fall spielte sich dieser Kampf zwischen der Wissenschaft und der Populärwissenschaft ab.
Während zwar auf akademischer Stufe ganz klar die Wissenschaft als Siegerin hervorging, wurde den
Anschuldigungen auf der populärwissenschaftlichen Ebene ein weltweites Medienecho zuteil (Marlatt,
1983), ganz im Gegensatz zur mageren Berichterstattung über die Rehabilitierung der Sobells. Daraus
entwickelte sich die weit verbreitete Ansicht, die Anschuldigungen seien berechtigt gewesen, was
wiederum zu einer Drosselung der Forschung zum klar abgegrenzten Thema KT führte, oder zumindest die Untersuchungen bezüglich Gemässigten Trinkens als Therapieziel bei schwer abhängigen
18
PatientInnen (den Teilnehmenden der Studie der Sobells) dämpfte. Auch wer vom Freispruch der Sobells wusste, war sich im Klaren, dass – zumindest in den USA – Forschungsarbeiten zum Thema KT
die Karriere gefährden konnten. Miller (1983) konstatierte ganz klar den amerikanischen Beigeschmack dieser Ereignisse, denn in Grossbritannien und Kontinental Europa löste KT, von Deutschland vielleicht abgesehen, bei weitem nicht so hitzige Debatten aus.
Nach der Auseinandersetzung über die Studie der Sobells wurden die Forschungsarbeiten zur Therapie von ProblemtrinkerInnen – wenn auch weit zurückhaltender – fortgesetzt. Trotz allem fanden Miller,
Wilbourne und Hettema im Jahr 2003 heraus, dass Kurzinterventionen die am häufigsten evaluierte
Alkoholtherapie darstellten (Miller, Wilbourne & Hettema, 2003), obwohl diese Therapieart in der klinischen Praxis in den USA nur selten zur Anwendung gelangt (Rosenberg & Davis, 1994). Auf Einladung der Zeitschrift Addiction verfassten Sobells 1995 eine Zusammenfassung über den aktuellen
Stand der Forschungsliteratur zum Thema Kontrolliertes Trinken und zogen im Rahmen eines Leitartikels folgende drei Schlussfolgerungen aus den bis dahin verfügbaren Forschungsergebnissen (Sobell
& Sobell, 1995):
1. In der Rehabilitation von ehemals schwer alkoholabhängigen PatientInnen kommt der Abstinenz eine überragende Rolle zu.
2. Die Rehabilitation von PatientInnen mit einer nicht schwerwiegenden Alkoholabhängigkeit beinhaltet hauptsächlich Reduziertes Trinken.
3. Der Zusammenhang zwischen der Art des Therapieergebnisses und dem Schweregrad der
Abhängigkeit scheint sich unabhängig von den während der Therapie abgegebenen Empfehlungen einzustellen. (S. 1159).
Anders gesagt ergibt sich bei ProblemtrinkerInnen als Therapieergebnis hauptsächlich Gemässigtes
Trinken, und zwar unabhängig davon, ob dies zuvor als Therapieziel festgelegt worden war. (Die meisten ProblemtrinkerInnen versuchen eher, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren, als völlig auf Alkohol zu
verzichten, auch wenn ihnen gesagt wird, sie hätten abstinent zu leben.) Sich auf dieses Ergebnis
beziehend schlugen Sobell und Sobell (1993) vor, ProblemtrinkerInnen bei der Festlegung ihres Therapieziels freie Wahl zu lassen. Begründet wurde dies damit, dass die Vorgabe von Zielen offenbar
keinen Einfluss auf das Therapieergebnis hat und es Indizien dafür gibt, dass selbstverantwortlich
gewählte Ziele mit grösserem Engagement verfolgt werden als fremdbestimmte (Bandura, 1986).
Weiter haben sich in der Forschung bedeutsame Weiterentwicklungen mit Auswirkungen auf das Kontrollierte Trinken ergeben, deren Darstellung an dieser Stelle sinnvoll erscheint. Es gibt Studien, die
aufzeigen, dass Kurzinterventionen durch Ärzte in der Primärversorgung auch wirksam sein können,
19
um schwer Alkoholabhängige zu bestärken, ihren Konsum auf ein risikoarmes Mass zu reduzieren; KT
braucht dabei nicht unbedingt als Ziel deklariert zu werden (Fleming, Barry, Manwell, Johnson & London, 1997). Es wurde angeregt, dieses Vorgehen auf ProblemtrinkerInnen auszuweiten (Fleming &
Manwell, 1999). Der eingeschlagene Weg verspricht Erfolg, denn diese PatientInnen werden ausserhalb der üblichen Institutionen für Alkoholabhängige versorgt. Die überwiegende Mehrheit der Alkoholtherapien in den USA basieren auf dem 12-Schritte-Ansatz (McCaul & Furst, 1994). Da dieser Philosophie zufolge Menschen mit Alkoholproblemen dem Alkohol gegenüber „machtlos“ sind (Anonymous, 1939), behindert ein solcher Ansatz logischerweise die auf Gemässigtes Trinken ausgerichteten
Therapien. Dazu kommt, dass in den USA zahlreiche Mitarbeitende im Alkoholbereich als ehemalige
Alkoholabhängige selber eine Entzugsbehandlung hinter sich haben und jetzt abstinent leben, weshalb
ihnen die Betreuung von PatientInnen mit Therapieziel Gemässigtes Trinken zuwiderläuft. In Extremfällen können sie eine solche Begleitung sogar gänzlich verweigern. Dieser Sachverhalt ist höchst problematisch und steht einem breiten Angebot an Therapien mit dem Ziel Gemässigtes Trinken in etablierten Alkoholikerbetreuungsinstitutionen im Wege.
Der Mangel an Betreuungspersonal für auf KT ausgerichtete Therapien schlägt sich gemäss unseren
bisherigen Erkenntnissen bis zu einem gewissen Grad auch im Phänomen der Selbstheilung bei AlkoholikerInnen, d. h. der Heilung ohne Behandlung nieder. Dort wurde nämlich festgestellt, dass die
meisten Personen, die ihren Alkoholkonsum erfolgreich mässigen konnten, gar nie eine formelle Behandlung in Anspruch genommen haben (Sobell, Cunningham & Sobell, 1996).
Eine weitere, erst vor kurzem aufgeworfene Frage betrifft die Beschränkung des Therapieziels Gemässigtes Trinken auf ProblemtrinkerInnen. Ausgelöst wurden solche Überlegungen vor allem durch zwei
Studien. Eine dieser beiden spielte bereits bei der Erwägung von Kurzinterventionen bei ProblemtrinkerInnen eine wichtige Rolle. In ihrem Bericht aus dem Jahre 1976 analysierten Orford et al. Ergebnisdaten des zweiten Jahres und stellten fest, dass Menschen mit einem weniger schweren Abhängigkeitsgrad mithilfe von Kurztherapien bessere Ergebnisse erzielten und es ihnen tendenziell eher gelang, ihren Alkoholkonsum erfolgreich zu mässigen. Achtzehn Jahre später wurden die Daten dieser
Studie durch Edwards und Taylor ein weiteres Mal analysiert (Edwards & Taylor, 1994), wobei sie jedoch die Daten des ersten Follow-up-Jahres verwendeten. Die neue Analyse, von der man schon
aufgrund der zeitlichen Nähe einen stärkeren Niederschlag der Therapiewirkung erwarten würde,
konnte keinen Zusammenhang zwischen Schweregrad der Abhängigkeit und Therapieintensität nachweisen. Unter Verwendung der Daten des ersten Jahres des Follow-up ergaben sich also gemäss
Edwards und Taylor keine Hinweise darauf, dass ProblemtrinkerInnen eher mit kurzen Therapien und
schwer abhängige AlkoholikerInnen eher mit einer intensiveren Therapie ein besseres Resultat erzielten. Keine Erwähnung fand jedoch welcher Art das jeweils erzielte Therapieergebnis war, weshalb sich
auch hier die Annahme aufdrängt, dass PatientInnen mit weniger schweren Problemen eher zu Kon-
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trolliertem Trinken als Therapieergebnis neigten. Das beschriebene Fehlen eines Zusammenhangs
bezüglich Schweregrad des Problems und Therapieintensität wurde durch Ergebnisse eines grösseren, in den USA durchgeführten kontrollierten Versuchs bestätigt. In dieser randomisierten MulitzenterStudie mit der Bezeichnung „Project MATCH”, wurden drei verschiedene Therapien miteinander verglichen: zwölf Sitzungen der „12-Step Facilitation Therapy“, zwölf Sitzungen eines „CognitiveBehavioral Coping Skills Treatment“ (kognitive Verhaltenstherapie) und vier Sitzungen einer „Motivational Enhancement Therapy“ (Motivationstherapie) (Allen et al., 1999). Obwohl bei allen Therapien Abstinenz als Ziel statuiert worden war, wurde prognostiziert, dass weniger stark abhängige PatientInnen
bei den kürzeren und motivationsorientierten Therapien das beste Ergebnis erzielen würden, während
die stärker abhängigen in den Therapien mit zwölf Sitzungen ein besseres Resultat erreichen würden.
Es konnte jedoch kein Zusammenhang festgestellt werden. Somit ist es in zwei grösseren, randomisierten, kontrollierten Versuchen misslungen, einen Zusammenhang zwischen Therapieintensität und
Schweregrad der Abhängigkeit zu zeigen. Daher sollte erwogen werden, Kurzbehandlungen auch auf
schwerabhängige PatientInnen auszudehnen, womit aber die Frage offen bleibt, ob einige der
schwerabhängigen überhaupt in der Lage sind, je einen Zustand des Kontrollierten Trinkens zu erreichen.
Wie in der obigen Übersicht dargestellt, verlief die Kontroverse über KT als Therapieziel in den USA
am hitzigsten. In zahlreichen westlichen Industriestaaten hingegen ist Gemässigtes Trinken im Rahmen der Therapiekultur etabliert (Adamson & Sellman, 2001; Buhringer & Kufner, 1995; Dawe &
Richmond, 1997; Donovan & Heather, 1997; Koerkel, 2002; Rosenberg, Devine, & Rothrock, 1996;
Rosenberg, Melville, Levell, & Hodge, 1992), obwohl wichtige Fragen wie beispielsweise Zielpublikum
und Therapiemethoden bisher ungeklärt blieben.
21
2 A Brief History of Controlled Drinking
(M. Sobell and L. Sobell)
Prior to 1962 there had been sporadic case reports of persons who previously had alcohol problems
who had recovered yet could consume small amounts of alcohol without incurring problems (Pattison,
Sobell, & Sobell, 1977). These reports received little attention until 1962 when published a report from
a British physician, D.L. Davies, in which Davies maintained that a small number of alcoholic patients
he had treated with an abstinence goal had become “normal” drinkers (Davies, 1962). Although Davies had published moderation results a few years previously (Davies, Shepherd, & Myers, 1956), in
this case such outcomes were the focus of the article. Davies’ article elicited a firestorm of controversy, most likely because it challenged irreversibility, a central assumption of the prevailing conceptualization of alcohol problems. That conceptualization, most prominent in the United States, viewed
anyone with an alcohol problem as an “alcoholic” who was biologically different from “non-alcoholics”
and suffered from a progressive and irreversible disease (Pattison et al., 1977). The foundation of the
prevailing 12-Step approach to recovery was that individuals had to recognize that they were alcoholics and accept that they could never drink with control (McCaul & Furst, 1994). Therefore, Davies’ report was not just another treatment outcome study, it directly challenged the validity of the
dominant theory of alcohol problems.
The issues were highlighted when the editors of the Quarterly Journal of Studies on Alcohol, which
published Davies’ article, solicited and published a large number of commentaries on the article. Most
notable among these commentaries were assertions that anyone who had a drinking problem but
could return to drinking without problems, ipso facto, was never a “real” alcoholic in the first place
regardless of how serious the problem may have appeared (Lemere, 1963). There was a strong sentiment that such findings should not be reported lest they trigger an epidemic or relapses among alcoholics who try and fail to become moderate drinkers.
During the middle and late 1960s, Pattison critically appraised the role of abstinence in recovery from
alcohol problems (Pattison, 1966) and published two reports of nonabstinent successful recoveries
(Pattison, Coe, & Rhodes, 1969; Pattison, Headley, Gleser, & Gottschalk, 1968). None of the studies
published to this time, however, had used a moderation goal. That changed in the early 1970s when
two reports of moderation programs were published, one from Australia (Lovibond & Caddy, 1970)
and one from the United States (Sobell & Sobell, 1973). The latter study drew particular attention,
22
perhaps because it received media coverage but most likely because of its comprehensive follow-up
which included checking arrest records, driving records, and interviewing collateral informants.
Prior to the 1970s, there was little discrimination in the literature regarding the dimension of severity of
dependence, as epidemiological studies just started to be published in the early 1970s. These studies
showed that rather than “alcoholics” being a qualitatively distinct group, it was more appropriate to
consider drinkers as lying on a continuum with many having no problems, several having problems
that ranged from mild to moderately severe, and a smaller number being severely dependent (Cahalan
& Room, 1974; Pattison et al., 1977). It was becoming clear, however, that most existing treatment
programs were designed for and served severely dependent individuals and that those less severely
dependent seldom crossed the clinical service threshold.
As attention turned to individuals who had alcohol problems but were not severely dependent, it was
speculated that such individuals would be better candidates for a controlled drinking goal than severely dependent individuals (Pattison et al., 1977). This impression was strongly reinforced when a
British study reported that less severely dependent men fared better with a brief (one session) than
more intensive (standard, variable length) treatment and also that they tended to have controlled
drinking outcomes (Orford, Oppenheimer, & Edwards, 1976). At about the same time, reports of successful brief treatments directed at less severely dependent individuals (hereafter referred to as problem drinkers) and with a controlled drinking goal began to appear in the literature with increasing frequency, especially from Miller’s program in the United States (Miller & Joyce, 1979; Miller & Taylor,
1980). These heralded a burgeoning literature focusing on brief interventions for problem drinkers,
allowing moderation goals, and reporting moderation outcomes (Bien, Miller & Tonigan, 1993;
Heather, 1986; Heather & Robertson, 1983).
In the meantime, controversy over controlled drinking outcomes took a nasty turn, far more acrimonious than occurred in 1962 when Davies’ article was published. In this case, the attack was on a study
published a decade earlier by Sobell and Sobell (1973) that reported outcomes for severely dependent
individuals treated with a moderation goal. The original and follow up reports of that study (Caddy,
Addington, & Perkins, 1978; Sobell & Sobell, 1976) reported that participants randomized to be
treated with a cognitive-behavioral treatment oriented to controlled drinking fared significantly better
than comparable participants randomized to be treated by a standard treatment program with a goal
of abstinence. Of interest, participants treated with a controlled drinking goal had substantially more
abstinent days over follow up than did participants treated with an abstinence goal. In 1982 the study
was called into question in the literature (Pendery, Maltzman & West, 1982), but the actual agenda of
the attack involved allegations of scientific fraud (Marlatt, 1983).
23
Four independent investigations and a law suit vindicated the Sobells and found no basis for the allegations (Sobell & Sobell, 1984; Sobell & Sobell, 1989). One might wonder why, if the evidence supported the Sobells, the attack occurred in the first place. In their response to the attack, the Sobells
(1984) suggested that the debate reflected a core conflict in the alcohol field of scientific evidence
with folklore. For many years thought in the field had been dominated by ideas contained in the book,
Alcoholics Anonymous (Anonymous, 1939), but those ideas lacked a scientific basis (Pattison et al.,
1977). As scientific research started to accumulate it was becoming evident that many of the AA notions were not being supported by research and there were calls to develop new conceptualizations
consistent with the research (Pattison et al., 1977). The Sobell’s study, which was carefully done and
used a goal of “controlled drinking” for some participants, was an exemplar of the forces challenging
the traditional view. If it could be destroyed, the challenge to the traditional view would be set back
considerably and perhaps totally defeated.
The Sobells cast the controversy as similar to the process of scientific revolution (Kuhn, 1970) where
new ideas come to replace old not through a gradual accommodation of views but rather as the result
of a battle. In this case the battle was between science and folklore, and at the academic level the
debate seemed clearly won by science. At the popular level, however, the allegations received worldwide media attention (Marlatt, 1983) but the vindication received little coverage. The result was a
widespread belief that the allegations had been correct, and this likely suppressed explicit controlled
drinking research or at least the exploring of moderation goals with severely dependent individuals (the
participants in the Sobell’s study). Even for those who were aware of the vindication, it was clear that
performing controlled drinking research, at least in the United States, was to place one’s career at
risk. Miller (1983) noted that these events had a distinctly American flavor and that controlled drinking
evoked much less heated controversy in the United Kingdom and continental Europe, eventually except for Germany.
Following the debate over the Sobells’ study, research on treatments for problem drinkers has continued but in a more understated fashion. Nevertheless, in 2003, Miller, Wilbourne, and Hattema evaluated brief interventions as the most evaluated treatment for alcohol problems (Miller, Wilbourne, &
Hettema, 2003), although such treatments are seldom found in the world of clinical practice in the
United States (Rosenberg & Davis, 1994). Summarizing the state of the research literature on controlled drinking in a 1995 invited editorial in the journal Addiction, Sobell and Sobell drew three conclusions from the research (1995):
1. Recoveries of individuals who have been severely dependent on alcohol predominantly involve
abstinence.
24
2. Recoveries of individuals who have not been severely dependent on alcohol predominantly involve reduced drinking.
3. The association of outcome type and dependence severity appears to be independent of advice provided in treatment. (p. 1159)
That is to say, moderation outcomes are very prevalent among problem drinkers, but they seem to
occur whether or not they are the actual goal of treatment (most problem drinkers will seek to reduce
rather than stop their drinking even if they are told they must be abstinent). Based on this finding,
Sobell and Sobell (1993) have suggested that problem drinkers should be given their choice of goals.
The rationale for this suggestion is that assigning goals appears to have no effect and there is some
evidence that people will be more committed to goals that they set for themselves (Bandura, 1986).
There have been some research developments with implications for controlled drinking that also deserve mention. First, although controlled drinking has not been an explicit goal, studies have been
conducted demonstrating that brief interventions by physicians in primary care settings can be effective in encouraging heavy drinking patients to reduce their drinking to below risk levels (Fleming, Barry,
Manwell, Johnson, & London, 1997), and the extension to problem drinkers has been suggested
(Fleming & Manwell, 1999). This is a promising direction because the services are delivered out-sider
of the traditional alcohol service system. The vast majority of alcohol treatment programs in the United
States have the 12-step basis to their treatment (McCaul & Furst, 1994), and this creates a natural
obstacle to moderation oriented treatments since the 12-step philosophy states that an individual with
alcohol problems is “powerless” over alcohol (Anonymous, 1939). Moreover, many service providers in
the alcohol field in the U.S. are personally “in recovery” and abstinent. Clearly such individuals may at
the least feel uncomfortable treating individuals using a moderation goal, and at its worst they are
likely to refuse to engage in such a practice. This, no doubt, has been a formidable obstacle to the
provision of moderation services on a widescale basis by established alcohol treatment service providers. The poor match between practitioners and moderation treatment goals also is consistent with
research on natural recovery from alcohol problems — recovery without treatment. For example it has
been found that the vast majority of moderation recoveries occur in individuals who have not entered
treatment (Sobell, Cunningham, & Sobell, 1996).
Another issue that has recently come to light concerns whether moderation goals should be limited to
problem drinkers. Two studies in particular have provoked this consideration. One is the same study
that played an important role in provoking the conduct of brief interventions for problem drinkers. In
their 1976 report, Orford et al. used second year outcome data in their analysis finding that less severely dependent individuals did better in brief treatment and were more likely to have a moderation
outcome. Eighteen years later, study data were reanalyzed by Edwards and Taylor (1994) but using
25
first year follow-up data. The new analysis, which would be more expected to reflect treatment effects
due to time proximity, found no evidence of a severity of dependence by treatment intensity interaction. That is, using data from the first year of follow-up, Edwards and Taylor found no evidence that
problem drinkers did better with brief treatment and severely dependent did better with more intensive
treatment. No mention was made by Edwards and Taylor of type of outcome, so it is reasonable to
assume that it remained the case that individuals whose problems were less severe at entry to the
study were more likely to have a moderation outcome. The reported lack of an interaction regarding
problem severity and treatment intensity was reinforced by findings from a major controlled trial conducted in the U.S. That study, called Project MATCH, was a multicenter randomized controlled trial
that compared three different treatments: twelf sessions of 12-Step Facilitation Therapy, twelf sessions of Cognitive-Behavioral Coping Skills Treatment, or four sessions of Motivational Enhancement
Therapy (Allen et al., 1999). Although all treatments had an abstinence goal, it had been predicted that
individuals who were less dependent would do best in the shorter and motivationally oriented treatment while those more dependent would do better in the 12 session treatment. However, no interaction was found. Thus, two major randomized controlled trials have failed to demonstrate a relationship
between treatment intensity and severity of dependence. This sets the agenda for extending brief
treatments to severely dependent individuals and would seem to leave open the issue of whether
some severely dependent individuals might be able to reach a controlled drinking goal.
As summarized above, the controversy over controlled drinking as a treatment goal has been most
fervent in the United States. In many other Western countries moderation goals are accepted as part
of the treatment culture (Adamson & Sellman, 2001; Buhringer & Kufner, 1995; Dawe & Richmond,
1997; Donovan & Heather, 1997; Ko-erkel, 2002; Rosenberg, Devine, & Rothrock, 1996; Rosenberg,
Melville, Levell, & Hodge, 1992), although important issues remain, such as for whom such goals
should be used and by what methods they can be attained.
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29
3 Begriffe und Definitionen
(M. Sobell und L. Sobell)
Im Laufe der Jahre wurden die unterschiedlichsten Termini für den Konsum von kleineren Alkoholmengen ohne negative Folgen verwendet. Die früheste Bezeichnung war wohl das „Normale Trinken“/„normal drinking“, wie sie von Davies 1962 gebraucht wurde (Davies, 1962). Zu den nachfolgenden Varianten gehörten „Soziales Trinken“/„social drinking“ (Mills, Sobell & Schaefer, 1971), „Kontrolliertes Trinken“/„controlled drinking“ (Sobell & Sobell, 1973), „Problemfreies Trinken“/„nonproblem
drinking“ (Sobell & Sobell, 1980), „Leichtes Trinken“/„light drinking“ (Abel, Kruger & Friedl, 1998), „Risikoarmes Trinken“/„low risk drinking“ (Bondy et al., 1999; Stockwell, 1998) und „Gemässigtes Trinken“/„moderate drinking“ (Popham & Schmidt, 1976).
3.1
Terminologie
Lassen wir einmal die Entstehungsgeschichte der einzelnen Begriffe beiseite und wenden wir uns der
diesen Begriffen inne wohnenden Bedeutung zu. Dabei geht es ausschliesslich darum, den für das
Therapieziel treffendsten Begriff zu finden, welcher allfällige negative Konnotationen so wenig wie
möglich durchschimmern lässt und damit Widerstand von Seiten von Fachleuten und KlientInnen
weitgehend ausräumt. So ist es beispielsweise offensichtlich, von welcher Geisteshaltung der Begriff
„Normales Trinken“ getragen wird, gleichzeitig ist dieser Ausdruck jedoch in verschiedener Hinsicht
problematisch. Für eine präzise Umschreibung mangelt es ihm an Genauigkeit, zumal die Definition je
nach BeobachterIn und Ort unterschiedlich ausfallen wird. Bezieht sich „Normal“ auf die maximale
Konsummenge, auf die Fähigkeit, nach Belieben mit Trinken aufzuhören, auf den Alkoholkonsum ohne
negative Konsequenzen, auf das situationsbezogen beschränkte Trinken oder auf ein anderes Kriterium? Allein schon wegen der unspezifischen Bedeutung erweist sich der Begriff des „Normalen Trinkens“ als nicht akzeptabel. Auch mit einer klar umrissenen Bedeutung wäre er aufgrund seiner Konnotationen zur Bezeichnung eines Therapieziels ungeeignet. Die Gleichsetzung von „Normalem Trinken“
mit erwünschtem Verhalten hat zur Folge, dass jegliches anderes Verhalten als „abnormal“ stigmatisiert würde. So valabel dieser Begriff auf einzelnen Ebenen auch sein mag, er bleibt pejorativ. Zudem
würden Fachleute im Alkoholbereich die Bezeichnung von jeglichem Trinken als „normal“ nicht dulden,
denn jeder Alkoholkonsum birgt Risiken. Hier könnte ad infinitum weiterargumentiert werden, doch
würden wir dabei unser Ziel, den genausten und möglichst wenig Widerstand auslösenden Begriff zu
finden, aus den Augen verlieren. Fachspezifische Argumente über die Grenzen der „Normalität“ sind in
30
diesem Kontext irrelevant, hier geht es ausschliesslich um Genauigkeit und Mehrheitsfähigkeit des
Begriffs.
„Soziales Trinken” krankt als beschreibender Ausdruck an derselben Subjektivität und Ungenauigkeit
wie „Normales Trinken” und wirft zudem neue begriffliche Probleme auf (wie soll z. B. das NichtSoziale Trinken bezeichnet werden?). Somit erübrigt sich eine weitere Erörterung dieses offensichtlich
ungeeigneten Begriffs.
Vielleicht würde sich eine Terminologie, die auf die Konsequenzen von Alkoholkonsum abstellt, besser
eignen, da sich Alkoholprobleme ja über die aus dem Konsum resultierenden Konsequenzen definieren. In diesem Sinn wurde „Problemfreies Trinken“ für einen Alkoholkonsum verwendet, aus dem sich
keine gesundheitsschädigenden Folgen ergeben. Ausserdem liesse sich das „Nicht-Problemfreie Trinken“ als „problematisches“ Trinkverhalten bezeichnen, womit ein weiterer Streitpunkt aus dem Weg
geräumt wäre. Die Schwierigkeit beim Begriff „Problemfrei” liegt in der Tatsache begründet, dass für
das Auftreten oder Ausbleiben der negativen Folgen von Alkoholkonsum besondere Umstände und
reines Glück ausschlaggebend sein können. Aus klinischer Sicht ist daher „Problemfreies Trinken“ kein
brauchbarer Begriff.
„Kontrolliertes Trinken” ist der umstrittenste und war wohl auch einer der ersten Begriffe zur Beschreibung von Menschen, die geringe Mengen Alkohol ohne negative Konsequenzen konsumieren können.
Positiv anzumerken ist, dass dieser Begriff das Dilemma des Alkoholabhängigen in seinem Kern trifft,
unabhängig davon, ob die Selbstkontrolle ge- oder misslungen ist. Wenig günstig sind die sehr unterschiedlichen Definitionsmöglichkeiten des Begriffs „Kontrolliert“: So kann damit eine Beschränkung auf
eine im Voraus bestimmte Anzahl Getränke bei einer bestimmten Gelegenheit gemeint sein oder die
Fähigkeit, zu jedem gegebenen Zeitpunkt mit Trinken aufhören zu können (vor-ausgesetzt, es gäbe
einen Test für Kontrolliertes Trinken), oder es kann sogar den beabsichtigten Konsum von Risikomengen unter Vermeidung von Konsequenzen durch Planen der spezifischen Konsumsituation beinhalten.
Die Bandbreite möglicher Definitionen wäre noch hinnehmbar, würde der Begriff in der praktischen
Anwendung klarer, insbesondere wenn hinsichtlich Definition ein Konsens erzielt werden könnte. Für
Fachleute ist der Begriff „Kontrolliert“ jedoch mit einer langen Geschichte negativer Konnotationen
behaftet, da er gewissermassen stellvertretend steht für den heftigsten Streit über das Therapieziel
des gemässigten Alkoholkonsums (vgl. Kapitel 2). Schon alleine aus diesem Grund wäre es von Vorteil, das Wort „Kontrolliert“ zu vermeiden, wenn auch nur, um negative Reaktionen bei Fachleuten zu
vermeiden. Solche Reaktionen lenken nämlich ab von gewichtigeren Problemen. Schliesslich ist der
Begriff „Kontrolliertes Trinken” auch deshalb problematisch, weil er trotz einer anwendungsbezogenen
präzisierenden Definition in Form von Mengen- und Häufigkeitsangaben betreffend Konsum einen
Zirkelschluss darstellt. „Trinken mit Kontrolle“ wäre also immer dann der Fall, wenn jemand nicht „oh-
31
ne Kontrolle“ trinkt. Wir wissen, dass eine Person kontrolliert trank, weil ihr Trinken nicht ausser Kontrolle geriet, und wir wissen, dass ihr Trinken ausser Kontrolle geriet, weil sie nicht kontrolliert trank.
„Leichtes“ und „Gemässigtes“ Trinken sind ähnliche Begriffe, die an spezifische Limiten gekoppelt
sind. Von diesen beiden spricht das „Leichte Trinken“ vielen Fachleuten mit Tätigkeit im Alkoholsuchtbereich mehr zu, da in „gemässigt“ nicht nur die Konnotation des Substantivs, sondern auch des entsprechenden Verbs „mässigen“ durchdringt. Daher birgt „Gemässigtes Trinken“ ähnliche Konnotationen wie „Kontrolliertes Trinken“. Auch wenn eine Differenzierung zwischen derart feinen Bedeutungsnuancen müssig und mühselig erscheinen mag, so ist eine solche doch zwingend notwendig, um den
Begriff mit der umfassendsten Verwendbarkeit zu eruieren. „Leichtes Trinken“ erfüllt die meisten unserer Anforderungen, berücksichtigt jedoch die Umstände des Alkoholkonsums nicht. So kann ein
Mensch nach dem Konsum von nur drei alkoholischen Getränken an einem Abend als „light drinker“
bezeichnet werden, hätte sich der Alkoholkonsum jedoch während der Arbeitszeit ereignet, wäre der
Konsum trotz der beschränkten Menge unzulässig gewesen. Das „Leichte Trinken“ kommt einer passenden Definition schon sehr nahe, ist jedoch als Begriff nicht ideal.
Für die Verwendung des verbleibenden Ausdrucks „Risikoarmes Trinken“ spricht hingegen einiges:
Insbesondere ist das tatsächliche Auftreten negativer Konsumfolgen keinesfalls notwendig für die
Qualifizierung des Konsums als „risikoreich“. Es genügt die erhöhte Möglichkeit des Risikos. Dieses
Risikopotential kann auf die Trinkmenge oder den Trinkkontext rückbezogen werden. Für eine sinnvolle Verwendung einer solchen Kategorie „Risikoarmes Trinken“ ist eine nähere Umschreibung des Risikos notwendig. Diese Risikodefinition kann sich auf die konsumierte Trinkmenge oder die Bezeichnung von Trinksituationen beziehen, bei denen eine mehr als geringfügige Wahrscheinlichkeit für negative Konsumfolgen erwartet werden kann. Was die Trinkmenge anbetrifft, so sind in verschiedenen
Ländern risikoreiche Konsummengen spezifiziert worden (International Center for Alcohol Policies),
2002), welche allerdings von Land zu Land unterschiedlich ausfallen und sinnvollerweise Gegenstand
einer Konsensuskonferenz zur Etablierung einheitlicher Risikokriterien sein sollten. Schliesslich hat der
Ausdruck „Risikoarmes Trinken“ den Vorteil, dass damit zu Verstehen gegeben wird, dass grundsätzlich jegliche Art von Alkoholkonsum möglicherweise Risiken mit sich bringen kann.
3.2
Definitionen
Eine klinisch brauchbare Definition von „Risikoarmem Trinken“ sollte die mit Risiko behafteten Dimensionen des Alkoholkonsums beinhalten. Zu diesen zählen als Minimalanforderung die Menge, die Umstände des Alkoholkonsums und die Funktionen des Trinkens. International unterscheiden sich die
festgelegten Grenzwerte nicht nur hinsichtlich der empfohlenen maximalen Anzahl Getränke, sondern
32
auch hinsichtlich der Definition eines Standard-Getränks. In Irland beispielsweise gilt ein Getränk mit
acht Gramm Alkohol als Standardgetränk, in Japan enthält ein Standardgetränk 19,75 Gramm Alkohol
(International Center for Alcohol Policies, 2003). Durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde
„Risikoarmes Trinken“ definiert als ein den täglichen Maximalkonsum von drei Getränken mit je acht
Gramm Alkohol (total 24 Gramm Alkohol) nicht überschreitendes Trinken. Dies liegt weit unter der
neuseeländischen Empfehlung einer Maximalmenge von 60 Gramm Alkohol pro Tag. Gemäss dem
neuseeländischen Standard gelten 210 Gramm pro Woche als Maximum, was nicht allzu weit über
der WHO-Obergrenze von 168 Gramm pro Woche liegt. Diese Limiten unterscheiden sich unwesentlich von denjenigen, die vor über einem Jahrhundert von Anstie empfohlen wurden (Babor, Kranzler &
Lauerman, 1987). Anstie schlug eine Obergrenze von drei Getränken pro Tag vor, machte jedoch
keine näheren Angaben zur genauen Menge Alkohol pro Getränk. In neuerer Zeit wurde zudem erkannt, dass für Männer und Frauen unterschiedliche Alkoholmengen gelten. Für Frauen muss die
Grenze leicht tiefer angesetzt werden, weil bei ihnen aufgrund des tieferen Wasseranteils im Körper
eine gegebene Menge Alkohol zu einem höheren Blutalkoholgehalt führt als bei einem Mann mit dem
gleichen Körpergewicht (Graham, Wilsnack, Dawson & Vogeltanz, 1998). Unabhängig von der empfohlenen Menge, die das Kriterium des „Risikoarmen Trinkens“ noch erfüllt, darf die betreffende Menge nicht das ermöglichen, was allgemein als exzessiver Alkoholkonsum bezeichnet wird. Sodann ist
darauf hinzuweisen, dass die erwähnten Richtlinien nicht auf klinischen Studien, sondern auf epidemiologischen Erwägungen beruhen. Daher stellt sich die wichtige Frage, welche Funktion sie für das
Therapieziel eines eingeschränkten Alkoholkonsums haben. In diesem Rahmen erscheinen die Richtlinien als ein vernünftiges Set von Obergrenzen, die den für den eingeschränkten Alkoholkonsum vorgeschlagenen Kriterien im Allgemeinen entsprechen; zu beachten ist jedoch, dass sie auf mengenmässige Begrenzungen beschränkt sind und weder Umstände des Alkoholkonsums noch das Trinkmuster berücksichtigen (Sanchez-Craig, 1986; Sobell & Sobell, 1993).
Bezüglich Trinkmuster und Trinkumstände haben die Sobells (1993) empfohlen, auf tägliches Trinken
zu verzichten, um den täglichen Konsum (im Gegensatz zum situationsgebundenen Trinken) nicht zur
Gewohnheit werden zu lassen und die Gefahr der Entwicklung einer Alkoholtoleranz möglichst gering
zu halten. Sie empfahlen einen Tageskonsum von maximal drei Getränken (13,6 Gramm Alkohol) an
nicht mehr als vier Tagen pro Woche. Eine solche Mengen-/Häufigkeitsregelung ist gegenüber einer
im Voraus festgelegten Wochenmenge vorzuziehen, da Letztere einen grösseren Alkoholkonsum an
einzelnen Tagen zulässt. Zudem ergeben sich aus den Umständen des Alkoholkonsums wichtige Bestimmungsfaktoren für die Höhe des Risikos. Bestimmten KlientInnen kann daher empfohlen werden,
das Trinken in ehemals problembeladenen Situationen (d. h. Hochrisikosituationen) oder in Situationen
mit inhärenten Risiken (beispielsweise bei nachfolgendem Lenken eines Motorfahrzeugs) gänzlich zu
vermeiden. Für KlientInnen kann es zudem hilfreich sein, risikosenkende Bedingungen festzulegen
33
(z.B. das Trinken im Beisein einer Bezugsperson, nur Wein zum Abendessen in einem Restaurant, nur
an Wochenenden).
Ein weiteres mögliches Element des Ziels kann darin bestehen, nicht der Intoxikation (d.h. der Wirkung
des Alkohols) wegen zu trinken. Dies ist jedoch umstritten, da sich auch viele Menschen, die nicht an
Alkoholproblemen leiden, gelegentlich betrinken. Die Vernunft einer Person aber, die nie ein Alkoholproblem gehabt hat, ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem erhöhten Risiko, das ein mit Alkoholproblemen vorbelasteter Mensch eingeht. Die Möglichkeit, dass eine solche risikobehaftete Situation
eskaliert, wird unter Berücksichtigung des Toleranzphänomens besonders deutlich: Um dieselbe gewünschte Wirkung zu erzielen, muss die betreffende Person mit der Zeit immer höhere Mengen konsumieren (was der eigentlichen Definition von Toleranz entspricht). Aus diesem Grund wäre die Empfehlung sinnvoll, nicht um der Wirkung des Alkohols wegen zu trinken, d.h. der Zweck des Trinkens
sollte sich aus einem gesellschaftlichen Anlass ergeben und nicht so sehr in der Berauschung als solcher bestehen.
3.3
Schadensreduzierung
In bestimmten Situationen kann „Risikoreduziertes Trinken“ (engl. „reduced risk drinking“) anstelle des
„Risikoarmen Trinkens“ ein durchaus vernünftiges Ziel darstellen. Es kommt üblicherweise bei solchen
Betroffenen zum Zug, die bei der Reduktion ihres Alkoholkonsums grosse Mühe bekunden; zudem ist
ein solches Zwischenziel hilfreich, um verstärkt auf das angestrebte „Risikoarme Trinken“ oder eine
Abstinenz hinzuarbeiten. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ergeben sich solche Situationen am
ehesten bei Personen, die ausgesprochen schwer Trinkende (allgemein als „Alkoholabhängige“ bezeichnet) sind; bei diesen KlientInnen besteht ein Therapieerfolg mit grösster Wahrscheinlichkeit in
Abstinenz. Eine Reduzierung des Alkoholkonsums kann in solchen Fällen ein realistisches Zwischenziel darstellen, welches der Entwicklung der betroffenen Person förderlich ist, Möglichkeiten schafft
zur Förderung von deren Therapiefortschritt und eine verstärkte Selbstwirksamkeit ermöglicht. Das
Zwischenziel besteht hier in einer Schadensreduzierung und nicht so sehr in der Schaffung einer problemfreien Situation (Marlatt, 1998).
Schadensreduzierung unterscheidet sich als Konzept grundlegend vom Therapieziel des gemässigten
Alkoholkonsums: Während das Ziel des gemässigten Alkoholkonsums der betroffenen Person ein
„nicht gesundheitsschädigendes“ Trinken ermöglichen soll, geht der Ansatz der Schadensreduzierung
im Gegensatz dazu von der Annahme aus, dass Alkoholkonsum entweder zu negativen Konsequenzen führen wird oder das Risiko für solche schafft und dass demzufolge das Ziel in der Minimierung
des sich ergebenden Schadens besteht. Als Vergleich: Airbags und Sicherheitsgurte in Autos sind Teil
34
einer Schadensreduktionsstrategie. Anstatt anzunehmen, dass sich schon kein Unfall ereignen wird,
geht man vom Eintreten von Unfällen aus und unternimmt auf dieser Basis Massnahmen zur Reduktion eines unfallbedingten Schadens. In ähnlicher Weise bildet der Bierausschank in Pubs in Plastikbechern statt in Biergläsern Teil von Schadensreduktionsmassnahmen, da Glasscherben in Schlägereien
zu tödlichen Verletzungen führen können. Zu einer ähnlichen Strategie im Bereich der illegalen Drogen
gehört das Angebot der Nadeltauschmöglichkeit für DrogenkonsumentInnen zur Minimierung des HIVAnsteckungsrisikos. Im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion in der Literatur wird eher eine Legalisierung als eine Kriminalisierung von bestimmten Drogen/Suchtmitteln angestrebt (Dupont & Voth,
1995; Nadelmann, 1989).
Es gibt noch zahlreiche nicht untersuchte Themen im Bereich der Strategien zur Schadensreduktion
bei Personen mit Alkoholproblemen (Marlatt & Witkiewitz, 2002; Tatarsky, 1998). So bleibt ein(e) KlientIn, dem/der die Reduzierung des Alkoholkonsums grosse Schwierigkeiten bereitet, unter Umständen
länger in Behandlung, wenn das Ziel die Reduktion des Alkoholkonsums ist, als wenn es Abstinenz
wäre. Ebenso ist es möglich, dass solche KlientInnen die Abstinenz am schnellsten über eine abgestufte Strategie erreichen, und nicht mit einer von Anfang an auf Abstinenz ausgerichteten Therapie.
Obwohl Fragestellungen dieser Art der Wissenschaft leicht zugänglich wären, sind sie bisher in der
Forschung kaum aufgenommen worden.
35
3 Semantics and Definitions
(M. Sobell and L. Sobell)
Throughout the years several different terms have been used to refer to low amounts of drinking that
do not incur consequences. Perhaps the earliest rendition was “normal” drinking, as used by Davies in
1962 (Davies, 1962). Subsequent variations included social drinking (Mills, Sobell & Schaefer, 1971),
controlled drinking (Sobell & Sobell, 1973), nonproblem drinking (Sobell & Sobell, 1980), light drinking
(Abel, Kruger & Friedl, 1998), low risk drinking (Bondy et al., 1999; Stockwell, 1998), and moderate
drinking (Popham & Schmidt, 1976).
3.1
Terminology
Disregarding for the time being the specifics by which such terms would be defined, let us consider
instead the general semantics that each embodies. In doing so, it is important to keep in mind the
goal of the exercise, which is to decide which treatment goal terminology will convey what is meant
most accurately while minimizing value laden connotations and minimizing the likelihood that the term
will provoke objections by clinicians or clients. For example, the spirit intended to be captured by the
term “normal” drinking is obvious, but the term has multiple problems. From an accuracy standpoint,
it is difficult to understand what is meant by normal drinking, and the definition might vary from observer to observer and from location to location. Does normal refer to the maximum amount consumed, to the ability to stop at will, to consuming alcohol without incurring negative consequences, to
only drinking under certain conditions, or some other criterion. Just on the basis of nonspecificity,
“normal” drinking is obviously unacceptable. However, even if the meaning of the term were clear, its
connotations would make it inappropriate for a treatment goal. Using “normal” drinking to describe the
desired behavior brings with it the obvious labeling of the individual as abnormal. Despite the validity
of the label at some level, it is pejorative. Moreover, some counselors would likely object to calling any
drinking “normal,” because it holds risk of problems. These issues could be argued infinitum, but we
would lose track of our original objective of finding the term that is most specific and most likely to
minimize objections. Technical arguments about what should be considered “normal” are not relevant
to this objective, only the accuracy and acceptability of the term.
“Social” drinking suffers from the same subjectivity and nonspecificity as “normal” drinking as a descriptor, as well as raising new semantic concerns (e.g., what should other than “social” drinking be
called?). There is no need to further belabor this clearly inadequate term.
36
Perhaps terminology that relates to consequences of drinking would be more suitable, inasmuch as it
is consequences that define drinking problems? “Nonproblem” drinking has been used to connote a
lack of deleterious consequences, and there would seem to be little quarrel with labeling other than
nonproblem drinking as “problem” drinking. The difficulty with the term “nonproblem” relates to the
fact that the circumstances under which drinking occurs and sheer luck can determine whether the
drinking results in consequences. Thus, “nonproblem” captures drinking that incurs consequences
but discounts the importance of drinking that placed the individual at possibly substantial risk. From a
clinical standpoint, therefore, “nonproblem” drinking is not a useful term.
“Controlled” drinking is the most controversial and one of the earliest terms used to describe individuals who were drinking at low levels and without consequences. On the positive side, this term captures the essence of the problem drinker’s dilemma, inconsistent or failed self-regulation of drinking.
On the negative side, the word “controlled” is open to multiple definitions including not exceeding a
preselected number of drinks on an occasion, demonstrating the ability to stop drinking at any point
(presuming a test of such control could be devised), or even purposely drinking at risk levels but
avoiding consequences due to planning the drinking circumstances. This breadth of possible definitions could be tolerated if the term were operationalized when used, and especially if a consensual
definition could be achieved. However, the term “controlled” has a profound history of negative connotation to service providers in the alcohol field, having been the semantic symbol of the most vigorous controversies over moderation outcomes (see Chapter 2). On these grounds alone “controlled”
drinking would seem a good term to avoid if for no other reason than it is bound to trigger negative
reactions among many workers in the alcohol field. These sorts of reactions would distract attention
from the important issues of the nature of the drinking that occurred, for whom it was possible, and so
forth. Thus, regardless of the potential value of the term, “controlled” drinking provokes negative reactions which would detract from its value in clinical work. A final reason why the term “controlled” drinking is problematic is that even if it is operationally defined in terms of quantity and frequency of consumption, as a term it reflects circular reasoning. That is, drinking with “control” is when one does not
drink “without control.” We know that a person drank with control because the person did not drink
out of control, and we know that a person’s drinking was out of control because they did not drink
with control.
