Kammergeschichte(n) 150 Jahre IHK für Sachsen

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Kammergeschichte(n) 150 Jahre IHK für Sachsen
Kammergeschichte(n)
150 Jahre IHK für Sachsen
Kammergeschichte(n)
150 Jahre IHK für Sachsen
1862–2012
Ulrich Heß
Holger Starke
Eine Publikation der Industrie- und Handelskammern
Chemnitz, Dresden und zu Leipzig
INHALT
Inhalt
Geleitwort des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich ................ 7
Wirtschaftsgeschichte als Inspiration und Motivation ............... 8
… 1862
»Die Nothwendigkeit solcher Organe kann schwerlich
in Zweifel gezogen werden«
Vorgeschichte und Gründung der Kammern ............................. 12
1862–1900
Für die Freiheit des Waren- und Wirtschaftsverkehrs
Die Kammern während der Entstehung des industrialisierten
Sachsen .................................................................................... 18
1900–1918
Interessenvertretung der aufstrebenden Industrie
Das Wachstum der Kammern in der Vorkriegszeit
und der Erste Weltkrieg ............................................................ 24
Maschinenfabrik Karl Krause
Pionierarbeit für die grafische Industrie ................................... 30
Jordan & Timaeus
Ernst Albert Jordan ................................................................... 54
Jurist, Bankier und Vorsitzender der Handelskammer Leipzig
Rudolf Wachsmuth ................................................................... 55
1918–1933
Im Wetterwinkel der Konjunktur
Die Kammern zwischen dem Ersten Weltkrieg
und dem Scheitern der Weimarer Republik .............................. 56
Großkraftwerk Böhlen
Für den »Nutzen billiger elektrischer Arbeit« ........................... 64
Heinrich Ernemann AG
Heinrich Ernemann................................................................... 68
Wagner & Moras AG
Otto Moras................................................................................. 69
Waggonbau in Bautzen
Die Erfinder des »Hechtwagens«............................................... 70
Lingner-Werke Aktiengesellschaft
Welterfolg mit Mundwasser ...................................................... 34
Wurzener Nahrungsmittel GmbH
Vom »Biscuits« zum »Cornflakes« ............................................ 74
Löwen-Apotheke in Glauchau
Mit Krokodil und »Schönburgischem Privileg« ......................... 38
Nickelhütte Aue GmbH
Kreislauf der Nichteisenmetalle ................................................ 42
1933–1945
»Gleichgeschaltet« und »judenfrei«
Die Kammern in der Zeit des
nationalsozialistischen Regimes ............................................... 78
Plauener Spitze und Stickereien
Mode und Hightech .................................................................. 46
Leipziger Kammgarn-Spinnerei Stöhr
Walter Cramer .......................................................................... 88
Werkzeugmaschinenfabrik UNION Chemnitz
150 Jahre Innovation zum Bohren und Fräsen .......................... 50
Leipziger Kammgarn-Spinnerei Stöhr
Werner Stöhr ............................................................................ 89
5
INHALT
Auto Union AG
Vom Automobil- zum Rüstungskonzern.................................... 90
Dresdner Bank
Bankgeschäft im Zeichen der Diktatur ..................................... 94
Teekanne GmbH
Teekanne, Tee-Bombe und TeeFix ............................................ 98
VOMAG Betriebs-AG Plauen
Standardfahrzeuge für die Wehrmacht ................................... 102
1945–1990
LuxOase in Kleinröhrsdorf
Dagmar Lux ............................................................................. 158
Liebe Leserinnen und Leser,
Mühle-Glashütte GmbH
Hans-Jürgen und Thilo Mühle ................................................. 159
für die volle Gewerbefreiheit, sondern schaffte zugleich die Voraussetzungen
IMO Leipzig GmbH
Mit Fachleuten selbst in der Antarktis .................................... 160
das Sächsische Gewerbegesetz von 1861 legte nicht nur den Grundstein
für regional organisierte Handelskammern – die Vorgänger unserer heutigen
sächsischen Industrie- und Handelskammern. Bereits zu jener Zeit war es
das Anliegen der Kammern, die Bedingungen für den Handel und das
Gewerbe so zu vereinheitlichen, dass eine freie und faire unternehmerische
Leipziger Messe GmbH
Die Glashalle als neues Wahrzeichen ...................................... 162
Betätigung gewährleistet werden kann.
Auch heute, 150 Jahre später, gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der
Zusammenbruch, Neubeginn und Planwirtschaft
Die Kammern in der Nachkriegszeit und in der DDR ............... 106
MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida
Begehrt bei den Großen der Wälzlagerindustrie ..................... 166
sächsischen Industrie- und Handelskammern, ein unternehmerfreundliches
Auhagen GmbH in Marienberg
Schmucke Modelle für phantastische Bahnwelten .................. 116
Obstland Dürrweitzschen AG
Gerd Kalbitz ............................................................................ 170
wettbewerbsorientiert betätigen zu können. Die Kammern wissen dabei die
L&P Dr. Löschke & Partner GmbH in Leipzig
Knut Löschke ........................................................................... 171
zuverlässigen Partner an ihrer Seite.
Abraham Dürninger & Co. GmbH
Die Drucker der Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« ......... 120
Modehaus Fischer GmbH & Co. KG
Sechs Generationen erfolgreich am Markt ............................... 124
Hoffmann Fördertechnik GmbH Wurzen
Dageblieben aus Liebe zur Heimat .......................................... 128
Vereinigte Porphyrbrüche auf dem Rochlitzer Berge GmbH
Material für die Ewigkeit ......................................................... 172
Klima zu schaffen. Damit unterstützen sie die Betriebe, sich optimal und
Sächsische Staatsregierung mit ihrer Wirtschafts- und Standortpolitik als
Mit ihren über 240.000 Mitgliedsunternehmen kann die Landesarbeitsgemeinschaft
der sächsischen Industrie- und Handelskammern auf eine ereignisreiche Geschichte
zurückblicken. Sie ist heute mehr denn je fester Bestandteil des sächsischen Wirtschaftsgefüges.
Flachglas Torgau GmbH
Hochtechnologie für Zukunftsindustrien ................................ 176
Nicht zuletzt ist es auch den Kammermitgliedern zu verdanken, dass der
Stahlbau Oberlausitz GmbH in Neugersdorf
Die Spezialisten für anspruchsvolle Stahlkonstruktionen ...... 180
weit über unsere Landesgrenzen hinaus wahrgenommen wird.
Weinhaus Vincenz Richter in Meißen
Neueröffnung am Tag der Währungsunion ............................. 134
Glückauf-Brauerei GmbH Gersdorf
Renate Scheibner .................................................................... 184
Vermittler zwischen Wirtschaft und Politik wahr. Uns war, ist und bleibt es
1990–2012
VSTR GmbH Rodewisch
Franz Voigt .............................................................................. 185
Gartenfachmarkt Richter Chemnitz
Lothar und Andreas Richter .................................................... 132
Lehmann Maschinenbau GmbH
Heinz und Thilo Lehmann ....................................................... 133
Der neue Anfang
Die Wiedergründung der Kammern und der
Strukturwandel der Wirtschaft in Sachsen .............................. 138
Messeprojekt GmbH in Leipzig
Hartmut Bunsen ..................................................................... 148
Dr. Butze GmbH & Co. KG in Klingenberg
Claus Butze ............................................................................. 149
Curt Bauer GmbH in Aue
Feinste Damaste und technische Textilien .............................. 150
Dr. Doerr Feinkost Dresden
Die heimatverbundenen »Leckermacher«................................ 154
6
Freistaat als attraktive, dynamische und erfolgreiche Wirtschaftsregion auch
Die Sächsische Staatsregierung nimmt sie darüber hinaus als wichtigen
stets ein großes Anliegen, ihre Arbeit tatkräftig zu unterstützen.
Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer könnten die Kammern ihren
Aufgaben jedoch nicht nachkommen. Ihnen und allen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der sächsischen Industrie- und Handelskammern gebührt
VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH
Mit Hightech zum Weltmarktführer ......................................... 186
deshalb mein außerordentlicher Dank.
2012…
auf die weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit!
Ich gratuliere den Kammern zu ihrem besonderen Jubiläum und freue mich
Die Kammern heute – mit Blick in die Zukunft ....................... 190
ANHANG
Personenregister ..................................................................... 198
Autoren ................................................................................... 199
Stanislaw Tillich
Impressum/Quellenverzeichnis .............................................. 200
Ministerpräsident des Freistaates Sachsen
7
EINFÜHRUNG
Wirtschaftsgeschichte als
Inspiration und Motivation
Franz Voigt
Präsident der IHK Chemnitz
Dr. Günter Bruntsch
Präsident der IHK Dresden
Wolfgang Topf
Präsident der IHK zu Leipzig
Sehr verehrte Leserin, sehr verehrter Leser,
im Jahr 2012 blicken die Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen auf
150 Jahre ihres Bestehens zurück. Eine Zeitepoche, die von enormer Dynamik und großen
Zäsuren gekennzeichnet ist. Gründerjahre und Industrialisierung, Kaiserreich und sozialistische Planwirtschaft, der Wechsel von Friedens- und Kriegszeiten sowie gesellschaftlichen Systemen bis hin zu Ereignissen wie Mauerfall, Europäische Einigung und Globalisierung sind prägend für die Kammerarbeit von gestern und heute.
Foto Seite 4:
Eingangsportal der Handelskammer Dresden,
um 1910
Rechte Seite:
Der große Sitzungssaal
der Industrie- und Handelskammer
zu Leipzig, 1912
8
In Chemnitz, Dresden, Leipzig, Plauen und Zittau entstand 1862 eine starke regionale
Interessenvertretung der Handels- und Gewerbetreibenden, später auch der Industrieunternehmen, gegenüber Politik und Staat. Das damals den Kammern zu Grunde liegende Prinzip der unternehmerischen Selbstverwaltung erhielt mit der politischen
Wende 1990 – nach vielen Jahrzehnten der Fremdbestimmung – wieder seine Gültigkeit
und sichert die notwendige Unabhängigkeit der Wirtschaft.
EINFÜHRUNG
Die Wirtschaft im Blick –
Lichthof der IHK Dresden
Das ehrenamtliche Engagement von Unternehmerinnen und Unternehmern war von
Anfang an Grundlage und zentraler Impulsgeber für die Kammerarbeit. Deshalb ist sächsische Kammergeschichte auch immer sächsische Wirtschaftsgeschichte. Dieser Gedanke
soll zugleich Leitbild der vorliegenden Festschrift zum 150. Gründungsjubiläum sein –
eine spannende Zeitreise mit Halt in Unternehmen, die Branchen neu begründeten, zur
Blüte führten und ganze Regionen prägten. Diese Festschrift ist eine Verneigung vor dem
sächsischen Unternehmertum, das mit viel Mut, Pionier- und Erfindergeist die Basis
unseres heutigen Wohlstandes geschaffen hat und auch in Zukunft gewährleistet.
Die vorgestellten Entwicklungslinien und Porträts sind nicht nur Teil einer bemerkenswerten Wirtschaftsgeschichte – sie sollen zugleich inspirieren, motivieren und dazu
beitragen, die Wirtschaft im Freistaat Sachsen erfolgreich weiterzuentwickeln. Die
Industrie- und Handelskammern Chemnitz, Dresden und zu Leipzig werden diesen
Prozess weiterhin aktiv mitgestalten.
Chemnitz, Dresden, Leipzig im Januar 2012
Franz Voigt
Präsident
der IHK Chemnitz
Rechte Seite:
Die Gebäude der Industrie- und
Handelskammern Chemnitz, Dresden
und zu Leipzig
10
Dr. Günter Bruntsch
Präsident
der IHK Dresden
Wolfgang Topf
Präsident
der IHK zu Leipzig
VORGESCHICHTE UND GRÜNDUNG DER KAMMERN
»Die Nothwendigkeit solcher Organe kann
schwerlich in Zweifel gezogen werden«
Vorgeschichte und Gründung der Kammern
…1862
König Johann von Sachsen
(1801–1873, reg. ab 1854)
Rechte Seite:
Sitzungssaal der Zweiten Kammer des
Sächsischen Landtages im Landhaus in
Dresden (heute: Stadtmuseum Dresden)
Kolorierte Lithografie von A. Stissberg,
um 1835
12
Die Geschichte der heutigen Industrie- und Handelskammern in Deutschland lässt sich
auf zwei Wurzeln zurückverfolgen: auf die bereits vor dem 19. Jahrhundert existierenden
Korporationen von Kaufleuten und auf die seit der napoleonischen Zeit errichteten neuartigen Handelskammern. Zum einen wuchsen mit der in jenen Jahren einsetzenden
Liberalisierung des ökonomischen Lebens den schon längere Zeit bestehenden Korporationen von Kauf- und Handelsleuten, deren Mitglieder nun gleichberechtigt waren, neue
Aufgaben zu. Zum anderen wurden seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts Handelskammern
errichtet, die nach dem Vorbild der französischen Institutionen überwiegend als staatliche
Hilfsbehörden agierten. Im Laufe einer mehrere Jahrzehnte währenden Entwicklung setzten
sich schließlich die Kammern durch – jedoch erst, nachdem sie selbst eine Wandlung von
»bloßen staatlichen Beiräten zu öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften«
(Wolfram Fischer) vollzogen hatten. Die Kammern waren zu Bindegliedern zwischen Staat
und Wirtschaft geworden, in denen sowohl die Eigeninteressen der Kammermitglieder als
auch die breiter gefassten Staatsinteressen Berücksichtigung finden konnten. Im Unterschied zu freien Unternehmervereinigungen, auch jenen Kaufmannsgesellschaften, die sich
ohne Satzungsänderung in »Handelskammern« umbenannt hatten, bestand bei den neuen
Kammern die Pflicht aller im Kammerbezirk ansässiger Kaufleute, den Kammern beizutreten. Als Gegenleistung für den Kammerbeitrag erfolgte die Förderung von Handel und
Gewerbe sowie eine gewisse Aufsicht über den Wettbewerb, was im Allgemeinen als Vorzug
empfunden wurde.
Mit älteren kaufmännischen Korporationen waren die Kammern nicht selten über personelle und materielle Kontinuitäten verbunden, manche waren sogar daraus hervorgegangen. Jedoch unterschieden sich die Handels- und Gewerbekammern des 19. Jahrhunderts
in so fundamentaler Weise von ihnen, so wie sich zwischenzeitlich das gesamte Rechtssystem in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend gewandelt hatte. Die im 19. Jahrhundert entstandenen Kammern – der Namensbestandteil »Industrie-« wurde erst im
20. Jahrhundert in Rücksicht auf deren zwischenzeitlich erlangte Dominanz angefügt –
sind bis zum heutigen Tage durch ihre Doppelfunktion als Teil der Staatsverwaltung und
als Interessenvertretung der Unternehmer gekennzeichnet. Sie sind berufsständische Ver-
VORGESCHICHTE UND GRÜNDUNG DER KAMMERN
Titelblatt des
»Albums der Sächsischen Industrie«,
hrsg. von Louis Oeser, Neusalza 1856
Rechte Seite: Der Actien-Mann auf
seiner Reise durch Sachsen
Karikatur auf den ersten Aktienboom
in Sachsen in den 1830er Jahren
Kolorierte Lithografie, um 1840
14
tretungen sowie Träger bürgerlicher Selbstverwaltung und als solche stark vom Selbstverständnis ihrer Mitglieder abhängig.
Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren bei den vom Staat konsultierten
Korporationen und Kammern noch markante Unterschiede erkennbar: im Hinblick auf
den Zeitpunkt ihrer Errichtung, auf ihre Stellung zum Staat und auf die Inhalte der Arbeit.
