Alkoholam - WHO/Europe - World Health Organization

Transcription

Alkoholam - WHO/Europe - World Health Organization
Alkohol am
Arbeitsplatz
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EUROPA
Regionale Veröffentlichungen der WHO
Europäische Schriftenreihe Nr. 67
Schriftenreihe zum Europäischen Aktionsplan Alkohol
Evaluierung und Monitoring von alkoholbezogenen Maßnahmen, von Peter
Anderson und Juhani Lehto.
Handlungsansätze zur Steuerung des Alkoholkonsums,
von Juhani Lehto.
Wirtschaftliche Aspekte der Alkoholpolitik, von Juhani Lehto.
Alkohol und die Massenmedien, von Marjatta Montonen.
Gemeindebezogene Alkoholinitiativen und kommunale Maßnahmen, von Bruce
Ritson.
Alkohol und primäre Gesundheitsversorgung, von Peter Anderson.
Therapieansätze bei Alkoholproblemen, von Nick Heather.
Jugendliche und Alkohol, Drogen, Tabak, von Kellie Anderson.
Alkohol am Arbeitsplatz, von Marion Henderson, Graeme Hutcheson und
John Davies.
Die Weltgesundheitsorganisation ist
Vereinten
Nationen, die sich in erster Linie mit internationalen Gesundheitsfragen und
der öffentlichen Gesundheit befaßt. Über diese 1948 gegründete Organisation tauschen Vertreter der Gesundheitsberufe von über 190 Ländern ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus, in dem Bestreben, allen Menschen der Welt
ein Gesundheitsniveau zu ermöglichen, das es ihnen erlaubt, ein sozial und
wirtschaftlich produktives Leben zu führen.
Das WHO -Regionalbüro für Europa ist eines von sechs Regionalhüros in allen
Teilen der Welt, die eigene auf die Gesundheitsbedürfnisse ihrer Mitgliedsländer abgestimmte Programme haben. In der Europäischen Region
leben rund 870 Millionen Menschen - in einem Gebiet, das von Grönland im
Norden und dem Mittelmeer im Süden bis zu den Küstengebieten Rußlands
am Pazifik reicht. Deshalb konzentriert sich das europäische Programm der
WHO sowohl auf die Probleme der Industriegesellschaft als auch auf die
Probleme der neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa sowie in der ehemaligen Sowjetunion. Die Tätigkeiten des Regionalbüros im Rahmen seiner
Strategie Gesundheit für alle" erstrecken sich auf folgende drei Schwerpunktbereiche: gesunde Lebensweisen, gesunde Umwelt und bedarfsgerechte
Dienste zur Prävention, Behandlung und Gesundheitsversorgung.
Charakteristisch für die Europäische Region ist ihre Sprachenvielfalt, die die
Informationsverbreitung erschwert. Deshalb werden Anträge auf Genehmigung der Übersetzung von Büchern des Regionalbüros begrüßt.
Weltgesundheitsorganisation
Regionalbüro für Europa
Kopenhagen
Alkohol
am Arbeitsplatz
von
Marion Henderson,
Graeme Hutcheson
und John Davies
Centre for Applied Social Psychology,
University of Strathclyde,
Glasgow,
Vereinigtes Königreich
Regionale Veröffentlichungen der WHO, Europäische Schriftenreihe Nr. 67
CIP- Kurztitelaufnahme der WHO- Bibliothek
Henderson, Marion
Alkohol am Arbeitsplatz / von Marion Henderson, Graeme Hutcheson,
John Davies
(Regionale Veröffentlichungen der WHO. Europäische Schriftenreihe ; Nr. 67)
1. Alkoholgenuß 2. Alkoholismus - Prävention und Kontrolle 3. Arbeitsmedizin
4. Arbeitsplatz 5. Europa I. Davies, John II.Hutcheson, Graeme III.Titel IV. Serie
ISBN 92 890 7331 4
ISSN
(NLM- Klassifikation: WM 274)
0258 -2155
Das Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation begrüßt Anträge auf auszugsweise
oder vollständige Vervielfältigung oder Übersetzung von Veröffentlichungen der Organisation; entsprechende Anträge und Anfragen sind zu richten an: WHO Regionalbüro für Europa (Referat Publikationen), Scherfigsvej 8, DK -2100 Kopenhagen 0, Dänemark. Das Referat erteilt außerdem Auskünfte über eventuelle Textänderungen, geplante Neuauflagen, Neudrucke und Übersetzungen.
© Weltgesundheitsorganisation 1998
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Die in dieser Veröffentlichung vorgetragenen Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und repräsentieren nicht unbedingt die Beschlüsse oder die erklärte Politik
der Weltgesundheitsorganisation.
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Danksagung
Die Autoren danken für die großzügige Hilfe, die ihnen freundlicher-
weise von einer so großen Zahl von Organisationen und Personen
entgegengebracht wurde, daß diese hier nicht im einzelnen genannt
werden können. Darüber hinaus gebührt jedoch ein ganz besonderer
Dank den nachstehend aufgeführten Personen:
Peter Anderson, WHO -Regionalbüro far Europa; Rik Bijl, Stichting
Alcohol Consultancy, Zeist, Niederlande; Judith Billingham, Alcohol
Concern, Wales; Richard Brooks, Department of Economics,
Strathclyde University; Elizabeth Cain, Department of Health, Housing,
Local Government and Community Services, Canberra, Australien;
City of Liverpool Development and Environmental Services Direc-
torate; Jorge Coutinho, Centro Regional de Alcoologia do Porto,
Portugal; Alex Crawford, Director, Renfrew Council on Alcohol;
Richard Cyster, Regional Alcohol Coordinator, Regional Service Development Centre, Leeds; Adrian Davies, Maureen McClelland und
Ivan Miller, Scottish and Glasgow Councils on Alcohol; Cécile
Delmarcelle, Orée Communications, Brüssel; John Duffy, University
of Edinburgh; Andy Fox, Centre for Applied Social Psychology,
Strathclyde University; Jean J. Franck, Conseil National Luxembourgeois d'Alcoologie, Luxemburg; Andrea Hutcheson, Priory Hospital,
Scotland; Angela Kerigan, Centre of Applied Social Psychology,
Strathclyde University; Scott Macdonald, Addiction Research Foundation, Kanada; John Marsden, Turning Point, London; M.T. Pérez
Martinez, APTA, Madrid; Andrew McNeil, Institute of Alcohol
Studies, London; Jacek Morawski, Alcohol and Drug Information
Centre, Warschau; Jacel Moskalewicz, Institut für Psychiatrie und
Neurologie, Polen; Joyce O'Connor, National College of Industrial
Relations Limited, Dublin; Alastair J. Ross, Centre for Applied Social
Psychology, Strathclyde University; Martina Rummel, Projekt Alkohol am Arbeitsplatz, Landesstelle gegen die Suchtgefahren e.V. Berlin, Deutschland; Edward Sawka, Alberta Alcohol and Drug Abuse
Commission, Kanada; Les Schäfer, Universität Hamburg; Behrouz
iii
Shahandeh, International Labour Office, Genf; William J. Staudenmeier, Eureka College, Illinois, USA; Advisory Council on Alcohol
and Drug Education, London; Konstantin von Veitinghoff -Scheel,
Corporate Caring Systems, Brüssel; Linda B. Wright, Centre for
Applied Social Psychology, Strathclyde University; sowie Uglijesa
Zvekic, United Nations Interregional Crime and Justice Research
Institute, Italien.
iv
Inhalt
Seite
Einleitung
Historischer Überblick
Managementstil
Alkoholkonsum am Arbeitsplatz
Alkoholpolitik
1. Die Auswirkungen des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz
Alkoholbedingter Arbeitsausfall
Unfälle
Arbeitsleistung
Arbeitsbeziehungen
2. Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
Alkoholindustrie - Generelle Auswirkungen auf die
Volkswirtschaft
Geschätzte volkswirtschaftliche Kosten des
Alkoholkonsums
Kosten und Nutzen im Zusammenhang mit dem
Alkoholkonsum
3.
4.
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5
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15
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Faktoren, die mit dem Alkoholkonsum am Arbeitsplatz
zusammenhängen
Arbeitsplatzspezifische Faktoren
Arbeitsspezifische Faktoren
Die Wirkung normaler" Arbeitspraktiken
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Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Gestaltung der Politik
Beispiele für die Gestaltung der Alkoholpolitik
Evaluierung der Alkoholpolitik
Aufklärung
Ist Aufklärung wirkungsvoll?
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38
39
39
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5.
Tests und Screening
Ziele
Die Reaktion der Gewerkschaften
Rechtliche Aspekte
Verfahrens- und Sicherheitsstandards
Methoden und Interpretationen
Die Zuverlässigkeit von Tests
Mit Testprogrammen assoziierte Ergebnisse
Testhäufigkeit im Unternehmen
6.
Erfassungsgrad der Alkoholpolitik............
Methodologische Probleme
Der Anteil von Unternehmen mit einer aktiven
Alkoholpolitik
Ein besserer Erfassungsgrad
7.
Diskussion
Volkswirtschaftliche Dimensionen des Alkohols
Die Reaktion der Industrie auf Alkohol
Literaturhinweise
vi
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...e........... ... 79
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97
Einleitung
Alkohol ist das heutzutage weltweit am meisten verbreitete
Rauschmittel und Bestandteil des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in vielen Ländern. So wird beispielsweise in
Australien geschätzt, daß 74% der Männer und 52% der Frauen Alko-
hol trinken (1). Ähnlich hoch ist der Alkoholkonsum in den Vereinigten Staaten, wo Schätzungen zufolge 1988 rund 68% der Männer
und 47% der Frauen regelmäßig Alkohol tranken (2, 3). Die Zahl der
Alkoholfreunde in der Europäischen Region - mit einer traditionell
ausgeprägteren Trinkkultur - liegt weit über diesen Schätzwerten;
Studien haben gezeigt, daß 85% der über 15jährigen Alkohol trinken.
In dieser Gruppe der Alkoholtrinker ist - wie auch in anderen Ländern - der Anteil der Männer höher und liegt schätzungsweise bei ungefähr 90% (4).
Angesichts der physiologischen und verhaltensbezogenen Auswirkungen, die Alkoholgenuß haben kann, ist ein derart verbreiteter Alkoholkonsum äußerst besorgniserregend. Diese Problematik wird in
dem Bericht The health of the nation zum gesundheitspolitischen Programm für England (5), das eine Reihe von Gesundheitszielen für die
Zukunft vorgibt - verdeutlicht. Zu diesen Zielvorgaben gehören u. a
die Inzidenz von Herzkrankheiten, Schlaganfällen, Krebserkrankun-
gen und Unfällen zu verringern sowie die sexuelle und geistig seelische Gesundheit zu verbessern. In sämtlichen dieser Zielvorgaben wird auf den Alkohol eingegangen, der als einer der Risikofaktoren in dem Bericht genannt wird. Dementsprechend verwundert es
nicht, daß ein spezifisches Ziel lautet, bis zum Jahr 2005 eine 30 %ige
Verringerung der Zahl der übermäßigen Trinker (d. h. Personen, die
mehr trinken als die als ungefährlich angesehenen Mengen von
21 Alkoholeinheiten pro Woche bei Männern und 14 Alkoholeinheiten pro Woche bei Frauen) zu erreichen. Auch auf internationaler Ebene werden die potentiell gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums mit Sorge betrachtet, wie die folgende
Aussage (6) zeigt:
1
Alkohol am Arbeitsplatz
1980 haben die europäischen Mitgliedstaaten der WHO ein gemeinsames gesundheitspolitisches Rahmenkonzept, die Regionalstrategie
zur Erreichung der Gesundheit für alle" bis zum Jahr 2000, beschlossen. Als weiteren Schritt verabschiedete das WHO -Regionalkomitee
für Europa 1984 38 Ziele, in denen die Mindestfortschritte beschrieben werden, die die europäischen Länder erzielen müssen, um die Gesundheit zu verbessern und die Gesundheitsprobleme zu verringern. In
12 dieser 38 Ziele wird in irgend einer Form auch auf den Alkohol
eingegangen, insbesondere im Ziel 17, das folgendermaßen lautet:
Bis zum Jahr 2000 sollte der gesundheitsschädigende Konsum Abhängigkeit bewirkender Stoffe wie Alkohol, Tabak und psychotroper
Substanzen in allen Mitgliedstaaten erheblich zurückgegangen sein ".
Alkoholgenuß hat höchstwahrscheinlich auch Konsequenzen fur die
Arbeitswelt, denn es hat sich vielfach gezeigt, daß Alkoholkonsumenten hauptsächlich in der erwerbstätigen Bevölkerung zu finden
sind. Besonders schwerwiegend kann Alkoholkonsum am Arbeitsplatz sein, da er die individuelle Leistung des Menschen beeinträchtigt und sich z. B. auf die Produktivität, die Unfallzahlen, die Arbeitsbeziehungen und die Fehlzeiten auswirken kann. Die mit dem Alkoholkonsum am Arbeitsplatz möglicherweise verbundenen Kosten
wurden kürzlich in Forschungsvorhaben und in Gesundheitskampag nen herausgestellt, ebenso wie der mutmaßliche Beitrag des Alkoholgenusses zu einer Reihe von spektakulären Betriebsunfällen. Die negativen Auswirkungen von Alkohol am Arbeitsplatz sind somit ein
wichtiges Anliegen für die Arbeitgeber, was zur Einführung von Konzepten geführt hat, die auf ein Verbot oder zumindest die Kontrolle
des Alkoholkonsums abzielen.
Die vorliegende Untersuchung dient speziell dem Zweck, die Auswirkungen des Alkoholkonsums im Arbeitsbereich zu untersuchen und
festzustellen, welche Maßnahmen Unternehmen diesbezüglich treffen
können. Es wurde versucht, das einschlägige Schrifttum über Alkohol
am Arbeitsplatz so unvoreingenommen und sachlich wie möglich zu
untersuchen. Wie bei jedem als wissenschaftlich" deklarierten Versuch muß man sich dabei strikt um Objektivität bemühen, die eigenen
Interpretationen mit den Interpretationen anderer überprüfen und so
Weit wie möglich eine Beeinflussung durch persönliche Ansichten
und Ideen hierzu ausschalten. Nichtsdestotrotz sind wir uns dessen
bewußt, wie schwierig es ist, diesen Themenkomplex ganz objektiv
anzugehen. Es ist klar, daß die Alkoholproblematik am Arbeitsplatz
und die Unternehmenspolitik bezüglich alkoholbedingter Probleme in
2
Einleitung
gewissem Maß eine Reihe von ethischen und moralischen Ansichten
oder Beurteilungen beinhaltet. Wir sind uns auch darüber im klaren,
daß die unterschiedlichen individuellen politischen Meinungen wahrscheinlich einen Einfluß darauf haben, welche Interventionen oder
Konzepte favorisiert werden.
HISTORISCHER ÜBERBLICK
Eine Kenntnis der Geschichte des Alkoholkonsums ist eine sinnvolle
Voraussetzung zum Verständnis der gegenwärtigen Alkoholproblematik und diesbezüglichen Maßnahmen am Arbeitsplatz.
Die dem Alkohol von jeher beigemessene Bedeutung und sein Stellenwert können u. a. in seiner Verwendung als Zahlungsmittel gesehen werden. Vor dem Industriezeitalter wurde in Rußland z. B. bei
Geldmangel Wodka als Bargeldersatz benutzt - eine Praxis, die vermutlich auch in anderen Regionen, u. a. England, Kontinentaleuropa
und den britischen Kolonien in Amerika üblich gewesen war. Selbst
wenn Bargeld zur Verfügung stand, war es wegen der Differenz zwischen dem Real- und Nominalwert für die Arbeitgeber eher vorteilhaft, ihre Arbeiter mit Sachwerten zu entlohnen (7). In Zeiten des Arbeitskräftemangels diente Alkohol auch dazu, alkoholabhängige Personen für unattraktive, schwere Arbeiten anzuwerben.
Warner (8) behauptet, daß Alkohol keineswegs einen negativen Einfluß hatte, sondern u. U. zur Erhöhung der Produktivität beigetragen
haben kann, weil er es den Arbeitern erleichtert hat, stundenlang unter
häufig extrem ungünstigen Bedingungen zu arbeiten. Eine derartige
Verwendung des Alkohols scheint hier der Art und Weise zu ähneln,
in der Rauschmittel wie Kokablätter (in Peru) und Cannabis (in Jamaika) bei körperlicher Schwerarbeit eingesetzt worden sind. Ob nun
Alkohol tatsächlich, wie Warner behauptet, die Produktivität verbessert hat oder nicht - zumindest hat man ihm eine solche Wirkung zugeschrieben. Zu den vorherrschenden Ansichten über Alkohol, die
seinen Konsum unter Arbeitern förderten, gehörten, daß er Schutz gegen extreme Hitze und Kälte bietet, zur zügigeren Arbeit anregt und
Krankheiten vorbeugt. Aufgrund dieser Ansichten waren vom 17. bis
19. Jahrhundert die Arbeiter meist nur wenig geneigt, während der
Arbeit auf Alkohol zu verzichten (7). Somit hat die wohlwollende
3
Alkohol am Arbeitsplatz
Akzeptanz oder zumindest stillschweigende Duldung des Alkoholgenusses am Arbeitsplatz eine lange Tradition.
Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert veranlaßte die Arbeitgeber zu hohen Investitionen in Fabriken und Maschinen und brachte
dementsprechend auch die Notwendigkeit mit sich, eine große Zahl
von qualifizierten Arbeitnehmern regelmäßig zu beschäftigen. Eine
strenge Organisation der Arbeitsabläufe erwies sich als schwierig,
wenn die Arbeiter während - wie auch außerhalb - der Arbeitszeit
übermäßige Alkoholmengen konsumierten. Deshalb lag es im Interesse der Arbeitgeber, das Trinkverhalten ihrer Beschäftigten durch Veränderung der Arbeit und sozialen Gewohnheiten, Einstellungen und
Lebensweisen der Arbeiterklasse" - in dem Versuch, den Industrialisierungsprozeß zu verstärken - unter Kontrolle zu bringen (9). Die industrielle Revolution wird häufig als einer der Faktoren genannt, die
den Anstoß für eine weitreichende Kontrolle der Trinkgewohnheiten
gegeben haben kann und sie kann als ein Auslöser für die Abstinenz lerbewegungen in zahlreichen Ländern gesehen werden (10).
Die industrieller Revolution bildet auch den historischen Hintergrund
für die ganz unterschiedlichen Auffassungen über die Rollen der Ar-
beitnehmer und der Arbeitgeber in der allgemeinen Arbeitswelt Rollen, die wichtige Implikationen für die Etablierung von gesundheitsbezogenen Konzepten haben. In der Vergangenheit gibt es etliche
Beispiele für unmenschliche, ausbeuterische Praktiken zu Beginn des
19. Jahrhunderts. Die Arbeitgeber betrachteten die Arbeiter häufig nur
als eine Ressource, die zur Erzielung höchstmöglichen persönlichen
Gewinns ausgebeutet werden konnte. Allerdings wurde klar, daß die
Arbeiter besser motiviert seien und effizienter arbeiten könnten, wenn
einige ihrer Grundbedürfnisse - Vergütung, Arbeitsverträge und ein
besseres Arbeitsmilieu - befriedigt würden. Es wurden Bemühungen
unternommen, den Bedürfnissen der Arbeiterschaft in verschiedenen
Bereichen zu entsprechen, u. a. durch bessere Wohnverhältnisse,
Schulen und medizinische Einrichtungen. Der Erfolg eines solchen
Ansatzes kann an Orten wie New Lanark in Schottland gesehen werden, wo die Unternehmer im Umfeld einer Fabrik Versorgungseinrichtungen für die Arbeiter schufen. Die Unternehmer begannen, mit
einer breiten Palette von Tätigkeiten, u. a. zur Verbesserung des
Wohnstandards, mehr Verantwortung für das Leben und Wohlergehen
ihrer Arbeitnehmer zu übernehmen.
4
Einleitung
MANAGEMENTSTIL
In der Managementliteratur der 1960er und 70er Jahre wird der Unterschied zwischen zweckbetontem" und aufgeklärtem" Management durch einige nicht -akademische, aber dennoch nicht weniger
prävalente Anschauungen unterstrichen. Auf der einen Seite tendieren
diejenigen, die andere beschäftigen dazu, der Arbeitgeberrolle fundamentale Bedeutung beizumessen. Der Arbeitgeber ist der Risikoträger, der Unternehmer, der Industriekapitän und dementsprechend wird
davon ausgegangen, daß die Arbeitnehmer gegenüber diesen Risikoträgern sowie gegenüber den Aktionären, die das Unternehmen unterstützen, eine Pflicht haben. Gemäß einer solchen Philosophie kann
Arbeit als ein Privileg angesehen werden. So verwundert es vielleicht
auch nicht, daß eine derartige Sichtweise in Zeiten der Wirtschaftsrezession die Oberhand gewinnt und Unterstützung in den Medien erführt. Demgegenüber steht der Gedankengang, daß ohne Arbeitnehmer überhaupt nichts hergestellt würde oder erreicht werden könnte.
Aus diesem Blickwinkel haben die Arbeitgeber eine Pflicht gegenüber
den Arbeitnehmern, ohne die sie machtlos wären. Diese zweite
Sichtweise gewinnt in Zeiten des Wirtschaftswachstums an Bedeutung.
Beide Sichtweisen der relativen Rolle des Arbeitsgebers und des Arbeitnehmers sind wichtig und es ist hier von Interesse, auf eine der
derzeit populären Managementtheorien einzugehen. McGregor
(11,12) teilte Managementtheorien in zwei simple Kategorien ein, die
er Theorie X und Theorie Y nannte. Nach der Theorie X ist das Management für die Organisation der Elemente produktiver Unternehmensführung - Geld, Materialien, Ausstattung und Personal - im
ökonomischen Interesse verantwortlich. In bezug auf die Mitarbeiter
beinhaltet dies, ihre Bemühungen zu leiten, sie zu motivieren, ihr
Verhalten zu kontrollieren und ihr Handeln den Erfordernissen der
Organisation anzupassen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Management stark, erforderlichenfalls hart, zwingend und kontrollierend.
Nach Meinung von McGregor ist eine solche Managementtheorie überholt, ineffizient und wohl kaum von optimalem Nutzen für Arbeitgeber
oder Arbeitnehmer. Er schlug eine Theorie Y vor, in der es die zentrale
Aufgabe des Management ist, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe
so zu organisieren, daß die Mitarbeiter ihre eigenen Ziele am besten durch
Ausrichtung ihrer Bemühungen auf organisatorische Ziele erreichen
5
Alkohol am Arbeitsplatz
können. Das Motto dieser Theorie lautete Management durch Zielvorgaben und nicht Management durch Kontrolle ". Das kommt den
Vorstellungen von Maslow (13) nahe, der die Meinung vertrat, daß
die Mitarbeiter ein Bedürfnis zur Selbstverwirklichung" hätten. Diesen modernen Managementtheorien" zufolge ist es Aufgabe der Manager, die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, sich durch ihre Arbeit
selbst zu verwirklichen.
Die Reaktionen von Organisationen auf Alkoholprobleme ihrer Arbeitnehmer reflektieren die beiden vorstehend beschriebenen Perspektiven der Managementtheorie. Vom Standpunkt der Theorie X
sollte ein Arbeitnehmer, dessen Arbeit durch Alkoholkonsum beeinträchtigt wird, ganz einfach entlassen und durch jemanden ersetzt
werden, dessen Arbeit nicht derart beeinträchtigt wird. Eine solche
Handlungsweise dürfte aus ökonomischer Sicht die effizienteste Art
sein, auf diese Situation zu reagieren - zumindest wenn die betreffende Arbeit keine spezielle berufliche Ausbildung voraussetzt und wenn
es andere Interessenten gibt, die diese Arbeit tun möchten. Aus dem
Blickwinkel der Theorie Y könnte man argumentieren, daß das Management eine Verpflichtung gegenüber seinen Arbeitern hat, darunter auch hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer Gesundheit und sozialen Verhältnisse. In diesem Fall sollte versucht werden, sich um
Arbeitnehmer mit einem Alkoholproblem zu kümmern, anstatt sie
automatisch zu entlassen. Obgleich der Managementstil wahrscheinlich Auswirkungen darauf hat, wie Mitarbeiter mit Alkoholproblemen
behandelt werden, ist er dafür nicht der einzige ausschlaggebende
Faktor. Es gibt etliche andere Aspekte, die in Betracht gezogen werden müssen, beispielsweise gesetzliche Bestimmungen und Sicherheitsanforderungen.
ALKOHOLKONSUM AM ARBEITSPLATZ
Aus vielfältigen historischen und anderweitigen Gründen ist klar, daß
eine Untersuchung des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz ein Minenfeld widersprüchlicher Werturteile ist. Es kann angeführt werden, daß
dort, wo präzise oder komplexe Aufgaben durchgeführt werden müssen (beispielsweise bei der Fertigung technisch komplizierter Geräte)
oder wo in irgendeiner Weise lebensgefährliche Tätigkeiten durchgeführt werden, die Mitarbeiter in einem solchen Fertigungsprozeß oder
6
Einleitung
bei Durchführung solcher Tätigkeiten völlig nüchtern und fachkompetent sein müssen. In Fällen, in denen die öffentliche Sicherheit und
die Sicherheit der Mitarbeiter betroffen ist, können die Strafen bei
Alkoholkonsum sehr streng sein; in einigen Transport- und Verkehrsbetrieben kann beispielsweise ein positiver Atemalkoholtest Grund
zur sofortigen Entlassung sein. Deshalb können Sicherheitserwägun gen und die besonderen Erfordernisse einer Tätigkeit sich signifikant
auf Entscheidungen darüber auswirken, wie Arbeitnehmer, die einen
über den Durst getrunken haben" zu behandeln sind. Die Entlassung
eines Beschäftigten, die Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern mit
Alkoholproblemen und die Rehabilitation und Wiedereingliederung
von Problemtrinkern in den Arbeitsprozeß sind mit etlichen Kosten
verbunden. Die Unternehmen müssen natürlich alle Optionen unter
dem ökonomischen Gesichtspunkt der Kosten -Nutzen -Relation prüfen; wenn nachgewiesen werden kann, daß es aus wirtschaftlicher
Sicht sinnvoll ist, Mitarbeiter mit Alkoholproblemen zu behandeln,
bietet dies einen überzeugenden Grund für therapeutische Maßnahmen.
Die Antwort darauf, inwieweit die verschiedenen Ansichten über die
relative Verantwortlichkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
auch in bezug auf das spezifische Problem des Alkoholkonsums am
Arbeitsplatz Gültigkeit haben, wird noch durch das Fehlen einer klaren Definition von Alkoholmißbrauch" oder Alkoholismus" erschwert. Wenn man sagt, daß jemand an Alkoholismus leidet, bedeutet das, zumindest implizit, die Perspektive des krankheitsmäßigen
Alkoholkonsums zu akzeptieren - eine Perspektive, die davon ausgeht, daß der Alkoholkonsum eines Individuums aus einer (für gewöhnlich) angeborenen Veranlagung oder Neigung, Alkohol zu trinken, herrührt. Aus dieser Sicht ist die Person mit einem Alkoholproblem genau so krank" wie etwa jemand, der an einer Lungenentzündung, einem Knochenbruch oder irgend einer sonstigen Funktionsstörung leidet. Demgemäß sollte dann das Verhalten des Arbeitsgebers
gegenüber einem Arbeitnehmer, der ein Alkoholproblem hat, genau so
sein wie gegenüber einem Arbeitnehmer, der an irgendeinem anderen
Gesundheitsproblem leidet. Dabei ist es natürlich auch klar, daß sehr
viele Menschen, die normalerweise nicht als Alkoholiker angesehen
werden, gelegentlich so viel trinken, daß dadurch ihr Allgemeinbefinden, einschließlich ihrer Arbeitsleistung und sozialen Beziehungen
beeinträchtigt wird. Eine solche Person wird nun nicht landläufig als
7
Alkohol am Arbeitsplatz
Alkoholiker" bezeichnet, sondern als jemand, der bewußt Alkohol
getrunken hat und dementsprechend für die Folgen seines übermäßigen Alkoholgenusses verantwortlich ist. Dieses Kriterium gilt für gewöhnlich aus juristischer Sicht, wenn eine Person eine bestimmte
Handlung einem Zustand der Intoxikation zuschreibt. Selbst wenn die
Person für die Handlung nicht für verantwortlich gehalten wird, kann
sie dennoch dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie überhaupt
Alkohol getrunken hat. Da es keine klare Abgrenzung zwischen diesen beiden Arten des Alkoholkonsums gibt, dürfte eine grundsätzliche
Regelung hier eher willkürlich erscheinen.
Diese beiden unterschiedlichen Philosophien könnten auch je nach
dem Status des Arbeitnehmers innerhalb der Organisation unterschiedlich angewendet werden. So könnte z. B. ein Topmanager, der
bei der Arbeit betrunken erscheint als alkoholkrank" angesehen werden, eine Therapie erhalten und weiter an seinem Arbeitsplatz verbleiben, wohingegen ein Fabrikarbeiter mit einem ähnlichen Verhalten vielleicht eher für schlecht" als für krank gehalten und dementsprechend entlassen würde.