“Light” and “moderate” drinking are similar terms that are tied to specified drinking limits. Of the two,
“light” drinking would seem the more palatable to many workers in the alcohol field since moderate
has connotations not only of amount but also of the verb, to moderate. That is, “moderate” drinking
can be seen as having connotations similar to “controlled” drinking. It is unfortunate but necessary
that minor variations of meaning must be taken into consideration, but that is essential in order to
37
arrive at terminology that will have the most global utility. “Light” drinking is consistent with most of
our objectives, but it does leave unattended the circumstances in which alcohol is consumed. Thus,
an individual who consumed only three drinks in a day might be termed a “light drinker”, but if the
drinking occurred while at work it would be limited but inappropriate. “Light” drinking is close to a
good definition, but not ideal.
The remaining term, "low risk drinking,” has important advantages. Specifically, negative consequences do not need to have occurred in order for the drinking to be considered risky. Risk means
only that consequences could have occurred. The risk could be based on the amount consumed or
on the situation in which the drinking occurred. For the term “low risk drinking” to be meaningful,
however, risk must be specified. This can be in terms of amount of drinking or as drinking that occurs
in situations where there is more than a very small possibility of incurring negative consequences. With
regard to amount of drinking, most countries have established guidelines for what constitutes risk
(International Center for Alcohol Policies, 2002), although the guidelines differ somewhat from country
to country. In this regard, it may be valuable to hold a conference to reach an international consensus
on risk criteria. Finally, a very important advantage of the term "low risk drinking" is that it acknowledges that any drinking can be risky.
3.2
Definitions
A clinically useful definition of low risk drinking should encompass those dimensions of drinking that
are associated with risk. At the least these include the amount of drinking, the circumstances within
which drinking occurs, and the functions served by the drinking. With regard to limits, there is international diversity not only in recommended maximum drinks but also in how a standard drink is defined.
For example, in Ireland a standard drink is defined as containing eight gms of ethanol, while in Japan
19.75 gms of ethanol is considered a standard drink (International Center for Alcohol Policies, 2003).
The World Health Organization (WHO) defined low risk drinking as no more than three drinks containing eight gms of ethanol each per day (24 gms total), substantially lower than the New Zealand recommendation of no more than 60 gms per day. But the New Zealand standard also specifies 210 gm
per week as a maximum, which is not hugely greater than the WHO limit of 168 gms per week. These
limits are not that different from those suggested well more than a century ago by Anstie (Babor,
Kranzler & Lauerman, 1987). Anstie suggested a limit of three drinks per day, although not specifying
the exact amount of ethanol per drink. Recently it has also become apparent that recommended
drinking limits should be different for men and women. Specifically, they should be slightly lower for
women because a woman will reach a higher blood alcohol level on a given amount of alcohol than a
man of the same weight. This is because women have less total body water (Graham, Wilsnack, Daw-
38
son & Vogeltanz, 1998). Whatever limits are recommended, clearly in order to be justified as low risk
they will not allow what would commonly be considered excessive consumption of alcohol. It should
be pointed out that the guidelines discussed were not derived from clinical studies, but rather from
epidemiological considerations. Therefore, an important question is what role such guidelines might
play with regard to limited drinking goals for persons that have alcohol problems. In that regard, the
guidelines would seem a reasonable set of maximum limits, and they are generally consistent with
criteria that have been proposed for limited drinking (Sanchez-Craig, 1986; Sobell & Sobell, 1993). Of
course, the guidelines only propose quantitative limits on drinking and not the circumstances under
which drinking occurs or the pattern of drinking.
With regard to the pattern and circumstances of drinking, Sobell and Sobell (1993) have recommended that daily drinking not occur in order to avoid daily drinking (as opposed to situational) becoming a habit and in order to help minimize tolerance development. They recommend consumption
of no more than three drinks (13.6 gms ethanol) per day on no more than four days per week. This
sort of quantity/frequency rule should be preferred to a drinks per week quota, as the latter might
allow for high amounts of drinking on a single day. In addition, the circumstances within which the
drinking occurs are important determinants of the level of risk. Thus, clients might be recommended
not to drink at all in situations that have previously been associated with problem drinking (i.e., highrisk situations) or that have inherent risk (e.g., when one will later be driving), and it also can be helpful
for clients to specify conditions under which drinking risk would be lowered (e.g., drinking with a significant other; only wine with dinner at a restaurant, weekends only).
Another possible element of the goal might be not to drink for intoxication (i.e., not for the effect). This
could be a controversial point, because many individuals who drink without any problems occasionally
do become intoxicated. The wisdom of someone who has never had a problem becoming intoxicated
is a different consideration, however, from the added risk such drinking might pose to someone
whose drinking has been a problem. The potential for escalated risk is especially apparent when one
considers that the phenomenon of tolerance predicts that an individual will over time need to increase
the dose consumed in order to achieve the desired effect (this being the very definition of tolerance).
For this reason, a sensible recommendation would be not to drink for effect; that is, the purpose of
drinking should be as a social convenience and not to become intoxicated.
3.3
Harm Reduction
There are occasions when “reduced risk” rather than low risk drinking can be a reasonable goal.
These occasions would typically be when the client is having great difficulty reducing drinking and it is
39
helpful to reinforce progress toward either a low risk drinking or abstinence goal. As discussed elsewhere, this sort of situation will most likely occur for clients who are very heavy drinkers (commonly
thought of as “alcoholics”) and the successful outcome they are ultimately most likely to achieve will
be abstinence. In such cases, reduction in drinking can be a feasible interim goal that promotes progress, allows opportunities to reinforce the client’s progress, and helps the client generate increased
self-efficacy. The interim objective here, then, is harm reduction rather than seeking a problem-free
outcome (Marlatt, 1998). Harm reduction is a very different concept from moderation treatment goals.
Moderation goals have as an objective a “harm free” outcome where the person’s use of alcohol no
longer can be considered a problem. A harm reduction approach, in contrast, assumes the person’s
use of alcohol will incur either negative consequences or the risk of such consequences and the objective is to minimize the harm that results. For example, the use of air bags and seat belts in automobiles is a harm reduction strategy. Rather than assuming accidents will not occur, it is assumed that
accidents will occur and on that basis efforts are taken to reduce the harm that will result when there
is an accident. Similarly, harm reduction measures with regard to the use of illicit drugs involve efforts
such as having beer in pubs served in plastic rather than glass containers (broken glasses used in
fights can so lead to damage) and the use of needle exchanges to lessen the risk of HIV transmission
among injection drug users. A contemporary debate regarding harm reduction has to do with legalization versus criminalization of certain drugs (Dupont & Voth, 1995; Nadelmann, 1989).
There are many unexplored issues regarding the use of harm reduction strategies with persons who
have alcohol problems (Marlatt & Witkiewitz, 2002; Tatarsky, 1998). For example, a client having great
difficulty reducing drinking might stay in treatment longer if the goal is a reduction in drinking rather
than stopping drinking. Similarly, it is possible that for such clients abstinence would be achieved
most quickly using a tapered reduction strategy rather than having an abstinence goal at the outset.
These sorts of questions are readily amenable to research, but little research has been done in this
regard.
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40
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41
4 Theoretische Erläuterungen zum Kontrollierten Trinken
(H. Rosenberg)
Sowohl Teilgruppen von chronisch alkoholabhängigen Personen als auch weniger schwer Abhängige
sind in der Lage, ihren Alkoholkonsum zu mässigen oder zu kontrollieren, auch wenn dabei Phasen
gemässigten Konsums oft durch Perioden von sowohl Abstinenz als auch problematischen Konsums
unterbrochen werden (z.B. Dawson, 1996; Sartor, Jacob & Bucholz, 2003). Aus der Evaluation von
Therapieergebnissen geht hervor, dass Kontrolliertes Trinken beispielsweise durch behavioral self-
control training (Hester & Miller, 1989; Walters, 2000) und Reizexpositionstherapie (Heather, Tebbutt &
Greeley, 1993; Sitharthan, Sitharthan, Hough & Kavanagh, 1997) gefördert werden kann. Erhebungen
bei unbehandelten Stichproben haben gezeigt, dass Kontrolliertes Trinken durchaus auch spontan,
d.h. offenbar ohne jegliche Intervention von Fachkräften vorkommen kann (z.B. Sobell, Cunningham &
Sobell, 1996). Zahlreiche typische Eigenschaften von Problemtrinkern – beispielsweise der geringere
Abhängigkeitsgrad, die Entscheidung für und die Fähigkeit zu einer Kontrolle des eigenen Alkoholkonsums sowie gute psychosoziale Funktionen – sind gute Indizien für die Fähigkeit zu Gemässigtem
Trinken (Elal-Lawrence, Slade & Dewey, 1986; Heather & Robertson 1981; Rosenberg, 1993). Trotzdem löst Kontrolliertes Trinken immer wieder Kontroversen aus, denn es widerspricht dem amerikanischen Krankheitsmodell, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts propagiert wurde. Dessen
Hauptpfeiler besteht in der These, dass alle Alkoholabhängigen mit einem irreversiblen neurologischen
Defizit im Gehirn geboren werden (oder zumindest ein solches entwickeln) und aufgrund eben dieser
Irreversibilität keine abhängige Person jemals in der Lage sein wird, seinen Alkohol- oder anderen
Drogenkonsum konsequent, selbstständig oder zuverlässig zu kontrollieren. So bestechend diese
These auf den ersten Blick erscheinen mag, in der Zwischenzeit haben empirische Forschungsergebnisse diesen „alcoholic uniformity myth“ widerlegt. Es wurde gezeigt, dass sich bei ProblemtrinkerInnen eine ganze Reihe von verschiedenen Ätiologien, Symptom-Cluster und Therapieergebnisse manifestieren und dass sich eine Erholung auf verschiedene Arten einstellen kann, unter anderem eben
auch in Form von gemässigtem Alkoholkonsum (Sartor, Jacob & Bucholz, 2003; Dawe et al., 2002).
WissenschafterInnen und PraktikerInnen haben die zahlreichen Einflussfaktoren für den Beginn, die
Verschlimmerung und die Aufrechterhaltung von problematischem Alkoholkonsum („problem drinking“)
mit diversen theoretischen Erklärungen erläutert. Zu den erwähnten Faktoren gehören Lernprinzipien,
Kognition (Erinnerungen, Überzeugungen), Persönlichkeitsmerkmale, neurologische Mechanismen im
Gehirn, kulturelle Wertvorstellungen sowie die Trinkumgebung (Orford, 2001). Einige dieser Theorien
liefern auch eine Erklärung für die Frage, weshalb eine nicht unbeachtliche Untergruppe von ProblemtrinkerInnen in der Lage ist, ihren Alkoholkonsum zu mässigen: Zahlreiche, das Alkoholproblem
42
verstärkende Faktoren fördern auch eine Entwöhnung, sowohl mit dem Ergebnis einer Abstinenz als
auch des Kontrollierten Trinkens.
4.1
Lernprinzipien
Die operante Konditionierung erklärt das Verhalten als eine Funktion von diskriminierenden Willensreaktionen auslösenden Stimuli; werden diese Reaktionen belohnt, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für deren Wiederholung, bei einer Bestrafung hingegen reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer
Wiederholung. Zu den unterschiedlichen Stimuli gehören Umwelt-, emotionale und somatische Signale, welche eine Trinkgelegenheit signalisieren wie auch die Wahrscheinlichkeit des individuellen Konsums verstärken. Für eine Person mit einem Alkoholproblem kann sich die aus dem Konsum resultierende Intoxikation sowohl positiv verstärkend (beispielsweise die Verstärkung eines wünschenswerten
emotionalen Zustandes) und auch negativ verstärkend auswirken (beispielsweise als Erleichterung bei
unerwünschten emotionalen Zuständen wie sozialer Angst, Traurigkeit, Wut oder Frustration, bei unangenehmen Kognitionen wie kritische Selbstbewertung oder unangenehme Erinnerungen, und bei
physischem Schmerz). Die belohnende Wirkung von solchem Alkoholkonsum setzt oft schneller und in
besser voraussagbarer Weise ein als die sich häufig verzögert manifestierende bestrafende Wirkung.
Zu exzessivem Trinken neigen deshalb eher solche Personen, bei denen der bestrafende Effekt verglichen mit der belohnenden Wirkung von hohem Alkoholkonsum entweder verzögert einsetzt oder
schwach ausgeprägt ist. Paradoxerweise kann eine alkoholabhängige Person ihren Konsum, wenn
sozial und psychisch positive Konsequenzen des Konsums nur zeitweilig wahrgenommen und nicht
regelmässig verstärkt werden, noch weiter steigern oder im Hochkonsum verharren. Lernexperimente
haben gezeigt, dass unregelmässig positiv und negativ verstärkte Verhaltensweisen nur schwer gelöscht werden können. Aus dieser Perspektive könnte gemässigter Alkoholkonsum zumindest teilweise erklärt werden als eine Funktion von Änderungen der verschiedenen Stimuli – den Umgebungen –
in welchen die trinkende Person Alkohol konsumiert. Werden soziale Kontexte, in denen starker Alkoholkonsum stattfindet und verstärkt wird, gemieden und statt dessen in Umgebungen getrunken, in
welchen Moderates Trinken belohnt und Exzessives Trinken bestraft wird, so kann hoher Alkoholkonsum einer Mässigung weichen. Je mehr andere Mittel und Wege einem/r ProblemtrinkerIn zur Bewältigung unangenehmer Emotionen, quälender Gedanken und physischem Schmerz zur Verfügung stehen, desto mehr verliert Exzessives Trinken seine Funktion als Erleichterung bringendes Verhalten und
wird möglicherweise gar nicht mehr als Belohnung empfunden. Gemässigtes Trinken und eine geringere Toleranz bedeuten auch, dass dem erhofften belohnenden Effekt einer schweren Intoxikation
nicht mehr „nachgejagt“ werden muss. Eine weitere wichtige Komponente der Lerntheorie bildet das
„observational learning“ – das Lernen durch die Beobachtung des Verhaltens anderer und der dazugehörenden Konsequenzen. Beispielsweise lernen Menschen das Wie, Wann und Wo des Trinkens
43
zumindest teilweise durch die Beobachtung von wichtigen Vorbildern. Aus dieser Sicht kann Kontrolliertes Trinken als eine Funktion der Änderung der Mittrinkenden und als eine Funktion von Beobachtung und Nachahmung von Vorbildern des Sozialen Trinkens bezeichnet werden. AA-Mitglieder halten
sich beispielsweise nach ihrer Entscheidung für Abstinenz an bestimmte Vorbilder, die sie nachzuahmen versuchen. Auch mit der Pawlowschen oder klassischen Konditionierung kann erklärt werden,
weshalb bestimmte ehemalige ProblemtrinkerInnen in der Lage sind, ihren Alkoholkonsum zu mässigen. Hinter dieser Theorie steht die Hypothese, dass mit der Zeit diverse unterschiedliche Signale mit
dem Verlangen nach Alkohol und exzessivem Alkoholkonsum in Verbindung gebracht werden. Als
Folge können Signale, die an Entzug und „relief drinking“ oder an die in der Anfangsphase angenehme
Wirkung des Alkohols gekoppelte sind, unter Umständen einen konditionierten Wunsch auslösen,
wenn eine trinkgewohnte Person solchen Signalen ausgesetzt ist. Beispiele solcher Reize sind das
Sehen, Riechen oder Vorstellen des persönlichen alkoholischen Lieblingsgetränks, das Durchleben
bestimmter emotionaler Zustände, der Aufenthalt in der Nähe anderer ProblemtrinkerInnen, Orte, an
denen Alkohol verkauft oder konsumiert wird, wo Zigaretten geraucht werden und natürlich der Konsum eines alkoholischen Getränks. Wird eine Person wiederholt diesen Signalen ausgesetzt, ohne
dass es zur konditionierten Wiederholungszwangreaktion kommt, wird die Verbindung zwischen der
Wahrnehmung dieser Reize und dem starken Wunsch nach Alkohol oder dem Trinkverlangen und
exzessivem Trinken geschwächt. Im Rahmen einer Reizexpositionstherapie und/oder „in vivo“ Expositionen lernt der/die Alkoholabhängige, dass sich der Wunsch weiterzutrinken nach dem Konsum mehrerer Getränke mit der Zeit und durch die Anwendung verschiedener Bewältigungsstrategien auflösen
lässt. Aus Sicht der klassischen Konditionierung ist Kontrolliertes Trinken möglich, weil das Verlangen
nach Alkohol und Exzessivem Trinken ausgelöscht oder entkonditioniert wurde; Kognitionstheoretiker
würden jedoch anmerken, dass auch der Expositionsprozess die Selbstwirksamkeit eines/r Alkoholabhängigen für Kontrolliertes Trinken stärkt. Das bedeutet, dass wiederholte Expositionen gegenüber
solchen Reizen ohne nachfolgendes Exzessives Trinken den Glauben der betreffenden Person an
ihren Erfolg stärkt und dadurch auch die Fähigkeit dieser Person, nach dem Konsum eines oder mehrerer Getränke der Versuchung oder dem Verlangen, über ihre Grenzen zu trinken, zu widerstehen.
4.2
Verhaltensautomatismen
Mit diesem Ansatz wird das Verlangen nach Alkohol und der Rückfall und damit auch Kontrolliertes
Trinken als „over-learned“, d.h. als routinemässig unbewusste Verhaltensweisen erklärt (Tiffany, 1990).
Diesem Modell zufolge können Menschen im Laufe der Zeit relativ komplexe Verhaltensabläufe erlernen und sind in der Lage, diese unter vorgegebenen Umgebungsbedingungen mit geringem Einsatz
an mentaler Energie ablaufen zu lassen. Beispiele solcher automatisierter Verhaltensweisen sind das
Lenken eines Fahrzeuges, Fahrrad fahren, Lesen, das Tippen im Zehnfingersystem und Drogenkon-
44
sum. Obwohl diese Verhaltensweisen aus einer Kette einzelner Verhaltenselemente bestehen, deren
Erlernen zu Beginn eine Anstrengung erfordert, können solche Verhaltensweisen nach jahrelanger
Praxis effizient und koordiniert ausgeführt werden und nach ihrer Assimilierung kaum mehr Bewusstsein oder Anstrengung erfordern – sie werden in gewissen Situationen zu Automatismen. In anspruchsvollen Situationen hingegen können solche Verhaltensweisen ein beträchtliches Mass an Anstrengung und Aufmerksamkeit erfordern – beispielsweise das Fahren eines Autos in einem
Schneesturm oder das Lesen eines Buches bei lauter Musik. Obwohl dies von Tiffany (1990) nicht
ausdrücklich angesprochen wurde, ergibt sich als eine Schlussfolgerung aus diesem Modell, dass
Alkohol-Missbrauchende in der Lage sind, den erworbenen zwanghaften Trinkautomatismus zu durchbrechen, um sich als neue Gewohnheit das Gemässigte und Kontrollierte Trinken anzueignen. Die
Änderung alter, automatisch ablaufender Verhaltensmuster, wie beispielsweise zwanghaftes Verhalten, erfordert so lange eine aktive Anstrengung, bis das neue Verhalten – in diesem Fall die Gewohnheit des Kontrollierten Trinkens – eingeübt worden ist und automatisch abläuft.
4.3
Kognitionsmodelle
Alkoholwirkungsvorstellungen umfassen die subjektiven wünschenswerten und nichtwünschenswerten Konsumfolgen (Goldman, 1994). Solche Erwartungen erklären nicht nur den Beginn
und das Aufrechterhalten von Alkoholkonsum, sondern auch den Trinkzwang. So glauben bestimmte
Menschen beispielsweise, dass sie unter Alkoholeinfluss leichter neue Bekanntschaften machen oder
auf diese Weise ihre sexuelle Leistungsfähigkeit steigern können (Fromme, Stroot & Kaplan, 1993).
Einschränkungen kann der Konsum erfahren durch die Erwartung negativer Folgen exzessiven Alkoholkonsums, wie z. B. Erkrankung, Konzentrationsschwierigkeiten, Verlust der Selbstachtung oder
depressive Verstimmung (McMahon, Jones & O’Donnell, 1994). Solche Ansichten entspringen der
Beobachtung der Folgen von Alkoholkonsum bei anderen (sowohl „in vivo“ als auch gemäss der gemeinen Vorstellung in der Bevölkerung) und durch die Erinnerung an die Folgen des eigenen Alkoholkonsums in der Vergangenheit. Überzeugungen und Erwartungen bezüglich der Folgen von Alkoholkonsum sind auch abhängig von der Quantität und der Art des Alkohols (Bier, Wein, Saurer Most ,
Spirituosen), die jemand zu konsumieren beabsichtigt (Carey & Johnson, 1994; Guarna & Rosenberg,
2000). So kann jemand beispielsweise erwünschte Folgen aus kontrolliertem oder gemässigtem Konsum von Wein oder Bier erwarten, aber mit negativen oder unangenehmen Konsequenzen exzessiven
oder unkontrollierten Konsums von Wodka oder Whisky rechnen. Ansichten über die Folgen von Alkoholkonsum werden wahrscheinlich auch durch den Ort, an dem jemand Alkohol konsumiert, und die
Gesellschaft, in der die Person sich dabei befindet, geprägt. So stellt sich jemand den Genuss von
Wodka mit Freunden an einer Party unterhaltsamer vor, als beim sonntäglichen Abendessen gemeinsam mit der Oma an einem Sherry zu nippen.
45
In der Forschung ergab sich zwischen der Erwartung eines positiven Ergebnisses und hohem Alkoholkonsum sowie zwischen negativen Erwartungen und Einschränkungen eine aussagekräftige Korrelation. Gemäss diesem Ansatz wären also ProblemtrinkerInnen, die übertrieben positive Erwartungen an
Exzessives Trinken durch realistische Erwartungen an gemässigten Alkoholkonsum ersetzen – und
realistische Erwartungen bezüglich der negativen Ergebnisse von ungemässigtem Trinken entwickeln –
eher in der Lage, Alkohol gemässigt zu trinken. In der Kognitionstheorie wird zudem die Bedeutung
des Selbst- oder Identitätsgefühl resp. der sozialen Rolle betont. Auch die Rollen, die wir in unseren
Lebensbereichen – in Familie, Beruf, Freizeit – übernehmen, beeinflussen unser Verhalten. Das Mass,
in dem eine Person die Rolle des/r Alkoholabhängigen oder des/der Sozial Trinkenden annimmt, prägt
auch ihr Verhalten. Das Konzept der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist bekannt und wird oft zur
Erklärung herangezogen, weshalb sich einige Menschen in ihrem Verhalten an die gesellschaftlichen
Erwartungen an ihre Rolle halten. Aus diesem Blickwinkel lässt sich Gemässigtes Trinken erklären als
ein Rollen- oder Identitätswechsel – vom/von der „unkontrolliert Abhängigen“ zum/zur „AlkoholkonsumentIn mit Mass“.
4.4
Ein integrativer Ansatz: Erklärung von Kontrolliertem Trinken mittels einer adaptierten Version des „Kognitiv-behavioralen Rückfallmodells“ nach Marlatt
Auf der Basis der Theorie des sozialen Lernens und der Forschung, welche den Einfluss von Überzeugungen und Umweltbedingungen für Alkoholkonsum aufzeigte, entwickelte Marlatt ein Modell für Konsumaufrechterhaltung und Rückfall bei Suchterkrankungen, das sich später als eines der einflussreichsten erweisen sollte (Marlatt & Gordon, 1985). Das Modell verbindet Verhaltens- und kognitive
Prinzipien und beschreibt zwei verwandte Prozesse: 1) weshalb einige Alkoholabhängige Abstinenz
üben oder einen gemässigten, gesunden Alkoholkonsum aufweisen und 2) weshalb es einigen Alkoholabhängigen nicht gelingt, Abstinenz oder das Ziel eines gemässigten Alkoholkonsums zu erreichen,
und die deshalb in gesundheitsschädigendes Trinken verfallen oder einen Rückfall erleiden. Obwohl
das Marlatt Modell ursprünglich entwickelt worden war, um Rückfälle aus der Abstinenz zu erklären,
ist es auch deshalb wertvoll, weil es in einer adaptierten Version erklären kann, weshalb bestimmte
ProblemtrinkerInnen trotz periodischer Herausforderungen ihres Alkoholkonsumziels in der Lage sind,
beim gemässigten Alkoholkonsum zu bleiben. Das Modell beginnt mit der Annahme, dass sich der/die
ProblemtrinkerIn – nach Entzug oder Behandlung, durch Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe oder
nach einer Spontanremission – zur Abstinenz oder Gemässigtem Trinken verpflichtet hat. Als erste
Hürde (vgl. Abb. 2, S. 46) gerät die Person nach einer Abstinenz- oder Mässigungsphase in eine
Hochrisiko-Situation. Dies ist dann der Fall, wenn jemand in seinem Ziel herausgefordert wird – beispielsweise durch die Versuchung, über seine Grenzen zu trinken. Zu den Hochrisiko-Situationen ge-
46
hören bestimmte Umgebungen (z. B. Partys, Bars), bestimmte Personen (TrinkkumpanInnen), sozialer
Druck (Trinkspiele) und emotionale Zustände (z. B. Frustration, Wut, Depression, Nervosität, Freude,
Feststimmung). Jede Situation, jeder Gedanke oder jede Emotion, welche eine Versuchung birgt, über
die persönliche Grenzen des gemässigten Alkoholkonsums hinaus zu trinken, kann eine HochrisikoSituation begründen. Hochrisiko-Situationen sind in diesem Sinne „normal“, als dass fast jede(r) Alkoholabhängige sich bisweilen in solchen Situationen wiederfindet. Die Hauptfrage hier lautet: „Wie werden ProblemtrinkerInnen mit Hochrisiko-Situationen fertig?“ Wie in Abb. 2 (S. 46) aufgeführt, können
dazu Bewältigungsfähigkeiten oder Bewältigungsstrategien eingesetzt werden. Eine Bewältigungsfähigkeit kann alles beinhalten, von dem die trinkende Person annimmt, dass dadurch die Beibehaltung
des Konsumziels erhalten bleiben kann. Dies kann beispielsweise darin bestehen, dass die betroffene
Person auf nicht-alkoholische Getränke wechselt, spendierte Getränke ausschlägt, spazieren geht
oder Musik hört, um sich von unangenehmen Gefühlen oder Gedanken an das Weitertrinken abzulenken. Durch die Anwendung einer oder mehrere Bewältigungsstrategien gemäss dem nächsten Schritt
in Abb. 2 (S. 46) erlebt der/die Alkoholabhängige seine/ihre eigene Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit wird definiert als die Überzeugung, durch sein eigenes Verhalten in der eigenen Umgebung ein
Ergebnis erzielen zu können. In diesem Fall bezieht sich die Selbstwirksamkeit auf das Vertrauen in die
eigene Fähigkeit, auf den Konsum von Alkohol zu verzichten oder ihn unter Kontrolle zu halten. Die
Bewältigung einer solchen Situation stärkt mit anderen Worten die Zuversicht der betroffenen Person,
der Versuchung, über die eigenen Grenzen zu trinken, widerstehen zu können. Das sich aus der praktischen Anwendung einer Bewältigungsstrategie ergebende verstärkte Selbstvertrauen in die eigene
Fähigkeit zu Abstinenz oder zum Gemässigten Trinken hat zur Folge, dass die betreffende Person
dieses Ziel auch mit grösserer Wahrscheinlichkeit erreichen wird. Bei den ProblemtrinkerInnen ist die
Wahrscheinlichkeit, „unter den Tisch zu fallen“, weniger hoch. Kurzum: Die Bewältigung von Hochrisiko-Situationen verbessert die Chancen einer Person, exzessiven und ungesunden Alkoholkonsum zu
vermeiden. Wie der untere Teil von Abb. 2 (S. 46) zeigt, verfügen andere Personen möglicherweise
nicht über die genannten Bewältigungsfähigkeiten oder nutzen diese bewusst nicht. Eine betroffene
Person kann beispielsweise gesellschaftlichem Druck nachgeben und Alkohol konsumieren oder mehr
trinken, als sie eigentlich will. Möglicherweise trinkt jemand viel Alkohol in der Hoffnung, damit liessen
sich Verspannungen lösen oder Depressionen oder Einsamkeit vertreiben; oder aber die Integration in
eine Gruppe starkTrinkender erscheint wichtiger als die Aufrechterhaltung der eigenen Mässigungsoder Abstinenzziele. Gemäss dem nächsten Schritt führt eine misslungene Bewältigung zu einer reduzierten Selbstwirksamkeit. Das bedeutet, dass der Glaube der betroffenen Person an ihre eigene Fähigkeit, ihr Trinken zu kontrollieren, abnimmt. Die Trinkenden sind weniger zuversichtlich, dass sie der
Versuchung, über das Mass zu trinken in dieser (oder in ähnlichen Situationen) widerstehen können.
Zudem werden Erwartungen an positive Ergebnisse einer Alkoholtherapie – die „wenn ... dannÜberzeugungen“, die bezüglich der wünschbaren Ergebnisse des Trinkens gehegt werden – wieder
stärker in den Vordergrund treten. Schwindet das Vertrauen der trinkenden Person in ihre Fähigkeit
47
zur Mässigung und glaubt sie, dass Trinken über den Durst eine gute Methode für den Umgang mit
oder die Bewältigung von Hochrisiko-Situationen ist, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit eines sog.
„slip“ (Kurzrückfall). Ein solcher „slip“, der nicht mit einem gewöhnlichen Rückfall gleichzusetzen ist,
lässt sich definieren als eine Trinkepisode, während der die persönlich bestimmte Konsummenge
überschritten wird. Wichtig ist die Einstellung der trinkenden Person zu diesem „slip“: Schämt sie sich
oder fühlt sie sich schuldig, hadert sie mit sich selber wegen dieses Überschreitens ihrer Grenzen,
oder sieht sie sich selber als unfähig, ihren Alkoholkonsum zu mässigen oder zu kontrollieren, können
solche Gedanken und Gefühle – die sich als Zielverfehlung zusammenfassen lassen – fortgesetzten
hohen Alkoholkonsum und Nicht-Einhalten der selber gesetzten Konsumziele nach sich ziehen. Sieht
der/die Alkoholabhängige im „slip“ jedoch die Chance, mehr über die näheren Umstände zu lernen,
die immer noch zu exzessivem Alkoholkonsum führen, und wie er/sie seinen/ihren Konsum in Zukunft
erfolgreicher unter Kontrolle halten kann, erhöht sich die Chance der Weiterführung eines gemässigten
Konsums. Die grosse Schwierigkeit bei einem „slip“ besteht darin, die Bremse zu ziehen – aufzuhören,
über die eigene Grenze zu trinken und zur Abstinenz oder zu Gemässigtem Trinken zurückzufinden,
bevor hoher und ungesunder Alkoholkonsum zur Gewohnheit wird. Das Modell von Marlatt bringt zum
Ausdruck, dass ProblemtrinkerInnen in der Lage sind, das Ziel Kontrolliertes Trinken einzuhalten, indem sie einige Hochrisiko-Situationen vermeiden, Bewältigungsfähigkeiten lernen und anwenden, und
indem sie „slips“ als wahrscheinlich auftretende Ereignisse sehen, die ihnen eine Chance zum Lernen
bieten und nicht so sehr die eigene unterschwellige Kontrollunfähigkeit vor Augen führen.
48
Verpflichtung
Hochrisiko-
zum Wandel
Situation
Einsatz von Bewälti-
Erhöhte Selbst-
Geringere Rückfall-
gungsfähigkeiten
wirksamkeit
wahrschein-lichkeit
Keine Bewältigungs-
Reduzierte Selbst-
fähig-keiten verfüg-
wirksamkeit und
bar oder eingesetzt
positive Therapieer-
“SLIP“
gebnis-Erwartung
Abbildung 2: Das kognitiv-behaviorale Rückfallmodell von Marlatt & Gorden (1985)
Effekt der Zielver-
Erhöhte Rückfall-
letzung
wahr-cheinlichkeit
49
4.5
Psychoanalytischer Ansatz
Obwohl für die Erklärung, weshalb einige ProblemtrinkerInnen in der Lage sind, ihren Alkoholkonsum
zu mässigen, oft kognitive und behaviorale Modelle herangezogen werden, lässt sich dieses Phänomen auch anhand der Theorie der Psychoanalyse erläutern. PsychoanalytikerInnen haben Sucht als
Selbstmedikation für Gefühle konzeptualisiert (Khantzian, 1996), als eine Variante einer Zwangsneurose (Dodes, 1996) und als eine unbewusste Anstrengung zur Kontrolle von Gefühlen der Einsamkeit
und Hilflosigkeit (Johnson, 2002) gedeutet. Johnson schrieb dazu, dass als Reaktion auf Kindheitserfahrungen, die ein Individuum mit Gefühlen der Hilflosigkeit überwältigen, Alkohol konsumiert werden
kann, um die Kontrolle wiederzuerlangen und Wut abzubauen. Weiter fasste Johnson (2002) dieses
Verhalten zusammen als: „Wenn eine Person die Entscheidung zur Durchführung einer Suchthandlung
trifft, … fühlt sie sich nicht mehr hilflos, denn durch das Treffen dieser Entscheidung hat sie sich bestätigt, dass sie die Kontrolle innehat, dass sie aktiv werden kann, um ihren affektiven Zustand zu ändern.“ (S. 140). Der Grundstein für eine Änderung wird gelegt, wenn sich der/die Alkoholabhängige –
sei es als Folge von Behandlung oder einer Spontanremission – bewusst wird, dass Substanzmissbrauch eine negative Anpassung darstellt und die negativen Folgen des zuvor idealisierten SuchtVerhaltensmusters realistisch einschätzt. Theoretisch könnte eine Person nach Auflösung des unterschwelligen Konflikts ihr Trinkverhalten kontrollieren, da dieses Verhalten seiner ursprünglichen Funktion entledigt wurde. In dem Mass, wie ProblemtrinkerInnen keinen Alkohol mehr brauchen, um Kontrolle auszuüben und ihre Wut oder andere Emotionen zu kontrollieren, werden sie in der Lage sein,
abstinent zu leben oder gemässigt Alkohol zu konsumieren.
4.6
Schlussfolgerung
Dieses Kapitel erläutert mithilfe von psychologischen Modellen die Entstehung von Alkoholproblemen
einerseits sowie andererseits die Methoden, mit denen einige der Alkoholabhängigen zu dauerhaftem
Gemässigtem Trinken in der Lage sind. Diese Modelle schliessen sich gegenseitig nicht aus; in einem
Individuum und auch innerhalb der Population der kontrolliert Trinkenden gibt es mehrere Mechanismen für Verhaltensänderungen, mit deren Hilfe die Betreffenden dauerhaft bei gemässigtem Alkoholkonsum bleiben. Zudem sollte die Wirkung der Neurochemie bei der Untersuchung von Erklärungen
für Kontrolliertes Trinken mitberücksichtigt werden. So weist beispielsweise die Wirkungsweise von
Naltrexone – einem Opioid-Antagonisten – zur Reduzierung des Verlangens und des Exzessiven Trinkens bei einigen der alkoholabhängigen PatientInnen (z.B., Rubio et al., 2002; Sinclair, 2001) darauf
hin, dass auch die chemische Veränderung im Belohnungssystem des Gehirns eine Rolle in der Ätio-
50
logie und der Weiterführung von Kontrolliertem Trinken spielt. Wir gehen davon aus, dass sich aus der
Integration dieser Modelle diese klinisch interessanten und wichtigen Phänomene am erfolgreichsten
erklären lassen.
51
4 Theoretical explanations for controlled drinking
(H. Rosenberg)
As other chapters in this report indicate, subsets of both chronic alcohol-dependent persons and less
severely impaired alcohol abusers are able to moderate or control their drinking, although moderate
consumption is often interspersed with periods of both abstinence and problematic drinking (e.g.,
Dawson, 1996; Sartor, Jacob, & Bucholz, 2003). Treatment outcome evaluations have revealed that
controlled drinking may be facilitated by interventions such as behavioral self-control training (Hester &
Miller, 1989; Walters, 2000) and cue exposure therapy (Heather, Tebbutt & Greeley, 1993; Sitharthan,
Sitharthan, Hough & Kavanagh, 1997). Surveys of untreated samples have revealed that controlled
drinking also occurs naturally in the absence of any apparent professional intervention (e.g., Sobell,
Cunningham & Sobell, 1996). Several characteristics of problem drinkers – such as lower severity of
dependence, choosing to and believing in one’s ability to control one’s drinking, and good psychosocial functioning – are predictive of moderate drinking (Elal-Lawrence, Slade & Dewey, 1986; Heather &
Robertson, 1981; Rosenberg, 1993). Nonetheless, controlled drinking has been controversial because
it stands in contradiction to the American disease model promulgated in the latter half of the 20th
century. A key feature of this model is the proposition that all alcoholics are born with (or develop)
brain deficits that are irreversible and, because such deficits are irreversible, no alcoholic will be able
to consistently or reliably control his or her drinking (or other drug use). Despite its apparent appeal,
this “alcoholic uniformity myth” is not consistent with empirical evidence demonstrating that problem
drinkers represent a broad range of different etiologies, symptom clusters, and outcomes and that
they recover in various ways, including by moderating their drinking (Sartor, Jacob & Bucholz, 2003;
Dawe et al., 2002). Scientists and clinicians have theorized about the multiple factors that influence
the initiation, exacerbation, and maintenance of problem drinking. These factors include learning principles, cognitions (memories, beliefs), personality styles, brain mechanisms, cultural rules and values,
and drinking environment (Orford, 2001). Some of these theories also help explain why a meaningful
subset of problem drinkers is able to moderate their consumption of alcohol, for many of the factors
that foster drinking problems also foster recovery, whether to an abstinent or controlled drinking outcome.
4.1
Learning principles
Operant conditioning explains behavior as a function of discriminative stimuli that set the occasion for
the performance of volitional responses that are more likely to be repeated if rewarded and are less
52
likely to be repeated if punished. Discriminative stimuli include environmental, emotional and somatic
cues that signal an opportunity to drink and increased likelihood of reinforcement for doing so. For
those who develop drinking problems, the resulting intoxication may be both positively reinforcing (for
example, increasing a desirable emotional state) and negatively reinforcing (for example, as a respite
from undesirable emotional states such as social anxiety, sadness, anger, or frustration, from uncomfortable cognitions such as critical self-evaluation or unhappy memories, and from physical pain). The
rewarding effects of such drinking are often rapid and predictable, more so than the often delayed
punishing effects of excessive drinking. Excessive drinking is more likely by those for whom the punishing effects are either delayed or pale in comparison to the rewarding outcomes of heavy drinking.
Paradoxically, to the degree that the intrapersonal or interpersonal rewards of excessive drinking are
experienced only periodically, the alcoholic drinker may escalate and persist in heavy drinking in the
apparent absence of regular reinforcement. As learning experiments have demonstrated, intermittently reinforced and intermittently punished behaviors may be notably resistant to extinction.From
this perspective, moderate drinking would be explained, at least in part, as a function of changes in
the discriminative stimuli – the environments – in which the drinker consumes alcohol. If one avoids
social contexts in which heavy drinking is modeled and reinforced, and instead drinks in environments
in which moderate drinking is rewarded and excessive drinking is punished, moderation may supplant
heavy drinking. Furthermore, to the degree that the problem drinker finds other ways to cope with uncomfortable emotions, disturbing thoughts, and physical pain, excessive drinking no longer serves the
same relief functions and may no longer be experienced as rewarding. Moderate drinking and reduced
tolerance also mean one need not “chase” the hoped for rewarding effects of gross intoxication. Another important component of learning theory is observational learning. That is, we learn by observation of others’ behavior and its consequences. For example, humans learn the how, when and where
of drinking, in part, by observing important role models. From this perspective, controlled drinking is
explained as a function of changing the persons with whom one drinks and by observing and imitating
models of social drinking. Similarly, those who attend AA have acquired models of abstinence whom
they may imitate if they decide to quit drinking. Pavlovian or classical conditioning may also be employed to explain why some former problem drinkers are able to moderate their consumption. The
assumption underlying this theory is that, over time, a variety of cues have become associated with
craving for and excessive consumption of alcohol. As a result, cues paired with withdrawal and relief
drinking, or with the initially pleasant effects of intoxication, may come to elicit a conditioned desire or
craving when the experienced drinker is in the presence of those cues. These cues include, for example, seeing, smelling or imagining one’s favorite alcohol beverage, experiencing certain emotional
states, being in the presence of other problem drinkers, locations where one buys or consumes alcohol, cigarette smoking, and, of course, consumption of an alcoholic beverage. Repeated exposure to
these cues without engaging in the conditioned response of perseveration can weaken the connection
between experience of these cues, the strong desire or craving to drink, and excessive drinking. Dur-
53
ing either a course of cue exposure therapy and/or in vivo exposures, the drinker learns that the desire
to continue drinking, even after one has had several drinks, will dissipate with the passage of time and
the employment of various coping skills. From a classical conditioning perspective, moderate drinking
is possible because craving and excessive drinking have been extinguished or de-conditioned; however, cognitive theorists would also note that the exposure process also increases a drinker’s selfefficacy for moderate drinking. That is, repeated exposure to such cues without excessive drinking
increases one’s belief that he or she can successfully and repeatedly resist the temptation or craving
to continue drinking beyond one’s limits, even after consuming one or more drinks.
4.2
Automaticity of Behavior
This approach explains craving and relapse and, by implication, controlled drinking by interpreting
drinking and drug use as examples of over-learned behaviors (Tiffany, 1990). According to this model,
over the course of time, people can learn relatively complex behaviors and perform them with little
mental energy under defined environmental conditions. Examples of automatic behaviors include driving a car, riding a bicycle, reading, touch-typing, and drug taking. Although these behaviors are comprised of chains of behaviors that are initially effortful to learn, after years of practice, such behaviors
can become efficient, coordinated, and require little awareness or effort after acquisition – that is, they
become automatic in certain situations. However, such behaviors may require considerable effort and
attention in demanding situations – for example, driving an automobile in a snowstorm or reading a
book in the presence of loud music. Although Tiffany (1990) did not address this issue explicitly, one
implication of this model is that alcohol abusers may be able to break the acquired “automaticity” of
preservative drinking and acquire new moderate or controlled drinking habits. Changing old automatic
behavior patterns such as preservative will be an effortful process for some time until the new behaviors – in this case, controlled drinking habits – are themselves well practiced and become automatic.
4.3
Cognitive models
Alcohol outcome expectancies are the beliefs one holds about the positive/desirable and negative/undesirable outcomes of drinking (Goldman, 1994). Such expectancies explain not only the initiation and maintenance of drinking, but the restraint of drinking as well. For example, some people drink
excessively believing that alcohol will make it easier for them to meet new people or that drinking
helps them perform better sexually (Fromme, Stroot & Kaplan, 1993). Drinking may be restrained by
anticipating that heavy drinking will result in negative outcomes such as becoming ill, difficulty thinking, losing self-respect, or feeling depressed (McMahon, Jones & O’Donnell, 1994). Such beliefs result
54
from observing the outcomes of drinking by others (both in vivo and portrayed in popular culture) and
by recalling (and anticipating) the outcomes of one’s own past drinking. Beliefs or expectancies about
the outcomes of drinking also depend on the quantity and type of alcohol (beer, wine, cider, spirits)
one intends to ingest (Carey & Johnson, 1994; Guarna & Rosenberg, 2000). For example, one might
expect desirable outcomes from controlled or moderate drinking of wine or beer, but expect bad or
uncomfortable results from excessive or uncontrolled drinking of vodka or whiskey. Beliefs about the
results of drinking are also probably influenced by where and the people with whom one drinks. For
example, one might expect to have more fun drinking vodka with friends at a party than sipping sherry
with one’s grandmother at Sunday dinner. Research has found meaningful correlations between positive outcome expectancies and heavy drinking, and between negative expectancies and restraint. His
approach to explaining drinking would hold that if a problem drinker substitutes realistic expectancies
of moderate drinking in place of exaggerated positive outcomes of excessive drinking – and develops
realistic expectations for the negative outcomes of immoderate drinking – he or she is more likely to
drink moderately. Cognitive theory also notes the importance of one’s sense of self or identity or role.