Diese Unterschiede lagen in der Verschiedenheit der gewerblichen Traditionen, der politischen und industriellen Entwicklung und der Gewerbegesetzgebung in den einzelnen
deutschen Staaten oder Regionen begründet. Vereinigungen in den Hansestädten, im
Osten Preußens und in Handelsmetropolen wie Leipzig waren noch längere Zeit stärker
vom korporativen Element geprägt, oft auch aus früheren Kaufmannsvereinigungen hervorgegangen. Im deutschen Westen hatte hingegen der französische Einfluss starke Spuren hinterlassen, was sich in der engeren Anbindung der Handelskammern an den Staat
zeigte, ohne dass der Korporativcharakter völlig fehlte. In den 1820er Jahren hatte sich
schließlich im Königreich Preußen der neue Kammertypus herausgebildet, womit das
preußische Handelskammersystem eine Vorbildwirkung für andere Territorien einnahm.
Eine weitgehende Vereinheitlichung des Aufbaus und der Arbeit der Kammern in Deutschland erfolgte jedoch erst in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.
Im Königreich Sachsen, in dem sich bereits frühzeitig eine starke industrielle Entwicklung
vollzogen hatte, erfolgte die Gründung der Kammern viel später als in Preußen. Zwar war
schon 1829 mit dem »Industrieverein für das Königreich Sachsen« ein Zusammenschluss
entstanden, der über mehr als eineinhalb Jahrzehnte als Gutachter und Sachverständiger
in Fragen der Gewerbeausübung wirkte. Auf dem Landtag von 1845/46 folgte noch eine
Petition zur Kammergründung. Handels- und Gewerbekammern mit ihrem ausgeprägten
Berichts- und Vertretungssystem entstanden jedoch erst mit dem sächsischen Gewerbegesetz. Während in Preußen die Erklärung der Gewerbefreiheit (1810) der industriellen
Entwicklung vorangegangen war, sanktionierte das entsprechende Gesetz in Sachsen
(1861) erst die eingetretenen Änderungen. Eine unkontrollierte Entwicklung befürchtend,
war der Staat lange bestrebt gewesen, direkten Einfluss auf das Gewerbe zu nehmen, was
über eine Kombination von Gesetzgebung, Gewerbeförderung und Verwaltungshandeln
von Ober- und Mittelbehörden erreicht wurde. Die milde Praxis der Konzessionierung von
Aktiengesellschaften und die teilweise Freigabe der Gewerbeausübung auf dem Lande
passten sich in dieses Konzept ebenso ein wie die Förderung der technischen Bildung,
die allmähliche Aufhebung der Zwangsrechte, die sich schrittweise vollziehende Vereinheitlichung von Zöllen, Münzen, Maßen und Gewichten und die staatliche Unterstützung
beim Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur.
Die elastische Strategie des Staates war letztlich so erfolgreich, dass der Übergang zum
Industrieland im dicht besiedelten Königreich Sachsen ohne größere soziale Verwerfungen vonstatten ging. Sie konnte aber nur erfolgreich sein, weil sie auch den Bestrebungen
der Unternehmer entgegenkam. Das Gesetz von 1861 brachte nunmehr eine zeitgemäße
Anpassung des Gewerberechts, was der aufstrebenden Industrie neue Entwicklungsperspektiven gab. Handels- und Gewerbekammern sollten einen Ausgleich der Interessen
befördern, wobei die mit den Handelskammern eng verbundenen Gewerbekammern vielfach als Nachfolger der Zünfte ohne deren Hemmnisse betrachtet wurden.
VORGESCHICHTE UND GRÜNDUNG DER KAMMERN
Die Errichtung der Handels- und Gewerbekammern im Königreich Sachsen
Im Jahr 1861, als die deutschen Handelskammern auf dem Deutschen Handelstag erstmals
zu ihrer Vollversammlung zusammenkamen, wurde mit dem »Gewerbegesetz für das
Königreich Sachsen« vom 15. Oktober die volle Gewerbefreiheit im Lande zum Jahresbeginn 1862 proklamiert. Im achten Abschnitt waren die allgemeinen Aufgaben und
Befugnisse sowie die innere Organisation der zu bildenden Handels- und Gewerbekammern geregelt. Nähere Bestimmungen enthielt die am gleichen Tag erlassene »Verordnung, die Handels- und Gewerbekammern betreffend«. So war in Paragraph 112 des Gesetzes bestimmt, dass sich der Sitz der Kammern in »den als Mittelpunkt der Gewerbe oder
des Handels dazu geeigneten Orten« befinden soll, was mit Paragraph 1 der Verordnung
dahingehend präzisiert wurde, dass die fünf zu errichtenden Kammern in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen und Zittau ansässig wurden. Obgleich das Ministerium des Innern
einschränkend betonte, dass auch künftig andere geeignete Handels- und Gewerbegenossenschaften, etwa weiterhin bestehende Innungen, als Sachverständige zu Fragen
von Handel und Gewerbe gehört werden sollten, entwickelten sich die Kammern rasch
zur bedeutendsten Institution, die zwischen Staat und Wirtschaft vermittelte.
Auf dem Landtag wurde bemerkt: »Die […] Nothwendigkeit solcher Organe kann schwerlich in Zweifel gezogen werden; sie fördern die Aufklärung über die […] thatsächlichen
Verhältnisse und speciellen Bedürfnisse, die von den Betheiligten selbst […] am vollständigsten gekannt und am sichersten beurtheilt, bei allen Maßnahmen auf gewerblichem
Gebiete in Betracht kommen müssen, und sie gewähren einen sicherern der bezüglichen
Ansichten und Wünsche, als einzelne Stimmen, bei denen nur zu leicht Einseitigkeit und
Einzelinteressen sich breit machen können. Es bestehen Handelskammern mit Erfolg
schon längst in den meisten Ländern, wo Handel und Gewerbe zu einer gewissen Bedeutung gelangt sind, so namentlich in Frankreich, in Oesterreich, Preußen, Bayern u.s.w.«
Die zuständigen Behörden wurden angewiesen, bis spätestens Ende Januar 1862 Wahllisten aufzustellen und die Stadträte am Sitz der Handels- und Gewerbekammern zur
Anweisung »passender Locale« verpflichtet, damit der Eröffnung ihrer Tätigkeit zum Mai
1862 nichts entgegenstünde. Tatsächlich konstituierten sich die meisten Kammern erst
im Sommer des Jahres.
Die Mitglieder der Kammern wurden auf eine Dauer von sechs Jahren gewählt, wobei alle
drei Jahre die Kammer zur Hälfte erneuert wurde; Austretende waren sofort wieder wählbar. Die Wahl konnte nur bei Krankheit, nach Vollendung des 60. Lebensjahres oder bei
besonderen Geschäfts- und Familienverhältnissen abgelehnt werden, wobei über letzteres
das Innenministerium befand. Nach sechs Jahren Mitgliedschaft war es möglich, eine
Wiederwahl für die nächsten drei Jahre abzulehnen. Die Gewählten agierten, abgesehen
von einer Kostenerstattung für ihre Aufwendungen, ehrenamtlich, also unentgeltlich. Der
Präsident und sein Stellvertreter wurden für eine Amtszeit von drei Jahren gewählt. Die
Protokollführung und andere organisatorische Aufgaben übernahm ein Sekretär, der später
als Syndikus bezeichnet wurde. Derselbe war nicht Mitglied der Kammer und wurde auf
einer Plenarsitzung der gesamten Kammer unter Leitung des Präsidenten gewählt.
Die Handels- und die Gewerbekammern mussten mindestens einmal im Vierteljahr zu einer
Beratung, die im örtlichen Amtsblatt anzukündigen war, zusammentreten. Sie hatten
Berichte an die Behörden abzuliefern und einen Jahresbericht zu erstellen. Die Unterneh-
16
VORGESCHICHTE UND GRÜNDUNG DER KAMMERN
mer im Kammerbezirk waren ihnen zur Auskunft verpflichtet. Die Höhe des Etats der Kammer und der Beiträge der Unternehmer zur Finanzierung ihrer Arbeit wurden durch das
Ministerium des Innern bestätigt. Die Unternehmer hatten das Recht, Wünsche an die Kammer heranzutragen. Ein gemeinsamer Standpunkt war nicht einfach zu finden, da die Interessen der Klein- und Großunternehmer sich doch erheblich unterschieden – was in Leipzig
schon sechs Jahre nach Gründung gemäß Paragraph 17 der Gewerberechtsnovelle vom
23. Juni 1868 zur Trennung der Handels- von der Gewerbekammer führen sollte.
Die Handels- und Gewerbekammern waren keine freien Vereinigungen (Korporationen),
sondern standen als öffentlich-rechtliche Institution vermittelnd zwischen Staat und
Unternehmern. Sie waren aber auch keineswegs eine normale staatliche Behörde,
obgleich der Zwangscharakter der Mitgliedschaft, die von den Kreisdirektionen ausgeübte Oberaufsicht über die Wahlen oder die dem Ministerium des Innern zustehende
Genehmigungspflicht über diverse innere Angelegenheiten wie die Geschäftsordnung
anderes vermuten lassen. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts nahm die Bedeutung
der Kammer als Interessenvertretung der Unternehmer zu; neben wirtschaftlichen wurden nun auch politische Vorstellungen offensiv verfolgt.
Holger Starke
Aktie der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt, eines frühen Finanzinstituts, in dem
später der bedeutende Unternehmer und
Vertreter der Handelskammer zu Leipzig,
Rudolf Wachsmuth, tätig war, 1. April 1858
17
Für die Freiheit des
Waren- und Wirtschaftsverkehrs
Die Kammern während der Entstehung des industrialisierten Sachsen
1862–1900
Rechte Seite:
Dampfmaschinenbau in der Sächsischen
Maschinenfabrik zu Chemnitz, um 1890
18
Als im Jahresverlauf 1862 die sächsischen Handelskammern gegründet wurden, galt Sachsen bereits als eines der bedeutenden industriellen Zentren in Europa. Die vor allem im
Vogtland, im Chemnitzer Raum und in der Oberlausitz verbreitete Textilindustrie, die insbesondere Baumwoll- und Kammgarnspinnereien umfasste, prägte die wirtschaftliche
Struktur des Landes am stärksten und trat als Wachstumsbranche in Erscheinung.
Frühzeitig war ein Eisenbahnnetz entstanden. 1862 verfügten die Sächsischen Staatseisenbahnen bereits über Linien mit einer Streckenlänge von 525 Kilometer. Die erste deutsche Ferneisenbahn Leipzig – Dresden wurde noch geraume Zeit als Privatbahn betrieben,
dann aber wie auch spätere Bahnprojekte von den staatlichen Eisenbahnen Sachsens
übernommen. Außerdem bestanden zu dieser Zeit private Kohlebahnen in den sächsischen Steinkohlegebieten Zwickau und Döhlen sowie die zum Teil mit privatem Kapital
betriebene Zittau-Reichenberger Eisenbahn. Der Bedarf der Textilindustrie und der Eisenbahn ließ Zweige wie die Metallurgie und den Maschinenbau entstehen. Vor allem der
Chemnitzer Maschinenbau bestimmte seitdem Sachsens Ruf als Industrieland.
Der in den späten 1850er Jahren einsetzende lang anhaltende konjunkturelle Aufschwung
stärkte die Industrie weiter, obgleich das gültige Regelwerk der zünftigen Wirtschaftsverfassung diese Entwicklung nach wie vor hemmte. Da in Preußen bereits 1810 die vorindustrielle Korporationsverfassung durchbrochen worden war, befürchteten viele sächsische Unternehmer, dass in den angrenzenden preußischen Provinzen konkurrierende
Unternehmen entstehen oder sächsische Fabriken dorthin abwandern könnten. Zudem
entsprach der geringe Einfluss der sächsischen Industriellen auf die Wirtschaftspolitik
ihres Landes nicht mehr ihrem gewachsenen ökonomischem Gewicht.
Seit den 1860er Jahren erweiterte sich das Profil der sächsischen Industrie. Neben der
Leicht- und Konsumgüterproduktion entwickelten sich die pharmazeutische Industrie
und das zur Fabrik übergehende grafische Gewerbe sehr dynamisch. Die Vielfalt der
zunehmend industriell gefertigten Produkte bestimmte nun die gewerbliche Produktion
des Landes.
1861 wurde im Königreich Sachsen mit der Verabschiedung einer neuen Gewerbeordnung
der Schritt zur völligen Freigabe der gewerblichen Tätigkeit vollzogen. Die Innungen
DIE KAMMERN WÄHREND DER ENTSTEHUNG DES INDUSTRIALISIERTEN SACHSEN
Zweiter Jahresbericht der Handels- und
Gewerbekammer Dresden, 1863
20
durften zwar weiter bestehen, verloren aber alle öffentlich-rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten. Das am 15. Oktober 1861 verabschiedete sächsische Gewerbegesetz stellte zugleich
die Geburtsurkunde für eine beschränkte Selbstorganisation der Unternehmer in den Handels- und Gewerbekammern dar. Das Gesetz trat zum 1. Januar 1862 in Kraft. Fünf Handels- und Gewerbekammern wurden »an den als Mittelpunkte der Gewerbe oder des Handels geeigneten Orten« gebildet. Bei der Festlegung des Umfangs der Kammerbezirke
wurden wirtschaftliche und historische Gegebenheiten berücksichtigt. Der Bezirk der
Handels- und Gewerbekammer Dresden umfasste den gleichnamigen Regierungsbezirk
mit Ausnahme des Amtsbezirkes Großenhain. Dieser wurde zum Leipziger Kammerbezirk
gezählt, der vor allem den Regierungsbezirk Leipzig umschloss. Die damals darin gelegenen Amtsbezirke Penig, Burgstädt, Rochlitz und Mittweida wurden hingegen dem Bezirk
der Handels- und Gewerbekammer Chemnitz zugeordnet. Aue und Auerhammer wurden
gleichfalls dem Chemnitzer Bezirk zugeordnet. Diesem gehörten die Amtshauptmannschaften Chemnitz und Annaberg, die Schönburgschen Rezessherrschaften und die Amtshauptmannschaft Zwickau mit Ausnahme der Amtsbezirke Kirchberg, Eibenstock und
Schneeberg an. Die drei letztgenannten Territorien bildeten zusammen mit der Amtshauptmannschaft Plauen den Plauener Kammerbezirk. Der Kammerbezirk Zittau entsprach dem Regierungsbezirk Budissin (Bautzen).
Die Kammern wurden in zwei Abteilungen organisiert: die Handelskammer für »Handel
und Fabriken« und die Gewerbekammer für die »nicht in diese Kategorie gehörenden
Gewerbe«. Den Handelskammern Dresden, Leipzig und Chemnitz gehörten 15, den in
Plauen und Zittau 11 Mitglieder an, während die Mitgliederzahl bei den Gewerbekammern
auf 14 bzw. 10 festgesetzt wurde. Das Stimmrecht war auf Unternehmer beschränkt, die
seit mindestens drei Jahren im Bezirk ansässig und 30 Jahre oder älter waren. Nur jene
waren wahlberechtigt, die im Besitz des Stimmrecht gemäß der Städte- oder Landgemeindeordnung waren. Eine hohe Hürde für die Wählbarkeit als Wahlmann beziehungsweise
als Mitglied der Kammer stellte der geforderte Mindestbeitrag von 10 Talern für die Handelskammer bzw. 1 Taler Gewerbesteuer für die Gewerbekammer dar. Vertreter von Aktiengesellschaften, Kommunal- oder Staatsunternehmen waren bei Erfüllung dieser Bedingungen gleichfalls wahlberechtigt.