ALKOHOLPOLITIK
Deshalb finden wir eine beträchtliche Vielfalt in der Art und Weise
wie Unternehmen mit Alkoholproblemen umgehen; diese Vielfalt
manifestiert sich sowohl in der Art der Alkoholpolitik in Firmen und
Organisationen als auch in der Art und Weise der Umsetzung dieser
Politik unter Unternehmen und betriebsintern. In einem Extremfall
finden wir Beispiele dafür, daß Problemtrinker u. a. an verschiedene
Einrichtungen überwiesen werden, laufend Hilfe erhalten und ihren
Arbeitsplatz behalten. Im anderen Extremfall finden wir beispielsweise Atemalkoholmeßgeräte am Eingang zum Arbeitsplatz (wobei jeder
Person mit einem positiven Meßergebnis der Zutritt zum Betriebsgelände verwehrt wird), Entlassungen bei jeglicher Mißachtung des Alkoholverbots sowie Restriktionen bezüglich des Verhaltens der Ar-
beitnehmer am Arbeitsplatz wie auch außerhalb des Betriebs. Dies
sind eindeutig ganz unterschiedliche Ansätze zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum.
Einleitung
Zweifelsohne gibt es etliche Möglichkeiten, alkoholbedingte Probleme anzugehen. Weniger klar ist indessen, welche Ansätze unter bestimmten Umständen den meisten Erfolg versprechen. In der nachfolgenden Untersuchung beschreiben wir eine Palette unterschiedlicher
Ansätze zur Minderung alkoholbedingter Probleme und beurteilen
nach Möglichkeit die Effektivität dieser Ansätze. Von besonderem
Interesse ist die Genauigkeit von Schätzungen der Kosten" sowie die
Wirkung, die solche Schätzungen hinsichtlich der Beurteilung der
Schwere von Alkoholproblemen haben - diese Einschätzung spielt eine
wichtige Rolle hinsichtlich der Motivation, Anti- Alkoholmaßnahmen
einzuführen.
9
1
Die Auswirkungen
des Alkoholkonsums
am Arbeitsplatz
Alkohol kann eine Reihe von Auswirkungen am Arbeitsplatz haben,
u. a. in Hinsicht auf Fehlzeiten, Produktivität, Unfallhäufigkeit,
Fluktuation der Beschäftigten, das Betriebsklima sowie das Image des
Unternehmens bei den Kunden. Nachstehend wird auf die vier wichtigsten Auswirkungen im Detail eingegangen.
ALKOHOLBEDINGTER ARBEITSAUSFALL
Fehlzeiten sind heutzutage ein großes Problem für die Unternehmen.
Im Vereinigten Königreich können schätzungsweise 3,5 bis 5% der
Arbeitszeit durch unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz und
durch Krankheit verlorengehen (14). Solche Fehlzeiten haben direkte
Auswirkungen auf die Produktivität und Rentabilität von Unternehmen und bereiten den Arbeitgebern deshalb große Sorge.
Es ist hinreichend belegt, daß Arbeitnehmer, die stark trinken, häufiger am Arbeitsplatz fehlen als Arbeitnehmer, die nicht trinken (15).
Dies wurde in amerikanischen Studien über rehabilitierte" Alkoholikpr (16 -19) und in Studien über erwerbstätige Problemtrinker (20,21)
nachgewiesen. Anhand dieser Untersuchungen wird geschätzt, daß
Problemtrinker zwischen zwei- und achtmal häufiger fehlen als ihre
abstinenten Kollegen (22,23); diese Relation wurde auch mehreren
10
Die Auswirkungen des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz
anderen Ländern, u. a. Australien, Frankreich, Schweden und dem
Vereinigten Königreich, beobachtet (24,25).
Arbeitsausfall ist allerdings nicht nur auf Problemtrinker" zurückzuführen, denn es kann auch bei gelegentlichem übermäßigen oder unangebrachtem Alkoholkonsum - beispielsweise wegen eines Katers
oder vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes nach einem Umtrunk
in der Mittagspause - zu vermehrtem Arbeitsausfall kommen. Der Zusammenhang zwischen Alkoholgenuß und solchen Fehlzeiten scheint
naheliegend (26). Arbeitnehmer, die dazu neigten, sich häufig zu betrinken oder am Arbeitsplatz zu trinken, und die alkoholbedingte Probleme hatten, blieben dem Arbeitsplatz öfter fern. Der Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und Fehlzeiten ist keine einfache
lineare Relation, da es hier weitere Faktoren, wie z. B. Rauchen, ein
trinkfreudiges Umfeld, sowie der allgemeine Gesundheitszustand und
möglicherweise Streß ebenfalls eine Rolle spielen (27,28).
UNFÄLLE
Alkohol spielt hauptsächlich wegen seiner Wirkung auf das Nervensystem - Verschlechterung des Denkvermögens und der Konzentration, längere Reaktionszeit und verminderte Muskelkontrolle - eine
Rolle bei Unfällen. Diese Symptome gefährden die Sicherheit eindeutig und werden immer ausgeprägter je mehr Alkohol in den Blutkreislauf gelangt. Alkoholkonsum ist verantwortlich für eine große
Zahl von schweren und tödlichen Verletzungen, darunter Wirbelsäulenverletzungen (29), Ertrinken (30), Autounfälle (31 -35) und Fahrradunfälle (36) sowie etliche anderweitige Unfälle (26,37,38), die Ursache von Behinderungen sind.
Daten über die Aufnahme in Unfallabteilungen der Krankenhäuser
bieten wertvolle Informationen über den Zusammenhang zwischen
Alkoholkonsum und Unfällen. Daraus geht hervor, daß bei 15 -25%
der nicht -tödlichen Unfälle Alkohol mit im Spiel war (39 -44). Nach
den Erkenntnissen von Goodman et al. (45) ist ein Zusammenhang
zwischen Alkoholkonsum und tödlichen Unfallverletzungen zu sehen
und bei Personen mit höheren Blutalkoholwerten werden höhere
Verletzungsraten festgestellt.
11
Alkohol am Arbeitsplatz
Die Daten der Unfallabteilungen ermöglichen auch eine Reihe von
interessanten kulturübergreifenden Vergleichen. So hat z. B. Cherpitel
(46) bei einem Vergleich der Daten über Krankenhausaufnahmen
nach Unfällen in Ländern mit unterschiedlichen Trinkmustern Beweise gefunden, die dafür sprechen, daß Alkoholkonsum das Unfallrisiko
erhöht. Cherpitel et al. (47) verglichen in Italien gesammelte Daten,
wo häufig während der Arbeitszeit getrunken wird, mit Daten aus den
Vereinigten Staaten, wo sich der Alkoholkonsum normalerweise auf
das Wochenende konzentriert. In den Vereinigten Staaten ereigneten
sich Unfälle eher überwiegend am Wochenende, wohingegen das in
Italien nicht der Fall war. Obwohl diese Studie keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und Unfallgeschehen beweist, legt sie zumindest den Schluß nahe, daß Alkohol mit
der Unfallhäufigkeit zusammenhängt.
Außerdem haben Untersuchungen gezeigt, daß Alkoholkonsum bei
bis zu 25% der Arbeitsunfälle mit im Spiel sein dürfte. So wird z. B.
bei 15 -25% der Arbeitsunfälle in Frankreich von einem Zusammenhang mit Alkohol ausgegangen (48), während die entsprechenden
Schätzwerte in Polen 8 -25% lauten (22); bei Untersuchungen über
mehrere Jahre wurde festgestellt, daß 16% der Unfalltoten Alkohol im
Blut hatten (49). In Texas fand man heraus, daß bei 13,3% der Opfer
von tödlichen Arbeitsunfällen Alkohol im Blut festgestellt wurde (50)
und ähnlich hohe Zahlen (10,7 %) wurden in Alberta in Kanada genannt (51). Im Vereinigten Königreich gehen schätzungsweise 20%
der Unfälle auf das Konto des Alkohols; dabei stützt man sich auf
Untersuchungen von Health and Safety Executive (52), die bei 40%
der von 1979 bis 1980 gemeldeten 92 tödlichen Unfälle Alkohol im
Blut ergaben. Bei 35 Blutalkoholtests wurden 7mal (20 %) Werte gemessen, die über der gesetzlichen Promillegrenze für die Teilnahme
am Straßenverkehr lagen (weitaus mehr als die in den vorerwähnten
Studien genannten zu beobachtenden" Werte). Dieses Ergebnis basiert zwar auf einer extrem kleinen Stichprobe, ähnelt jedoch in der
Größenordnung den Ergebnissen anderer, häufig sehr viel umfassenderer Erhebungen. Ein Vergleich der Daten aus verschiedenen Ländern mit den Daten aus dem Vereinigten Königreich dürfte fragwürdig sein, weil in den einzelnen Ländern wahrscheinlich ganz andere
Trinkgewohnheiten und Arbeitspraktiken vorherrschen, was die gemeldeten Unfalldaten unter Umständen beeinflussen kann. Obwohl
die Daten aus Erhebungen ein Anhaltspunkt für die Häufigkeit von
12
Die Auswirkungen des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz
Unfällen unter Alkoholeinfluß sein könnten, beweisen sie jedoch keinen ursächlichen Zusammenhang (25,33).
In einer Reihe von kontrollierten Studien wurde ebenfalls die Hypothese unterstützt, daß Alkoholkonsum und Unfälle im Zusammenhang
stehen. Lederman & Metz (53) gingen von einem 10 -11mal höheren
Unfallrisiko bei alkoholisierten Arbeitnehmern im Vergleich zu denjenigen, die keinen Alkohol getrunken hatten, aus. Bei Problemtrinkern deutet ebenfalls viel auf einen Zusammenhang zwischen Unfäl-
len und Alkohol hin. Maxwell (20) schätzte, daß Problemtrinker
3,6mal häufiger Unfälle erleiden als andere Personen, während
Popham et al. (54) feststellten, daß die in ihrer Untersuchung als starke Trinker oder Alkoholabhängige bezeichneten Männer ein 2,5 -8mal
höheres Unfallrisiko hatten. In einer Studie über Alkoholiker" gelangten Eckart et al. (55) zu der Erkenntnis, daß in dieser Gruppe die
Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Autounfalls 5mal höher, eines
tödlichen Sturzes 16mal höher und die Wahrscheinlichkeit, tödliche
Verbrennungen zu erleiden, 10mal höher ist. Weitere Belege für den
Zusammenhang zwischen Alkohol und Unfällen werden von Anda et
al. (56) gegeben, die herausgefunden haben, daß in einer Stichprobe
von über 13 000 amerikanischen Erwachsenen, die nicht in einer Institution untergebracht waren, diejenigen, die fünf oder mehr Getränke bei einem Trinkanlaß' getrunken hatten, eine signifikante höhere
Rate tödlicher Verletzungen aufwiesen als diejenigen, die weniger als
fünf Getränke pro Trinkanlaß zu sich genommen hatten. Und schließlich fanden Webb et al. (nicht veröffentlichte Daten, 1992) in einer
Studie über Fehlzeiten heraus, daß 26% der Problemtrinker Unfälle
mit der Folge von Arbeitsunfähigkeit hatten, gegenüber lediglich 10%
der übrigen Arbeitnehmern.
Genaue Schätzwerte über den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Arbeitsunfällen sind sehr schwierig zu erhalten, da die Unfallursachen häufig nicht bekannt werden. Oft vertuschen" Arbeitnehmer und Arbeitgeber Unfälle und viele Unternehmen lassen nicht
automatisch Blutalkoholtests nach einem Unfall durchführen. Häufig
befürchten Arbeitgeber Folgen für die innerbetrieblichen Beziehun-
gen und halten es deshalb für einfacher, nichts zu tun (57). Bei
Anda et al. stützten sich auf Eigenangaben über die pro Trinkanlaß
konsumierte Menge, da dies sich als ein zuverlässiger Indikator für das Risiko
tödlicher Verletzungen erwiesen hatte.
13
Alkohol am Arbeitsplatz
alkoholbedingten Unfällen ist von einer Dunkelziffer auszugehen, das
gilt vor allem in Ländern, in denen harte Strafen gegen alkoholisierte
Arbeitskräfte und deren Vorgesetzte gesetzlich vorgesehen sind. In
Polen z. B., wo Untersuchungen eine Alkoholbeteiligung bei 8 -25%
der Unfälle erkennen lassen, sind entsprechend den offiziellen Zahlen
nur 0,5% der Unfälle mit Alkohol in Zusammenhang zu bringen (58).
Abgesehen von den vorstehend angesprochenen Punkten werden Versuche, durch Interpretation der Unfalldaten zu beurteilen, inwieweit
Alkohol als Unfallursache in Frage kommt, wegen der von starken
Trinkern häufig angewendeten Vertuschungstaktiken erschwert. Dies
wurde in einer Studie von Trice (18) demonstriert, der darauf hinwies,
daß nur 18 -21% der Mitglieder der Anonymen Alkoholiker Angaben
zu Unfällen gemacht hatten. Diese Zahl unterscheidet sich kaum von
den Angaben der Durchschnittsbevölkerung. Angesichts der wahrscheinlichen Auswirkungen des Alkohols auf die Leistung und angesichts der Zahl der Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Leistung belegt haben, erscheint hier eine
genauere Untersuchung gerechtfertigt. Dieses Ergebnis läßt sich vielleicht auch erklären, wenn man die Art der von Problemtrinkern und
Nichtproblemtrinkern durchgeführten Tätigkeiten betrachtet. Problemtrinker neigen dazu, bei der Arbeit die Möglichkeit eines Unfalls
durch Vermeidung besonders riskanter Situationen zu verringern.
Daraus resultieren qualitative Unterschiede in der Art der von Problem- und Nichtproblemtrinkern durchgeführten Tätigkeiten, was
stichhaltige Vergleiche zwischen diesen beiden Gruppen schwierig
macht. Unter diesen Umständen kann es sein, daß die erwartete Relation zwischen Alkoholkonsum und Unfallhäufigkeit sich tatsächlich
nicht ergibt. Erfahrene Arbeitskräfte können auch eher imstande sein,
gefährliche Situationen zu vermeiden oder ihre Arbeitsabläufe entsprechend ihrem Trinkverhalten zu gestalten (bzw. organisieren zu
lassen). Entsprechende Belege wurden in Polen festgestellt (59), wo
starke Trinker oft an einen sicheren Arbeitsplatz versetzt werden
(häufig als Resultat einer Rückstufung aus disziplinarischen Gründen), an dem ihre Trinkgewohnheiten keine Gefahr mehr für sie selbst
oder für ihre Kollegen darstellen.
14
Die Auswirkungen des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz
ARBEITSLEISTUNG
Alkoholkonsum kann die menschliche Leistung in verschiedener Hinsicht beeinträchtigen. So wurde beispielsweise nachgewiesen, daß Alkohol die motorische Koordination (60,61), Konzentrationsfähigkeit
(62) und Reaktionszeit (61,63,64) beeinträchtigt. Arbeit unter Alkoholeinfluß verringert wahrscheinlich die Effizienz und Genauigkeit
bei Ausführung der Tätigkeiten. Die Aufgaben werden vermutlich
langsamer und weniger akkurat erledigt, was zwangsläufig die Arbeitsleistung insgesamt schmälert. Diese Tendenz wurde von berufstätigen Problemtrinkern bestätigt, die einen Rückgang ihrer eigenen
Leistung angegeben hatten (16- 18,24). Blum et al. (65) belegen, daß
in einer Gruppe von 136 Arbeitnehmern diejenigen 25 %, die pro Monat am meisten tranken, erheblich schlechter bei einer Reihe von Leistungsmessungen abgeschnitten hatten.
Da es schwierig ist, die gesamten Auswirkungen von Alkohol auf die
Leistung zu ermitteln, kann gegenwärtig nur geschätzt werden, inwieweit Alkoholkonsum die Produktivität mindert. Angesichts der
nachweislichen Wirkung des Alkohols auf die Leistung kann man je-
doch davon ausgehen, daß zumindest bei Unternehmen, in denen
motorische Fähigkeiten und Denkvermögen ein besonders wichtiges
Tätigkeitskriterium sind, die Produktionseinbußen durch Alkohol erheblich sein können. Verminderte Arbeitsleistung dürfte ein wichtiger
Gesichtspunkt sein, wenn man die Auswirkungen des Alkoholkonsums beurteilt, und könnte einer der wichtigsten alkoholbedingten
Kostenfaktoren für die Industrie sein (s. Kapitel 2).
ARBEITSBEZIEHUNGEN
Viele der Auswirkungen, die Alkoholkonsum auf das menschliche
Verhalten und die Psyche hat, sind wohlbekannt, vor allem die Konsequenzen für das zwischenmenschliche Verhalten aufgrund der geringeren Hemmschwelle (66 -69). Der Abbau von Hemmungen und
das damit verbundene bessere subjektive Wohlbefinden sind keineswegs unerwünschte Nebenwirkungen des Alkoholkonsums, sondern
gelten häufig als Grund fur das Trinken. Ein solcher Effekt mag zwar
aus gesellschaftlicher Sicht durchaus akzeptabel sein, doch gilt dies
nicht unbedingt auch am Arbeitsplatz. Eine Reihe von Studien hat
15
Alkohol am Arbeitsplatz
gezeigt, daß Alkoholkonsum am Arbeitsplatz sowohl positive als auch
negative Konsequenzen hat. Unter anderem. wird er als Grund für
Diebstähle, Aggressionen, Streitigkeiten mit Vorgesetzten und Kunden sowie Nachteile bei Beförderungen genannt (70 -73). Außerdem
wurde festgestellt, daß Alkoholfreunde zur Gruppenbildung neigen,
was insofern destruktiv sein kann, weil dadurch andere, in die Gruppe
nicht einbezogene Kollegen, nicht über arbeitsbezogene Absprachen
informiert werden, mit der Folge, daß der Produktionsablauf beeinträchtigt wird (22). Andererseits kann der Alkoholkonsum aber auch
dazu beitragen, informelle Gruppentreffen beizubehalten, die Beziehungen zwischen der Geschäftsleitung und den Angestellten zu verbessern (74), zur Teambildung beizutragen und innerbetriebliche Bindungen gewissermaßen zu verstärken.
16
2
Volkswirtschaftliche
Aspekte des
Alkoholkonsums
ALKOHOLINDUSTRIE - GENERELLE AUSWIRKUNGEN
AUF DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Größe und Bedeutung der Alkoholindustrie können in gewissem
Ausmaß durch Schätzungen - beispielsweise der Zahl der regelmäßigen Alkoholtrinker, des volkswirtschaftlichen Werts" der Industrie
und der Zahl der in Produktion, Vertrieb und Verkauf von alkoholischen Erzeugnissen beschäftigten Menschen - beurteilt werden (75).
Die weltweite Popularität des Alkohols geht aus solchen Untersuchungen hervor, die zeigen, daß ein hoher Prozentsatz der erwachsenen Bevölkerung zumindest gelegentlich Alkohol trinkt. Einer 1984
im Vereinigten Königreich durchgeführten Studie zufolge hatten 94%
der Männer und 90% der Frauen zumindest gelegentlich Alkohol getrunken. Noch aussagekräftiger über das Ausmaß des Trinkens in der
britischen Bevölkerung sind vielleicht die Resultate einer Studie, der zufolge 75% der Männer und 56% der Frauen in den sieben Tagen vor
der Befragung Alkohol konsumiert hatten (76,77). Zwar ist ein Ver-
gleich dieser Zahlen schwierig, doch ist klar, daß alkoholische Getränke ungeheuer populär sind und daß es dafür weltweit einen enormen Markt gibt.
Gemäß einem von der Amsterdamer Gruppe veröffentlichten Bericht
(4) wurde der Markt für alkoholische Getränke in der Europäischen
17
Alkohol am Arbeitsplatz
Gemeinschaft 1990 mit rund 127 Milliarden ECU2 (das entspricht 389
ECU pro Kopf der Bevölkerung) veranschlagt, was sich auf ungefähr
2,6% der gesamten Verbrauchsausgaben innerhalb der Europäischen
Gemeinschaft bezifferte. Dies schlug sich auch in der Handelsbilanz
der EG nieder, da der Wert der Alkoholexporte den Wert der Importe
überstieg. Das führte zu einem Handelsüberschuß in Höhe von 5,6
Milliarden ECU für die Einfuhr /Ausfuhr von Alkohol und trug dazu
bei, das Handelsdefizit der EG für sämtliche Waren in Höhe von insgesamt 42,9 Milliarden ECU für dasselbe Jahr auszugleichen.
Die Zahl der Menschen, die weltweit ihren Lebensunterhalt in der Al-
koholgetränkeindustrie verdienen, ist beträchtlich, läßt sich jedoch
nicht ohne weiteres errechnen. Zahlen bezüglich der in Produktion,
Vertrieb und Verkauf von alkoholischen Getränken Beschäftigten
sind nicht ohne weiteres verfügbar, selbst wenn es aus dem Jahr 1965
einige Daten über die Bier- und Spirituosenproduktion gibt (78 -80).
Ebenso schwierig ist es, die Bedeutung der Alkoholindustrie zu beurteilen, da man sich nicht darüber einig ist, ob man die allgemein zitierten Gewinne ", insbesondere die Schaffung neuer Arbeitsplätze
und Einkünfte aus der Alkoholbesteuerung, als Gewinne einstufen
soll (22,81).
GESCHÄTZTE VOLKSWIRTSCHAFTLICHE KOSTEN DES
ALKOHOLKONSUMS
Wichtige zu berücksichtigende Faktoren bei der Bestimmung der gesamten volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Alkoholindustrie
sind die gemeinhin mit dem Alkoholkonsum assoziierten Kosten und
der ihm zugeschriebene Nutzen. Obwohl es sehr schwer ist, diese Informationen in einem einzigen Index der Gesamtkosten bzw. des Gesamtnutzens zu erfassen, sind für mehrere Länder bereits Schätzungen
der mit dem Alkoholkonsum verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten durchgeführt worden, wie die Tabelle 1 zeigt. Ähnliche Statistiken liegen zwar vor, doch können diese Schätzwerte nicht für Vergleiche herangezogen werden, da sie nach ganz verschiedenen Methoden ermittelt worden sind, qualitativ variable Daten enthalten (6)
und häufig auf unterschiedlichen Ausgangskosten basieren. Diese
21 Milliarde = 109.
18
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
Schätzwerte können nur ein grobes Indiz für das Ausmaß der Kosten,
die mit dem Alkoholkonsum assoziiert sein könnten, darstellen, dennoch sind sie von besonderem Interesse, weil sie die in diesen Ländern dem Alkoholkonsum beigemessene Bedeutung zeigen.
Tabelle 1. Geschätzte jährliche volkswirtschaftliche Kosten
infolge von Alkoholproblemena
Land
Quelle
Australien
Deutschland
Collins & Lapsley (82)
(s. Richmond et al. (83))
Kieselbach (85) (s. ILO
Kosten
Prozentsatz
BSP
6,23 Mrd. A $
-
80 -120 Mrd. DM
-
(86))
Finnland
Georgien
Neuseeland
Polen
Schweden
Spanien
Ehem.
UdSSR
USA
Kasurinen (84)
Moser (6)
Chetwynd & Rayner (87)
Hansen (88)
Moser (6)
Moser (6)
Morawski et al. (22)
Berry & Boland (93)
Rice et al. (94)
Harwood et al. (95)
Burke (96)
Vereinigtes
Königreich
Holterman & Burchell (89)
Maynard et al. (90)
Jackson (91)
Maynard (92)
2 Mrd. FM
0,21 Mrd. R
0,58 Mrd. NZ $
5 Mrd. Skr
43 Mrd. Ptas
1,5
2,3
2,0
10
31,4 Mrd. US-$
70,3 Mrd. US-$
(1985)
85,8 Mrd. US-$
(1988)b
116,9 Mrd. US-$
136 Mrd. US-$
0,33 Mrd. £
1,85 Mrd. £
0,9 Mrd. £
1,99 Mrd. £
a Nur die in den als Quelle benutzten Dokumenten enthaltenen Daten sind hier
eingeschlossen. Eine Berechnung des Prozentsatzes des Bruttosozialprodukts für alle
Länder wäre möglich, doch wären die Zahlen nicht direkt vergleichbar und somit irreführend.
b Überschlägiger Schätzwert.
Quelle: Hutcheson et al. (28).
19
Alkohol am Arbeitsplatz
Es kann argumentiert werden, daß viele der in Tabelle 1 enthaltenen
Kostenansätze zu niedrig sein dürften, weil sie eine Reihe von wichtigen Faktoren nicht berücksichtigen. So beinhalten etliche Schätzwerte
beispielsweise nicht die Kosten, die mit Unfällen, Produktivitätsver lusten, schlechten Arbeitsbeziehungen und mit auf den Alkoholkonsum zurückzuführenden Fehlern in Zusammenhang stehen
(s. Kapitel 1). Andererseits kann aber auch argumentiert werden, daß
die Schätzwerte eher hochgegriffen sind, da häufig eine Reihe von
Kosten enthalten sind, die in Wirklichkeit im eigentlichen wirtschaftlichen Sinn vielleicht keine Kosten darstellen (28). Ungeachtet ihrer
Gültigkeit sind solche Zahlen auch deshalb wichtig, weil sie der Industrie und Regierung Denkanstöße vermitteln, häufiges Trinken am
Arbeitsplatz generell einzudämmen.
KOSTEN UND NUTZEN IM ZUSAMMENHANG MIT DEM
ALKOHOLKONSUM
Alkoholkonsum kann den Arbeitsbereich auf vielfältige Weise beeinflussen entweder direkt durch die darauf zurückzuführenden Fehlzei-
ten, Unfälle und persönlichen Beziehungen innerhalb eines Unternehmens oder indirekt durch Steuern und Versicherungsprämien.
Nachstehend wird auf einige der Folgekosten und Nutzwirkungen
eingegangen, die für gewöhnlich mit dem Alkohol in Verbindung gebracht werden und die die Grundlage für viele der in Tabelle 1 ausgewiesenen Schätzwerte bilden.
Mortalität
Alkoholbedingte Todesfälle verursachen einem Unternehmen zahlrei-
che Kosten "; solche Kosten hängen hauptsächlich mit den für die
Einstellung und Schulung von Ersatzpersonal erforderlichen Ressourcen zusammen. Welche Kosten einem Unternehmen letztlich durch
alkoholbedingte Todesfälle entstehen, hängt von der Arbeitsmarktsituation (d. h. ob genügend geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung stehen) und dem speziellen Berufsprofil des zu ersetzenden Arbeitnehmers ab. Für gewöhnlich basieren die Kostenschätzungen jedoch auf
der generellen Einkommenssituation des betreffenden Arbeitnehmers;
dieser Meßwert hat mehr Relevanz für das Land insgesamt gesehen
als für irgendein einzelnes Unternehmen. Zur Abschätzung des durch
frühzeitigen Tod verursachten Verdienstausfalls wird die Zahl der
20
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
verlorengegangenen Arbeitsjahre für Personen, die wegen Alkohol mißbrauchs vorzeitig sterben, zugrundegelegt. Diese Bemessungsgrundlage bietet zwar einen Anhaltspunkt für den Verlust einer potentiellen Arbeitsressource, zeigt jedoch nicht die tatsächlichen Kosten aus der Sicht des Unternehmens bzw. der Volkswirtschaft im eigentlichen Sinn. Das gilt vor allem, wenn keine Vollbeschäftigung
herrscht, da in diesem Fall der betreffende Arbeitnehmer häufig durch
einen Arbeitslosen ersetzt werden kann. Der errechnete Verdienstausfall kann den Eindruck vermitteln, daß dem Betrieb ein vergleichbarer
Verlust entsteht, selbst wenn dies häufig nicht der Fall ist.
Die der Alkoholmortalität zugeschriebenen geschätzten Kosten können auch deswegen angezweifelt werden, weil es eine Reihe von me-
thodologischen Problemen gibt, die genaue Schätzungen äußerst
schwierig machen. Der wichtigste Aspekt ist hier die Scheu vieler
Ärzte, als Todesursache Alkoholismus" oder Alkoholpsychose" anzugeben - und genauer gesehen, das Fehlen einer Vereinbarung über
die Definition dieser Begriffe (97). Ohne eine abgestimmte Definition
und Verfahrensweise zur Identifikation von Alkoholikern" können
die Untersuchungen nicht einheitlich sein und sind folglich für die
vergleichende Forschung nicht geeignet (98). Dieser Mangel an Einheitlichkeit zeigt sich bei den Schätzwerten für die alkoholbedingten
vorzeitigen Todesfälle im Vereinigten Königreich, die je nach der zugrundegelegten Definition von 4000 bis 40 000 reichen (90,99) 3.
Obschon es etliche methodologische und theoretische Probleme bei
der Bestimmung der volkswirtschaftlichen Folgen der alkoholbezogenen Sterblichkeit gibt, werden solche Kosten oft als einige der wichtigsten mit dem Alkohol assoziierten Kosten eingeschätzt. Allerdings
sind die meisten - wenn nicht sogar sämtliche -Schätzungen sehr umstritten und werden angezweifelt.
Morbidität
Morbiditätskosten sind die mit Krankheit, vor allem mit Krankenhauseinweisungen, verbundenen Kosten. Obwohl es sich dabei in erster Linie um indirekte Kosten für die Unternehmen handelt, werden
3 Die meisten Untersuchungen zu den Kosten gehen von Schätzwerten
für die Mortalitätsraten aus, die im unteren Bereich dieser Spanne liegen
(100) und basieren auf Studien über bekannte Alkoholiker" (101).