The roles we take on in our lives – in our families, in our occupation, in our recreational activities – also
influence our behavior. The degree to which one takes on the role of “alcoholic” or “social drinker” will
also influence one’s behavior. The concept of “self-fulfilling prophesy” is well known and often invoked
to explain why some people behave in concert with behavioral expectations of their roles in society.
From this theoretical perspective, moderate drinking may be explained in terms of changing one’s
identity or role – from that of “out-of-control alcoholic” to “moderate drinker.”
4.4
An integrative approach: Adapting Marlatt’s cognitive-behavioral re-lapse model
to explain controlled drinking
Based on social learning theory and research demonstrating the influence of beliefs and environmental
contingencies on drinking, Marlatt developed what has become one of the most influential models of
maintenance and relapse in substance abuse (Marlatt & Gordon, 1985). Combining both behavioral
and cognitive principles, this model describes two related processes: 1) why some drinkers maintain
abstinence or moderate, healthy drinking and 2) why some drinkers fail to maintain their abstinence or
moderate drinking goal and engage in unhealthy or relapse drinking. Although initially developed to
explain relapse from abstinence, part of the value of Marlatt’s model is that it may be modified to explain how some problem drinkers are able to maintain moderate drinking in the face of periodic challenges to their drinking goal. The model begins with the assumption that the problem drinker – following detoxification or treatment, by participating in a mutual help group, or following a process of natural recovery – has made a commitment to abstinence or moderate drinking. The first key feature in the
model (see Figure 3, p. 57) is that, after some time abstaining or moderating one’s drinking, the per-
55
son will encounter a high-risk situation. A high-risk situation occurs when one faces a challenge to
one’s goal – for example, feeling tempted to drink more than one’s limit. High-risk situations include
specific environments (e.g., parties, bars), specific persons (e.g., drinking buddies), social pressure
(e.g., drinking games), and emotional states (e.g., frustration, anger, depression, anxiety, joy, celebration). Any situation, thought, or emotion that provokes a temptation to drink over one’s personal limit
for moderate drinking may be a high-risk situation. High-risk situations are “normal” in the sense that
almost every drinker faces such situations now and again. The chief question is, “How does the problem drinker cope with high-risk situations?” As the top part of Figure 3 (p.57) shows, one may employ
coping skills or coping strategies to deal with high-risk situations. A coping skill is anything the drinker
thinks, says, or does that promises to reduce the challenge to maintaining one’s drinking goal. For
example, the drinker might switch to non-alcohol drinks; could refuse offers to buy additional drinks;
or could go for a walk or play music to distract oneself from uncomfortable emotions or thoughts of
continuing to drink. According to the next step in Figure 3 (p.57), if the drinker employs one or more
coping skills in the high-risk situation, he or she will experience increased self efficacy. Self-efficacy is
defined as the belief that one can engage in behaviors to create an outcome in one’s environment. In
this case, self-efficacy refers to one’s confidence in his or her ability to abstain or exercise control over
drinking. In other words, if one copes, one feels more confident that he or she can resist the temptation to drink beyond his or her limit. According to this model, if a drinker employs coping skills, and
the drinker’s confidence in his or her ability to abstain or drink moderately increases, the person is
likely to maintain the moderate or abstinent drinking goal. For problem drinkers, one could say they
are less likely to “fall off the wagon.” In short, coping with high-risk situations reduces one’s chances
of engaging in excessive, unhealthy drinking. As the bottom part of Figure 3 (p.57) shows, the person
might not have or might decide not to use coping skills to deal with high-risk situations. For example,
the person might give in to social pressure to drink or to drink more than he or she desires; the person
might decide to drink heavily in the hope it will help him or her feel less tense, depressed, or lonely; or
fitting in a group of heavy drinkers may seem more important than maintaining one’s moderate or
abstinent drinking goal. According to the next step, failing to cope results in decreased self efficacy.
This means that the person’s belief in his or her ability to control his or her drinking de-creases. That
is, the drinker feels less confident that he or she can resist the temptation to drink immoderately in
that situation (or in other similar situations). Furthermore, positive alcohol outcome expectancies – the
“if-then” beliefs one holds about the desirable outcomes of drinking – become more salient. If the
drinker feels less confident in his or her ability to drink moderately, and believes that drinking more
than one’s limit is a good way to cope or deal with the high-risk situation, the drinker is likely to slip. A
slip may be defined as a drinking episode during which one consumes more than one’s personal limit.
A slip is not the same as relapse. But how the drinker interprets the slip is very important. For example, if the drinker feels ashamed or guilty about slipping, berates him/herself for drinking more than
their limit, and perceives oneself as not being able to moderate or control his or her drinking, the out-
56
come of such thoughts and feelings – which may be summarized as a “goal violation effect” – may be
continued heavy drinking and failure to maintain one’s drinking goal. If the drinker interprets the slip
instead as an opportunity to learn more about the circumstances that still result in excessive drinking
and how to control one’s drinking more successfully in the future, then he or she is more likely to carry
on drinking moderately. The challenge when one slips is to put on the brakes – to stop drinking more
than one’s limit and to return to abstinence or moderate drinking before re-developing a habit of
heavy, unhealthy drinking. Marlatt’s model implies that problem drinkers will be able to maintain a
controlled drinking goal by avoiding some high-risk situations, learning and employing coping skills, by
increasingly one’s confidence in the ability to drink moderately, and by interpreting slips as likely occurrences that provide learning opportunities rather than a demonstration of their underlying inability
to control.
57
Employ coping skills
Commit to
High-Risk situa-
change
tion
Increased self-
Decreased likeli-
efficacy
hood of relapse
No coping skills
Decreased self-
available or em-
efficacy and positive
ployed
outcome expectan-
“SLIP“
cies
Figure 3: Marlatt’s Cognitive-Behavioral Model of Relapse (Marlatt & Gordon, 1985)
Goal violation
Increased likeli-
effect
hood of relapse
58
4.5
Psychoanalytic approach
Although cognitive and behavioral models are often used to explain how some problem drinkers are
able to moderate their drinking, psychoanalytic theory also may be employed to understand this phenomenon. Specifically, psychoanalysts have conceptualized addiction in terms of self-medication of
emotions (Khantzian, 1996), as a variant of a compulsion neurosis (Dodes, 1996), and an unconscious
effort to control feelings of loneliness and helplessness (Johnson, 2002). In Johnson’s formulation,
childhood experiences that leave an individual overwhelmed by feelings of helplessness may be countered by drinking in order to exert control and reduce rage. As Johnson (2002) summarized this approach, “When the person makes the decision to perform his addictive act, … he no longer feels helpless, because in making the decision, he has reasserted a sense that he is in control, that he can act
to alter his affective state” (p.140). The foundation for change is set when, either as a result of treatment or natural recovery, the drinker becomes conscious that substance abuse is maladaptive and
more realistically appraises the negative consequences of the previously idealized addictive behavior
patterns. Theoretically, once the underlying conflict is resolved, the individual could control his or her
drinking because the behavior no longer serves the same functions it once did. That is, to the degree
that the problem drinker no longer needs alcohol to exert control and regulate his or her anger and
other emotions, he or she will be able to abstain or drink moderately.
4.6
Conclusion
As this chapter indicates, psychological models explain both the development of drinking problems,
and the ways in which some alcohol abusers are able to achieve and maintain moderate drinking.
These models are not mutually exclusive, and several mechanisms of behavior change may operate
within an individual, as well as across the population of controlled drinkers, to yield moderate drinking.
Furthermore, the role of neurochemistry should be considered as we explore explanations of controlled drinking. For example, the effect of naltrexone – an opioid antagonist – to reduce craving and
excessive drinking in some alcohol dependent patients (e.g., Rubio et al., 2002; Sinclair, 2001) suggests that changing the chemistry of reward systems in the brain also plays a role in the etiology and
maintenance of controlled drinking. We suggest that integration of these models holds the most
promise for explaining this clinically interesting and important phenomenon.
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61
5 Internationale Forschung - Zielgruppen
(H. Rosenberg)
Von den ehemaligen AlkoholmissbraucherInnen und -abhängigen gelingt es nur einer Untergruppe,
den eigenen Alkoholkonsum zu kontrollieren. In der Forschung wurden daher die besonderen Eigenschaften der in dieser Untergruppe vertretenen kontrolliert Trinkenden sowie ihre jeweilige Trinkumgebung untersucht. Einbezogen wurden sowohl professionelle Behandlungsinterventionen als auch
Selbsthilfemassnahmen. In diesem Kapitel werden Variablen diskutiert, die mit Kontrolliertem Trinken
korrelieren, ferner Eigenschaften, welche eine Kontraindikation für das Ziel KT darstellen, Vorteile eines
Angebots von Kontrolliertem Trinken sowie erfolgsversprechende Interventionen, um ProblemtrinkerInnen bei der Reduzierung ihres Alkoholkonsums zu unterstützen.
5.1
Indikationen und Zielgruppen
Besondere Aufmerksamkeit kam in der Forschung dem Schweregrad der Abhängigkeit zu, denn dieser gilt bei der Beurteilung von ProblemtrinkerInnen als aufschlussreicher Bestimmungsfaktor für die
Fähigkeit zu kontrolliertem Alkoholkonsum. Insbesondere in Follow-up-Studien war wiederholt festgestellt worden, dass ehemals Alkoholabhängige mit einer weniger stark durch Abhängigkeitszeichen
und -symptome vorbelasteten Krankheitsgeschichte nach Teilnahme an abstinenzorientierten Programmen mit grösserer Wahrscheinlichkeit gemässigt tranken (Dawson, 1996; Heather & Robertson,
1981; Rosenberg, 1993). Eine kürzlich von Walters (2000) durchgeführte Meta-Analyse zur Evaluierung des Einflusses von behavioralem Selbstkontrolltraining auf Kontrolliertes Trinken kam jedoch zum
Schluss, dass sich das Ausmass dieses Effekts nicht signifikant nach Schweregrad des Alkoholkonsums der Klientel aufgliedern lässt (Alkoholmissbrauch vs. Alkoholabhängigkeit). Anzumerken ist jedoch, dass die DSM-IV-Klassifikationen von Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit im Vergleich
mit Bewertungsskalen wie z. B. dem „Alcohol Use Disorders Identification Test“ (Saunders, Aasland,
Babor, De La Fuente & Grant, 1993) oder dem „Severity of Alcohol Dependence Questionnaire“
(Stockwell, Murphy & Hodgson, 1983) nur sehr grobe Indizien für den Schweregrad der Abhängigkeit
darstellen. Die Erreichung des Ziels KT lässt sich nicht in allen Studien aufgrund des Abhängigkeitsgrades konsequent voraussagen, was vermutlich durch die Beurteilung des Schweregrads einerseits
und andererseits durch die breite Streuung des Schweregrads in jeder ProbandenInnengruppe bedingt ist. Obwohl die Häufigkeit von Gemässigtem Trinken möglicherweise mit steigendem Schweregrad der Abhängigkeit abnimmt, kann es eine weite Streuung an gemässigten Schweregraden geben,
innerhalb welcher die Wahrscheinlichkeit des Kontrollierten Trinkens relativ konstant bleibt.
62
Auch der Gesundheitszustand eines Alkoholabhängigen – u. a. bestimmbar aufgrund von Leberfunktion, Pankreaserkrankungen, Bluthochdruck – sollte bei der Auswahl des Therapieziels Berücksichtigung finden, denn die Wirkung einzelner Medikamente – sowohl für psychiatrische als auch
für verschiedene somatische Erkrankungen – kann durch Alkohol beeinträchtigt werden. KlientInnen,
welche entsprechende Medikamente einnehmen, sollten deshalb auf die möglichen Nebenwirkungen
auch von gemässigtem Alkoholkonsum aufmerksam gemacht werden. Schwangeren Frauen sollte
nach Möglichkeit die Abstinenz nahe gelegt werden. Fehlen solche Kontraindikationen, sollten die sich
mehrenden Hinweise und Erkenntnisse über gesundheitsfördernde Aspekte von gemässigtem Trinken
gegenüber Abstinenz in die Beratung einfliessen (Chick, 1999; Zakhari & Gordis, 1999).
Die Selbstkonzeptualisierung des Problemtrinkenden, oft dargestellt als Annahme oder Ablehnung der
Etikettierung als „AlkoholikerIn“, scheint ebenfalls einen Zusammenhang mit dem Gemässigten Trinken
aufzuweisen. Je mehr ein(e) ProblemtrinkerIn die Rolle und Identität als „AlkoholikerIn“ annimmt und
von der Unmöglichkeit des Kontrollierten Trinkens überzeugt ist, desto geeigneter erscheint Abstinenz
als Ziel. Zudem kann die Bereitschaft, eine Identität als „AlkoholikerIn“ anzunehmen, mit der eigenen
Geschichte von Toleranz, Entzug und dem Erleben von negativen, alkoholbezogenen Folgen korrelieren. Daher können Selbstkonzeptualisierung und Abhängigkeitsschweregrad durchaus die Erfolgschancen für Kontrolliertes Trinken beeinflussen.
Ein weiteres mögliches Indiz für den Ausgang der Therapie ist die Bestimmung des Therapieziels
durch die alkohlabhängige Person selber – also ihre Entscheidung für Abstinenz oder KT. Studien
über britische (Booth, Dale & Ansari 1984), norwegische (Ojehagen & Berglund, 1989) und neuseeländische (Adamson & Sellman, 2001) Kohorten stellten fest, dass sich der eigene Entschluss zur Mässigung des Alkoholkonsums als guter Indikator für einen Therapieerfolg herausstellte, insbe-sondere
dann, wenn sich die alkoholabhängige Person für die Einhaltung der Standard-Richtlinien entschieden
hatte (beispielsweise nicht mehr als vier bis sechs alkoholische Getränke pro Gelegenheit und nicht
mehr als 14 bis 21 alkoholische Getränke pro Woche, je nach Geschlecht der betreffenden Person).
Sowohl die Forschung als auch die klinische Erfahrung haben gezeigt, dass es mehr ProblemtrinkerInnen mit dem Wunsch zur Mässigung des Konsums (oder eines abstinenten Lebens) gibt, als solche,
die das gewünschte Therapieergebnis auch wirklich erreichen, was die Bedeutung der Therapiezielbestimmung als alleinigem Erfolgsindikator schmälert.
Aus der Forschung ist bekannt, dass bei verschiedenen psychologischen Störungen das prämorbide
Funktionieren Rückschlüsse auf das Therapieergebnis zulässt. Es erstaunt daher nicht, dass das psychologische und soziale Funktionieren vor der Behandlung auch Hinweise auf das Therapieergebnis
von Personen mit Alkoholproblemen liefert. Insbesondere korrelieren psychologische Anpassung und
63
ein besseres soziales Funktionieren (d.h. intakte Familienverhältnisse, soziale Unterstützung, Arbeit)
nach der Entlassung aus einer Entzugsbehandlung mit Gemässigtem Trinken (z.B. Edwards et al.,
1988). Obwohl soziale und psychologische Stabilität das Ergebnis unabhängig vom Schweregrad der
Abhängigkeit, der Wahl des Therapieziels und der Selbstkonzeptualisierung beeinflussen können, hat
das psychosoziale Funktionieren wahrscheinlich als solches auch einen Einfluss und wird durch solche
Faktoren beeinflusst.
Im Rahmen der Theorie des sozialen Lernens wird argumentiert, dass sowohl beim Kontrollierten als
auch beim Unkontrollierten Trinken Familie, Freunde und Arbeitskollegen als Vorbilder dienen. Zudem
halten möglicherweise viele Personen im sozialen Umfeld des/der Betroffenen Abstinenz für das einzige realistische Therapieziel. TherapeutInnen sollten deshalb im Vorfeld eruieren, inwiefern diese Bezugspersonen das Kontrollierte Trinken als Therapieziel des/der KlientIn unterstützen würden. Die
Haltungen und Erwartungen der Bezugspersonen können in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung
münden, welche das Gemässigte Trinken des/der KlientIn entweder unterstützt oder untergräbt.
Basierend auf den gegenwärtigen Erkenntnissen gibt es einerseits Anzeichen dafür, dass sich jüngere
AlkoholkonsumentInnen (und vielleicht ältere im Zustand eines „Burn-out“) als KandidatInnen für Kontrolliertes Trinken eignen (z.B., Drew, 1968; Polich, Armor & Braiker, 1981). Andererseits neigen junge
KonsumentInnen eher weniger dazu, das Ziel des KT innerhalb gesunder Limiten zu setzen (Adamson
& Sellman, 2001). Einige ForscherInnen haben in der Arbeit mit aus Männern und Frauen zusammengesetzten Gruppen festgestellt, dass die nach dem Follow-up noch gemässigt Trinkenden grösstenteils Frauen waren. Allerdings sind die geschlechtsspezifischen biologischen, psychologischen und
sozialen Aspekte, welche den Alkoholkonsum beeinflussen, derzeit noch eher spekulativer Natur (Rosenberg, 1993).
Obwohl die Hypothese über die Vererbung der Prädisposition zum Alkoholismus grosse Aufmerksamkeit erhielt, scheinen Alkoholprobleme in der Familiengeschichte kein durchgängig anwendbarer Prognosefaktor für das Therapieergebnis darzustellen. In einigen Studien hat sich gezeigt, dass gemässigt
Trinkende weniger Verwandte mit einem anamnestischen Alkoholmissbrauch aufweisen (z.B. Miller et
al., 1992). In anderen jedoch wurde festgestellt, dass kein Zusammenhang besteht oder dass sich bei
kontrolliert Trinkenden häufiger ProblemtrinkerInnen in der Verwandtschaft finden (z.B. Elal-Lawrence
et al., 1986). Diese unterschiedlichen Ergebnisse stellen eigentlich keine Überraschung dar, denn die
Rolle der Familie wird vielfach falsch gedeutet. Eltern und Geschwister teilen nicht nur eine genetische
Prädisposition für alle körperlichen und psychologischen Eigenschaften, welche sich in Form von exzessivem Alkoholkonsum manifestieren können, sondern Familienmitglieder dienen auch als Vorbilder
hinsichtlich Trinkpraktiken und als Quelle von Unterstützung, Stress und Identität.
64
5.2
Zusammenführung mehrerer Prognosefaktoren
Elal-Lawrence et al. (1986) haben ein Prognosemodell für die Art des Therapieergebnisses vorgelegt,
das bei der Beurteilung der Eignung eines/r KlientIn für Kontrolliertes Trinken sehr wertvoll sein kann.
Diesem Modell zufolge lässt sich aufgrund der kongruenten oder inkongruenten Beziehung zwischen
kognitiven, behavioralen und physiologischen Eigenschaften Kontrolliertes Trinken, Abstinenz oder
Rückfälle voraussagen. Insbesondere ergibt sich aus diesem Modell eine erhöhte Wahrscheinlichkeit
für Kontrolliertes Trinken, wenn ein(e) ProblemtrinkerIn nicht an eine Nur-Abstinenz-Ideologie glaubt,
sondern wenn er/sie der Überzeugung ist, dass das Trinken kontrolliert werden kann und er/sie sich in
guter physiologischer Gesundheit befindet. Abstinenz hingegen ist das wahrscheinlichere Therapieergebnis in den Fällen, da der Problemtrinkende eine Abstinenz-Ideologie vertritt und glaubt, dass er auf
den Alkoholkonsum verzichten kann und physiologisch gesund ist. Ein Rückfall wird gemäss dem
Modell vorhergesagt für eine(n) ProblemtrinkerIn mit einer durch eine schlechte körperliche Gesundheit
belasteten Krankengeschichte (d.h. grössere Abhängigkeit), der/die sich selber die Abstinenz nicht
zutraut, diese aber für das einzige geeignete Therapieergebnis hält.
Obwohl gemässigtes Trinken oft im Zusammenhang gesehen wird mit einem weniger schweren Abhängigkeitsgrad, Ablehnung der Identität als „AlkoholikerIn“, Auswahl und Erwartung des Kontrollierten Trinkens als Therapieergebnis, psychosozialer Stabilität und einer unterstützenden Umgebung
nach der Behandlung (und eventuell jugendlichem Alter und weiblichem Geschlecht), dürfen diese
Resultate nicht überbewertet werden; es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede(r) ProblemtrinkerIn mit diesen Eigenschaften zur Kontrolle des Alkoholkonsums in der Lage sein wird. Ebensowenig darf angenommen werden, dass diese Prognoseelemente zwingende Voraussetzung für die
Mässigung von Alkoholkonsum sind. Noch besteht ein beträchtlicher For-schungsbedarf, denn nach
wie vor ist offen, wie für jede(n) KlientIn die am besten geeignete Therapie gefunden werden kann, mit
der spezifische Therapieziele erreicht werden können (Project MATCH, 1997).
65
5.3
Vorteile der Option Kontrolliertes Trinken in der Therapie
Obwohl sich einige Personen mit Alkoholproblemen für Kontrolliertes Trinken als Therapieziel entscheiden, gibt es BetreuerInnen, Familienmitglieder, Arbeitgebende, HausärztInnen, BewährungshelferInnen und andere, welche sowohl die allgemeine Möglichkeit des Kontrollierten Trinkens anzweifeln
als auch die Tatsache, dass es dem/r KlientIn gestattet wird, ein Nicht-Abstinenz-Ziel zu wählen und
an Interventionen teilzunehmen, welche ihm/ihr die Fähigkeit des Kontrollierten Trinkens vermitteln
sollen. Viele der genannten Personen würden ProblemtrinkerInnen im Rahmen einer Therapie viel eher
zu einem vollständigen Alkoholverzicht ermutigen oder sogar dazu zwingen. Obwohl Abstinenz als das
einfachere und sicherere Ziel für AlkoholmissbraucherInnen oder -abhängige scheinen mag, weist das
Therapieziel KT und das Erlernen von Mässigung im Rahmen einer Intervention für Personen mit Alkoholproblemen wichtige Vorteile auf (Ambrogne, 2002; Larimer et al., 1998; Rosenberg, 2002).
Ein Hauptvorteil von behavioralem Selbstkontroll-Training liegt darin, dass es bei vielen ProblemtrinkerInnen funktioniert. Sowohl von TherapeutInnen geleitete Interventionen als auch selbst initierte Massnahmen führen zur Reduzierung der Menge und der Häufigkeit von gesundheitsschädigendem Trinken
– manchmal bis hin zur Abstinenz – und zu einem geringeren Mass an alkoholkonsumbedingten negativen Folgen (z. B. Koerkel, 2002; Sobell & Sobell, 1993; Walters, 2000). Das Einüben von Kontrolliertem Trinken kann auch KonsumentInnen von grossen Alkoholmengen zugute kommen, die zwar vielleicht kein Alkoholproblem entwickeln würden, aber auf die sich eine Drosselung des Konsums sicher
vorteilhaft auswirken würde (Heather, 1993). Zudem mehren sich, wie oben erwähnt, die Anhaltspunkte dafür, dass Gemässigtes Trinken sich positiver auf das Herz-Kreislaufsystem auswirkt als Abstinenz
oder exzessiver Konsum (z.B. Chick, 1999; Zakhari & Gordis, 1999).
In den Augen vieler Alkoholabhängiger würde eine Abstinenzforderung die Attraktivität einer Therapie
schmälern. Eine Person, die durch die Aussicht auf lebenslange Abstinenz bezüglich dem Beginn oder
der Weiterführung einer Therapie noch unentschlossen ist, kann vom/von der TherapeutIn viel leichter
motiviert werden, wenn nicht die Abstinenz als Therapieziel im Raume steht (Marlatt, 2001). Zudem
kann Kontrolliertes Trinken bei denjenigen KlientInnen, die sich nach einem erfolgreichen (oder erfolglosen) Versuch im gemässigten Konsum für Abstinenz entscheiden, auch als Zwischenschritt auf dem
Weg zur Abstinenz genutzt werden.
Ein weiterer diesbezüglicher Vorteil besteht darin, dass ein offenes Gespräch über Kontrolliertes Trinken – entweder als Zwischenziel oder als Schlussziel – die Tatsache berücksichtigt, dass die letzte
Entscheidung für Abstinenz oder gemässigten Konsum bei der betroffenen Person selbst liegt. Es
66
wäre unrealistisch, zu glauben, dass KlientInnen das Abstinenzziel einer Therapie, das ihnen von
Fachkräften, Familienmitgliedern oder AA-Sponsoren auferlegt wurde, automatisch akzeptieren. Zudem neigen KlientInnen, die ihr Therapieziel selber bestimmen, eher dazu, sich in eine Therapie zu
begeben, als solche, die glauben, dass ihnen das Ziel Abstinenz oder Gemässigtes Trinken von anderen auferlegt wurde. Obwohl die AA und verwandte Programme oft darauf bestehen, dass Personen
mit Alkoholproblemen Abstinenz als ersten Schritt der Entwöhnung zu akzeptieren hätten, haben Watson et al. (1984) herausgefunden, dass die Akzeptanz oder die Ablehnung einer nur auf Abstinenz
ausgerichteten Überzeugung durch die Klientel keinen Zusammenhang mit dem Therapieergebnis
aufwies. Daraus schlossen sie, dass das Drängen von einigen Fachstellen auf das Akzeptieren der
Abstinenz als Therapiebedingung für einen Therapieerfolg nicht unbedingt nötig sei.
Zahlreiche ProblemtrinkerInnen mögen aufgrund des Schweregrads der bisherigen Abhängigkeitsentwicklung, einem schlechten Gesundheitszustand, Schwangerschaft, früherer Therapieerfahrung, „AlkoholikerIn“-Identität sowie psychiatrischer Probleme, um nur einige Faktoren zu nennen,
als wenig erfolgversprechende KandidatInnen für Kontrolliertes Trinken erscheinen. Jedoch ergibt sich
aus der auf der persönlichen Situation basierenden Ermunterung zur Abstinenz eine andere Arbeitsbeziehung zum/zur TherapeutIn, als wenn Abstinenz als Therapiebedingung vorgegeben würde. Auch für
diejenigen Personen, für die Abstinenz als das gesündere Ziel erscheinen mag, stellt jede Reduzierung
– unabhängig von der Dauer – eine Verbesserung gegenüber exzessivem, gesundheitsschädigenden,
zur Therapie führenden Alkoholkonsum dar. Wie von Heather (1993) festgestellt, ist Abstinenz, obwohl
exzessiver Alkoholkonsum oft einen schlechten Gesundheitszustand und schlechte psychosoziale
Anpassung zur Folge hat, nicht der einzige oder der automatische Weg zu einem guten Gesundheitszustand und Anpassung. So wie Abstinenz für einige ProblemtrinkerInnen ein stabileres und funktionaleres Ergebnis darstellt, so scheint Kontrolliertes Trinken ein stabileres und funktionaleres Ergebnis für
andere zu sein. Gerade junge, männliche Patienten können viel besser durch eine Mässigung ihres
Alkoholkonsums als durch Abstinenz ihre Rückfallwahrscheinlichkeit reduzieren und funktionieren mit
grösserer Wahrscheinlichkeit in gesundheitlicher, psychologischer und sozialer Hinsicht besser (Polich
et al., 1981; Sanchez-Craig & Lei, 1986).
67
5.4
Internationale Forschung zur Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken
In manchen Ländern ist umstritten, ob Therapieeinrichtungen KlientInnen mit Alkoholproblemen
betreuen sollen, die sich für einen kontrollierten oder gemässigten Alkoholkonsum entscheiden. Abstinenz scheint das vorrangige und von US-amerikanischen Alkoholtherapie-Programmen vorgegebene
Ziel für Alkoholabhängige und ProblemtrinkerInnen zu sein. Bei ihrer Untersuchung einer randomisierten Auswahl von US-amerikanischen Betreuungseinrichtungen haben Rosenberg und Davis (1994)
festgestellt, dass Kontrolliertes Trinken von fast allen der stationären Einrichtungen (einschliesslich
stationärer Entzugsstationen, Rehabilitation sowie Übergangseinrichtungen), die geantwortet hatten,
nicht akzeptiert wurde. Annähernd die Hälfte der ambulanten Programme jedoch, von denen eine
Antwort einging, bezeichneten Gemässigtes Trinken für eine Minderheit der PatientInnen als geeignet
(z.B. bei PatientInnen, die wegen Delikten aufgrund von Trunkenheit am Steuer verurteilt worden waren). In der Untersuchung stellte sich zudem heraus, dass Kontrolliertes Trinken, einmal als Therapieziel akzeptiert, nur für eine Minderheit von PatientInnen als zweckmässig erachtet wurde. Aus der
Forschung zu den Prognosefaktoren (Rosenberg, 1993) lassen sich wichtige Faktoren für die Empfehlung von Therapiezielen ableiten, dazu gehören spezifische Eigenschaften der PatientInnen wie
Schweregrad der vergangenen Alkoholabhängigkeit, frühere Therapien, kriminelles Verhalten, Auswahl
des Therapieziels und soziale Stabilität/soziale Beziehungen.
Auch in Kanada stösst Kontrolliertes Trinken gemäss Untersuchungen von Alkoholtherapien auf begrenzte Akzeptanz, obwohl verglichen mit den USA ein grösserer Anteil der BeraterInnen und TherapeutInnen Nicht-Abstinenzziele gutheissen. Rush und Ogborne (1986) stellten beispielsweise fest,
dass nur wenig mehr als ein Drittel der Therapieeinrichtungen für Alkoholabhängige in der Provinz
Ontario, von denen eine Antwort eingegangen war, die Nicht-Abstinenz für zumindest einige ihrer
KlientInnen als geeignet erachteten, obwohl die Akzeptanz von Nicht-Abstinenz-Zielen ansonsten sehr
unterschiedlich ausfiel, je nachdem ob es dabei um stationäre Therapieeinrichtungen oder Betreuungsstationen des Gemeinwesens für ambulante PatientInnen handelte. Vor rund zehn Jahren konstatierten Rosenberg, Devine und Rothrock (1996) basierend auf einer randomisierten Auswahl von kanadischen Alkoholtherapieeinrichtungen in verschiedenen Provinzen, dass rund 40 % der Therapieeinrichtungen, die geantwortet hatten, KT als akzeptables Ziel für ihre Klientel erachteten. Zudem bezeichnete ein Drittel der in Therapieeinrichtungen Beschäftigten, in denen Kontrolliertes Trinken nicht
zur Wahl stand, Gemässigtes Trinken als akzeptabel für KlientInnen in anderen Einrichtungen oder für
ihre eigenen KlientInnen nach deren Verlassen der Institution. Wie bereits bei den Ergebnissen anderer
Erhebungen war auch hier eine in Abhängigkeit der Einrichtung variierende Akzeptanzrate festzustellen, wobei in denjenigen Institutionen, in denen mehr schwer abhängige KlientInnen betreut wurden (z.
68
B. PatientInnen in stationären Programmen, Wohneinrichtungen der Gemeinde und Rehabilitationszentren) Kontrolliertes Trinken als Therapieziel öfters abgelehnt wurde als bei Programmen für ambulante PatientInnen.
Im Gegensatz zu den USA und Kanada ergaben nationale Untersuchungen in Australien und einigen
westeuropäischen Ländern eine breite Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken sowie auch dessen Einsatz als Therapieziel für ProblemtrinkerInnen. So kamen drei, in einem zeitlichen Abstand von zehn
Jahren von den „British Alcohol Treatment Agencies“ durchgeführte Erhebungen zum Schluss, dass
drei Viertel der Einrichtungen zur Behandlung von Substanzmissbrauch Kontrolliertes Trinken als akzeptables Therapieziel betrachteten (Robertson & Heather, 1982; Rosenberg, Melville, Levell, & Hodge, 1992; Rosenberg & Melville, 2003). Die aktuellste dieser drei Untersuchungen befasste sich zusätzlich mit der Beziehung zwischen Schweregrad und Stabilität des Therapieziels einerseits und mit
Akzeptanz des Kontrollierten Trinkens andererseits. Rosenberg und Melville (2003) stellten fest, dass
eine grosse Mehrheit von Institutionen bei AlkoholmissbraucherInnen Kontrolliertes Trinken entweder
als Zwischenziel (86 %) oder als endgültiges Therapieziel (81 %) unterstützten. Bei alkoholabhängigen
KlientInnen schienen die Institutionen Kontrolliertes Trinken eher als Zwischenphase auf dem Weg in
die Abstinenz (68 %) zu akzeptieren, denn als endgültiges Therapieziel (50 %). Rund zwei Drittel oder
sogar mehr der befragten Institutionen erklärten, ihre Klientel dürfte sich für Kontrolliertes Trinken entscheiden, obwohl sich auch hier je nach Schweregrad des Alkoholproblems und der Stabilität des
Therapieziels Unterschiede ergaben.
Auch in Skandinavien werden Nicht-Abstinenz-Ziele akzeptiert. Duckert (1989) beispielsweise führt
eine Untersuchung aus dem Jahr 1987 über norwegische Alkoholtherapiezentren an, wonach 90 %
der befragten Institutionen berichteten, dass ambulante KlientInnen die Wahl hätten zwischen Abstinenz und Gemässigtem Trinken; 59 % der Einrichtungen überlassen auch den stationären PatientInnen die Wahl zwischen den beiden genannten Therapiezielen.
In Deutschland wurde zwar die Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken bisher nicht untersucht, doch
Koerkel (2002) berichtete, dass sein „Ambulantes Gruppenprogramm zum ontrollierten Trinken AkT”
auf Widerstand von Seiten abstinenzorientierter Selbsthilfeorganisationen gestossen sei. Er stellte
ausserdem fest, dass bestimmte professionelle TherapeutInnen, die öffentlichen Medien und rund ein
Drittel der Klientel in Rehabilitationsprogrammen an Kontrolliertem Trinken interessiert waren und dieses auch als Trinkziel akzeptierten.
Zwei Studien aus dem Jahr 1997 zufolge besteht in Australien eine breite Akzeptanz des Kontrollierten
Trinkens. Donovan und Heather (1997) untersuchten Alkoholtherapieeinrichtungen im australischen
69
Bundesstaat New South Wales und stellten fest, dass 72 % der Befragten Kontrolliertes Trinken für
einen kleinen Prozentsatz ihrer Klientel als geeignetes Ziel erachteten. Ähnlich den Untersuchungsergebnissen anderer Länder variierte auch hier die Akzeptanz je nach Art der angebotenen Behandlung.
Zwar wurde KT von einer grossen Mehrheit der staatlichen Institutionen und AlkoholtherapieProgrammen gutgeheissen, doch in keiner der stationären Einrichtungen galt Kontrolliertes Trinken als
zulässig. Dawe und Richmond (1997) führten eine telefonische Befragung von 173 Institutionen durch,
welche rund 40 % der Therapieeinrichtungen in Australien ausmachen. Insgesamt boten 66 % der
befragten Institutionen Beratung zu Kontrolliertem Trinken als Therapieziel an. Ähnlich wie andere Wissenschaftler stellten Dawe und Richmond fest, dass sich die Akzeptanz je nach Art der Einrichtung
unterschied: Nur 27 % der stationären Einrichtungen boten Kontrolliertes Trinken an, verglichen mit 70
% derjenigen Einrichtungen, die sowohl stationäre als auch ambulante Therapien anboten, gegenüber
89 % der ambulanten Einrichtungen. Kontrolliertes Trinken wurde für KlientInnen als geeignet erachtet,
welche sich für dieses Therapieziel entschieden hatten, einen geringeren Schweregrad aufwiesen und
tendenziell jünger waren. KlientInnen, deren Problemtrinken einen höheren Schweregrad oder eine
längere Dauer aufwies, die bereits erfolglose Ausstiegs- oder Mässigungsversuche hinter sich oder
sich für Abstinenz entschieden hatten, galten hingegen als ungeeignete KandidatInnen für Kontrolliertes Trinken.
Die Ergebnisse dieser Studien verdeutlichen den hohen Stellenwert, den viele Einrichtungen der freien
Wahl ihrer PatientInnen bezüglich Therapieziel und Kontrolliertem Trinken beimessen. Allerdings liegt
die Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken bei den stationären Einrichtungen viel tiefer als in ambulanten oder gemischten Einrichtungen, in den USA noch tiefer als in anderen Ländern. Es überrascht
nicht weiter, dass Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken sowohl vom Schweregrad der Abhängigkeit
der Klientel als auch davon abhängig ist, ob die Nicht-Abstinenz ein Zwischen- oder endgültiges Therapieziel darstellt. Unseres Erachtens beeinflussen auch andere Eigenschaften der KlientInnen (z. B.
Häufigkeit des Gebrauchs weiterer psychoaktiver Substanzen, psychiatrische Erkrankungen, Unterstützung des sozialen Umfelds zur Erreichung des Therapieziels) – und die Suchtkonzeptions-Theorie
der Fachleute – den Grad, bis zu welchem Nicht-Abstinenz als Therapieziel Unterstützung findet. Diese anderen Faktoren können die Akzeptanz von Kontrolliertem Trinken jedoch beeinträchtigen. In der
Forschung zu Therapieergebnis und Spontanremission konnte die Prävalenz von Kontrolliertem Trinken gezeigt werden. Zudem stellt Kontrolliertes Trinken, da es zahlreiche gesundheitsschädigende
Folgen von Alkoholmissbrauch reduziert, eine Form der Schadensreduzierung dar. Aus diesem und
anderen Gründen wird Kontrolliertes Trinken oder gemässigter Konsum zumindest in einigen Teilen
Westeuropas und Australiens weiterhin breit unterstützt.
5 International research – Target groups
70
(H. Rosenberg)
Given that controlled drinking occurs only in a subset of alcohol abusing and alcohol dependent
drinkers, the search has turned to assessing those characteristics of the problem drinker and drinking
environment, and those professionally-administered and self-guided interventions, that predict and
support controlled or moderate drinking. This chapter will review variables that have been correlated
with controlled drinking, characteristics that are contra-indications for a controlled drinking goal, advantages of offering controlled drinking to clients, and interventions that hold promise to assist problem drinkers to moderate their consumption.
5.1
Indications and target groups
Severity of dependence has received considerable attention as a factor that helps identify those problem drinkers who may be able to control their drinking. Specifically, follow-up evaluations of treated
drinkers, who have often attended abstinence-oriented programs, find that moderate drinking occurs
more frequently by those with histories of fewer signs and symptoms of dependence (Dawson, 1996;
Heather & Robertson, 1981; Rosenberg, 1993). However, a recent meta-analysis by Walters (2000)
evaluating the impact of behavioral self-control training for controlled drinking found that effect sizes
did not differ significantly by severity of client drinking (that is, alcohol abuse versus alcohol dependence). It should be noted, however, that DSM-IV classifications of alcohol abuse and alcohol dependence are crude indexes of severity of dependence compared to scales such as the Alcohol Use Disor-
ders Identification Test (Saunders, Aasland, Babor, De La Fuente & Grant, 1993) or the Severity of
Alcohol Dependence Questionnaire (Stockwell, Murphy & Hodgson, 1983). The inconsistency with
which severity of dependence predicts controlled drinking across studies is probably a function of
how severity is measured and the range of severity represented in any one sample. Also, even though
the frequency of moderate drinking may decline as severity of dependence increases, there may be a
broad range of moderate severity within which the likelihood of controlled drinking remains relatively
constant.
The biomedical health of a drinker – indicated by such factors as liver function tests, pancreatic disease, hypertension, etc. – should also be considered as one selects an outcome goal. Because the
intended effects and metabolism of some medications – both those prescribed for psychiatric disorders and for various medical conditions – are negatively impacted by alcohol, clients should be educated about the disadvantage of even moderate drinking if taking such medications. Women who are
pregnant should also be advised to consider abstention. In the absence of such counter-indicative
71
conditions, however, one should also consider the growing body of evidence indicating potential
health benefits of moderate drinking (Chick, 1999; Zakhari & Gordis, 1999).
The self-conceptualization of the problem drinker, often represented by acceptance or rejection of the
label "alcoholic," also appears associated with moderate drinking. To the degree that a problem
drinker takes on the role and identity of an alcoholic, and believes that controlled drinking is not attainable, abstinence would seem a more suitable outcome goal. Furthermore, willingness to adopt an
identity as an “alcoholic” may be correlated with one’s history of tolerance, withdrawal and experience
of negative alcohol-related consequences – that is, self-conceptualization and severity of dependence
are not necessarily independent influences on the likelihood of controlling one’s drinking.
Another potential indicator of outcome is the drinker’s goal choice – that is, does the client select
abstinence or controlled drinking as an outcome goal. Studies of British (Booth, Dale & Ansari, 1984),
Norwegian (Ojehagen & Berglund, 1989), and New Zealander (Adamson & Sellman, 2001) samples
found that electing to moderate one’s drinking was predictive of achieving this outcome, especially if
one selected controlled drinking limits within standard guidelines (for example, no more than four or
six drinks per session and no more than 14 or 21 drinks per week, for males and females respectively). However, both research and clinical experience indicate that the number of problem drinkers
who want to moderate their drinking (and the number who want to abstain) is often larger than the
number who will achieve their desired outcome, which reduces the value of goal choice alone as a
predictor of outcome.
In light of research showing that premorbid functioning predicts outcome in a variety of psychological
disorders, it is not surprising that pretreatment psychological and social functioning also predict outcome in persons with alcohol problems. Specifically, psychological adjustment and better social functioning (e.g., intact family, social support, employment) are correlated with moderate drinking after
discharge from alcoholism treatment (e.g., Edwards et al., 1988). Although social and psychological
stability may influence outcome independently of severity of dependence, goal choice and selfconceptualization, psychosocial functioning probably influences, and is influenced by, such factors.
Social learning theory argues that family, friends and co-workers serve as models for both controlled
and uncontrolled drinking. Also because many people in the drinker’s social network may believe that
abstinence is the only achievable outcome for the client, counselors should assess how supportive
these significant others will be of a controlled drinking goal by the client. The attitudes and expectations of one’s significant others may create a self-fulfilling prophecy that supports or undercuts moderate drinking by the client.
72
Based on the current evidence, there is some support for the prediction that younger drinkers (and
perhaps older drinkers who have "burned out") may be appropriate candidates for controlled drinking
(e.g, Drew, 1968; Polich et al., 1981). On the other hand, younger drinkers may be less inclined to
select a controlled drinking goal within healthy limits (Adamson & Sellman, 2001). Some investigators
who have included both genders found a larger proportion of those controlling their drinking during
follow-up were women, but the biological, psychological and social aspects of gender that influence
drinking outcome are quite speculative at this time (Rosenberg, 1993).
Although there has been considerable attention to the hypothesis that a predisposition to alcoholism
is inherited, family history of drinking problems does not appear to be a consistent predictor of outcome. Some studies report that moderate drinkers have fewer relatives with histories of alcohol abuse
(e.g., Miller et al., 1992), but others find no relationship or that controlled drinkers more often have
problem-drinking relatives (e.g., Elal-Lawrence et al., 1986). This perhaps is not surprising because
the role of one’s family is multiply confounded – parents and siblings not only share a genetic predisposition for whatever biomedical and psychological characteristics may manifest themselves as excessive drinking, but family members also serve as models for drinking practices and as sources of
support, stress, and identity.
5.2
Integrating multiple predictors
Elal-Lawrence et al. (1986) proposed a model to predict treatment outcome status that may serve as
a useful guide to assessing a client’s suitability for controlled drinking. Their model posits that it is the
congruent or incongruent interrelationship among cognitive, behavioral, and physiological characteristics that predicts controlled drinking, abstinence or relapse. Specifically, their model holds that controlled drinking will be more likely if a problem drinker does not hold an abstinence-only ideology, believes he or she can control his or her drinking, and is in good physiological health. Abstinence will be
more likely if the problem drinker holds an abstinence ideology, believes he or she can abstain from
drinking, and is physiologically healthy. The model predicts relapse will result when the problem
drinker has a poor physiological history (i.e., greater severity of dependence) and does not expect to
be able to abstain, but believes that abstinence is the only appropriate outcome goal.
Although moderate drinking has been associated with lower severity of dependence, rejection of an
alcoholic identity, selection and expectation of controlled drinking as an outcome goal, psychosocial
stability, and a supportive post-treatment environment (and perhaps youth and female gender), these
results should not be interpreted as indicating that every problem drinker who possesses these char-
73
acteristics will be able to control his or her drinking. Nor should one assume that a problem drinker
must possess all of the predictive characteristics to moderate one’s drinking successfully. There is still
considerable need for research on how to best match clients to specific therapies and specific environments to help them achieve specific drinking outcomes (Project MATCH, 1997).