Am 9. Juli 1862 wurde in Zittau die erste sächsische Handels- und Gewerbekammer
gegründet. Am 21. Juli 1862 folgte die Kammer in Dresden. Erster Präsident dieser Kammer
wurde der Stadtverordnete und frühere Tapisseriehändler Ernst Christian Rülke, der dieses Amt zwei Jahrzehnte lang ausübte.
In Leipzig entstand die Handels- und Gewerbekammer am 2. August 1862. Zum Vorsitzenden der Handelskammer wurde der Stadtverordnete Heinrich Poppe, Kramermeister,
Textilindustrieller und Inhaber eines Wechsel- und Kommissionsgeschäftes, gewählt.
Die Handels- und Gewerbekammer Chemnitz mit dem Kaufmann und Strumpfwarenfabrikant Johann Gustav Hahmann als erstem Präsidenten wurde am 11. November 1862
gegründet. Wenige Tage später, am 27. November 1862, konstituierte sich in Plauen die
letzte der vom Gesetz vorgesehenen Kammern.
Die industrielle Entwicklung Sachsens führte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts zu
vielfältigen, unterschiedlich strukturierten und profilierten Wirtschaftsregionen.
DIE KAMMERN WÄHREND DER ENTSTEHUNG DES INDUSTRIALISIERTEN SACHSEN
Ansicht des Firmengeländes von Nestler & Breitfeld bei Schwarzenberg, um 1890. Die Abbildung entstammt dem 1892 erschienenen Band des Prahtwerkes »Die Großindustrie des Königreiches Sachsen«. Diese Publikation spiegelt einerseits die gewaltige industrielle Entwicklung
Sachsens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider und zeigt andererseits die Schwerpunkte und Zentren der sächsischen Industrie.
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DIE KAMMERN WÄHREND DER ENTSTEHUNG DES INDUSTRIALISIERTEN SACHSEN
Links: Aus dem Jahresbericht der Handelsund Gewerbekammer Dresden, 1863
Rechts: Übersicht über die Größe und Einwohnerzahl des Kammerbezirkes Chemnitz
nach der Zählung vom 1. Dezember 1871
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Dresden erwarb sich den Ruf, eines der Zentren der deutschen Nahrungs- und Genussmittelproduktion zu sein: Schokolade und Zuckerwaren, Tabakwaren und Erzeugnisse
aus Getreide bildeten Schwerpunkte. Der Feinmechanik und Fotochemie folgend ließen
Elektrotechnik und Kamerabau sowie die Kosmetik- und Haushaltchemie Dresden bis zum
Übergang in das 20. Jahrhundert zu einem modernen Industriezentrum werden.
DIE KAMMERN WÄHREND DER ENTSTEHUNG DES INDUSTRIALISIERTEN SACHSEN
Die Region um Chemnitz, das Erzgebirge und das Erzgebirgsvorland blieben nach wie vor
die Konzentrationspunkte der Textilindustrie und des Maschinenbaus. Letzterer hatte sich
in speziellen Produktlinien wie Maschinen für die grafische Industrie und im Anlagenbau
auch in Leipzig entwickelt, ergänzt durch die weltweit bekannte grafische Produktion.
Textilien, besonders Spitzen aus dem Vogtland und aus der Oberlausitz, erweiterten das
wirtschaftliche Profil. Leipzig wurde international vor allem durch seine Verlage und
durch die grafische Industrie bekannt. Von der Schriftherstellung über den Druck bis zu
verlegerischen Betreuung der Publikationen reichte das Spektrum, das in der Herstellung
der entsprechenden Maschinen seine stabile Basis hatte. Generell machten sich Stadt und
Region einen Namen im Maschinen- und Anlagenbau. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Textilfabriken, insbesondere die großen Kammgarnspinnereien.
Auf die neu gegründeten Kammern warteten zahlreiche Aufgaben. Die wichtigsten Anliegen vor und nach der Reichseinigung von 1871 waren die volle Herstellung der Freiheit
des Waren- und Kapitalverkehrs sowie die Vereinheitlichung der Maße, Münzen und
Gewichte. Eine gemeinsame Handelspolitik und ein allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch mussten entwickelt und eine leistungsstarke Infrastruktur aufgebaut werden.
In der Folgezeit wurden der Eisenbahn- und Wasserwegebau vorangetrieben. Das Gesetz
über Aktiengesellschaften und die Gewerbegesetzgebung des Reiches ergänzten den Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeit. Mit der Kranken- und Unfallversicherung entstanden die
Anfänge staatlicher Sozialpolitik – ein besonders schwieriges Feld der Balance zwischen
den Interessen des Staates, der Unternehmer und der Arbeiterschaft.
Die Doppelfunktion der Handels- und Gewerbekammern als öffentlich-rechtliche Einrichtung und als Interessenvertretung der Wirtschaft brachte eine große Anzahl neuer Aufgaben für die Vertreter in den Kammern mit sich. Sie äußerten sich u. a. zu Fragen des
Bildungswesens und der Zollvereinbarungen des Reiches, waren an der Führung des Handelsregisters, der Gewerberegisterkartei und der Lehrlingsrolle beteiligt und betrieben
über den Presseausschuss eine rege Öffentlichkeitsarbeit.
Neben diesen von allen Kammern geleisteten Aufgaben übernahmen einige auch besondere Verantwortung: So war der Messeausschuss in Leipzig von weit mehr als regionalem
Interesse. Zudem engagierte sich die dortige Handelskammer für das höhere Bildungswesen: Nach langen Auseinandersetzungen im Reich erfolgte 1898 die Gründung der
ersten deutschen Handelshochschule in der Messestadt – eine herausragende Leistung
der Leipziger Kammer.
Es gelang in jener Zeit jedoch nicht, einen merklichen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik
des Landes oder des Reiches auszuüben. Die Regierung des Königreiches wollte in erster
Linie die fachlichen Kompetenzen der Kammervertreter nutzen, ohne verpflichtet zu sein,
ihrem Ratschlag auch zu folgen. Außerdem hatte die sächsische Industrie dem Übergewicht der Agrarier sowie der Groß- und Schwerindustrie aus den Ballungszentren Berlin
und Ruhrgebiet zu wenig entgegenzusetzen. Die Vielfalt der Industriezweige erschwerte
es ebenso wie die relative Schwäche der sächsischen Unternehmer, gemeinsame Positionen zu entwickeln und zu vertreten. Die Gestaltung günstigerer Rahmenbedingungen für
das wirtschaftliche Handeln der überwiegend kleinen und mittleren Unternehmen im
Ulrich Heß
Lande stand am Ausgang des 19. Jahrhunderts auf der Tagesordnung.
Johann Gustav Hahmann, erster Präsident der
Handels- und Gewerbekammer Chemnitz
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Interessenvertretung
der aufstrebenden Industrie
Das Wachstum der Kammern in der Vorkriegszeit und der Erste Weltkrieg
1900–1918
Festschrift der Gewerbe-Kammer Dresden
anlässlich des 50-jährigen Bestehens, 1912
Rechte Seite:
Elektrizitätswerk Meerane, Verteilungspunkt,
Aufnahme 1899
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In den Jahren zwischen dem Ausgang des 19. Jahrhunderts und dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges bildete sich in Sachsen eine Wirtschaftsstruktur heraus, die das Land bis weit
in das 20. Jahrhundert hinein prägen sollte. Während der Zeit der Hochindustrialisierung
entstanden neue Zweige. In der sich rasch entwickelnden chemischen Industrie verdichtete
sich in Dresden der medizinisch-pharmazeutische Bereich mit Unternehmen wie Gehe, von
Heyden und Dietrich. Die Herstellung von Seifen in Chemnitz und von Duftstoffen in Leipzig
und Riesa sowie die Produktion von Kosmetika durch die Dresdner Firma Lingner erweiterten dieses Spektrum – es entstand eine leistungsstarke Kosmetikbranche.
In den drei sächsischen Großstädten entwickelten sich Unternehmen der Elektrotechnik,
die sich zwar nicht mit Konzernen wie Siemens oder AEG vergleichen konnten, aber
beachtliche Marktanteile eroberten. Die bisher auf den Fahrrad- und Nähmaschinenbau
beschränkte Feinmechanik erweiterte ihr Produktionsspektrum. Ein wichtiges Wachstumsfeld war die sich in Dresden ansiedelnde Kamera- und Fotoindustrie um den weitsichtigen Unternehmer Heinrich Ernemann.
Die traditionellen Zweige Sachsens, die Textilindustrie und der Maschinenbau, konnten
ihre Marktpositionen zum großen Teil erhalten oder ausbauen.
Die hohe Flexibilität der sächsischen Industrie, die nicht zuletzt aus ihrer mittelständischen Struktur resultierte, ermöglichte das Wachstum auch unter schwierigen Bedingungen. Nach dem Ende der Krise in den frühen 1890er Jahren begann in ganz Deutschland,
darunter auch in Sachsen, ein lang anhaltender Wirtschaftsboom.
Diese Entwicklung veränderte das Land: Es bildeten sich nicht nur die großstädtischen Ballungsräume heraus. Vor allem in Mittelsachsen, im Erzgebirge und in der Oberlausitz erhielten die kleinen und mittleren Städte sowie die Landgemeinden ihre endgültige Prägung –
das so genannte Industriedorf wurde in diesen Regionen zur typischen Siedlungsform.
Dies alles blieb nicht ohne Wirkung auf die Struktur und Arbeitsinhalte der Handels- und
Gewerbekammern des Landes. Mit Beginn des Jahres 1900 traten das Bürgerliche Gesetzbuch und das Handelsgesetzbuch im Deutschen Reich in Kraft. Die Handelskammern
übernahmen immer mehr die Interessenvertretung der aufstrebenden Industrie. Während
in Leipzig Handels- und Gewerbekammer bereits seit 1868 getrennte Einrichtungen waren,
erfolgte dieser Schritt in Dresden, Chemnitz und Plauen erst auf der Basis des Gesetzes
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Innenansicht der Handelskammer zu Chemnitz,
um 1912
Unten rechts: Die Neue Börse,
Sitz der Handelskammer Leipzig seit 1886,
vor dem Umbau
Der große Sitzungssaal der Handelskammer
zu Leipzig bis 1910
vom 4. August 1900. Zittau folgte ein Jahrzehnt später. Nachdem entschieden worden war,
dass die Kapitalgesellschaften den Handelskammern angehören sollten, wuchs deren Einfluss in diesen Institutionen.
Im Rückblick auf die Entwicklung in Chemnitz verwies der Vorsitzende der Handelskammer Heinrich William Gulden 1912 darauf, dass es eine erfolgreiche gemeinsame Arbeit
gegeben habe, dass in Fragen der Wirtschaft aber von den Händlern und Industriellen
einerseits, von den Handwerkern und Kleingewerbetreibenden andererseits aufgrund
ihrer verschiedenen Interessen auch unterschiedliche Positionen vertreten wurden.
Und es gab ein weiteres Spannungsfeld: Die Balance zwischen der Rolle als öffentlichrechtliche Institution zwischen Staat und Unternehmern und der Vertretung der Interessen der Unternehmer auf den verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Feldern
war nach wie vor schwer zu finden und zu halten. Die sächsischen staatlichen Behörden
verstanden die Kammern in erster Linie als Organisation des wirtschaftlichen Sachverstandes, während sich die Unternehmer eher als berufene Vertreter der Interessen von
Industrie, Handel und Gewerbe sahen. Als die politische Vormacht des agrarisch dominierten konservativ-antisemitischen Blocks im Landtag gebrochen wurde, spielten die
Handelskammern eine wesentliche Rolle.
Ein ständig wiederkehrendes Thema der Kammerarbeit war vor allem die Zollpolitik des
Deutschen Reiches, die die Interessen der sächsischen Exporteure von Fertigwaren nur
unzureichend berücksichtigte. Auch hatten die sächsischen Kammern dem zunehmenden
Einfluss der Kartelle in der deutschen Industrie wenig entgegenzusetzen. Die Kartellierung
wurde von den meisten Unternehmern des Landes abgelehnt.
Die Arbeitsfelder der Handelskammern weiteten sich in dieser Zeit sehr stark aus. Sie
erhielten das Recht, Handelsrichter vorzuschlagen, unterstützten die Gerichte beim Handelsregister, waren Mitglied in den Vertretungen zur Entwicklung der Infrastruktur (Eisenbahn und Schifffahrt). Auch in der Ausbildung und ihrer Kontrolle wuchs das Gewicht
der Kammermitglieder.
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Das neue Dienstgebäude
der Handelskammer Plauen,
Fertigstellung 1915
Plauen, Blick über die Breite
Straße und die Friedrich August
Brücke (heute Friedensstraße und
Friedensbrücke) zum Bärenstein,
in der Mitte das Gebäude der
Handelskammer
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27
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Glückwunschschreiben des Rates der Stadt
Chemnitz zum 50-jährigen Jubiläum
der Handelskammer zu Chemnitz, 1912
Mitteilungen der Handelskammer
zu Chemnitz, 1913
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Die Zusammenarbeit der Kammern wurde über den Sächsischen Handelskammertag
organisiert; jährlich wechselte die Kammer, die als Sprecher, oder wie es damals hieß, als
»Vorort« auftrat. Jede der Kammern hatte außerdem spezielle, aus der Region erwachsende Aufgaben. So oblag der Leipziger Kammer die Börsenaufsicht und die Verwaltung
der Kramerstiftung als finanzieller Basis der Öffentlichen Handelslehranstalt. Der Messausschuss trug die Verantwortung für die »Erhaltung und Hebung der Leipziger Messe«,
bis er 1917 seine Aufgabe an das neu gegründete Messamt für die Leipziger Mustermessen
abgeben konnte.
Großzügige Neubauten für die Handelskammern in den Großstädten legten einerseits
Zeugnis von der gewachsenen Bedeutung dieser Institutionen ab und gaben anderseits
dem gestiegenen Arbeitsumfang Raum. Die Architekten William Lossow und Max Hans
Kühne entwarfen das Dresdner Kammergebäude in der Albrechtsstraße, das 1910 eingeweiht wurde. In Chemnitz entstanden gleichzeitig ein Gebäude für die Gewerbekammer
nach dem Entwurf des Vorsitzenden der Gewerbekammer Baumeister Ernst Heidrich und
in der Carolastraße ein Neubau für die Handelskammer, der von den Architekten Alfred
Zapp und Erich Basarke entworfen wurde. Beide Gebäude wurden 1912 fertiggestellt. Die
Leipziger Kammer entschloss sich, das Börsengebäude am Blücherplatz zu erweitern und
umzubauen; die Einweihung erfolgte 1912. 1914/15 baute die Handelskammer Plauen nach
Plänen des Architekturbüros Lossow & Kühne erstmals ein eigenes Gebäude.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 führte zu einem Abbruch der Entwicklung. Bereits wenige Wochen nach Kriegsbeginn machten sich die Schwierigkeiten
in einer Entlassungswelle bemerkbar, die aus der Umstellung auf die Kriegswirtschaft
resultierte. Zwar hatte sich die Chemnitzer Kammerführung im Frühjahr 1914 angesichts
des immer wahrscheinlicher werdenden Krieges mit dessen Folgen für die Wirtschaft der
Region befasst, aber niemand konnte sich dessen Konsequenzen tatsächlich vorstellen.
Die sächsische Industrie war aus zwei Gründen besonders störanfällig: Zum einen litt die
Exportwirtschaft des Landes unter dem Zusammenbruch der weltwirtschaftlichen Verbindungen, zum anderen war die auf zivile Produkte ausgerichtete, klein- und mittelständisch geprägte Privatindustrie kaum in die Rüstungswirtschaft einbezogen. Die Bewirtschaftung der Rohstoffe hatte, im Verein mit dem ab 1915 auftretenden Personalmangel,
schließlich zur Folge, dass im Kriegsverlauf fast ein Drittel der sächsischen Unternehmen,
darunter drei Viertel aller sächsischen Textilunternehmen, zumindest zeitweilig schließen
mussten.