21
Alkohol am Arbeitsplatz
sie hier mit einbezogen, da sie häufig einen erheblichen Teil der dem
Alkohol für gewöhnlich zugeschriebenen Kosten ausmachen. So wur-
de z. B. geschätzt, daß im Vereinigten Königreich bis zu 20% der
Krankenhauseinweisungen mit Alkohol im Zusammenhang stehen
können (102,103) und die daraus resultierenden Kosten für die stationäre Behandlung werden mit 88 Millionen bis 530 Millionen Pfund
für 1987 veranschlagt (90,104). Obwohl hier die (auf 18 -25 Millionen
Pfund für 1987 geschätzten) Unfall- und Rettungskosten (105), Kosten für ambulante Pflege (106) oder Kosten für über Regelleistungen
hinausgehende Behandlungen und präventive Dienste (107) nicht enthalten sind, kommen Godfrey & Maynard (99) zu dem Schluß, daß
der Alkoholkonsum im Vereinigten Königreich gegenwärtig einen
beträchtlichen Teil der Ressourcen des Nationalen Gesundheitsdien stes verschlingt.
Die Morbiditätskosten sind auch für mehrere andere Länder ermittelt
worden und alles deutet darauf hin, daß diese Kosten beträchtlich sein
können. In Frankreich wurde z. B. geschätzt, daß in 2,8% aller in
staatlichen Krankenhäusern behandelten Fälle die Hauptdiagnose AIkoholismus, Alkoholphychose oder Zirrhose lautete (108). 20 -30%
aller Einweisungen in Allgemeinkrankenhäuser bei Männern und 510% bei Frauen hingen mit alkoholbedingten Problemen zusammen
und 34% (bei Männern) bzw. 8% (bei Frauen) der Einweisungen in
psychiatrische Krankenhäuser erfolgten wegen Alkoholpsychose
(109). In Schweden wurde festgestellt, daß in einer Gruppe 50-60
Jahre alter Männer die übermäßigen Trinker relativ hohe Krankheitskosten verursachten. In dieser Gruppe entfielen auf diejenigen 12%
der Männer, die übermäßige Trinker waren, 40% der Krankenhauseinweisungen, zwei Drittel der Betreuung und Behandlung wegen
psychiatrischer Krankheiten und nahezu die Hälfte aller Betreuungsleistungen wegen Magen- und Darmstörungen (110). In der Schweiz
sind alkoholbedingte Probleme für den größten Teil der Krankenhauseinweisungen unter männlichen Patienten im erwerbstätigen Alter verantwortlich und 1985 wurde Alkoholismus" als zweithäufigster Grund für die Einweisung von Männern in psychiatrische Krankenhäuser genannt (111). In den Vereinigten Staaten wurde die Häufigkeit von alkoholbedingten Gesundheitsstörungen unter Krankenhauspatienten - je nach der angewandten Bewertungsmethode - auf
zwischen 3,6% und 22,4% geschätzt (112,113),
22
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
Außer den Kosten für alkoholbedingte Krankenhauseinweisungen und
den Kosten für ambulante Behandlungen kann Alkoholkonsum eine
Reihe von anderweitigen indirekten Kosten verursachen, u. a. im Zusammenhang mit angeborenen Defekten (114 -119) sowie Krankheiten, die wegen riskantem Sexualverhalten unter Alkoholeinwirkung
übertragen werden (68,120 -123). Solche Kosten können beträchtlich
sein. Es ist jedoch sehr schwer, sie akkurat zu berechnen (124) und sie
sind nur selten in den Schätzungen der auf Alkohol zurückzuführenden volkswirtschaftlichen Gesamtkosten enthalten.
Obwohl die Berechnung der Morbiditätskosten einen Anhaltspunkt
für die Belastung des Gesundheitswesens geben kann (zumindest die
bestimmten Krankheiten zuzuordnende Belastung), sind solche Kalkulationen keine ideale Bemessungsgrundlage zur Abschätzung des
Ausmaßes der Alkoholproblematik eines Landes und sie erlauben
auch keinen Vergleich der Daten aus unterschiedlichen Ländern, da
derartige Kostenermittlungen in gewisser Weise auch von den jeweiligen medizinischen Praktiken abhängen.
Wenn auch die Schätzungen nicht präzise sind, so ist die Schlußfolgerung offenkundig, daß Alkohol derzeitig für die Inanspruche eines we-
sentlichen Teils der Ressourcen der nationalen Gesundheitsdienste
verantwortlich ist,. Selbst wenn die Schätzungen akkurater wären, hieße das nicht, daß dies ein geeigneter Indikator oder Outcome- Maßstab
wäre. Das Ausgabenniveau oder Morbiditätsmaßstäbe wie z. B. Bettentage reflektieren die jeweiligen medizinischen Praktiken und sind
eher ein Prozeß- Maßstab als ein Outcome- Maßstab. Effektivere Alkoholstrategien könnten kurzfristig gesehen zu einem Anstieg der Aus-
gaben führen, weil alkoholbedingte Gesundheitsprobleme genauer
identifiziert werden könnten und weil es mehr Überweisungen zur Alkoholtherapie oder Präventionsprogramme geben würde (99).
Obschon ein Großteil der Daten bezüglich der Morbiditätskosten
mehrere Jahre lang und für viele Länder gesammelt wurde, machen
methodologische Probleme und Variable solche Schätzungen im
Grunde wertlos; sie wären also nur sinnvoll für die Lieferung von ungefahren Zahlen. Beispielsweise variieren die Schätzwerte für alkohblbezogene stationäre Kosten im Vereinigten Königreich für 1987
zwischen 88 Millionen Pfund und 530 Millionen Pfund (104) und die
Schätzungen für die Prävalenz von alkoholbedingten Störungen unter
Krankenhauspatienten in den Vereinigten Staaten schwanken von
3,6% bis 22,4 %. Selbst wenn anhand der verfügbaren Daten eine
23
Alkohol am Arbeitsplatz
akkurate Kostenermittlung nicht möglich ist, lassen selbst vorsichtige
Schätzungen angesichts des Zusammenhangs zwischen Krankenhausaufnahmen und Alkoholkonsum erkennen, daß hier die Krankheitskosten wahrscheinlich beträchtlich sind.
Soziale Kosten
Bei den in diesem Abschnitt behandelten sozialen Kosten handelt es
sich um alkoholbedingte Kosten, die aber nicht nur von einem bestimmten Unternehmen getragen werden, sondern von der Gesellschaft insgesamt. Die wichtigsten Kosten entstehen hier u. a. im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, Straßenverkehrsunfällen und strafrechtlichen Maßnahmen.
Es ist nachgewiesen worden, daß die Arbeitslosenquote unter Personen mit schweren Alkoholproblemen höher ist, was für die Unternehmen mit signifikanten Kosten - beispielsweise aufgrund von Abfindungszahlungen, Entlassungsgeldern, Schulungskosten für neue
Mitarbeiter sowie Anwalts- und Gerichtskosten - verbunden sein
kann. Obwohl solche Kosten häufig für beträchtlich gehalten werden,
ist in vielen Fällen unklar, ob es sich dabei um tatsächliche Kosten
handelt. McDonnel & Maynard (125) haben z. B. die alternativen
Kosten" im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit aufgrund von Alkoholproblemen (d. h. die potentiellen Einkünfte des betreffenden Arbeitnehmers) geschätzt. Dies scheint jedoch keine geeignete volkswirtschaftliche Meßlatte in Zeiten zu sein, in denen keine Vollbeschäftigung herrscht, wie dies gegenwärtig der Fall im Vereinigten
Königreich ist.4
...es wird davon ausgegangen, daß Alkoholkonsum, der zur Arbeitslosigkeit führt, einen Kostenfaktor darstellt. Das mag auf eine Wirtschaft
zutreffen, in der Vollbeschäftigung herrscht. Alkohol bewirkt eine
Verringerung der Beschäftigung, Produktion und des Bruttosozialprodukts (BSP). In einer Wirtschaft, in der Arbeitslosigkeit herrscht, führt
Alkoholmißbrauch indessen dazu, daß der Alkoholsünder durch eine
zuvor arbeitslose Person ersetzt wird. Wenn auch mit der Entlassung
und Ersetzung des alkoholmißbrauchenden Arbeitnehmers Kosten
4
Obgleich Maynard und seine Kollegen dies klarstellen und einen
Schätzwert für die Kosten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum ohne
Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit geben, wird stets die höhere Zahl
genannt, die diese Kosten beinhaltet.
24
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
verbunden sein mögen, sind indessen keine spürbaren längerfristigen
Auswirkungen auf die Beschäftigung, Produktion und das BSP festzustellen (90).
Weitere alkoholbedingte volkswirtschaftliche Kosten wurden im Vereinigten Königreich vor allem in bezug auf Straßenverkehrsunfälle
auf 113 Millionen Pfund Sterling (104) und Gerichtsverfahren auf
18,4 Millionen Pfund Sterling zu Preisen von 1985 (90) geschätzt. Die
volkswirtschaftlichen Kosten des Alkoholkonsums im Vereinigten
Königreich und in Europa insgesamt variieren und sind häufig nur
schwer zu quantifizieren, werden jedoch als beträchtlich (mit wahrscheinlich erheblichen Kosten für die Industrie) eingestuft.
Arbeitsausfall
Arbeitsausfall kann für die Unternehmen etliche Kosten mit sich brin-
gen, hauptsächlich wegen der geringeren Arbeitsleistung aufgrund
von Fehltagen, Zuspätkommen zur Arbeit, vorzeitigem Nachhausegehen und nicht eingeplanten Extrapausen. Obwohl im folgenden das
Thema alkoholbedingter Arbeitsausfall hauptsächlich in bezug auf die
britische Industrie behandelt wird, haben die Schlußfolgerungen auch
für die meisten anderen Industrieländer Gültigkeit.
Die mit alkoholbedingtem Arbeitsausfall verbundenen Kosten im
Vereinigten Königreich wurden von McDonnel & Maynard (125) auf
799,3 MillionenPfund Sterling und von Godfrey & Hardman (104)
auf 774 Millionen Pfund Sterling geschätzt. Diese Schätzungen wurden allerdings von Joeman (27) angezweifelt, der - gestützt auf Daten
aus der Allgemeinen Haushaltserhebung - zu dem Schluß kam, daß es
keine direkt plausiblen Unterschiede bei den Fehlzeiten von leichten,
mäßigen und schweren Trinkern gibt. Joeman zufolge wird ein Zusammenhang zwischen Arbeitsausfall und Trinkverhalten nur dann
deutlich, wenn man auch den allgemeinen Gesundheitszustand und
Rauchen berücksichtigt. Laut Joeman ist der Einfluß des Alkoholkonsums in bezug auf die Abwesenheitsraten komplex und es ist nicht sicher, in welchem Ausmaß Fehlzeiten dem Alkohol zugeschrieben
werden könnten. Demzufolge ist die Höhe der mit alkoholbedingten
verbundenen Kosten ungewiß.
25
Alkohol am Arbeitsplatz
Selbst wenn es möglich wäre, die Zahl der durch Alkoholkonsums
verlorengegangen Arbeitstage zu bestimmen, wäre es noch immer
schwierig, die dem Unternehmen dadurch entstehenden Kosten zu beziffern, da es eine Reihe von Problemen bei der Bewertung des Produktivitätsverlustes gibt. So kann beispielsweise der Ausfall eines Arbeitnehmers zu erheblichen Verlusten für das Unternehmen führen
(z. B. im Fall eines Kranführers, dessen Ausfall die Arbeit auf einer
gesamten Baustelle zum Erliegen bringen kann) oder aber auch nur zu
relativ unbedeutenden Verlusten (z. B. in Fällen, in den andere Betriebsangehörige für den fehlenden Kollegen einspringen können). Es
ist nicht einfach, die durch jede Abwesenheit verursachten Verluste"
zu beurteilen. Dennoch wurden einige Berechnungen auf der Grundlage des Bruttoverdienstes der Arbeitnehmer und anderer Kosten für
den Arbeitgeber vorgenommen. Nach einer solchen Methode kann
man zwar die Kosten der Fehlzeiten in Zahlen ausdrücken, doch darf
man nicht davon ausgehen, daß es sich dabei um den genauen Betrag
der tatsächlichen Kosten für das Unternehmen handelt. Eine derartige
Berechnung des Produktivitätsverlustes könnte ebenfalls irreführend
sein, da die Arbeitnehmer Fehlzeiten häufig wieder einarbeiten. So
hat beispielsweise Majewska (126) herausgefunden, daß viele alkoholabhängige Arbeitnehmer während ihrer Therapie die Fehlzeiten
durch eine längere tägliche Arbeitszeit und durch Anrechnung auf ihren Urlaub entsprechende Vereinbarungen mit ihren Vorgesetzten
wieder wettgemacht haben.
In der gegenwärtigen Arbeitssituation kann argumentiert werden, daß
Fehlzeiten nicht ohne weiteres in derselben Art und Weise wie Unfalle und schlechte Arbeitsleistung als ein Kostenfaktor angesetzt
werden sollten. Martin et al. (25) stellen fest:
...das Fernbleiben eines Suchtmittelmißbrauchers vom Arbeitsplatz reflektiert Bemühungen, sich selbst vor Schäden zu schützen, die eintreten
s
Die mit der Schätzung des Umfangs des Krankenstands infolge von
Alkohol verbundenen Probleme sind gut dokumentiert (89,100), insbesondere
im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Arbeitgeber, die häufig die einzige Informationsquelle über die Abwesenheitsgründe
der Arbeitnehmer sind. Da bei einer Krankschreibung Alkoholmißbrauch nur
selten als Grund für das Fehlen des Arbeitnehmers angegeben wird, sind die
von den Unternehmen gesammelten Krankheitsdaten vielfach nur von geringem Nutzen, um den alkoholbedingten Krankenstand festzustellen.
26
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
könnten, wenn er versuchen würde, zu arbeiten; dieser Schutz kann
sich offensichtlich auch auf Mitarbeiter und den Arbeitsplatz erstrekken. Die vielleicht absurd erscheinende Hypothese, daß ein Fernbleiben vom Arbeitsplatz durchaus einem positiven Zweck dienen kann,
steht im Kontrast zu der Tatsache, daß die Systeme zur Erkennung eines Suchtmittelmißbrauchs unter den Beschäftigten oder zur Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen fir eine Verhaltensänderung unzulänglich sind.
Dementsprechend könnte man es auch so sehen, daß ein alkoholbedingtes Arbeitsversäumnis u. U. gewisse positive Konsequenzen hat.
In einer Belegschaft mit angestammter Trinkkultur kann das Fernbleiben vom Arbeitsplatz beispielsweise sinnvoll sein, um die auf Alkoholkonsum zurückzuführende Unfallhäufigkeit und schlechte Arbeitsleistung zu reduzieren. Wenn Alkoholprobleme in einer Belegschaft nicht vollständig vermeidbar sind, könnte es für die Unternehmen nutzbringend sein, flexibler auf die Trinkgewohnheiten ihrer Beschäftigten einzugehen, indem sie die Möglichkeiten zur Arbeitsbefreiung erleichtern (vielleicht verknüpft mit strengeren Strafen für
diejenigen Arbeitnehmer, die unter Alkoholeinfluß am Arbeitsplatz
erscheinen), denn eine solche Strategie könnte die mit Produktivitätsverlusten und Unfällen verbundenen Kosten reduzieren.
Arbeitsversäumnis wird als einer der wichtigsten Kostenfaktoren für
die Unternehmen in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum angesehen. Die Schätzungen der tatsächlich involvierten Kosten sind indes-
sen strittig, da es etliche Schwierigkeiten gibt, die verlorengegangene" Zeit und den Wert der verlorengegangenen" Produktivität
zu quantifizieren. Akkurate Schätzungen setzen detailliertere Informationen über den Grund der Abwesenheit voraus und zur Beurteilung der assoziierten Kosten müssen individuelle Vereinbarungen
zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern in bezug auf Ersatzzeiten bei Arbeitsausfällen berücksichtigt werden.6
Unfälle
Einer der wichtigsten Gesichtspunkte beim Thema Alkohol am Arbeitsplatz ist der Zusammenhang mit Unfällen. Es gab eine Reihe von
spektakulären Unfällen, vor allem Verkehrsunfälle, bei denen
6 Eine derartige Praxis könnte vor allem in kleineren Betrieben durchaus
üblich sein.
27
Alkohol am Arbeitsplatz
Alkoholkonsum eine wichtige Rolle gespielt hat. Zwei der kostspieligsten Zwischenfälle waren ein Eisenbahnunglück in Louisiana, das
einen Schaden in Höhe von 16 Millionen US- Dollar verursacht hat,
und das Schiffsunglück, als der Öltanker Exxon Valdez in Alaska auf
Grund lief, mit der Folge einer verhängnisvollen Umweltverschmut zung und eines katastrophalen wirtschaftlichen Schadens (26). Obwohl nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, daß Alkohol die
direkte Ursache für diese Unfälle war, steht zumindest fest, daß er
hier maßgeblich beteiligt gewesen sein kann. Diese Beispiele zeigen,
daß gelegentlich immense Kosten involviert sein können, doch handelt es sich um Einzelfälle, aus denen sich die normalerweise mit Betriebsunfällen verbundenen Kosten kaum ableiten lassen.
Um eine Vorstellung von den möglichen Verlusten zu geben, die sich
als Folge von alltäglicheren Unfällen ergeben können, wurde von
Health and Safety Executive (127) eine Studie in fünf verschiedenen
Unternehmen durchgeführt. In dieser Studie wurden die mit Unfällen
verbundenen Kosten berechnet, wobei ein Unfall im weiteren Sinn
definiert wurde als irgendein unvorhergesehenes Ereignis, das in einer Verletzung oder gesundheitlichen Beeinträchtigung von Personen,
einem Schaden oder Verlust in bezug auf Eigentum, Betriebsanlagen,
Material oder die Umwelt oder der Einbuße einer geschäftlichen Gelegenheit resultiert". Die in dieser Studie geschätzten Verluste sind in
Tabelle 2 ausgewiesen.
Es ist anzumerken, daß diese Schätzwerte keine katastrophalen" oder
spektakulären Verluste beinhalten, da es während der Zeit, in der die
Studie durchgeführt wurde, keine derartigen Zwischenfälle gab. Den-
noch wurden die aus Unfällen resultierenden Kosten von der Geschäftsleitung als signifikant eingestuft, mit erheblichen finanziellen
Belastungen in der Größenordnung eines beachtlichen Prozentsatzes
der Betriebskosten und Gewinne. Laut Feststellung des statistischen
Landesamts Office of Population Censuses and Surveys (128) ereignen sich im Vereinigten Königreich jährlich 1,6 Millionen Unfälle mit
Verletzungsfolge, die zu den auf 4 -9 Milliarden Pfund Sterling geschätzten Kosten für die Unternehmen insgesamt im Zusammenhang
mit Unfällen und berufsbedingten Gesundheitsstörungen beitragen
(127,129). Die gesamten volkswirtschaftlichen Folgekosten durch Un-
fälle und Berufskrankheiten sind wesentlich höher und werden auf
10-15 Milliarden Pfund Sterling jährlich geschätzt.
28
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
Tabelle 2. Finanzielle Verluste durch Unfälle in fünf britischen
Unternehmen, 1990 -1991
Unternehmen
Gesamtverlust
Entspricht
Baustelle
700 000 £
8,5% des Angebotpreises
Molkerei
975 336 £
1,4% der Betriebskosten
Transportunternehmen
195 712 £
1,8% der Betriebskosten und
37% des Gewinns
Ölplattform
Krankenhaus
3 763 684 £
397 140 £
14,2% der potentiellen Fördermenge
5% der jährlichen laufenden Kosten
Quelle: Health and Safety Executive (127).
Die Erkenntnisse aus einer Reihe von Studien zeigen, daß Alkoholkonsum wahrscheinlich bei Arbeitsunfällen wie auch bei Unfällen generell mit im Spiel ist. Über die genaue Relation weiß man erst wenig
und somit ist keine akkurate Einschätzung der genauen Rolle, die der
Alkoholkonsum als Unfallursache spielt und keine Schätzung der
wahrscheinlichen Kosten möglich.
Arbeitsleistung
Eine direkte Bestimmung des Umfangs und der Kosten der in alkoho-
lisiertem Zustand geminderten Arbeitsleistung ist nicht einfach (s.
Kapitel 1), trotzdem wurden bisher einige Schätzungen vorgenommen. Eines der am häufigsten angewendeten Verfahren zur Abschätzung des Werts der Produktionsverluste ist das Stanford -Modell.
Nach
dieser
Methode
beträgt
die
Produktivität
eines
durchschnittlichen Alkoholikers" nur 75% der Normalleistung
(87,130), weshalb von einer Einbuße in Höhe von 25% der Lohnkosten ausgegangen wird. Für ein Unternehmen insgesamt werden die
Kosten des Alkoholkonsums durch Multiplikation des Anteils der
Betriebsangehörigen, bei denen ein schweres Alkoholproblem vermutet wird, mit der entsprechend geminderten Arbeitsleistung kalkuliert. In einem Land, in dem der Anteil der Arbeitnehmer mit einem
ernsten Alkoholproblem auf 5% geschätzt wird, werden die Produktivitätsverluste insgesamt mit 1,25% der gesamten Lohn- und Gehaltskosten beziffert. Es gibt jedoch Probleme hinsichtlich der Berechnung
29
Alkohol am Arbeitsplatz
der Kosten der Produktivitätsverluste auf der Basis der Lohnkosten.
Mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern sind weitaus mehr Kosten
verbunden als beispielsweise Löhne und Gehälter, Pensionen, Nebenkosten für Heizung, Beleuchtung und Sicherheit im Betrieb.
Die Genauigkeit dieser Gleichung hängt also von einer Reihe von
Schätzwerten ab, die nicht als zuverlässig angesehen werden können,
wie beispielsweise die Beurteilung der Zahl der Arbeitnehmer, bei
denen ein schweres Alkoholproblem vermutet werden kann, und des
Umfangs, in welchem dieses Alkoholproblem die Arbeitsleistung der
betreffenden Personen insgesamt beeinträchtigt. Diese Formel ist also
nur begrenzt tauglich als Methode zur Abschätzung der generellen
Produktivitätsverluste, da sie Leistungsdefizite bei den nicht als Problemtrinker eingestuften Mitarbeitern und entsprechende Produktionsausfälle unberücksichtigt läßt, die wegen ihrer größeren Zahl
vielleicht ein noch größeres Risiko in Hinsicht auf Produktionsausfälle darstellen können, als Problemtrinker (131).
Arbeitsplatzwechsel
Arbeitsplatzwechsel der Arbeitnehmer - entweder Wechsel zu einem
anderen Unternehmen oder innerbetrieblich auf einen anderen Arbeitsplatz - ist insofern ein Kostenfaktor für die Unternehmen, daß
neues Personal eingestellt und geschult werden muß. Alkoholkonsum
hat häufig eine Rolle bei einer stärkeren Fluktuation gespielt, doch
liegen hier noch keine genauen Erkenntnisse über die Zusammenhänge vor. Schollaert (132) hat in einer Studie über 161 erwerbstätige Alkoholiker festgestellt, daß 36% in den fünf Jahren vor Beginn einer
Therapie ihren Arbeitsplatz gewechselt hatten. Schollaert hat allerdings keine entsprechenden Fluktuationsraten für Nichtalkoholiker
angegeben, was den Wert dieser Studie mindert, indessen zeigt, daß
Variable, die das Trinkverhalten beschreiben, in dem Prozeß des Arbeitsplatzwechsels zentrale Bedeutung zu haben scheinen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Arbeitsplatzwechsel in einem Unternehmen wird von Morawski (59) nachgewiesen, der
festgestellt hat, daß Problemtrinker in Polen ihren Arbeitsplatz in ei-
nem Betrieb sehr viel häufiger als Nichtproblemtrinker wechseln.
Teilweise war dies auf die Versetzung von Personen mit alkoholbedingten Problemen an einen weniger anspruchsvollen oder weniger
gefährlichen Arbeitsplatz innerhalb eines Betriebs zurückzuführen;
das führte auch zu einer geringeren Personalfluktuation zwischen
30
Volkswirtschaftliche Aspekte des Alkoholkonsums
Unternehmen, da die betreffenden Personen noch verwendbar waren
(wenn auch in einer niedrigeren Position) und in dem Betrieb verbleiben konnten (25).
Arbeitsbeziehungen
Alkoholkonsum am Arbeitsplatz kann eine Reihe von Problemen
aufwerfen; auf viele dieser Probleme ist bereits im Kapitel 1 eingegangen worden. Die damit verbundenen Kosten können nur schwer
quantifiziert werden und sind selten in den Schätzungen der Kosten
des Alkoholkonsums insgesamt enthalten. Es ist auch anzumerken,
daß Alkoholkonsum durchaus einen gewissen positiven Effekt am Arbeitsplatz haben kann und sogar positive ökonomische Konsequenzen
für das Unternehmen haben könnte. So spielt beispielsweise Alkoholkonsum bei Managern offensichtlich eine wichtige Rolle, um die Beziehungen zwischen den Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern zu fördern, was sich in vielfältiger Hinsicht positiv auf die Zusammenarbeit
und möglicherweise ebenso auf die Produktivität auswirken kann. Alkoholkonsum im Kollegenkreis kann sich insofern auch günstig auswirken, daß er die sozialen Beziehungen und den Teamgeist fordert,
was wiederum von ökonomischem Nutzen sein kann.
Darüber hinaus kann Alkohol dazu dienen, den Arbeitseinsatz zu verstärken - diese Rolle wird im allgemeinen auf Betriebsfeiern deutlich,
die als Belohnung für das Erreichen von Produktionszielen oder für
neue Geschäftsabschlüsse veranstaltet werden. Abgesehen von solchen speziellen Anlässen arrangieren viele Unternehmen regelmäßige
Betriebsfeste, die einem ähnlichen Zweck dienen und die Beziehungen unter den Mitarbeitern verbessern sollen. Obwohl Alkohol nicht
als wesentliche Voraussetzung zum Feiern gesehen werden sollte,
kann er häufig eine wichtige Rolle spielen (und erheblich zur Verbesserung der Stimmung beitragen). Die Nutzwirkung derartiger Zusammenkünfte des Personals läßt sich aus ökonomischer Sicht nur ganz
schwer quantifizieren und demzufolge sind auch derartige Effekte bei
der Berechnung der Kosten des Alkoholkonsums nur selten in Betracht gezogen worden. Die Bedeutung von Feiern und - so kann man
argumentieren - Alkohol kann an deni Widerwillen vieler Arbeitgeber,
Alkohol auf derartigen Veranstaltungen zu verbieten, ermessen werden.
Betriebsfeiern gelten als wesentliches Element der Anteilnahme an den
31
Alkohol am Arbeitsplatz
Mitarbeitern und Alkohol wird meist als wichtiger Bestandteil solcher
Feierlichkeiten angesehen.?
Alkohol hat oft dramatische, offenkundige Auswirkungen auf persönliche Beziehungen, seine genauen Auswirkungen auf die Produktivität
insgesamt gesehen sind indessen weitaus schwieriger zu quantifizieren. Viele Auswirkungen des Alkoholkonsums - zumindest wenn der
Alkohol in kleinen Mengen genossen wird - sind eher subtil. Aus diesem Grund ist es derzeit nicht möglich, den Nutzen und Schaden abzuschätzen, der sich durch Alkoholkonsum am Arbeitsplatz in bezug
auf die Arbeitsbeziehungen ergibt.
Die Billigung (oder sogar Förderung) des Alkoholkonsums durch das
Management unter bestimmten Umständen kann einen gewissen Nutzen erbringen, doch andererseits auch Bemühungen hinsichtlich eines alkoholfreien Arbeitsplatzes "erschweren (s. Kapitel 5).
7
32
3
Faktoren, die mit dem
Alkoholkonsum
am Arbeitsplatz
zusammenhängen
In vielen Konzepten liegt der Schwerpunkt darauf, Arbeitnehmer mit
Alkoholproblemen zu identifizieren; dabei wird häufig die Rolle
übersehen, die dem Arbeitsumfeld bei der Motivation zum Trinken
zukommt. Das ist schlecht, da Arbeitsplatzfaktoren erheblichen Einfluß auf die Trinkgewohnheiten und auf das allgemeine Konsumniveau haben können. Von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen der allgemeinen Verbreitung des Trinkens und speziellen Gegebenheiten des Arbeitsumfeldes, ferner die Frage, in welchem Zusammenhang der Alkoholkonsum mit der Art der jeweiligen
Tätigkeit steht sowie welche Rolle normale und akzeptierte" Arbeitspraktiken hinsichtlich der Motivation zum Trinken und zur Beibehaltung der Trinkmuster spielen.