5.3
Advantages of offering controlled drinking in treatment
Although some persons with drinking problems select controlled drinking as their outcome goal, some
counselors, family members, employers, family physicians, probation officers, and others may question the value of offering and allowing clients to select a non-abstinence goal and participate in interventions designed to help them control their drinking. Many would encourage or require problem
drinkers to abstain as a condition of treatment. Although abstinence might seem the easier and safer
goal choice for those who abuse or are dependent on alcohol, there are notable advantages of offering moderation as an outcome goal and moderation training as an intervention for persons with drinking problems (Ambrogne, 2002; Larimer et al., 1998; Rosenberg, 2002).
One key advantage of offering behavioral self-control training is that, for many problem drinkers, it
works. Both therapist-guided and self-guided interventions result in reductions of quantity and frequency of harmful drinking – sometimes to the point of abstinence – and in fewer drinking-related
negative life consequences (e.g., Koerkel, 2002; Sobell & Sobell, 1993; Walters, 2000). Controlled
drinking training may also benefit heavy drinkers who might not otherwise go on to develop drinking
problems, but who would still benefit from reducing their consumption (Heather, 1993). Furthermore,
as noted above, there is growing evidence of the cardiovascular benefits of moderate drinking over
both abstinence and excessive consumption (e.g., Chick, 1999; Zakhari & Gordis, 1999).
An abstinence-only requirement may reduce the attractiveness of treatment for many alcohol abusing
and dependent drinkers. A counselor who is open to discussion of non-abstinence outcome goals
may be more likely to motivate change by problem drinkers who are ambivalent about the prospect of
life-long abstinence and who would otherwise not seek or stay in treatment (Marlatt, 2001). In addition, controlled drinking may serve as an intermediate step on the way to abstinence for clients who
might decide to abstain after successfully (or unsuccessfully) attempting to moderate their drinking.
A related advantage is that open discussion of controlled drinking, as either an intermediate or final
outcome goal, acknowledges the reality that the ultimate decision to aim for abstinence or moderate
drinking rests with the client. It is unrealistic to think that clients automatically accept abstinence
treatment goals imposed on them by professionals, family members, or AA sponsors. In addition, the
74
client who selects his or her drinking outcome goal may be more likely to engage in therapy than the
client who believes that an abstinence or moderate drinking goal has been imposed by someone else.
Although AA and related programs often insist that persons with drinking problems accept abstinence
as the initial step in recovery, Watson et al. (1984) found that patients' acceptance or rejection of a
statement endorsing abstinence-only beliefs was not related to drinking outcome and concluded that
the insistence by some service providers that clients accept abstinence as a condition of treatment
may not be necessary for treatment success.
Even though many problem drinkers appear to be poor candidates for controlled drinking – based
their severity of drinking history, poor medical health, pregnancy, previous treatment experience, identity as an “alcoholic,” and psychiatric problems, among other factors – encouraging abstinence based
on a client’s individual situation seems likely to foster a different working relationship than demanding
abstinence as a condition of therapy. And, even for those persons for whom abstinence seems a
healthier outcome goal, any reduction of whatever duration is an improvement over the excessive, unhealthy drinking that led to treatment. As Heather (1993) noted, even though excessive drinking often
leads to poor health and poor psychosocial adjustment, abstinence is not the exclusive or automatic
route to good health and adjustment. Just as abstinence is a more stable and functional outcome for
some problem drinkers, controlled drinking appears to be a more stable or functional outcome for
others. For example, younger, male patients may be less likely to relapse, or more likely to experience
healthy psychological and social functioning, if they are moderating their drinking rather than abstaining (Polich et al., 1981; Sanchez-Craig & Lei, 1987).
5.4
International Research on Acceptance of Controlled Drinking
That alcohol treatment services would support alcohol-abusing and alcohol-dependent clients who
elect to control or moderate their drinking is considered controversial in some countries. For example,
abstinence is apparently the predominant outcome goal prescribed for alcoholics and problem drinkers in American alcoholism treatment programs. Rosenberg and Davis (1994) surveyed a random
sample of American treatment facilities and found that controlled drinking was considered unacceptable for clients in almost every responding residential program (including inpatient detoxification and
rehabilitation services as well as halfway houses). However, almost one-half of the responding outpatient programs reported moderate drinking as appropriate for a minority of their clientele (e.g., drunk
driving offenders). They also found that, when controlled drinking was rated as acceptable, it was
considered appropriate for only a minority of one’s clientele. Consistent with research on predictors of
outcome (Rosenberg, 1993), client characteristics such as severity of drinking history, previous treat-
75
ment, criminal behavior, client goal choice and social stability/social relationships were considered important factors when making goal recommendations.
Surveys of Canadian alcohol treatment programs also reveal limited acceptance of controlled drinking,
though proportions of counselors and administrators endorsing non-abstinence goals are larger than
that reported in the United States. For example, Rush and Ogborne (1986) found that a little over onethird of the responding alcohol agencies in the province of Ontario reported non-abstinence as appropriate for at least some of their clients, although acceptability of non-abstinence goals varied widely
depending on whether the program was a residential or community-based outpatient service. Approximately ten years later, employing a random sample of Canadian alcohol treatment services
across the provinces, Rosenberg, Devine and Rothrock (1996) found that about 40% of responding
agencies endorsed controlled drinking as an acceptable goal for their clientele. Furthermore, one-third
of the respondents working in agencies that did not offer controlled drinking reported moderate drinking as acceptable for clients in other services or for their own clients after they left the agency. Similarly to the results of other surveys, acceptance rates varied by type of service, with those programs
treating more severely dependent clients (e.g., inpatient programs, community residential services,
and halfway houses) rejecting controlled drinking as an outcome goal more frequently than outpatient
services.
Unlike the United States and Canada, national surveys of Australian and some Western European
services have found widespread acceptance and application of controlled drinking as an outcome
goal for problem drinkers. For example, three surveys of British alcohol treatment agencies conducted
ten years apart found that about three-quarters of substance misuse services reported controlled
drinking an acceptable goal choice (Robertson & Heather, 1982; Rosenberg, Melville, Levell, & Hodge,
1992; Rosenberg & Melville, 2003). The most recent of the three studies also examined whether severity and finality of goal choice were associated with acceptance. Rosenberg and Melville (2003)
found that large majorities of agencies were supportive of alcohol abusing clients selecting controlled
drinking as either an intermediate (86%) or final (81%) outcome goal. For alcohol dependent clients,
agencies appeared more accepting of controlled drinking as an intermediate goal on the way to abstinence (68%) than as one’s final out-come goal (50%). Furthermore, about two-thirds or more of the
responding agencies noted that client selection of controlled drinking was available at their service,
although this varied somewhat depending on clients’ problem severity and finality of the goal choice.
Services in Scandinavian countries also accept non-abstinence goals. For example, Duckert (1989)
reported that a 1987 survey of Norwegian alcohol treatment centers revealed that 90% of respondents reported allowing outpatient clients to choose between abstinence and moderate drinking, and
59% reported allowing inpatients a choice between outcome goals. There has been no published
76
survey of German treatment programs assessing acceptance of controlled drinking, but Koerkel
(2002) reported that his “Outpatient Group Treatment Program for Controlled Drinking” had engendered resistance from abstinence-oriented mutual-help organizations. However, he also noted that
some professional therapists, the public media, and about one-third of clients in rehabilitation programs were accepting and interested in controlled drinking.
Two studies published in 1997 found controlled drinking was widely acceptable in Australia. Donovan
and Heather (1997) surveyed alcoholism treatment services in the state of New South Wales and
found that 72% of respondents accepted controlled drinking as an appropriate goal for a small proportion of their clientele. Similarly to the results of surveys in other countries, acceptance varied considerably by type of service. The vast majority of community-based services and alcohol treatment
units endorsed controlled drinking, but none of the private services and only about one-quarter of
residential services reported controlled drinking as acceptable. Dawe and Richmond (1997) conducted a telephone survey of 173 agencies, representing approximately 40% of a nationwide census
of Australian treatment agencies. Overall, 66% of respondents offered advice about controlled drinking as a treatment goal. Similarly to other investigators, Dawe and Richmond found that acceptance
varied by type of service: only 27% of residential treatment facilities offered controlled drinking vs.
70% of agencies that provided both inpatient and outpatient services and 89% of out-patient agencies. Controlled drinking was seen as appropriate for clients who selected this outcome goal, had
lower severity and were younger. Clients with greater severity or duration of problem drinking, a history of failed attempts to moderate their drinking, or who selected abstinence were seen as inappropriate candidates for controlled drinking.
The results of these studies reveal meaningful support for allowing clients with alcohol problems to
choose controlled drinking as their outcome goal, although acceptance is much more limited in residential facilities than outpatient or mixed services and is more limited in the United States than in other
countries. Not surprisingly, acceptance of controlled drinking also varies as a function of both the
client’s severity of dependence and whether non-abstinence was an interim or final outcome goal. We
expect that other characteristics of clients (e.g., polydrug use, psychiatric history, social support for
outcome goal) – and clinicians’ theoretical conceptualization of addiction – will also influence the degree to which non-abstinence is supported as an outcome goal. The possible influence of these other
factors notwithstanding, and consistent with the past several decades of research on treatment outcome, natural recovery, and harm reduction, there is widespread and ongoing support for controlled
or moderate consumption in at least some parts of Western Europe and Australia.
77
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80
6 Forschungs- und Diskussionsstand zum Kontrollierten Trinken in der
Schweiz und ausgewählten Nachbarländern
(H.Klingemann und S. Schatzmann)
Die Debatte um das Kontrollierte Trinken (KT) hat auch in der Schweiz und im weiteren deutschsprachigen Raum ihren Niederschlag gefunden. Seit den 1970er Jahren flammt die Diskussion in unterschiedlicher Intensität immer wieder auf, gerade auch in jüngster Vergangenheit wird der Thematik in
der Schweiz mit zunehmendem Interesse begegnet. Dieser Diskurs fand nur zu einem kleinen Teil
Eingang in die publizierte Fachliteratur und steht auch dann nicht immer im Vordergrund der jeweiligen
Analysen oder theoretischen Betrachtungen. Eine Charakterisierung der Diskussionen und der Praxisrelevanz der Debatte um das KT in der Schweiz, welche sich lediglich auf Veröffentlichungen stützt,
würde daher viel zu kurz greifen. Aus diesem Grund wurden zusätzlich zur Literaturanalyse elf Expertinnen und Experten danach befragt, für wie virulent sie das Thema KT in der Schweiz halten, welche
Rolle diese Ideen für ihren Tätigkeitsbereich spielen und wie sie die Gesamtentwicklung in der
Schweiz einschätzen. Schliesslich wurde soweit wie möglich über das Internet und die Printmedien
nach dem Stichwort KT in der öffentlichen Debatte gesucht, um ein Gesamtbild zu erhalten.
6.1
KT-Forschung in der Schweiz
6.1.1
Forschung im stationären Bereich
Die wichtigsten Impulse betreffend das KT für den Forschungsbereich gingen vom stationären Sektor
aus, genauer von der Forel Klinik (Fachklinik für alkohol-, medikamenten- und tabakabhängige Männer
und Frauen) beziehungsweise der Fachklinikvereinigung SAKRAM (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Kliniken und Rehabilitationszentren für Alkohol- und Medikamentenabhängige) und der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen (EKA). Ein wichtiges Fenster auf Übergänge und Veränderungsprozesse in der individuellen Suchtkarriere stellen Katamneseuntersuchungen dar, welche
zum Thema KT zumindest indirekt befragt werden können. Durchwegs wurde ohne Kontrollgruppen
gearbeitet, was die Aussagekraft einschränkt.
•
Ende der 80er Jahre beauftragt die Forel Klinik die SFA (Schweizerische Fachstelle für Alkoholund andere Drogenprobleme) mit der Durchführung einer Katamnesestudie, welche unter dem Titel „Die Lebensverhältnisse von Alkoholabhängigen nach stationärer Behandlung“ 1991 erschienen ist (Spinatsch, 1991) und auf der Untersuchung von 497 Männern beruht, die sich zwischen
1974 und 1984 in der Forel Klinik einer stationären Langzeittherapie unterzogen.
81
•
Die multizentrische Sieben-Jahreskatamnese von stationär behandelten Alkoholabhängigen in der
deutschen Schweiz folgt 1995 und erfasst ein Patientenkollektiv (N=915) von 1986/87- 1994 aus
insgesamt acht Fachkliniken (Maffli, 1996).
•
1999/2000 stellt die Forel Klinik die Ergebnisse von hausinternen katamnestischen Anschlussun-
tersuchungen bei 692 PatientInnen vor, welche zwischen 1987 und 1995 in der Klinik waren und
eine Katamnesedauer von 12 bis 50 Monaten aufweisen (Christoffel, Liechti, Meyer, Sieber, &
Sondheimer, 1999; Meyer, Müller et al., 2000).
•
Katamneseergebnisse einer dreiwöchigen Behandlung von 118 PatientInnen der stationären
Kurzzeittherapie der Psychosomatischen Abteilung (PSA) am Spital Wattwil (1992/1993), die drei
und zwölf Monate nach der Behandlung ermittelt wurden, sollten Antwort auf die Frage liefern, ob
diese Therapie als modischer US Import oder aber als wirksamer, ökonomischer Therapieansatz
gelten kann (Grether, Worall, & Polli, 1997). Folgekatamnesen, aktuell für das Jahr 2002, welche
ausdrücklich auch kontrolliertes Trinken und die Reduzierung der Trinkmenge als Erfolgskriterium
werteten, schlossen sich an (Spital Wattwil, 2001; 2002; 2003).
Katamneseuntersuchungen wurden in der Regel als Leistungsausweis der Behandlungseinrichtung
und mit Blick auf den wachsenden Druck von Effizienz- und Kostenkriterien konzipiert. In seiner Arbeit
zu den Auswirkungen des Kontrollierten Trinkens auf Beurteilungskriterien in Katamneseuntersuchungen weist denn Bühringer (1996) auch zurecht darauf hin, dass „in Katamneseuntersuchungen vor
allem der Prozentanteil der erfolgreichen (gleichgesetzt mit den dauerhaft abstinenten) Patienten im
Vordergrund stand, der Rest wurde global als Misserfolg betrachtet“ (S.71).
Bei den oben aufgelisteten Katamnesestudien wurde die Möglichkeit des Kontrollierten Trinkens als
Behandlungsergebnis meist nur am Rande behandelt. Lediglich die oben erwähnten aktuellsten Katamnesen aus der Forel Klinik und des Spitals Wattwil beziehen explizit die Problematik des Kontrollierten Trinkens und der Therapiezielwahl mit ein.
Bei der ersten von der SFA durchgeführten Forel-Katamnese wurde zwischen Trinkstatus und Lebensstatus unterschieden. Bemerkenswert ist bei dieser Unterscheidung, dass grundsätzlich eine
Verbesserung der Lebensumstände ganz unabhängig vom Trinkverhalten als Behandlungsergebnis in
Betracht gezogen wird. Bei anderen Krankheiten eigentlich eine Selbstverständlichkeit, beim Alkoholkranken aber meist nicht, da einseitig oft nur das veränderte Trinkverhalten als Erfolg gewertet wird.
Beim Trinkstatus wurde zwischen Abstinenten, ProblemtrinkerInnen und Sozialen TrinkerInnen unterschieden. Letztere wurden definiert als „Fälle, die täglich bis selten Alkohol trinken, am letzten Trinktag
aber höchstens 60g reinen Alkohol konsumierten“ (Spinatsch, 1991, S.20). Von dieser Kategorie berichteten 69 Prozent über Rückfälle seit dem Austritt aus der Klinik. Im vorliegenden Zusammenhang
82
von Bedeutung ist die Schlussfolgerung von Spinatsch, dass „der zweite ermittelte Prognosefaktor
(die soziale Integration) nicht zuletzt im Lichte der anhaltenden Kontroverse über die Möglichkeiten
und Grenzen des Kontrollierten Trinkens von Bedeutung ist. Die Option eines dritten Weges zwischen
Vollabstinenz und Problemtrinken erscheint auch als langfristig sich bewährendes Verhaltensmuster
möglich, allerdings lediglich für die spezifische Diagnosegruppe der nicht chronifizierten GammaAlkoholiker“ (Spinatsch, 1991,26). Bereits 1991 fordert der Autor, das Konzept des Therapieerfolges
über das Trinkverhalten hinaus auch auf andere zentrale Lebensbereiche auszudehnen.
Die Durchführung der Sieben-Jahreskatamnese als multizentrische Studie stellte nicht nur methodisch
einen Fortschritt dar, sondern dehnte konsequent die Erfolgskriterien der Behandlung auf weitere Bereiche wie etwa die subjektive Lebensqualität aus. Es zeigt sich denn auch, dass eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität nicht immer mit einer Verbesserung des Trinkstatus einhergehen muss;
22 Prozent der Rückfälligen (Selbsteinstufung und/oder mehr als 60 bzw. 80g reinen Alkohol pro Tag
bei Frauen bzw. Männern) schätzten ihre Lebensqualität als ausgezeichnet ein. Relevant für die Debatte um das Kontrollierte Trinken ist der Befund, dass 24 Prozent der männlichen und 27 Prozent der
weiblichen PatientInnen der Gruppe „Konsum im Verlauf vorgekommen (jedoch ohne Rückfallgeschehen)“ zugeordnet werden konnte. Die Autoren folgern „Die Identifizierung einer relativ grossen Gruppe
von Personen […], die scheinbar über Jahre rückfallfrei bleiben konnten, obwohl sie teils gelegentlich,
teils auch häufig Alkohol konsumierten, weist darauf hin, dass der Abstinenzbruch nicht in jedem Fall
einen Rückfall in die Abhängigkeit bedeutet […]. Die Möglichkeit einer Rückkehr zum kontrollierten
Umgang mit Alkohol darf von den Akteuren der professionellen und nichtprofessionellen Hilfe nicht
ignoriert werden„ (Maffli, 1996, S. 20; Maffli, Wacker, & Mathey, 1995).
Wenige Jahre später stehen die umfassenden Katamnesen des wissenschaftlichen Dienstes der Forel
Klinik aus den Folgejahren, nunmehr sogar zentral unter dem Motto „150 Jahre Alkoholismus: Ist Kontrolliertes Trinken wieder ein Thema?“. Kontrolliertes Trinken wird im Rahmen dieser Studien restriktiv
nach Erfüllung folgender fünf Kriterien angenommen: a) maximal 2 bzw. 3 Standarddrinks bei Frauen
bzw. Männern pro Tag; b) keine aktuelle Abstinenz; c) keine wiederholten Räusche seit Entlassung; d)
höchstens drei Tage Rückfall seit Entlassung; e) keine Abhängigkeitssymptome. 5.8 Prozent der Befragten entsprechen selbst dieser anspruchsvollen Definition; es wird vermutet, dass dieser im ambulanten Bereich noch höher liegt (Sieber, 2000, S. 46). Ausserdem zeigen weitere 40 Prozent einen
positiven Verlauf, das heisst sie waren mindestens sechs Monate abstinent oder berichteten einen
mässigen Alkoholkonsum (Sieber, 2000, S. 49). Ein Gruppenvergleich der Kontrolliert Trinkenden mit
den Abstinenten und Stark Trinkenden zeigt, dass erstere in vielen Belangen den Abstinenten ähnlich
sind. Sie weisen insbesondere eine bessere Arbeitssituation und ein höheres Selbstwertgefühl (Kontrollüberzeugung) auf (Knaus, 2000). Allerdings war bei früheren Untersuchungen festgehalten worden,
dass Rauschhäufigkeit und Rückfallrisiko bei den PatientInnen, welche Kontrolliertes Trinken als The-
83
rapieziel wählten überdurchschnittlich hoch sind (Sieber, Baumann, Deinlein, Schiess, & Sondheimer,
1996). Das verbleibende Indiz für die Abhängigkeitsthese, dass kontrolliert Trinkende vor Eintritt weniger Vorbehandlungen aufwiesen, ist eher mit Vorsicht zu geniessen. Die Ablehnung oder Akzeptanz
bestehender Behandlungsangebote kann nicht mit der Schwere des Alkoholismus in Verbindung gebracht werden.
In den Katamnesestudien am Spital Wattwil wird Kontrolliertes Trinken mengenmässig als Konsum
definiert, welcher nicht mehr als zwei dl Wein oder sechs dl Bier pro Tag bei Frauen und vier dl Wein
oder zehn dl Bier pro Tag bei Männern übersteigt (in der Folge präzisiert als „nie mehr als 16 Gramm
bzw. 24 Gramm reinen Alkohols pro Tag bei Frauen bzw. Männern“). Weitere Kategorien des Trinkverhaltens neben „Abstinenz“ sind „Verbesserung“, „Konsum gleich“ und „Verschlechterung“. Eine
Analyse der PatientInnen aus den Jahren 1992/1993 zeigt, dass nach zwölf Monaten der Anteil der so
definierten kontrollierten PatientInnen bei 9.3 Prozent lag, bei weiteren 13.6 Prozent wurde eine Verbesserung des Trinkverhaltens festgestellt (Grether et al., 1997, S. 51-53). Bei den PSAAnschlusskatamnesen ergeben sich Anteile an kontrolliert Trinkenden, welche zwischen fünf Prozent
und 23 Prozent liegen (Spital Wattwil, 2001, 2002, 2003). In Pressemeldungen lesen sich diese Ergebnisse unter der Überschrift „Genau definiert“ wie folgt: „Das Kontrollierte Trinken, ein genau definiertes Trinkverhalten (was, wie viel, wann, mit wem etc.), gelingt, wie dies auch die früheren Jahre
zeigten, nur sehr wenigen alkoholabhängigen Menschen, nach einem Jahr waren es nur noch fünf
Prozent“ (Toggenburger Zeitung, 2004).
„Definitionsexkurs“ und Zwischenfazit
Dieser Blick auf ausgewählte Katamneseuntersuchungen zeigt, dass die Einschätzung (und Propagierung) des Kontrollierten Trinkens als mögliches und relevantes Therapieergebnis sehr von der jeweiligen Operationalisierung abhängt. Ein gutes Beispiel ist der Vergleich Wattwil – Forel Klinik. Im ForelKatamnesebericht heisst es: „Die Bestimmung der kontrolliert Trinkenden wurde zur Beantwortung
der Frage (wie hoch ist der Anteil der KT im Vergleich mit einer benachbarten Institution) an der gesamten Beantworterstichprobe mit der gegenüber der eigenen Operationalisierung grosszügigeren
Definition von Grether et al. vorgenommen [...]. Die grosszügigere Definition bewirkt, dass der Anteil
der KT von 5.8 auf 30 Prozent ansteigt. Er ist deutlich höher als bei der Wattwiler Stichprobe mit 9.3
Prozent“ (Sieber, 2000, S. 48). In der Regel werden also KT Definitionen verwendet, welche sich an
der Trinkmenge orientieren, ergänzt um Zusatzkriterien wie Trinkhäufigkeit, Rauschtrinken und das
Vorliegen von Abhängigkeitssymptomen. Nach dieser Logik gehören Personen mit intermittierenden
längeren Abstinenzphasen und mässigem Konsum in der Forel-Studie zu den „nicht kontrolliert Trinkenden“.
84
Ein expliziter Rückbezug dieser Konsumdefinitionen auf „Drinking guidelines“ nach dem Motto „Wieviel
ist zuviel?“ ist nicht erkennbar. Letztlich wäre die Rückkehr zu einem unproblematischen Trinkverhalten, wie es über Präventionskampagnen definiert wird als prinzipieller Bezugspunkt zu sehen. Kontrollierter Konsum aus Präventionssicht liest sich auf der SFA home page wie folgt3:
Halten Sie Ihren Konsum unter Kontrolle:
- Nehmen Sie sich bereits vor einem Fest oder vor dem Ausgehen vor, wie viel Sie trinken wollen.
- Lassen Sie sich nicht nachschenken, bevor Sie Ihr Glas leergetrunken haben, so können Sie Ihren
Konsum besser kontrollieren.
- Trinken Sie zwischendurch auch Nichtalkoholisches.
- Vor allem: Lassen Sie Ihr Fahrzeug stehen oder nehmen Sie ein Taxi und steigen Sie nicht zu jemandem ins Auto, der angetrunken ist.
Es handelt sich hier letztlich bereits um eine populäre Operationalisierung – man könnte sagen über
„Kontrolltips“ - von KT Definitionen, die jedenfalls nicht primär an der Konsummenge ausgerichtet sind
und welche von Körkel (2002c) folgendermassen charakterisiert werden „von Selbstkontrolliertem
Trinken wird dann gesprochen, wenn jemand sein Trinkverhalten eigenständig an einem zuvor festgelegten Trinkplan bzw. an Trinkregeln ausrichtet. Punktabstinenz ist eine Variante des KT. Der bereits
definitorisch geforderte Disziplincharakter des Trinkens unterscheidet das KT vom Moderaten, Normalen und Sozialen Trinken. Beim Fremdkontrollierten Trinken werden die Konsummenge und –
bedingungen durch andere Personen festgelegt“ (S. 88).
Petry (2001a; 2001b) wiederum lehnt den Begriff des Kontrollierten Trinkens ab, da dieser den theoretischen Kontrollbegriff mit der Beobachtungssprache vermische und schlägt stattdessen das Konzept
des „Reduzierten Trinkens“ vor und meint damit „die Reduzierung und/oder Eingrenzung des Suchtmittelkonsums, sodass von der konsumierten Menge, der Art des Konsums und des Konsumkontexts
keine negativen Folgen gesundheitlicher, persönlicher oder sozialer Art mehr ausgehen [...]“ (S. 245).
Ohne auf diese klassifikatorische Debatte hier im Einzelnen einzugehen, ist festzuhalten, dass eine
Diskrepanz zwischen den katamnestischen Studien und den qualifizierten KT Definitionen besteht, da
die Definitionsmerkmale überhaupt nicht erhoben worden sind. Springer (2001) bringt den scheinbaren Widerspruch in Replik zu Petrys Beitrag auf den Punkt: „Kontrolliertes Trinken beschreibt eine
therapeutische Methode, Reduziertes Trinken ein Verhaltensmuster, das eventuell durch die Methode
ermöglicht wird […]. Kontrolle […] beschreibt in der Kombination mit dem Beobachtungsbegriff ‚Trin=
3
Quelle: http://www.sfa-ispa.ch/Librairie/allemand/PDF_D_info/AlkundGesundneu.pdf oder SFA Infobroschüre
„Alkohol und Gesundheit“
85
ken’ eine erlernte Fähigkeit des Patienten, die durch eine lerntheoretisch fundierte Intervention initiiert
wurde“ (S. 259).
6.1.2
Forschung im ambulanten Sektor
Forschungsprojekte im ambulanten Bereich, welche sich primär mit dem KT Thema befassen, liegen
von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bislang nicht vor. Zu diesen Ausnahmen im immer wichtigeren Bereich der Primärversorgung gehört die frühe Pionierstudie zur „Selbstkontrolle des Alkoholkonsums bei Patienten von Hausärzten“ (Noschis, 1987, 1988; Noschis, Müller, & Weiss, 1989), welche den Versuch darstellt, die Machbarkeit und Wirksamkeit von Interventionen in der Arztpraxis zu
testen, welche auf dem Gedanken des KT als Therapieziel im frühen Stadium der Abhängigkeitskarriere aufbauen: Ziel des Projektes war es festzustellen, unter welchen Bedingungen und mit welchem
Erfolg ein Instrument zur Selbstregulation des Alkoholtrinkens bei PatientInnen von AllgemeinpraktikerInnen eingesetzt werden kann.
Im Rahmen einer Vorabklärung bei der Ärzteschaft ergab sich bereits der interessante Befund, dass
84 Prozent Selbstkontrollmethoden als sehr vielversprechend einstuften (Noschis et al., 1989, S.136).
Dies widersprach früheren Vermutungen, dass die Leidensdruckthese, deren Auflösung einer Heldengeschichte ähnelt (Noschis, 1987), wohl doch nicht von der Mehrheit der Mediziner geteilt wird.
Gleichzeitig bestehen beträchtliche tiefenpsychologische Widerstände, das Thema Alkohol mit dem
Patienten zu besprechen und ein geeignetes Selbstkontrollinstrument vorzuschlagen (Noschis, 1988).
Methoden wie die motivierende Gesprächsführung haben hier mittlerweile die Situation verbessert
(Sobell & Sobell, 1995a, 1995b).
Neben einer Kontrollgruppe wurden in der Untersuchung von Noschis zwei Experimentalgruppen unterschieden. Die PatientInnen der Gruppe A wurden während drei Monaten monatlich zu einer Konsultation mit Messung der Leberwerte aufgeboten und füllten das Trink-Tagebuch aus. Bei der Experimentalgruppe B wurde lediglich das ‚Drinking Diary’ abgegeben. „Kontrollierter Konsum“ wird in diesem Kontext als ein Alkoholkonsum definiert, welcher nach Ansicht des Arztes der Gesundheit
des/der Patienten/-in nicht schadet. Gesamthaft zeigt sich, dass bei einem Viertel der PatientInnen
eine deutliche Verbesserung des Trinkverhaltens erzielt und das Behandlungsklima verbessert werden
konnte (Noschis et al., 1989, S.140).
Sondheimers aktuelle Erfahrungen aus Sicht der Therapiepraxis illustrieren diesen Ansatz weiter
(Sondheimer, 2000). Von Wichtigkeit für die therapeutischen Rahmenbedingungen sieht er eine wohlwollende neutrale Haltung gegenüber dem/der PatientIn, mit dem Ziel im gemeinsamen Gespräch mit
Angehörigen belastende Meinungsdifferenzen betreffend das Therapieziel aus dem Weg zu räumen
86
(vgl. allgemeiner hierzu Kapitel 7, Abschnitte 7.5 – 7.6). Mit dem/der PatientIn wird ein KT-Vertrag
abgeschlossen, welcher maximale tägliche Trinkeinheiten (M: 3-4, F:2-3 Einheiten täglich) und ein
Minimum an alkoholfreien Tagen (mind. 2 Tage pro Woche) festsetzt. Je nach Trinktyp kann eine Person bei Behandlungsbeginn sofort kontrolliert trinken oder nach einer mindestens dreimonatigen Abstinenz zu KT wechseln. Sondheimer hat für den Zeitraum von Februar 1997 bis Oktober 1999 die Behandlungsverläufe aller in seiner Privatpraxis behandelten alkoholabhängigen PatientInnen ausgewertet (Sondheimer, 2000). Von den 29 durchgeführten Behandlungen verliefen nach Sondheimers Kriterien 20 erfolgreich, sechs davon hatten Abstinenz als Behandlungsziel und 14 KT. Sechs dieser KTPatientInnen entschlossen sich einen Trink-Kalender (Trink-Tagebuch) zu führen, die restlichen verzichteten auf ein solches Hilfsinstrument. Bei zehn Personen ging dem Gemässtigten Trinken eine
begrenzte Phase der Abstinenz voraus. Zu erneutem Problemtrinken kam es bei den restlichen neun
PatientInnen, bei drei sogar zu einer Verschlechterung der Ausgangssituation. Sechs Personen liessen
sich nicht auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Alkoholproblematik ein, bei einer Person mit
KT als Ziel kam es trotz der Verwendung eines Trink-Kalenders und bei zwei PatientInnen nach Abstinenz- und KT-Versuch ohne Trinkkalender zu einem Rückfall.
Eine aktuelle Sekundäranalyse der Patientenstatistik des ambulanten Sektors SAMBAD (Statistik der
ambulanten Behandlung und Betreuung im Alkohol- und Drogenbereich) liefert erstmals umfassende
und repräsentative Aufschlüsse nicht nur über die Therapiezielpräferenz der PatientInnen sondern
auch über deren Bestimmungsgründe (Maffli, Kuntsche, & Delgrande, 2003). Diese Analysen basieren
auf den Ein- und Austrittsinformationen von 14'799 Fällen des nationalen ambulanten Monitoring Systems, welche zwischen 1995 und 2001 erfasst wurden. Beim Eintritt ordnet das Behandlungspersonal
das angegebene Behandlungsziel (hinsichtlich der Hauptproblematik/-abhängigkeit) nach folgenden
Kategorien ein: „definitive, unbegrenzte Abstinenz“, „zeitliche begrenzte Abstinenz“, „kontrollierter
Alkoholkonsum“, „keine Einschränkung des Konsums intendiert“ und „unentschieden hinsichtlich des
Therapieziels“. Mit dem Austrittsfragebogen wird das zu diesem Zeitpunkt angestrebte Therapieziel
identisch erfasst. Es zeigt sich, dass bei der Aufnahme mehr als die Hälfte der PatientInnen (55 Prozent) keine lebenslange Abstinenz, sondern entweder zeitlich limitierte Abstinenz (22 Prozent) oder
aber kontrolliertes Trinken (19 Prozent) anstreben; 13 Prozent sind noch unentschieden (1.5 Prozent;
n= 221 „trauen sich“, dem therapeutischen Personal anzugeben, dass sie ihren Konsum gar nicht
ändern möchten – eine interessante Untergruppe, deren nicht Konsum bezogenen Änderungsziele
von beträchtlichem Interesse wären). Daneben spielt der Wunsch nach lebenslanger Abstinenz mit 45
Prozent nach wie vor eine wichtige Rolle (Maffli et al., 2003, S. 3-4).
Punktuelle Vergleichsdaten aus Deutschland finden sich in der noch unveröffentlichten Diplomarbeit
von S. Feder (Konsumziele von Klienten in stationärer Drogentherapie), welcher 82 PatientInnen in
einer bayrischen Drogenlangzeitbehandlungseinrichtung befragte. Demnach optierten 86 Prozent ge-
87
gen Alkoholabstinenz als Therapieziel, beim Cannabiskonsum wählten 46 Prozent, beim Heroinkonsum zwölf Prozent und beim Rauchen 90 Prozent Mässigkeitszielsetzungen (zitiert nach / Körkel,
2002a, S.670-671).
Eine genauere Betrachtung der Therapiezieldeterminanten zeigt jedoch, dass Behandlungsvorerfahrung, Hilfesucheverhalten und soziodemographische Merkmale eine entscheidende Rolle bei der Zielwahl spielen. Entsprechend ist die relative Bedeutung der Therapieziele einzuschätzen. Lebenslange
Abstinenz wird vor allem von behandlungserfahrenen Personen verfolgt, welche abstinenzorientierten
Selbsthilfegruppen (vermutlich AA) und stationären Settings ausgesetzt waren und/oder institutionelle
oder ärztliche Zuweiser angeben. Genauer: Während fast 30 Prozent derjenigen, welche über Verwandte oder Arbeitgeber zur Beratung gekommen sind KT anstreben, sind es etwa nur halb so viele
bei den zwangs- oder ärztlich/institutionell zugewiesenen PatientInnen. Maffli folgert entsprechend:
“[…] strong relations [Anm. der Autoren: der Trinkzielwahl] to […] experiences of support, consists in
the assimilation of beliefs or concepts prevailing particularly in self-help groups and also in […] treatment units, recommending abstinence as the only solution for alcohol-related problems“ (Maffli et al.,
2003, S.13). Der zweite wichtige Bestimmungsgrund der Zielwahl ist die Fremdeinschätzung des Therapeuten, ob beim/bei der Klienten/-in Alkoholmissbrauch oder – abhängigkeit vorliegt. Auch bei multivariaten Analysen werden bei angenommener Abhängigkeit nur halb so oft KT oder zeitlich limitierte
Abstinenz registriert als bei der Diagnose „Alkoholmissbrauch“ (Maffli et al., 2003, S.10-11). Da keine
objektiven Diagnosen vorliegen, bleibt offen, inwiefern die Patientendaten wirklich unabhängige Messungen darstellen, oder ob die erfasste Therapiezielwahl bereits Ergebnis eines vorgängigen Aushandlungsprozesses ist. Schliesslich können Alterseffekte festgestellt werden. Bei den unter 30-jährigen ist
KT als Ziel wesentlich wichtiger als bei den übrigen Altersgruppen (ca. 27 Prozent vs. ca. 18 Prozent);
sozialer Ausschluss durch die Abstinenzzielwahl mag hierbei eine Rolle spielen. Setzt man diese Befunde nun in Beziehung zu den erfassten Austrittsdaten, so zeigt sich eine Zunahme der mässigungsorientierten Trinkziele im Verlauf der Therapie von 21 Prozent auf 29 Prozent; ebenso steigt der Anteil
derjenigen, welche jegliche Begrenzungen ablehnen von 1.4 Prozent auf 4.5 Prozent. Maffli vermutete,
dass sich im Verlaufe der Behandlung eine realistischere Einschätzung der eigenen Möglichkeiten
einstellt.
Zwischenfazit
Die Patientenstatistik SAMBAD liefert wichtige erste Anhaltspunkte für die Differenzierung und Individualisierung des Behandlungsprozesses im ambulanten Bereich. Nach wie vor fehlen jedoch empirische Daten und Erhebungen, welche Aufschluss über den Therapieprozess und die Dynamik der Therapiezielveränderung liefern. Insgesamt gesehen wird jedoch das grosse Potential mässigkeitsorientierter Therapiezielsetzungen gerade bei Gruppen deutlich, welche das Behandlungsangebot kaum
erreicht. Schliesslich zeichnen sich unterschiedliche Therapiephilosophien und Prinzipien zwischen
88
dem ambulanten und dem stationären Bereich ab, welche im folgenden Abschnitt näher beleuchtet
werden sollen.
6.2
Wege zum KT: Methodenforschung - Interventionstechniken und Praxiserfahrungen
6.2.1
Ansätze im stationären Bereich
Der offizielle Tenor im stationären Bereich zur Möglichkeit des KT kann mit dem Tenor „Ziel ‚kontrolliertes Trinken’: In manchen Fällen sinnvoll und trotzdem die Ausnahme“ gut umschrieben werden
(Knaus, 2000). Diese quantitative Einschätzung bezieht sich verständlicherweise vor allem auf die
Klientel, welche hoch selektiv in den Fachkliniken rekrutiert wird. Die Relevanz des Themas KT wird
daher vor allem im ambulanten Bereich gesehen. Eine gewisse Skepsis und Unsicherheit der Therapeuten gegenüber dem KT als Therapieziel wird durch einen Teilbefund der Forel-Katamnesesstudien
trefflich illustriert: „Eigenartigerweise haben die Personen mit KT eine eher ungünstige Prognose durch
die TherapeutInnen der Forel Klinik erhalten. Es ist offensichtlich für die TherapeutInnen schwierig,
diese Gruppe einzuschätzen [...]“ (Sieber, 2000, S.50). Gleichwohl wird KT als mögliches Therapieziel
in den führenden Fachkliniken der Deutschschweiz mittlerweile grundsätzlich anerkannt und im Therapiekonzept als Teil der selbst bestimmten Therapiezielwahl berücksichtigt: Im Therapiekonzept der
Forel Klinik wird der Trinkentscheid des/r Patienten/-in auf der Grundlage des ABC (Abstinenz lebenslang, begrenzte Abstinenz, kontrolliertes Trinken (Meyer, Fehr et al., 2000, S. 42-43)) immer wieder
thematisiert. Viele PatientInnen können sich nicht vorstellen, nach der Entlassung abstinent zu leben.
Beim gleichzeitigen grundsätzlichen Festhalten der Kliniken am Abstinenzziel ist allerdings das Einüben kontrollierten Trinkens während des Therapieaufenthaltes bis anhin nicht vorgesehen oder erprobt. Vielmehr gilt: „Patienten, die sich für ein kontrolliertes Trinken entschieden haben und sich mit
dem Abstinenzgebot der Klinik nicht mehr identifizieren wollen, wird in Einzelfällen im Sinne einer Realitätskontrolle angeboten, ihren persönlichen Trinkentscheid nach Abschluss der stationären Behandlung für eine bestimmte Zeit im Alltag auszuprobieren. Dazu ist es notwendig mit dem/der Patienten/in zu klären, was er/sie unter kontrolliertem Trinken genau versteht“ (Meyer, Fehr et al., 2000, S.43).
Ganz ähnlich stellt sich die Situation in der Südhang Klinik dar. In deren Hauszeitschrift wird ebenfalls
kontrolliertes Trinken neben Abstinenz als Therapieziel anerkannt und vermutet, dass die Erfolgschancen des KT steigen, wenn man sich bereits zu Beginn der Therapie und nicht erst am Schluss auf
dieses Trinkziel einstellt und möglichst eine Einmischung des Partners oder der Partnerin in die
Selbstkontrolle des/der Patienten/-in vermeidet. Auch hier der Hinweis auf die Grenzen des KTAnsatzes im stationären Rahmen: „Ein Ausprobieren des Trinkplans für das KT ist während einer Therapie nicht möglich [...], dies kann zur Folge haben, dass bei einem Austritt aus der Klinik der Trinkplan fehlerhaft respektive unvollständig sein kann.“ (Rondez, 2004).
89
Aus der aktuellen Schweizerischen Multizenterstudie (SMS) ergeben sich erstmals wichtige Anhaltspunkte für die relative Bedeutung der Therapiezielwahl im stationären Bereich4. Diese basieren auf
Angaben von 791 Patienten bei Eintritt in eines von 12 deutschsprachigen stationären Behandlungszentren für Alkoholabängige, sowie Angaben von 654 Patienten bei Austritt und 589 ein Jahr nach
Austritt (es handelt sich um eine Einjahreskatamnese – Daten, die im Übrigen mit 3700 Patienten aus
15 Zentren in den USA verglichen werden können). a) Bei Eintritt geben rund 75% Abstinenz und 25%
KT als Therapieziel, bei Austritt 78% Abstinenz bzw. 22% KT als Ziel für das nächste Jahr an, also
keine wesentliche, d.h. statistische signifikante Veränderung; b) Patienten mit KT als Ziel trinken während der Behandlung tendenziell eher mindestens einmal Alkohol (46%) als Patienten mit Abstinenz als
Therapieziel (38%); c) Patienten mit KT sind mit der Therapie unzufriedener, glauben eher nicht die
erwünschte Behandlung erhalten zu haben, würden selber das Therapieprogramm im Falle eines Wiedereintritts nicht wieder besuchen bzw. es einem Freund empfehlen und geben eher an, dass keine
Übereinstimmung zwischen Therapeut und Patient in Bezug auf das Behandlungsziel zustande gekommen ist; d) Patienten mit KT als Therapieziel bei Austritt hatten ein Jahr nach der Behandlung
häufiger mindestens einmal Alkohol konsumiert (88%) als Patienten mit Abstinenz (63%); e) Patienten
mit KT als Therapieziel bei Austritt konsumierten ein Jahr nach der Behandlung an typischen Trinktagen etwas mehr Alkohol in Gramm (99g) als Patienten mit Abstinenz (95g), die rückfällig geworden
waren. KT-Patienten trinken auch schneller nach Austritt wieder Alkohol, geben aber an länger kontrolliert zu trinken als Patienten mit Abstinenzziel. Vorbehaltich weiterer Analysen, scheinen diese Befunde zumindest die Annahme zu stützen, dass sich kontrolliertes Trinken auch ungeachtet der Therapiezielvorgaben letzlich als Verhaltensmuster durchsetzen kann (vgl. auch die Ausführungen von
Sobell und Sobell in diesem Bericht).
Es gab noch eine ganze Reihe von Unterschieden, die darauf hindeuten, dass sich Patienten mit KT
sowohl während der Behandlung (z.B. Wirkungserwartungen an Alkohol usw.) als auch nach der Behandlung deutlich anders verändern (z.B. Rehospitalisationen usw.) als Patienten, die als Therapieziel
Abstinenz gewählt hatten.
Doch zurück zur Frage inwieweit es Beispiele zur Einübung des kontrollierten Trinkens im stationären
Rahmen gibt:
In einem sehr beschränkten, experimentellen Rahmen werden PatientInnen des Langzeitbehandlungsprogramms „Le Petit-Beaulieu“ in Genf während der Behandlung kontrolliert Alkoholanreizen
ausgesetzt. Konkret:
=
4
Es handelt sich im Folgenden um vorläufige Ergebnisse und Auswertungen von Franz Moggi, welche – angeregt
durch eine Vorfassung dieses Berichtes – im Rahmen einer persönlichen e-mail Mitteilung vom 11. Oktober
2004 übermittelt worden sind.
90
«Les séances limitées au nombre de six, se déroulent en deux phases. Tout d’abord, il s’agit de
faire monter l’envie de boire en présentant au patient de l’alcool, mais aussi en déclenchant chez
lui des émotions pénibles en lien avec ses alcoolisations. La seconde phase consiste à trouver
des stratégies alternatives à l’alcoolisation. Mieux armé, le patient aura davantage confiance en
lui, ce qui devrait diminuer le risque de rechute» (Mori, 2002).