Für die Handelskammern brachte der Krieg starke Belastungen mit sich. Ein Teil ihres
Personals wurde zum Kriegdienst eingezogen. Gleichzeitig vervielfältigten sich die Aufgaben. Waren die Kammern bis 1914 vor allem als Sachverständige gefragt, so wurden sie
im Krieg Teil des Verwaltungsapparates. Zu ihren Aufgaben zählten unter anderem die
Rohstoffbewirtschaftung, die Überwachung und die Zwangsverwaltung von Unternehmen
im Eigentum von Bürgern feindlicher Staaten, die Begutachtung von Wirtschaftsmaßnahmen im militärischen Interesse, die Akquisition von Kriegslieferungen und die Verteilung
der Heeresaufträge. Vor allem aber schränkte die kriegswirtschaftliche Organisation die
Ulrich Heß
eigenen Selbstverwaltungsmöglichkeiten ein.
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Der große Sitzungssaal der Industrie- und
Handelskammer zu Leipzig in der Neuen
Börse mit Bildnissen alter Kramermeister
und mit der Mitglieder-Ehrentafel nach
dem Umbau 1912
Die Neue Börse nach dem Umbau 1912
Das 1910 eröffnete Gebäude
der Handelskammer in Dresden
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Maschinenfabrik Karl Krause
Pionierarbeit für
die grafische Industrie
Als Karl Krause 1855 in Leipzig eine Reparaturwerkstatt für Maschinen des grafischen
Gewerbes eröffnete, war das ein Start mit Hindernissen. Ihm sollte zunächst das Bürgerrecht der Stadt verweigert werden. Erst die Fürsprache seines Mentors – eines Konditors –
verhalf ihm zu dem Status, der Voraussetzung war, um einer Innung beizutreten, sich als
Handwerker niederzulassen und Gesellen einzustellen.
Firmengründer Karl Krause (1823 –1902)
Heinrich Biagosch (1855 –1922),
Nachfolger Krauses ab 1902
30
FIRMENPORTRÄT MASCHINENFABRIK KARL KRAUSE
Gießereien gedeckt werden musste. Nach und nach wurde das Areal östlich von Leipzig,
im heutigen Ortsteil Anger-Crottendorf, bebaut; 1902 umfasste es über 80.000 Quadratmeter – dicht bebaut mit Fabrikgebäuden. Der Maschinenfabrikant bot nun fast 1.000 Menschen Arbeit. Vier große Dampfmaschinen setzten über Transmissionen 537 Hilfsmaschinen in Bewegung. Um die ungehinderte Zufuhr der Rohstoffe und die Abfuhr der Waren
gewährleisten zu können, nutzte Krause die Nähe des damaligen Eilenburger Bahnhofes
und ließ 1898 eine Gleisverbindung zum Werk errichten. Die Eisenbahnwagen konnten bis
in die Höfe der Fabrikanlagen fahren. Zusätzlich verfügte die Maschinenfabrik über einen
eigenen Fuhrpark.
Als Krause 1902 verstarb, übernahm sein Schwiegersohn Heinrich Biagosch die Nachfolge.
Ihm war die Firma bestens vertraut, hatte er doch lange Jahre im Unternehmen und auch
als Handelsvertreter gearbeitet und war von Krause bereits 1893 als Teilhaber aufgenommen worden.
Blick in eine nach dem Großbrand 1903
neu errichtete Montagehalle
Vom Laufburschen zum Maschinenexporteur
Krause wurde als Sohn eines Landwirtes in Limehna bei Eilenburg als jüngstes von elf
Geschwistern geboren und erlebte nach dem frühen Tod des Vaters eine Kindheit voller
Armut, Arbeit und Entbehrungen. Im Alter von 15 Jahren ging er nach Leipzig und verdingte
sich als Laufbursche bei jenem Konditor, der ihn später beim Erwerb des Bürgerrechts
unterstützen sollte. 1842 nahm Krause eine Schlosserlehre auf, die er 1846 als Geselle
abschloss. Nach der Rückkehr von einer zweijährigen Wanderschaft durch Süddeutschland
und die Schweiz arbeitete er in mehreren Leipziger Maschinenfabriken und bildete sich
ständig weiter.
Wenige Monate nach der Gründung einer eigenen Reparaturwerkstatt begann Krause,
selbst Maschinen zu bauen. Er hatte das Potenzial erkannt, das sich ihm in der Buchstadt
Leipzig bot, in der Buchbindereien und Druckereien stark vertreten waren. Der Schwerpunkt der Fertigung lag auf Papierschneidemaschinen; es wurden aber auch Steindruckpressen, Buchbindereimaschinen sowie Kopier-, Biege- und Stanzmaschinen hergestellt.
1857, zwei Jahre nach Eröffnung der Werkstatt, betrug die jährliche Lieferkapazität 38
Maschinen und Krause hatte neun Beschäftigte. Seit 1859 fand Krause auch im Ausland
Abnehmer für seine Erzeugnisse. Er und konnte Vertragspartner in Russland, ÖsterreichUngarn und Spanien binden. So stand 1861 abermals die Vergrößerung des Betriebes an,
die aber im alten Gebäude nicht mehr möglich war. Krause kaufte ein neues Grundstück.
Nach dem Umzug trieb dort eine Dampfmaschine die zahlreichen Hilfsmaschinen an. Dass
dieselbe bald durch eine stärkere ersetzt werden musste, zeigt den Aufschwung des Unternehmens an.
Bahnanschluss und Fuhrpark
Im Jahr 1870 – die Firma hatte nunmehr 56 Beschäftigte – bestand erneut Bedarf und Möglichkeit zur Vergrößerung der Produktionsstätte: Krause erwarb 1874 ein Stück Land vor
den Toren von Leipzig und ließ hier zunächst eine eigene Eisengießerei errichten, da die
erhöhte Nachfrage nach Gussteilen bereits von drei nicht zum Unternehmen gehörenden
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Gesamtansicht der Fabrik vor dem Brand,
um 1900
Aus der Jubiläumsschrift zum 50-jährigen
Bestehen der Fabrik, 1905
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1903 brach auf dem Gelände ein Großbrand aus, bei dem die meisten Fabrikgebäude zerstört wurden. Bei dem unverzüglich begonnenen Wiederaufbau entstanden einstöckige
Hallen mit Brandschutzmauern. Außerdem gründete der Unternehmer eine Werksfeuerwehr, die sich aus der Arbeiterschaft rekrutierte, um im Falle eines Brandes schneller eingreifen zu können.
Serienproduktion und weltweite Handelsniederlassungen
Für das schnelle Wachstum des Unternehmens gab es viele Gründe. Krause leistete auf
dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaus Pionierarbeit. Die Maschinen wurden aus Normteilen zusammengesetzt. Das bedeutete zum einen viel weniger Handarbeit für die Arbeiter,
zum anderen war es möglich, die Maschinen in Serien zu produzieren. Einer der größten
Vorteile gegenüber der Konkurrenz war, dass Ersatzteile vorrätig gehalten werden konnten,
die universell einsetzbar waren. Auch wurden die Maschinen schon im Voraus auslieferfertig gebaut, sodass sie in großen Ausstellungsräumen auf dem Werksgelände besichtigt
und sofort gekauft werden konnten. Lange Bestell- und Lieferzeiten entfielen somit zumeist. Krause ließ außerdem in aller Welt Handelsniederlassungen einrichten. Er teilte den
Globus in Bezirke auf und entsandte Vertreter seines Unternehmens, die vor Ort seine Produkte verkauften. Die Firma unterhielt außerdem Werbebüros, in denen Fachschriftsteller
und Gebrauchsgrafiker daran arbeiteten, die Maschinen mit seinem Namen bekannt zu
machen. Mithilfe ebendieser Maschinen war die Herstellung und Vervielfältigung von Katalogen, Prospekten und Arbeitsmustern erschwinglich und preiswert geworden und Krause
machte als einer der Ersten die Reklame zu einem wichtigen Bestandteil der Verkaufsstrategie. Auch die Teilnahme an Ausstellungen und Messen, auf denen die Krauseschen
Maschinen häufig ausgezeichnet wurden, diente der Kundenwerbung.
Um die Firmentreue der Belegschaft zu gewährleisten und um Fachkräfte zu binden, nutzte
der Betrieb die Vergabe von Sozialleistungen. So verfügte das Werk frühzeitig über Speisesäle, Umkleideräume und einen Sanitätsdienst sowie über eine Badeanstalt und eine
Bibliothek. Außerdem ließ Krause auf dem Firmengelände fast einhundert sogenannte
Familiengärten nach Schreberschem Vorbild anlegen, die er den Arbeitern gegen eine
geringe Pacht zur Nutzung überließ. Den bei ihm angestellten Beamten gewährte er
FIRMENPORTRÄT MASCHINENFABRIK KARL KRAUSE
Urlaubs- und Erholungszeiten. Ein weiteres soziales Projekt war die Errichtung von »billigem und behaglichem Wohnraum« in der Nähe der Fabrik, welches jedoch nicht realisiert
werden konnte. In jedem Fall war Krauses Engagement für das Gemeinwohl beträchtlich,
nicht zuletzt deshalb ernannte ihn König Albert von Sachsen 1894 zum »Commerzienrath«.
Krause-Biagosch GmbH und VVB Polygraph
1919 wurde das Unternehmen in »Krausewerke« umbenannt; seit 1936 hieß es »Karl Krause,
Maschinenfabrik«. Insbesondere bis 1922 verzeichnete das Unternehmen eine steigende
Wachstumskurve: in jenem Jahr stellten 1.600 Werksangehörige fast 8.000 Maschinen her.
Während des Zweiten Weltkrieges diente die Fabrik militärischen Zwecken: Sonderabteilungen fertigten von 1934 bis 1941 Flugzeugteile, danach wurden Panzerersatzteile hergestellt. Seit 1942 kamen dabei auch Zwangsarbeiter zum Einsatz, besonders aus Osteuropa.
Kurz vor Kriegsende wurde das Unternehmen bei Bombardements beschädigt.
Nach 1945 erfolgte die Demontage der Werkzeugmaschinen und Betriebsanlagen im Rahmen der Reparationszahlungen an die Sowjetunion. 1948 wurde die Familie Biagosch enteignet. Daraufhin gründete sie in Bielefeld 1949 die Krause-Biagosch-GmbH, die noch
heute ein führendes Unternehmen der grafischen Industrie ist und Handelsvertretungen
in aller Welt unterhält.
Der Leipziger Betrieb hieß seit 1948 »Polygraph. Karl Krause VEB Papierverarbeitungsmaschinen« und seit 1952 »VEB Bubima Leipzig, VVB Polygraph Leipzig 05«. Er wurde in den
folgenden Jahren mit der Produktion von nicht zum Profil gehöriger Maschinen und Waren
(etwa Flaschenblasmaschinen) beauflagt. 1970 wurde er Bestandteil des neu gegründeten
Kombinats für polygrafische Maschinen Leipzig. Neun Jahre später wurde dasselbe nach
dem DDR-Politiker Werner Lamberz benannt. Das Kombinat, in dem 15.000 Beschäftigte
vor allem für den Export tätig waren, lieferte Ausrüstungen für polygrafische Betriebe,
unter anderem Druck-, Schneide- und Buchbindereimaschinen in mehr als 60 Länder.
Nach der Auflösung des Kombinats 1990 existierte der herausgelöste Teil als Unternehmen
noch bis 1994. Es folgte die Liquidation. Die leeren Fabrikanlagen wurden abgebrochen
und das Gelände eingeebnet. Die bis heute existierende Industriebrache ist ein Sinnbild
für den schwierigen Strukturwandel nach 1990.
Ulrich Heß
Links: Einer der Säle für verkaufsfertige
Maschinen, nach 1903
Rechts: Technisches Büro, um 1900
Werbeprospekt des VEB Buchbindereimaschinen Leipzig, um 1955
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Lingner-Werke Aktiengesellschaft
Welterfolg mit Mundwasser
Flasche für Odol-Mundwasser
Lingner-Werke AG, Dresden,
Anfang 20. Jahrhundert
Als der aus Magdeburg stammende Karl August Lingner im Jahr 1885 nach Dresden übersiedelte, war er einer der vielen namenlosen Zuwanderer, die in der aufstrebenden sächsischen Metropole ihr Glück suchten. Zwei Jahrzehnte später war der ungekrönte »OdolKönig« Inhaber einer der größten deutschen Mundhygiene-Unternehmen und eine
anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Hygiene. Seine geschäftliche Laufbahn in Dresden hatte Lingner als Angestellter der Feinmechanikfirma von Seidel & Naumann begonnen. 1888 gründete er gemeinsam mit dem Ingenieur Georg Wilhelm Kraft in einer Gartenlaube an der Wölfnitzstraße die kleine Firma Lingner & Kraft. In dem Unternehmen
waren drei Mitarbeiter damit beschäftigt, allerlei praktische Gebrauchsgegenstände wie
Rückenkratzer oder ein nicht klecksendes Zeichenlineal herzustellen.
Der Welterfolg »Odol«
Vier Jahre später zahlte Lingner seinen Teilhaber aus und nahm in seinem »Dresdner Chemischen Laboratorium Lingner« die Produktion des Mundwassers »Odol« auf. Damals völlig neue Reklamemethoden – großformatige Anzeigen mit formatfüllenden Bildern, die
den Nutzen des Produktes hervorheben – und ein gigantischer Werbefeldzug führten dazu,
dass »Odol« zu einem unglaublichen Geschäftserfolg wurde. 1894 entstand im nordböhmischen Bodenbach die erste Auslandsfabrik, der Niederlassungen und Produktionsstätten in der ganzen Welt folgten. 1911, im Jahr der Umwandlung des Lingner-Werkes in eine
Aktiengesellschaft, gründete er ein weiteres bedeutendes Unternehmen – das »Sächsische
Serumwerk und Institut für Bakteriographie«. Sein unternehmerischer Erfolg machte Lingner innerhalb weniger Jahre zu einem der reichsten Bürger in Sachsen. Die Geldmittel, die
ihm zur Verfügung standen, nutzte er nicht nur für persönliche Zwecke wie den Kauf der
Villa Stockhausen in Dresden, die heute als Lingner-Schloss bekannt ist, und des Schlosses
Tarasp in der Schweiz. Vielmehr verwendete er erhebliche Summen zur Verwirklichung
seiner weitgespannten Ideen auf dem Gebiet der Hygiene und Volksbildung.
Schon 1900 hatte Lingner die erste wissenschaftliche Einrichtung der Zahnmedizin in
Dresden begründet – die Zentralstelle für Zahnhygiene, der 1907 eine Schulzahnklinik
angeschlossen wurde. 1901 richtete die Stadt auf Lingners Antrag die Zentralstelle für Desinfektion ein. Im folgenden Jahr gründet Lingner die Dresdner Lesehalle. Im Jahr 1910
wurde er Vorsitzender des »Vereins Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt«, dem er bereits längere Zeit als Vorstandsmitglied angehört hatte. Dem vom Kinderarzt Arthur Schloßmann gegründeten Verein war die Eröffnung der weltweit ersten
Säuglingsklinik im Jahr 1898 in Dresden zu verdanken.
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Völlig neue Reklamemethoden
und ein gigantischer Werbefeldzug führten dazu, dass »Odol«
zu einem unglaublichen
Geschäftserfolg wurde.