ARBEITSPLATZSPEZIFISCHE FAKTOREN
Das Ausmaß des Trinkens an einem bestimmten Arbeitsplatz kann
teilweise von dem betriebsinternen Arbeitsmilieu abhängen. Das Arbeitsumfeld kann durch Faktoren wie Zugangsmöglichkeiten zu Alkohol und günstige Möglichkeiten zum Alkoholkonsum am Arbeitsplatz
einen sehr großen Einfluß auf das Entstehen und Bewahren einer
Trinkkultur haben. Cooper & Sadri (133) erkennen hier die Bedeutung
33
Alkohol am Arbeitsplatz
des Arbeitsumfeldes an und sind so weit gegangen, zu behaupten, daß
ein durch allgemein übermäßigen Alkoholkonsum charakterisiertes
Arbeitsumfeld eher als Zeichen für unzulängliche Arbeitsbedingungen
selbst zu werten ist und weniger als Anlaß für Reflexionen über diejenigen, die Alkohol trinken. Deshalb kann nach Meinung dieser Autoren eine Belegschaft, die viel trinkt, ein Symptom für ein schlechtes
Arbeitsmilieu sein. Der allgemeine Alkoholkonsum kann durch Ände-
rung von Trinkgewohnheiten und durch Schaffung von alkoholfeindlichen" Arbeitsplätzen reduziert werden. Einige zu diesem
Zweck vorgeschlagene Schritte sehen u. a. vor, alkoholfreie Getränke
jederzeit verfügbar zu machen, in Betriebskantinen keine alkoholischen Getränke auszuschenken, subventionierte Mahlzeiten und alkoholfreie Getränke anzubieten, damit in der Mittagspause keine öffent-
lichen Pubs mehr aufgesucht werden, ferner helle, saubere und
freundliche Aufenthaltsräume zu schaffen, in denen das Rauchen eingeschränkt wird, und festzustellen, welche Orte die Mitarbeiter aufsuchen, um heimlich zu trinken (134,135). Besonders wichtig ist, daß
das Management mit gutem Beispiel vorangeht, etwa durch ein Alkoholverbot in Tagungsräumen und durch den Verzicht auf die private
Bar im Büro. Solche Maßnahmen tragen dazu bei, die Trinkgewohnheiten innerhalb eines Unternehmens zu verändern und erschweren es
außerdem den Mitarbeitern, während der Arbeit zu trinken.
In einschlägigen Konzepten in den Vereinigten Staaten werden Therapiemöglichkeiten für Mitarbeiter mit Alkoholproblemen in den
Vordergrund gestellt und Vorschriften über die Verfügbarkeit von
Alkohol am Arbeitsplatz und allgemeine Trinkverbote für die gesamte
Belegschaft fast völlig außer acht gelassen (136). Nach Meinung von
Ames et al. (137) ist dies ein schwerer Fehler der in den Vereinigten
Staaten praktizierten Alkoholpolitik und könnte ein Grund für die of-
fensichtliche Erfolglosigkeit sein, die generell auftretenden Alkoholprobleme am Arbeitsplatz zu verringern (138). Es gibt Belege dafür, daß es sich anderswo ähnlich verhält, denn viele Unternehmen
gehen davon aus, ihre Alkoholpolitik allein auf Problemtrinker zuzuschneiden und nicht auf diejenigen, die gelegentlich mal zu viel trinken. Deshalb könnte es vielleicht sein, daß im Rahmen der Alkohol pblitik der Unternehmen keine Bemühungen unternommen werden,
die Umstände, die für das Trinken unter ihren Beschäftigten ursächlich sind, zu ändern.
34
Faktoren, die mit dem Alkoholkonsum am Arbeitsplatz
zusammenhängen
ARBEITSSPEZIFISCHE FAKTOREN
Außer dem Arbeitsumfeld kann auch die Art der Tätigkeit einen großen Einfluß auf die Alkoholmengen, die ein Arbeitnehmer trinkt, haben. Anhand von Daten über die Sterblichkeit an Leberzirrhose bei
Männern verschiedener Berufskategorien wurde in bestimmten Berufen eine spezielle Alkoholgefährdung festgestellt (128,139 -141). Folgende Hauptfaktoren wurden zur Erklärung dieses erhöhten Risikos
genannt: Verfügbarkeit von Alkohol am Arbeitsplatz (134), gesellschaftlicher Druck zum Trinken, mangelnde berufliche Flexibilität
oder monotone Arbeiten, die langweilig werden (142), soziale Isolation oder sexuelle Frustration, mangelnde Aufsicht, unbefriedigende
Tätigkeiten (143,144) sowie besonders hohes oder niedriges Einkommen.
Solche Faktoren können das Ausmaß des Trinkens erheblich beeinflussen, doch ist hier auch anzumerken, daß bestimmte Berufe besonders attraktiv für Alkoholfreunde sein können, da sie es ihnen erlauben, auch während der Arbeit zu trinken. Dementsprechend dürfte
nicht nur die Art der durchgeführten Tätigkeit allein für starkes Trinken verantwortlich sein. Unter diesen Umständen könnte für ein Unternehmen, das sich über die Trinkgewohnheiten seiner Mitarbeiter
sorgt, ein Screening vor der Einstellung neuer Mitarbeiter nützlich
sein - von dieser Möglichkeit wird bereits in den Vereinigten Staaten
in gewissem Umfang Gebrauch gemacht. Außer einem solchen Test
der einzustellenden Mitarbeiter auf Vorliegen eines Alkoholproblems
können die Unternehmen auch durch Maßnahmen wie eine Änderung
der Arbeitspläne, um die Zeiten der Abwesenheit von zu Hause zu
verkürzen, und eine abwechslungsreichere Gestaltung der Arbeit die
Auswirkungen von Faktoren, die übermäßiges Trinken bgünstigen,
reduzieren.
DIE WIRKUNG NORMALER" ARBEITSPRAKTIKEN
Außer den Auswirkungen, die das Arbeitsumfeld und die Art der Tätigkeit auf das Ausmaß des Trinkens am Arbeitsplatz haben können,
beeinflußt auch die vorherrschende Einstellung der Beschäftigten zum
Trinken und Vorstellung von normaler" Arbeitsgestaltung das Verhalten eines Mitarbeiters stark und kann zumindest in bestimmten
35
Alkohol am Arbeitsplatz
Situationen mehr Einfluß haben als betriebliche Vorschriften über Alkoholkonsum.
...es kann offizielle Regelungen der Unternehmensleitung über Alkoholkonsum geben, an die sich die Mehrheit der Beschäftigten durchaus
hält, die eher der gesellschaftlichen Erwartungshaltung entsprechen,
daß Alkoholkonsum unter bestimmten Umständen angebracht - wenn
nicht sogar wünschenswert - ist ... So kann beispielsweise in einem
Arbeitsteam von Dachdeckern, Malern oder Zimmerleuten davon ausgegangen werden, daß man - obwohl Trinken während der Arbeitszeit
in einer Baufirma nicht mit der Geschäftspolitik vereinbar ist - am
Freitag nachmittag dies nicht so verbissen sehen muß" und ein paar
Bier trinken darf'. In einer anderen Berufskategorie, z. B. EDV Programmierer, könnten derartige Trinkgewohnheiten durchaus disziplinarische Maßnahmen oder eine Entlassung nach sich ziehen (145).
Dementsprechend kann es so sein, daß die Geschäftspolitik zum Alkoholkonsum während der Arbeit vielleicht von den Bauarbeitern, die
von der offenbar verbreiteten Ansicht ausgehen, daß Trinken am
Freitag nachmittag üblich und akzeptabel ist, völlig mißachtet wird.
Sobald der Alkoholkonsum einmal fester Bestandteil der Arbeit und
arbeitsbezogenen Tätigkeiten geworden ist, kann die Durchsetzung
von Trinkverboten zu einem kostspieligen und kontraproduktiven
Vorhaben werden.
Es ist jedoch anzumerken, daß nicht alle Trink -Normen ", die der Alkoholpolitik widersprechen, für den Betrieb schlecht sind. Einige dieser Normen sind gerade deshalb entstanden, weil sie den unmittelbaren Bedürfnissen des Unternehmens und des einzelnen Mitarbeiters
dienen. So können beispielsweise Trinkzusammenkünfte" u. U.
symbolischen oder tatsächlichen Funktionen dienen, die für die Ziele
der Arbeitsorganisation wichtig sind. Dazu kann eine gewisse Ent-
spannung von Belastungen durch lange Schichtarbeit und die Erleichterung der Teambildung gehören (146). Solche nutzbringenden
Praktiken sind sehr schwer zu ändern und eine Geschäftspolitik, die
dagegen angehen möchte, trifft höchstwahrscheinlich auf harten Widerstand in der gesamten Belegschaft. Die stillschweigende Duldung
bestimmter Trinkmuster kann jede Alkoholpolitik verwässern und die
Schaffung eines alkoholfreien Arbeitsplatzes sehr erschweren.
Angesichts der Bedeutung dieser Normen für die Feststellung der
Trinkgewohnheiten am Arbeitsplatz kann eine Alkoholpolitik
36
Faktoren, die mit dem Alkoholkonsum am Arbeitsplatz
zusammenhängen
erfolgreicher sein, wenn sie sich mit diesen Problemen auseinandersetzt. Die geringe Wirkung, die alkoholpolitische Konzepte offensichtlich in den Vereinigten Staaten auf das Ausmaß des Trinkens
insgesamt gehabt haben (147), kann darauf zurückzuführen sein, daß
dem Arbeitsplatz" bei den Präventions- und Interventionsbemühun gen nur geringe Priorität beigemessen wurde (138). Eines der vordringlichsten Forschungsprobleme im Alkoholbereich ist die Identifizierung der mächtigen Kräfte, die am Arbeitsplatz wirken, und die
Feststellung, wie diese Kräfte das Trinkverhalten beeinflussen können.
37
4
Alkoholpolitik
am Arbeitsplatz
GESTALTUNG DER POLITIK
Eine wirkungsvolle Politik muß spezifisch auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten sein und alle Schlüsselpersonen unter den Mitarbeitern mit einbeziehen. Die Entscheidungsträger müssen davon
ausgehen, daß jedes Unternehmen verschieden ist und daß es keine
Universalpolitik gibt, die für sämtliche Unternehmen gleichermaßen
wirkungsvoll ist.
Inwieweit der Alkoholkonsum beispielsweise an einem bestimmten
Arbeitsplatz eingeschränkt wird, ist weitgehend abhängig von dem
jeweiligen Unternehmen, der Art der Tätigkeit und der Bedeutung des
jeweiligen Images des betreffenden Unternehmens. Wie die nachstehenden beiden Auszüge (erstens des Kent County Council in England
und zweitens der Heathrow Airport Ltd., London) zeigen, können diese Faktoren zu ganz unterschiedlichen alkoholpolitischen Konzepten
führen.
Mäßiger Alkoholkonsum ist akzeptabel. Es ist gleichermaßen akzeptabel, überhaupt keinen Alkohol zu trinken, wenn man dies nicht möchte.
Während der Arbeitszeit dürfen die Mitarbeiter auf keinen Fall Alkohol trinken. Diese Regelung gilt auch für Getränke mit einem niedrigen Alkoholgehalt oder sogenannte alkoholfreie" Getränke, da die
Mitarbeiter sich dessen bewußt sein müssen, daß Alkoholgeruch im
Atem für andere unangenehm sein kann. ... Die Mitarbeiter dürfen während der Arbeitszeit keine Bars innerhalb oder außerhalb des Flughafens
38
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
aufsuchen, auch nicht für den Konsum von alkoholfreien Geträn -ken. Das
gilt auch fir die Mittagspause und alle sonstigen offiziellen Arbeitspau-
sen. ... Mitarbeiter in Uniform oder Schutzkleidung, die als Mitarbeiter der Heathrow Airport Limited zu erkennen sind, dürfen kein Lokal
innerhalb oder außerhalb des Flughafens aufsuchen, in dem Alkohol
ausgeschenkt wird.
Es ist unbedingt erforderlich, daß die Schlüsselpersonen, die in die
Vorbereitung, Umsetzung und Evaluierung der Alkoholpolitik einbezogen sind, auch von der Notwendigkeit einer solchen Regelung über-
zeugt sind. Das setzt häufig eine operationelle Analyse des Unternehmens sowie die genaue Untersuchung der Bereiche voraus, die
von alkoholbedingten Fehlzeiten, Unfällen usw. betroffen sein können. In zahlreichen Artikeln sind Möglichkeiten beschrieben worden,
wie man eine solche Politik maßgerecht auf die spezifischen Erfordernisse eines Unternehmens zuschneiden kann (134,135,148), deshalb wird hier nicht ausführlich auf diesen Punkt eingegangen.
BEISPIELE FÜR DIE GESTALTUNG DER ALKOHOLPOLITIK
Beispiele für alkoholbezogene Konzepte
gegeben, die gegenwärtig in verschiedenen Unternehmensarten in Europa existieren. Die Informationen stammen aus Befragungen von
Betriebsangehörigen sowie aus dem Material über alkoholbezogene
Regelungen, das die Unternehmen zur Verfügung gestellt haben.
In
EVALUIERUNG DER ALKOHOLPOLITIK
Eine besonders wichtige, jedoch häufig vernachlässigte Komponente einer
Alkoholpolitik ist ihre Evaluation - wichtig, weil sie Informationen über die
Effektivität der Alkoholpolitik gibt, eine Bewertung der wirtschaftlichen
Folgen ermöglicht und zur Schärfung des Problembewußtseins beiträgt.
Die Gesundheitserziehungsbehörde in England (148) führt hierzu aus:
Evaluation sollte als integraler Bestandteil der Einführung einer Alkoholpolitik am Arbeitsplatz gesehen werden ... jegliche Alkoholpolitik
ohne kontinuierliche Begleitüberwachung, Bewertung und Evaluierung
läuft Gefahr, wirkungslos zu werden.
39
Alkohol am Arbeitsplatz
Wirkungsvolle Evaluation kann auch eine wesentliche Voraussetzung
für laufende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sein, da in zunehmendem Maß ein Service, der sein Geld wert ist" gefordert wird.
Leider sieht es so aus, daß es in den Unternehmen eher mit der
Evaluation von Gesundheitdiensten hapert, wie in einer kürzlich vom
britischen Industrieverband CBI ( Confederation of British Industry)
demonstriert wurde (14).
... mehr und mehr Gewicht wird darauf gelegt, daß in Unternehmen
ein Service, der sein Geld wert ist" geleistet werden kann ... In 40%
der Antworten auf die CBI- Umfrage konnten die Kosten der existierenden arbeitsmedizinischen Dienste quantifiziert werden. Die durchschnittlichen Ausgaben dafür betrugen jährlich 415 000 Pfund Sterling
und in 10% der Fälle wurden jährlich über eine Million Pfund Sterling
aufgewendet. Von den Unternehmen, die diese Ausgaben quantifizieren konnten, waren jedoch nur 11% in der Lage zu beurteilen, ob ihre
Dienste kostenwirksam sind.
Beispiele für Evaluationen
Da die Wirkung von arbeitsmedizinischen Diensten und Konzepten in
Europa nur selten evaluiert werden, müssen wir zur Information über
die Effektivität von alkoholpolitischen und allgemeinen gesundheits-
politischen Konzepten einen Blick auf Studien werfen, die in den
Vereinigten Staaten durchgeführt wurden. Beispielsweise haben Blose & Holder (149) in einer Studie über betriebliche Aufwendungen
für die Gesundheitsversorgung nach Einführung einer solchen Politik
die Unterlagen von über 2200 versicherten Arbeitnehmern während
eines Zeitraums von 14 Jahren geprüft. In der Studie kam man zu dem
Schluß, daß eine Behandlung wegen Alkoholproblemen zwar zur
Senkung der Gesundheitsversorgungskosten beigetragen hat, doch daß
der jeweilige Nutzen mit dem Alter zusammenhängt. Nach einer Therapie sind die Gesundheitsversorgungskosten für Personen der Altersgruppe unter 50 Jahre zurückgegangen, aber nicht in der Gruppe der
über 50jährigen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die große Bedeutung von Früherkennungsmaßnahmen und einer frühzeitigen Therapie
bei Alkoholproblemen - je älter der betroffene Mitarbeiter ist, desto
weniger kostenwirksam ist die Therapie.
Holder & Blose (150) beurteilten auch die Auswirkungen, die Behandlungen wegen Alkoholismus" auf die gesamten Gesundheitsversorgungskosten eines Unternehmens hatten. Über 3000 Daten von the-
40
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
rapierten Alkoholikern, die im Rahmen eines bestimmten Gesundheitsplans über den Zeitraum von 14 Jahren gesammelt worden waren, wurden ausgewertet. Hinsichtlich der Gültigkeit der Aussagen
wurde nach zwei Methoden verfahren, und zwar wurde bei der ersten
Methode eine Gruppe vor und nach der Therapie sowie eine
nichtbehandelte Kontrollgruppe untersucht. Dabei zeigte sich, daß
nach einer Therapie die Gesundheitsversorgungskosten allgemein im
Durchschnitt um 23% zurückgegangen waren. Bei der zweiten Methode wurden Zeitserien über einen Zeitraum von 14 Jahren untersucht und es wurde festgestellt, daß die Gesundheitsversorgungsko sten der behandelten Alkoholiker um 24% niedriger waren als bei den
nichtbehandelten Alkoholikern. Diese Studie zeigt die langfristigen
günstigen Auswirkungen einer Therapie und bekräftigt die Aussagen,
daß für jeden Dollar, den ein amerikanisches Unternehmen für gesundheitsbezogene Maßnahmen am Arbeitsplatz ausgibt, ein Nutzen
von schätzungsweise 2 bis 7 Dollar erzielt werden kann.
41
Alkohol am Arbeitsplatz
Kasten 1. Beispiel für die Alkoholpolitik in einem Verkehrsunternehmen
Zahl der Beschäftigten:
Aktuelle Fragen:
300
Neue Gesetzgebung
Stichproben (bei Vorliegen eines Grundes)
Tests auf Alkohol und Drogen
Sicherheit der Angestellten und Passagiere
Haftbarmachung
Einführung der Politik:
Vor 1982
Kurzdarstellung der Politik
Ziele
Die Beschäftigten für die Risiken starken Trinkens sensibilisieren.
Mitarbeiter, die vermutlich ein Alkoholproblem haben, dahingehend
unterstützen, daß sie von sich aus frühzeitig Hilfe bei entsprechenden Einrichtungen suchen.
Betroffene Mitarbeiter an Hilfseinrichtungen verweisen, wenn aufgrund eines Alkoholproblems ein Disziplinarverfahren droht.
Theorie und Definitionen
Alkoholbezogene Probleme werden in erster Linie als ein gesundheitliches und soziales Problem angesehen.
Ein Alkoholproblem wird als Trinkverhalten definiert, das die Gesundheit und soziale Funktionsweise und /oder Arbeitsfähigkeit oder
das Verhalten eines Beschäftigten beeinträchtigt.
Verfahrensweisen
Publizität stellt sicher, daß sich die Mitarbeiter der Problematik bewußt werden.
Am Arbeitsplatz (bzw. bei Tragen einer Uniform sogar außerhalb des
Arbeitsplatzes) darf kein Alkohol getrunken werden.
Den Beschäftigten wird die Möglichkeit geboten, bei einem Disziplinarverfahren sowie auch auf freiwilliger Basis Diagnose- und Therapiemöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Die Therapie wird vom
Personalberatungsdienst (ECS) arrangiert.
Der Personalberatungsdienst informiert die Personalabteilung nur,
wenn mit einer Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu rechnen ist; erforderlichenfalls wird Krankenhausurlaub gewährt.
Weitere Möglichkeiten werden im Fall eines Wiederauftretens des
Problems nach der Therapie angeboten.
Nicht geregelt sind Fälle einer gelegentlichen Übertretung.
Die Daten des betreffenden Mitarbeiters werden streng vertraulich
behandelt.
Die Regelungen gelten für alle Beschäftigten, ungeachtet der jeweils
bekleideten Position.
Die Politik erstreckt sich auch auf Spielsucht und Lösungsmittelmiß brauch.
42
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Kasten 2. Beispiele für die Alkoholpolitik an einem Flughafen
Zahl der Beschäftigten:
Aktuelle Fragen:
Rund 1200
Einführung der Politik:
Erster Entwurf April 1991 - wird z. Z. überprüft
Sicherheit
Die Alkoholpolitik wird gegenwärtig überprüft und aktualisiert, um alle Beschäftigten
zu umfassen
Starke Gewerkschaften
Kurzdarstellung der Politik
Ziele
Den Beschäftigten die Möglichkeit geben, fachkundige Hilfe und Beratung zu erhalten.
Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters mit einem Trinkproblem innerhalb eines gebührenden Zeitraums in akzeptablem Umfang wiederherstellen.
Theorie und Definitionen
Alkohol beeinträchtigt Teile des Gehirns, die normalerweise das soziale und persönliche Verhalten kontrollieren.
Alkohol ist die Ursache für den Verlust von bis zu 14 Millionen Arbeitstagen pro Jahr.
Alkoholmißbrauch sollte als Krankheit angesehen werden; dementsprechend sollte der Betroffene genau so behandelt werden wie jede
andere an einer Krankheit leidende Person.
Verfahrensweisen
Alkoholkonsum ist auf dem Flughafengelände und für jede Person,
die Uniform trägt, verboten.
In Fällen, in denen die Handlungen einer Person auf chronischem
Alkoholismus beruhen, sind Disziplinarmaßnahmen unangebracht.
Freiwilliges Aufsuchen einer medizinischen Einrichtung, in der Therapie und Beratung angeboten wird.
Die Überweisung an eine solche medizinische Einrichtung kann auch
durch den Personalbeauftragten erfolgen, für gewöhnlich bei gehäuften Fehlzeiten. Die Weigerung, sich einer Behandlung zu unterziehen, oder ein Rückfall führt zu einem Disziplinarverfahren oder
zur Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen.
Die Betroffenen haben das Recht, sich bei Vorladungen gewerkschaftlich vertreten zu lassen und das Recht, medizinische Gutachten anzufechten.
Anmerkung
Die Politik enthält kein erzieherisches Element.
43
Alkohol am Arbeitsplatz
Kasten 3. Beispiel für die Alkoholpolitik in einer Gesundheitsversorgungseinrichtung
Zahl der Beschäftigten:
Aktuelle Situation:
2060
Die Mitarbeiter sind täglich in engem Kontakt mit der Öffentlichkeit
Berufsbedingt sind gesundheitliche Belange von
besonderer Relevanz für die Beschäftigten
Einführung der Politik:
Vor längerer Zeit"
Kurzdarstellung der Politik
Ziele
Die Beschäftigten für die Risiken, die mit Alkohol -, Drogen- und Lösungsmittelmißbrauch einhergehen, sensibilisieren.
Mitarbeiter, bei denen ein Abhängigkeitsproblem vermutet wird, ermutigen, direkt oder über andere geeignete Wege, Hilfe zu suchen.
Während eines Disziplinarverfahrens den betreffenden Mitarbeitern
die Überweisung an eine einschlägige Hilfseinrichtung zur Diagnose
und erforderlichenfalls Therapie anbieten.
Theorie und Definitionen
Probleme der Alkohol- und Drogenabhängigkeit werden in erster Linie
als gesundheitliche und soziale Belange angesehen, deshalb sollten
die betroffenen Personen Zugang zu Therapie und Hilfe erhalten.
Alkoholabhängigkeit wird definiert als der - periodische oder laufende - Konsum von Alkoholmengen, die entschieden und wiederholt
die Gesundheit einer Person, ihre soziale Integration und berufliche
Leistungsfähigkeit oder ihr Verhalten beeinträchtigen.
Verfahrensweisen
Publizität stellt sicher, daß die Beschäftigten sich der Problematik
bewußt werden.
Alkohol ist in den Arbeitsräumen nicht erlaubt.
Die Identifikation eines Problems kann durch freiwilliges Aufsuchen
fachlicher Beratung oder durch Überweisung vonseiten des Managements an eine Beratungseinrichtung erfolgen.
Im Fall eines freiwilligen Nachsuchens um Hilfe arrangiert der Betriebsarzt eine angemessene Beratung und Therapie durch eine ge-
eignete Einrichtung und stellt fest, inwieweit eine kontinuierliche
Unterstützung erforderlich sein kann. Die Personalabteilung wird informiert, wenn zu befürchten ist, daß das Alkoholproblem die Sicherheit oder Leistungsfähigkeit beeinträchtigt; Disziplinarmaßnahmen
können u. U. eingeleitet werden.
Im Fall einer Überweisung vonseiten des Managements findet zunächst eine Unterredung in Gegenwart eines Gewerkschaftsvertre ters statt. Wenn die Überweisung akzeptiert wird, erfolgt eine Unterredung mit Vertretern der Personalabteilung und sodann wird der
Betriebsarzt eingeschaltet und verfährt wie vorstehend beschrieben.
Die Verweigerung einer Überweisung zieht direkt Disziplinarmaßnahmen nach sich.
44
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Kasten 4. Beispiel für die Alkoholpolitik in der Nahrungsmittelindustrie
Zahl der Beschäftigten: 750
Aktuelle Fragen:
Gegenwärtig findet die Politik nach ein oder zwei alkoholbedingten Zwischenfällen Anwendung
Sicherheit (d. h. Fahrer von Gabelstaplern)
Einführung der Politik: Entwurf wird gegenwärtig überprüft
Kurzdarstellung der Politik
Theorie und Definitionen
Alkoholmißbrauch wird als Konsum von Alkoholmengen definiert, die die Arbeitsleistungen beeinträchtigen.
In Übereinstimmung mit den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen stellt
eine schlechte Arbeitsleistung infolge von Alkoholeinwirkung ein Vergehen dar.
Verfahrensweisen
Vor der Einstellung ist ein Fragebogen über Alkoholkonsum zu beantworten.
Sowohl das Management als auch die Mitarbeiter werden über die gesundheitlichen Risiken des Alkohols aufgeklärt (Kampagnen des arbeitsmedizini schen Dienstes zur Schärfung des Problembewußtseins).
Das Management wird geschult, alkoholbverdächtige Anzeichen" zu erkennen.
Alkoholmißbrauch wird als eine disziplinarische Angelegenheit angesehen,
doch werden Disziplinarmaßnahmen zunächst zurückgestellt, um dem betreffenden Mitarbeiter Gelegenheit zum Aufsuchen geeigneter Beratungsund Therapieeinrichtungen zu geben.
Ein Verzeichnis der örtlichen Alkoholberatungseinrichtungen ist obligatorisch,
um ggf. Mitarbeiter mit einem Alkoholproblem zu überweisen.
Kasten 5. Beispiel für die Alkoholpolitik in einem Versicherungsunternehmen
Zahl der Beschäftigten: 12 000
Aktuelle Situation:
Wöchentliche Gehaltszahlung (jeweils donnerstags) Trinken in der Mittagspause
1995 Entwurf einer Alkoholpolitik und Einführung von
Tests.
Kein geregeltes Verfahren
Theorie und Definitionen
Unterschieden wird zwischen Alkoholabusus zum Vergnügen (eine disziplinarische Angelegenheit) und übermäßigem Trinken aufgrund eines Alkoholproblems (eine Fähigkeitsstörung).
Verfahrensweisen
Generell ist Trinken am Arbeitsplatz nicht erlaubt (Ausnahmen Weihnachtsfeier usw.)
Es gilt als disziplinarische Verfehlung, wenn unter Alkoholeinfluß Pflichten
und Verantwortungen nicht wahrgenommen werden können; die Beschäftigten werden darüber in einer Dienstordnung informiert.
Wartungspersonal erhält besondere Hinweise.
In Fällen, in denen ein Alkoholproblem vorliegt und zugegeben wird, wird
(über die örtliche Gesundheitsbehörde) Hilfe angeboten und Disziplinarmaßnahmen werden so lange ausgesetzt, bis das Behandlungsergebnis beurteilt
werden kann.
45
Alkohol am Arbeitsplatz
Kasten 6. Beispiel für die Alkoholpolitik bei einem Fernsehsender
Zahl der Beschäftigten:
Aktuelle Fragen:
220
Sicherheit (d. h. Fahrer)
Trinken während der Mittagspause
Zusammenkünfte in öffentlichen Gaststätten
(beispielsweise Journalisten)
Einführung der Politik:
Ungefähr 1984
Kurzdarstellung der Politik
Theorie und Definitionen
Alkoholmißbrauch wird definiert als ein kontinuierlicher oder regelmäßig wiederkehrender Konsum von Alkoholmengen, die körperliche, psychische oder soziale Abhängigkeit verursachen, die zur Verschlechterung der Arbeitsleistung und /oder der Gesundheit der betreffenden Person führen.
Der Fernsehsender sieht Alkoholmißbrauch in erster Linie als ein
Gesundheitsproblem an und ist deshalb bereit, behandlungsbedürftigen Personen in genau derselben Weise wie kranken Personen zu
helfen und Alkoholmißbrauch weniger als eine rein disziplinarische
Angelegenheit zu betrachten.
Verfahrensweisen
Aufklärung und Kampagnen zur Schärfung des Problembewußtseins
über alkoholbezogene Themen.
Am Arbeitsplatz ist Alkohol verboten.
Bei Auffälligkeit Einschaltung der Personalabteilung, die den betreffenden Angestellten an eine (betriebsfremde) professionelle Beratungsstelle überweist.
Krankenurlaub wird gewährt, wenn ein Fernbleiben vom Arbeitsplatz
im Rahmen der Therapie erforderlich ist.
Der arbeitsmedizinische Dienst verfolgt die Fortschritte während der Therapie.
Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens kann ein Gewerkschaftsvertreter
hinzugezogen werden.
Disziplinarmaßnahmen werden nicht getroffen, wenn der betreffende
Mitarbeiter einer Beratung zustimmt, es sei denn, daß die Therapie
abgebrochen oder erfolglos beendet wird.