Als relativ bekanntes ausländisches Beispiel betreffend KT soll das Brügger Modell – realisiert im
Rahmen der psychiatrischen Abteilung und der Tagesklinik im allgemeinen Krankenhaus Sint Jan in
Brügge – im folgenden etwas näher beschrieben werden: Hier hat die freie Therapiezielwahl weitergehende Konsequenzen auf die Therapiedurchführung5:
Um 1984 wurde die Stelle des Chefarztes und Leiters der psychiatrischen Abteilung im allgemeinen
Krankenhaus Sint Jan in Brügge, wo nebst anderen psychiatrischen Störungen vor allem auch Alkoholabhängige stationär behandelt werden, durch Luc Isebaert neu besetzt. Damals galt abstinentes
Verhalten als oberstes Gebot für SuchtpatientInnen. In der gleichen Zeit entflammte auf internationaler Ebene die Debatte ums „Kontrollierte Trinken als Therapieziel“. Isebaert öffnete sich den neuen
Ideen und gründete auf seiner Station eine Therapiegruppe für „Abstinenzorientierte“ und eine Gruppe für „KT-Interessierte“. MitarbeiterInnen der Abteilung teilten die jeweiligen PatientInnen nach den
damals geltenden Kriterien der passenden Therapiegruppe zu (z.B. unstabiles soziales Umfeld, organische Schäden, Arbeitslosigkeit → Abstinenzgruppe). Die verwendeten Aufnahmekriterien für die
beiden Gruppen bewährten sich jedoch nicht und so konnten die PatientInnen nach einiger Zeit
selbst wählen, welcher Therapiegruppe sie sich anschliessen möchten. Die Therapie verläuft in drei
Phasen: 1. Aufnahmegespräch: Oftmals wissen die PatientInnen genau, dass ein Problem besteht,
sie haben aber den Glauben an ihre Selbstwirksamkeit verloren. In einem solchen Fall muss als erstes
an der Motivation, an einer Öffnung zur Annahme von Hilfe gearbeitet werden. 2. Entgiftung (erste 710 Tage): In dieser Zeit werden die PatientInnen genau beobachtet, Laboruntersuchungen durchgeführt und interaktiv über Alkohol und seine Wirkung informiert. 3. Weiterer Therapieverlauf: Nach der
Entgiftung entscheiden die PatientInnen über den weiteren Therapieverlauf: Soll die Therapie fortgesetzt werden? Ambulant oder stationär? Wenn ja, welches Therapieziel ist zu wählen, „Abstinenz“
oder „KT“? In dieser Zeit finden Angehörigengespräche statt um die Bedürfnisse aller möglichst abzustimmen. Schlussendlich entscheidet der/die Patient/-in eigenständig und ohne moralischen Druck.
Entschliesst sich der/die Patient/-in zu einer ambulanten Therapie, darf ab sofort so viel Alkohol konsumiert werden wie gewünscht. Die Person wird ambulant in einer KT- oder abstinenzorientierten
Therapie betreut. Falls der/die Patient/-in in die Tagesklinik übertritt kann sowohl tagsüber als auch
abends soviel Alkohol konsumiert werden wie gewollt. Auch in diesem Setting besteht ein Therapieangebot für KT- und Abstinenzorientierte. Wenn der/die Patient/-in weiterhin stationär behandelt
werden möchte, darf kein Alkohol konsumiert werden, da auf der Station PatientInnen mit anderen
Störungen untergebracht sind, die Psychopharmaka einnehmen bei welchen es bei Alkoholkonsum
zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann. Auch in diesem Rahmen werden Einzel- und
Gruppentherapien für KT- oder Abstinenzorientierte angeboten. Im ambulanten Setting kommt es
=
5
Quelle: Aufzeichnung des Workshops ‚Ambulante und stationäre Lösungsmodelle für die effektive Kurzzeittherapie von Suchtproblemen’ des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg in Heidelberg 17.5.99-19.5.99. © Das Brügger Modell, 1999, VHS-Kopie von BetaCam SP, 121 Minuten, Bestell-Nr. VT 906, Video-Cooperative-Ruhr
GmbH, Dortmund (D). © Die Katamnese aus Brügge und Fragen zu Theorie und Praxis effektiver Kurzzeittherapie, 1999, VHS-Kopie von BetaCam SP, 1116 Minuten, Bestell-Nr. VT 910, Video-Cooperative-Ruhr GmbH,
Dortmund (D).
91
durchschnittlich zu 3.9 Einzeltherapiesitzungen, die stationäre Therapie dauert rund 18 Tage (vor
allem Gruppentherapie), danach folgen zwei bis drei Wochen Tagesklinik (vor allem Gruppentherapie),
danach selten für kurze Zeit ambulante Therapie. Ein stationärer Aufenthalt kann maximal drei Wochen dauern. Das Therapieangebot ist im ambulanten und stationären Bereich sehr ähnlich, ambulant
werden jedoch mehr Einzelgespräche, stationär mehr Gruppengespräche geführt. Wichtig scheint für
den Therapieerfolg vor allem, dass PatientInnen ihr Ziel frei auswählen können, nicht welches Ziel sie
wählen. Rund 50 Prozent wählen zu Beginn Abstinenz als Ziel, die andern KT. Das Therapieziel kann
jederzeit gewechselt werden, was jedoch während der Therapie nicht sehr oft geschieht (meistens
erst nach der Kurzzeittherapie). Ein Jahr nach Therapie haben 26 Prozent der zuerst Kontrollierten zu
den Abstinenten gewechselt und 10-15 Prozent der zuerst Abstinenten zu KT. Die Therapiegruppe
wird bei Zielveränderung nicht gewechselt, weil in beiden Gruppen nach dem fast gleichen Schema
therapiert wird (in der KT-Gruppe wird einzig vermehrt auf Kontrollstrategien eingegangen). Wichtig
ist, dass sobald sich ein Erfolg einstellt, die PatientInnen selbstständig weitermachen. Die Therapie
künstlich zu verlängern, würde nur zu einem Verlust von Selbstwirksamkeit führen. Eine Person wird
als kontrolliert trinkend betrachtet, wenn sie maximal täglich 3 bzw. 2 Trinkeinheiten (Männer/Frauen)
zu sich nimmt. Gelegentlich bis selten darf pro Tag bis zu zehn Trinkeinheiten konsumiert werden
(z.B. an einem Familienfest). Um Rückfälle wird kein Aufheben gemacht, indem sie als Kontrollübungen betrachtet werden. Welches Verhalten auch immer gezeigt wird, es soll frei von moralischen Verpflichtungen sein. Zwischen Abstinenz, KT und Rückfällen wird nicht gewertet, jede Person entscheidet selbst, was für sie wichtig und richtig ist.
Obwohl das Brügger Modell mit getrennten Therapiegruppen und Alkoholkonsum im ambulanten Bereich weiter geht als entsprechende Schweizer Einrichtungen, so ist die Einübung eines kontrollierten
Alkoholkonsums oder eine kontrollierte Alkoholabgabe auch hier nicht vorgesehen.
Analog zur Methadonabgabe oder heroingestützten Behandlung finden sich Beispiele für kontrollierte
Alkoholabgabe im Heim- und Hospizsektor. So leistet in der Schweiz das jurassische Hospiz Le Pré-
aux-Boeufs seit 1976 Pionierarbeit bei der kontrollierten Alkoholabgabe (Schweizer, 1998):
In Sonvilier („Le Pré-aux-Boeufs“) erhalten die Alkoholiker bis zu drei Drei-Deziliter-Schoppen Wein
oder drei grosse Flaschen Bier pro Tag. Trinken kann man zwischen 13.00 Uhr und 17.00 Uhr im
Restaurant. Natürlich wird auch immer wieder versucht, diese Regel zu „erweitern“. Es wird von gut
versteckten Notvorräten im nahen Wäldchen berichtet und von trinkseligen Ausflügen in die umliegenden Beizen. Wer „über die Stränge“ geschlagen hat, muss mit Sanktionen rechnen. In leichten
Fällen wird dem Missetäter vorübergehend die Ration gestrichen, nach schweren Abstürzen kommen
die Leute in die Ausnüchterungszelle.
„Das Hospiz Le Pré-aux-Boeufs ist eine Endstation, in der auch sogenannt Hoffnungslose in eine Gemeinschaft integriert werden können. Ab und zu komme es sogar vor, dass einer mit einer positiveren
Lebenseinstellung von hier wieder weggehe.“ (Schweizer, 1998). Die guten Erfahrungen werden nicht
zuletzt dem Alkoholausschank zugeschrieben: „Dieser Entscheid trug viel zu einer ruhigeren Atmosphäre bei. Denn was nützt es, wenn die Leute im Versteckten saufen müssen?“ (S. 74).
Das Werk- und Wohnhaus zur Weid (WWW-Rossau) – eine Einrichtung des Sozialdepartements der
Stadt Zürich im Amt für soziale Einrichtungen, Abt. Wohn- und Obdachlosenhilfe – ist ein weiteres
92
Beispiel für eine nicht abstinenzorientierte Einrichtung; so heisst es in der Institutionsgeschichte unter
dem Titel „Abstinenz als Richtschnur“: „Geschichtlich gesehen wurde das Männerheim vom Abstinenzgedanken geprägt, doch war diese Orientierung stets auch von Zugeständnissen an die Macht
der Sucht geprägt. Insofern könnte man die Rossau auch umgekehrt als Vorläuferin der Akzeptanz
des kontrollierten Umgangs von fürsorgerisch Betreuten mit Suchtmitteln charakterisieren“ (Huonker,
Schuppli, & Biasio, 2003, S.64).
Als weiteres Bespiel für die kontrollierte Vergabe von Alkohol an Abhängige ist in Deutschland ein offenes Heim in Mecklenburg-Vorpommern zu nennen. Mit der Aufnahme wird vom Alkoholkranken keine Verpflichtung zur Abstinenz verlangt. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass die Alkoholvergabe für die soziale Betreuung zugänglicher macht, ähnlich wie dies auch bei der Methadonverschreibung der Fall ist. Wie bei der heroingestützten Behandlung tritt auch hier die Problematik des Beikonsums auf und deshalb werden analoge Schlüsse gezogen: „Insgesamt hat sich das Betreuungskonzept mit dem fremdbestimmten kontrollierten Trinken bewährt […]. Das Konzept ist ein Kompromiss,
aber es bedeutet den Verzicht auf eine x-fache aussichtslose Therapie mit dem Ziel der Abstinenz und
Wiedereingliederung und gleichsam wird das Verkommen in der Gosse verhindert“ (Ihlefeld, 1999, S.
240). Die konkreten Vergabemodalitäten von Alkohol und dabei auftretende Schwierigkeiten werden
wie folgt dargestellt.
„Die Zulassung muss von gesundheitlichen Aspekten ausgehen, es darf keine weitere Schädigung erfolgen. Die tägliche Alkoholmenge ist individuell festgelegt und wird in Abhängigkeit von
Gesundheitszustand, Körpervolumen, Alter und Geschlecht durch den Pflegedienstleiter in Zusammenarbeit mit dem Vertrauensarzt bestimmt. Die Höchstmenge sind drei Flaschen Bier pro
Tag, die geringste Menge drei Flaschen Bier pro Woche. Die jeweils festgelegte Alkoholmenge
wird über den Tag verteilt ausgegeben, z.B. dreimal eine Flasche Bier. Die Bezahlung des Alkohols ist nur über eine Taschengeldregelung möglich. Die verfügbare Geldmenge pro Monat muss
limitiert und der Verwendungszweck definiert sein. Solche Heime müssen sich in einer „günstigen“ Lage befinden, d.h. es gibt keine Gaststätten und Verkaufsstellen in der Nähe des Heimes.
Das kontrollierte Trinken verlangt eine ständige Einschätzung der Persönlichkeit der Probanden.
Insgesamt hat sich das Betreuungskonzept mit dem fremdbestimmten kontrollierten Trinken bewährt“ (Ihlefeld, 1999, S.234, 235).
Abschliessend ist zu nennen, dass der Katholische Männerfürsorgeverein München KMFV gemeinsam
mit der Quest Akademie Heidelberg im Mai 2003 das Projekt „Walk“ („Wohnungslosigkeit und Alkohol:
Einführung zieloffener Suchtarbeit in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe des KMFV“) lanciert hat
(Quelle: www.kontrolliertes-trinken.de/www.kontrolliertes-trinken.ch). Alkoholismus stellt unter Wohnungslosen ein sehr häufiges Krankheitsbild dar und ein entgleister Alkoholkonsum beeinträchtigt
93
oftmals die Wohnfähigkeit erheblich. Die Wohnungslosenhilfe hat sich bis anhin jedoch hauptsächlich
auf die Vermittlung von Wohnraum und weniger auf die häufig dahinterliegende Suchtproblematik ihrer
Klientel konzentriert. So hat das Projekt „Walk“ zum Ziel im Rahmen einer Organisationsentwicklungsmassnahme die pädagogischen KMFV-MitarbeiterInnen zu schulen und sie dadurch in die Lage
zu versetzen, die von ihnen betreuten Wohnungslosen auf ihre Alkoholproblematik anzusprechen, ihre
Veränderungsmotivation zu fördern und sie beim Erreichen einer Alkoholreduktion bzw. Abstinenz zu
unterstützen. Zwischen Juli 2003 und Februar 2004 sind rund 80 pädagogische Fachkräfte sowohl in
Motivational Interviewing wie auch im Anbieten und Durchführen von Programmen zur zieloffenen
Suchtarbeit geschult worden. Zwischenzeitlich sind in allen zwölf Einrichtungen der KMFV KTProgramme eingeführt und umgesetzt worden. Das Projekt wird laufend evaluiert und wissenschaftlich
begleitet. Erste Erfahrungen zeigen ein beträchtliches Interesse der KlientInnen und allgemein positive
Gruppenverläufe bei KT-Programmen.
Zwischenfazit
Im Zuge der Diversifizierung im stationären Bereich ganz allgemein, was die Therapiedauer und Aufteilung in Therapiegruppen angeht, hat KT durchaus seinen Platz gefunden, verbunden mit einer insgesamt ganzheitlich ausgerichteten Therapieerfolgsdefinition. Die Etablierung spezifischer Gruppen und
Untertherapieprogramme für PatientInnen mit einer KT Zielsetzung findet aber nicht statt. Implizit bestehen Bedenken, dass die am Abstinenzziel orientierten PatientInnen durch solche Programme unter
einem Dach demotiviert, ja gefährdet werden könnten. Der Definition des kontrollierten Trinkverhaltens
anhand von Trinkmenge und ggf. Trinkmuster nach dem Austritt steht de fakto im Vordergrund („reduziertes Trinken“). Durch die Hinzufügung weiterer Kriterien, welche sich nicht auf die Trinkmenge und –
muster beziehen, ergeben sich definitionsgesteuert eher geringe Erfolgsraten, welche dann zur vorsichtigen öffentlichkeitswirksamen Darstellung des KT als Ausnahmephänomen herangezogen werden. Gleichzeitig wird kontrolliertes Trinken aus der Perspektive der verhaltenstherapeutischen Ansätze im ambulanten Bereich und aus Sicht der Präventionspolitik (SFA & EKA, 2004a, 2004b) anspruchsvoller als individuelle Strategie zur konsequenten Steuerung und Umsetzung von Trinkplänen
gesehen. Ob und wie genau eine solche von entlassenen PatientInnen praktiziert wird, ist bislang empirisch nicht untersucht, wenn man vom Bereich der Spontanremisssionen/Selbstheilungsforschung
einmal absieht (vgl. etwa Klingemann, 1990; Klingemann, 1991). Die bis anhin selten praktizierte
fremdkontrollierte Alkoholabgabe nimmt eine Sonderstellung ein. Sie reduziert zumindest anspruchsgemäss die Zugänglichkeit des Suchtmittels und eröffnet auch bei therapieresistenten PatientInnen
möglicherweise Wege zu anspruchsvolleren Therapieprogrammen. Unmittelbare Parallelen zum Schadensbegrenzungsansatz beim illegalen Drogenkonsum liegen auf der Hand. Aus politischen und organisatorischen Gründen bleiben diese drei Perspektiven bisher unverbunden: Die kontrollierte Alkoholabgabe wird nicht mit der systematischen Erprobung von Trinkplänen verbunden, da sie – wenn überhaupt – bis anhin nur vereinzelt im Hospiz- und Pflegesektor praktiziert worden ist. Die prinzipiell freie
94
Behandlungszielbestimmung durch die PatientInnen bleibt im Fachklinikbereich buchstäblich eine Trockenübung, obgleich die Erprobung und Verbesserung von Trinkplänen und Kontrollstrategien eigentlich am besten in einem geschützten stationären Rahmen und unter professioneller Supervision denkbar ist. Gerade für die praktische Organisation der kontrollierten Alkoholabgabe in künftigen Fachklinikmodellen dürften die Erfahrungen im Heimbereich zumindest wichtige Anhaltspunkte liefern. In ihrem aktuellen Diskussionsbeitrag „Realistische Ziele und adäquate Methoden in der Suchtmedizin –
Auswege aus der Abstinenzfalle „ ,welcher sich prinzipiell auch auf legale Drogen bezieht merken Meili
und Eyal (2004).dementsprechend an:
„Die Entwicklung der Unterteilung von Suchttherapien in abstinenzorientierte stationäre und substitutionsgestützte ambulante Behandlungen als Grundsystem ist ein historisch bedingter Irrtum.
Denn hier definiert – vor allem im stationären Setting – der Behandlungsrahmen die Hauptzielsetzung, in diesem Fall die Abstinenz. Ein […] Umdenken ist dringend nötig. Wie bei allen Erkrankungen üblich, müssen die optimalen Methoden und Techniken für eine Behandlung in einem geeigneten Rahmen oder Setting zur Verfügung stehen“ (S.1).
6.2.2
Ansätze im ambulanten Bereich
In der Schweiz wurde bereits Ende der 80er Jahre erstmals von Polli, Ketterer und Weber (1989) ein
Kursprogramm „Kontrolliertes Trinken“ zur Erlernung des KT vorgestellt und im Zuge späterer Publikationen weiter verfeinert und genauer ausgeführt. Es gliedert sich in sieben Kurseinheiten und vier
Schritte (Erhebung Ausgangsdaten, Festlegung der Konsummenge, Zwölf-Wochen Selbstkontrollprogramm, Erfolg erhalten durch Kontrolle) im Rahmen einer Einzel- oder Gruppentherapie. Nach einer
Standortbestimmung wird eine Abstinenzzeit vorgeschaltet (zwei Kurseinheiten) um dann, unter Heranziehung verschiedener Hilfsmittel (Konsumkontrollblatt, schriftliche Vereinbarung) die kurz- und
mittelfristige Überprüfung der Strategien und Massnahmen zur Einhaltung von Höchstlimiten zu ermöglichen. Es geht um eine Bilanzierung der bisherigen Erfolge und Schwierigkeiten, den Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen (Polli, 1997). Über die Verbreitung und Anwendung dieses Ansatzes in
der therapeutischen Praxis liegen bislang keine systematischen Informationen vor. Möglicherweise
kam dieser Ansatz „noch zu früh“ und die Zeit war Ende der 80er noch nicht reif für solche innovativen
Ideen.
Das „Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken (AkT)“, ein seit Oktober 1999 in
Deutschland von Joachim Körkel erprobtes manualisiertes Programm zur Vermittlung von Kompetenzen zur Selbstkontrolle des Trinkverhaltens, ähnelt in vielen Punkten diesem Schweizer Vorläuferprogramm, hat jedoch ein ungleich grösseres Echo im deutschsprachigen Raum gefunden. Selbstkontrolliertes Trinken liegt vor „wenn eine Person ihr Trinkverhalten an einem zuvor festgelegten Trinkplan
95
bzw. Trinkregeln ausrichtet. Kontrolliertes Trinken bezeichnet also eine disziplinierten, geplanten und
limitierten Alkoholkonsum„ (Körkel, 2003b). Joachim Körkels Programm ist in folgender Übersicht kurz
zusammengefasst (siehe auch Körkel, 2000a, 2000b, 2002a, 2003c; Körkel, Langguth, Schellberg, &
Neu, 2002; Körkel, Schellberg, Haberacker, Langguth, & Neu, 2002):
Bausteine des KT-Trainings, aufgeführt in (Rondez, 2004):
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Aneignung von Grundinformationen über Alkohol
Beobachtung, Registrierung und Analyse des Trinkverhaltens
Festlegung von Konsumzielen
Auswahl von Strategien zur Konsumbegrenzung
Aufbau eines Belohnungssystems
Aktivierung alkoholfreier Formen der Freizeitgestaltung
Erwerb von Kompetenzen, wie man Belastungen ohne Alkohol bewältigt
Entwicklung eines Notfallplanes für den Umgang mit Ausrutschern und Rückfällen.
Ein wichtiges Hilfsmittel beim KT ist das Trinktagebuch. Es besteht aus einer Tabelle, wo links untereinander die Wochentage und horizontal Angaben aufgeführt sind wie Wochentag, Uhrzeit, Art und
Menge des Alkohols, Anzahl Standardeinheiten Plan/Ist (1 Standardeinheit Alkohol = 1 dl Wein, 2 cl
Schnaps oder 3 dl Bier), Ort, anwesende Personen, Auslöser oder ob die Vorgabe, die man sich selber gegeben hat, erfüllt wurde oder nicht.
Ein weiteres notwendiges Instrument des KT ist der Trinkplan:
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Art des Alkohols: keine Spirituosen und keinen Alkohol gegen den Durst
Menge: Obergrenzen für nicht schädlichen Gebrauch von Alkohol laut WHO: 40 g (= 1 Liter Bier
pro Tag für Männer) 20 g (= 1/2 Liter Bier pro Tag für Frauen)
Geschwindigkeit: langsam, in kleinen Schlucken, mit Pausen
Frequenz: 1-2 abstinente Tage in der Woche
Zeit: nicht während der Arbeit, nie auf leeren Magen
Ort: nicht an dem Ort, wo ich früher bevorzugt getrunken habe
Umfeld: nicht alleine
Befinden: nicht, wenn ich mich schlecht fühle; nicht, wenn ich das starke Verlangen nach Alkohol
habe
Allgemein: nie, wenn ich Medikamente einnehme
Mittlerweile liegen Ergebnisse einer Ein-Jahres-Katamnese vor, welche die Verläufe von 58 TeilnehmerInnen aus fünf Nürnberger AkT-Gruppen analysiert (Körkel, 2004). Unter den TeilnehmerInnen befanden sich 21 Frauen und 32 Männer im Alter von durchschnittlich 48 Jahren. Zu Beginn des Programms wurden 18 TeilnehmerInnen als AlkoholmissbraucherInnen und 34 als Alkoholabhängige diagnostiziert. 30 der 58 Personen hatten vorher noch nie Behandlung in Bezug auf ihre Alkoholprobleme beansprucht. Fünf Personen haben das Programm frühzeitig abgebrochen, unter anderem wechselten zwei davon das Behandlungsziel hin zur Abstinenz. Zwölf Monate nach Beendigung des Programms liegt die durchschnittliche Erfolgsquote bei 58 Prozent. Acht Prozent leben ein Jahr nach
Programmende abstinent, bei 25 Prozent kam es zu einer deutlichen Verbesserung (mehr als 50 Prozent Reduktion des ursprünglichen Alkoholkonsums). Bei rund einem Fünftel kam es zu einer Alkohol-
96
konsum-Reduktion von 30 bis 50 Prozent, ein Viertel hat sich kaum oder gar nicht gebessert. Von den
restlichen 17 Prozent stehen keine Follow-up Daten zur Verfügung.
Die eher vorläufige empirische Absicherung dieses Programms stand dessen Übernahme und Diffusion auch in der Schweiz bislang nicht entgegen. Im Rahmen von Fachtagungen (Beispiele: Mai 2001
unter dem Motto „Kontrolliertes Trinken: Illusion oder Behandlungsoption?“ (Bötschi, 2001) oder Oktober 2003 an der HSA Luzern zum verwandten Thema „Rückfallpräventionstraining STAR“) sind bis
anhin 30 Trainerinnen und Trainer im AkT Programm ausgebildet worden (400 in Deutschland) (Körkel,
2003a, S. 9). Diese gute Akzeptanz kann auch an Hand der aktuellen Entwicklung im Kanton Bern
illustriert werden: Im Fachbereich „Beratung/Therapie“ der Beratungsstellen der Berner Gesundheit ist
das Kontrollierte Trinken ein zentrales Thema und wird aktuell ausgebaut. Jede der vier Regionen der
Berner Gesundheit verfügt über eine(n) ausgebildete(n) TrainerIn in AkT. Im Frühjahr 2004 wurde das
erste AkT gestartet und im Verlauf des Jahres 2004 ist einer der Weiterbildungsschwerpunkte in der
Beratung/Therapie das „Einzelprogramm kontrolliertes Trinken EkT“; mittlwerweile wurden bereits zwei
AkT –Gruppen erfolgreich durchgeführt und im Frühjahr 2005 sind weitere Gruppen vorgesehen wobei
auch in der Einzelberatung und –therapie das KT ausgebaut wird. Die Berner Gesundheit möchte mit
dem Angebot des KT die Zielgruppe der kritisch bzwrisikoreich Alkohol konsumierenden Menschen
erreichen (e-mail von U. Sommer vom 26.11.2003 und vom 11. 8,2004, siehe auch Medienmitteilung
im Anhang A). Ein weiteres Beispiel sind die Kantone Basel Stadt und Basel Land, wo ebenfalls positive Erfahrungen mit dem AkT Programm gesammelt wurden. Bei geringen Abbruchraten nahm die
Mehrzahl der KursteilnehmerInnen erstmalig Hilfe in Anspruch; es wurden sowohl Übertritte in Selbsthilfegruppen, abstinenzorientierte stationäre Programme aber auch eine signifikante Verminderung des
Alkoholkonsums im Sinne des KT beobachtet (Bötschi et al., 2004, S.17).
Ergänzend zum AkT wird auch auf bibliotherapeutische Ansätze zurückgegriffen. Aufbauend auf dem
Taschenbuch „Weniger Alkohol- Ein Programm zur Selbstkontrolle von Heil und Jaensch (1978)“ entwickelte Koerkel „das 10-Schritte Programm zum selbstständigen Erlernen des kontrollierten Trin-
kens“, das auch über Internet leicht zugänglich ist (www.kontrolliertes-trinken.de; www.kontrolliertestrinken.ch). Das Programm umfasst einen vorgeschalteten Alkohol-Selbsttest sowie zehn aufeinander
aufbauende Bearbeitungsschritte. Für die Bearbeitung ist ein Zeitraum von rund drei Monaten bei
einer wöchentlichen Bearbeitungszeit von ein bis zwei Stunden vorgesehen. Es richtet sich an Personen mit akuten Alkoholproblemen unterschiedlichen Schweregrades und zumindest anfänglicher Ablehnung des Abstinenzziels. Erste Ergebnisse zum „10-Schritte Programm“ bestehen für den Zeitraum
zwischen Oktober 2002 und Juni 2003 (König & Wehmhöner, 2004). 151 Personen bestellten in dieser Zeit online das Programm und erklärten sich dabei mit einer anonymen Nachbefragung einverstanden. Nach rund vier Monaten erhielten diese Personen einen Online-Fragebogen, der von 57 Personen (Rücklauf: 38 Prozent) beantwortet wurde. Zum Zeitpunkt der Befragung hatten 35 der 57 Be-
97
fragten das Manual bearbeitet. Unter diesen NutzerInnen befinden sich 13 Frauen und 22 Männer mit
einem durchschnittlichen Alter von 46 Jahren. Ein Grossteil (78 Prozent) der Befragten lebt in einer
festen Partnerschaft, knapp zwei Drittel haben Kinder, je die Hälfte hat eine berufliche Ausbildung
bzw. ein Studium absolviert und rund 80 Prozent sind zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig. Fast
drei Viertel der NutzerInnen hatten vorher noch nie andere Hilfen zur Bewältigung ihres Alkoholproblems in Anspruch genommen. Nach Bearbeitung des Manuals konnte der wöchentliche Alkoholkonsum bei weniger starken KonsumentInnen (weniger als 800 g/Woche) um rund 50 Prozent, bei starken
KonsumentInnen (800 g/Woche oder mehr) um 30 bis 50 Prozent gesenkt werden. Rund zwei Drittel
der NutzerInnen würden das Selbsthilfemanual uneingeschränkt weiterempfehlen. Die erforderliche
hohe Selbstdisziplin wird von einem Teil der NutzerInnen als „notwendiger Preis“ akzeptiert und von
einem anderen Teil als Überforderung erlebt.
Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung setzte 2001 ebenfalls eine Broschüre ein, welche
Tipps für verantwortungsvolles Trinkverhalten liefert, ohne dass jedoch der Begriff des KT explizit verwendet würde. Erste Selbsthilfegruppen zum kontrollierten Trinken existieren bis jetzt in Nürnberg,
Bielefeld, Duisburg, Stuttgart u.a.. Sie folgen dem AkT oder PECPAK – Ansatz (Psychoedukatives
Gruppenprogramm bei problematischem Alkoholkonsum (Wessel & Westermann, 2002). Ein weitergehender Schritt, wie das Beispiel des alkoholpolitischen Kommunikationsprojektes „Drinking too
much?“ 2002 –2006 im Kanton Schwyz illustriert – ist die Einbettung von verhaltenstherapeutischen
Programmen zur Erlernung des kontrollierten Trinkens, wie eben das AkT, in ein kohärentes Präventions- und Beratungsangebot. Neben den gruppenspezifischen Präventionsprojekten und einem niedrigschwelligen Infoangebot zum Risikokonsum von Alkohol wird beim Modul„Beratung“‚ „Prävention“
und „Alko-Info“ gezielt das Ambulante Gruppenprogramm für kontrolliertes Trinken AkT angeboten
(Sozialpsychiatrischer Dienst des Kantons Schwyz, 2002, S. 3).
Weniger bekannt als das AkT von Körkel ist ein Behandlungskonzept, welches aktuell von Arend
(1991) vorgestellt wird und in Anlehnung an das Prozessmodell eines Therapieverlaufes nach Kanfer
und Grimm (1980) entwickelt wurde. Es ist theoretisch begründet und umfasst folgende Elemente:
Erstgespräch, Initialphase (u.a. Erarbeitung einer Entscheidungsmatrix und Übertragung der Therapiezielverantwortung auf die Klientel), symptomatische Behandlung (der Auf- und Ausbau von Kompetenzen für das Selbstmanagement) und die sogenannte asymptomatische Behandlung (Auf- und Ausbau
intra- und interpersoneller Fertigkeiten mittels Entspannungstraining, Problemlösungstraining, Selbstsicherheitstraining, Lebensstilberatung) (Arend, 2002, S.228). Dieser Ansatz wurde über mehrere Jahre auf der Beratungsstelle „Die Brügg“ (Neunkirchen, Deutschland) angewendet: Es werden nicht gezielt PatientInnen rekrutiert, welche kommen, um kontrolliertes Trinken zu lernen, sondern beim/bei
der Therapeuten/-in besteht eine Zieloffenheit bei der Bestimmung des Therapieziels. Eine wichtige
Lehre aus der Praxis ist auch das Absehen von zu rigiden Konsumgrenzen zu Beginn der Behandlung
98
(etwa 20g bzw. 40g reiner Alkohol pro Tag gemäss WHO Richtlinien). Arend bringt diese durchgängige Individualisierung des Therapieprozesses fast provokativ auf den Punkt: „Von der praktischen Erfahrung ausgehend kann man zusammenfassend sagen, dass es das kontrollierte Trinkverhalten nicht
gibt, sondern jeweils klientenbezogene Konsumobergrenzen mit ganz spezifischen Kontrollregeln“
(Arend, 2002, S.233). Schliesslich wurde das Handbuch „Guided Self Change“ auf Deutsch adaptiert
und in der Beratungspraxis in der Schweiz eingesetzt (Allemann, 1997).
Exkurs
Im historischen Rückblick ist es bezeichnend, dass eine der wenigen frühen verhaltenstherapeutischen Programme in Deutschland von Vollmer und Kollegen gerade auf dem Hintergrund des Ende
der 70er Jahre als kritisch eingeschätzten Jugendalkoholismus entstand. Bei relativ kurzer Abhängigkeitsdauer, wenig ausgeprägter Abstinenzbereitschaft und einem eher an älteren Zielgruppen ausgerichteten Behandlungsangebot, erschien die Entwicklung eines „motivationsfördernden Therapieprogramms für jugendliche Alkoholiker und Problemtrinker“ sehr erfolgsversprechend. Die angestrebten
Therapieziele umfassen die Bereiche Kommunikation, soziale Kontakte, Selbstbehauptung/Selbstsicherheit und Belastungsfähigkeit. Ähnlich wie bei den bereits beschriebenen Programmen werden hier eine Datenerhebungsphase, eine Konsumreduktionsphase, eine (hier 8-wöchige)
Abstinenzphase und eine fünfmonatige verhaltenstherapeutische Therapiephase unterschieden. Die
Autoren folgern aufgrund einer Zweijahreskatamnese: “[…] nach Beendigung der Therapie sind 40%
der Klienten bezüglich ihres Alkoholkonsums erfolgreich oder gebessert. Verbesserungen zeigen sich
auch in anderen Zielbereichen, wie z.B. der sozialen Kompetenz. Die Motivierung der Jugendlichen
und Erwachsenen zu einer Therapie war ein zentrales Problem. Das Therapieziel Kontrolliertes Trinken, die ambulante Behandlungsform und der breit angelegte Therapieansatz scheinen bei dieser
Altersgruppe wesentliche Motivationsfaktoren zu sein“ (Vollmer et al., 1982a; 1982b, S. 13). Interessant, jedoch weitgehend folgenlos geblieben, sind in diesem Zusammenhang Vorschläge von Kraemer, diesen Ansatz auf den Bereich der Sekundärprävention anzuwenden und alkoholisierte Fahrzeuglenker, jugendliche Kriminelle, welche Straftaten unter Alkoholkonsum begehen, und Berufsgruppen mit erhöhtem Alkoholkonsum Programmen zum Erlernen des kontrollierten Trinkens zu unterziehen (Kraemer, 1980, S. 20).
6.3
Alkoholismuskonzepte im Widerstreit: Die Debatte um das KT in der Schweiz
und Deutschland
Während die Diskussion um das KT im angelsächsischen Raum in den übrigen Kapiteln hinreichend
thematisiert und beschrieben worden ist, soll an dieser Stelle noch ein kurzer Überblick über die zyklische Thematisierung und Behandlung des Themas KT durch die verschiedensten Akteure in der
99
Schweiz und Deutschland geboten werden. Die folgende, sicherlich nicht erschöpfende Tabelle liefert
einige Meilensteine in der Diskussion um das KT.
100
Tabelle 1: Auswahl von Meilensteinen zur KT-Debatte
Datum
Akteure
1976
Armor, Polich & Stambul
1989
Polli, Ketterer & Weber
04.11.1999
08.05.2000
Forel-Klinik
A+S Verband
07./08.05.2001
A+S Verband
06./07.12.2001
A+S Verband
27.09.2001
Forelhaus Zürich (Jürg Dennler)
10./11.01.2002
A+S Verband
16.05.2002
Basellandschaftliche Beratungsstellen für Alkohol- und
andere Suchtprobleme (BfA),
Blaues Kreuz BL, Ärztegesellschaft Baselland
GREAT Groupement romand
d'études sur l'alcoolisme et
les toxicomanies
Schweizerische Fachstelle für
Alkohol- und andere Drogenprobleme SFA, Lausanne
2003
6.05.2004
9.09.2004
Psychiatrisches Zentrum Herisau
in der Schweiz
Thema
Erscheinung Rand-Studie
Fortbildungsveranstaltung zum Thema Abstinenz und KT
Tagung: Kontrolliertes Trinken
Mitgliederversammlung: KT - Illusion oder
Behandlungsoption?
Fachtagung: Kontrolliertes Trinken: Illusion
oder Behandlungsoption?
Seminar: Mitglieder des Verbands erlernen
AkT nach Körkel
Vortrag: Anlässlich des Besuches des Abstinentenvereins „Alt-Libertas“ Alkoholismusbehandlung im Spiegel der Zeit
Seminar: Mitglieder des Verbands erlernen
AkT nach Körkel
Fachtagung: Medikamentöse Behandlung,
Kontrolliertes Trinken und Früherkennung in
der Arztpraxis
Journée de travail et de réflexion: La
consommation contrôlée d'alcool: un
concept, un moyen? Pour quel public?
Fachtagung: Privatsache? Kinder aus alkoholbelasteten Familien in unserer Gesellschaft.
Beitrag: Kontrolliertes Trinken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus alkoholbelasteten Familien
Appenzeller Suchtsymposium. Beitrag: Kontrolliertes Trinken – Kann eine professionelle
Suchthilfe darauf verzichten?
Eine recht gute Übersicht zur Entwicklung der Debatte um das KT in Europa findet sich bei Bertenghi
(2001, S.40-48) und bei Körkel (2002a) (ungeachtet dessen, dass letzterer aktiver Akteur und gewissermassen Partei ist). Demnach können zwei Aktualisierungsphasen des Themas KT unterschieden
werden:
Im Anschluss an die „landmark study“ von Davies (1962) setzte während der 70er und anfangs der
80er Jahre eine erste intensive Debatte ein, welche vor allem durch die Rezeption des RAND reports
(Armor, 1979; Armor & Meshkoff, 1983; Armor, Polich, & Stambul, 1976; Armor et al., 1977; Armor et
al., 1978; Armor et al., 1977) und der ersten Studien zum kontrollierten Trinken von Sobell und Sobell
ausgelöst wurde (Sobell & Sobell, 1973, 1978). So äussert sich 1978 G. Sondheimer als medizinischer
Direktor der Forel Klinik in einer Stellungnahme zu dieser Debatte unter dem Titel „Kontrolliertes Trin-
ken – eine Alternative zur Vollabstinenz für Alkoholiker?“ (Sondheimer, 1978) vorsichtig positiv:
101
„Wir halten darum die These für gerechtfertigt, dass früh erfasste Alkoholgefährdete nach Überwindung ihrer belastenden Symptomatik und Problematik wieder mässig trinken können, und
zweifeln deshalb auch nicht daran, dass ein kleiner Prozentsatz bestimmter Alkoholiker nach einer Behandlung oder einer sogenannten Spontanheilung zum Trinkverhalten eines normalen Alkoholkonsumenten zurückkehren kann.“ (Sondheimer, 1978, S.13 ).
Das Thema wird im Herbst 1976 auch von mehreren schweizerischen Zeitschriften aufgegriffen und
beispielsweise auch auf dem internationalen Kongress für Verhaltenstherapie in Wien im September
1978 behandelt (zum Beispiel/ Hans Watzl & Olbrich, 1978). Auf den Start einer wissenschaftlichen
Langzeituntersuchung zu Spontanremissionen, wie sie implizit Sondheimer gefordert hatte, musst
man noch bis 1989 warten (Kline, 1990; Klingemann, 1988; Klingemann, 1988; Klingemann, 1990;
Klingemann, 1991; Klingemann, 1991).
Typische Argumente für das KT waren die höhere soziale Akzeptanz und Entstigmatisierung, die Zielattraktivität und damit verbunden, der Vorteil der Niedrigschwelligkeit. Die Gegner halten am Krankheitskonzept als entstigmatisierend fest, betonen, dass das Abstinenzziel eine einfache, verständliche
Botschaft ist, die auch entlastend für das primäre soziale Umfeld wirkt und abstinenzorientierte
Selbsthilfegruppen bei KT als Unterstützung in der Nachsorge wegfallen würden (Scheerer & Vogt,
1989, S. 97 ff). Letztlich steht das medizinische, progressive Krankheitskonzept mit der Annahme des
Kontrollverlustes dem sozialwissenschaftlich lerntheoretischen Modell des Trinkverhaltens gegenüber.
Entsprechend wird der Rückfall entweder als Katastrophe oder als Chance beziehungsweise Lebensform gesehen (Körkel, 1996, S.55), die mit entsprechenden Programmen zur Rückfallprävention gestützt und gefördert werden können (Körkel, 2002a, S.679). Watzl zeichnet folgendes Stimmungsbild
der Debatte in Deutschland, die übrigens auch nicht an der damaligen DDR vorübergeht (Neumann,
Kluge, & Müller, 1979):
„In den emotional geprägten Kontroversen wurden Vertreter der Möglichkeit Kontrollierten Trinkens als unverantwortliche ‚Bilderstürmer’ verdächtigt, während Skeptiker ebenso pauschal als
lebensferne Reaktionäre abgetan wurden. Von solchen Diskussionen blieben auch Behandlungseinrichtungen nicht verschont, wenngleich uns kein stationäres Behandlungsprogramm in der
BRD bekannt ist, das systematisch kontrolliertes Trinken als Therapieziel anbietet.“ (Watzl, 1983,
S.99).
Ende der 90er Jahre wird vor allem durch das AkT Programm von Körkel eine heftige emotionale Debatte erneut entfacht, die auch in den Printmedien, so im Jahr 2000 im Spiegel und in PSYCHOLOGIE
102
HEUTE, ihren Niederschlag fand. Die fünf grössten Selbsthilfeverbände reagieren mit heftiger, kategorischer Ablehnung:
„Diese auf Erfahrungen gegründete und damit belegte Notwendigkeit einer lebenslangen Abstinenz für Alkoholkranke gilt es, dauerhaft und unmissverständlich zu vertreten und zu untermauern. Jeglicher Infragestellung einer solchen Notwendigkeit für alkoholkranke Menschen treten die
Unterzeichner entschlossen und geschlossen entgegen. Alkoholkranken Menschen bleibt daher
trotz gegenteiliger Behauptungen mancher deutscher und europäischer Wissenschaftler keine
andere Wahl als sich nach dem Eingeständnis alkoholkrank zu sein, für die Abstinenz vom
Suchtmittel zu entscheiden“ (Janssen, 2000, S.3).
Der Widerstand gegen das KT wird weiter von der „Privaten Aktion gegen Alkoholismus“ organisiert,
welche eine Kampagne startet mit dem Logo „Kontrolliertes Trinken ... wie lange???“ und vor allem
die Betroffenenperspektive ins Feld führt (Bertenghi, 2001, S.45-46). Die wissenschaftliche Kontroverse in Deutschland wurde teilweise im Rahmen einer Sondernummer der Zeitschrift SUCHT 2001
(47/4) kontrovers ausgetragen (etwa „Petry kontra Springer & Körkel“: (Körkel, 2001; Petry, 2001;
Petry, 2001; Springer, 2001).
In der Schweiz fand, wie bereits erwähnt, das AkT Programm insgesamt eine gute Aufnahme und
Akzeptanz in der Praxis und das Thema KT wurde in Fachtagungen bereits 1989 vom Fachverband
A+S, aufgegriffen. Auch in der Westschweiz wurde das Thema Minimalinterventionen und die motivierende Gesprächsführung 2002 im Rahmen einer internationalen Veranstaltung in Lausanne behandelt;
der Fachverband GREAT organisierte im Januar 2003 eine Arbeitstagung mit dem Thema „La consommation contrôlée d’alcool: un concept, un moyen? Pour quel public?“ und hat die Frage „Boire
trop d’alcool c’est combien?“ im Rahmen aktueller Fachpublikationen behandelt (Gache, Sekera, &
Stalder, 2003); Beiträge aus Belgien (Roussaux & Nozeret, 1996) und Kanada/Quebec (Suissa, 1998)
flossen ebenfalls in die Debatte ein. Schliesslich nahmen sich die Gruppe „Behandlung“ der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen (EKA) beziehungsweise das Bundesamt für Gesundheit (BAG),
nicht zuletzt mit der Vergabe der vorliegenden Expertise, der Thematik an. Eine Umfrage bei Behandlungseinrichtungen zur Akzeptanz und Umsetzung des KT in der Praxis ist im Anschluss geplant. Anders als in Deutschland, erscheint die Debatte eher pragmatisch und sachorientiert; Parallelen zur
Drogenpolitik und Anwendung des Ansatzes der Schadensverminderung bei illegalen Drogen sind
zumindest potentiell leichter zu ziehen als in anderen Ländern.