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
FIRMENPORTRÄT LINGNER-WERKE AKTIENGESELLSCHAFT
Die Erste Internationale Hygieneausstellung
Die Krönung seiner Bemühungen um die Pflege der Volksgesundheit stellte jedoch die
Erste Internationale Hygieneausstellung 1911 dar. Auf der Deutschen Städteausstellung
1903 in Dresden hatte Lingner erstmals einem breiten Publikum sein sozialhygienisches
Anliegen in dem Ausstellungsteil »Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung« vorgestellt.
In den folgenden Jahren widmete er sich intensiv der Vorbereitung der Internationalen
Hygieneausstellung und gewann hierfür namhafte Wissenschaftler. Die Hygieneausstellung, mit der Dresden zur »Stadt der Hygiene« wurde, gestaltete sich zu einem grandiosen
Erfolg. Mehr als fünf Millionen Menschen sollen die Ausstellung besucht haben. Im Mittelpunkt der Schau stand in der Halle »Der Mensch« die Vermittlung eines Bildes vom
Bau und von der Funktionsweise des menschlichen Körpers, die zum größten Teil auf
Lingners Anregungen zurückging.
Im Oktober des Jahres 1911 wurde Karl August Lingner zum Ehrenbürger der Stadt Dresden
ernannt. Die Erfüllung seines Lebenswerkes, den Bau des Deutschen Hygienemuseums,
sollte er nicht mehr erleben. Der von Wilhelm Kreis entworfene Museumsbau wurde im
Rahmen der Zweiten Internationalen Hygieneausstellung 1930/31 eröffnet.
Plakat zur Internationalen HygieneAusstellung 1911
Fabrikhof der Lingner-Werke, um 1938
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Taktarbeit für den Export
Die Dresdner Fabrikanlagen waren Mitte der 1920er Jahre mit der Aufstellung einer Fließbandanlage durchgängig mechanisiert worden. Die Etikettierung der Flaschen wurde
jedoch weiterhin von Frauen in Handarbeit durchgeführt, die nach tayloristischen
Gesichtspunkten organisiert wurde. Die Taktarbeit sollte erst in den 1990er Jahren mit
dem Einsatz von Robotern ein Ende finden.
Im Jahr 1924 hatte der Export einen Anteil von etwa 60 Prozent am Geschäft der LingnerWerke. Die Ausweitung der Produktpalette führte in den Folgejahren jedoch zu wirtschaftlichen Problemen. Das Unternehmen war mit anderen Hygieneprodukten längst nicht so
erfolgreich wie mit dem Haupterzeugnis »Odol«. 1931 übernahm eine Berliner Aktiengesellschaft unter Leitung von Siegfried Arndt den Betrieb per Pachtvertrag. Arndt wurde
später von den Nationalsozialisten aus dem Unternehmen gedrängt. Er verfolgte von der
Schweiz das Auslandsgeschäft, während sein Mitarbeiter Ernst Schneider den Betrieb im
Inland übernahm. In der Aufschwungperiode der dreißiger Jahre gelang es ihm, die Marke
endgültig zur Weltmarke zu entwickeln. Am Ausgang der 1930er Jahre wurde »Odol« in
Niederlassungen in über 20 Staaten hergestellt.
Im Zweiten Weltkrieg galt das Unternehmen als »Kriegs-Musterbetrieb«. Ein wichtiges
Produkt jener Zeit war das Präparat Sepso. In den letzten Jahren des Krieges arbeiteten
auch Zwangsarbeiter im Dresdner Werk, dessen Anlagen und Bauten beim Luftangriff auf
die Stadt am 13./14. Februar 1945 nahezu vollständig zerstört wurden. Viele Mitarbeiter
fanden hierbei den Tod.
Ost-Odol und West-Odol
Nach dem Kriegsende erfolgte ein Neubeginn der Firma in Düsseldorf. Das Unternehmen
sicherte sich auch die Markenrechte an »Odol«. 1949 kamen das Mundwasser und die
Zahnpasta, die unter diesen Namen vertrieben wurden, wieder auf den westlichen Markt.
Das Werk in Dresden war hingegen in der Nachkriegszeit enteignet worden und ging 1957
Werbeprospekt zur Internationalen
Hygiene-Ausstellung 1931
Verpackung der fertigen Odolflaschen, um 1938
wie seine Vorkriegskonkurrenten, die Biox- und die Chlorodont-Werke, im Staatsbetrieb
VEB Elbe-Chemie auf. Ein Mundwasser namens »Odol« wurde für den DDR-Markt in den
Bombastus-Werken Freital produziert. Die Düsseldorfer Lingner-Werke wurden 1974 vom
Konzern Beecham übernommen und mit den Fischer-Werken im badischen Bühl zum
Unternehmen Lingner + Fischer verschmolzen. Mit der deutschen Einheit fand 1990 die
Parallelgeschichte von »Odol« im Westen und Osten Deutschlands ein Ende. Der 1989
aus einer internationalen Fusion entstandene Konzern SmithKline Beecham (seit 2000:
GlaxoSmithKline) verlegte 1998 die Odol-Produktion aus Düsseldorf nach Bühl. In Dresden erinnern heute das Deutsche Hygiene-Museum, ein Straßen- und ein Platzname sowie
das idyllisch an den Loschwitzer Elbhängen gelegene »Lingner-Schloss«, das Karl August
Lingner testamentarisch der Stadtgemeinde überwies, an den großen Bürger der Stadt.
Zudem ist das 1911 von Karl August Lingner begründete Sächsische Serumwerk in Dresden
ansässig. Heute zum Weltkonzern GlaxoSmithKline gehörig, wurde das Werk – ein großer
Anbieter von Grippeimpfstoffen auf dem Weltmarkt – in jüngster Zeit stark erweitert.
Holger Starke
Das Deutsche Hygiene-Museum, 1930 errichtet
Die »Villa Stockhausen«, seit 1906 Wohnsitz
Karl August Lingners und von diesem testamentarisch der Stadt Dresden überwiesen
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Löwen-Apotheke in Glauchau
Mit Krokodil und
»Schönburgischem Privileg«
Der Verkaufsraum einer Apotheke glich in früheren Zeiten oft einer Wunderkammer: In
den Regalen lagen Korallen und Südseemuscheln aufgereiht, daneben Elefantenstoßzähne und Straußeneier. Man konnte in Alkohol eingelegte Missgestalten sehen und ausgestopfte Gürteltiere, manchmal sogar das gedrehte Horn des Einhorns, das in Wahrheit
von den Polarküsten stammte und der Stoßzahn des Narwals war. Aus all diesen Naturschätzen wurden wunderkräftige Arzneimittel hergestellt. Je exotischer die Herkunft, je
furchteinflößender das ausgestopfte Tier, umso mehr Heilwirkung versprachen sie.
Gustav Elias kaufte die Apotheke 1917,
Aufnahme 1927.
Annonce der Apotheke in einer
Glauchauer Gewerbeübersicht, 1910
38
Ein unechtes »Apothekenkrokodil«
Ein besonders beliebtes Exponat war das Krokodil. Bereits bei Shakespeare heißt es von
dem Apotheker, der den verhängnisvollen Trunk für Romeo und Julia zusammenbraute:
»Ein Schildpatt hing in seinem dürftgen Laden und von der Decke ein ausgestopftes Krokodil.«
Auch in der Glauchauer Löwen-Apotheke am Marktplatz 19 gibt es solch ein ausgestopftes
Krokodil. Bald zwei Meter lang thront es hoch auf den Ladenregalen. Doch es ist kein
Relikt aus den Frühzeiten des Apothekenwesens, erzählt Günther Bormann. Als er das
Geschäft 1962 von seinem Vater übernahm, ordnete er einige der alten Gefäße, der Mörser,
Glaskolben und Salbentöpfe in einem Regal zu einer kleinen Ausstellung. »Bei einer Familienfeier hab ich dann mal im Spaß gesagt, jetzt fehlt mir bloß noch ein Krokodil – und
mein Schwager meinte, da könne er aushelfen. Ein Vorfahr hatte sich eines zu Beginn des
20. Jahrhunderts von einer Reise aus Kairo mitgebracht, und das verstaubte auf dem Dachboden.« Auch wenn es also kein echtes »Apothekenkrokodil« ist – am Markt 19 ist es gut
aufgehoben. Denn die Geschichte dieser Apotheke reicht zurück bis in die Zeit, als Alchemie und Wunderglaube noch mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen Hand in Hand
gingen und man dies nicht als Widerspruch empfunden hat, sondern als gleichberechtigte
Wege, die großen Geheimnisse des Lebens zu ergründen.
Ein Kauf im letzten Kriegsjahr
Bereits 1587 wurde eine Apotheke am Markt erwähnt – doch ohne genaue Angabe, in welchem Haus sie sich befand. Im frühen 18. Jahrhundert war dann das Haus am Markt 19
im Besitz von Barbieren und Krämern; möglich dass auch sie bereits mit Arzneimittel
gehandelt haben. Die erste Apotheke ist ab 1742 belegt – der Stadtvogt Friedrich Hemman
hatte sie dort anlegen lassen. 1762 erwarb Johann Bernhard Rosenfeldt das Haus und
erhielt drei Jahre später durch die Herrschaft Schönburg-Hinterglauchau den Titel des
FIRMENPORTRÄT LÖWEN-APOTHEKE IN GLAUCHAU
Hofapothekers und das Privileg zum Betrieb einer Apotheke. Zwei Taler musste er dafür
in jedem Jahr entrichten. Das Privileg lag auf dem Grundstück; jeder, der das Haus erwarb,
durfte mit Heilmitteln handeln. Der Hofmedikus kontrollierte, ob die Aspiranten auch
über eine entsprechende Ausbildung verfügten. Johann Bernhard Rosenfeldt jedenfalls
schien sein Geschäft mit einigem Glück betrieben zu haben. Noch heute trägt im ersten
Stock des Hauses eine prachtvoll geschnitzte Tür mit Rosenmuster und Glasfenstern die
Initialen JBR. Dass am Markt noch eine andere Apotheke existierte, gehört zu den Kuriosa
der deutschen Kleinstaaterei: Glauchau war durch schönburgische Erbteilung an zwei
Brüder gefallen, die das Schloss, die Stadt und schließlich auch den Marktplatz säuberlich
in zwei Teile schnitten und auch jeweils eigene Privilegien zu vergeben hatten. Und eben
jener Apotheker von der Mohren-Apotheke, die es übrigens auch heute noch gibt, hatte
Ausleger der Apotheke
Privileg von 1765 und Mörser von 1766
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
FIRMENPORTRÄT LÖWEN-APOTHEKE IN GLAUCHAU
Briefbögen,
1858 –1958
Die Löwen-Apotheke 1936
Initialen an einer barocker Glastür in der
Wohnung erinnern an den ersten Besitzer
Johann Bernhard Rosenfeldt.
40
sein Privileg von der Herrschaft Schönburg-Forderglauchau erhalten. In der Löwen-Apotheke wechselten im Verlauf des 19. Jahrhundert die Besitzer relativ häufig – von 1840–
1871 gehörte sie Carl Friedrich August Köhler, der zeitweise auch die Funktion des Stadtältesten bekleidete. Es sind die Jahre, in denen Glauchau eine geradezu stürmische
Entwicklung erfuhr; vor allem mechanische Webereien siedelten sich an. Die Einwohnerzahl stiegt von rund 6.000 um 1830 auf mehr als 20.000 um 1870. Die Textilfabrikanten
und wohlhabenden Stadtbürger ließen sich pompöse Wohnsitze erbauen – ein bis heute
beeindruckendes Villenviertel entstand, die Immobilienpreise stiegen gewaltig. Als 1896
Paul Merres die Löwen-Apotheke erwarb, musste er stolze 200.000 Goldmark dafür berappen. Von dieser Investition hat er sich nie wirklich erholt – kurz vor seinem Tod 1917 meldete er Konkurs an, und hier treten die Vorfahren von Dr. Bormann auf den Plan: Sie kauften Haus und Geschäft aus der Konkursmasse. Gustav Elias, der Großvater von Günther
Bormann, wurden im letzten Kriegsjahr 1917 Löwenapotheker – offiziell immer noch mit
dem Schönburgischen Privileg ausgestattet.
Nur zwei Dutzend privatwirtschaftliche Apotheker
Doch wie haben sich die Zeiten geändert! Der Apotheker benötigt nicht mehr all die wunderkräftigen Tiere und exotischen Utensilien, um seine Kundschaft zu beeindrucken und
zugleich seine Zugehörigkeit zur gelehrten Schicht zu demonstrieren. Längst hat sich die
Pharmazie zu einer anerkannten Naturwissenschaft entwickelt. Apotheker sind ausgezeichnete Botaniker und Chemiker. Sie müssen alle Grundstoffe, die zur Weiterverarbeitung angeliefert werden, auf ihre Identität und auf Reinheit untersuchen. Zwar gibt es
heute industriell hergestellte Arzneimittel. Doch der Alltag besteht nach wie vor aus Pillen
drehen, Zäpfchen gießen, Tinkturen brauen, Destillate und Auszüge herstellen. In der
Löwen-Apotheke wurde in den 1920er und 1930er Jahren ausgiebig investiert. Vor allem
das Labor wurde modernisiert. Der Schwiegersohn von Gustav Elias, Johannes Bormann
übernahm die Apotheke 1938 und leitete sie durch die Kriegsjahre. In den Jahren der DDR
wurden Apotheken zunehmend und mehr oder weniger freiwillig verstaatlicht. »Die meisten Apotheker entschlossen sich für die Verstaatlichung – da hatten sie einfach bessere
Renten. Außerdem konnte man als Privater bei dem Steuersystem der DDR ohnehin kein
Kapital ansammeln.« Nur etwa zwei Dutzend Apotheken in der ganzen DDR wurden 1989
noch privatwirtschaftlich geführt – darunter die Glauchauer Löwen-Apotheke. Auch Günther Bormann behielt diesen Status bei, als er 1962 den Betrieb des Vaters übernahm. In
den Jahren der DDR hat sich am Apothekeralltag nur wenig geändert. Bis 1990 wurden
immer noch Heilmittel selbst hergestellt – zum einen Rezepturen, die Ärzte speziell für
einen Patienten zusammengestellt hatten wie etwa Haut- oder Augensalben, zum anderen
Heilmittel mit kurzer Haltbarkeit wie zum Beispiel Hustensäfte. Eine große Herausforderung war in Zeiten handgeschriebener Rezepte die Gewähr von Arzneimittelsicherheit
und Dosierung. Die zunehmende industrielle Fertigung von Medikamenten haben die
Apotheker nicht als etwas Negatives erlebt, erzählt Günther Bormann: »Denn wir hatten
eher Schwierigkeiten, mit den vorhandenen Mitarbeitern das zu schaffen, was einem vorn
in der Offizin abgefordert wurde. Insofern war das keine Bedrohung der Existenz – im
Gegenteil, es sparte Zeit.«
Im Jahr 1990 wurde der Apothekenbetrieb komplett umgestellt auf computergestützte
Warenwirtschaft, das Sortiment vergrößerte sich beträchtlich, doch die Kunden bekommen inzwischen Vieles nicht mehr auf Rezept verschrieben. Der Apotheker berät seither
häufig beim Kauf und muss auch der gestiegenen Nachfrage nach alternativen Heilmitteln
Rechnung tragen: »Das ist dann individuell, ob man das macht – man berät in der Überzeugung, die man selbst vertritt.« Seit 2000 ist die Glauchauer Löwen-Apotheke in der
Hand der vierten Generation der Familie Elias/Bormann: Anette Bormann hat die
Geschäfte übernommen. Und übrigens hat auch sie das ausgestopfte Krokodil über der
Ladentheke belassen.