Rückfälle nach einer Therapie werden unter Würdigung aller Umstände betrachtet und ggf. können weitere Möglichkeiten zur Rehabilitation angeboten werden,
Anmerkung
Bis jetzt wurde das vorstehend beschriebene Verfahren noch auf niemanden angewendet.
46
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Kasten 7. Beispiel für die Alkoholpolitik an einem Theater
Zahl der Beschäftigten:
54 Vollzeitverträge und bis zu 150 kurzfristige Verträge oder Teilzeitverträge
Aktuelle Fragen:
Häufig wechselndes Personal
Gewohnheitsmäßiges Trinken unter den
Mitarbeitern und vor allem unter den
Künstlern
Die Mitarbeiter haben engen Kontakt zum
Publikum
Sicherheit (d. h. technisches Personal)
Alkohol im Theater vorhanden
Kein geregeltes Verfahren
Anmerkung
Im März 1993 tauchte plötzlich ein Konzept auf, das jedoch nicht formell
angenommen worden ist und z. Z. noch geprüft wird.
Theorie und Definitionen
Keine.
Verfahrensweisen
Da keine offizielle Alkoholpolitik existiert, wird eher mehr oder minder nach mündlichen Absprachen oder nach Gutdünken" gehandelt.
In Besprechungen werden die Mitarbeiter informiert, was von ihnen
erwartet wird.
Für die Künstler, Techniker, usw. besteht kein Alkoholverbot. Gesunder Menschenverstand wird von den Managern angewendet, um
Unfälle zu verhüten.
Es besteht eine stillschweigende Abmachung, daß das Barpersonal und
die Mitarbeiter an der Theaterkasse während der Arbeitszeit nicht trinken.
Personen, die bei ihrer Arbeit besondere Sicherheitsbestimmungen
beachten müssen, werden nach Hause geschickt, wenn sie nach Alkohol riechen.
Gelegentlich wurden Problemtrinker zur Beratung geschickt und die
Kosten dafür wurden aus Mitteln des Gesundheits- und Sicherheitsbudgets getragen.
Anmerkung
Das Management würde gern eine Regelung vorsehen, daß bei gegebenem Anlaß Alkoholtests durchgeführt werden dürfen und daß dies in
den Arbeitsverträgen vereinbart wird.
47
Alkohol am Arbeitsplatz
Wegen der unterschiedlichen Art der Finanzierung der Ausgaben für
die Gesundheitsversorgung ist es schwierig, die amerikanischen Erkenntnisse auf Europa anzuwenden. Die amerikanischen Evaluationen der Kostenwirksamkeit von Behandlungen sind eng an die dem
Unternehmen entstandenen Kosten geknüpft. Diese Kosten sind
ganz unterschiedlich für die Unternehmen: in Ländern, in denen die
Gesundheitsversorgung eher ein Anliegen der Gesundheitsdienste
als der Unternehmen ist, werden die Kosten auf viele Steuerzahler
verteilt. Deshalb werden solche Kostenschätzungen in einigen Ländern nicht bei der Evaluation der betrieblichen Investitionen berücksichtigt. Dementsprechend können die vermuteten Gewinne, die sich
aus dem Vorhandensein einer Alkoholpolitik ergeben, für Unternehmen in anderen Ländern gleichermaßen attraktiv erscheinen.
Jüngste gesetzliche Änderungen im Vereinigten Königreich können
beispielsweise zur Veränderung dieser Situation beitragen, da die
Arbeitgeber seit April 1994 alle Kosten für Zahlungen im Krankheitsfall direkt tragen müssen (151); dies könnte dazu führen, daß
betriebliche Konzepte zur Gesundheitsvorsorge attraktiver werden.
Es hat sich gezeigt, daß solche Konzepte auch zu beträchtlichen Ein-
sparungen bei anderen Kosten stellen als den Gesundheitsversor gungskosten führen. So hat z. B. Hiker (nichtveröffentlichte Daten,
1974) festgestellt, daß die Einführung einer Alkoholpolitik bei der Illinois Bell Telephone Company einen Rückgang der krankheitsbedingten Behinderungen um 46 %, der Arbeitsunfälle um 81% sowie
der Unfälle außerhalb des Arbeitsplatzes um 63% zur Folge hatte.
Daraus resultierten für das Unternehmen jährliche Einsparungen in
Höhe von schätzungsweise 1142 US- Dollar pro Person allein in bezug
auf Lohnzahlungen.
Bei der Bewertung einer Alkoholpolitik ist es wichtig, die Wirksamkeit der jeweiligen Behandlung festzustellen. Es handelt sich dabei
um einen maßgebenden Forschungsbereich, der allerdings hier nur im
Kontext der Effektivität der stationären gegenüber der ambulanten
Behandlung und der damit verbundenen relativen Kosten kurz angesprochen wird.
Obwohl der Nutzen einer stationären Rehabilitation im Vergleich zu
weniger einschränkenden Therapien in den Vereinigten Staaten wäh-
rend der 80er Jahre keinesfalls belegt werden konnte, wurde ein
48
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Großteil der alkoholkranken Arbeitnehmer in stationäre Behandlung
überwiesen (152). Auch wenn es keine kostenwirksame Methode zur
Problemlösung ist, sich überwiegend auf die stationäre Behandlung zu
stützen, wurde diese Möglichkeit vermutlich aus den folgenden Gründen favorisiert (153).
1.
Bei einer Behandlung im Krankenhaus erstatten die meisten
Krankenversicherungen weitaus mehr, manchmal übernehmen
sie sogar den vollen Betrag.
2.
Im Rahmen von Krankheits- und Unfallplänen werden die
Lohnkosten während der Zeit des Arbeitsausfalls der betreffenden Arbeitnehmer gedeckt.
3.
Eine Überweisung zur stationären Behandlung erleichtert die
Arbeit des Beauftragten für das Betriebsangehörigen -Unterstützungsprogramm (Employee Assistance Programme EAP).
Die Organisation einer Therapie für einen Mitarbeiter ist häufig
eine schwierige, zeitraubende und emotional belastende Aufgabe. Dementsprechend ist es für einen stark beschäftigten EAP Beauftragten zweifellos einfacher, die Verantwortung einer
Einrichtung zur stationären Behandlung zu übertragen, anstatt
selbst regeln und überwachen zu müssen, daß der Klient in ein
erfolgversprechendes ambulantes Therapieprogramm eingegliedert wird.
4.
Die finanziellen Folgen sind dem EAP- Beauftragten, der diese
Entscheidungen trifft, vielleicht nicht ohne weiteres klar, da die
Kosten für die stationäre Behandlung und die Lohnausfallzahlungen in irgendeiner anderen Kategorie des Gesundheitsvorsorgeprogramms, für gewöhnlich unter einer ganz anderen Kostenstelle als dem EAP, verbucht werden.
Der Erfolg von Minimal " -Interventionen, die erheblich weniger kosten als eine stationäre Therapie, wurde in einer Untersuchung der
Arbeitnehmer- Beratungsstelle Employee Counselling Service in
Schottland demonstriert (154). Diese Beratungsstelle nimmt Überweisungen von einem großen Kreis von Arbeitgebern in Schottland entgegen und erarbeitet Beratungsprogramme, um Personen mit Alkoholproblemen zu helfen. Im Verlauf eines Jahres nach einer Therapie
waren lediglich 7,7% der Klienten wegen ihres Alkoholproblems
entlassen worden. (Die Studie erstreckte sich jedoch nicht auf eine
49
Alkohol am Arbeitsplatz
Kontrollgruppe, was eine genaue Interpretation der Resultate schwierig macht.) Andere Studien haben ähnliche Erfolge belegt. Anderson
& Scott (155) haben untersucht, welche Auswirkungen die Ratschläge
der Hausärzte auf die Trinkgewohnheiten von Männern mit einem
wöchentlichen Alkoholkonsum von 350 -1050 Gramm Alkohol hatten.
Bei einem späteren Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Männern,
die keine Ratschläge erhalten hatten, stellte sich heraus, daß die Männer der Therapiegruppe ihren Alkoholkonsum signifikant reduziert
hatten (durchschnittlich um mehr als 65 Gramm pro Woche). Anderson & Scott schließen daraus, daß die Beratung erfolgreich war und
empfehlen Hausärzten, sich mit dem Alkoholkonsum ihrer Patienten
zu befassen und stark alkoholgefährdete Personen gezielt zu beraten.
Wallace et al. (156) berichten über die Ergebnisse einer Studie über
909 starke Trinker (mit einem Alkoholkonsum von über 350 Gramm
pro Woche). Sie stellten erhebliche Veränderungen zwischen einer
Kontrollgruppe und der Interventionsgruppe fest, u. a. eine generelle
Verringerung des Alkoholkonsums und eine geringere Häufigkeit von
Phasen exzessiver Trinktouren. Das betreffende Interventionsprogramm beinhaltete eine kurze Beratung durch einen Arzt über die
Einschränkung des Alkoholkonsums oder den Verzicht auf Alkohol,
eine Broschüre zur Selbsthilfe, wöchentliche Aufzeichnungen zur
Dokumentation des Alkoholkonsums sowie eine schriftliche Abmachung in Form einer vom Arzt ausgestellten Verordnung.
Die Auswirkungen von Minimal -Interventionen in Hinsicht auf die
Reduzierung der von nichtsüchtigen Trinkern konsumierten Alkoholmenge konnte auch für eine Reihe anderer Länder gezeigt werden. Im
Zuge eines von der Weltgesundheitsorganisation gesponserten Interventionsprojekts (157,158) wurde an 1661 nichtsüchtigen Trinkern
aus zehn Ländern mit ganz unterschiedlichen Kulturen und Systemen
der Gesundheitsversorgung ein kurzes Interventionsprogramm getestet. Die Interventionen umfaßten: a) eine einfache Beratung über Abstinenz und sinnvollen Alkoholkonsum, b) eine kurze Beratung im
Rahmen eines 15- Minuten -Gesprächs sowie ein Handbuch und c) eine
umfassende Beratung in Form von kurzen Beratungsgesprächen und
drei oder mehr Besuchen zur Verlaufskontrolle. Die Resultate ergaben, daß die Interventionen sich in Hinsicht auf die Reduzierung des
durchschnittlichen Alkoholkonsums wie auch auf die Stärke des Trinkens spürbar ausgewirkt hatten.
50
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Probleme bei der Beurteilung des Erfolgs einer Alkoholpo-
litik
Es ist zwar sehr wichtig, doch recht kompliziert, den Erfolg einer bestimmten Alkoholstrategie zu bewerten. Die häufigste Methode ist ein
einfacher Vergleich vorher /nachher" anhand der Beobachtung einer
Reihe von Schlüsselindikatoren (z. B. Unfallraten, Arbeitsversäumnis
und Produktivität). Obwohl diese Methode einige Hinweise auf
Erfolge bietet, erfordert die äußerst komplexe Art der Unternehmen,
daß man äußerst gewissenhaft vorgehen muß, wenn man die Ergebnisse einer bestimmten Ursache zuschreiben will. Wahrscheinlich
wird die Wirkung alkoholpolitischer Konzepte häufig überschätzt,
weil derjenige, der die Ergebnisse untersucht, meist auch für die Umsetzung des Konzepts verantwortlich ist und dementsprechend ein berechtigtes Interesse daran hat, seinen Vorgesetzten ein positives Bild
zu vermitteln. Ebenfalls trifft zu, daß viele Erfolgsberichte in Zeitschriften erscheinen, ohne von einschlägigen Sachverständigen überprüft worden zu sein, obwohl eine kollegiale Begutachtung ein wichtiger akademischer Prozeß im Interesse der wissenschaftlichen Validierung ist (159,160).
Es
Ar-
beitsplatzgegebenheiten nicht beachten und daß sie:
Arbeitsabläufe, die Arbeitnehmer motivieren, ihr Verhalten zu ändern, nicht untersuchen, und auch nicht untersuchen, inwieweit die
Mitarbeiter dazu beitragen, daß ein Kollege sein Verhalten ändert.
Ohne ein Verständnis dieser Aspekte können Sachverständige jedoch
nicht die Ergebnisse der wie auch immer gestalteten Outcome- Studien
interpretieren. ... Erst wenn die Forscher diese Prozesse verstehen ...
können sie die Programmresultate konsequenter evaluieren (161).
Außerdem führte Warner (162,163) aus, daß ein Teil der Kosten für
Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz völlig unberücksichtigt geblieben ist, nämlich die Pensionszahlungen, späteren Gesundheitsversor gungsleistungen und Behindertenentschädigung zugunsten von Arbeitnehmern, die wegen des Erfolgs eines Programms am Leben geblieben sind.
Bei bisher veröffentlichten Evaluationen gibt es vielleicht eine Reihe
von methodologischen Schwierigkeiten. Richmond et al. (83) weisen
darauf hin, daß meistens keine Kontrollgruppe berücksichtigt wurde
51
Alkohol am Arbeitsplatz
und daß die Follow -up- Zeiträume variieren und /oder zu kurz sind, um
eine längerfristige Verhaltensänderung aufzuzeigen. Weitere Proble-
me betreffen die Art der benötigten Daten, um eine adäquate Beurteilung vornehmen zu können. Indikatoren für die Effektivität eines
Programms - beispielsweise Veränderungen in bezug auf Fehlzeiten,
Dauer des Krankenstands, Unfälle, Arbeitsplatzwechsel der Mitarbeiter, Qualität der Arbeitsleistung, Zahl der Disziplinarmaßnahmen
und Schätzwerte der Arbeitseffizienz - sind häufig nicht verfügbar
oder werden in einer wissenschaftlich inakzeptablen Weise gemessen.
Außerdem dürfte es schwierig sein, kausale Zusammenhänge zwischen solchen Maßnahmen und dem Alkoholkonsum zu demonstrieren. Fehlzeiten können vielleicht als Anhaltspunkt für das Ausmaß
des Alkoholkonsums gewählt werden, sie können aber auch andere
Faktoren reflektieren, wie z. B. Arbeitseinsatz und Zufriedenheit. Im
übrigen dienen die Aufzeichnungen der Unternehmen betrieblichen
Erfordernissen und nicht den Anforderungen der Forscher (83).
Einige Forscher werten den innerbetrieblichen Erfassungsgrad als
Anzeichen für den Erfolg eines Programms. Der Erfassungsgrad bezieht sich auf das Ausmaß, in welchem ein Programm allen Beschäftigten eines Unternehmens bekannt geworden ist und inwieweit es sie
berührt. Dieses Konzept ist von dem Public -Health- Modell abgeleitet
und steht im Kontrast zu Ansätzen, die lediglich Mitarbeiter erfassen,
die sich für eine Beteiligung am Programm entschieden haben. Das
Konzept basiert auf der Annahme, daß in der Population eine
Risikogruppe" vorhanden ist und daß die Intervention als erfolgreich
angesehen werden kann, wenn sie auch diese Risikogruppe erreicht.
Deshalb ist der Erfolg eine Funktion der Reichweite des Programms
innerhalb der Organisation (159). Bei diesem Ansatz gibt es eine Reihe von Problemen.
Es wird davon ausgegangen, daß ein Schätzwert zur Prävalenz
der Risikogruppe verfügbar ist. Im Fall des Alkohols ist eine
korrekte Prävalenzzahl schwer zu erhalten, weil die Daten über
Alkoholprobleme von den Betroffenen selbst geliefert werden.
,
52
Es wird nicht versucht, die klinischen Resultate der Behandlung
zu evaluieren. Ein hoher Erfassungsgrad würde bei schlechten
Behandlungsergebnissen auch keinen Vorteil bieten.
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
Die hier erörterten Evaluationen zeigen, daß es kostenwirksam ist,
wenn Behandlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer mit Alkoholproblemen vorgesehen werden. In einer Untersuchung über die Kosten
der Alkoholtherapie und Gesundheitsversorgung stellen Holder &
Cunningham (164) fest, daß: die kumulative Evidenz von Studien,
die sich auf Arbeitnehmer und deren Familienangehörigen stützen, einen Rückgang der allgemeinen Gesundheitsversorgungskosten nach
einer Alkoholtherapie verdeutlicht hat ".
Neben dem Therapieangebot erscheint auch die Verringerung des Alkoholkonsums bei nichtsüchtigen schweren Trinkern in der Belegschaft durch Anwendung von Minimal -Interventionsstrategien eine
kostenwirksame Möglichkeit zur Bekämpfung von Alkoholproblemen
zu sein. Der mögliche wirtschaftliche Nutzen aus der innerbetriebli-
chen Anwendung solcher Verfahren ist momentan noch nicht bekannt, könnte jedoch beträchtlich sein.
Alkoholpolitische Konzepte können zur Ermittlung von Problemtrinkern anregen und dem Unternehmen etlichen Nutzen bringen, u. a. eine Einschränkung des Trinkens am Arbeitsplatz. Außerdem können wenn die betreffenden Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden - Kosten eingespart werden, die sonst für die Schulung neuer Mitarbeiter
aufgewendet werden müßten. Derartige Maßnahmen sind andererseits
aber auch mit Kosten verbunden: hier sind vor allem die Kosten zu
nennen, die dadurch entstehen, wenn der Arbeitsplatz für einen Hilfe
suchenden Arbeitnehmer während der Zeit seiner Therapie freigehalten wird, ferner die mit der Durchführung der Alkoholstrategie verbundenen Kosten sowie die dem Arbeitgeber unter Umständen entstehenden Therapiekosten. Vor allem für kleinere Unternehmen dürften
derartige Kosten zu hoch sein, insgesamt gesehen könnten sie indessen gerechtfertigt erscheinen, wenn man an den durch eine Alkoholstrategie zu erzielenden Nutzen denkt.
AUFKLÄRUNG
Im Rahmen der Alkoholstrategie eines Unternehmens sind häufig
auch Maßnahmen zur Aufklärung der Beschäftigten über das Trinken
und über die potentiell gesundheitsgefährdenden Alkoholmengen sowie über die möglichen Konsequenzen einer Arbeitsausübung unter
53
Alkohol am Arbeitsplatz
Alkoholeinfluß vorgesehen, ferner Initiativen zur breiten Bekanntmachung der grundsätzlichen Haltung des Unternehmens (eine wesentliche Komponente für die erfolgreiche Umsetzung einer Alkoholpoli-
tik). Durch Aufklärungsmaßnahmen für alle Betriebsangehörigen
kann ein breiteres Spektrum von Fragen über Alkoholkonsum und die
Einführung einer Alkohol " -Politik - im Gegensatz zu einer Politik
gegen den Alkoholismus" - aufgegriffen werden. Alkoholaufklärung
ist jetzt ein wesentliches Merkmal der alkoholbezogenen Betriebspolitik zahlreicher Großunternehmen geworden. Viele Unternehmen in-
vestieren hohe Geldbeträge in Publizitätskampagnen, u. a. zur Bekanntmachung der Alkoholpolitik bei allen Beschäftigten, regelmäßige Posterkampagnen und sogar Videos. Nachstehend sind Auszüge
aus zwei Konzepten, die Aufklärungselemente beinhalten, wiedergegeben (s. auch eine Beschreibung der Umsetzung von Konzepten im
britischen nationalen Gesundheitssystem NHS (165)).
Zur Prävention des Alkohol- oder Drogenkonsums will der Passenger
Transport Executive (PTE) von Strathclyde den Beschäftigten ins Bewußtsein bringen, daß jeglicher Alkohol- oder Drogenkonsum sich
nachteilig auf die Arbeitsleistung auswirken kann. Die Mitarbeiter
können Orientierungshilfen erhalten, um einen Alkoholkonsum in
Mengen und zu Zeiten, die zu einer Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs führen können, zu vermeiden.
Seit Jahren bietet Shell seinen Beschäftigten Fortbildungs- und Aufklärungsprogramme über die Gefahren des Suchtmittelmißbrauchs.
Fortbildungsprogramme werden weiterhin vorgesehen, um die Beschäftigten und auch das Management über Suchtmittelmißbrauch aufzuklären sowie darüber, wie man Warnsignale erkennt und was man in
solchen Fällen tun kann.
IST AUFKLÄRUNG WIRKUNGSVOLL?
Cyster & McEwen (166) führten vor und nach einer Aufklärungskampagne über Alkohol eine Untersuchung durch, unter Beteiligung von
4000 Postangestellten, die einen Fragebogen beantwortet hatten. Die
Antworten ergaben, daß - von den drei angewendeten Präsentationsmethoden - ein Aufklärungsvideo die wirkungsvollste Methode zur
Verbesserung des Wissens der Teilnehmer über Alkohol gewesen ist.
Die zweitbeste Methode war ein Quiz und die geringste Wirkung war
bei Infoblättern zur Aufklärung festgestellt worden. Cyster & McEwen
54
Alkoholpolitik am Arbeitsplatz
fanden heraus, daß eines der Probleme, für einen Arbeitgeber, der eine Aufklärungskampagne über Alkohol durchführt, darin liegt, daß
die Arbeitnehmer eine solche Kampagne als Einmischung in ihre
Freizeitgestaltung empfinden könnten. Um dieses Problem zu minimieren, wird vorgeschlagen, daß die Gewerkschaften wie auch die
Unternehmensleitung in die Kampagne einbezogen werden sollten
und daß Alkoholaufklärung ein Bestandteil der allgemeinen Gesundheitsförderung sein sollte.
Um den möglichen Erfolg von Aufklärungskampagnen am Arbeitsplatz
zu beurteilen, könnte eine Auswertung der Ergebnisse aus den häufiger
durchgeführten Untersuchungen über Gesundheitsaufklärung an Schulen
hilfreich sein. So haben beispielsweise DeHaes & Schuurman (167) demonstriert, daß ein auf drastischer Abschreckung basierender Ansatz
zur Reduzierung des Alkohol- und Drogenkonsums sich letztlich als
kontraproduktiv erwiesen hat und daß dadurch genau die gegenteilige
Wirkung - also eine Zunahme anstatt des beabsichtigten Rückgangs
des Risikoverhaltens - erreicht worden war. Die Wahl eines geeigneten Aufklärungsprogramms ist deshalb von ganz entscheidender Bedeutung, um erfolgreich zu sein. Unter Erziehungswissenschaftlern
wird jetzt generell anerkannt, daß ein Ansatz, bei dem Fakten und Lebenskompetenz vermittelt werden, vielleicht der erfolgversprechendste Weg zur Aufklärung junger Menschen über Drogen und Alkohol
sein dürfte. Es bleibt indessen noch abzuwarten, welche Ansätze zur
Aufklärung von Erwachsenen wirkungsvoll sind. Außer der Form der
Aufklärungsbotschaft sind noch weitere Elemente für den Erfolg einer
Aufklärungskampagne ausschlaggebend - dazu gehören die empfun-
dene Glaubwürdigkeit der Informationsquellen und des Erziehers /Aufklärers sowie Faktoren, die mit dem sozialen Umfeld und der
physischen Umwelt zusammenhängen (168,169).
55
5
Tests und Screening
In diesem Kapitel werden einige der jüngsten Entwicklungen in bezug
auf von Alkoholkontrollen am Arbeitsplatz untersucht. In erster Linie
geht es zwar um Alkohol, doch sind auch Informationen über Tests
auf andere Suchtmittel enthalten. Der Grund dafür ist, daß viele der
für Tests auf illegale Drogen entwickelten Verfahren auch für Alkoholtests angewendet werden können. Darüber hinaus gelten zahlreiche
ethische Erwägungen, die bei Tests auf illegale Drogen wichtig sind,
ebenfalls für Alkohol. Und schließlich werden Alkoholabhängigkeit
und Drogensucht (das gilt sowohl für legale als auch illegale Substan-
zen) häufig zusammen im Zuge der allgemeinen Suchtmittelpolitik
behandelt. In einem solchen Fall ähneln sich die Verfahren zur Erkennung und Bekämpfung des Alkohol- und Drogenmißbrauchs.
In den 60er Jahren wurden zuerst vom amerikanischen Verteidigungsministerium - als Reaktion auf den weitverbreiteten Drogenkonsum unter den aus Vietnam zurückgekehrten US- Soldaten - Alkohol- und Drogentests eingeführt. Sodann begann man in Privatunternehmen die Frage der Legalität derartiger Tests zu untersuchen und
einige Unternehmen führten Testverfahren für Betriebsangehörige
und Stellenbewerber ein (170). Inzwischen sind solche Tests auch auf
internationaler Ebene immer häufiger zur Erkennung von Fällen
übermäßigen Alkoholkonsums üblich und viele Unternehmen führen
jetzt Alkoholtests in begründeten Verdachtsfällen sowie im Anschluß
an eine Entzugstherapie durch. Der nachstehende Auszug aus der
Drogen- und Alkoholpolitik von Shell Expro informiert über die Regelungen für Tests bei vermutetem Alkoholmißbrauch sowie nach einer Therapie.
56
Tests und Screening
[Tests] bei begründetem Verdacht - in Bereichen mit hohen Sicherheitsanforderungen. Ein Test wird immer dann durchgeführt, wenn Faktoren
wie das äußere Erscheinungsbild, das Verhalten und andere tätigkeitsbezogene Umstände guten Grund zu der Annahme geben, daß der Arbeitnehmer vielleicht unter Drogen- oder Alkoholeinfluß stehen könnte, d. h.
daß sich im Körper des /der betreffenden Betriebsangehörigen eine über
der Toleranzgrenze liegende Menge von Alkohol oder illegalen Drogen
befindet ...
Follow -up - wenn ein Arbeitnehmer nach einer Rehabilitationstherapie
wegen Suchtmittelmißbrauchs an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Vor
Wiederaufnahme der Tätigkeit kann ein Test auf Drogen- und Alkoholkonsum bzw. -mißbrauch durchgeführt werden. Danach können im Zuge
der Bemühungen des Unternehmens, dem betreffenden Arbeitnehmer zu
helfen, nicht rückfällig zu werden, in periodischen Abständen Drogen und Alkoholtests durchgeführt werden.
Außer derartigen Tests in begründeten Verdachtsfällen und nach einer
Entzugstherapie werden auch zunehmend stichprobenweise oder unangemeldet Tests durchgeführt. Eine solche Zufallsauswahl mag eine
umstrittene Methode sein, bietet indessen insofern eine Reihe von
Vorteilen, daß dadurch möglicherweise auch diejenigen Trinker ermittelt werden können, die bisher noch nicht auffällig geworden sind
(s. Kapitel 1). Deshalb sollen Stichprobentests eine abschreckende
Wirkung in bezug auf jegliche Formen des Alkoholkonsums haben.
ZIELE
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten für die Durchführung der Tests
und auch eine Reihe von Mitarbeiterkategorien, für die die Testprogramme gelten können. Im nachfolgenden Teil werden die Ziele von
fünf verschiedenen Programmarten beschrieben.
Screening vor Aufnahme einer Tätigkeit kann durchgeführt
werden:
um auszuschließen, daß Konsumenten bestimmter Suchtmittel
in den Betrieb eingestellt werden oder um zu verhindern, daß
derartige Personen an einen bestimmten Arbeitsplatz überwechseln oder
57
Alkohol am Arbeitsplatz
um Stellenbewerber abzuschrecken, derartige Suchtmittel zu
gebrauchen.
Tests lrn Verdachtsfall können durchgeführt werden:
um den Verdacht eines Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung
zu bestätigen bzw. zu zerstreuen, daß ein Arbeitnehmer gegen
die betriebsinternen Bestimmungen über Alkoholkonsum verstoßen hat, oder
um Arbeitnehmer davon abzuhalten, verbotene Substanzen anzuwenden.
Routinetests fur Beschäftigte an Arbeitsplätzen mit einem hohen Sicherheitsrisiko können durchgeführt werden:
um Schäden oder Verlusten für die Öffentlichkeit, den Arbeitgeber, Kollegen und den betreffenden Arbeitnehmer selbst vor zubeugen, oder
um davon abzuhalten, verbotene Substanzen anzuwenden.
Stichprobentests können durchgeführt werden:
urn alle Beschäftigten davon abzuhalten, verbotene Substanzen
zu konsumieren, oder
urn Schäden oder Verlusten für die Öffentlichkeit, den Arbeitgeber, die Kollegen und den betreffenden Arbeitnehmer selbst
vorzubeugen.
Follow -up -Tests können durchgeführt werden:
um die Wirkung einer Therapie zu unterstützen, indem von einem weiteren Suchtmittelgebrauch abgehalten und ein Rückfall
erkannt wird oder
um Schäden oder Verlusten für die Öffentlichkeit, den Arbeitgeber, Kollegen und den betreffenden Arbeitnehmer selbst vorzubeugen.
58
Tests und Screening
DIE REAKTION DER GEWERKSCHAFTEN
Wenn auch die Gewerkschaften die Notwendigkeit fur Maßnahmen
zur Bekämpfung des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz allgemein anerkennen, sind sie hauptsächlich darauf bedacht, sicherzustellen, daß
jegliche Verfahren gerechtfertigt sind und in fairer Weise durchgeführt werden. Nachstehend wird auf einige der Einwände eingegangen, die gegen die Einführung von Testprogrammen vorgebracht wurden.