Um den Niederschlag der KT-Debatte in der Öffentlichkeit eruieren zu können, ist eine Medienanalyse
durchgeführt worden. Mithilfe der Suchmaschine Google Schweiz wurde das Internet am 21. Juni
103
2004 anhand des Schlagworts „Kontrolliertes Trinken“ und am 9. August 2004 anhand „boire contrôlé
+ alcool“ durchsucht (zufällige Stichtage). In der Analyse berücksichtigt wurden die ersten 25 Treffer,
welche unter der Rubrik „Seiten aus der Schweiz“ erschienen sind. Eine zusätzliche Printmediensuche
fand mithilfe von Swissdox, einer elektronischen Schweizer Printmediendatenbank, statt. Swissdox
basiert auf den Archiven von über 60 Deutschschweizer-Printmedien und den 15 wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften aus der Romandie ab 1995. Verwendung fanden dieselben Schlagwörter wie bei
der Suche im Internet. Am 23. April 2004 wurde die deutsch- und am 5. August 2004 die französischsprachige Recherche durchgeführt. Ausgewertet wurden die jeweils 50 ersten Treffer, danach nahm
die Relevanz der Ergebnisse deutlich ab. Eine Recherche in italienischer Sprache wurde nicht durchgeführt.
Internetanalyse: Während unter dem deutschen Suchbegriff „Kontrolliertes Trinken“ 24 der 25 näher
betrachteten Treffer von „Seiten aus der Schweiz“ tatsächlich KT zum Thema haben, sind es unter
Verwendung der französischen Begriffe „boire contrôlé + alcool“ nur gerade sechs. Die anderen Treffer (false hits) beinhalten zwar alle die Schlagwörter, gehen aber an der uns interessierenden Thematik
vorbei. Werden andere französische Keywords, wie z.B. „consommation contrôlée + alcool“ verwendet, ergibt sich das gleiche Bild. Dass auf dem Internet weniger französische Schweizer Seiten zu
finden sind als Deutschschweizer Seiten mit KT-Materialien, ist demnach nicht auf die Auswahl der
Keywords zurückzuführen, sondern auf die tatsächliche Verbreitung der Materialien. Am häufigsten
wird sowohl in der Deutsch- als auch in der Westschweiz KT auf Webpages von Beratungs- und Behandlungsinstitutionen erwähnt (vgl. Tabelle 2). Meistens handelt es sich dabei um Informationen zu
KT-Behandlungsangeboten. Häufig werden auch Publikationen zu KT im Internet aufgeschaltet oder
aber darauf hingewiesen.
104
Tabelle 2: Herausgeber und Inhalte von KT-Materialien im Schweizer Internet
Herausgeber
Inhalt des Treffers
Jahres
Literatur
Links
Infos
Anderes
berichte
Deutsch
Informations1
2
1
plattformen
sprachige
Schweizer Forschungs1
Seiten
institutionen
Ausbildungs1
1
institutionen
Verbände
1
1
-
Franz.
sprachige
Schweizer
Seiten
Total
4
1
2
2
Beratungs-/oder
Behandlungsinstitutionen
Andere Institutionen
Informationsplattformen
Forschungsinstitutionen
Ausbildungsinstitutionen
Verbände
2
4
2
5
-
13
-
1
-
-
1
2
-
-
-
-
-
0
-
-
-
-
-
0
-
-
-
-
-
0
-
-
-
2
-
2
Beratungs-/oder
Behandlungsinstitutionen
Andere Institutionen
-
2
-
1
1
4
-
-
-
-
-
0
Je elf Webpages richten sich spezifisch an Betroffene/Angehörige und an Fachleute. Acht Webpages
scheinen mehrere Zielpublika ansprechen zu wollen. Sowohl auf deutschsprachigen Schweizer Seiten
als auch auf französischsprachigen wird implizit oder explizit durchaus positiv über KT berichtet und
KT als ein realistisches Therapieziel eingeschätzt. Insgesamt wird nur auf einer Seite KT negativ beurteilt. Aus drei der Webpages mit KT-Materialien ist keine Einschätzung des Herausgebers herauszulesen, sie enthalten neutrale Informationen zu KT.
Printmedienanalyse: Unter den jeweils 50 berücksichtigten Treffer der Printmedienanalyse befinden
sich in der deutschsprachigen Recherche 15 und in der französischen 45 „False Hits“, d.h. Treffer, die
zwar die Schlagwörter beinhalten, aber bei denen es sich trotzdem nicht um KT-Materialien handelt. In
der Analyse der französischsprachigen Schweizer Zeitungen und Zeitschriften konnten demnach nur
fünf Artikel ausgewertet werden. Daraus Rückschlüsse auf die Verbreitung von KT in Printmedien der
Romandie zu ziehen, gestaltet sich schwieriger als bei der Internetanalyse, da wie bereits erwähnt,
105
Swissdox nur in Archiven von 15 westschweizer im Gegensatz zu über 60 deutschschweizer Printmedien sucht. In Tabelle 3 ist ersichtlich, welche Printmedien in welchem Zeitraum Artikel zu KT veröffentlicht haben.
Tabelle 3: Printmedien und Jahreszahlen von KT-Artikeln
Medium
2003 2004
Deutsch
Annabelle
3
Schweizer
Basler Zeitung
2
Printmedien
Berner Zeitung
Cash
Der Bund
Limmattaler Tagblatt
1
Neue Luzerner Zeitung
1
Schweizer Illustrierte
Solothurner Zeitung
1
St. Galler Tagblatt
3
Tages Anzeiger
2
Zürich Express
West
Le Matin
Schweizer
Le Temps
Printmedien L’Illustré
Tribune de Genève
-
Erscheinungszeitraum
2002 1999 1997 2001
2000
1998
4
2
5
3
1
2
2
1
1
1
1
1
1
Vor
1997
1
1
-
In 29 Fällen sind die Informationen über KT in Form eines Berichts verfasst, in fünf Fällen handelt es
sich um ein Interview mit Betroffenen oder Fachleuten und in sieben Fällen um Leserbriefe mit Äusserungen zu KT. Am häufigsten wird von KT zur Aufklärung und Information der Leserschaft berichtet.
Aber auch besondere Anlässe, wie Jubiläen von Institutionen (n=9), Reaktionen zu erschienenen Artikeln (n=6) oder die Veröffentlichung von Jahresberichten von Institutionen (n=3) führen dazu, dass KT
in den Medien zum Thema wird. Insgesamt kommen in den Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln 25 Mal
Fachleute, 16 Mal Betroffene und sieben Mal Angehörige als Akteure zum Zuge. Wie die verschiedenen Akteure KT beurteilen wird in Abbildung 3 dargestellt6.
=
6
In Abbildung 3 sind nur Daten der Deutschweizer Printmedien enthalten
106
120
100
80
Negative Beurteilung von KT
Positive Beurteilung von KT
60
40
20
0
Betroffene
Angehörige / Dritte
Fachleute
Abbildung 4: Beurteilung von KT durch verschiedene Akteure in Prozent (n=45)
Wie der Abbildung entnommen werden kann, äussern sich insbesondere Angehörige von aktuell oder
ehemals Alkoholkranken negativ gegenüber KT. Sie befürchten, KT könnte „trockene“ Betroffene zu
erneutem Konsum mit Kontrollverlust verführen oder den Heilungsprozess unnötig in die Länge ziehen:
„[…] Kontrolliertes Trinken ist für mich als Angehörige eines Alkoholikers pure Provokation und eine sehr gefährliche dazu. Es könnte meinen alkoholkranken, heute ‚trockenen’ Partner animieren,
kontrolliert trinken zu lernen. Ein Rückfall in die Sucht wäre vorprogrammiert, was seinen Tod bedeuten könnte.“ (Riehen, 2002).
Bei den Betroffenen, die sich in Printmedien äussern oder über die berichtet wird, können zwei Gruppen ausgemacht werden: Diejenigen, welche die Abstinenz bevorzugen und diejenigen, welche KT
erfolgreich anwenden können:
107
„Ein Schwerabhängiger, der über zehn Stangen Bier oder zwei Flaschen Wein pro Tag trank,
schaffte eine Reduktion nicht und brach ab. Der Mann plant jetzt einen stationären körperlichen
Entzug“ sagt Markus Zimmermann von der Basellandschaftlichen Beratungsstelle für Alkoholund andere Suchtprobleme (BfA), „die Abstinenz ist für ihn einfacher, als kontrolliert zu trinken.“(Basler Zeitung, 2003).
„Sehr zufrieden“ [Anm. der AutorInnen: mit KT] ist H.K.. Ihre Lebensqualität sei viel besser geworden und die Versuchung zum Trinken „bedeutend kleiner“. Sie sei auch viel ausgeglichener […].
Die Krankenschwester gibt jedoch zu, dass sie aufpassen müsse. „Sie führe darum weiter das
Trink-Tagebuch und beabsichtige, die Selbsthilfegruppe zu besuchen.“ (ibid.).
Der grosse Anteil von Fachleuten, die in Printmedien KT beurteilen, äussert sich positiv. Es handelt
sich dabei meistens um Personen, die KT als Therapieziel anbieten.
6.4
KT in der Schweiz im Spiegel der Expertenmeinungen
6.4.1
Methode und Sample
Nebst der ausführlichen Literaturanalyse sind Interviews mit elf ausgewiesenen Expertinnen und Experten mit Tätigkeit im Schweizer Suchtbereich realisiert worden (vgl. Tabelle 4). Ziel der Befragung
war einerseits die Verbreitung und Akzeptanz von KT als Therapieziel in der Schweiz in einer Form zu
erfassen, in der auch nicht publiziertes Knowhow einfliessen kann und andererseits den Stand der KTDebatte anhand von Expertenmeinungen abzubilden. Berücksichtigt wurde ein nach Region, Tätigkeitsbereich und Funktion geschichtetes Sample. Die telefonische Befragung fand als Leitfadeninterview (vgl. Anhang A) in der Zeit von November 2003 bis Februar 2004 statt. Dabei wurden folgende
Themen angesprochen: Angaben zu Experten, Institutionen, Verbreitung, Akzeptanz, KT-PatientenAnteile, Schlüsselpersonen, Graue Literatur, Forschungstätigkeit, Methoden, Zielgruppe, Diagnostik,
Trends, Zukunft und die persönliche Meinung der Befragten. Die Gespräche dauerten durchschnittlich
40 Minuten ( X = 42.4 Min.), wurden auf Tonband aufgezeichnet und transkribiert. Einzig der Experte
aus dem Kanton Tessin antwortete auf die Fragen des Leitfadens in schriftlicher Form. Die Ergebnisse
wurden in einer Tabelle anhand verschiedener Oberbegriffe synthetisiert.
108
Tabelle 4: ExpertInnen-Sample (N=11)
ExpertIn
Ort
Institution
Funktion
Ausbildungshintergrund
Psychiater, Psychotherapeut
Herr Arneberg, Oernulf
Kirchlindach Südhang Klinik
(BE)
Leitender Arzt
Herr Moggi,
Franz
Bern
(BE)
Universitäre Psychiatrische Dienste
UPD
Herr Intraina, Daniele
Lugano
(TI)
Servizio ticinese di
cura dell'alcolismo
Ingrado
Leiter KlinischPsychologe, PsyPsycholgischer chotherapeut
Dienst, Leiter
Therapeutischer
Dienst, Leiter
Abteilung
Suchtforschung
Direktor
Arzt für innere
Medizin, Psychotherapeut
Herr Sieber, Ellikon
Martin
(ZH)
Herr Polli,
Eugen
Stein a.R.
(SH)
Frau Köhler, Zürich
Christiane
(ZH)
Forel Klinik, TheraLeiter Abteilung
peutische Privatpra- Evaluation und
xis
Entwicklung,
Psychotherapeut Privatpraxis
Therapeutische
PsychotheraGemeinschaftspra- peut Privatpraxis
xis
Zürcher Fachstelle
Beraterin, Thefür Alkoholprobleme rapeutin
ZFA
Centre de TraiteChefarzt
ment en Alcoologie
CTA, CHUV
Tätigkeitsbereiche
Stationäre
Therapie
Stationäre
Therapie,
Forschung
Stationäre,
ambulante
Therapie
Psychologe, Psychotherapeut
Stationäre,
ambulante
Therapie,
Forschung
Psychologe, Psychotherapeut
Ambulante
Therapie
Sozialarbeiterin,
Psychotherapeutin
Psychiater, Psychotherapeut
Ambulante
Therapie
Herr Daeppen, JeanBernard
Lausanne
(VD)
Ambulante
Therapie,
Forschung
Frau Bötschi, Maria
Basel
(BS)
Blaues Kreuz
Geschäftsführe- Sozialarbeiterin,
rin
Psychotherapeutin
Ambulante
Beratung,
Therapie
Herr Sommer, Ulrich
Bern
(BE)
Berner Gesundheit
BeGes
Leiter FachbeSozialarbeiter
reich Beratung
und Personelles
Ambulante
Beratung
Herr Müller,
Richard
Lausanne
(VD)
Herr König,
Dieter
Heidelberg
(D)
Ehemals: Schweize- Ehemaliger DiSoziologe
rische Fachstelle für rektor
Alkohol- und andere
Probleme SFA
GK Quest Akademie Geschäftsführer Diplom-Sozialwirt
(www.kontrolliertestrinken.de;
www.kontrolliertestrinken.ch)
Prävention,
Forschung
Koordination, Weiterentwicklung
der Programme
109
In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse aus den Gesprächen, zu drei Themenbereichen
zusammengefasst: „Verbreitung und Akzeptanz von KT in der Schweiz“ (Fragen Nr. 1 bis 6 des Leitfadens); „Diagnostik“ (Fragen Nr. 9 bis 12) und „ Zukunft und Entwicklung“ (Fragen Nr. 7, 8, 13 und 14).
Interessant ist, dass sich die Aussagen der Expertinnen und Experten in der Regel auf die jeweiligen
Erfahrungsbereiche und allenfalls auf die Diskussion im jeweiligen regionalen Einzugsgebiet beziehen.
Annahmen über gesamtschweizerische Trends wurden kaum getroffen. Ein Bedarf scheint deshalb in
der Förderung des gesamtschweizerischen Austausches über verschiedene Tätigkeitssektoren hinweg
zu bestehen.
6.4.2
Ergebnisse
Verbreitung und Akzeptanz von KT in der Schweiz: Die ExpertInnen beurteilen das Interesse an KT auf
nationaler Ebene als zunehmend. Dass sich unter anderem das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die
Eidgenössische Kommission für Alkoholfragen (EKA) und die Schweizerischen Gesellschaft für Alkohologie (SGA) mit der Thematik befassen, ist ihnen bekannt. Regional schätzen sie KT in der Deutschschweiz als am meisten verbreitet ein, da diese sprachlich bedingt stark von der weiter fortgeschrittenen Debatte in Deutschland profitieren konnte. In der Romandie hat die Diskussion um KT erst in den
letzten ein, zwei Jahren eingesetzt. Die geringste Verbreitung findet laut den Befragen KT zurzeit in
der italienischen Schweiz.
Im stationären Sektor wird KT als Therapieziel zunehmend zur Kenntnis genommen, darin sind sich
die ExpertInnen einig. Insbesondere die Forel Klinik mit der Anwendung des ABC (andauernde Abstinenz, zeitweilige Abstinenz, kontrolliertes Trinken) und ihrer Forschungstätigkeit zu KT ist ihnen ein
Begriff (vgl. Abs. 2.3.1, S. 9 und Abs. 2.1, S. 2). Reguläre Behandlungsprogramme, welche das Einüben von KT während dem stationären Aufenthalt ermöglichen, sind keinem der ExpertInnen bekannt.
Ein Befragter erwähnt jedoch, dass Experimente in diese Richtung bereits von einigen stationären
Institutionen unternommen worden sind (z.B. Psychiatriezentrum Münsingen TAM; Psychiatriezentrum
Luzerner Landschaft St. Urban, Le Petit-Beaulieu). Drei ExpertInnen berichten, dass KT inoffiziell im
stationären Setting seit Jahren zum Tragen kommt und dass der Alkoholkonsum in Einzelfällen übers
Wochenende ausserhalb der Institution genehmigt wird. Des Weiteren wird die fremdkontrollierte Alkoholabgabe in Wohnheimen und Hospizen als Strategie der Schadensminderung genannt (z.B. Préaux-Boeufs). Die Befragten schätzen, dass zum heutigen Zeitpunkt KT von stationären Fachkräften als
langfristiges Therapieziel anerkannt wird, dessen Umsetzung nach einer abstinenten Phase in ambulanter Nachbetreuung zum Zuge kommt (z.B. Südhang Klinik, UPD Bern). ExpertInnen aus dem ambulanten Sektor stellen jedoch fest, dass bis anhin kaum KlientInnen aus stationären Institutionen an sie
überwiesen werden.
110
Bekannt ist auch, dass bereits in den 1980er Jahren Eugen Polli trotz vehementer Kritik aus Fachkreisen KT ambulant mit PatientInnen praktizierte. Im ambulanten Setting hat laut den Befragten KT als
Therapieziel mit spezifischen Behandlungsprogrammen aber erst in den letzten Jahren Eingang gefunden. Insbesondere in grösseren Institutionen (z.B. Zürcher Fachstelle für Alkoholfragen, Fachstelle
für Alkoholprobleme Bülach, Blaues Kreuz BS, Beratungsstelle für Alkoholfrage Liestal BL, Berner
Gesundheit, Sozialpsychiatrischer Dienst Kanton Schwyz, Centre de Traitement en Alcoologie Lausanne, Unité d’Alcoologie Genève, Ingrado Lugano) etablierte sich gemäss Expertenangaben KT als
Einzel- und Gruppenintervention in vermehrtem Masse. Während laut Expertenmeinung in der
Deutschschweiz hauptsächlich mit den ambulanten Behandlungsmethoden nach Körkel gearbeitet
wird (10-Schritte-Selbsthilfe-Programm, EkT- Einzelprogramm, Akt- Gruppenprogramm unter
(www.kontrolliertes-trinken.de; www.kontrolliertes-trinken.ch), gewinnt in der Romandie KT unter dem
Aspekt des Motivational Interview an Terrain. Den Befragten sind aber auch weitere KT-Methoden wie
das Moderation Management (Kishline, 1994), Gruppenprogramm nach Polli (1989) oder die Einzelintervention von Allemann (1997) bekannt. Bestehende Programme werden laut einer Expertin in der
Praxis oft mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen, systemischen oder psychoanalytischen Elementen
angereichert.
Parallel zu der zunehmenden Verbreitung von KT wird das Thema auch in Verbänden, an Tagungen
und Kongressen vermehrt behandelt. Viele Deutschschweizer ExpertInnen erwähnen insbesondere
Bemühungen zur Förderung von KT durch den Fachverband Sucht (früher: Alkohol- und Suchtfachleute A+S), z.B. in Form des AkT-Forums für Verbandsmitglieder. In der Romandie weisen die ExpertInnen auf die GREAT (Groupement Romand d’Etudes sur l’Alcoolisme et les Toxicomanies) hin, die im
vergangenen Jahr die Debatte mit einer Tagung zu KT eröffnete.
Die Befragten schätzen die Akzeptanz von KT vor allem bei Betroffenen als hoch ein. Diese wünschen
spontan KT als Therapieziel, oftmals würden jedoch falsche Vorstellungen bestehen (KT als „kognitive
Grossanstrengung“ mit genau einzuhaltendem Trinkplan wird laut eines Experten oft unterschätzt).
ExpertInnen, welche KT-Gruppenprogramme ambulant anbieten, berichten aber auch, dass der erwartete Ansturm von Interessierten ausgeblieben ist. Eine Vermutung ist, dass die Behandlungsangebote bis anhin ungenügend bekannt gemacht wurden und Informationen über die neue Therapiemöglichkeit die Zielgruppe nicht erreicht hat. Andere ExpertInnen erwähnen zudem eine gewisse Skepsis
vor allem von Seite der langjährigen abstinenzorientierten Klientel (‚War ich als Abstinenzler wirklich 20
Jahre auf dem Holzweg?’). Auch Fachkreise sind laut den Befragten in zwei Lager gespalten. Debattiert wird in diesem Zusammenhang beispielsweise, ob Abhängigkeit als Kontinuum und nicht als Dichotomie mit „gesunden“ und „kranken“ Menschen betrachtet werden soll. Des Weiteren wird immer
wieder über das Ausmass von Eigenverantwortung und Selbstbestimmungsrecht, welches Betroffenen zugestanden werden sollte, diskutiert. Nichts desto trotz gehen alle Befragten von einer zuneh-
111
menden Akzeptanz von KT im Verlaufe der letzten fünf bis sieben Jahren aus, insbesondere in Fachkreisen des ambulanten Sektors. Die Diskussion unter Fachleuten des stationären Bereichs wird als
nicht so virulent beurteilt, aber auch hier wird eine zunehmende Offenheit gegenüber KT wahrgenommen.
Diagnostik: Acht der elf Expertinnen und Experten definieren die geeignete Zielgruppe für KT sehr
weit. Sie sehen es als wichtig an, dass Betroffenen auf keinen Fall eine Behandlung verweigert wird,
auch wenn aus professioneller Perspektive Abstinenz das zu bevorzugende Therapieziel wäre. Sie
betonen die Wichtigkeit des Selbstbestimmungsrechts, der Selbsterfahrung und die Erkenntnis, dass
KT durch seine Niedrigschwelligkeit oft zur Minderung von Behandlungswiderständen führen kann.
Warnend wird darauf hingewiesen, dass - obowohl die Unterscheidung zwischen Substanzmissbrauch
und -abhängigkeit für die differenzielle Indikation sehr wichtig wäre – dieser kaum Beachtung geschenkt, so dass eine Abhängigkeitsdiagnose mit entsprechender Abstinenzforderung zu schnell vergeben wird.
Für diese Expertengruppe gelten Schwangerschaft/Stillen und schwerwiegende gesundheitliche Vorschädigungen (z.B. hirnorganische Schäden) als einzige Kontraindikationen. Drei Experten betrachten
KT spezifisch geeignet für ProblemtrinkerInnen und MissbraucherInnen (solche, die nach ICD-10 die
Kriterien für Alkoholmissbrauch erfüllen, aber nicht für –abhängigkeit), d.h. für Betroffene, die erste
Anzeichen einer Alkoholproblematik aufweisen. Sobald es bei Alkoholreduktion zu einer Entzugsymptomatik kommt, kann ihrer Meinung nach einzig Abstinenz als Therapieziel unterstützt werden. Begründet wird diese Annahme unter anderem aufgrund des „Suchtgedächtnis“, welches laut einem
Experten Verhalten generiert und schwer veränderbar ist. Diese Expertengruppe zieht zudem meistens
weitere Indikationen wie eine gute psychische Gesundheit oder ein ausgewogenes soziales Umfeld als
Bedingung für KT heran. Sämtliche ExpertInnen sind sich jedoch einig, dass KT bei Problemtrinkern,
Missbrauchern und Leichtabhängigen eher zum Erfolg führen wird als bei Schwerabhängigen. Diese
müssen ihrer Meinung nach oft längere Zeit (mehrere Jahre) abstinent leben, bevor KT zum Erfolg
führen kann. Verursacher von Verkehrsdelikten wegen Alkohol am Steuer, werden von den ExpertInnen als weiteres Zielpublikum für KT genannt, denn diese Personen müssen KT in spezifischen Situationen erlernen. Des Weiteren stuft die Mehrheit der Experten bei Schwerstabhängigen KT als eine
geeignete Form von „harm reduction“ ein.
Die Befragten schätzen, dass KT bei rund 30 bis 50 Prozent der aktuellen ambulanten und bei ungefähr fünf bis zehn Prozent der stationären Klientel angebracht wäre. Tatsächlich angewendet wird KT
ihrer Meinung nach jedoch erst bei schätzungsweise 15 Prozent der PatientInnen im ambulanten und
bei max. einem Prozent im stationären Setting. In beiden Bereichen muss, so die ExpertInnen, der
Anteil mit KT Behandelter noch stark zunehmen. Insbesondere in ambulanten Institutionen sollte sich
ihrer Meinung nach die Klientel vermehrt auf Personen mit leicht ausgeprägter Problematik verlagern,
112
damit der Frühintervention mehr Gewicht zukommt (z.B. durch Medienaufrufe die breite Öffentlichkeit
über die neuen Angebote informieren).
Für die Umsetzung von KT als Therapieziel ergibt sich laut Expertenmeinung folgender optimaler Entscheidungsprozess: In einem ersten Schritt wird die betroffene Person ausführlich über KT und seine
Konsequenzen informiert, damit im Voraus falsche Vorstellungen möglichst aus dem Weg geräumt
werden können. Danach erfolgt die diagnostische Abklärung mit der Feststellung möglicher Kontraindikationen (z.B. Kontraindikationen nach Körkel vgl. www.kontrolliertes-trinken.de /
www.kontrolliertes-trinken.ch: Bestehende Abstinenz, Vorschädigungen, Schwere Entzugserscheinungen, Schwangerschaft/Stillen, Wechselwirkungen von Alkohol und Medikamenten, häufige unbedachte Handlungen bei Alkoholkonsum). Wie bereits erwähnt, ist die Ausschlussschwelle bei verschiedenen Institutionen unterschiedlich hoch. Falls KT eine Option ist, schlagen die meisten ExpertInnen je nach Fortgeschrittenheit der Abhängigkeit eine kurze abstinente stationäre Phase vor (Entzug
von ca. zwei Wochen). Danach kann im ambulanten Setting nach dem Aushandeln der Zielvereinbarungen das Einüben von KT beginnen. Für viele ExpertInnen ist es von Bedeutung, dass Abstinenz als
Option während der KT-Intervention Thema bleibt.
Zukunft und Entwicklung: Laut Expertenmeinung ist der Bereich der Suchtbehandlung in der Schweiz
durch Offenheit und liberale Vorstellungen geprägt. Beispielsweise scheint die KT-Debatte in der
Schweiz niedrigere Wellen zu schlagen als im benachbarten Deutschland. Viele ExpertInnen nehmen
aktuell eine Veränderung des Verständnisses von Suchtbehandlung war, insbesondere von der grösser werdenden Anerkennung der Effizienz motivierender Therapiestile (z.B. Motivational Interview). Des
Weiteren vermuten die ExpertInnen, dass sich schadensmindernde Ideen aus dem Drogensektor (z.B.
heroingestützte Programme) auch auf die Behandlungsmethoden des Alkoholbereichs auswirken werden. Entsprechend wird sich in Zukunft laut den Befragten die Aufnahmebereitschaft der KT-Idee in
Fachkreisen weiter vergrössern. Dieter König von Quest (D) berichtet, dass die Anzahl ausgebildeter
AkT-TrainerInnen in der Schweiz im proportionalen Vergleich bereits heute diejenige in Deutschland
übersteigt. Vor allem sieht er für die Schweiz andere Entwicklungsmöglichkeiten als für Deutschland.
Der grosse Anteil ländlicher Regionen in der Schweiz wird sehr wahrscheinlich eher zu einer Ausbreitung von KT-Einzeltherapien führen. Genügend Interessierte für Gruppenprogramme zu finden sei
wegen der häufig geringen Populationsdichte der Einzugsgebiete der Beratungsstellen laut einiger
ExpertInnen bereits heute schwierig.
Die Befragten betrachten im Präventionsbereich eine breite Öffentlichkeitsarbeit als vorrangig. Einerseits soll die Bevölkerung über die neuen Behandlungsangebote informiert, andererseits die Erreichung der Zielgruppe und somit die Sekundärprophylaxe verbessert werden.
113
Auf Interventionsebene ist es laut Expertenmeinung von Bedeutung, Fachleute für KT zu sensibilisieren
(z.B. auch Hausärzte) und im Sinne des Qualitätsmanagement eine fundierte Ausbildung und einen
gesamtschweizerischen Erfahrungsaustausch zu gewährleisten. Des Weiteren stellen Fachleute, welche erste Erfahrungen mit KT-Gruppenprogrammen gesammelt haben, fest, dass von Seite der Betroffenen die Nachfrage für Nachbetreuung gewünscht wird, bis anhin aber ein solches Angebot fehlt.
Insbesondere im Bereich der Forschung sehen die ExpertInnen aktuell grossen Handlungsbedarf, weil
mit wenigen, in vorangehenden Kapiteln bereits erwähnten Ausnahmen, KT in der Forschung nur am
Rande untersucht wird. In einem ersten Schritt, fordern die ExpertInnen, dass die Aufnahmekriterien
für KT-Programme (Indikationen und Kontraindikationen) überprüft und empirisch abgesichert werden.
Zudem fehlen ihrer Meinung nach für die Schweiz grösstenteils Ergebnisse zu der Effizienz von KTInterventionen. In der Schweiz werden Daten zu den AkT-Gruppen erfasst, den Beratungsstellen fehlt
es jedoch häufig an den nötigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen sowie am ForschungsKnowhow, um diese fundiert auszuwerten. Vor allem wird von den ExpertInnen der Wunsch geäussert, Betroffene anhand von Katamneseuntersuchungen über längere Zeit hinweg zu verfolgen, um
somit über die langfristige Wirkung von KT Aussagen machen zu können.
6.5
KT auf dem Hintergrund der Suchtbehandlungssysteme im Wandel
Insgesamt kann in vielen Ländern und auch in der Schweiz ein Trend zu einer Individualisierung und
Öffnung der Suchbehandlungssysteme festgestellt werden. Gab es früher Konstrukte wie die „Behandlungskette“ mit programmierten Verweisstrukturen und fixierten stationären Jahreskuren, sind
nun der direkte Zugang und eine Systemoffenheit die Regel.
Diese Individualisierung schlägt sich nieder in der Mitbestimmung des/der Patienten/-in bei der Therapiezielwahl, einschliesslich des hier diskutierten KT, oder etwa auch dem Abgehen von der Dosisfremdbestimmung bei Substitutionsbehandlungen (Methadon- und heroingestützte Behandlung). Der
Umgang mit Zeit hat sich in den Einrichtungen nicht zuletzt unter dem Einfluss von Qualitätssicherungsprogrammen aber auch behandlungspolitischen Vorgaben geändert, welche Aufwand und Behandlungserfolg transparenter machen (Klingemann, 2000a, 2000b, 2001). Generell gewinnen ambulante Einrichtungen an Bedeutung und auch im stationären Sektor werden Behandlungsprogramme
von unterschiedlicher Dauer, gewissermassen massgeschneidert angeboten (Klingemann, 1992; Klingemann, 1995, 1996). Hierin drückt sich auch das zunehmende Bemühen aus, neue Zielgruppen zu
erreichen, die bis dahin professionelle Hilfe nicht in Anspruch genommen haben. Allgemein ausgedrückt: „[...] die frühere Beschränkung des therapeutischen Interesses auf schwer Abhängige hat sich
verändert. Die Betrachtung des gesamten Spektrums eines im Hinblick auf die Gesundheit, den psy-
114
chischen oder sozialen Zustand schädlichen Gebrauchs von Alkohol oder anderen psychoaktiven
Substanzen steht jetzt im Vordergrund“ konstatiert Bühringer Mitte der 90er Jahre (Bühringer, 1996,
S.70). Problematisch erscheint nach wie vor die bereits angesprochene Trennung der Behandlungsphilosophien im stationären, nach wie vor stark abstinenzorientierten Bereich und im ambulanten Sektor, welcher analog zum Behandlungsangebot für Drogenabhängige eine grössere Varianz in Zielen
und Programmen aufweist. Diese Kritik wird denn auch von einem der von uns beigezogenen Experten treffend auf den Punkt gebracht und in einen weiteren Rahmen gestellt:
„Versorgungssysteme, die in der Suchtbehandlung involviert sind, arbeiten kaum zusammen und sind
meiner Meinung nach auch wenig offen für einander. Das führt nach stationärer Behandlung oft zu
Behandlungsunterbrüchen und leider auch zu Rückfällen, die ev. durch eine fachliche Betreuung im
Sinne des KT nicht notwendig gewesen wären. Stationär KT einzuführen ist … (es sei denn fremdund nicht selbstkontrolliert) kaum möglich“. - Gleichzeit wird aber auch angemerkt, dass der prinzipielle Vorrang des Abstinenztherapieziels und das Fehlen stationärer KT Programme von den Klienten
keinesfalls negativ beurteilt wird. Offen bleibt natürlich die Frage, ob andere Patientengruppen in Therapie kämen, wenn KT Angebote im geschützten stationären Rahmen angeboten würden.„
Der Trend einer zunehmenden Integration der alkoholspezifischen Angebote in Angebote für illegale
Drogen (integratives Modell) während der 90er Jahre in der Schweiz, könnte mittelfristig auch zu einer
willkommenen Diversifizierung der Angebote und einer Relativierung des Abstinenzgebotes führen
(Galliker, 2001). Es geht darum, Behandlungsmassnahmen möglichst wenig invasiv zu gestalten,
den/die Patienten/-in in seinem/ihrem Umfeld zu belassen und mit Minimalinterventionen zunächst das
individuelle Lösungspotential zu stützen. Dies entspricht der Forderung nach einem Konzept des
„stepped care“ (Sobell & Sobell, 1993, S.150).
Bis anhin erreicht das Behandlungssystem nämlich lediglich einen kleinen Prozentsatz derjenigen,
welche alkoholbezogene Probleme zu lösen haben. Am Beispiel Deutschland, welches ein sehr ausgebautes Therapiesystem aufweist stellt Petry (2001) diesbezüglich fest: „Im deutschsprachigen Bereich muss sehr kritisch gesehen werden, dass unser abstinenzorientiertes ambulantes und stationäres Behandlungsangebot nur bis maximal 20 Prozent der Betroffenen erreicht und insgesamt ein Paradox besteht, dass sich die Behandlung nur auf einen Teil der Spitze des Eisbergs konzentriert, während eine grosse Gruppe von 2.7 Millionen Alkoholmissbrauchern bisher kaum Behandlungsangebote
hatten.“ Man könnte hinzufügen, dass auch im Selbsthilfesektor bis anhin zu geringe Wahlfreiheit besteht. Neben der grossen Zahl der abstinenzorientierten AA-Gruppen, die indirekt auch Einfluss auf
den stationären Bereich und das professionelle Behandlungssystem auch in der Schweiz ausüben
(Mariolini, 1992; Rehm, 1994), stellen Selbsthilfegruppen welche Mässigkeitsziele verfolgen (moderation management) immer noch exotische Einzelfälle dar.
115
Eine flexible attraktive Therapiezielauswahl, welche sich nicht nur auf das Abstinenzziel bezieht sondern auch Konsumreduktion oder einfach auch „nur“ Schadensreduktion einschliesst, könnte dazu
beitragen, dass sich die Reichweite des Behandlungssystems erweitert. Jugendliche und junge Erwachsene waren beispielsweise als wichtige „Interessenten“ für kontrolliertes Trinken genannt worden.
Stichwort ‚Forschung’ – ‚Evidence based practice’: Aus dem Kreis der von uns befragten Experten
wird zu Recht auf die bis jetzt noch sehr mangelhafte Infrakstruktur des Wissens hingewiesen, die
eigentlich notwendig wäre, um diesen Strukturwandel im Behandlungssystem auf eine gesunde
Grundlage zu stellen: „Aus verschiedenen Gründen ist der Suchtbereich trotz seiner gesundheitspolitischen Relevanz unter den Fachleuten als Arbeitsgebiet wenig "beliebt". Auch in der Schweiz fehlt es
an Fachleuten, die Indikationskriterien für KT bzw. Abstinenz im bestehenden Versorgungssystem
entwickeln, die nicht nur aus der Praxisperspektive postuliert werden sondern auch mit entsprechenden Forschungsprogrammen (und dazu braucht es
Programme!) überprüft würden. Dies wäre für die differenzielle Indikation auf einer evidence based
Grundlage jedoch notwendig.“
Schliesslich sind die Bemühungen zu verstärken, Frühinterventionen im Bereich der primären Versorgung über die Ärzteschaft zu ermöglichen unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus den frühen
Förderungen des KT im ärztlichen Kontext, wie beispielsweise die Pilotprojekte von Noschis (1987;
1988; 1989), welche bereits kurz beschrieben worden sind. Der Grundgedanke, dass KT im ärztlichen
Kontext gefördert werden kann, sei es durch Sensibilisierung mit Informationsschriften in Arztpraxen
(„teachable moments“), qualifizierte mündliche Empfehlungen unter zusätzlichem Einsatz von schriftlichen Selbstkontrollprogrammen (beispielsweise das 10-Schritte Programm zur selbständigen Reduktion des Alkoholkonsums von Körkel 2001) ist aktueller denn je und stellt eine Herausforderung an das
medizinische Versorgungssystem dar (Körkel, 2002b). Von uns befragte Experten weisen zudem mit
Recht darauf hin, dass der Anteil episodischer Risikotrinker in der Bevölkerung von 17,3 Prozent weit
über dem der gewohnheitsmässigen RisikotrinkerInnen mit lediglich 2,8 Prozent liegt (SFA – Zahlen
und Fakten 1999: 8). Aus diesem Blickwinkel kommt Kampagnen – wie etwas ‚Alles im Griff’ - besonderes Gewicht, indem sie bei dieser relativ grossen Gruppe das situationsbezogene kontrollierte Trinken (z.B. bei Festlichkeiten) zu fördern wäre. Ein Argument, welches das grosse Gewicht des KT im
Präventionsbereich unterstreicht.
Die erbitterten Diskussionen um das Thema KT und an welche Gruppen sich solche Programme richten wird relativiert, wenn wir an Behandlung als ein Kontinuum denken, welches vom selbstorganisierten Ausstieg aus der Sucht (Spontanremissionen) bis hin zur spezialisierten Fachklinik reicht.
116
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123
7 Klinische Aspekte
(M.Sobell und L. Sobell)
Während die theoretischen Probleme der Bedeutung von Risikoarmem Trinken als Therapieziel bei
Alkoholproblemen an anderer Stelle im vorliegenden Bericht behandelt werden, konzentriert sich dieses Kapitel auf die klinische Relevanz. Dabei geht es um praktische Aspekte zum Vorgehen und zu
den Abwägungen bei den Zielsetzungen für den/die einzelne(n) KlientIn im Gegensatz zur Gruppe als
Ganzes. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass ProblemtrinkerInnen, d.h. Personen, die nicht
schwer alkoholabhängig sind, beim Therapieziel Gemässigtes Trinken am besten abschneiden und
dass auch die eigene Bestimmung des Therapieziels möglicherweise zusätzliche Vorteile birgt. Die
Aufgabe der TherapeutInnen umfasst daher die Beratung, nicht aber die Vorgabe eines bestimmten
Ziels. Beratung ist offensichtlich wichtig und wird im Detail diskutiert werden, ein Leitfaden als Entscheidungshilfe für Betroffene findet sich im Anhang B.
7.1
Kontraindikationen
Der erste und vielleicht auch wichtigste Aspekt bei der Therapiezielberatung besteht in der Aufklärung
der Klientel über allfällige bekannte Kontraindikationen zum Alkoholkonsum. Es gibt zwei Arten solcher
Kontraindikationen: medizinische und soziale. Medizinische Kontraindikationen schliessen alle Krankheiten ein, unabhängig von einer allfälligen alkoholbedingten Ätiologie, die gegen einen Alkoholkonsum
sprechen. Obwohl es seltene oder idiosynkratische Krankheiten geben kann, bei denen Alkoholkonsum nicht zu empfehlen ist, sind die nachfolgenden Krankheiten die häufigsten Kontraindikationen für
Alkoholkonsum: Leberstörungen jeglicher Art (z. B. Zirrhose, Hepatitis, erhöhter Leberserumenzymspiegel), Krankheiten, die sich durch den Konsum von Alkohol verschlimmern (z.B. Diabetes, Tumore,
Arthritis, einige Ursachen für Bluthochdruck); Schwangerschaft und die Einnahme von Medikamenten,
deren Wirkung durch Alkohol beeinflusst wird (z.B. Antibiotika). Bei Zweifeln über die Kontraindikation
des Alkoholkonsums bei irgendeiner Krankheit sollte ein Arzt konsultiert werden. Wechselwirkungen
von Medikamenten und Alkohol sind üblicherweise im Physician’s Desk Reference (PDR, 2005) aufgeführt. Zudem sind verschiedene Nachschlagewerke erhältlich (z.B. Weathermon & Crabb, 1999). Es
sprechen Gründe für eine konservative Festlegung des Alkoholtherapie-Ziels bei älteren Erwachsenen.
Für diese spezielle Gruppe gilt es, zusätzliche Elemente zu berücksichtigen, wie z. B. die Tatsache,
dass sie oft eine Kombination von verschiedenen Medikamenten einnehmen (Adams, 1997). Eine weitere mögliche zu evaluierende Kontraindikation besteht in einer psychiatrischen Komorbidität. Eine
Komorbidität als solche begründet noch kein Alkoholkonsumverbot, doch nimmt der/die PatientIn
möglicherweise Medikamente ein, die mit dem Alkohol eine Wechselwirkung entfalten. Zudem kann
124
Alkoholkonsum das Auftauchen von anderen psychiatrischen Symptomen begünstigen (Berglund &
Ojehagen, 1998).
Zur sozialen Kategorie der Kontraindikationen für Alkoholkonsum gehören das Alkoholverbot als Teil
einer Bewährung oder Strafaussetzung, Ultimati von wichtigen Bezugspersonen oder dem ArbeitgeberIn, oder bevorstehendes Erscheinen vor Gericht, bei dem die betroffene Person vorher einige Zeit
ohne den Konsum von Alkohol verbringen möchte. Es ist wichtig die Kontraindikationen sozialer Art
und diejenigen für Exzessives Trinken auseinanderzuhalten. Während medizinische Kontraindikationen
eher auf Hochrisiko-Situationen zutreffen, umfassen die oben beschriebenen sozialen Kontraindikationen diejenigen Situationen, welche jeglichen Alkoholkonsum durch den/die KlientIn als unklug erscheinen lassen.
7.2
Therapiezielbestimmung und Limiten
Fachleute können KlientInnen bezüglich der Therapieziele beraten, aber letztlich entscheiden KlientInnen selbst, auch wenn dabei der fachliche Rat nicht befolgt wird. Vor diesem Hintergrund und weil
sich die Menschen gemäss der Theorie des kognitiven sozialen Lernens stärker für selbstgewählte als
für vorgegebene Ziele engagieren (Bandura, 1986), wird empfohlen, die Therapiezielbestimmung explizit zur Aufgabe des/der KlientIn zu deklarieren. Entscheidet sich eine Person unabhängig von Kontraindikationen für das Abstinenzziel, ist es aus klinischer Sicht sehr wichtig, klar festzuhalten, dass das
Ziel Abstinenz der Wahl des/der KlientIn entspricht. Der Person muss klar sein, dass sie das Ziel Abstinenz selber „gewählt“ hat, was bedeutet, dass sie bei einem Rückfall „wählen“ kann, wieder mit dem
Trinken aufzuhören. Wichtig beim Abstinenzziel ist, dass die Fachperson dem/der KlientIn – auch
wenn sich diese(r) zuvor für einen vollständigen Alkoholverzicht entschieden hat – nahe legt, jeglichen
stattgefundenen Alkoholkonsum zu melden. Der Grund ist, dass eine positive therapeutische Beziehung auf Vertrauen und Ehrlichkeit basiert. Es ist belegt, dass Selbstberichte von KlientInnen als gültig
erachtet werden können, wenn sie in einem klinischen Setting gesammelt wurden, in dem Vertraulichkeit gewahrt bleibt und wo für ehrliches Berichterstatten nicht nachteilige Konsequenzen verhängt
werden (Babor, Steinberg, Anton & Del Boca, 2000). Mit der Klientel an der Erreichung eines Ziels zu
arbeiten ist eindeutig vorteilhafter, als Personen in der Täuschung, keinen Alkohol konsumiert zu haben, zu bestärken. Auch KlientInnen, bei denen keine Kontraindikationen für Alkoholkonsum bestehen,
können sich unter Umständen für ein Abstinenzziel entscheiden. Viele jedoch, insbesondere die nicht
schwer abhängigen, werden eine Reduzierung ihres Alkoholkonsums auf ein risikoarmes Niveau vorziehen. Bei denjenigen, bei denen Alkoholkonsum kontraindiziert ist und für diejenigen, die sich ohne
vorliegende Kontraindikationen für ein Abstinenzziel entscheiden, empfehlen die AutorInnen, dass
der/die KlientIn nicht in Richtung risikoarmen Alkoholkonsums beraten wird. Dies könnte als das Aus-
125
senden von gemischten Botschaften durch die Fachperson missverstanden werden. (Zum Beispiel:
„Ich respektiere Ihr Abstinenzziel, aber wenn Sie trinken wollen, dann sollten Sie den folgenden Rat
befolgen” könnte als Empfehlung für ein Mässigungsziel aufgefasst werden.) Gemäss der Therapiemethode „Guided Self-Change“ (Sobell & Sobell, 1993) werden die KlientInnen noch vor der Beratung
aufgefordert, ihr Ziel zu bestimmen. So kann vermieden werden, dass KlientInnen, die sich für ein
Abstinenzziel entscheiden, zusätzliche Beratung für andere Therapieziele erhalten. Sollten sie später
ihr Ziel auf Risikoarmes Trinken umändern, kann die entsprechende Beratung immer noch erfolgen.