Sabine Frank
Ansicht der Löwen-Apotheke am Marktplatz,
2011
Links: Das Krokodil steht seit den 1960er
Jahren in der Offizin.
Seit 1990 wird die Warenwirtschaft komplett
computergestützt geführt.
41
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Nickelhütte Aue GmbH
Kreislauf der Nichteisenmetalle
Veit Hans Schnorr d. J. (1644 –1715), der Sohn
des Pfannenstieler Werksgründers. Er war
einer der bedeutendsten Montanunternehmer
des Erzgebirges und leitete nicht nur das
Blaufarbenwerk, sondern besaß u. a. auch die
St. Andreas-Zeche in Aue, die ab 1710 das
Kaolin für die Porzellanmanufaktur Meißen
lieferte.
Rechte Seite: Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel 1860. Einige der hier abgebildeten
Gebäude blieben bis heute erhalten.
42
Manufakturen, Bergwerke und Hüttenbetriebe ebneten den Weg zur ersten wirtschaftlichen Blüte Sachsens. Die traditionelle Montanregion Sachsen hat viele Erfolgsgeschichten
hervorgebracht. Eine begann mit der Fabrikation eines Farbstoffs.
Wie intensiv wirkt das Blau. Was für eine Strahlkraft entfalten die Dekore bis heute. Staunend blickt die Welt auf die edlen Porzellane mit den blauen Schwertern. Das älteste europäische Hartporzellan kam aus Meißen, das ist bekannt. Die kräftige blaue Farbe für die
Dekore kam aus dem Erzgebirge, das ist weniger bekannt. Dabei hat der Hersteller des
Farbstoffs den gewundenen Entwicklungsweg durch die Jahrhunderte erfolgreich bewältigt und existiert bis heute. Nickelhütte Aue heißt der Traditionsbetrieb aus dem Montanwesen des Erzgebirges – ein sächsischer Industriepionier. Am Beginn des 21. Jahrhunderts
ist das Unternehmen als moderne Produktionsstätte für Metallverbindungen und Konzentrate aus Nickel, Kupfer, Kobalt und Vanadium weit über die Grenzen Sachsens hinaus
bekannt und wird auf dem internationalen Markt geschätzt.
Auer Kobalterze in Delft
Die Entwicklung begann mit der Ausbreitung des Bergbaus. Im Jahr 1635 legte Veit Hans
Schnorr in Niederpfannenstiel – seit mittlerweile 90 Jahren ein Stadtteil von Aue – den
Grundstein für eine Mühle, um das Ausgangsmaterial für Blaufarben zu gewinnen. Die
Antriebsenergie lieferte das Flüsschen Schwarzwasser, als Rohstoff dienten Kobalterze
aus den Bergwerken der Umgebung, die in der Mühle verarbeitet wurden. Der Markt für
den wertvollen Stoff zum Färben von Keramik, Glas und Geweben erstreckte sich bis in
die Keramikmanufakturen von Antwerpen und Delft. Manch historisches Stück, das als
»Delfter Blau« begeistert, würde es ohne die Farben aus dem Erzgebirge nicht geben. Mit
den Blaufarben ließ sich gutes Geld verdienen. Allerdings war die Ausfuhr reglementiert.
Der sächsische Kurfürst übte strenge Kontrolle über den Handel mit Kobalterzen aus. In
den Vordergrund rückte der eigene Bedarf. Die Bedeutung des Kobaltblau aus dem Erzgebirge war gewachsen, seit der Bedarf der Porzellanmanufaktur in Meißen ab dem Jahr
1710 gedeckt werden musste. In jener Zeit war die Blaufarbenfabrik aus dem Schwarzwassertal als Teil eines Konglomerats aus insgesamt fünf erzgebirgischen Produktionsstätten
längst zu volkswirtschaftlicher Bedeutung aufgestiegen.
Strukturwandel prägte schon die Frühphase der Industrialisierung: Nachdem im europäischen Ausland neue Lagerstätten erschlossen waren, sank der Absatz von Kobaltfarben
aus dem Erzgebirge. Die Entwicklung des Ultramarin beschleunigte den Niedergang des
traditionellen Farbstoffs.
Würfelnickel und Uranerz
Die Blaufarbenfabrik musste neue Geschäftsfelder erschließen. 1823 kam Argentan auf
den Markt, eine Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink für nichtrostende Bestecke; sie
war erheblich preiswerter als Silber. Vor etwa 160 Jahren verließ erstmals »Würfelnickel«
den Hüttenbetrieb. Diesem Metall ist das Werk bis heute treu geblieben.
Weil das ursprüngliche Hauptprodukt Blaufarben nur noch ein Nischendasein führte,
änderte sich der Name des Unternehmens in Hütten- und Blaufarbenwerk. Später tauchte
im Handelsregister nur noch der Firma Nickelhütte Aue auf.
Einen neuen Einschnitt brachten die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein abgetrennter
und streng bewachter Teil des Werksgeländes in Aue wurde für die Aufbereitung von
Uranerzen der SDAG Wismut genutzt. Im »zivilen« Betriebsteil der Hütte lief die Produktion auf Hochtouren weiter.
Von ihrer Organisationsstruktur her war die Nickelhütte ab den 1960er Jahren zunächst
ein Betrieb des Mansfeld-Kombinats, seit den frühen 1980er Jahren ein Teil des Bergbauund Hüttenkombinats »Albert Funk«, Freiberg. Die Produktion von Reinstnickel, Nickelsulfat und anderen Nichteisen-Metallen prägte das Profil an traditionsreicher Stätte. Für
Hüttenwerk Aue 1957, kurz nach Ende der
Nutzung durch die SDAG Wismut. Im Hintergrund ist die riesige Abraumhalde der Uranaufbereitung zu erkennen, die erst Ende der
1970er Jahre abgetragen wurde.
43
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
den Metallbedarf der rohstoffarmen DDR wurde unablässig an neuen Technologien
geforscht, doch mit den althergebrachten Verfahren ging die Produktion weiter. Im Zentrum aller Aktivitäten stand die Materialausbeute. Die technischen Anlagen der Nickelhütte arbeiteten an der Kapazitätsgrenze; Umweltschutz gehörte nicht zu den Prioritäten.
Etikett einer Kleinabnehmer-Packung
»Spritz-Cupral«, 1953. Dieses wurde im VEB
Nickelhütte Aue bis 1990 hergestellt.
Ähnliche, mild wirkende Fungizide werden
noch heute im Weinbau eingesetzt. Der
ungiftige Wirkstoff Kupferoxichlorid wird
nach wie vor von der Nickelhütte Aue GmbH
produziert.
Umweltverträgliche Stoffkreisläufe
1991 übernahmen die Siegfried Jacob Metallwerke (SJM) aus Ennepetal die Nickelhütte
Aue, die seit der erfolgreichen Privatisierung als GmbH firmiert. Die Rückkehr zur Marktwirtschaft wurde mit erheblichen Investitionen in den Maschinenpark, die Gebäudesubstanz und den Umweltschutz begleitet – der einstige Umweltsünder wandelte sich zu
einem modernen Unternehmen. In der Nickelhütte Aue GmbH werden heute metallhaltige
Stoffe umweltverträglich aufgearbeitet. Die Nichteisenmetalle Nickel, Kobalt und Kupfer
prägen das Produktionsprofil. Nickel wird für Katalysatoren gebraucht, es dient als Überzugsmetall dem Korrosionsschutz und wird in Stahllegierungen eingesetzt. Auf ihrem
Markt zählt die Nickelhütte Aue zu den weltweit führenden Lieferanten von Nickelkonzentraten, Nickelsalzen sowie Nickel- und Kupferbasislegierungen. In dem von Grund auf
modernisierten Unternehmen dominiert der Gedanke der Stoffkreisläufe zwischen Herstellern und Anwendern. Wertstoffe kehren als Metalle, Konzentrate oder Verbindungen
in den Wirtschaftskreislauf zurück. Nebenbestandteile der Metallgewinnung werden im
Recyclingverfahren in einer glasartigen silikatischen Schlacke eingebunden und als Baustoff eingesetzt. Die Pyrometallurgie hält die strengsten Genehmigungsvorgaben in Europa
ein. 1996 nahm eine Anlage zur Aufarbeitung von Kupferchloridätzlösungen den Betrieb
auf. Darin werden aus verbrauchten Lösungen der Leiterplattenindustrie Salzsäure und
Kupfersulfat gewonnen. Dieser Prozess arbeitet abfallfrei. Die Abgasreinigung in dem von
1995 bis 1998 neu errichteten Schmelzbetrieb übertrifft die gesetzlichen Vorgaben. Den
Betrieb durchlaufen immer mehr Elemente des Periodensystems. Seit 1999 knüpft die
FIRMENPORTRÄT NICKELHÜTTE AUE GMBH
Nickelhütte wieder an ihre lange Tradition der Kobaltverarbeitung an. 2001 begann die
Verarbeitung edelmetallhaltiger Abfälle im Auftrag aller großen Edelmetallproduzenten.
2002 dehnte das Unternehmen sein Verarbeitungsspektrum auf die Produktion von Vanadiumverbindungen aus. Ebenso bedeutend wie der praktizierte Umweltschutz und die
Innovationen ist die ökonomische Rolle des Unternehmens. Mit ihren mehr als 400
Arbeitsplätzen ist die Nickelhütte heute strukturprägend in Aue.
Flussspat aus Niederschlag bei Oberwiesenthal
Die globalen Metallmärkte gerieten im 21. Jahrhundert in heftige Bewegung. Wachsender
Bedarf für verschiedene technische Anwendungen in aufstrebenden Volkswirtschaften
auf der einen und Erschöpfung zahlreicher bekannter Lagerstätten auf der anderen Seite
trieben die Preise an den Rohstoffbörsen in die Höhe. Alle Prognosen besagen, dass es
gegenläufige Trends bei den Notierungen bestenfalls noch vorübergehend geben wird.
Führende Industrieländer definieren deshalb ihre Versorgungssicherheit gerade neu.
Damit wird die Ausbeutung einer Reihe erschlossener Lagerstätten mit geringem Metallgehalt, die über lange Zeit keine Rolle im aktiven Bergbau gespielt hatten, wirtschaftlich
wieder interessant.
Seit dem Jahr 2010 ist die Nickelhütte Aue offizieller Partner beim Neuaufschluss einer
Fluss- und Schwerspatlagerstätte in Niederschlag bei Oberwiesenthal. Schon ab 2012 soll
der Flussspat, der auf dem Kamm des Erzgebirges abgebaut wird, im Gebäude des ehemaligen Heizwerks der Nickelhütte, das für seine künftige technologische Funktion gründlich umgebaut wird, verarbeitet werden. Die Vorbereitungsarbeiten laufen, Investitionen
für den neuen Produktionsabschnitt haben begonnen. Fast 400 Jahre nach der Gründung
des ursprünglichen Hüttenbetriebs in Niederpfannenstiel kehrt die Nickelhütte Aue mit
modernen, umweltschonenden Verfahren teilweise zu ihrer erzgebirgischen Rohstoffbasis
zurück.
Helge-Heinz Heinker
Überwachung der Rauchgaszusammensetzung. Modernste Abgas-Reinigungstechnik
gewährleistet die Einhaltung der gesetzlichen
Vorgaben.
Rechte Seite unten: Haupteingang der
Nickelhütte Aue GmbH zur Weihnachtszeit
Die noch aus der Blaufarbenwerkszeit stammenden, erhalten gebliebenen historischen
Gebäude der Nickelhütte Aue. Sie wurden
originalgetreu restauriert und dienen nach
wie vor zu Produktions- und Wohnzwecken.
44
Aus Industrieabfällen und sonstigen Recyclingmaterialien werden im Schmelzbetrieb
der Nickelhütte Wertstoffe wie Nickel, Kupfer,
Kobalt sowie verschiedene Edelmetalle angereichert und in nachfolgenden Verfahrensschritten weiter verarbeitet.
45
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Plauener Spitze und Stickereien
Mode und Hightech
Mit der Entwicklung eines rationellen Verfahrens zur Herstellung maschinengestickter
Tüllspitze und einer darauf aufbauenden gezielten marktorientierten Erzeugnisentwicklung begann 1881 in Plauen der wirtschaftliche Aufschwung der vogtländischen Spitzenund Stickereiindustrie. In wenigen Jahren gelang es, die Erzeugnisse auf den internationalen Märkten bekannt zu machen. Seitdem haben die vogtländischen Unternehmen eine
führende Position behaupten können. Heute gilt die Region mit der Dachmarke »Plauener
Spitze« neben Österreich (Vorarlberg) und der Schweiz (St. Gallen) als eines der drei Zentren der Branche in Europa.
Der Plauener Stickereifabrikant Theodor
Bickel begründete 1881 die Vogtländische
Tüllspitzenindustrie. Maschinengestickte
Tüllspitze wurde als Plauener Spitze weltbekannt.
Rechte Seite:
Besatz im Stil der Mimosa Lace, Tüllspitze
mit Zügen des französischen Jugendstils,
gepaart mit vogtländischer Mustertradition.
Applizierte Schneeballeffekte im Tüllgrund
verstreut und in den stilisierten Margeriten.
Wilhelm Berkling (IDZ Plauen), produziert
um 1900
46
Von »vogtländischer Weißware« zur Tüllspitze
Die Geschichte der Plauener Spitze begann mit der industriellen Revolution Anfang des
19. Jahrhunderts. An die Stelle der untergegangenen Handspinnerei trat im Vogtland die
Handstickerei. In Verbindung mit den heimischen Webereien entstanden die vom Markt
begehrten »vogtländischen Weißwaren«. 50 Jahre später kam es zu einem erneuten
Umbruch. In der Schweiz war es gelungen, die Arbeit auf Handstickmaschinen zu verlagern. 1857 erwarb der Plauener Kaufmann Theodor Schnorr zwei dieser Schweizer Maschinen, ließ sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über den Bodensee transportieren und in
Plauen aufstellen. Die mechanische Stickerei verbreitete sich nun im Vogtland ungemein
rasch. Bereits 1872 wurden von 239 Plauener Firmen 907 Handstickmaschinen betrieben.
Der nächste Technologiesprung basierte auf einer original vogtländischen Erfindung. 1881
gelang dem Plauener Anton Falke weltweit erstmals die Herstellung maschinengestickter
Tüllspitze. Bereits zwei Jahre später arbeiteten im Vogtland die ersten Schiffchenstickmaschinen, mit denen die industrielle Fertigung von Luftspitze möglich wurde. Vor allem
durch das Wirken des Stickereifabrikanten Theodor Bickel entwickelten sich beide Stickereiarten – Tüll- und Luftspitze – zur Domäne der vogtländischen Textilindustrie. Die unter
dem Namen Plauener Spitze oder Dentelle de Saxe, Saxon Lace, Plauener Lace bzw. Dentelle de Plauen angebotene Produkte erlangten auf dem Weltmarkt hohe Bekanntheit und
Anerkennung. Dies gipfelte in der Auszeichnung mit dem Grand Prix der ersten Weltausstellung in Paris im Jahr 1900.
Die prosperierende Entwicklung der vogtländischen Stickereiindustrie erreichte 1912 mit
dem Bestand von rund 1.600 Stickmaschinen ihren Höhepunkt. Zugleich produzierte in
dieser Zeit die Vogtländische Maschinenfabrik AG (VOMAG), etwa 1.000 Stickereimaschinen
pro Jahr. Neben der engen Zusammenarbeit mit dem Maschinenbau pflegte die Branche
eine fruchtbare Partnerschaft mit der überregional bedeutenden Plauener Kunstschule.
Bereits 1872 wurden in
239 Plauener Firmen
907 Handstickmaschinen
betrieben.
DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Musterrollen und VOMAG-Stickereimaschine,
um 1920
Kleid mit Schneeballspitze, gezeigt auf der
Fashion Week Berlin, Januar 2011, Entwurf:
Nachwuchsdesignerin Irene Luft
48
In der folgenden Periode schrumpfte die Branche nicht nur beträchtlich; am Ende des
Zweiten Weltkrieges waren fast alle Stickereibetriebe und Musterkollektionen zerstört. In
der DDR-Zeit erfuhr die Plauener Spitze eine Renaissance. Nicht zuletzt dienten die Produkte als Mittel für schnelle Deviseneinnahmen. 1989 arbeiteten knapp 8.000 Beschäftigte
an rund 1.400 Großstickmaschinen.
Kollektionen auf der Berliner Fashion Week
Heute umfasst die vogtländische Stickereiindustrie etwa 40 produzierende Unternehmen,
welche hauptsächlich Gardinen und Tischwäsche herstellen. Zur Branche gehören auch
drei Veredlungsbetriebe sowie zahlreiche Designer, Puncher, Konfektionäre, Agenturen
und Händler. Diese Unternehmen beschäftigen zusammengenommen rund 900 Mitarbeiter. Durch die regionale Konzentration dieser Firmen sowie von Einrichtungen der Textilforschung und der Aus- und Weiterbildung (Textiltechnik, Design) bildet die Branche ein
echtes Cluster mit allen Kommunikations- und Flexibilitätsvorteilen. Die Dachmarke
»Plauener Spitze« ist international geschützt und im Besitz des Branchenverbandes Plauener Spitze und Stickereien e.V.
Die aktuelle Situation ist von einem intensiven Wechselverhältnis von Tradition, Innovation und Design geprägt. Für die aktive Traditionspflege stehen das Spitzenmuseum,
die Schaustickerei, das Stickereifest und das Informations- und Designzentrum (IDZ). Das
IDZ betreut die der Stadt Plauen gehörende und etwa 250.000 Exponate umfassende historische Mustersammlung. Rund 10 Prozent dieser Sammlung sind gegenwärtig in einem
digitalen Archiv erfasst. Seit 2008 schreibt die Branche den internationalen Designpreis
»Plauen-Vogtland stickstich« aus. Damit will sich die Region schrittweise als überregionales Kreativ-Zentrum für Stickerei etablieren.
Das Sortiment der Branche besteht zu drei Viertel aus bestickten Gardinen und Tischwäsche. Diese Produkte stehen seit vielen Jahren unter einem wachsenden Preis- und
Importdruck. Zahlreiche Unternehmen bemühen sich deshalb systematisch um den Auf-
FIRMENPORTRÄT PLAUENER SPITZE UND STICKEREIEN
bau neuer Geschäftsfelder. So arbeiten einige Firmen gemeinsam mit Forschungseinrichtungen daran, die Stammprodukte mit zusätzlichen Funktionen auszustatten. Hier geht
es zum Beispiel um Leucht- und Farbwechseleffekte oder um Kühlung, Heizung, Flammschutz und Rauchabsorption.
Eine andere Richtung ist die Erschließung von Marktsegmenten im hochwertigen Genre.
So hat sich 2008 das Mühltroffer Stickereiunternehmen Classic Spitzen GmbH in Weissfee
GmbH umbenannt. Dahinter steht die Strategie, schrittweise den Premium- und Luxusmarkt zu erschließen. Seitdem wurden international tätige Designer verpflichtet, renommierte Marktexperten befragt, das Sortiment erneuert und der gesamte Außenauftritt neu
gestaltet. Mit diesem neuen Profil gelang es, die Zertifizierung für die international exklusivste Messe für Heimtextilien, die Pariser »Maison et Objet« zu erlangen. Unter dem Label
»weissfee home couture« konnte das Unternehmen im Januar 2011 nun schon das vierte
Mal erfolgreich seine Kollektion präsentieren.
Erfolgsversprechend ist auch das verstärkte Engagement im Modesektor. Eigene Kollektionen haben etwa die Firma Dietrich Wetzel sowie die Modespitze GmbH gemeinsam mit
der Vogtlandmoden GmbH entwickelt. Andere Unternehmen wie die Stickereien Gerber
und Reuter aus Rebesgrün verbünden sich mit gestandenen Modedesignern aus Berlin
und München. Deren Kollektion konnte man auf den Laufstegen der Berliner Fashion
Week 2010 und 2011 bewundern.
Gestickte Sensoren für Roboter
Ein weiterer zukunftsträchtiger Weg besteht in der Erschließung neuer Einsatzfelder für
die Stickereitechnologie. Der Durchbruch wurde hierbei vor allem mit dem im September
2010 abgeschlossenen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Großprojekt »highSTICK« erreicht. Insgesamt 28 Partner – 18 Unternehmen und
zehn Forschungs- und Bildungsinstitute – hatten sich zusammengefunden, um gemeinsam acht Forschungsprojekte zu bearbeiten, die alle auf die Weiterentwicklung der
Sticktechnologie zielten. Neben fünf Stickereibetrieben gehörten zu dem Verbund auch
Maschinenbauer wie die Firma Lehmann aus Jocketa sowie Elektronik-, Bau- und Gießereiunternehmen. In einem dieser Forschungsprojekte ist es gelungen, die weltweit erste mit
gestickten Sensoren ausgestattete Steuerung für Roboter zu entwickeln. In anderen Projekten, an denen die Stickperle GmbH aus Falkenstein beteiligt war, entstanden neuartige
Bandagen und textile Fußbodenheizungen.
Unabhängig von diesem Großprojekt ist es der Rahmig & Partner GmbH gelungen, mit
einer speziellen Sticktechnologie unterschiedlichste Fäden, Litzen, Drähte, Lichtleitfasern
und Schläuche als drittes Fadensystem zu verarbeiten. Mitte 2011 erreichte der Umsatzanteil des neuen Geschäftsfeldes »Smart Textiles« bereits knapp 10 Prozent.
Die vogtländische Stickereiindustrie hat es somit in den letzten Jahren immer besser verstanden, das Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation produktiv für ihre Zukunftssicherung zu nutzen. Zu diesem Zweck gründeten 2007 Unternehmen zusammen
mit dem Landkreis, der Stadt Plauen und der IHK das Deutsche Innovationszentrum für
Stickerei e.V. (DIS). Damit verfügt die Branche über einen aktiven Dienstleister, der übergreifende Innovations- und Marketingprojekte initiiert und koordiniert und somit eine
wichtige Funktion zur Nutzung der gemeinsamen Potentiale erfüllt.
Franz Rudolph
Gestickte dreidimensionale Form eines Designerhockers (Karin Krause und Antje Schneemann, erster Preis »stickstich 011«)
Schneeballspitze (Kati Reuter, erster Preis
»stickstich 008, Erinnern und Erneuern«)
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
Werkzeugmaschinenfabrik UNION Chemnitz
150 Jahre Innovation
zum Bohren und Fräsen
Chemnitz kann als die Wiege des deutschen Werkzeugmaschinenbaus gelten. Mit der
Fabrik von Johann Zimmermann entstand hier 1848 die erste Werkzeugmaschinenfabrik
in Deutschland. 1852 gründete David Gustav Diehl seine Werkstatt, die spätere Werkzeugmaschinenfabrik UNION, die als älteste Firma dieser Branche in Europa noch heute
existiert.
David Gustav Diehl kam nach einer Lehre als Zeugschmied auf seiner Wanderschaft 1850
nach Chemnitz. Nachdem er zwei Jahre im Unternehmen von Richard Hartmann gearbeitet hatte, gründete er 1852 eine mechanische Werkstatt. Seine Produkte annoncierte er im
»Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger«.
David Gustav Diehl (1823 –1903)
Erster Aufschwung mit dem »UNION-Horizontal-Bohrwerk«
Diehls Unternehmen entwickelte sich rasch, sodass er bereits 1856 weitere Räume pachten
und wenige Jahre später ein Grundstück kaufen konnte. In zwei neuen Fabrikhallen wurden nun vorwiegend Werkzeugmaschinen gefertigt; 14 von ihnen zeigte Diehl erstmals
auf der Gewerbe- und Industrieausstellung 1867 in Chemnitz. Nach der Umwandlung des
Unternehmens in eine AG 1872 firmierte dieses als Werkzeugmaschinenfabrik »UNION«,
vormals Diehl, Chemnitz. Diehl wurde leitender Direktor. Von 1872 bis 1884 entwickelte
sich die UNION zu einer führenden Werkzeugmaschinenfabrik in Europa. 1885 schied
Diehl als Direktor aus; er blieb bis zu seinem Tod 1903 Aufsichtsratsvorsitzender. Die Inge-
FIRMENPORTRÄT WERKZEUGMASCHINENFABRIK UNION CHEMNITZ
nieure Oscar Ufert und sein Sohn Gustav Emil Diehl traten an seine Stelle. Unter ihrer
Leitung wurde 1875 das erste »UNION-Horizontal-Bohrwerk« mit senkrecht verstellbarem
Aufspanntisch entwickelt, das für das künftige Produktionsprofil von herausragender
Bedeutung werden sollte.
Ruppert-Getriebe und preisgekrönte Fräsmaschinen
In den 1890er Jahren begann die UNION sich auf die Fertigung von Hobelmaschinen, Support-Drehmaschinen und Horizontal-Bohr- und Fräsmaschinen zu beschränken. Dabei
wurde das bisherige Einpassverfahren – jede Maschine wurde zur Einzelfertigung – durch
das Feinmessverfahren ersetzt.
Friedrich Ruppert, der 1894 in die Firma eintrat und zu den bedeutendsten Ingenieuren
der sächsischen Werkzeugmaschinenindustrie gezählt werden muss, prägte das Profil der
UNION bis zu seinem Ausscheiden 1916 maßgeblich. 1900 wurde das Zahnräderwechselgetriebe patentiert, das als Ruppert-Getriebe in die Technikgeschichte eingegangen ist.
Seit 1908 alleiniger Technischer Direktor, entwickelte Ruppert die UNION zu einer Spezialfabrik für Horizontalbohrwerke mit Weltruf.
Drei Bauarten bestimmten nun die Maschinenentwicklung: Maschinen mit senkrecht verstellbarem Tisch, Maschinen mit längs der Aufspannplatte verschiebbarem Bohrständer
und senkrecht verstellbarer Spindel (Plattenbohrwerk) und die Bauart mit senkrecht verstellbarer Spindel und verschiebbarem Drehtisch (Tischbohrwerk). Vom Erfolg der Firma
in dieser Zeit künden Auszeichnungen – die UNION erhielt auf der Weltausstellung in Paris
im Juni 1900 für die Horizontal-Bohr- und Fräsmaschine HBD 80 und 1905 auf der Weltausstellung in Lüttich für ihr neues Horizontalbohrwerk die Goldene Preismedaille. Baumaßnahmen spiegeln die Expansion des Unternehmens. 1912 entstand eine große Montagehalle,
in der die drei genannten Maschinentypen in 50 Baugrößen gefertigt werden konnten.
Friedrich Ruppert (1843 –1931)
Das Betriebsgelände der UNION, 1916
Die 1900 auf der Weltausstellung in Paris
preisgekrönte Horizontal-Bohr- und Fräsmaschine HBD 80
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DAS WACHSTUM DER KAMMERN IN DER VORKRIEGSZEIT UND DER ERSTE WELTKRIEG
FIRMENPORTRÄT WERKZEUGMASCHINENFABRIK UNION CHEMNITZ
Übernahme durch Karl Wetzel
Mit dem bisherigen Hauptkonkurrenten, der Firma Karl Wetzel in Gera, kam 1918 ein Vertrag über die Aufteilung des Fertigungsprogramms zustande. Die UNION fertigte in der
Folgezeit verstärkt Mehrspindel-Bohr- und Fräswerke, die in den 1920er Jahren vor allem
im aufstrebenden Automobilbau verwendet wurden. 1936 wurde die UNION von der Firma
Wetzel übernommen und firmierte von da an als Werkzeugmaschinenfabrik UNION
(vormals Diehl), Zweigniederlassung der Firma Karl Wetzel, Maschinenfabrik und Eisengießerei, Gera. Nach umfassender Modernisierung und Erweiterung gewährleistete die
Anordnung des Maschinenparks nun eine fließende Fertigung, der Transmissionsantrieb
wurde ausschließlich auf elektrischen Einzelantrieb umgestellt. 1941 erfolgte der Neubau
eines Prüffeldes. Nach gängiger Reihennormung wurden bis 1945 nur noch Modelle mit
63 und 80 mm Spindeldurchmesser hergestellt; nach dem Luftangriff am 5. März 1945 auf
Chemnitz war allerdings eine Fertigung nur noch begrenzt möglich.
Werkzeugmaschinen und Werkzeuge (WMW). 1948 wurden die ersten 20 Maschinen gefertigt. Nachdem 1959 ein eigenes Konstruktionsbüro aufgebaut worden war, konnte die
UNION 1964 ihre erste Neuentwicklung seit Kriegsende vorweisen: das Bohrwerk BFT
80/2. Weitere wichtige Entwicklungen folgten, so die erste numerisch gesteuerte Maschine
BFT 90/3 NC 1969 und ein Jahr später das Bearbeitungszentrum CBFT 90/4 NC, das 1976
auf der Leipziger Frühjahrsmesse eine Goldmedaille erhielt.
1970 wurde die Firma in das VEB Werkzeugmaschinenkombinat »Fritz Heckert« Karl-MarxStadt integriert. Mit der Übernahme von drei Karl-Marx-Städter Betrieben 1975 beschäftigte
die UNION 953 Mitarbeiter. Einen schwerwiegenden Rückschlag erlitt sie 1977, als bei drei
aufeinanderfolgenden Hochwasserkatastrophen das gesamte Betriebsgelände überflutet
und wichtige Unterlagen vernichtet wurden. Die Maschinenentwicklung erreichte 1987
mit der Weiterentwicklung des Bearbeitungszentrums CBFK 90/1 zur Laserbearbeitungsanlage LBA 1600 CNC einen Höhepunkt.
Von der VVB zum Werkzeugmaschinenkombinat »Fritz Heckert«
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die UNION demontiert. Im Dezember 1945
wies die Deutsche Zentralverwaltung der Industrie die Wiederaufnahme der Produktion
an. Im Juni 1946 von der Firma Wetzel getrennt, existierte die UNION zunächst wieder
als selbstständiger Betrieb, wurde aber 1948 zugunsten des Landes Sachsen enteignet
und bestand nun als VEB Werkzeugmaschinenfabrik UNION Chemnitz in der neuen VVB
Perspektiven nach mehrfachen Besitzerwechseln
Häufiges Auf und Ab bestimmten die Geschichte der UNION nach 1990: Nach ihrer
Umwandlung in die UNION Sächsische Werkzeugmaschinen GmbH wurde unter den
neuen Gesellschaftern – der Schiess AG Düsseldorf und der Klöckner & Co AG Duisburg –
die Entwicklung neuer Bohrwerke sofort eingestellt. 1996 musste Gesamtvollstreckung
beantragt werden, da mittlerweile alle Gesellschafteranteile von der Dörries Scharmann
AG Mönchengladbach übernommen worden waren und dieses Unternehmen in Konkurs
ging. Im gleichen Jahr wurde die Firma als Mitarbeitergesellschaft von 100 Mitarbeitern
unter der Bezeichnung UNION Werkzeugmaschinen GmbH Chemnitz neu gegründet und
mit der Entwicklung von zwei neuen Baukasten-Baureihen für Bohrwerke und Bearbeitungszentren begonnen. Aus der Konkursmasse der alten UNION erwarb das neue Unternehmen ein Grundstück mit Rohbaukomplex, stellte den Bau fertig, eröffnete Ende 1997
die neue Produktionsstätte und stellte bereits im September 1997 auf der Werkzeugmaschinenmesse »EMO 97« in Hannover die erste Neuentwicklung, das Bearbeitungszentrum
UNION PC 130 in Fahrständerausführung (Plattenbohrwerk) vor. In den folgenden Jahren
wurden verschiedene Ausführungen von Bohrwerken und Bearbeitungszentren entwikkelt und gebaut, ebenso Dreh-, Positionier-, Verschiebe- und Kipptische zur optimalen
Werkstückaufnahme sowie automatische Werkzeug- und Werkstückwechselsysteme.