Die Tests sollten darauf gerichtet sein, die Fähigkeit eines Arbeitnehmers zur Ausführung einer bestimmten Tätigkeit zu beurteilen, und weniger als ein Mittel zur Kontrolle des Verhaltens der Mitarbeiter eingeführt werden. Das hat sich als ein besonders wichtiger Aspekt in Kanada erwiesen, wo die Gewerkschaften sich mit der Canadian Civil Liberties Association und
der Canadian Human Rights Commission darin einig sind, daß
der Arbeitgeber - unabhängig von einem positiven Testergebnis oder der Weigerung, sich einem solchen Test zu unterziehen
- die Unfähigkeit des betreffenden Arbeitnehmers, die Tätigkeit auszuführen, nachweisen muß.
Da Tests auch angewendet werden können, um Arbeitnehmer
zu schikanieren, müssen in dem Programm bestimmte Schutzvorkehrungen enthalten sein. Es wird befürchtet, daß ein Drogentest als Mittel dienen könnte, sich unerwünschter" Mitar-
beiter zu entledigen oder daß er angewendet wird, um die
Brauchbarkeit und /oder künftige Produktivität von Arbeitnehmern festzustellen (171).
Das Konzept der freiwilligen" Zustimmung zu einem Test
mag zwar einleuchtend aber nicht ganz realistisch sein. In der
Praxis könnte die Weigerung, sich einem Test zu unterziehen,
zu bestimmten Vorbehalten - gerechtfertigt oder nicht - führen.
Deshalb befindet sich der betreffende Arbeitnehmer unter einem inneren Zwang, der Bitte um Zustimmung zu einem Test
zu entsprechen.
Die Einführung von Tests könnte eher ein Resultat politischen
Drucks als von dem Wunsch getragen sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Derart motivierte Praktiken dürften nicht
immer im besten Interesse der Arbeitnehmer liegen.
59
Alkohol am Arbeitsplatz
Tests können als Verletzung des individuellen Rechts auf Wahrung der Privatsphäre erachtet werden; Blutproben können als
invasiv empfunden werden und die Abgabe von direkt kontrol-
lierten Urinproben als entwürdigend und als Verletzung der
Persönlichkeitsrechte angesehen werden (172).
Bei den bisher in bezug auf Tests eingegangenen Beschwerden
scheint es jedoch mehr um die jeweilige Umsetzung in die Praxis
(beispielsweise vermutete Schikanen durch die Geschäftsleitung) und
weniger um die dahintersteckende Philosophie zu gehen (151). Die
Haltung der Gewerkschaften im Vereinigten Königreich wird von der
britischen Transportgewerkschaft Rail, Maritime and Transport Union
(RMT), die sowohl die Mitarbeiter der Londoner U -BahnGesellschaft London Underground als auch der britischen Eisenbahngesellschaft British Rail vertritt, illustriert. Diese Gewerkschaft bedauert zwar die Notwendigkeit, Kontrollen durchführen zu müssen,
erkennt jedoch an, daß solche Tests auf gesetzgeberische Regelungen
zurückgehen und unter bestimmten Gegebenheiten erforderlich sind.
Die RMT befürwortet solche Tests allerdings nicht grundsätzlich und
erklärt, daß stichprobenartige Kontrollen unrentabel und ineffizient
sind und eine nicht gerechtfertigte Einmischung in Rechte der Arbeitnehmer bedeuten; insofern sollten sie nach Möglichkeit abgelehnt
werden" (151). Idealerweise sollten nach Meinung der RMT Tests nur
zur Sicherheitskontrolle dienen und langfristig gesehen sollte der Fokus der Alkohol- und Drogenpolitik auf Aufklärung und Schärfung
des Problembewußtseins liegen.
RECHTLICHE ASPEKTE
Die Vereinigten Staaten
Ende der 80er Jahre wurden in den Vereinigten Staaten wichtige Ge-
setze erlassen, die die Tür für die Einführung von ScreeningProgrammen auf breiter Ebene geöffnet haben. 1986 unterzeichnete
der amerikanische Präsident einen Erlaß, demzufolge die Schaffung
von drogenfreien Arbeitsplätzen" im Staatsdienst gefordert wird.
Darüber hinaus wurden ein Anti- Drogengesetz verfügt und Leitlinien
in bezug auf Drogennachweis- Programme für Bundesangestellte ein-
geführt. Daraufhin werden jetzt randomisierte Drogen- ScreeningProgramme vom US- Verkehrsministerium für die Bereiche Luftfahrt,
60
Tests und Screening
Eisenbahnwesen, Massenbeförderung, LKW- Verkehr und Öltransporte durchgeführt (170).
MacDonald & Wells (170) stellen fest, daß der Arbeitsplatz vielleicht
der beste Ort für ein Screening- Programm sein dürfte. Sie behaupten:
... weil 70% aller Drogenkonsumenten in einem Beschäftigungsver hältnis stehen, könnte der Arbeitsplatz der strategisch am meisten geeignete Ort in der Gesellschaft sein, um die Geißel Drogensucht zu
bekämpfen. Die in vielen Industrieländern existierenden verfassungsmäßigen Bestimmungen - beispielsweise das Recht auf Wahrung der
Privatsphäre und andere Persönlichkeitsrechte - können durch staatliche Regelungen oder Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern umgangen werden. Solche Maßnahmen können Drogen screening am Arbeitsplatz zu einem sehr wirkungsvollen Instrument
machen, um das Ausmaß des Drogenkonsums in der Gesellschaft festzustellen.
Zwar ist es eine äußerst umstrittene Angelegenheit, verfassungsmäßi ge Vorbehalte zu umgehen, doch wären Tests am Arbeitsplatz - wenn
man dies erreichen könnte - zweifellos eine wirkungsvolle Methode,
das Ausmaß der Drogen- und Alkoholsucht festzustellen, und zwar
nicht nur im Arbeitsumfeld, sondern auch in der Gesellschaft insgesamt gesehen. Amerikanische Institutionen versuchen auch, entsprechende Verfahren in Zusammenarbeit mit anderen Ländern einzuführen. So hofft z. B. die US- Küstenwacht, mit europäischen Ländern
und Kanada bilaterale Vereinbarungen treffen zu können, um Drogentests in allen Bereichen des Verkehrs -/Transportwesens und der
Ölbeförderung vorzuschreiben (173). Die in den Vereinigten Staaten
geltenden strikten Regelungen werden etliche Auswirkungen für andere Länder haben, vor allem in multinationalen Konzernen, in denen
die amerikanischen Vorschriften auch außerhalb der USA angewendet
werden.
Vereinigtes Königreich
Obwohl es keine gesetzlichen Regelungen bezüglich systematischer Tests
im Vereinigten Königreich gibt (abgesehen von bestimmten Fällen bei
begründetem Verdacht) haben jetzt mehrere Unternehmen begonnen, Alkoholkontrollen als Resultat des Transport- und Arbeitsgesetzes von 1992
einzuführen, demzufolge die Arbeitgeber gehalten sind, ,jegliche gebührende Sorgfalt" walten zu lassen, um alkoholbedingte Zwischenfälle zu
61
Alkohol am Arbeitsplatz
vermeiden. Dieses Gesetz gibt auch der Polizei eine Reihe von Befugnissen in bezug auf Alkoholkontrollen bei Arbeitnehmern, bei denen ein Verdacht der Trunkenheit besteht (s. Kapitel 2).
Die Einführung von Zufallsstichproben in den Vereinigten Staaten hat
etliche Schwierigkeiten aufgezeigt, u. a. in bezug auf das verfassungsmäßige Recht der Arbeitnehmer auf Wahrung der Privatsphäre,
was in der Praxis bedeutet, daß ein Arbeitnehmer nicht entlassen werden kann, wenn er sich weigert, sich einem Stichprobentest zu unterziehen. Im Vereinigten Königreich existiert kein ähnliches verfassungsmäßiges Recht, was bedeutet, daß gegen eine Entlassung wegen
der Weigerung, einen Test vornehmen zu lassen, zivilrechtlich nicht
vorgegangen werden kann, wenn die Arbeitgeber die nachstehend beschriebenen Voraussetzungen erfüllt haben.
Erstens sind die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, nicht gegen das
implizierte gegenseitige Vertrauen" zu handeln. Auf Drogentests bezogen heißt dies, daß die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, die
Daten über Drogentests strikt vertraulich zu behandeln, wenn sie den
betreffenden Arbeitnehmer über die Resultate informieren, selbst
wenn dies nicht explizit vertraglich festgelegt worden ist (Howard,
G., nicht veröffentlichte Daten, 1992). Wenn der Test jedoch vor einer Einstellung durchgeführt wird, ist der potentielle Arbeitgeber
nicht gesetzlich verpflichtet, die Testresultate mitzuteilen.
Zweitens sind die Arbeitgeber verpflichtet, die Testbedingungen in
den Arbeitsvertrag aufzunehmen, um Mitarbeiter kontrollieren zu dürfen. Nachstehend ein Beispiel für einen diesbezüglichen Passus im
Arbeitsvertrag (Howard, G., nicht veröffentlichte Daten, 1992).
Während der Arbeit oder während des Aufenthalts auf dem Betriebsgelände oder zum Zweck der Aufnahme eines Beschäftigungsverhält -
nisses sind Sie gehalten, sich auf Ersuchen einer entsprechend ermächtigten Person des betriebsärztlichen Dienstes des Unternehmens,
zum Zwecke der Alkohol- und Drogenkontrolle einer Atem- und /oder
Urinprobe zu unterziehen. Jegliche Weigerung, diesem Ersuchen
nachzukommen, wird als Disziplinarvergehen mit der möglichen Folge
Ihrer Entlassung angesehen.
Diese Vereinbarung beinhaltet Ihre Zustimmung, daß die Ergebnisse
einer solchen Kontrolle von jeder ermächtigten Person an das
62
Tests und Screening
Direktorium oder einen leitenden Unternehmensangehörigen weitergegeben werden dürfen.
Wenn die Arbeitgeber Testverfahren einführen möchten, können sie
dies in den Arbeitsvertrag fur neue Mitarbeiter aufnehmen. Das gilt
jedoch nicht für die bisherigen Mitarbeiter; ihnen kann zwar ein neuer
Vertrag, der eine entsprechende Klausel über solche Tests enthält, angeboten werden, sie sind jedoch gesetzlich nicht verpflichtet, diesen
Vertrag anzunehmen. Das kann natürlich zu Spannungen zwischen
den neuen und bisherigen Mitarbeitern wegen unterschiedlicher Arbeitsbedingungen führen. Ohne eine vertragliche Vereinbarung über
Kontrollen haben Arbeitgeber kein Recht, irgendeinen Mitarbeiter zu
zwingen, sich einem Test zu unterziehen. Wenn ein Arbeitgeber diese
Bestimmung mißachtet, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, zu
kündigen und vor einem Arbeitsgericht wegen mutwilliger Entlassung" zu klagen. In einem solchen mit Kontrollen in Zusammenhang
stehenden Fall würde das Gericht sämtliche relevante Gesichtspunkte
berücksichtigen, u. a.:
Hat vor der Testanordnung eine Konsultation stattgefunden?
Sind die Einführung und Modalitäten derartiger Kontrollen mit
den Gewerkschaften erörtert worden?
Hat eine zuständige Person dem Arbeitnehmer die Gründe für
die Durchführung und die Art der Tests erläutert?
Ist die Vertraulichkeit gewahrt worden?
Sind korrekte Testmethoden angewendet worden?
Ist der betreffende Arbeitnehmer über die Konsequenzen einer
Verweigerung des Tests aufgeklärt worden, hat er Bedenkzeit
erhalten und ist er offiziell über Folgen einer anhaltenden Testverweigerung gewarnt worden?
Wenn der Test bei einem Arbeitnehmer positiv ausfällt, wird normalerweise eine zweite Probe, die gleichzeitig mit der ersten Probe entnommen und an einem sicheren Ort aufbewahrt wurde, nochmal getestet. Wird ein Testergebnis gerichtlich angefochten, hängt das Ergebnis von den derzeitigen Protokollen, Verfahren und Kontrollen und
der Anerkennung dieser" ab. Die Gerichte werden auch prüfen, ob die
Analysen der Probe und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen
,,den Schlußfolgerungen entsprechen, zu denen jede hinreichend
63
Alkohol am Arbeitsplatz
kompetente Fachkraft gekommen wäre" (Howard, G., nicht veröffentlichte Daten, 1992).
VERFAHRENS- UND SICHERHEITSSTANDARDS
Die Verfahrens- und Sicherheitsstandards für Tests am Arbeitsplatz
wie auch im Laboratorium sind in jedem Arbeitsgerichtsverfahren
über Alkohol- oder Drogenkontrollen wichtig. Einige der derzeitigen
Empfehlungen für Testverfahren lauten wie folgt (174 -176):
Es ist wichtig, daß die Blut- und Urinproben von zwei qualifizierten medizinischen Fachkräften (beispielsweise von einem
Arzt und einer Krankenschwester) abgenommen, zweifelsfrei
beschriftet, angemessen und sicher aufbewahrt und unmittelbar
nach der Entnahme dem Testlabor überstellt werden.
Die Analysen der Urin- oder Blutproben auf Alkohol oder Drogen dürfen nur von entsprechend qualifiziertem Fachpersonal
durchgeführt werden.
Jegliches involvierte Personal muß die Laborverfahren und Sicherheitsstandards befolgen.
Das Labor sollte jederzeit sicher sein und der Zugang ausschließlich auf autorisiertes Personal beschränkt sein.
Das Labor sollte Sicherheitsmaßnahmen vorsehen, um zu garantieren, daß die Proben ordnungsgemäß entgegengenommen,
dokumentiert, behandelt und aufbewahrt werden. Zu der Dokumentation über die Verfahrenskette" sollte eine Empfangsbestätigung der Probe, eine Bescheinigung über die Ergebnisse
während der Aufbewahrung und über den endgültigen Verbleib
der Probe gehören.
Das Labor muß alle staatlichen Zulassungsanforderungen erfüllen, regelmäßig überprüft werden, angemessene Dokumentationen und Verfahrenshandbücher führen und ordnungsgemäß
zugelassene Geräte benutzen.
Urinproben sollten unverzüglich nach Ankunft im Labor untersucht werden, um sicherzustellen, daß sie während der Abgabe
nicht verfälscht worden sind.
64
Tests und Screening
Die Proben sollten in einer Sicherheitskühleinrichtung aufbewahrt werden, wenn sie nicht binnen sieben Tagen nach der
Ankunft im Labor getestet werden. Die Aufbewahrungstemperatur darf 6 Grad Celsius nicht übersteigen; die langfristige
Aufbewahrung muß bei -20 Grad Celsius erfolgen, um sicherzustellen, daß drogen -/alkoholpositive Urinproben nicht verfallen und für Wiederholungstests während eines Verwaltungsoder Disziplinarverfahrens zur Verfügung stehen. Das Labor
kann ersucht werden, eine gerichtlich angefochtene Probe auf
unbestimmte Dauer aufzubewahren.
Gegenwärtig bestehen die Vortests (um die alkoholnegativen
Proben zu eliminieren) aus einem Immunoassay- Verfahren. Bei
drogen -/alkoholpositiven Proben sollten sich Bestätigungstests
anschließen, für die nach einer unterschiedlichen Methode und
anderen chemischen Prinzipien als beim ersten Test zu verfahren ist. Gegenwärtig ist eine Gaschromatographie /Massenspektometrie die empfohlene Bestätigungsmethode.
Die Anwendung derart strikter Verfahren bedeutet, daß für die Laboranalysen hohe Kosten entstehen, was eine beträchtliche Belastung für
ein Unternehmen, das ein Testprogramm durchführt, darstellt. Die mit
solchen Verfahren verbundenen Kosten werden als notwendige Ausgaben angesehen, da andernfalls die Resultate keine Gültigkeit in einem Prozeß vor dem Arbeitsgericht hätten.
METHODEN UND INTERPRETATIONEN
Von besonderer Bedeutung für jegliche Testprogramme sind die zum
Erhalt der Proben angewendeten Verfahren und Methoden. Das ist
besonders wichtig, da die Legalität des Testergebnisses und jegliche
aufgrund des Tests getroffene Maßnahmen von der Zuverlässigkeit
des Testverfahrens abhängen. Deshalb muß eine Alkoholpolitik, die
Alkoholkontrollen beinhaltet, detaillierte Verfahren für die Erfassung
und Auswertung der Proben vorsehen.
Es gibt eine Reihe von Methoden zur Beurteilung der Alkoholmenge,
die eine Person zu sich genommen hat. Dazu gehören Blut -, Urin- und
65
Alkohol am Arbeitsplatz
Atemproben. Jedes dieser Testverfahren hat bestimmte Vor- und
Nachteile.
Blutproben
Vorteile
Blutproben liefern akkurate Testergebnisse. Der Grad der Alkoholisierung läßt sich für gewöhnlich besser anhand des Blutalkoholspiegels erkennen als durch Urinproben oder Atemalkoholtests.
Nachteile
Eine Blutprobe ist eine invasive Methode, die für die betroffene
Person belastend sein kann.
Blut steht nur in relativ kleiner Menge zur Verfügung. Das
grenzt die Möglichkeit ein, anhand einer bestimmten Probe
mehrere Tests durchzuführen, die aufgrund von Standardtest verfahren und gesetzlichen Regelungen erforderlich sein könnten.
Die absolute Blutalkoholkonzentration hängt nicht nur von der
konsumierten Menge ab, sondern auch von der zwischen dem
Alkoholkonsum und der Probenahme liegenden Zeitspanne. Die
Verwertbarkeit von Bluttests zur Feststellung des Promillegehalts ist beeinträchtigt, wenn die Blutprobe erst längere Zeit
nach dem Alkoholkonsum durchgeführt wird. Obwohl man den
vorherigen Alkoholspiegel schätzen kann (die vom Körper ausgeschiedene Alkoholmenge ist eine lineare Funktion, die ungefähr einer Einheit pro Stunde entspricht), läßt sich keine präzise
Berechnung durchführen, da die Alkoholausscheidung je nach
Alter, Geschlecht und körperlicher Verfassung unterschiedlich
ist (177).
Das für die Alkoholoxidation verantwortliche Enzym ist auch
in den roten Blutkörperchen anzutreffen und metabolisiert den
in der Probe enthaltenen Alkohol langsam. Das kann jedoch
durch Zusetzung von Natriumfluorid verhindert werden (178).
Da die Alkoholbestimmung einige Zeit in Anspruch nimmt, ist
dieses Verfahren für eine Direktkontrolle am Arbeitsplatz nicht
geeignet.
66
Tests und Screening
Urinalkoholbestimmung
Vorteile
Eine Urinuntersuchung ist ein weniger invasives Verfahren als
die Blutentnahme.
Urin steht in größeren Mengen als Blut zur Verfügung und erleichtert die Durchführung von zusätzlichen Tests und wiederholten Analysen.
Nachteile
Die Urinalkoholbestimmung ist weniger akkurat als die Blutalkoholbestimmung.
Wie bei der Blutprobe kann es schwierig sein, den Akoholisierungsgrad genau zu schätzen, wenn die Proben erst einige Zeit
nach dem Alkoholgenuß genommen werden.
Die Alkoholausscheidung im Urin und die Alkoholkonzentrati on im Urin können durch Verwässerung und durch den Ph -Wert
(Säure) des Urins in unvorsehbarer Weise beeinträchtigt werden.
Größere Alkoholmengen können in den Urinproben von Diabe-
tikern (während der Aufbewahrungszeit) produziert werden.
Deshalb muß festgestellt werden, ob es sich um einen Diabetiker handelt, damit die Proben ggf. unverzüglich ausgewertet
werden.
Die Urinuntersuchung ist die Methode, bei der am einfachsten
manipuliert werden kann. Die Proben können ausgetauscht
werden und die Kontrollen sind tatsächlich bereits mit dem
Entstehen eines Schwarzmarkts für reinen" Urin in Verbindung gebracht worden (179). Einige Personen verfälschen ihren
Urin mit bestimmten Substanzen beispielsweise Bleiche.
Schwierig wird es auch für das Labor, wenn vor Abgabe der
Urinprobe viel Wasser getrunken wurde.
Die Resultate der Urinuntersuchung liegen erst nach einiger
Zeit vor.
67
Alkohol am Arbeitsplatz
Atemalkoholtests
Vorteile
Ein Atemtest ist nicht invasiv.
Die Kosten sind gering.
Wegen der sofort vorliegenden Resultate als Schnelltestverfah ren geeignet.
Nachteile
Es hat sich gezeigt, daß bei dem für die Atemalkoholkonzen tration zugrunde gelegten akzeptierten Verhältnis von 2100:1
Alveolar Atem:Blutkonversion die tatsächliche Blutalkohol konzentration erheblich unterschätzt wird (181).
Die Genauigkeit des Tests kann durch fehlerhafte Meßgeräte
und biologische Faktoren beeinflußt werden (182,183).
Restalkohol im Mund kann das Meßergebnis verfälschen. Obwohl der Mundalkohol normalerweise innerhalb von
20 Minuten nach dem letzten Alkoholgenuß verschwinden
sollte, wurden teilweise sogar noch nach 45 Minuten ungewöhnlich hohe Atemalkoholkonzentrationen gemessen (184).
Deshalb scheint eine Blutprobe die genaueste Methode für den Alkoholnachweis im Körper zu sein. Allerdings ist dieses Verfahren teuer
und ein invasiver Eingriff in den Körper - dürfte deshalb für Routinetests bei Arbeitnehmern kaum geeignet sein. Die angewendete Methode hängt von der Schwere der Situation und auch von der Art des
durchgeführten Tests (bei begründetem Verdacht oder Stichprobe) ab.
Eine Lösung für dieses Problem wäre, als Vorprobe eine nichtinvasive Methode zu wählen und anhand des Ergebnisses zu entscheiden,
ob eine genauere Testmethode gerechtfertigt erscheint. So könnte beispielsweise zunächst eine Vorprobe mit einem Atemalkoholmeßgerät
durchgeführt werden und bei positivem Testergebnis eine Blutentnahme folgen.
68
Tests und Screening
DIE ZUVERLÄSSIGKEIT VON TESTS
Für ordnungsgemäß durchgeführte Alkohol- und Drogentests sind
ganz genaue Messungen und eine strikte Befolgung der Verfahrensweisen geboten. Die Genauigkeit der Messungen, das - wissenschaftliche - Vorgehen und die oftmals hohen Kosten vermitteln den Eindruck, daß die Resultate korrekt" und glaubwürdig" sind. Es gibt
jedoch Belege dafür, daß - trotz der Möglichkeit, eine Substanz sehr
genau nachweisen zu können - die Gefahr besteht, einige falsche Ergebnisse zu erhalten, die ernste Konsequenzen für die Arbeitnehmer
und Arbeitgeber haben können. Ein falsch positives Ergebnis kann
verheerende Folgen für einen Arbeitnehmer haben. Abgesehen von finanziellen Härten nach Verlust eines Arbeitsplatzes sind alkoholbedingte Probleme oder Drogenkonsum mit einem gesellschaftlichen
Stigma behaftet. Falsch positive Tests sind auch für Arbeitgeber von
Belang, da sie zum Verlust von guten Mitarbeitern, zu Problemen der
Arbeitsmoral und zu möglichen Klagen bei Gericht führen können.
Alkohol- und Drogentests fallen auch bei Proben, die die Substanz
enthalten (falsch negativ) nicht immer positiv aus und können andererseits bei Proben, die die Substanz nicht enthalten, positiv sein
(falsch positiv) (185). Da die Folgen eines falsch negativen Testergebnisses für einen Arbeitnehmer verheerend sein können, sollte die
Möglichkeit eines falschen Resultats sorgfältig untersucht werden.
Die Fehlerrate ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Probe trotz positivem Testergebnis keinen Alkohol oder Drogen enthält. Um diese Rate
zu berechnen, sind mindestens drei Datenelemente erforderlich: die
Substanzen -Konsumrate für die Zielgruppe der Arbeitnehmer, die
falsch positive Rate des Labors, das den Test durchführt, und die
richtige positive Rate des Testlabors.
Obwohl in empirischen Studien über die Fachkompetenz der Testlabors stets auf übliche Indikatoren für die Genauigkeit wie die falsch
positiven Raten eingegangen wird, sind in derartigen Studien weder
positive prädikative Werte noch Fehlinterpretationsraten jemals erwähnt (186).
Es ist von wesentlicher Bedeutung, die Fehlinterpretationsrate eines
Drogentestverfahrens zu kennen, bevor man entscheidet, ob das Testergebnis einen glaubwürdigen Nachweis für Drogenkonsum bietet.
Diese Information wird jedoch üblicherweise nicht gegeben. Außerdem
69
Alkohol am Arbeitsplatz
ist die Rolle der Fehlinterpretationsrate als Indikator für die Glaubwürdigkeit eines Nachweises in der Literatur über die Arbeitsbeziehungen noch nicht genauer untersucht worden" (186).
Die gegenwärtige Situation in bezug auf die Glaubwürdigkeit der
Tests läßt sich wie folgt zusammenfassen.
Der Anteil der positiven Drogentests, die falsch sind - d. h. die Fehl interpretationssrate - kann selbst dann hoch sein, wenn die Tests selbst
nach konventionellen Labormaßstäben als äußerst akkurat beurteilt
werden. In solchen Fälllen bieten positive Drogentests keinen glaubhaften Nachweis für Drogenkonsum. Unseren Schätzungen in bezug
auf Drogenkonsum, falsch positive Raten und echt positive Raten - die
sämtlich auf kürzlich publizierten empirischen Nachweisen basieren zufolge haben unter normalen Umständen Drogentestergebnisse hohe
Fehlinterpretationsraten und dementsprechend eine geringe Glaubwürdigkeit (186).
Nach Barnum & Gleason (186) kann die Glaubwürdigkeit von Testergebnissen durch Vorgabe einer akzeptablen" Fehlerquote zugesichert
werden. Die Fehlerquote sinkt mit der Zahl der Wiederholungstests
zur Bestätigung der Testergebnisse; bei einem inakzeptabel hohen Niveau wird durch wiederholte Bestätigungen erreicht, daß die Fehlerquote auf ein akzeptables Niveau zurückgeht. Solange die Laboratorien nicht die Fehlinterpretationsrate ermitteln ist es nicht möglich, von
der Glaubwürdigkeit der derzeit mitgeteilten Resultate überzeugt zu
sein.
MIT TESTPROGRAMMEN ASSOZIIERTE ERGEBNISSE
Testprogramme können u. a. folgendes bewirken: einen Rückgang des
Alkohol- oder Drogenkonsums, der Arbeitsunfälle, der Fehlzeiten, ei-
ne Erhöhung der Produktivität
und
eine Verringerung der Diszi-
plinarmaßnahmen. Angesichts der an Zeit und Geld erforderlichen Investitionen, damit ein Testprogramm anlaufen kann, wäre es nützlich,
die effektiven Auswirkungen und die Wirksamkeit der Maßnahmen zu
kennen. Bedauerlicherweise liegen gegenwärtig jedoch noch keine
schlüssigen Erkenntnisse über den allgemeinen Nutzen aus Tests vor.
Das liegt daran, daß auf diesem Gebiet Forschungsdefizite betehen
bzw. wenn es Untersuchungen gibt, sind diese aus wissenschaftlicher
70
Tests und Screening
Sicht nicht hinreichend validiert (170). Die ökonomischen Auswirkungen der Tests können im gegenwärtigen Zeitpunkt nur gemutmaßt
werden, da - genau wie bei der Berechnung der mit dem Alkoholkonsum im allgemeinen assoziierten Kosten - keine Einigkeit über die
zur Kostenschätzung geeignete Methode herrscht, bzw. noch nicht
einmal über die bei der Schätzung zu berücksichtigenden Faktoren.
Allerdings wurden einige Untersuchungen veröffentlicht, die angeblich die positiven Auswirkungen von Testprogrammen demonstrieren.
So deuten beispielsweise Untersuchungen bei General Motors darauf
hin, daß nach Einführung eines Drogen -Screening- Programms die
Fehlzeiten um 40 %, die Disziplinarmaßnahmen um 50% und die Zahl
der Unfälle um 50% zurückgegangen sind (187). Ebenso berichtete
ein Elektrizitätswerk über einen 25 %igen Rückgang der Fehlzeiten
nach Einführung eines Testprogramms (188). Die amerikanische Marine stellte fest, daß der Prozentsatz der drogenpositiven Tests nach
Durchführung eines regulären Testprogramms auf 5% zurückgegangen war (von einem Niveau von 48% zum Zeitpunkt der Testeinfüh-
rung) (189). Deshalb können solche Kontrollen eine wesentliche
Rolle hinsichtlich des Verhaltens am Arbeitsplatz spielen. Allerdings
ist anzumerken, daß die Methoden vieler Untersuchungen über die
Auswirkungen von Testprogrammen kritisiert worden sind. Häufig
werden rückläufige Unfallzahlen, Produktivitätsverbesserungen und
ein Rückgang des Suchtmittelgebrauchs den Tests zugeschrieben, ohne die Auswirkungen anderer Entwicklungen wie beispielsweise Aufklärung und therapeutische Maßnahmen zu berücksichtigen. Auch
wird bei vielen Untersuchungen versäumt, die Art des durchgeführten
Testprogramms oder die Konsequenzen eines positiven Testergebnisses zu beschreiben, die indessen von wesentlicher Bedeutung für das
Ergebnis des Testprogramms sind (190 -192).