KlientInnen, die sich für eine Reduzierung statt für einen Verzicht des Alkoholkonsums entscheiden,
sollten bezüglich Limiten und Konsumbedingungen aufgeklärt und aufgefordert werden, genauere
Angaben zu ihrem persönlichen Ziel zu machen. Diese genauen Angaben sind wichtig für die Vermeidung von Zielverschiebungen im Laufe der Therapie nach einer Diskussion des Ziels. Die Verwendung
unspezifischer Terminologie, wie z. B. „sich nicht betrinken“ oder „nur ein paar Drinks zu sich nehmen“ kann zu eskalierenden Obergrenzen führen, da die Definition von „ein paar“ zahlenmässig steigerbar ist, während hingegen „maximal drei Getränke“ nur dann geändert werden kann, wenn sich
auch das formelle Ziel ändert. Vorgeschlagen wurde, den KlientInnen sowohl eine maximale Anzahl
Drinks pro Tag und eine maximale Anzahl von Trinktragen pro Woche zu empfehlen (Sobell & Sobell,
1993). Die Ergänzung durch Ausnahmen (z. B. nicht mehr als drei Getränke pro Tag an nicht mehr als
vier Tagen pro Woche, mit der Ausnahmeregelung: maximal sechs Getränke an Weihnachten) sollte
mit Vorsicht angegangen werden, da je nach Umständen damit die Botschaft einer Zielflexibilität vermittelt wird (z. B. könnte Weihnachten erweitert werden auf jeden Freitag Abend). Wie bereits erwähnt,
sollten die Mengen für Frauen etwas tiefer angesetzt werden als für Männer, weil sich bei Frauen mit
einer gegebenen Menge Alkohol ein höherer Blutalkoholwert ergibt als bei Männern. Bezüglich der
Grenzen sollte hervorgehoben werden, dass die empfohlenen Limite Maximalwerte und nicht Zielwerte
darstellen.
7.3
Trinkumgebung
Zusätzlich zu den Maximalmengen und Maximalhäufigkeiten sollten auch die Umstände des Alkoholkonsums und des Nichtkonsums klar umrissen werden. Hochrisiko-Situationen sind Bedingungen, die
in einem Zusammenhang mit problematischem Trinken der Vergangenheit stehen. Angesichts dieser
Vergangenheit wäre Alkoholkonsum der betroffenen Person unter solchen Umständen unvorsichtig
und eindeutig riskant, weshalb darauf verzichtet werden sollte. Auch andere situationsrelevante Eigenschaften können hinsichtlich der ihnen zukommenden Risiko- oder Sicherheitswirkung (d.h. risikoarm)
Berücksichtigung finden, wie z.B. ob das Trinken in einer gesellschaftlichen oder privaten Situation
stattfindet, die Art des konsumierten Getränks, und ob der Alkoholkonsum an einem öffentlichen Ort
126
oder zuhause geschieht. Alle diese Faktoren sind Gesprächsthema zwischen KlientIn und Fachperson,
und es ist hilfreich, den PatientInnen in den Intervallen zwischen den Sitzungen schriftlich eine Beschreibung der Trink- und Nicht-Trink-Situationen verfassen zu lassen.
7.4
Bedeutung des Ziels und Vertrauen
Beim Gespräch über das von KlientInnen gewählte Ziel kann es auch hilfreich sein, vom/von der KlientIn Fragen zur Bedeutung des Ziels und zum Vertrauen – aufgeführt im Anhang C und D– beantworten
zu lassen. Die Antworten zu diesen Fragen – die eine zur Bedeutung der Zielerreichung für KlientInnen
und die andere zur Beurteilung der Selbstwirksamkeit (Selbstvertrauen, dass das Ziel erreicht werden
kann) – helfen dem Therapierenden, die Motivationsstärke des/der KlientIn zu bestimmen und herauszufinden, wie gut sich die Person für die Zielerreichung vorbereitet fühlt. Da ProblemtrinkerInnen üblicherweise keine schwer wiegenden Alkoholprobleme und manchmal auch noch keine ernsthafte Konsequenz erlebt haben, wird die Änderung des Trinkverhaltens manchmal durch andere Aktivitäten in
ihrem Leben konkurrenziert. Durch die Frage nach der Bedeutung des Ziels kann der/die KlientIn dieses Thema dem Therapierenden mitteilen, und ermöglicht dadurch eine Diskussion möglicher Hindernisse auf dem Weg zum Fortschritt. Die Beurteilung der Selbstwirksamkeit erleichtert ebenfalls die
Diskussion über Änderungsstrategien, beinhaltet jedoch auch einen gewissen prognostischen Wert,
insofern als Menschen mit einer höheren Selbstwirksamkeitsbewertung zu Behandlungsende eher ein
positives Ergebnis erzielen (Allsop, Saunders & Phillips, 2000; Vielva & Iraurgi, 2001).
7.5
Therapieziel-Gespräch mit der Klientel
Aus klinischer Sicht kann es hilfreich sein, die KlientInnen ihr Ziel auswählen und erläutern zu lassen,
bevor sie irgendwelche näheren Angaben zu Therapiezielen erhalten. Dadurch kann evaluiert werden,
ob die Ziele bei Behandlungsbeginn der Problem- und Risikovermeidung entsprechen. Es kann einen
Gesamteindruck darüber vermitteln, ob die Vorstellungen in einem vernünftigen Rahmen liegen. So
würde sich der Inhalt einer Therapiesitzung mit einer Person, die maximal zwei Drinks an drei Tagen
pro Woche zu konsumieren wünscht, von einer Therapiesitzung mit einer Person, die maximal acht
Drinks an jedem Tag der Woche konsumieren möchte deutlich unterscheiden. Die anfängliche Auswahl eines Ziels durch den/die KlientIn kann auch zu einer Diskussion darüber führen, weshalb die
betroffene Persone eine Mässigung für nicht realistisch hält. (Z.B. Hat der/die PatientIn je zuvor risikoarme Mengen konsumiert? Will sich der/die KlientIn berauscht fühlen oder will er/sie durch das Trinken in der Gesellschaft einfach nicht auffallen?).
127
Entscheidet sich eine Person zu Beginn für ein Abstinenzziel, so ist es wichtig, die Gründe für diese
Wahl zu eruieren. Im Idealfall hat sich die Person für Abstinenz entschieden, weil Abstinenz in ihrem
eigenen langfristigen Interesse liegt, und nicht weil sie sich Alkohol gegenüber machtlos fühlt. Daher
wird sie nach der Wahl von Abstinenz angesichts einer Hochrisiko-Situation (hoffentlich) „wählen“,
nicht zu Trinken oder mit dem Trinken aufzuhören. Umgekehrt wird aber eine Person, die sich Alkohol
gegenüber machtlos fühlt, nach einem Rückfall als Erfüllung einer „self-fulfilling prophecy“ höchstwahrscheinlich weitertrinken, (Marlatt & Gordon, 1985).
KlientInnen, die sich für Mässigungsziele entscheiden, können eine „Stopp und Nachdenken”-Pause
als hilfreich erachten. Dabei erklärt sich die Person damit einverstanden, bei der Entscheidung für den
Konsum eines Drinks (unabhängig davon, ob es der erste ist oder nicht), eine 15- bis 20-minütige
„Stopp und Nachdenken“-Pause einzulegen, während der die Gründe für den Alkoholkonsum sorgfältig überdenkt werden können. Entscheidet sich die Person nach Ablauf dieses Intervalls immer noch
zugunsten eines Getränks, so konsumiert sie es. Dieses Vorgehen schützt sie vor „impulsivem“ Trinken und ist auch nützlich, wenn mit der Trinkentscheidung hohe Affekt-Werte einhergehen, weil ein
solcher Affekt oft nicht über eine längere Zeitspanne anhält.
Eine andere Ziel-Problematik besteht in der von Einigen vorgebrachten Forderung, dass auch Personen, die anfänglich ein Mässigungsziel zu erreichen versuchen, während der ersten paar Wochen oder
sogar Monate abstinent leben sollten und das risikoarme Trinken erst nach einer erfolgreichen Abstinenzperiode aufnehmen dürfen (Kishline, 1996; Sanchez-Craig, 1980). Ob ein solches Vorgehen hilfreich ist, wurde bisher noch keiner kontrollierten Studie untersucht.
Ein Thema, dessen Bedeutung nicht deutlich genug hervorgehoben werden kann, ist die Modifizierbarkeit der Zielbestimmung im Laufe der Zeit. Dafür gibt es zahlreiche mögliche Gründe, der wahrscheinlichste aber ist der, dass der/die KlientIn bei der Erreichung des Ziels Mühe bekundet. Gelegentlich jedoch kann einer Zieländerung eine andere Begründung zu Grunde liegen, wie beispielsweise, dass das Trinken den Aufwand nicht lohnt, wenn dabei nicht die Stufe der Intoxikation erreicht
werden kann. Eine wertvolle Art der Konzeptualisierung der Änderung von Zielen im Laufe der Zeit ist
aus einer „stepped care“-Perspektive hervorgegangen. Auf einem Teilaspekt dieses Ansatzes beruhen
die meisten Dienstleistungen im Gesundheitswesen: Demzufolge sollte eine Änderung der Behandlung, einschliesslich einer Änderung der Ziele, an die im Rahmen der Therapie bereits erbrachten Leistung anknüpfen (Sobell & Sobell, 2000). Vergleichbar ist dies mit der Situation, in der eine Ernäherungsumstellung und körperliche Bewegung den Blutdruck eines Patienten nicht in den Normbereich
absinken lassen und der Arzt unter Umständen in einem nächsten Schritt die Einnahme von Medikamenten zur Behandlung des Bluthochdrucks verordnet.
128
7.6
Einstellung des/der TherapeutIn
Wohl nicht speziell zu erwähnen ist, dass Fachpersonen, die mit PatientInnen an der Erreichung des
Ziels des Risikoarmen Trinkens arbeiten, zumindest an die Verwirklichung und die Vernunft solcher
Ziele glauben sollten. Insbesondere in den USA sind einige TherapeutInnen schlecht darauf vorbereitet, Therapien mit Mässigungsziel durchzuführen, weil dieses Ziel mit ihrer Auffassung der Eigenart
von Alkoholproblemen in einem Konflikt steht (Miller, 1983; Sanchez-Craig & Wilkinson, 1986/87).
Schliesslich ist nicht erwiesen, dass TherapeutInnen eine spezifische Ausbildung benötigen, um ihren
KlientInnen Risikoarmes Trinken als Therapieziel zu ermöglichen. Denn es werden, wie vorangehend
dargestellt, unabhängig vom Inhalt der Therapie (d.h. auch wenn eine starke Abstinenzanforderung
auferlegt wird) viele Menschen zum Ziel Risikoarmes Trinken tendieren. Tatsache ist, dass die meisten
der Studien zu Risikoarmen Trinken berichtet haben, aus der Tradition der kognitiv-behavioralen Therapie stammen. Offen ist noch, ob dieser Ansatz für das Erreichen von Mässigung besondere Vorteile
beinhaltet, oder ob nicht einfach hauptsächlich Forschende der kognitiv-behavioralen Richtung Mässigungsziele untersucht haben.
7.7
Pharmakoligische Interventionen
Üblicherweise werden verhaltenstheoretische psychotherapeutische Ansätze, die etwa die Vermittlung
von Selbstkontrolltechniken beinhalten (z.B. Saladin & Santa Ana, 2004; Sobell & Sobell, 1993; Walters, 2000) und die mässigkeitsfördernden Reizkonfrontationstechniken (z.B. Sitharthan et al., 1997)
eingesetzt, um KlientInnen bei der Mässigung und Kontrolle des Alkoholkonsum zu unterstützen. Darüber hinaus ist jedoch auch evaluiert worden, inwiefern pharmakologische Interventionen zur Erreichung des Kontrollierten Trinkens beitragen könnten. Die meisten Forschungsbemühungen haben
sich auf den Opiat Antagonisten Naltrexone gerichtet, der geeignet scheint, sowohl bei Alkoholmissbrauch als auch bei Alkoholabhängigkeit abstinenzfördernd zu sein, gleichzeitig aber auch bei der
Erreichung des Therapieziels Kontrolliertes Trinken helfen kann (z.B. O’Malley et al., 1992; Volpicelli et
al., 1992). Obgleich die bisherigen Befunde variieren, so kommt eine aktuelle Literaturübersicht von
Kranzler, Armell, Feinn, und Tennen (2004) zum Schluss, dass der Einsatz von Naltrexone sowohl bei
sozialen TrinkerInnen als auch bei ProblemtrinkerInnen Alkoholmenge als auch Konsumhäufigkeit reduziert. Ein direkterer Nachweis eines wirksamen Beitrages von Naltrexone zur Erreichung Kontrollierten Trinkens wird durch die Studie zur Behandlungswirkung von Rubio et al. (1002) geführt: Im Einzelnen wurden 60 Alkoholkonsumentinnen mit geringem oder mittlerem Abhängigkeitsgrad zufällig den
Behandlungsgruppen „verhaltensorientiertes Selbstkontrolltraining“ und „verhaltensorientiertes Selbstkontrolltraining kombiniert mit der Verabreichung einer Tagesdosis von 50mg Naltrexon“. Während
129
des dreimonatigen Behandlungszeitraums berichteten die ProbandInnen, welche die kombinierte Behandlung erhalten hatten weniger Entzugserscheinungen und längere Intervalle bis zum einem erneuten Tag mit stark erhöhtem Konsum als die Behandlungsgruppe, welche lediglich am verhaltensorientierten Kontrolltraining partizipiert hatte; gleichzeitig zeigten sich keine weiteren Unterschiede in der
Häufigkeit und der Menge des Alkoholkonsums. Wiederum zeigte eine einjährige Nachuntersuchung,
dass die kombinierte Behandlung die Zahl der Alkoholkonsumtage vergleichsweise stärker reduzierte
(im Schnitt 69 Trinktage versus 104 Trinktage bei der Vergleichsgruppe) und auch die Anzahl der konsumierten Getränke/Gläser herabsetzte (im Durchschnit 98 versus 214). Ein Grossteil der ProbandInnen beider Gruppen berichteten überhaupt keine Tage mit erhöhtem Alkoholkonsum. Kurz gesagt,
das am Kontrollierten Trinken ausgerichtete Verhaltenstraining reduzierte während der Behandlungszeit und auch bei der Nachuntersuchung Problemtrinken; dieser Effekt wird durch den Einsatz von
Naltrexon noch weiter verstärkt. Inwieweit solche Befunde mit Blick auf verschiedene Kategorien von
ProblemtrinkerInnen generalisierbar sind und welches das wirksamste Mischungsverhältnis verhaltenstherapeutischer Ansätze und medikamentöser Unterstützung ist, muss noch näher erforscht werden.
Basierend auf Tierexperimenten äussert Sinclair (2001) die Vermutung, dass Naltrexon weniger Wirkung entfaltet, wenn die Verabreichung nur während eines eng begrenzten Zeitraums oder einer Abstinenzperiode erfolgt. Als wirksamere Vorgehensweise rät er zum Einsatz von Naltrexon in der Trinkphase oder in der Konsumvorerwägungsphase, damit der Antagonist Trinkanreize gezielt dämpft und
die Löschung von Entzugssymptomen und exzessiven Konsums begünstigt. So verstanden kann der
gezielte Einsatz von Naltrexon und verhaltenstherapeutischen Strategien als vielversprechend für die
Unterstützung Kontrollierten Trinkens angenommen werden (Kranzler et al 2003); gleichzeitig muss
darauf hingewiesen werden, dass Forschungen zum Wechselspiel zwischen verhaltensorientierten und
pharmakologischen Interventionen noch sehr am Anfang stehen, oft behindert durch ideologische
Hindernisse wie Room zu Recht anmerkt: „ Die Suche nach geeigneten biologischen Interventionen
und deren Einsatz mit dem Ziel, alkoholbedingte Probleme zu vermindern ist durch das Beharren auf
Abstinenz als dem einzig möglichen Therapieziel behindert worden … Mit Naltrexon steht nach den
vorliegenden Befunden vermutlich ein nützliches Medikament bereits zur Verfügung, dessen wirkungsorientierte Anwendung aber meist noch verweigert wird“ (Room 2004: 160).
130
7 Clinical Issues
(M.Sobell and L.Sobell)
Whereas theoretical issues of the place of low risk drinking as goal in the treatment of alcohol problems are addressed elsewhere in this volume, the present chapter focuses on clinical relevance. It
concerns practical issues of procedures and goal considerations at the individual client as opposed to
aggregate level. It has already been suggested that the best evidence for moderation outcomes has
been found for problem drinkers; that is, for individuals who are not severely dependent on alcohol,
and that there might be added benefit in letting individuals choose their own goals. The role of the
therapist, therefore, becomes one of providing advice but not assigning the goal. The advice is obviously important and will be discussed in detail, and a self-administered version of the advice is contained in the Appendix B.
7.1
Contraindications
The first and perhaps most important aspect of goal advice concerns advising clients about any
known contraindications to alcohol consumption. Such contraindications can be of two sorts, medical
contraindications and social contraindications. Medical contraindications include any conditions,
whether or not alcohol-related in etiology, that make alcohol consumption ill-advised. Although there
may be rare or idiosyncratic conditions where alcohol intake is not advised, the following are the most
common conditions where consumption of alcohol is medically contraindicated: any disorder of the
liver (e.g., cirrhosis, hepatitis, elevated liver serum enzyme levels); diseases that can be ex-acerbated
by alcohol consumption (e.g., diabetes, ulcers, gout, some cases of hyper-tension); pregnancy; and
taking medications whose actions would be interfered with by alcohol (e.g., antibiotics). If there is any
doubt about whether a health condition contra-indicates alcohol consumption a physician should be
consulted. Medication interactions with alcohol will usually be stated in the Physician’s Desk Reference (PDR, 2005). Several concise reference guides are also available (e.g., Weathermon & Crabb,
1999). There are also a number of reasons to be conservative in helping older adults set alcohol
treatment goals, since a number of additional considerations relate to this special population such as
their often taking a combination of several medications (Adams, 1997) and their being more susceptible to physical injuries if they fall.
Another possible contraindication that must be evaluated on a case-by-case basis is psychiatric comorbidity. Comorbidity by itself is no clear injunction against alcohol use, but the client may be taking
131
medication that would interact with alcohol and it also is possible that alcohol use could facilitate the
appearance of other psychiatric symptoms (Berglund & Ojehagen, 1998).
Social contraindications to alcohol consumption can include prohibitions against alcohol intake as a
condition of probation or parole, ultimatums from significant others or employers, or pending court
appearances where the individual wants to be sure to be alcohol-free. Social contraindications to alcohol consumption should be differentiated from contraindications to excessive drinking. Such contraindications would be better considered as high-risk situations in the presence of which drinking should
not occur. In contrast, what is meant here by social contraindications are circumstances that make
any drinking by the client unwise.
7.2
Goal Choice and Limits
It has already been discussed that clinicians can advise clients about goals but that in the end the
goals selected will be the client’s choice, even if the client is acting on the advice received. On that
basis and since cognitive social learning theory suggests that people will be more committed to goals
that they choose rather than goals set for them by others (Bandura, 1986), it would be advisable to
make goal choice explicitly the client’s responsibility. When a client chooses a goal of abstinence,
whether or not based on contraindications to drinking, an important clinical point is to make sure the
client is aware that the adoption of an abstinence goal was his or her choice, even if the choice was
coerced (e.g., many people for whom alcohol is medically contraindicated continue to drink despite
that knowledge; whether to drink is still their choice). It is important for the client to understand that
the abstinence goal was “chosen”, because that means that if the client should begin to drink, the
client can again “choose” to stop drinking. A related important point regarding abstinence goals is that
clinicians should explain to clients that although the client’s goal is not to drink at all, it is of overriding
importance that the client report any drinking that does occur. This is because a positive therapeutic
relationship is based on trust and honesty. Substantial evidence demonstrates that client’s selfreports can be expected to be valid when gathered in a clinical setting where confidentiality is protected and when adverse consequences will not result from honest reporting (Babor, Steinberg, Anton, & Del Boca, 2000). Clearly it is of greater benefit to work with the client toward achieving the client’s goal rather than prompting the client to maintain a deception that no drinking has occurred.
Clients for whom no contraindications to drinking exist still may choose to pursue an abstinence goal,
but many, especially those who are not severely dependent, will prefer to seek to reduce their drinking
to a low risk level. For those for whom alcohol consumption is contraindicated and for those who
choose an abstinence goal despite no contraindications, it is the authors’ recommendation that low
risk drinking advice not be given so that the clinician does not appear to be giving mixed messages
132
(For example, “I respect your choice of an abstinence goal, but if you choose to drink you should follow this advice” might be taken as suggesting a moderation goal). In the treatment “Guided SelfChange” (Sobell & Sobell, 1993), clients are asked to make their initial goal selection before being
given advice. This makes it easier to not provide goal advice to clients who choose an abstinence
goal. Should they later change their goal to low risk drinking, advice can be provided at that time.
Clients who seek to reduce rather than stop their drinking should receive advice on limits and conditions of consumption and be asked to itemize the specifics of their personal goal. Specification is important so that as treatment proceeds the goal does not drift without change having first been a topic
of discussion. Thus, the use of nonspecific terminology, such as “not getting drunk”, or “having only a
few” can lead to escalating limits as the definition of “a few” increases in number, whereas “a maximum of three drinks” can only be changed by changing the formal goal. It is suggested that clients
being advised of both a maximum quantity of drinks per day and a maximum number of drinking days
per week (Sobell & Sobell, 1993). The addition of exceptions (e.g., no more than 3 drinks per day on
no more than 4 days per week except no more than 6 drinks on New Year’s Eve) should be considered carefully because it conveys a message of goal flexibility dependent upon circumstances (e.g.,
New Year’s Eve could be extended to become every Friday evening). As previously stated, the quantity limits should be somewhat lower for women than for men because women will achieve a higher
blood alcohol level than men on the same amount of alcohol. With regard to limits, it should be emphasized that the recommended limits are maximums not to be exceeded, not target levels.
7.3
Drinking Context
In addition to the maximum quantity and frequency of drinking, the circumstances of drinking and not
drinking should also be delineated. High-risk situations are conditions that have been associated with
problematic drinking in the past. Given that history, it would seem imprudent and clearly risky for the
individual to drink in such circumstances. Thus, no drinking should occur in such situations. Other
situational characteristics can also be considered in terms of the risk or safety effect (i.e., low risk)
they may pose, such as whether the drinking occurs in a social or private situation, the type of beverage consumed, and whether the drinking occurs at a public place or at home. All of these sorts of
factors are issues for discussion between client and clinician, and it is helpful to ask the client to prepare a written statement of the drinking and non-drinking situations in the interval between treatment
sessions.
133
7.4
Goal Importance and Confidence
In discussing a client’s goal choice, it can also be helpful to have the client answer questions on goal
importance and confidence, as included in the Appendix C and D. These questions, one on the importance to the client of achieving the goal and the other measuring the client’s self-efficacy (selfconfidence that the goal can be achieved), help the therapist evaluate the strength of the client’s motivation and how prepared the client feels to meet the goal. Because problem drinkers usually do not
have severe alcohol problems and sometimes have not yet suffered any serious consequence, changing their drinking competes with other activities in their lives. The question on goal importance allows
clients to communicate this issue to the therapist, thereby allowing a discussion of possible roadblocks to progress. The measure of self-efficacy also facilitates discussion of strategies for change but
also has some prognostic value in that individuals with higher self-efficacy scores at the end of treatment are more likely to have a positive outcome (Allsop, Saunders & Phillips, 2000; Vielva & Iraurgi,
2001).
7.5
Discussing Goals with Clients
Clinically, it can be useful to ask clients to select and specify their goal before they are provided with
any goal advice. This allows an evaluation of whether the client’s objectives at treatment entry are
consistent with avoiding problems and risks and can provide a general idea of whether the client has
reasonable expectations. For example, the content in a therapy session would likely be very different
for a client who wished to drink no more than two drinks on no more than three days per week as
compared to a client who wished to drink no more than eight drinks every day. The initial goal selection by the client also can lead to a discussion of why the client believes moderation is or is not realistic (e.g., Has the client ever drank at low risk levels before? Is the client seeking to feel intoxicated or
just to fit in socially by drinking?).
When a client initially selects an abstinence goal, it is important to inquire about the reason for choosing abstinence. Ideally the client will have chosen abstinence because it is in his or her best long term
interests, not because the client feels powerless over alcohol. The reason for this is because if the
client conceptualizes abstinence as a reasoned goal “choice”, then when faced with a high-risk situation the client can (and hopefully will) “choose” not to drink or to stop drinking if already started. Conversely, if the client feels powerless over alcohol, then once drinking has begun the client may continue to drink as fulfillment of a self-fulfilling prophesy (Marlatt & Gordon, 1985).
134
Clients choosing moderation goals may find a “stop and think” procedure to be helpful. Using such a
procedure, the client agrees that upon deciding to have a drink (whether the first drink or one in a
series), he or she will insert a 15- to 20-minute stop and think period during which the reason for
drinking is carefully considered. If at the end of the interval the client still chooses to drink, the drink is
consumed. This procedure protects against “impulsive” drinking and it also is useful when the drinking
decision is preceded by high levels of affect because such affect often is not sustained over an elongated interval.
Another goal issue is that some have advocated that even for someone initially seeking a moderation
goal that for the first few weeks or even months the individual should be abstinent and begin low risk
drinking only following a successful period of abstinence (Kishline, 1996; Sanchez-Craig, 1980).
Whether this procedure is helpful has not been evaluated in a controlled study.
An issue that cannot be overemphasized in importance is that goal choice should be able to change
over time. There are many potential reasons for changing goals, but the most likely reason is that the
client is having difficulty achieving the goal. On occasion, however, goal choice can have another rationale, such as that drinking is not worth the expense if one cannot become intoxicated. A valuable
way of conceptualizing how goals can change over time is from a stepped care perspective. Part of
that perspective, which underlies the way most health care services are delivered, is that modification
of treatment, including goals, should be based on performance in treatment (Sobell & Sobell, 2000).
For example, if changes in diet and exercise do not enable a person’s blood pressure to fall within
normal limits, a physician may recommend medication as the next step in seeking to remediate a
problem of hypertension.
7.6
Therapist Orientation
Needless to say, clinicians working with clients who choose low risk drinking goals should at a minimum believe such outcomes are possible and reasonable. In the United States in particular some
therapists are poorly prepared to undertake treatment directed at moderation outcomes because this
conflicts with the therapists’ beliefs about the nature of alcohol problems (Miller, 1983, 1983, May;
Sanchez-Craig & Wilkinson, 1986/87).
Finally, it is not clear that therapists need highly specific training to facilitate low risk drinking outcomes, because the evidence suggests that many individuals will gravitate toward a low risk drinking
outcome no matter what is done in treatment (i.e., even if a strong abstinence requirement is imposed). Nevertheless, the fact is that most of the studies that have reported low risk drinking out-
135
comes have been from the cognitive-behavioral treatment tradition. It remains to be seen whether this
type of approach has particular advantages for achieving moderation, or whether it simply is the case
that mostly cognitive-behavioral researchers have explored moderation treatments.
7.7
Anti-craving substances
Interventions to assist clients moderate their drinking typically employ behavioral psychotherapies
such as self-control skills (e.g., Saladin & Santa Ana, 2004; Sobell & Sobell, 1993; Walters, 2000) and
moderation-oriented cue exposure (e.g., Sitharthan et al., 1997), but some investigators have also
evaluated whether prescription medication might support controlled drinking. Most attention has focused on the opioid antagonist naltrexone, which appears to facilitate moderate drinking as well as
abstinence by alcohol abusing and dependent clients (e.g., O’Malley et al., 1992; Volpicelli et al.,
1992).
Although the results vary across investigations, a recent review by Kranzler, Armell, Feinn, and Tennen
(2004) noted that naltrexone reduced both the speed and volume of alcohol consumption by both
social and problem drinkers. The effectiveness of naltrexone to facilitate controlled drinking was
demonstrated more directly in a treatment outcome study by Rubio et al. (2002). Specifically, 60 male
mild-to-moderately dependent drinkers were randomly assigned to receive either behavioral selfcontrol training (BSCT) alone or BSCT combined with 50 mg of naltrexone per day. During the threemonth treatment period, subjects in the naltrexone-plus-BSCT training condition reported less craving
and longer delays until their first heavy drinking day compared to those who received BSCT training
alone, but there were no other differences on measures of quantity or frequency of consumption.
During a one-year follow-up, however, those in the naltrexone-plus-BSCT group drank on significantly
fewer days (average of 69 drinking days versus 104 drinking days) and ingested significantly fewer
drinks overall (average of 98 drinks overall versus 214 drinks overall). Nonetheless, large proportions
in both groups reported no heavy drinking days. In short, controlled drinking training reduced problem drinking during treatment and follow-up, and it was even more effective at doing so when combined with naltrexone.
Further research is needed to evaluate the generalizability of naltrexone facilitation on controlled drinking across different types of problem drinkers and the most effective manner for combining skill training and cue exposure with medication. For example, based on animal and human trials assessing the
influence of naltrexone on drinking, Sinclair (2001) has proposed that naltrexone is less effective when
given for a limited time period or only when one is abstaining. Rather, he proposed that it should be
taken by clients while they are drinking or when they plan to drink so that the antagonist effect will
136
attenuate the reinforcement of drinking and thus facilitate extinction of craving and excessive consumption. The combination of “targeted” naltrexone and behavioral self-control training and/or cue
exposure therapy holds promise to facilitate controlled drinking (e.g., Kranzler et al., 2003), but research to examine the integration of behavioral and pharmacological interventions is a very young area
of research and has been impeded by political constraints and the abstinence paradigm, as Room
points out: “the search for and the application of biological interventions to reduce alcohol problems
has been handicapped by the insistence that abstinence is the only acceptable goal … With naltrexone, there is some evidence that a useful medication may be already on the scene, but we refuse to
apply it in the terms on which it might work best (Room 2004: 160).
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139
8 Kontrolliertes Trinken als moralische Leistung und Sozialprogramm7
(R. Room)
8.1
Die moralische Wertung von Kontrolliertem oder Gemässigtem Trinken
Der modernen Auffassung über Alkoholkonsum zufolge entspricht das „Kontrollierte Trinken“ nach den
Worten von Duckert (1989) einer moralischen Kategorie. In der Trinker-Typologie gibt es in Nordamerika drei verschiedene solche Kategorien. Dem „Kontrollierten“ resp. „Gemässigten“ oder auch „Sozialen“ Trinken kommt dabei oft eine Art Mittelposition zwischen Abstinenz und Alkoholismus zu. Während der Begriff „Kontrolliertes Trinken“ vornehmlich im klinischen Kontext für KlientInnen mit Alkoholproblemen verwendet wird, nehmen „Gemässigtes Trinken“ oder „Soziales Trinken“ eine entsprechende Mittelposition ein.
Wie schon viele Male beschrieben (z.B. Moore & Gerstein, 1981; Room, 1974) wurden die Alkoholabhängigen auf dem Höhepunkt der Anti-Alkoholbewegung in „AlkoholikerInnen“ auf der einen Seite und
„Soziale TrinkerInnen“ auf der anderen Seite unterteilt. Gemäss diesem vorherrschenden Bild war die
Zugehörigkeit zur einen oder anderen Gruppe durch einen so genannten „Prädispositions-Faktor X“
(Jellinek, 1952) vorgegeben. Dieser Faktor war entweder genetisch vorbestimmt oder hatte sich bereits im Kindesalter ausgeprägt. Er führte dazu, dass eine alkoholabhängige Person nie zu normalem
Alkoholkonsum fähig sein würde, und dass jemand ohne den „X“-Faktor gar nie alkoholabhängig werden könnte. Die Unterscheidung zwischen Alkoholismus und Kontrolliertem/Sozialem/Gemässigtem
Trinken kennzeichnet die begriffliche Differenzierung des Verhaltens über die Jahre hinweg: Alkoholabhängige waren Menschen, welche die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum verloren hatten, so dass
ihre langfristige Leistung in wichtigen sozialen Funktionen – als ArbeitnehmerInnen oder Familienmitglied – beeinträchtigt war. Noch in einer weiteren Trichotomie belegt das „Kontrollierte”, „Soziale” oder
„Gemässigte” Trinken das Mittelfeld, nämlich zwischen Abstinenz einerseits und Rausch andererseits.
Die Differenzierung ergibt sich hier aus dem Verhalten bei einer bestimmten Gelegenheit oder bei einem bestimmten Anlass. Der kontrolliert/sozial/gemässigt Alkohol Konsumierende, beschränkt den
Alkoholkonsum auf eine geringe Anzahl von alkoholischen Getränken pro Anlass und bleibt damit unterhalb der Intoxikationsgrenze.
=
7
Verfasst als Präsentation für die Tagung „Alcohol Policy and the Welfare State in Consumer Society“, Lillehammer, Norwegen, 14.-18. Januar 1998.
140
Die Aufteilung in AlkoholikerInnen und sozial Trinkende mit einer moralischen Wertung zu versehen
entsprach nie der Absicht der Anti-Alkoholbewegung. Gemäss ihrer Lehre war die Unterscheidung
nach dem „predisposing X factor“ weder mit Lob noch mit Tadel behaftet, genau so wenig wie irgendeine andere Kategorie. Im Gegensatz dazu war im Laufe der letzten fünfzig Jahre die öffentliche Diskussion in Nordamerika vielmehr durch einen Konsensus bezüglich der moralischen Bewertung der
Unterscheidung zwischen Kontrolliertem/Gemässigtem Trinken und Intoxikation charakterisiert. So
bezeichnete Marty Mann, während drei Jahrzehnten Chefpublizistin der Bewegung, den/die „AlkoholikerIn“ als moralisch wertvolle Person ohne irgendwelche Macht über ihren Alkoholkonsum im Unterschied zum sog. „heavy drinker“ oder dem „gelegentlich Betrunkenen“, der vorsätzlich trinkt (Mann,
1958:8-9). Die von Marty Mann gemachte Aussage, dass Alkoholismus eine Krankheit sei, war „lindernder Balsam“ für die geplagten Herzen zahlreicher EhepartnerInnen und Eltern von AlkoholikerInnen, die sich ohne Hoffnung einsam an die Überzeugung geklammert hatten, dass ihr/e AlkoholikerIn
nicht dem in der öffentlichen Meinung als „schlecht“ hingestellten Menschen entsprach (Mann,
1958:4-5).
Über ein halbes Jahrhundert lang haben die „pro-drinking”-VertreterInnen und -PublizistInnen eine
deutliche Trennlinie zwischen Berauschung als schädlichem Verhalten und dem von ihnen befürworteten Gemässigten oder Kontrollierten Trinken gezogen. Die pseudowissenschaftliche Begründung für
die Legalisierung von Bier mit tiefem Alkoholgehalt vor dem Ende der US-amerikanischen Prohibition
beruhte auf dem Argument, dass Bier nicht zu Intoxikation führe (Henderson, 1933; Pauly, 1994). In
der gleichen Zeitperiode wurde argumentiert, dass die Legalisierung von Alkoholkonsum zu weniger
Trunkenheit und kultivierteren Trinkpraktiken führen würde; soziale VermittlerInnen machten sich die
Vermittlung dieser Trinkpraktiken an den Mittelstand zur Aufgabe: „Die erfolgreiche Aufhebung des
Achtzehnten Amendment ist enorm wichtig ”, steht in einem Buch, welches für „the lost art of polite
drinking“ plädiert. Der Autor brachte vor, dass zwar während der Prohibition eine deutliche Tendenz
bestanden hätte, „Betrunkene“ einfach zu akzeptieren, in gehobeneren Gesellschaftskreisen könne ein
Betrunkener jedoch nicht toleriert werden. Ein solcher sei in jeder Hinsicht tadelnswert. (Und leider sei
dies bei einer Sie noch schlimmer!)" (Whitaker, 1933:2-4).
In jüngerer Zeit waren die BefürworterInnen des Arguments, dass Alkoholprobleme am besten durch
Integration des Trinkens in kulturelle Praktiken kontrolliert werden können, sorgfältig darauf bedacht
klarzustellen, dass sie Intoxikation nicht darin einschliessen, wie sehr der Alkoholrausch auch Bestandteil der Kultur sein möge. Morris Chafetz, lange Zeit führender Exponent dieser Position, erklärte,
dass jede Person, die „vier Mal pro Jahr betrunken gewesen sei“, als Problemtrinker betrachtet werden müsse (Chafetz, 1967). In ähnlicher Weise war es denjenigen, welche die Vorteile des Trinkens
hervorgehoben hatten, sehr wichtig zu ergänzen, dass sie sich für Gemässigtes Trinken und nicht für
Intoxikation ausgesprochen hatten: „Citizens for Moderation [repräsentiert] die Interessen [derjenigen],
141
die verantwortungsvoll und bei guter Gesundheit konsumieren“ (Citizens for Moderation, 1989). Die
Vermengung von durch Alkoholkonsum bedingtem auffälligen Verhalten und Sucht, und der Versuch
einer Argumentation zu Gunsten einer „moralischen Sicht von Sucht“ (Peele, 1987b) gipfelt in der Forderung nach „Werten, die unvereinbar sind mit Sucht und mit drogen- und alkoholbedingtem Fehlverhalten“, im Gegensatz zu „Werten zur Förderung von Gesundheit, Mässigung und Selbstkontrolle“ und
„der Unmoral von Suchtverhalten“.
Berauschung ist somit im öffentlichen Diskurs in Nordamerika bis zumindest in jüngster Vergangenheit
ein moralisch vorwerfbares oder zumindest fragwürdiges Verhalten geblieben. Diejenigen auf der
„feuchteren“ Seite der Debatte über Trinkpraktiken und -strategien bekundeten grosse Mühe, zwischen Kontrolliertem oder Gemässigtem Trinken und Intoxikation zu differenzieren und diese beiden
Verhaltensweisen mit gegenteiligen moralischen Werten zu versehen – negativ im Falle des Rausches
jedoch positiv für das Kontrollierte oder Gemässigte Trinken. Die moralische Wertung von Kontrolliertem oder Gemässigtem Trinken beruht in erster Linie auf der Abgrenzung zwischen Rausch und dem
rauschbezogenem Fehlverhalten.
Doch die Argumente für Kontrolliertes oder Gemässigtes Trinken scheinen zu noch weiterreichenden
moralischen Schlussfolgerungen zu führen: Mässigung beim Trinken als solche wird schon zu einem
positiven „Gut“ und stellt eine moralische und persönliche Leistung der trinkenden Person dar. Daher
argumentiert Marlatt (1985: 329, 332) für Mässigung; er sieht in der Mässigung den „Schlüssel zu
einem ausgewogenen Lebensstil“ und hält Mässigung zudem insofern als nützlich, da sie „dem Individuum bei einem Minimum an Kosten grösseres Vergnügen bereitet“. Gemäss Marlatt entspricht Mässigung „einem Gleichgewichtspunkt oder Grenzbereich zwischen den Extremen der absoluten Zurückhaltung oder Kontrolle und Kontrollverlust (Sucht) ... Mässigung und eine flexible Haltung stehen
in einem starken Kontrast zu exzessiver Zurückhaltung und übermässiger Kontrolle” (Marlatt
1985:333, 334).
Solche Argumente bestätigen oder implizieren eine moralische Überlegenheit des Gemässigten oder
Kontrollierten Trinkens gegenüber Abstinenz und auch Rauschtrinken. Diese Überlegenheit manifestiert sich in der erfolgreichen Selbstkontrolle des Trinkenden während jedes Anlasses, an dem Alkohol
konsumiert wird. „Aus Sicht der Mässigung beinhaltet Kontrolle auch immer eine Wahl ... Mässigung
bedeutet zu lernen, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, während Kontrolle und übermässige
Kontrolle im herkömmlichen Sinn nur die Option des Verzichts (Abstinenz) beinhaltet“ (Marlatt,
1985:335). Gemäss diesem Denkansatz sollte Gemässigtes Trinken konsequenterweise mit einiger
Regelmässigkeit betrieben werden, um die Kontrolliertheit des Trinkens fortlaufend unter Beweis zu
stellen. Dem normativen Ideal des Gemässigten oder Kontrollierten Trinkens kommt somit eine Häufigkeits- wie auch eine Quantitätsdimension zu. Duckert (1989) bemerkte dazu, „die üblichste Anforde-
142
rung an Kontrolliertes Trinken ist, dass es mit hoher Frequenz und kleinen Konsummengen stattfinden
sollte“; gemäss den „Kriterien für das Kontrollierte Trinken“ von Stockwell (1986) beinhaltet dies beispielsweise einen mindestens einmal wöchentlich stattfindenden Konsum von Alkohol.
8.2
Kontrolliertes/Gemässigtes Trinken als moralische Leistung
Hinter den Argumenten für Gemässigtes oder Kontrolliertes Trinken lassen sich die Konturen eines
kohärenten Weltanschauungsbildes erkennen. In gewisser Weise ist es eine bereits sehr alte Sicht des
Lebens. Durch religiöse Vorläuferwerke wie das Buch „Pilgerreise“ von John Bunyan ist diese Anschauung tief in unserer Kultur verwurzelt. In der modernen und säkularisierten Version der Pilgerreise
verkörpert das Trinken die tägliche Charakterprüfung. Durch Gemässigtes oder Kontrolliertes Trinken
übt und beweist der/die moderne PilgererIn durch tägliche Prüfung seine/ihre Selbstkontrolle und Vernunft immer wieder aufs Neue.
„Eine besonders schwere Last, die dem Einzelnen von der Gesellschaft auferlegt wird, ist die Forderung nach Selbstkontrolle. Unter Selbstkontrolle verstehen wir die Ausübung einer kontrollierenden Reaktion oder Strategie ... [über] das Verhalten, welches entweder fest etabliert ist als eine
langfristige Gewohnheit oder momentan attraktiv erscheint ... Verhalten, das im Normalfall einfach,
aber langfristig von Nachteil ist. Mässigung wird von der Gesellschaft für viele [solcher] Verhaltensweisen vorgegeben. In unserer Gesellschaft gedeihen jedoch verschiedene Interessensgruppierungen auf. Einige von ihnen produzieren und verherrlichen erfolgreich Verhaltensweisen oder auch
Produkte, die das Fleisch, den Geist und den Gaumen in Versuchung führen ... [Während] soziale
Regeln und die Etikette den angemessenen Zeitpunkt, die Häufigkeit und die Menge von Alkoholkonsum vorschreiben, ... ist trotzdem letztlich jede Person selber verantwortlich für die Überwachung ihres eigenen und klugen Alkoholkonsums, und es wird von ihr erwartet, ihr Trinken innerhalb vorgegebener Bereiche und an vorgegebenen Gelegenheiten zu kontrollieren.“ (Kanfer,
1986:30-31).
Eine Interpretation des Kontrollierten oder Gemässigten Trinkens im Rahmen einer Ideologie und eines
Programms einer manifesten Selbstkontrolle erklärt den Zusammenhang zwischen drei Aspekten denen zahlreiche Einzelargumente zum Kontrollierten oder Gemässigten Trinken zugeordnet werden
können. Einer dieser Aspekte betrifft, wie bereits erwähnt, die Höherbewertung des Gemässigten
Trinkens gegenüber Abstinenz. Durch Abstinenz und damit durch die Entscheidung für die „soft option“ entzieht sich der/die Betroffene der Prüfung vollumfänglich und stellt sich dem anspruchsvollen
Test seiner Selbstkontrolle nicht. In Stanton Peeles Beschreibung der Gewohnheiten einer sozialen,
143
implizit als positives Vorbild dargestellten Gruppe wird der kontrollierte Konsum höher bewertet als
sowohl Abstinenz wie auch Intoxikation.