In den Untersuchungen wurden ebenfalls Mutmaßungen über potentiell negative Resultate von Stichprobentests - der am meisten umstrit-
tenen Form der angewendeten Testverfahren - angestellt (193). Zu
den Auswirkungen solcher Tests können bei den Arbeitnehmern verstärkte Gefühle von Unsicherheit, Druck und Angst gehören, die
Wie argumentiert wird - zu Produktivitätsverlusten führen können
(194). Die allgemein gegen Stichprobentests vorgebrachte Kritik lau-
-
tet, daß sie die Privatsphäre des einzelnen verletzen und insofern mißbräuchlich angewendet werden können, wobei die Möglichkeit gegeben
71
Alkohol am Arbeitsplatz
ist, unliebsame Arbeitnehmer zu schikanieren. Außerdem sind solche
Stichprobentests eine ineffiziente und kostspielige ScreeningMethode, da die Mehrheit der durchgeführten Tests negativ ist (193).
Wenn Stichprobentests jedoch in fairer Weise durchgeführt und die
Arbeitnehmer hinreichend über die Verfahren informiert werden,
bietet diese Methode den Vorteil, daß einzelne Mitarbeiter nicht als
potentielle Drogensüchtige oder Trinker herausgegriffen werden
(195). Stichprobentests werden auch als eines der wirksamsten Abschreckungsmittel gegen Drogenmißbrauch angesehen (196).
Es gibt eine Reihe von anderen negativen Auswirkungen von Alkohol- und Drogentestprogrammen. So können nach Unfällen geordnete
Tests beispielsweise dazu führen, daß kleine Unfälle aus Angst vor
den Konsequenzen eines alkoholpositiven Tests nicht gemeldet werden (191,194). Ein anderes Problem ist, daß ein positiver Test Grund
liefern kann, die Schuld für einen Unfall - obwohl andere ursächliche
Faktoren dabei nicht ausgeschlossen werden können - allein dem Alkoholkonsum zuzuschreiben. In einem solchen Fall kann also Alkohol
fälschlich als Unfallursache genannt werden. Die Methode, in vermeintlichen Verdachtsfällen einen Test anzuordnen, kann dazu führen, daß bestimmte Arbeitnehmer als potentielle Alkoholsünder auf-
grund von Verhaltensmerkmalen gebrandmarkt werden, die aber
vielleicht überhaupt nicht mit Alkoholkonsum in Zusammenhang stehen. Es ist möglich, daß bestimmte Symptome falsch diagnostiziert
werden und zur Ausgrenzung und Stigmatisierung von Personen führen können, bei denen ein Alkohol- oder Drogenmißbrauch nicht zutrifft (195). Die Nützlichkeit von Tests vor einer Einstellung ist
schwer zu beurteilen, da es durchaus sein kann, daß ein Stellenbewerber auf Drogen verzichtet, solange er eine Arbeit sucht und dann später, wenn er angestellt ist, wieder Drogen konsumiert. Außerdem gibt
es keine Möglichkeit, zu beurteilen, ob die abgelehnten Bewerber
auch tatsächlich zu einem Problem für das Unternehmen geworden
wären. Da die Arbeitgeber die Testresultate von Stellenbewerbern
nicht bekanntzugeben brauchen und den abgelehnten Bewerbern keinen Grund für die Ablehnung nennen müssen, kann es bei dieser Art
von Tests vielleicht am ehesten zu einer mißbräuchlichen Anwendung
kommen. Bedauerlicherweise kommt hier am wenigsten Kritik von
den Gewerkschaften, weil die Gewerkschaften schließlich nicht die
Interessen von Nicht -Mitgliedern zu vertreten haben (187,196).
72
Tests und Screening
In anderen Untersuchungen wurde darauf hingewiesen, daß ScreeningMethoden generell gesehen die Moral beeinträchtigen (179, 197 -200),
die Beziehungen zwischen der Belegschaft und der Geschäftsleitung
kompromittieren und vermehrt Anlaß zu rechtlichen Schritten gegen
Unternehmen geben können (199). Die Anwendung eines Testprogramms kann sogar Konsequenzen in bezug auf die Art der Bewerber,
die sich bei einem Unternehmen vorstellen, haben. Crant & Bateman
(201) entdeckten, daß Unternehmen, die Tests durchführen, generell
wahrscheinlich weniger Bewerbungen - von Abstinenzlern ebenso
wie von Alkoholfreunden - erhalten. Der Grund dafür scheint in der
Vorstellung zu liegen, die potentielle Stellenbewerber von dem Unternehmen haben. Stellenbewerber scheinen eine positivere Einstellung gegenüber Unternehmen zu haben, die kein Testprogramm vorsehen, und solche Unternehmen für vertrauenswürdiger und respektvoller in Hinsicht auf die Wahrung der Privatsphäre ihrer Mitarbeiter
zu halten. Gegenwärtig ist man sich allerdings nicht darüber im klaren, ob ein derartiger Selektionsprozeß der Gesellschaft zum Nutzen
gereicht oder nicht.
Generell gesehen scheint die Einführung eines Programms - obwohl
Tests zu einem allgemeinen Rückgang des Suchtmittelgebrauchs unter
Arbeitnehmern führen mögen - zahlreiche andere Konsequenzen zu
haben. Obwohl die Reduzierung des Alkohol- und Drogenkonsums
und der damit verbundenen Probleme von vielen Arbeitnehmern angestrebt wird, können sich Drogentests auch nachteilig auf die Moral
der Mitarbeiter sowie auf die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer auswirken. Derzeit ist man sich noch nicht im klaren
darüber, ob Testprogramme tatsächlich signifikante wirtschaftliche
Gewinne erbringen und inwieweit solche Gewinne maximiert werden
könnten. Bevor man versucht, diese Frage zu beantworten, müssen
noch validierte wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden, um Klarheit über die Kosten und die Vorteile sämtlicher Testmethoden zu bringen.
TESTHÄUFIGKEIT IN UNTERNEHMEN
Vereinigte Staaten
Die Häufigkeit von Screening- Programmen in den Vereinigten Staaten hängt vom jeweiligen Tätigkeitsfeld des Unternehmens ab. 1988
73
Alkohol am Arbeitsplatz
wurde in einer Erhebung über mittelgroße und Großunternehmen
festgestellt, daß es eher in produzierenden Betrieben im öffentlichen
Versorgungssektor und Verkehrs -/Transportwesen Testprogramme
gibt, wohingegen man derartige Programme selten im Bank- und Versicherungsgewerbe und sonstigen Finanzsektor findet. Bei Unternehmen, die ein Screening- Programm hatten, handelte es sich überwiegend um relativ große Betriebe mit einer hohen Belegschaft und versch iedenen Zweigbetrieben (202).
Im allgemeinen gilt: je größer das Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher führt es ein Testprogramm durch. 1986 hatten 25% der
500 größten Unternehmen Testprogramme (203) gegenüber lediglich
3,2% der Unternehmen insgesamt; dieser Anteil hatte sich bis 1990
auf 4,4% erhöht (197). Jüngeren Untersuchungen zufolge hatten 1992
85% der amerikanischen Konzerne irgendeine Art von Tests vorgesehen !2042. Diese Erhebung dürfte allerdings nicht repräsentativ für die
amerikanische Wirtschaft sein, da sie sich auf Konzerne bezog und
nur solche Unternehmen berücksichtigt wurden, die auf die Umfrage
geantwortet hatten. Da hauptsächlich die größeren Betriebe eine
strukturierte Politik verfolgen, ist der prozentuale Anteil der von einem Testprogramm betroffenen Arbeitnehmer vermutlich beträchtlich
höher als die für den Anteil von Unternehmen, die strikte Regelungen
haben, genannte Zahl. Es wäre sinnvoll, den Anteil der von solchen
Testprogrammen betroffenen Bevölkerung zu schätzen, doch leider
scheinen derartige Informationen nicht verfügbar zu sein. Auf Verbreitung von Tests in den Vereinigten Staaten kann jedoch im großen
und ganzen, anhand der Schätzung, daß 1992 rund 20% der amerika-
nischen Arbeitnehmer einem Test unterzogen wurden, geschlossen
werden (186,204,205).
Die beliebteste Art des Screening (gemessen an der Zahl der Unternehmen, die diese Methode anwenden) sind Tests vor der Einstellung;
die am wenigsten populäre Methode sind Stichprobentests. 92% der
Unternehmen mit Testprogrammen führten Tests vor einer Einstellung durch, 77% in vermeintlichen Verdachtsfällen, 12% führten regelmäßige Kontrollen durch und nur 8% Stichprobentests (206).
74
Tests und Screening
Europa
Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten gibt es erst wenige Untersuchungen über die Testhäufigkeit in Europa, wahrscheinlich weil solche Tests hier erst ein relatives Novum sind.
Man glaubt, daß die kürzliche Einführung von Tests im Vereinigten
Königreich hauptsächlich auf das 1992 erlassene Transport and
Works Act zurückzuführen sind, obwohl in diesem Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt ist, daß Unternehmen Testprogramme durchführen müssen. Das Transport and Works Act fordert Unternehmer auf,
alle gebotene Sorgfalt" anzuwenden, um den Konsum/Mißbrauch
von Alkohol und Drogen am Arbeitsplatz zu verhüten. Es besteht die
Wahrscheinlichkeit, daß viele Unternehmen dieses Postulat mit der
Einführung eines Testprogramms gleichsetzen.
Als Reaktion auf das Transport and Works Act gab die britische
Bahnpolizei Einzelheiten über die ersten 14 Monate einer Testperiode
zwischen dem 7. Dezember 1992 und dem 28. Februar 1994 bekannt
(s.
Tabelle 3). Diese Tests wurden von der Londoner U -Bahn-
Gesellschaft London Underground und von der britischen Eisenbahngesellschaft British Rail durchgeführt.
Tabelle 3. Tests der britischen Bahnpolizei
London Underground
Durchgeführte Tests
Positive Tests
Test verweigert
Laufende Strafverfahren
Verurteilungen bis 28. Februar 1994
British Rail
57
181
12
33
8
7
16
30
1
15
Quelle: Incomes Data Services (151).
75
Alkohol am Arbeitsplatz
In einer Studie über 111 europäische Unternehmen wurde geschätzt,
daß 30 Unternehmen (27 %) ein Testprogramm für Arbeitnehmer
durchführen (207). In dieser Studie wurde auch beschrieben, daß
schätzungsweise 18% der Unternehmen Stellenbewerber vor der Einstellung einem Test unterziehen, davon testeten 72% der Unternehmen auf Alkohol und die übrigen nur auf illegale Drogen und /oder
verschreibungspflichtige Medikamente. Einzelheiten über die in den
Unternehmen angewendeten oder in Erwägung gezogenen Programme
sind der Tabelle 4 zu entnehmen.
Tabelle 4. Derzeitige bzw. vorgesehene Testverfahren
in 30 europäischen Unternehmen, Stand: 1993
Wann wird ein Test durchgeführt?
Zahl der
gegenwärtigen
Tests auf:
Alkohol
Drogen
Zahl der
beabsichtigten
Tests auf:
Alkohol
Drogen
Stichprobenweise für alle Beschäftigten
4
1
3
3
Stichprobenweise für Beschäftigte an Arbeitsplätzen mit einem Sicherheitsrisiko
7
6
3
4
11
8
1
3
13
10
2
2
Wegen Besorgnis oder Verdacht des Management
13
7
1
2
Als Teil eines Behandlungsprogramms
11
9
2
3
Im Rahmen der periodischen
medizinischen Untersuchung für
bestimmte Mitarbeiter
Auf spezielle Veranlassung
nach Unfällen oder Zwischenfällen bei der Arbeit
Quelle: Smith (207).
76
Tests und Screening
Tabelle 5. Von 30 Unternehmen für die Einführung eines
Testprogramms genannte Gründe
Grund
Zahl der Unternehmen
Allgemeine Sorge, die Unfälle zu verringern
19
Allgemeine Sorge, die Prävalenz von alkohol- und /oder drogenbedingten Problemen zu verringern
15
Besondere gesetzliche Bestimmungen oder gesetzgeberische Auflagen
6
Nach einem spezifischen alkohol- und /oder drogenbedingten Zwischenfall am Arbeitsplatz
5
Weil in anderen Organisationen Tests durchgeführt werden
4
Weil die Muttergesellschaft bzw. eine andere Konzerngesellschaft Tests eingeführt hat
2
Engagement, den Gebrauch illegaler Drogen zu bekämpfen
2
Quelle: Smith (207).
Auf die Frage, weshalb sie Tests durchführten, erklärten Unternehmen, daß sie zur Verringerung von alkohol- und drogenbedingten
Problemen beitragen wollten oder daß sie sich aufgrund einschlägiger
gesetzlicher Bestimmungen dazu veranlaßt sähen. Die Unternehmen,
die keine Tests durchführten, gaben als Grund an, daß sie über die
Auswirkungen der Tests auf die Rechte und bürgerlichen Freiheiten
ihrer Angestellten besorgt seien und eventuelle negative Folgen für
das Verhältnis Arbeitgeber /Arbeitnehmer befürchteten (s. Tabelle 5
und 6).
77
Alkohol am Arbeitsplatz
Tabelle 6. Gründe, die 28 Gesellschaften dafür genannt haben,
daß sie kein Testprogramm einführen
Grund
Zahl der Gesellschaften
Die Rechtslage in bezug auf die Rechtmäßigkeit von Tests
ist unklar
19
Derartige Tests können die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verschlechtern
16
Alkohol- und anderweitige Suchtprobleme könnten unter
Nutzung der vorhandenen Ressourcen und existierenden
Verfahren wirkungsvoller erkannt werden
9
Derartige Tests sind mit der ethischen Grundhaltung der Organisation unvereinbar
9
Beabsichtigen, den Sachstand erneut zu prüfen, wenn andere Organisationen entsprechende Testverfahren vorgesehen
haben
4
Quelle: Smith (207).
78
6
Erfassungsgrad der
Alkoholpolitik
Es wird davon ausgegangen, daß nur ein geringer Teil von Unternehmen ein offizielles, schriftlich abgefaßtes alkoholpolitisches Konzept
hat, obschon die meisten Unternehmen sich offenbar zumindest auf
eine informelle Vereinbarung stützen (208). In dem vorliegenden Kapitel werden einige der veröffentlichten Schätzungen zum Anteil der
Unternehmen, die sich betriebsintern mit Alkoholproblemen befassen,
untersucht. Zwar sind solche Studien nicht ideal geeignet, um
Schätzwerte für den Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung, die von
einer Alkoholpolitik betroffen ist, zu erhalten, doch erscheint ihre Berücksichtigung in der vorliegenden Untersuchung gerechtfertigt, da
sie zumindest einige nützliche Informationen liefern.
METHODOLOGISCHE PROBLEME
Akkurate Schätzungen der Gesamtzahl der Unternehmen mit einer
Alkoholpolitik sowie der Gesamtzahl der einer Alkoholpolitik unterliegenden Arbeitnehmer sind schwierig, weil Zahlen für gewöhnlich
anhand von Erhebungsdaten berechnet werden, was eine Reihe von
Nachteilen hat. So z. B. ist in einer Erhebung zur Unternehmenspoli tik bei Alkoholproblemen damit zu rechnen, daß meist die Unternehmen, die sich der Problematik bereits bewußt sind, den Fragebogen
béantworten. Deshalb weisen die zurückgesandten Fragebogen wahrscheinlich einen höheren Anteil von auf diesem Gebiet aktiven Unternehmen aus, was letztlich die geschätzte Zahl der Unternehmen mit
einer Alkoholpolitik in dem betreffenden Land aufbläht. Deshalb sind
79
Alkohol am Arbeitsplatz
die Beantwortungsquoten ein wichtiges Indiz dafür, wie repräsentativ
eine bestimmte Studie ist.
Die gewählte Erhebungsmethode wirkt sich wahrscheinlich beträchtlich auf die Resultate einer Untersuchung aus. Das wird durch einen
Vergleich der Resultate von zwei Studien deutlich, wobei in einer
Studie Abonnenten der mit Alkoholfragen befaßten Zeitschrift Grapevine (208) befragt wurden und in einer anderen Studie eine landesweit
repräsentativere Stichprobe (100) untersucht wurde. Unterschiedliche
Resultate der beiden Studien sind zu erwarten, da die Abonnenten von
Gravevine sich wahrscheinlich bereits der Alkoholproblematik bewußt sind. Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, daß laut der ersten Erhebung 76% der Unternehmen sich gezielt mit dem Problemkomplex Alkohol am Arbeitsplatz befassen, wohingegen in der zweiten Erhebung dieser Prozentsatz mit nur 32% angegeben wurde.
Ebenso ist ein Vergleich von Erhebungen schwierig, weil die Kriterien zur Definition einer Alkoholpolitik oft unterschiedlich sind,
ebenso die Orte, an denen die Studien durchgeführt wurden (209,210),
das gleiche gilt auch für die Unternehmensgröße.
Eine Interpretation der Ergebnisse der Studien ist ebenfalls insofern
recht problematisch, als nicht eindeutig ist, was genau gemessen wurde. So ist z. B. nicht immer klar, was eine Alkoholpolitik haben" genau bedeutet. Wird hier nur die Tatsache, daß es ein alkoholpolitisches Konzept gibt, festgestellt oder wird auch dessen Umsetzung berücksichtigt? Das hat wichtige Implikationen, da Unternehmen, bei
denen das Vorhandensein einer Alkoholpolitik ausgewiesen wurde,
sich in Wirklichkeit vielleicht gar nicht daran halten. Andere Unternehmen können vielleicht durchaus eine Alkoholpolitik befolgen,
doch wenn dies vielleicht ohne spezifische Erwähnung oder unter einem anderen Titel (beispielsweise als Gesundheitspolitik oder Regelung im Krankheitsfall) geschieht, kann u. U. in einer Studie nichts
darüber vermerkt sein. Deshalb können solche Studien oft nur den
Prozentsatz der Unternehmen ausweisen, die irgendwelche schriftlichen Bestimmungen über Alkoholmißbrauch haben. Diese Studien
vermitteln dennoch eine Idee von der Prävalenz.
80
Erfassungsgrad der Alkoholpolitik
DER ANTEIL VON UNTERNEHMEN MIT EINER AKTIVEN
ALKOHOLPOLITIK
Es gibt eine Reihe von Studien, die Schätzungen zum Anteil der Unternehmen im Vereinigten Königreich liefern, die irgendeine Art von
Alkoholpolitik praktizieren. Darunter vermitteln Brittan et al. (100)
das vielleicht umfassendste Bild der gegenwärtigen Praktiken in britischen Unternehmen und geben Informationen über den am häufigsten
gewählten Ansatz. In ihrer Studie konnten drei Kategorien von Unternehmen identifiziert werden: Unternehmen, die keine speziellen Bestimmungen in bezug auf Alkohol vorsehen; Unternehmen, die das
Problem zwar erkannt, doch keine Maßnahmen getroffen haben und
Unternehmen, die konkrete Strategien für die Behandlung des Themas
Alkohol am Arbeitsplatz vorgesehen haben. Ihren Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Unternehmen, die konkrete Maßnahmen vorgesehen haben, bei rund 32 %. Diese Zahl ist etwas höher als der von
O'Brien & Dufficy (141) genannte Prozentsatz, die diesen Anteil auf
höchstens 20% geschätzt haben. Die MEL Research Ltd. (nichtveröffentlichte Daten, 1994) kam in einer über eine repräsentative Stichprobe von Unternehmen in der Innenstadt von Birmingham durchgeführten Studie zu dem Ergebnis, daß schätzungsweise nur 23% dieser
Unternehmen eine Alkoholpolitik haben; dies ist eine relativ niedrige
Zahl im Vergleich zu den in einer Studie des Industrial Relations Service genannten 40% (208,211,212) und den von Howie & Carter
(213) für größere Arbeitgeber in Fife, Schottland, geschätzten 33 %.
Hier wird jedoch vielfach der generelle Anteil der Unternehmen im
Vereinigten Königreich, die eine Alkoholpolitik betreiben, überschätzt. Eine realistischere Zahl wird von Powell (nichtveröffentlichte
Daten, 1990) genannt, der eine Reihe von Studien untersucht hatte
und zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß weniger als 20% der
Firmen im Vereinigten Königreich über ein offizielles betriebsinternes Konzept zur Reduzierung der mit dem Alkoholkonsum zusammenhängenden Personalkosten verfügen.
In puncto Alkoholpolitik scheinen die britischen Unternehmen hinter
den amerikanischen Unternehmen hinterherzuhinken (214), denn in
dén Vereinigten Staaten wird der Anteil der Unternehmen mit offiziellen Regelungen betreffend Alkohol am Arbeitsplatz auf rund 60%
geschätzt. Der Anteil der britischen Unternehmen mit einer offiziellen
Alkoholpolitik wird sich jedoch wahrscheinlich erhöhen, da immer
81
Alkohol am Arbeitsplatz
mehr derjenigen, die sich der Alkoholproblematik bewußt sind, jetzt
auch einschlägige Regelungen durchführen (24% der von Brittan et al.
(100) untersuchten Unternehmen fielen in diese Kategorie). Eine Reihe von Faktoren dürfte die Unternehmen zu einer gezielten Alkoholpolitik ermutigen: Die Veröffentlichung von Zahlen, die den Anteil
der Arbeitnehmer mit Alkoholproblemen am Arbeitsplatz belegen
(215); Schätzungen der finanziellen Kosten, die durch übermäßiges
Trinken entstehen können (99,104); die Wirkung der jüngsten Gesundheitskampagnen (216,217); die Veröffentlichung über die Gesundheitspolitik der Regierung (5); sowie Gesetze über Alkoholkonsum am Arbeitsplatz.
Die Bedeutung der Unternehmensgröße
Der Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und der Existenz einer Alkoholpolitik geht deutlich aus einer Studie des Industrial
Relations Service (208,211,212) hervor. Nur 16% der britischen Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von 101 -200 Personen hatten
eine Alkoholpolitik, gegenüber 70% der Großunternehmen mit über
10 000 Beschäftigten. Zwar ist ein Vergleich dieser Ergebnisse
schwierig, weil die Stichprobengröße vermutlich ganz unterschiedlich
ist (es gibt relativ selten Unternehmen mit über 10 000 Beschäftigten),
doch erscheint ein Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße
und der Existenz einer Alkoholpolitik offenkundig. Dies wurde auch
in den Vereinigten Staaten demonstriert, wo 70% der 500 größten
Unternehmen (218) alkoholpolitische Konzepte zur Beratung, Behandlung und Unterstützung von Beschäftigten entwickelt hatten, gegenüber lediglich 51% der mittelständ ischen Unternehmen.
EIN BESSERER ERFASSUNGSGRAD
Eines der wichtigsten Ziele der mit Alkoholfragen befaßten Organisationen ist die Erhöhung des Anteils von Unternehmen mit einer Alkoholpolitik - und somit auch eine Erhöhung des Anteils der Beschäftigten, für die alkoholbezogene Regelungen gelten. Eine wesentliche
Erhöhung des Gesamtanteils der einer Alkoholpolitik unterliegenden
Beschäftigten hängt davon ab, ob sich die Zahl der kleineren Unternehmen, die eine Alkoholpolitik einführen, vergrößert.
82
Erfassungsgrad der Alkoholpolitik
Einer der wichtigsten Gründe dafür, daß kleine Unternehmen keine
Alkoholpolitik betreiben, liegt darin, daß sie oft nicht glauben, ein
Problem mit Alkohol zu haben. Dies könnte bedeuten, daß viele der
kleineren Unternehmen tatsächlich kein solches Problem haben, doch
es könnte ebenso gut ein Zeichen dafür sein, daß man dort nichts über
die möglichen Folgen des Alkoholkonsums während der Arbeit weiß
(219,220). In kleineren Unternehmen sind kaum Arbeitnehmer bereit
zuzugeben, daß sie ein Alkoholproblem haben könnten (221); zu diesem Ergebnis gelangte man auch in einer kürzlichen Erhebung über
kleine bis mittelgroße Unternehmen (10 bis 200 Beschäftigte), die in
Liverpool durchgeführt wurde (222). In dieser Erhebung gaben 65%
der Befragten an, Alkohol habe während der Arbeitszeit niemals Probleme verursacht. Wenn man davon ausgeht, daß 10% der erwachsenen Bevölkerung so viel trinkt, daß ihre Gesundheit gefährdet werden
könnte (diese Zahl wird häufig zur Rechtfertigung einer Alkoholpolitik genannt) hat der Wahrscheinlichkeit nach eine Reihe von Unternehmen mit 10 bis 50 Beschäftigten keine Probleme mit dem Alkoholkonsum. Chadwick & Pendleton (222) meinen jedoch, daß Unternehmen, die sich mit dieser Frage genauer befassen, in ihrer Belegschaft wahrscheinlich auch Beweise für Auswirkungen des Alkohols
finden können.
Abgesehen von dem Problem, alkoholbedingte Schäden festzustellen,
könnte es vielleicht sein, daß kleine Betriebe keine offizielle Alkoholpolitik wegen der dafür erforderlichen Ressourcen und Organisation
vorsehen. Ein Großteil der derzeitigen Maßnahmen geht auf die betriebsärztlichen Dienste, Personalleiter oder Sicherheitsexperten (208)
zurück, und derartige Funktionen sind in vielen kleineren Betrieben
nicht zu finden. Der Mangel an Ressourcen kann in gewissem Maß
durch die Inanspruchnahme von externen Organisationen wettgemacht
werden, die z. B. einschlägige Literatur, Gesundheitsförderungsmaterial, Ratschläge über die Gestaltung einer Alkoholpolitik und Beratung für Beschäftigte mit Alkoholproblemen bieten können. Dies kann
sich für eine Reihe von Unternehmen als gangbare Alternative erweisen, da dies die Kosten für das Vorgehen bei alkoholbezogenen Problemen beträchtlich senken kann. Viele externe Organisationen beréchnen für Kopien ihrer Materialien entweder überhaupt nichts oder
nur einen geringen Betrag (223).
83
Alkohol am Arbeitsplatz
Wenn mehr kleinere Betriebe die Einführung einer Alkoholpolitik in
Betracht ziehen, müssen die Faktoren, die sie dazu motivieren - wie
die potentiellen Kosten des Alkoholkonsums (speziell im Fall von besonders wichtigen Arbeitnehmern), die wahrscheinlichen Folgen des
Alkohols unter bestimmten Umständen und die Möglichkeiten, die
Probleme anzugehen, näher untersucht werden. Die Einführung einer
Alkoholpolitik in einem kleinen Unternehmen setzt häufig die Inanspruchnahme von externen Ressourcen voraus. Kleine Unternehmen
könnten vielleicht auch eher geneigt sein, Regelungen bezüglich des
Alkoholkonsums im Rahmen einer Politik einzuführen, die eine ganze
Palette von Gesundheitsfragen betrifft. Konzepte zur Alkoholproblematik könnten z. B. attraktiver sein, wenn sie als Teil einer breiter gefächerten Politik eingeführt werden, die auch Fragen wie Rauchen
und Drogenmißbrauch aufgreift (27,166).
Deutschland
Die Inanspruchnahme externer Organisationen, um Unternehmen zu
unterstützen und ermutigen, sich mit der Alkoholproblematik auseinanderzusetzen, scheint in Deutschland üblich zu sein. Die Deutsche
Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) ist ein nationales Infor-
mations-, Forschungs- und Dokumentationszentrum, das in ganz
Deutschland Informationen und Statistiken verbreitet (224 -226). Die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gibt ebenfalls
Informationen über Alkohol heraus und hat umfassendes Material
über den Problemkomplex Alkohol am Arbeitsplatz entwickelt (135).
So heißt es darin z. B. mindestens 5% aller Arbeitnehmer sind Alkoholiker sind und weitere 10% sind stark alkoholgefährdet" und daß
diese Arbeitnehmer mit 16mal größerer Wahrscheinlichkeit fehlen
und 3,5mal häufiger in Arbeitsunfälle verwickelt sind. Außerdem enthält dieses Material Erläuterungen über die deutsche Gesetzgebung in
bezug auf Alkohol am Arbeitsplatz; so fallen beispielsweise Arbeitsunfälle, die von alkoholisierten Arbeitnehmern (selbst bei sehr niedrigen Blutalkoholwerten) verursacht werden, nicht unter den Unfallversicherungsschutz der Berufsgenossenschaften. Unternehmen werden
ermutigt, Maßnahmen zur Primärprävention ins Auge zu fassen, beispielsweise keine Verfügbarkeit von Alkohol, Aufklärung über Alkohol, Streßabbau und bessere Arbeitszeiten. Außerdem werden Ratschläge zur Früherkennung von alkoholbedingten Problemen gegeben
und eine frühzeitige Behandlung wird empfohlen. Anregungen zur
84
Erfassungsgrad der Alkoholpolitik
formellen Einbindung solcher Maßnahmen in eine betriebsinterne Alkoholpolitik sowie einschlägige Beispiele werden gegeben.
In Deutschland existieren auch zahlreiche Sonderorganisationen auf
regionaler Ebene, die Informationen erteilen und Hilfe bieten. In den
letzten fünf Jahren hat die Landesstelle Berlin gegen die Suchtgefahren (LBS):
ein regionales Servicezentrum für Berlin entwickelt, mit einem Team
von Management- Beratern und Schulungsleitern. Zielgruppe sind Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, die an Fragen der Suchtprävention interessiert sind und die in dieser Hinsicht etwas für ihre Beschäftigten tun wollen. Während des Prozesses der Einführung, Durchführung und Gestaltung dieser Programme werden die betreffenden Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen beraten, manchmal mehrere
Jahre lang. Einige Unternehmen sind jetzt so weit, daß eine erste Evaluation durchgeführt werden kann (227).