„Wer im Bereich öffentliche Gesundheit arbeitet, Akademiker und die vornehmlich in leitender
Funktion tätigen Menschen, die ich kenne, ... haben kaum Zeit, Alkohol oder Drogen bis zur Bewusstlosigkeit führende Weise zu konsumieren. Ich war seit Jahren nicht mehr an einer Party, an
der ich jemanden gesehen hätte, der sich betrunken hat. Es erstaunt mich sehr, wenn ich höre,
wie genau diese Personen Empfehlungen zur Volksgesundheit abgeben oder Süchte auf eine
Weise analysieren, welche den Ort der Kontrolle für Suchtverhalten vom Individuum weg- und zur
Substanz hinverlagern – genau, wie wenn sie sich darauf konzentrieren würden, Drogen- [und]
Alkoholkonsum zu verhindern, und entsprechendes Verhalten als Krankheit einstufen ... Es ist erstaunlich, wie in diesem Fall die schlechten Werte die guten verdrängen (Peele, 1987b:193-4).
Der zweite Aspekt, der an diese Weltanschauung gebunden ist, wurde bereits erwähnt: nämlich die
des Rausches. Dieser Aspekt gilt als dermassen selbstverständlich, dass er oft gar nicht mehr explizit
diskutiert wird. Doch wird im oben zitierten Artikel von Peele explizit gegen das „systematische Nichtbeachten der Unmoral von suchtbedingtem Fehlverhalten“ argumentiert. Peele schafft es, Rausch und
Sucht zu einem Phänomen zu vermischen. Damit lehnt er die von Marty Mann gemachte Unterscheidung zwischen schlechten „nur Betrunkenen“ und schuldlosen „AlkoholikerInnen“ ab. In den Publikationen von Peele widerspiegelt diese Vermengung eine grundlegende Skepsis, ungefähr in der Art
derjenigen von Thomas Szasz über das Konzept von Sucht als Krankheit.
Obwohl andere Autoren dies anders ausdrücken würden, weist die Formulierung von Peele dennoch
in eine Richtung, in welche zumindest die nordamerikanischen Kulturen sich zu bewegen scheinen.
Der/die aktive AlkoholikerIn (im Gegensatz zum/zur rekonvaleszenten AlkoholikerIn) mag nie grosse
Sympathien geweckt haben – aber Peele steht nicht allein da mit seiner kompromisslosen erneuten
Moralisierung von alkoholbedingtem und anderem Fehlverhalten von Betrunkenen. Obwohl in James
Grahams Buch „The Secret History of Alcoholism: The Story of Famous Alcoholics and Their Destructive Behavior“ (1996) die konventionellen Definitionen von Alkoholismus akzeptiert werden, liegt das
Hauptgewicht dennoch auf dem „grossen und deutlichen Schaden, den AlkoholikerInnen anderen
mutwillig zufügen”. Graham warnt vor dem „zu vermeidenden Fehler … Alkoholiker von der Verantwortung für ihr Verhalten zu befreien … Sie sollten umgehend bestraft werden für die Fehler, die sie begehen” (Graham, 1996: xii, xviii). In einem kürzlich in den USA als juristischen Kommentar publizierten
Artikel wird festgestellt, dass sich in einem früheren Trend, wonach für unter Alkoholeinfluss begangene Straftaten verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen wurde, „neue medizinische Werte widerspiegelten, [welche] davon ausgingen, dass Intoxikation und deren Folgen ausserhalb der Kontrollmöglichkeiten des Individuums stünden“. Der Autor plädiert vehement dafür, dass die gesellschaft-
144
liche Antwort auf den Verteidigungsgrund Alkoholeinfluss viel eher lauten sollte „just say no excuse”
(Keiter, 1997). Ein schwedischer Psychiater führt die Argumente von Peele noch eine Stufe weiter:
„Man könnte argumentieren, dass eine unsoziale, unter Alkoholeinfluss ausgeführte Tat strenger bestraft werden sollte als die gleiche, in nüchternem Zustand begangene Tat. Eine solche radikale abschreckende Haltung könnte eine wichtige Massnahme für die Volksgesundheit darstellen“ (Bergman,
1997). Dementsprechend hätte die neu erlassene Behindertengesetzgebung von Ontario unabhängig
von der Art der Behinderung oder den sie verursachenden Umständen jegliche Invalidenunterstützung
verweigert, „wenn die Behinderung einer Person zurückzuführen ist auf Alkohol oder Drogen in ihrem
Körper8“.
Der dritte Aspekt, der in dieser Weltanschauung zum Ausdruck kommt, ist eine ablehnende Haltung
gegenüber staatlichen Interventionen auf dem Alkoholmarkt. Graham (1996:xvii) spricht sich aus zwei
Gründen gegen „die Einschränkung der allgemeinen Erhältlichkeit von Alkohol” aus: Diese „stelle das
vergebliche Bemühen dar, Abhängige von der Substanz, nach der sie verlangen, fernzuhalten” und sie
„sei äusserst ungerecht gegenüber den gemässigt Trinkenden”. Das Argument von Peele (1987a)
betreffend den „Beschränkungen in Form von Modellen der Angebotskontrolle“ ist differenzierter, beruht aber auch auf zwei Voraussetzungen: eine Kritik der Daten über die Wirksamkeit von Alkoholkontrolle und der Auffassung, dass solche Kontrollen die von Peele vorgezogene Lösung einer Entwicklung von nicht staatlich geregelten „sozialen Mechanismen für Gemässigtes Trinken“ beeinträchtigen.
Aus der Sicht der Aufwertung von Kontrolliertem/Gemässigtem Trinken als einer verbindenden Weltanschauung würde der Staat, wenn er mittels einer Steuerung der Alkoholzugänglichkeit das Kontrollierte/Gemässigte Trinken erleichtert, das Testen und die Bewährung der moralisch guten Charaktereigenschaften, die beim kontrollierten Alkoholkonsum beteiligt sind, zum Zuge kommen können.
Bemerkenswert sind die Auswirkungen der Weltanschauung auf die Rolle des Staates. Bezüglich Interventionen auf dem Alkoholmarkt ist der Staat ein bemitleidenswerter hilfloser Riese: Was auch immer der Staat in diesem Bereich erreichen könnte, es wäre insofern kontraproduktiv, als dadurch der
Stellenwert der persönlichen Verantwortung und die Ausübung der Selbstkontrolle eingeschränkt würden. Für die Einschränkung von auffälligem Verhalten unter Alkoholeinfluss hingegen ist striktes staat=
8
Schedule B, Part I, section 4 (2) of Bill 142, „Ein Erlass zur Revidierung der Sozialhilfegesetzgebung---„, 1.
Lesung 12. Juni 1997, Toronto: Parlament von Ontario. Dies hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass beispielsweise einem Quadriplegiker, dessen Behinderung durch einen als Teenager in betrunkenem Zustand
durchgeführten Sprung in einen leeren Swimmingpool bedingt war, eine Unterstützung verweigert worden
wäre. Die später vom Parlament genehmigte Fassung enthielt jedoch eine wengier radikale Einschränkung,
insofern als nurmehr eine aktive Alkohol- oder Drogenabhängigkeit als solche nicht als Behinderung geltend
gemacht werden kann.
145
liches Eingreifen jedoch angesagt, indem der Staat „die Menschen für ihren Drogenkonsum und anderes Verhalten zur Verantwortung ziehen sollte“; „Gefängnisstrafen für von AlkoholikerInnen begangene
Straftaten“ werden einer Behandlung oder einem verordneten Sozialdienst vorgezogen (Peele,
1987b:207, 208). Das Vorziehen von individualisierten bestrafenden Kontrollen und die Hintenanstellung von Massnahmen zur Alkoholkontrolle entsprechen einer Prognose der „International Study of
Alcohol Control Experiences (ISACE)“:
„Der Konflikt zwischen steigender Besorgnis über Alkoholprobleme und den wirtschaftlichen Interessen der Alkoholindustrie, welche durch statische oder rückgängige Märkte bedrängt wird,
spitzt sich zu. In einer Situation, da Alkoholkonsum im Alltagsleben zunehmend mehr Toleranz
geniesst, geht der Trend eher in Richtung von Massnahmen der individuellen Kontrolle von abweichenden Trinkern. In einer Zeit der schwindenden Ressourcen im Sozialwesen drückt sich
dieser Trend unter Umständen eher in bestrafenden als in behandlungsorientierten Massnahmen
aus“. (Mäkelä et al., 1981:111).
Die Autoren der ISACE schlugen jedoch in ihren Schlussfolgerungen einen anderen als den in der hier
besprochenen Literatur dargelegten Kurs ein:
„Das Auswählen von einzelnen Menschen für eine spezielle Behandlung, sei dies in der Form einer Therapie oder einer Bestrafung, hat oft nachteilige Nebenwirkungen, beispielsweise deren
fortgesetzte Kennzeichnung als Person mit von der Norm abweichendem Verhalten. Unseres Erachtens sollte daher Alkoholpräventionsstrategien als Alternative zur moralisch inspirierten Kontrolle von Problemtrinkern hohe Priorität eingeräumt werden“. (Mäkelä et al., 1981:111).
8.3
Weshalb gerade jetzt?
In einer Publikation mit dem Titel „Epidemics of the Will” beurteilt Eve Sedgewick (1992) die „Ausweitung des Suchtbegriffs” auf eine „immer grösser werdenden Palette von Verhaltensweisen” als eine
„Propaganda für den freien Willen”, worin sich der Imperativ widerspiegelt, dass das Konzept des
freien Willens Verbreitung finden soll. In Anlehnung an Foucault unterscheidet Sedgewick zwischen
dem heutigen Fokus der Suchtkonzepte auf die Identität im Gegensatz zur früheren Ausrichtung auf
das Verhalten. Doch im spezifischen Alkoholkontext kann eine Foucault’sche Analyse sowohl auf die
„Entdeckung der Sucht“ (Levine, 1978) als auch auf die Identifizierung von Intoxikation als Grund und
Erklärung für Fehlverhalten (Levine, 1983) angewendet werden. Zumindest konzeptmässig muss zuerst die Problematisierung von Intoxikation erfolgen. Die Kontrolle oder das Aufgeben des Trinkens
wird dann zu einem Imperativ für die Ausübung des Willens. Sucht kommt nur als eine (von vielen)
146
Erklärungen (als Alternative zu moralischer Schwäche) für das Versagen des Willens ins Spiel. Die von
Peele und anderen vertretenen Standpunkte implizieren, dass das Suchtkonzept für die Propagierung
des freien Willens überflüssig ist. Es braucht keine Antithese zum freien Willen, wie Zwang oder Sucht,
um den freien Willen zu stärken oder zu testen; erforderlich ist lediglich das vorliegendes Fehlverhalten
einschliesslich des Rausches. Die Erweiterung der Anwendung des Suchtbegriffs – von Peele (1989)
abgelehnt – verkleinert den Spielraum des freien Willens.
Sedgewick fährt fort, indem sie die Frage aufwirft „Weshalb jetzt?“ – Weshalb eine Epidemie des freien
Willens? – und argumentiert, die Antwort müsse „in der besonders nachhallenden Beziehung liegen,
die sich zwischen der Problematik von Sucht und der Problematik der Verbraucherphase des internationalen Kapitalismus zu ergeben scheint“. In einem grösseren historischen Kontext scheint dies richtig. Die Auffassung von Trinken als einem Test des individuellen freien Willens und der persönlichen
Verantwortung und die daraus resultierende Auffassung von Sucht als Erklärung für ein Nichtbestehen
dieses Tests ergeben insbesondere dann einen Sinn, wenn sie als die Vereinbarung von zwei sich
zuwiderlaufenden Trends „in der Verbraucherphase des industriellen Kapitalismus“ gesehen werden
(Room, 1989, 1997). Einerseits ist das sozioökonomische System abhängig von der Produktion und
der Verteilung von Gütern, für welche eine ständige Nachfrage besteht oder stimuliert werden kann.
Alkohol und andere psychoaktive Substanzen, während langer Zeit der „glue of empires“ (Room,
1989), sind heute und waren oft eine wichtige Komponente dieses Systems. Andererseits auferlegen
auch die modernen Gesellschaften dem Einzelnen eine grössere Verantwortung für vernünftiges und
rationales Verhalten – Verhalten, das mit anderen Worten nicht zu Schaden für die anderen führt. In
vielen Industriegesellschaften entwickelten eine Mehrheit der Erwachsenen regelmässig anspruchsvolle Aufgaben durch – das Steuern eines Motorfahrzeugs, die Bedienung schwerer Maschinen – bei
denen ein paar wenige alkoholische Getränke ein Sicherheitsrisiko darstellen würden. Von Eltern wird
erwartet, dass sie sich sorgfältig um ihre kleinen Kinder kümmern, von einem Ehepaar erwartet man,
dass Streitigkeiten ohne physische Gewalt beigelegt werden; der Konsum von grossen Mengen Alkohol würde die Erfüllung der Erwartungen gefährden. In vielen Gesellschaften wird von ArbeitnehmerInnen während der Arbeitszeit strikte Nüchternheit verlangt (Room, 1997).
Aus dem sozioökonomischen Imperativ Alkohol zu konsumieren und den „zunehmend anspruchsvolleren Sorgfalts- und Aufmerksamkeitsnormen ergibt sich ganz offensichtlich ein Konflikt. Die Lösung zu
diesem kulturellen Dilemma bestand darin, die Last des Konfliktmanagements (und die Schuld eines
Scheiterns) dem Einzelnen zuzuweisen“ (Room, 1997).
Allerdings ist diese Interpretation nicht ausreichend zeitspezifisch, um die „Epidemie des freien Willens“ im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts anzusiedeln. Die industrialisierte Alkoholproduktion und
147
daher auch der Export von alkoholhaltigen Getränken aus Europa und Nordamerika gehen noch weiter zurück.
Die Erklärung für die zeitliche Ansiedlung mag zumindest teilweise in den höheren Sicherheits- und
Aufmerksamkeitsnormen liegen. Missbrauch und Vernachlässigung in der Familie wird heute in Nordamerika stärker geahndet als noch vor 30 Jahren; Mothers Against Drunk Driving (MADD) und andere
gesellschaftliche Bewegungen haben die Besorgnisschwelle bezüglich Fahren in angetrunkenem Zustand erhöht. Doch muss die Antwort auch auf der Güterseite der Gleichung und in ihren dominierenden Ideologien gesucht werden. Nie zuvor stand im letzten Jahrhundert die Ideologie eines Kapitalismus des freien Marktes und der Verbraucher auf globaler Ebene so unangefochten im Raum. Jegliche
Einmischung von Seiten des Staates in das internationale Funktionieren der Märkte der Verbrauchsgüter wird hinterfragt, wenn nicht sogar als illegal erklärt. In einem weiteren Produktebereich regiert die
Doktrin der Verbrauchersouveränität unbestritten: Solange ich mir etwas leisten kann, hat niemand
(und schon gar nicht der Staat) das Recht, meinen Verbrauch dieses Produkts zu kontrollieren. In
diesem ideologischen Klima sind nationale und lokale Strukturen der Alkoholmarktkontrollen im Laufe
des letzten Jahrhunderts vielerorts stark erodiert (Mäkelä et al., 1981).
Bei den international „kontrollierten Drogen” präsentiert sich natürlich eine ganz andere Situation.
Durch internationale Konventionen wird diesen Drogen der sonst übliche Spielraum von Gütern des
freien Marktes entzogen und im bisher ehrgeizigsten Versuch der Weltgeschichte einer internationalen
Marktkontrolle unterworfen (Room & Paglia, 1997). Paradoxerweise ist das Bestehen dieses Systems,
welches weithin als gescheitert erachtet wird, stellenweise zu einem Argument gegen jeglichen Ausschluss von Alkohol vom Spielfeld der allgemeinen Ideologien eines Kapitalismus des freien Marktes
und der VerbraucherInnen geworden. Zumindest im Alkoholbereich widerspiegelt die Epidemie der
Propaganda für den Willen die Tatsache, dass der Hauptharst der Verantwortung für die Vermeidung
von alkoholkonsumbedingten Schäden gegenüber anderen dem Willen des Individuums zufällt. In
diesem Kontext stellt Kontrolliertes Trinken nicht nur eine moralische Leistung dar, sondern auch ein
soziales Programm.
148
8 Controlled Drinking as a Moral Achievement and a Social Program9
(R. Room)
8.1
The moral valence on controlled or moderate drinking
As Duckert (1989) has commented, in modern thinking about alcohol "controlled drinking" is a moralized category. "Controlled drinking" or "moderate drinking" or "social drinking" is often thought of in
North America as occupying the middle position in a three-category typology of drinking, between
abstention, on the one hand, and "alcoholic drinking", on the other. While the term "controlled drinking" has primarily been used in a clinical context, referring to clients defined as having had problems
with their drinking, the terms "moderate drinking" or "social drinking" have occupied the same position, between abstention and alcoholic drinking, with reference to the population in general.
As has often been noted (e.g., Moore & Gerstein, 1981; Room, 1974), in its heyday the alcoholism
movement's governing image was of drinkers being divided into two distinct types: alcoholics and
social drinkers. In this image, the differentiation was foreor-dained by a "predisposing X factor"
(Jellinek, 1952), fixed genetically or in childhood, which meant that an alcoholic could never drink
normally, and presumably that someone lacking the "X" factor could never become an alcoholic. The
focus on the differentiation between alcoholism and controlled/social/moderate drinking identified the
distinction in terms of the patterning of behaviour over time. Alcoholics were people who had so far
lost control over their drinking that their long-term performances in major social roles - as workers and
as family members - were impaired.
But "controlled", "social" or "moderate" drinking also exists as the middle ground in another trichotomy, between abstention, on the one hand, and intoxication, on the other. Here, the distinction is
identified in terms of behaviour in a particular occasion or event. The controlled/social/moderate
drinker is a drinker who limits his or her drinking to a small number of drinks on the occasion, short of
intoxication. At least in the intention of the alcoholism movement, the distinction between the alcoholic and the social drinker was not moralized. In the movement's teaching, a differentiation in terms
of a "predisposing X factor" reflected neither blame or credit on either category. In contrast, through=
9
Prepared for presentation at a conference, "Alcohol Policy and the Welfare State in Consumer Society", Lillehammer, Norway, 14-18 January 1998.
149
out the last fifty years there has been a consensus in North American public discourse on the moralization of the division between controlled/moderate drinking and intoxication. Thus Marty Mann, the
chief publicist for the alcoholism movement for three decades, distinguished the alcoholic, as a morally worthy person who has no choice about his drinking, from the heavy drinker or "occasional
drunk", whose drinking was a matter of choice (Mann, 1958:8-9). "The statement that alcoholism is a
disease", in Mann's account, had "come as a healing balm to the tortured hearts of wives, mothers
and husbands of alcoholics, who had hopelessly clung to a lonely belief that their alcoholic wasn't the
bad character of general opinion" (Mann, 1958:4-5).
For more than half a century, "pro-drinking" advocates and publicists have explicitly drawn a contrast
between intoxication, as a derogated state, and the moderate or controlled drinking they were advocating. Thus the quasi-scientific underpinning for legalizing low-alcohol beer prior to the end of U.S..
Prohibition was provided by the argument that beer was not intoxicating (Henderson, 1933; Pauly,
1994). In the same era, it was argued that legalized drinking would bring less drunkenness and more
refined drinking practices; social arbiters took it upon themselves to teach these drinking practices to
the middle class. "It is enormously important that the Repeal of the Eighteenth Amendment should be
a success", argued a book setting forth "the lost art of polite drinking". While during Prohibition there
had been "a marked disposition to humor the drunk", the author argued, "all the same, in polite circles, the drunk cannot be tolerated. He is thoroughly reprehensible from every standpoint. (And, alas,
she is even worse!)" (Whitaker, 1933:2-4).
More recently, advocates of the argument that alcohol problems are best controlled by integration of
drinking in cultural practices specify carefully that they do not include intoxication in this argument,
however culturally integrated it may be. Thus, for instance, Morris Chafetz, long a leading exponent of
this position, specified that anyone who "has been intoxicated four times in a year" should be considered a problem drinker (Chafetz, 1967). Similarly, those touting the advantages of drinking have been
careful to specify that it is moderate drinking, and not intoxication, which they favour: "Citizens for
Moderation [represents] the interests of [those] who consume responsibly and in good health" (Citizens for Moderation, 1989). Conflating intoxicated bad behaviour with addiction, and arguing for a
"moral vision of addiction", Stanton Peele (1987b) calls for inculcating "values that are incompatible
with addiction and with drug- and alcohol-induced misbehavior", contrasting "values toward health,
moderation and self-control" with "the immorality of addictive behaviour".
Intoxication has thus remained morally reprehensible or at least questionable in North American public
discourse throughout the modern period. Those on the "wetter" side of debates about drinking practices and policies have been at pains to differentiate controlled or moderate drinking from intoxication,
and to assign opposite moral valences to them – negative for intoxication, but positive for controlled
150
or moderate drinking. The moralization of controlled or moderate drinking thus derives in the first
place from the contrast with intoxication and intoxicated bad behaviour.
But arguments for controlled or moderate drinking often seem to carry its investiture with moral significance further. Moderation in drinking becomes a positive good in itself, a moral and personal
achievement on the part of the drinker. Thus Marlatt (1985: 329, 332) argues for moderation as "the
key to lifestyle balance", as well as on the utilitarian ground that it "enhances pleasure at the least cost
to the individual". For Marlatt, "moderation represents a balance point or border area between the
extremes of absolute restraint or control and loss of control (addiction)... Moderation and a flexible
attitude contrasts sharply with excessive constraint and overcontrol" (Marlatt 1985:333, 334).
Such arguments assert or imply a moral superiority of moderate or controlled drinking over abstention
as well as over intoxication. The superiority is demonstrated by the drinker's successful self-control in
the course of each drinking occasion. "From a moderation perspective, control implies choice ...
Moderation implies learning to take it or leave it whereas control (and overcontrol) in the traditional
sense implies only the option to leave (abstain)" (Marlatt, 1985:335). As a corollary of this line of thinking, moderate drinking should be engaged in with some regularity to demonstrate its controlled nature. Thus the normative ideal of moderate or controlled drinking takes on a frequency as well as a
quantity dimension. As Duckert (1989) notes, "the most common demand for controlled drinking is
that it should take place in the form of some high-frequency low-dosage consumption"; Stockwell's
(1986) "criteria for controlled drinking", for instance, include drinking at least once a week.
8.2
Controlled/moderate drinking as a moral achievement
Behind the arguments for moderate or controlled drinking can be discerned the outlines of a coherent
worldview. It is in some ways a very old view, of the passage through daily life as a series of tests and
trials of character -- a view deep-set in the culture through such religious antecedents as Bunyan's
Pilgrim's Progress. In this modern and secularized version of the pilgrim's progress, it is drinking behaviour which becomes a daily test of character. By drinking moderately or in a controlled fashion, the
modern pilgrim exercises and demonstrates his or her self-control and rationality in a new trial every
day.
“A particularly heavy burden that society places on the individual is the demand for self-control.
By self-control we mean the exercise of a controlling response or strategy ... [on] behavior that is
either very firmly established as a long time habit or momentarily attractive, ... [behavior that is]
usually easy to execute but disadvantageous in the long run ... Moderation is prescribed by soci-
151
ety for many [such] behaviors. Diverse interest groups, however, flourish in our societies and
some thrive on producing or exalting behaviors and products that tempt the flesh, the mind, and
the palate ... [While] social rules and etiquette guide proper timing, frequency, and quantity of alcohol consumption, ... nevertheless each person is ultimately held responsible for monitoring
their judicious use of alcohol, and expected to control drinking within defined ranges and on
specified occasions. (Kanfer, 1986:30-31).
An interpretation in terms of an underlying worldview of controlled or moderate drinking as an ideology
and program of ostensive self-control explains how three separate aspects of many of the arguments
concerning controlled or moderate drinking are tied together. One of these aspects, as already noted,
is a valuation of moderate drinking over abstention. By abstaining, one is opting out of the test altogether, choosing the soft option rather than a more exacting test of one's self-control. Thus Stanton
Peele's description of the habits of a social group presented implicitly as a positive model gives
greater value to controlled use rather than either abstention or intoxication:
“When I observe public health officials, academicians, and the largely managerial class of people I
know,... hardly any have time for drinking or taking drugs in a way that leads to unconsciousness.
I haven't attended a party in years where I have seen anyone get drunk. I am perplexed when
these same people make public health recommendations or analyze addictions in a way that removes the locus of control for addictive behavior from the individual and places it in the substance -- as when they concentrate on preventing people ever from taking drugs, [and] treat alcoholism and comparable behavior as diseases.... It is a stunning case of bad values chasing out
good.” (Peele, 1987b:193-4).
The second aspect which is tied together by the worldview has also already been mentioned: it is the
negative valence on intoxication. This aspect is so taken for granted that it is often not explicitly discussed. But it is explicit in Peele's article, just quoted, which argues against "systematically overlooking the immorality of addictive misbehavior". In Peele's hands, as this phrase expresses, intoxication
and addiction are conflated into a single phenomenon; thus he is explicitly rejecting Marty Mann's
distinction between bad "plain drunks" and blameless "alcoholics". In Peele's writings, this conflation
reflects a principled skepticism, somewhat in the tradition of Thomas Szasz, about disease concepts
of addiction.
Though others would express it differently, Peele's formulation points in a direction in which North
American cultures, at least, seem to be heading. The active alcoholic (as distinguished from the recovering alcoholic) may not ever have drawn much sympathy -- but Peele is not alone in a thorough-
152
going remoralization of alcoholic, along with other intoxicated, misbehaviour. Although James Graham's book, The Secret History of Alcoholism: The Story of Famous Alcoholics and Their Destructive
Behavior (1996), accepts conventional definitions of alcoholism, the emphasis is on "the great and
distinct harm alcoholics deliberately inflict on others", and Graham warns of "an error to be avoided:
... to absolve alcoholics of responsibility for their behavior.... They should be swiftly punished for the
wrongs they commit" (Graham, 1996: xii, xviii). A recent American law-review article, noting that a
previous trend toward diminished responsibility for crimes in case of intoxication had reflected "new
medical values [which] considered intoxication and its consequences to be beyond the individual's
power to control", argues vigorously that instead the societal response to the intoxication defense
should be "just say no excuse" (Keiter, 1997). A Swedish psychiatrist takes Peele's arguments one
step further: "one could argue that anti-social acts undertaken when drunk should be punished more
vigorously than if the same deed was undertaken when sober. This radical deterrent position could be
an important public health measure" (Bergman, 1997). As originally formulated, the new Ontario disability legislation would have denied any disability support, no matter what the disability or the circumstances from which it resulted, "if the person's impairment is caused by the presence in the person's
body of alcohol [or] a drug".10
The third aspect which is tied together by the worldview is an aversion to state intervention in the alcohol market. Graham (1996:xvii) argues against "restricting the general availability of alcohol" on two
grounds: "the futility of trying to keep ... addicts away from the substance they crave", and "being
grossly unfair to those who drink moderately". Peele's (1987a) argument concerning the "limitations of
control-of-supply models" is more nuanced, but also relies on two premises: a critique of data about
the efficacy of alcohol controls, and a perception that such controls will interfere with Peele's preferred solution of the development of nongovernmental "social mechanisms for moderate drinking".
From the perspective of valorizing controlled/moderate drinking as a unifying worldview, if the state
facilitates controlled or moderate drinking by controlling the conditions of sale of alcohol, it is undercutting the trial and display of good moral character involved in drinking.
It is worth noting the implications of the worldview with respect to the role of the state. In terms of
interventions in the alcohol market, the state is a pitiful helpless giant: even if the state can accomplish
=
10
Schedule B, Part I, section 4 (2) of Bill 142, "An Act to revise the law related to Social Assistance...", 1st reading June 12, 1997; Toronto: Legislative Assembly of Ontario. This presumably would have denied support, for
instance, to a quadriplegic whose disability resulted from an intoxicated dive as a teenager into an empty
swimming-pool. As eventually passed, the legislation includes a less radical restriction, essentially disallowing
active alcohol or drug dependence or abuse per se as disabilities.
153
anything in this area, it will be counterproductive, by diminishing the role for personal responsibility
and demonstrations of self-control. In terms of controlling intoxicated misbehaviour, however, vigorous state action is called for in "holding people responsible for their drug use and other behavior"; "jail
sentences for crimes committed by alcoholics" are favoured over treatment or community-service options (Peele, 1987b: 207, 208). It might be commented, as Sedgewick (1992) does concerning Szasz,
that such thinking "owes everything to a tropism toward the absolute of punishable free will that itself
more than verges on the authoritarian". The favoring of individualized punitive controls and disfavoring
of alcohol control measures conforms to a prediction of the International Study of Alcohol Control
Experiences (ISACE):
“There is a growing conflict between increased concern about alcohol problems and the economic interests of the alcohol trade that is exacerbated by static or declining markets. In a situation of increased acceptance of drinking in everyday life, policies may tend even more toward individual control of deviant drinkers. In an era of contracting public welfare resources, this tendency may be expressed more in punitive than in treatment-oriented measures. “(Mäkelä et al.,
1981:111).
The ISACE authors, however, took an opposite tack to the literature we have been considering in their
policy conclusions about this:
“The singling out of individuals for special handling, whether in the form of treatment or punishment, often carries with it adverse side effects, for example their permanent identification as deviants. In our view, preventive alcohol policies should, therefore, be given a high priority as an alternative to the morally inspired control of problem drinkers.” (Mäkelä et al., 1981:111)
8.3
Why now?
In a paper entitled "Epidemics of the will", Eve Sedgewick (1992) considers the "extension of addiction
attribution" to a wider and wider range of behaviors as a "propaganda of free will", that is, as reflecting
"the imperative that the concept of free will be propagated". Following Foucault, Sedgewick distinguishes the addiction concept's focus on identities from an earlier emphasis on acts. But in the specific context of alcohol, a Foucauldian analysis can be applied both to the "discovery of addiction"
(Levine, 1978) and to the identification of intoxication as a cause and an explanation of bad behaviour
(Levine, 1983). Conceptually, at least, the problematization of intoxication must come first. Controlling
drinking, or giving it up, then becomes an imperative for the exercise of the will. Addiction comes into
play only as one explanation (an alternative to moral weakness) for the failure of the will. The positions
of Peele and others imply that indeed the addiction concept is superfluous to a propaganda of free
154
will. No antithesis to free will, such as compulsion or addiction, is needed to exalt and test free will; all
that is needed is the existence of bad behavior, including the fact of intoxication itself. The extension
of addiction - which Peele (1989) indeed has argued against - in fact diminishes the scope for the play
of free will.
Sedgewick goes on to ask the question, "Why now?" - why an epidemic of the will? - and argues that
the answer "must lie in the peculiarly resonant relations that seem to obtain between the problematics
of addiction and those of the consumer phase of international capitalism". In a larger historical sense,
this seems right. The idea of drinking as a test of individual free will and responsibility, and for that
matter the idea of addiction as an explanation for failing the test, make particular sense as a way of
reconciling two conflicting trends in "the consumer phase of industrial capitalism" (Room, 1989;
1997). On the one hand, the socioeconomic system depends on the production and distribution of
goods for which a continuing demand exists or can be stimulated. Alcohol and other psychoactive
substances, long the "glue of empires" (Room, 1989), are now and have often been an important
component in this system. On the other hand, modern societies also impose increased responsibility
on the individual for clear-minded and rational behaviour - behaviour, in other words, that does not
result in [harm to others]. In many developed societies, a majority of adults regularly perform exacting
tasks - driving an automobile, operating heavy machinery - where a few drinks are a threat to safety.
Parents are expected to care for their small children carefully, and couple are expected to settle their
disagreements without physical violence; heavy drinking threatens both of these expectations. In
many societies, strict sobriety is expected of workers when they are on the job (Room, 1997).
There is an obvious conflict between the socioeconomic imperative for alcohol products to be consumed and these "increasingly exacting standards of care and attention. The solution to this cultural
dilemma has been to place the burden of managing the conflict (and the blame for failure) on the individual" (Room, 1997).
The interpretation is not time-specific enough to locate the "epidemic of the will" specifically in the
"final quarter" of the twentieth century. Industrialized alcohol production, and for that matter exports of
alcoholic beverages from Europe and North America, date back much further.
Part of the explanation of the timing may indeed lie in the increased standards of care and attention.
Abuse and neglect in the family is more attended to in North America than it was 30 years ago; Mothers Against Drunk Driving (MADD) and other social movements have raised the threshold of concern
about drink-driving. But the explanation must also be sought, in my view, on the commodity side of
the equation, and in its dominant ideologies. Never in the last century has the ideology of free-market
155
consumer capitalism been so unchallenged on a global level. Any interference by the state in the international operation of markets for consumer commodities is in question if not illegitimate. The doctrine of consumer sovereignty reigns supreme for a very wide range of products: if I can afford it, noone (least of all the state) has any right to try to control my consumption of it. In this ideological climate, national and local structures of controls of the alcohol market built up in many places over the
last century have been much eroded (Mäkelä et al., 1981).
With respect to the internationally "controlled drugs", of course, the situation is very different. By a
series of international conventions, these drugs are removed from the scope of free-market commodities, and indeed are subjected to the most ambitious attempt at international market control in world
history (Room and Paglia, 1997). Ironically, the existence of this system, which is widely perceived as
having failed, has tended to become an argument against any exclusion of alcohol from the scope of
the general ideologies of free-market consumer capitalism. In the alcohol field, at least, the epidemic
of propaganda of the will reflects that the main load of responsibility for avoiding the harms to others
from drinking falls on the will of the individual drinker. It is in this context that controlled drinking becomes not only a moral achievement but also a social program.
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9 Anhang / Appendix
Anhang / Appendix A: Medienmitteilung vom 29.10.04 der Berner Gesundheit
Anhang / Appendix B: Instructions for self-monitoring your drinking (Sobell & Sobell, 2004)
Anweisung für die Selbstbeobachtung ihres Alkoholkonsums (Sobell & Sobell,
2004)
Anhang / Appendix C: Is moderation a realistic goal? (Sobell & Sobell, 2004)
Anhang / Appendix D: Exercice 1: Decisional balancing (Sobell & Sobell, 2004)
159
160
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169
Anhang/Appendix C: IS MODERATION A REALISTIC GOAL? (Sobell & Sobell, 2004)
This is a question that is often asked by individuals who have had problems with alcohol and are considering changing. The answer is not easy, and one you must make using reason, self-awareness, and
information.
HOW MAY DRINKS DID YOU CONSUME PER WEEK IN THE PAST YEAR?
To determine the number of drinks you drank per week in the last year complete the following three
questions:
Question 1: On average, how many days per week (from 0 to 7) did you drink? ____
Question 2: On average, when you did drink, how many standard drinks per day did you drink?
_____
One standard drink =
12 oz. of regular beer (5% alcohol) or
5 oz. glass of wine (12% alcohol), or
1.5 oz. of hard liquor
Calculating your average drinks per week:
To calculate the number of standard drinks you consumed per week last year, multiply your answers
to Question 1 x Question 2 and put the answer in the blank on the next line.
Number of drinks per week on average that I drank last year = ________ drinks/week
170
SELECTING A DRINKING GOAL
When people are considering changing their alcohol use, an important thing to do is to decide on a
drinking goal. In this regard, complete the next section.
My current goal is (check only one)
A. _____ Not to Drink at All
B. _____ To Drink in a Limited Manner
If your goal is to drink in a limited manner, please complete the following four statements (B1, B2, B3, & B4):
B1. On an average day when I do drink, I plan to drink no more than ____ standard drinks per day.
B2. During an average week (from 0 to 7 days), I plan to drink on no more than _______ days.
B3. When I drink, I plan to drink only under the following conditions:
________________________________________________________________________________________
B4. I plan not to drink at all under the following conditions:
________________________________________________________________________________________
If you are thinking of drinking moderately, here are some key questions to ask yourself:
a. Have you ever been able to drink at low levels and without problems? If your answer is no, why is
it reasonable to think you can do so now?
b. Would it be easier to not drink at all than to have 1 or 2 drinks and then stop? If your answer is
“it’s easier to not drink,” ask yourself whether having a limited drinking goal is worth the added
risk?
171
c. What would be your reason for drinking? If your answer is that you like the effects the alcohol has
on you, then limited drinking is not be a good idea for you because people develop tolerance to
alcohol such that alcohol affects them less and less. As a result, they start to drink more and
more to achieve the desired effect, and that leads to problems. Limited drinking should be for
social reasons only, not to experience the effect.
d. In summary, is your drinking goal realistic? Put down what you wrote for your answers to Questions B1 and B2 above.
Question B1: What did you put down for the number of days you planned to drink per week?
_____
Question B2: What number did you write down for the average number of drinks you would consume on a drinking day? ______
RECOMMENDED GUIDELINES FOR MODERATE DRINKING
The following guidelines are based on several large population studies that suggest that if most people drink below these guidelines, then generally they will not have problems or put themselves at the
risk of alcohol problems.
Males: Drink no more than 12 drinks per week and no more than 3 drinks in a day
Females: Drink no more than 8 drinks per week and no more than 2 drinks in a day
More important guidelines
If your drinking goal is within recommended guidelines and you decide it is something you can
achieve, the following guidelines are also important for avoiding drinking related risks and/or problems
•
Don’t drink every day
•
Don’t drink for the effects (such drinking is risky because over time you will need more to
achieve the same effect)
•
Don’t drink to get drunk or to get “intoxicated”
•
Don’t drink and drive
172
•
Don’t drink if you have legal sanctions (e.g., probation, parole) or social sanctions (e.g., from
family, spouse) that prohibit the use of alcohol
•
Don’t drink when boating, swimming, hunting, or engaging in other recreational activity or using power tools
•
Don’t drink if pregnant or trying to become pregnant
•
Don’t drink if taking medications that interact with alcohol
•
Don’t drink if you have a medical condition that could be affected by alcohol (e.g., diabetes,
ulcers, high blood pressure)
SUGGESTIONS FOR KEEPING YOUR DRINKING AT MODERATE LEVELS
•
Have some abstinent days each week
•
Drink slowly and make the drink last longer
•
Pace your drinking—limit your drinking to 1 drink an hour
•
Have non-alcoholic drinks between alcoholic drinks
•
Choose beer and wine with lower alcohol content
•
Notice people, places, or times that trigger your drinking
•
Keep track of how much you drink by recording it. This will make you aware of how much you
drink and your patterns. By monitoring you can see changes you’ve made
•
Decide when, where & how much you will drink ahead of time; not drinking is always an option
•
Stop and Think: When you want to drink, stop and wait 20 minutes before deciding to have a
drink; then ask yourself why you are having the drink and if it exceeds your goal
CONFIDENCE AND IMPORTANCE RATINGS OF YOUR GOAL
Now that you have selected a goal, evaluate how important your goal is and how confident you are
about achieving your goal.
AT THIS MOMENT, HOW IMPORTANT IS IT THAT YOU ACHIEVE YOUR STATED GOAL?
Using the following scale, answer this question by writing a number from 0 to 100 in the designated
space below.
173
0
25
50
75
100
Not
important
at all
Less
important
than most
of the other
things I
would like
to achieve
now
About as
important
as most of the
other things
I would
like to
achieve now
More
important
than most
of the other
things I
would like
to achieve now
The most
important
thing in
my life
I would like
to achieve
now
Write your goal importance rating (from 0 to 100) here: _________
How Important is Your Goal? Look at what you put down on your goal statement and ask yourself the
following questions:
•
Is my goal sufficiently important that I will work to achieve it even if progress is slow or sometimes difficult?
•
Are there competing priorities that could interfere with achieving my goal?
AT THIS MOMENT, HOW CONFIDENT ARE YOU THAT YOU WILL ACHIEVE YOUR STATED GOAL?
Using the following scale, answer this question by writing a number from 0 to 100 in the designated
space below.
0
25
50
75
100
I do not
think I will
achieve
my goal
I have a 25%
chance of
achieving
my goal
I have a 50%
chance of
achieving
my goal
I have a 75%
chance of
achieving
my goal
I think I will
definitely
achieve
my goal
Write your confidence rating (from 0% to 100%) here: ____%
How Confident are You That You Can Achieve Your Goal? Look at what you put down on your goal
statement and ask yourself the following questions:
•
Taking everything into account, how realistic is my confidence rating?
•
What could interfere with my achieving your goal, if anything?
174
ARE YOU READY TO CHANGE?
Below are four different combinations of importance and confidence ratings. Look at your ratings and
determine which combination best describes you at the present time.
•
Low Importance, Low Confidence: Such individuals typically neither see change as important nor believe they can succeed in making changes if they tried. This suggests they are
not very ready to change at the present time. If you are in this category you might ask yourself
what it would take to get you to commit to changing.
•
Low Importance, High Confidence: Such individuals typically are confident they could
change if they thought it were important, but are not persuaded that they want to change at
the present time. If you are in this category you might ask yourself what it would take to tip
the scale in favor of your deciding to change.
•
High Importance, Low Confidence: Here the problem is not a person’s willingness to
change as such individuals are expressing a desire to change. Rather the problem is that such
individuals typically do not have confidence they could succeed if they tried. That is, people
are ready to try to change, but they feel that they will be unable to change even if they try. If
you are in this category you might ask yourself why you feel you cannot succeed at changing;
that is, what is interfering with you confidence to change? Are there things you can do to increase your confidence?
•
High Importance, High Confidence: Such individuals not only feel that it is important to
change, but also believe they can succeed. These individuals appear very ready to change. If
you are in this category then it appears you are at a good stage in the change process.
SELF-MONITORING
Finally, you may want to start monitoring your daily drinking to see exactly when you drink, how much,
and what triggers your drinking both at low and high levels. To self-monitor your drinking you can use
the self-monitoring logs that are in Appendix 1 of this book.
Self-monitoring can help you accurately record information about your drinking and changes you
make. It also allows you to evaluate your progress toward your goals. If you don’t drink, you should
record a “0” for that day. If you do drink you simply record the total number of drinks for the day in the
relevant column on the log.
175
Self-monitoring can help you identify high-risk situations by looking at days where you drank heavily.
This type of information allows you to develop better coping strategies and alternatives for problem
drinking situations. Self-monitoring can also provide information about situations in which you did not
drink or successfully limited your drinking.
Although self-monitoring requires some time and commitment, people who have self-monitored their
drinking report that it provides a better understanding of how much they drink and of situations related to their drinking.
FINAL CONSIDERATIONS
If your goal is below the recommended guidelines and you are not putting yourself at risk of consequences if you drink, then moderation might be an appropriate goal.
Remember
•
If you try it and it works, you take the credit!
•
If your try and it doesn’t work, you can change your goal.
•
While some people who have had alcohol problems return to moderate drinking, it is not for
everyone.
•
When you select an abstinence goal you only have to make one decision. If you decide to
moderate your drinking there is a decision to make every time you take a drink. For some
people it is easier to just make one decision and not drink.
•
Like learning any new skill, whether it is learning how to play tennis or how to cook a new
special dish, learning how to drink moderately will require practice.
•
It will also require conscious effort and focus for a time.
•
You will be learning new habits and until it becomes routine you will have to be very focused
and aware of what you are doing.
•
Lastly, moderation is not for everyone and for many reasons it may be too difficult for some
individuals at the present time.
•
If you have further concerns and questions about the feasibility of a moderate drinking
goal you should consult a knowledgeable professional in the field who understands alternative goals to abstinence.
176
If your goal exceeds the recommended guidelines or if there are any contraindications, whatever they may be, to your drinking alcohol, you are putting yourself at risk of consequences
and should not drink moderately.
REMEMBER DRINKING MORE THAN THE RECOMMENDED AMOUNTS OR DRINKING
WHEN DRINKING IS CONTRAINDICATED IS NOT MODERATE DRINKING!
•
Lastly, this document only contains suggestions and they cannot be expected to address everyone’s situation. They are here to help you start thinking about changing your alcohol use.
•
Further concerns and questions about the feasibility of your use of alcohol should be sought
from a knowledgeable health care professional.
THINKING ABOUT CHANGING YOUR DRINKING:
DECISION TO CHANGE EXERCISE
In thinking about changing, you can do one more thing. Ask yourself what do I stand to lose and gain
by continuing my current drinking?
What role does my current drinking play in my life? At some point, you may have received
real benefits from your past drinking. However, because you are now reading this, you are more than
likely reconsidering those benefits and focusing on the costs of your current drinking.
One of the things that can help you clarify your thoughts about changing your drinking is to list all the
benefits and costs of changing or continuing your current alcohol use.
Go to Appendix 2 at the end of this book and there is an exercise that is called Decision to Change Exercise. This exercise is intended to help think about the costs and benefits of
changing, and to think about what is involved in your decision to change your alcohol use.
It’s your decision to change! You are the one who must decide what it will take for you to tip the
scale in favor of change.
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