Die LBS ist auch an einem Kooperationsnetz von Organisationen DIALOG - beteiligt. Dieses Netz ist ein Forum für den Informationsund Erfahrungsaustausch.
Für deutsche Unternehmen gibt es eine (alle zwei Monate veröffentlichte) Informationsschrift mit dem Titel Partner (entspricht in etwa
der von der Gesundheitserziehung in England veröffentlichten Zeitschrift Grapevine), die bezweckt, Unternehmen im Umgang mit alkoholbezogenen Problemen zu unterstützen.
Der Handwerker -Fonds bietet speziell Informationen für Unternehmen mit bis zu 150 Beschäftigten. Diese Informationen beziehen sich
u. a. auf die Folgekosten von Alkoholproblemen, Auswirkungen der
Arbeitsbedingungen auf das Suchtpotential, Erkennung von Problemtrinkern, betriebsinterne und externe Hilfsmöglichkeiten, rechtliche
Informationen, spezielle Hilfsangebote für Handwerker, Einzelheiten
über alkoholbezogene Veranstaltungen und Alkoholliteratur sowie
Ratschläge für Manager über eine Alkoholpolitik.
Das Vereinigte Königreich
Im Vereinigten Königreich bieten Organisationen wie die Gesundheitserziehungsbehörde Health Education Authority, der Alcohol
85
Alkohol am Arbeitsplatz
Education and Research Council, Alcohol Concern, die zahlreichen
regionalen Alkoholberatungsstellen sowie Beratungsdienste für Arbeitnehmer gegenwärtig Beratung, Literatur, Unterstützung und häufig auch Personalberatung für Unternehmen, die eine Alkoholpolitik
vorsehen und betreiben. Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker (Alcoholics Anonymous) beraten auch Arbeitnehmer mit Alkoholproblemen kostenlos für die Unternehmen. Die Inanspruchnahme solcher Organisationen scheint eine Möglichkeit zu sein, für kleine Betriebe die Einführung einer Alkoholpolitik attraktiver zu machen.
Wahrscheinlich wird sich künftig die Zahl der Unternehmen mit einer
eigenen Alkoholpolitik erhöhen. Der Erfolg dieser Politik wird letztlich von der Sachkenntnis und der Unterstützung durch eine Reihe
von externen Organisationen abhängen. Wenn Konzepte in bezug auf
Alkohol, das Rauchen und allgemeine Gesundheitsfragen in mehr
Unternehmen umgesetzt werden, wird höchstwahrscheinlich in gewissem Ausmaß die Gesellschaft insgesamt daraus Nutzen ziehen. Jetzt
scheint es darum zu gehen, das Management davon zu überzeugen,
daß die Verwirklichung einer bedarfsgerechten Alkoholpolitik zum
Nutzen des Unternehmens wie auch seiner Mitarbeiter sein könnte.
86
7
Diskussion
VOLKSWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES
ALKOHOLS
In bezug auf den Alkoholkonsum und die möglichen Auswirkungen
auf den Unternehmensbereich hat es bereits zahlreiche Untersuchungen gegeben. Mit diesen Untersuchungen wurde häufig versucht, die
Auswirkungen des Alkoholkonsums auf den Unternehmensbereich
sowie auf die Volkswirtschaft insgesamt aus finanzieller Sicht abzuschätzen. Obwohl die generellen Gewinne ", die der Alkoholindustrie
(beispielsweise in Hinsicht auf Arbeitsplätze, Handel und Investitionen) zugeschrieben werden können, einen wichtigen Teil der Gesamtrechnung ausmachen, wird das größte Interesse auf die mit Alkohol
verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten gerichtet.
Diese Kosten wurden für eine Reihe von Ländern errechnet und
dürften oft einen wesentlichen Bestandteil des Bruttosozialprodukts
eines Landes ausmachen. So liegt im Vereinigten Königreich beispielsweise der meistgenannte Schätzwert hier in der Größenordnung
von 2 Milliarden Pfund für 1987. Dieser Schätzwert beinhaltet eine
Reihe von Kostenfaktoren wie Ausfallzeiten durch Krankheit, Arbeitslosigkeit, frühzeitiger Tod, Kosten für den nationalen Gesundheitsdienst sowie alkoholbedingte Straftaten. Nicht eingeschlossen
sind indessen etliche Aspekte der weniger einfach quantifizierbaren
Kosten wie Produktivitätsverluste, Unfälle, Personalfluktuation, Störûng der Arbeitsbeziehungen und Verluste wegen eines schlechten
Images des Unternehmens. Die Nichtberücksichtigung dieser Faktoren
hat einige Wissenschaftler zu der Annahme veranlaßt, daß die bisher
genannten Zahlen zu niedrig sind und die echten Kosten somit im
87
Alkohol am Arbeitsplatz
Grunde signifikant höher sind. Dieser Ansicht kann jedoch widersprochen werden, weil das häufig zur Kostenermittlung herangezogene Wirtschaftsmodell Kapital Mensch - Krankheitskosten" (Human
Capital HC - Cost of Illness COI) nur begrenzte Gültigkeit hat und
auch weil die positiven Folgen des Alkoholkonsums nicht berücksichtigt worden sind.
Zahlreiche Wissenschaftler haben sich bei ihren Forschungen auf das
HC -COI- Modell gestützt, um die mit dem Alkoholkonsum verbundenen Kosten abzuschätzen. Dieses Modell schätzt die Kosten unter Zugrundelegung des potentiellen Werts der Arbeitnehmer - ein Konzept,
das in Ländern mit Arbeitslosigkeit von begrenzter Gültigkeit sein
dürfte. Die Kostenermittlung nach dieser Methode resultiert in einem
Wert, der häufig höher ist als die Zahl, die man erhält, wenn man die
direkten Kosten, die beispielsweise mit Personalfluktuationen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Unterbrechung der Produktion ver-
bunden sind, abschätzt. Die für Faktoren wie Arbeitslosigkeit und
vorzeitiger Tod infolge von Alkohol erhaltenen Schätzwerte sind die
potentiellen Kosten und nicht die tatsächlichen Kosten (d. h. die
Geldsumme, die man hätte sparen können) wie oft angenommen wird.
Abgesehen von den Problemen bei Anwendung dieses Modells ist anzumerken, daß der Nutzen, der dem Alkoholkonsum u. U. zugeschrieben werden kann, für gewöhnlich in den Schätzungen der Gesamtkosten nicht enthalten ist.
Nahezu alle Zahlen und Statistiken im Zusammenhang mit dem Problem der Quantifizierung von Kosten unterliegen dem Vorbehalt, daß
es sich dabei lediglich um Schätzwerte und ungefähre Zahlen für Phänomene handelt, die im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit erfaßt werden können. DiNardo (228) kommt
in einer Untersuchung über die Kosten des Alkohol- und Drogenkonsums in den Vereinigten Staaten zu dem Schluß, daß die Schätzungen
der Gesamtkosten von begrenztem Wert sind. Diese Kritik kann gleichermaßen für die im Vereinigten Königreich durchgeführten Untersuchungen gelten.
Um genauere Schätzwerte zu erhalten, muß eine Reihe von Fragen
untersucht werden, darunter die Qualität der Daten, die Auswirkungen des Alkohols auf das Verhalten und die Gesundheit sowie die
Interaktion zwischen Alkoholkonsum und anderen Faktoren. Im ge-
88
Diskussion
genwärtigen Zeitpunkt ist es so, daß viele der verfügbaren Daten im
Interesse bestimmter unternehmerischer Erfordernisse gesammelt
worden sind und weniger im Hinblick auf die Beantwortung spezifi-
scher Forschungsfragen. Infolgedessen sind viele Daten für Forschungszwecke nicht geeignet. So liegen beispielsweise Informationen über krankheitsbedingten Arbeitsausfall im Vereinigten Königreich meist in Form von eigenen Krankmeldungen der Arbeitnehmer
vor, in denen diese selbst die Gründe für die Abwesenheit angeben.
Die von den Arbeitnehmern für ihre Abwesenheit genannten Gründe" haben jedoch oft wenig oder überhaupt nichts mit den wirklichen
Gründen zu tun, zumindest wenn das Fehlen durch übermäßigen Alkoholkonsum bedingt ist. Die über die Fehlzeiten verfügbaren Daten
sind deshalb von geringem Nutzen, wenn man die Zusammenhänge
zwischen Alkoholkonsum und Fehlzeiten beurteilen möchte. Zusätzlich zu der Schutzwirkung, die ein moderater Alkoholkonsum auf die
Gesundheit haben kann, können auch andere günstige Auswirkungen
die Kostenschätzungen beeinflussen. Insbesondere sollten Schätzwerte für den Nutzen des Alkohols angegeben werden, wenn er als
Stärkungsmittel Anwendung findet und ebenso Schätzwerte für den
möglichen günstigen sozialen Effekt, den er haben kann. Auch das
Zusammenwirken von Alkohol und anderen Verhaltensweisen (speziell Rauchen und Streß) muß Berücksichtigung finden, da diese Interaktion eine Reihe von Implikationen hinsichtlich der Kosten hat und
gegenwärtig erst kaum einschlägige Erkenntnisse vorliegen.
Eine grundlegende Frage bei der Kostenabschätzung - die häufig
ignoriert wird - ist der Effekt, den die Erwartungen oder Ansichten
des Forschers auf die Entscheidung darüber haben, welche Faktoren
bei der Kostenermittlung berücksichtigt werden sollen. Solche Entscheidungen sind ganz wesentlich, da sie letztlich zu einem großen
Teil die Höhe des Schätzwerts bestimmen. So wird z. B. die Erwartung, daß jeglicher Alkoholkonsum negative Konsequenzen hat und
Kosten nach sich zieht, unweigerlich die potentiellen Kosten in den
Vordergrund rücken und Anlaß dazu geben, sie in der Schätzung zu
berücksichtigen. Das gleiche gilt indessen nicht für den potentiellen
Nutzen. DiNardo (228) kommt zu dem Schluß, daß Forscher wahrscheinlich eher ungenaue negative Resultate akzeptieren als positive
Schätzungen und daß diese Tendenz, die Ungenauigkeit von negativen
Schätzwerten oder die gelegentlich anomalen" positiven Schätzwerte
89
Alkohol am Arbeitsplatz
zu ignorieren, jegliche Behauptungen der Autoren grundlegend unterminieren.
Abgesehen von den Schwierigkeiten, die mit Alkoholkonsum verbundenen Kosten zu beurteilen, ist es schwierig, die Wirkung zu bewerten, die eine Verringerung des Alkoholkonsums oder Abstinenz haben
würde. Da Alkohol lediglich eine von mehreren Substanzen ist, für
deren Konsum man sich entscheiden kann, könnte vielleicht ein gewisser Substitutionseffekt eintreten, wenn die Menge einer bestimmten Substanz verringert wird und man sich dann ohne weiteres für andere Suchtmittel entscheiden kann. Ein stärkerer Marihuanakonsum
kann z. B. zu einem geringeren Gebrauch anderer Drogen führen
(Modal, K.E., nichtveröffentlichte Daten, 1993); ähnlich führt eine
Verringerung des Heroingebrauchs oft zu einem Anstieg des Alkoholkonsums (229, 230). Eine Einschränkung des Alkoholkonsums kann
zur stärkeren Anwendung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (231) und zur Erhöhung des Tabakkonsums (232) führen. Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, daß eine Reduzierung oder Aufgabe
des Alkoholkonsums zu Ersparnissen" in der gleichen Größenordnung wie die geschätzten alkoholbedingten Kosten führen. Bedauerlicherweise wird bei der Abschätzung der Kosten des Alkoholkonsums
oft ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß es sich dabei um
den Geldbetrag handelt, der eingespart werden kann, wenn man den
Alkohol aufgibt; das scheint indessen nicht der Fall zu sein.
Selbst wenn diese Probleme gelöst werden könnten, ist es fraglich, ob
durch eine bessere Abschätzung der Gesamtkosten viel gewonnen
würde. Die Lösung dieser überwiegend praktischen Probleme könnte
zwar die generelle Genauigkeit der Ermittlung der finanziellen Kosten
verbessern, jedoch würde es wenig dazu beitragen, einige der weiteren Probleme anzugehen, wenn man dem Alkoholkonsum einen wirtschaftlichen Wert beimißt. Zu diesen Problemen zählt die Bewertung
von Faktoren wie persönliche Freiheit, Vergnügen und Verbesserung
der Lebensqualität, die Alkohol bringen kann. Diese Faktoren müssen
indessen in Betracht gezogen werden, wenn die Kosten" Ermittlungen reale Gültigkeit haben sollen.
Allerdings gelten nicht für sämtliche Kostenabschätzungen dieselben
Einwände. Eine Kosten- Nutzen -Analyse kann hilfreich sein, zumindest wenn die Auswirkungen bestimmter Alternativen bewertet werden.
90
Diskussion
Eine Kosten - Nutzen -Analyse ermöglicht es dem Analysten, zuverläs-
sige Schätzungen zu erhalten ohne vollständige Beschreibung der
zahlreichen subtilen Verbindungen zwischen Alkoholkonsum und den
entsprechenden Ergebnismessungen. Obwohl ein solcher Ansatz nicht
die Gesamtkosten aufzuzeigen vermag, kann er die relative Effektivi-
tät einer Reihe von alternativen Konzepten aufzeigen. Die Anwendung eines Kosten - Nutzen -Analyserahmens kann von gewissem Wert
für die Unternehmen sein (wertvoller als die Beurteilung der Gesamt-
kosten), da man dadurch Antworten auf eine Frage wie Wird die
Produktivität durch Einführung der Alkoholpolitik X beeinträchtigt
werden? " erhalten kann.
Obgleich die derzeitigen Schätzungen so unzuverlässig sind, sind sie
sehr populär, weil sie ein Mittel an die Hand geben, die generellen alkoholbezogenen Kosten einzuschätzen, was zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und Regierungspolitik nützlich ist. Mehrere
Kommentatoren haben festgestellt, daß es jedoch ein Fehler sein
dürfte, solche Schätzungen als Leitschnur zur Prioritätensetzung für
die Ausgaben zu nehmen, da sie nicht auf einer soliden ökonomischen
Basis beruhen. Guyot (233) geht noch weiter und behauptet, daß das
ökonomische Argument keine wirtschaftliche Realität hat, aber als
nützlich empfunden wird, weil es den Politikern erlaubt, das Problem" herauszustellen und ihre Maßnahmen zu rechtfertigen.
DIE REAKTION DER INDUSTRIE AUF ALKOHOL
Selbst wenn es signifikante Probleme gibt, die Auswirkungen des Alkoholkonsums insgesamt als Geldwert auszudrücken, ist zur Zufriedenheit vieler demonstriert worden, daß Alkoholkonsum, zumindest
in bestimmten Situationen, signifikante Probleme für die Unternehmen schaffen kann. Als Reaktion darauf scheinen sich die Unternehmen jetzt zu bemühen, alkoholbedingte Probleme zu erkennen und
anzugehen. Die Motivation dazu ist hauptsächlich auf die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die einige der möglichen mit Alkohol verbundenen Kosten aufgezeigt haben, sowie auf die Gesetzgebung zurückzuführen.
Die wichtigste Reaktion der Unternehmen auf alkoholbezogene Pro-
bleme ist die Einführung von alkoholpolitischen Konzepten am
91
Alkohol am Arbeitsplatz
Arbeitsplatz. Solche Konzepte können zur Feststellung, Disziplinierung und Rehabilitation von Arbeitnehmern mit Alkoholproblemen
beitragen, ebenso zur Aufklärung der Beschäftigten über die möglichen Auswirkungen des Alkoholkonsums und über Risikominderung
im Kontext der Trinkgewohnheiten. Der durch Einführung einer Alkoholpolitik zu erzielende Nutzen kann folgendes beinhalten: eine sicherheitsbewußtere, gesündere, besser motivierte Belegschaft sowie
eine Reihe von wirtschaftlichen Gewinnen, einschließlich solcher, die
durch Rehabilitation der Arbeitnehmer erreicht werden können, die
sonst unproduktiv gewesen wären oder entlassen worden wären.
Die Art und Weise, in der Alkoholabhängigkeit gesehen wird, hat ernste Konsequenzen für den Umgang mit Arbeitnehmern, die alkoholbedingte Probleme haben oder vermuten lassen. Obwohl der Status
der Alkoholabhängigkeit als Krankheit umstritten ist, werden die Arbeitgeber veranlaßt, Alkoholabhängigkeit als Krankheit anzusehen.
Die Arbeitsgerichte halten sich mehr oder minder an diesen Bezugsrahmen und fordern häufig von Unternehmen, Mitarbeiter mit einem
Alkoholproblem genauso zu behandeln wie Mitarbeiter, die an irgendeiner sonstigen Krankheit" leiden. Solch eine Forderung kann
gelegentlich zu der offensichtlich absurden Situation führen, daß ein
Arbeitgeber einen produktiven Arbeitnehmer, der kein Problemtrinker
ist, entläßt und gleichzeitig einen weniger produktiven Problemtrinker
weiterbeschäftigt. Diese offensichtliche Zwiespältigkeit kann gewisse
Ressentiments heraufbeschwören und hat sogar schon dazu geführt,
daß Arbeitnehmer im Fall irgendeines Dienstvergehens behaupten, sie
hätten ein Alkoholproblem, selbst wenn dies überhaupt nicht der Fall
ist.
Alkoholpolitische Konzepte sollen die festgestellten Probleme aufgreifen, doch können sie auch dazu dienen - durch Ermutigung der
Arbeitnehmer, Befürchtungen, die sie in bezug auf Alkohol haben
können, zum Ausdruck zu bringen - potentielle Probleme aufzuzeigen,
bevor eine disziplinarische Angelegenheit daraus wird. Eine solche Strategie beinhaltet typischerweise ein Therapieangebot, wobei der Arbeitsplatz des betreffenden Arbeitnehmers erhalten bleibt. Das ermutigt einerseits die Arbeitnehmer, bei irgendwelchen Alkoholproblemen um Hilfe
nachzusuchen und ermöglicht es andererseits dem Arbeitgeber, das Trinken am Arbeitsplatz insgesamt einzuschränken. Deshalb kann ein alko-
holpolitisches Konzept sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die
92
Diskussion
Arbeitgeber von Vorteil sein. Es kann Verfahrensweisen für den Um-
gang mit offenkundigen alkoholbedingten Problemen bieten und
durch das Therapieangebot für Arbeitnehmer auf einer freiwilligen
Basis kann sogar die Zahl der disziplinarischen Maßnahmen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum zurückgehen.
Eine wichtige - wenn auch bedauerlicherweise oft vernachlässigte Funktion jeglichen alkoholpolitischen Konzepts ist die Identifikation
der Arbeitsplatz- und /oder Arbeitsfaktoren, die zum Trinken ermutigen. Bestimmte Arbeitspraktiken und Arbeitsmilieus beeinflussen das
Ausmaß des Trinkens enorm und können der Aufstellung angemessener Trinknormen entgegenwirken. Arbeitnehmer reagieren vielleicht
eher auf die unmittelbarere und eindrucksvollere Verständigung darüber was akzeptabel ist" als auf Betriebsvorschriften über Alkoholkonsum am Arbeitsplatz. Um so erfolgreich wie möglich zu sein,
müssen die alkoholpolitischen Konzepte auf die Auswirkungen eingehen, die solche Verständigungen und Arbeitspraktiken auf das Verhalten haben und hier möglichst eine Änderung bewirken. Ein Weg
hierzu ist für den Arbeitgeber die Umsetzung einer adäquaten Alkoholpolitik. Eine Methode zur Veränderung des generellen Verhaltens
am Arbeitsplatz ist die Einführung eines allgemeineren Alkoholaufklärungsprogramms. Ein solches Programm kann durch Aufklärung
über die betriebliche Alkoholpolitik, über die Auswirkungen des
Trinkens und über die Grenzen, bis zu denen ohne Risiko getrunken
werden kann, das Verhalten der Arbeitnehmer verändern. Obgleich im
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststeht, wie wirkungsvoll Aufklärungskampagnen tatsächlich in bezug auf die Veränderung von Trinkgewohnheiten sind, konnten hier Erfolge hinsichtlich der Informationsverbreitung nachgewiesen werden. Deshalb ist es gerechtfertigt,
daß solche Aufklärungskampagnen Bestandteil der Alkoholpolitik
werden.
Eine der wichtigsten und am meisten umstrittenen Entwicklungen in jüngster Zeit ist die Einführung von Tests, in der Absicht, die Häufigkeit von
Alkoholproblemen am Arbeitsplatz zu verringern. Zu den wichtigsten
Testmethoden gehören u. a. Stichproben, Tests in begründeten Verdachtfällen, nach einer Therapie, periodische Untersuchungen und Tests vor
der Einstellung. Die Einführung solcher Tests ist zumindest teilweise das
Ergebnis gesetzgeberischer Maßnahmen, die die Arbeitgeber - ebenso
wie die auffällig gewordenen Arbeitnehmer - für Zwischenfälle im
93
Alkohol am Arbeitsplatz
Zusammenhang mit Alkohol potentiell haftbar machen. Obwohl die Gesetzgebung nicht unbedingt die Einführung von Testprogrammen vor-
schreibt, ermutigt sie die Arbeitnehmer dazu, indem sie fordert, daß
mit aller gebührenden Sorgfalt" alkohol- oder drogenbedingten Unfällen vorgebeugt werden muß. Außerdem ist die Tatsache, daß die
Polizei ermächtigt ist, Personen bei Verdacht der Trunkenheit einem
Alkoholtest zu unterziehen oder ohne Haftbefehl festzunehmen, ein
deutliches Signal dafür, was gebührende Sorgfalt" tatsächlich bedeuten kann.
Einer der wichtigsten Gesichtspunkte für den Erfolg einer Alkoholpolitik ist die Frage, ob sie kostenwirksam ist - und dies ist von übergeordneter Bedeutung für die Betriebe. Im gegenwärtigen Zeitpunkt läßt
sich kaum mit Bestimmtheit sagen, ob die Einführung einer Alkoholpolitik irgendwelche Gewinne für eine Unternehmung mit sich bringt.
Untersuchungen in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, daß ein
Therapieangebot für Alkoholiker" zu erheblichen Einsparungen in
einem Unternehmen führen kann. Diese Forschungsergebnisse haben
indessen nicht ohne weiteres Geltung für andere Länder, da es erhebliche Unterschiede in den Gesundheitsversorgungssystemen und hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Unternehmen gibt. Es ist auch
wahrscheinlich, daß die Schätzwerte der Gesamtkosten für die Therapie in den Vereinigten Staaten - aus einer Reihe von Gründen, die
häufig nicht mit der Wirksamkeit der Behandlung in Bezug stehen künstlich hoch sind. Jüngste Erkenntnisse deuten darauf hin, daß eine
relativ kostengünstige Minimalintervention genauso wirksam wie eine
stationäre Betreuung sein kann. Die Schaffung von Möglichkeiten für
Minimalinterventionen wird die Behandlung verbilligen und im Ergebnis eine umfassende Alkoholpolitik attraktiver machen und einer
größeren Zahl von Arbeitnehmern eröffnen. Bevor die Frage der Kostenwirksamkeit von alkoholpolitischen Konzepten definitiv beantwortet werden kann, müssen noch etliche Untersuchungen durchgeführt werden, und zwar nicht nur über die Effektivität verschiedener
Therapieformen, sondern auch darüber, welche Arbeitnehmer am
meisten davon profitieren würden.
Es wird davon ausgegangen, daß nur wenige Unternehmen eine regelrechte Alkoholpolitik verfolgen (obwohl der tatsächliche Prozentsatz
der Arbeitnehmer, für die alkoholbezogene Regelungen gelten, wahrscheinlich höher ist). Dieser Prozentsatz dürfte sich noch wesentlich
94
Diskussion
erhöhen, wenn die Auswirkungen von gesetzgeberischen Maßnahmen,
gesundheitsbezogenen Kampagnen (insbesondere in bezug auf das
Rauchen) und die Veröffentlichung von Zahlen, die das mögliche
Ausmaß des Problems zeigen, zu greifen beginnen. Angesichts der
Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit einer gezielten Alkoholpolitik
in kleineren Betrieben am geringsten ist, sollten sich die Bemühungen
künftig darauf konzentrieren, die spezifischen Erfordernisse kleinerer
Unternehmen zu identifizieren und Ressourcen zu entwickeln, die es
den Unternehmen ermöglichen, eine Alkoholpolitik einzuführen.
Eine Reihe von Organisationen fördert die breite Einführung von alkoholpolitischen Konzepten und glaubt, daß dies dem Land insgesamt
nützen wird. So fordert beispielsweise der britische Industrieverband
Confederation of British Industry (14) die Einführung einer Alkoholpolitik und erinnert die Arbeitgeber daran, daß:
... die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eines Beschäftigten
wegen Suchtmittelgebrauchs zu einer Klage wegen unfairer Entlassung
führen könnte ... Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist
auf jeden Fall eine kurzfristige Lösung des Problems. Das einzige Resultat ist, daß der Arbeitnehmer dieses Problem zu einem anderen Arbeitgeber weiterschleppt - und daß Sie Ihrerseits das Resultat ähnlich
antisozialer Verhaltensweisen anderer Unternehmen einstellen.
Es mag sein, daß etliche Unternehmen immer noch Beschäftigte mit
Alkoholproblemen entlassen und bei Wiederbesetzung des betreffenden Postens vielleicht vorsichtshalber Einstellungstests durchführen,
um die Möglichkeit, jemanden mit einem ähnlichen Problem einzustellen, zu minimieren. Solch eine kurzfristige Lösung mag für einzelne Unternehmen funktionieren, doch ist es unwahrscheinlich, daß sich
die Dinge auf nationaler Ebene verbessern, da hier keine Bemühungen
unternommen werden, auf die Schwierigkeiten des einzelnen einzugehen. Die Kosten werden lediglich von einem Unternehmen auf ein anderes - oder auf den Staat - überwälzt.
Schlußendlich scheint es, daß alkoholpolitische Konzepte - entweder
als Teil einer spezifischen Alkoholpolitik oder als Teil einer allgemeineren Drogen- und Gesundheitspolitik - bei den Betrieben immer
häufiger werden und in Zukunft eine immer größere Zahl von Arbeitnehmern betreffen. Die breite Einführung einer Alkoholpolitik wird
unweigerlich zu bestimmten Restriktionen für die Arbeitnehmer führen.
95
Alkohol am Arbeitsplatz
Dies kann jedoch gerechtfertigt sein, weil die möglichen Verbesserungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwaige Nachteile durch eine Einschränkung persönlicher Freiheiten aufwiegen dürften. Einige
der wahrscheinlichen Konsequenzen einer breiteren Anwendung alkoholpolitischer Konzepte sind: Rückgang der Unfallzahlen, Verringerung der alkoholbedingten Sterblichkeit, höhere Produktivität und
eine besser informierte Arbeitnehmerschaft. Der letztgenannte Gesichtspunkt ist besonders wichtig, da dies alle Arbeitnehmer in die
Lage versetzt, eine besser informierte Wahl in bezug auf ihr eigenes
Trinkverhalten zu treffen. Dies könnte seinerseits zu spürbaren Veränderungen führen, und zwar nicht nur bei den Trinkgewohnheiten
am Arbeitsplatz, sondern bei den Trinkgewohnheiten in der Gesellschaft insgesamt.
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EUROPÄISCHER AKTIONSPLAN ALKOHOL
Alkohol ist in unserer modernen Welt die verbreitetste
Droge und in vielen Ländern ein nicht wegzudenkender
Bestandteil des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen
Lebens. Vor allem am Arbeitsplatz kann das Trinken jedoch schwerwiegende Konsequenzen haben, da es die
Leistungsfähigkeit beeinflusst und sich beispielsweise nach-
teilig auf Produktivität, Unfallhäufigkeit, Arbeitsbeziehungen und Fehlzeiten auswirken kann. Die offenkundige negative Rolle von Alkohol am Arbeitsplatz löst
deshalb unter den Arbeitgebern Besorgnis aus und hat
bewirkt, dass man vielerorts eine Alkoholpolitik eingeführt
hat, die darauf abzielt, den Alkoholkonsum zu verbieten
'U
oder zumindest in den Griff zu bekommen.
Akoholbedingte Probleme können offensichtlich ganz unterschiedlich angegangen werden. Nicht klar ist allerdings,
welche Ansätze unter den jeweiligen Gegebenheiten am
meisten Erfolg versprechen. Diese kritische Darstellung
enthält einen Uberblick über eine Reihe unterschiedlicher
Vorgehensweisen, die solchen Problemen abhelfen sollen,
wobei nach Möglichkeit auch die Wirksamkeit der einzelnen Methoden beurteilt wird. Besonders interessieren in
diesem Zusammenhang die Genauigkeit der Kosten" Abschätzungen und die Frage, inwieweit diese einen
Einfluss darauf haben, als wie schwerwiegend alkoholbedingte Probleme gesehen werden. Das wiederum spielt
nämlich eine wichtige Rolle als Motivationsfaktor für die
Einführung von Maßnahmen zur Steuerung des Alkoholkonsums.
ISBN 92 890 7331 4
Sfr 23.-