Anfang 2007 übernahm die nimbus-Gruppe aus den Niederlanden die UNION; die Mitarbeiter-Gesellschaft ging 2009 in Liquidation und wurde – nachdem die Mitarbeiter ihre
Anteile an die neue Firma verkauften – 2011 aufgelöst.
Seit Juni 2011 gehört die UNION mit ihren 175 Mitarbeitern zur Siegener Herkules-Gruppe,
unter der nun die Bohrwerksentwicklung fortgesetzt werden soll. Es sind Investitionen
und ein Umsatzvolumen von 35 Millionen Euro geplant.
Dieter Bock
Monteure am Prüffeld, um 1965
Werbeprospekt für neue Bohrwerke
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UNTERNEHMERPORTRÄT ERNST ALBERT JORDAN
UNTERNEHMERPORTRÄT RUDOLF WACHSMUTH
Jordan & Timaeus
Jurist, Bankier und Vorsitzender der Handelskammer Leipzig
Ernst Albert Jordan
Rudolf Wachsmuth
I
R
m Jahre 1823 gründeten die Kaufleute Gottfried Heinrich
Christoph Jordan und August Friedrich Christian Timaeus
an der Alaunstraße in Dresden-Neustadt eine Fabrik zur
Herstellung von Kaffeeersatz. 1828 wurde dort eine Dampfmaschine aufgestellt. Neben Kaffeesurrogaten (Zichorien-, Runkelrüben-, Möhren-, Eichelkaffee) nahmen die Inhaber bald
auch die Produktion von »Dampfschocolade und Cacaoware«
auf. 1839 bot die Fabrik in Annoncen erstmals »Milch-Schokolade zu 1 Thaler per Pfund« an – also eher als Schweizer
Firmen, die gemeinhin als deren Erfinder gelten. Die Unternehmensgründer waren bald angesehene Persönlichkeiten. Jordan
war Mitbegründer der Aktienbrauerei auf dem Waldschlößchen (1836), Vorsitzender des Elbschifffahrtskomitees der
Dresdner Kaufmannschaft und Stadtverordneter in Dresden,
Timaeus wurde zum sächsischen und österreichischen Hoflieferanten ernannt.
Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Zichorien-, Schokolade- und
Zuckerwarenfabrik Jordan & Timaeus mit etwa 200 Arbeitern
als das »umfangreichste industrielle Etablissement Dresdens
und zugleich das größte seiner Art in Deutschland«. 1854 wurde
ein Zweigwerk in Bodenbach in Böhmen eröffnet. Dresden entwickelte sich damals zum Zentrum der deutschen Schokoladenindustrie; der »Verband deutscher Schokoladefabrikanten«
nahm seinen Sitz in der Elbestadt. Noch zu Lebzeiten der Firmengründer wurden deren Söhne Ernst Albert Jordan und
Albert Ferdinand Timaeus Teilhaber des Unternehmens. Ernst
Albert Jordan (1831–1892) folgte seinem Vater auch in der Tätigkeit als Abgeordneter und führende Persönlichkeit der Dresdner
Handels- und Gewerbekammer und der Dresdner Kaufmannschaft. Zudem war er Gründer der Aktiengesellschaft zur Erbauung des Alberttheaters. Anlässlich seines Ausscheidens als
Vizevorsteher des Stadtverordnetenkollegiums wurde der
Königlich-Sächsische Geheime Kommerzienrat 1878 zum Ehrenbürger von Dresden ernannt. Soziale und geschäftliche Erwä-
54
gungen werden ihn dazu bewogen haben, eine Betriebskrankenkasse sowie Werkswohnungen errichten zu lassen. Testamentarisch folgte 1892 noch die Eröffnung der »Ernst-JordanStiftung« zur Schaffung von Freistellen für unbemittelte
Lehrlinge an der Dresdner Handels-Lehranstalt.
Holger Starke
udolf Wachsmuth (1828 –1890) war der jüngste Sohn
eines Leipziger Kulturhistorikers. Nach dem Besuch der
Nikolaischule studierte er zwischen 1846 und 1850 Jura in
Leipzig und Heidelberg. Eine nachhaltige politische Prägung
erfuhr er durch seine Universitätslehrer sowie durch Mitglieder
des liberalen Deutschen Vereins, die Liberalismus und nationales Denken in Übereinstimmung zu bringen suchten. Nach dem
Studium trat Wachsmuth in die Dienste des Vereinsmitglieds und
Rechtsanwalts Theodor Cichorius. Er war maßgeblich am Freispruch der Leipziger Professoren Moritz Haupt, Otto Jahn und
Theodor Mommsen beteiligt, denen aufgrund ihrer Beteiligung
an der demokratischen Revolution von 1848/49 in einem politischen Prozess Hochverrat vorgeworfen worden war. Seit 1855 war
Wachsmuth selbstständiger Rechtsanwalt und Notar. Im folgenden Jahr wurde er zum juristischen Beirat der neu begründeten
Allgemeinen Deutschen Creditanstalt (ADCA) berufen, die sich
bis zur Reichsgründung 1871 zu einer der größten deutschen Banken entwickelte. Als Mitglied des Verwaltungsrates richtete
Wachsmuth sein Hauptaugenmerk auf die Bewahrung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Bank, die einen Geschäftsschwerpunkt im Gründungs- und Beteiligungsgeschäft hatte. In
der schwierigen außenpolitischen Situation vor und nach der
Reichsgründung, aber auch in Zeiten von Wirtschaftskrisen wie
der von 1857/59, zeichnete sich Wachsmuth durch großes unternehmerisches Geschick aus. 1882 wurde er Direktor der ADCA.
Wachsmuth versah zudem eine Vielzahl von Ehrenämtern, so als
Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der Leipzig-Dresdner
Eisenbahngesellschaft, im Stadtverordnetenkollegium und in der
Direktion der Gewandhauskonzerte. Prägenden Einfluss auf das
wirtschaftliche Leben in Leipzig nahm er als Mitglied und seit
1875 als Vorsitzender der Handelskammer. Der von ihm angeregte
Neubau der Leipziger Handelsbörse entstand 1886. 1889 wurde
Wachsmuth in die erste Kammer des sächsischen Landtages
gewählt. Er verstarb am 26. Juli 1890.
Ulrich Heß
55
Im Wetterwinkel der Konjunktur
Die Kammern zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Scheitern der Weimarer Republik
1918–1933
Das Gebäude der Handelskammer
zu Chemnitz, Carolastraße 4, 1926
Rechte Seite:
Teuerungsunruhen auf dem Wiener Platz
in Dresden, 1923
56
Am Ende des Ersten Weltkrieges war für die sächsische Wirtschaft und ihre Interessenvertretungen nichts mehr wie zuvor. Der mehr als vier Jahre andauernde und mit einer
schweren Niederlage für das Deutsche Reich endende Krieg hatte nicht nur die europäische Landkarte, sondern auch die gesamte Gesellschaft verändert. Die Störungen der weltwirtschaftlichen Beziehungen sowohl hinsichtlich der Rohstoffversorgung als auch der
Absatzmärkte konnten nur allmählich beseitigt werden. Hierunter litt die sächsische
Exportwirtschaft in besonderem Maße – eine Situation, die durch die protektionistische
Handelspolitik der Zwischenkriegszeit und die Instabilität der internationalen Währungsbeziehungen noch vertieft wurde.
Es war deshalb nicht überraschend, dass die Vertretung der Handelsinteressen eine der
wichtigsten Kammeraufgaben in den zwanziger Jahren wurde. Die krisenhafte Entwicklung
auf wirtschaftlichem Gebiet und die politische Mobilisierung – insbesondere am Kriegsende
und in den unmittelbaren Nachkriegsjahren – hatten zugleich zu sozialen Spannungen
geführt, die nur durch eine staatlich initiierte Sozialpolitik zeitweilig abgemildert werden
konnten. Die Forderung nach der »Sozialisierung«, also der Verstaatlichung der Industrie,
drängte die Unternehmer und damit auch die Kammern in die Defensive. Die damit verbundene Furcht vieler Unternehmer erschwerte es ihren Vertretern in den Kammern, eine der
neuen Situation gerecht werdende Interessenpolitik für die Unternehmen zu entwickeln.
Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges war Sachsen geografisch in eine Randlage geraten.
Der Zugang zum oberschlesischen Kohlerevier ging anfangs fast völlig verloren und
erreichte auch nach der Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen nie mehr jene Bedeutung wie vor dem Krieg. In der neu gegründeten
tschechoslowakischen Republik entstand der sächsischen Industrie bei Holzwaren,
Musikinstrumenten und Textilien ein ernsthafte Konkurrenz, die zwar ebenfalls unter der
ungünstigen Struktur der kleinen und mittleren Unternehmen litt, aber dies zumindest
durch niedrigere Löhne ausgleichen konnte. Sachsen hatte in der Folge der politischen
und sozialpolitischen Veränderungen seit 1918 seinen traditionellen Status als Niedriglohngebiet verloren und die sächsischen Unternehmer waren durch den veränderten Stellenwert der Tarifverträge in ihrem Handlungsspielraum wesentlich eingeengt.
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Erika-Schreibmaschine von
Seidel & Naumann, Dresden, um 1925
58
Die sozialdemokratisch geführten sächsischen Landesregierungen versuchten durch
eine aktive Sozialpolitik, mittels Erwerbslosenfürsorge, die Umschulung der Arbeitslosen, die Finanzierung neuer Arbeitsplätze in Notstandsgebieten und die Bekämpfung
der Überstunden den schwierigen Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft zu
meistern.
Die Unternehmerschaft, vor allem im Vogtland und im Erzgebirge, sah darin eine Weiterführung der im Krieg praktizierten Zwangswirtschaft und fühlte sich politisch bedroht.
Den Vertretern der Kammern ging es in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr wie
bis 1914 um den Erhalt und Ausbau ihrer Selbstverwaltungsrechte und um ihre Unabhängigkeit von der staatlichen Verwaltung. Jetzt ging es um ihre Existenz als eigenständige
Vertretung der Unternehmerschaft.
Die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens in der Zeit zwischen dem Kriegsende und der
Weltwirtschaftskrise kann am besten mit dem bereits in der Überschrift zitierten zeitgenössischen Aussage des Ökonomen Paul Bramstedt beschrieben werden: Sachsen war
zum Wetterwinkel der Konjunktur in Deutschland, ja in Mitteleuropa geworden. Die Wirtschaft reagierte sehr heftig auf die beiden Zwischenkrisen von 1921 und 1925/26. Bereits
seit 1927 machten sich erste Anzeichen der großen Weltwirtschaftskrise bemerkbar. Diese
Krisenabhängigkeit resultierte vor allem aus der Exportabhängigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen.
Trotz dieser problematischen Rahmenbedingungen gelang es in einer Reihe von Industriezweigen Zeichen zu setzen, die einen längerfristigen Erfolg ermöglichten. Der sächsische Maschinenbau konnte aufgrund seiner Technologie, dank der im weltweiten Vergleich niedrigen Kosten und auf der Basis der nachkriegsbedingten internationalen
Nachfrage am Beginn der 1920er Jahre expandieren. Die Chemnitzer Industrie soll nach
einer Aussage der dortigen Handelskammer schon 1923 wieder den Vorkriegsstand
erreicht haben. Demgegenüber blieben die Konsumgüterexporte wegen der wachsenden
Konkurrenz aus anderen Ländern zurück.
Auch zeichneten sich strukturelle Veränderungen in Sachsens Wirtschaft ab: In der
Region Leipzig entstand auf der Basis der Braunkohlenvorkommen ein wichtiger Standort
der deutschen Großchemie. Dieser war gewissermaßen ein Teil und Bindeglied zwischen
der traditionsreichen sächsischen Industrie und der sich in der Nachkriegszeit kräftig entwickelnden mitteldeutschen Wirtschaftsregion zwischen Hannover, Magdeburg, Leipzig
und Zeitz.
Die Exporte von Büromaschinen festigten den Ruf Sachsens als wichtiger Standort zur
Produktion moderner technischer Geräte. Die als staatliche Initiative während der Weltwirtschaftskrise vorgenommene Konzentration des Fahrzeugbaus in Chemnitz, Zwickau
und Zschopau in der Auto Union wurde zum Ausgangspunkt für die überregional bedeutsame sächsische Fahrzeugproduktion. Das staatliche Unternehmen Aktiengesellschaft
Sächsische Werke (ASW) war in der Lage, den Unternehmen preisgünstigen Strom zu liefern. In der ASW wurde auch eine neue betriebliche Sozialpolitik etabliert – in einer vergleichbaren Qualität wie in den Großunternehmen der chemischen Industrie. Die Kritiker
staatlicher Wirtschafts- und Sozialpolitik nahmen dies zum Anlass, das Unternehmen in
den in der sächsischen Politik und Verwaltung tobenden Streit über den Einsatz von Steinbeziehungsweise von Braunkohle in der heimischen Industrie hineinzuziehen. Während
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
traditionell der heimischen Steinkohle der Vorzug gegeben worden war, erstarkte allmählich das Lager derjenigen, die aus Kostengründen auf die reichen Braunkohlelager – auch
außerhalb des Landes – orientierten.
Der Dresdner Kammerbezirk hatte sich seit Beginn des Jahrhunderts zur zweitwichtigsten
sächsischen Wirtschaftsregion entwickelt, in dem Fertigwaren, beispielsweise Erzeugnisse der Steingut- und Glasfabrikation, Nähmaschinen, fotografische Apparate, Dauerback- und Teigwaren, Zuckerwaren, Schokolade und Zigaretten große Teile der Produktion
ausmachten. Gleichzeitig wurden aber auch hochwertige Stähle und Walzerzeugnisse hergestellt.
Die sächsischen Kammern beobachteten die Veränderungen des Umfeldes für die Unternehmen und suchten ihren Einfluss insbesondere in der Phase der Demobilmachung
sowie in Fragen der Währungs- und Finanzpolitik geltend zu machen.
Seit 1926 wurde unter den sächsischen Unternehmern und in den Verwaltungsbehörden
diskutiert, ob nicht die Kammern als Industrie- und Handelskammern weitergeführt werden sollten. Damit wollte man dem größeren Gewicht der Industrie in der sächsischen
Wirtschaft Rechnung tragen. Am 21. März 1929 wurde das Gesetz über die IHK und die
Gewerbekammern in Sachsen wirksam; den Kammern sollte durch das neue Gesetz die
Möglichkeit gegeben werden, die Gesamtinteressen der Wirtschaft besser zu wahren. Die
Handelskammern wurden in Industrie- und Handelskammern umbenannt. Nach den
gesetzlichen Vorschriften hatten die beiden Kammertypen die Aufgabe, als sachverständige Organe die Regierung zu beraten, die Interessen von Handel, Industrie und Gewerbe
Blick auf den Abraum-Absetzer im
Braunkohletagebau Hirschfelde, 1925
59
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
zu vertreten. Auch oblag ihnen die Verwaltung von Handelsschulen und Börsen. Im Freistaat Sachsen existierten zu dieser Zeit Kammern in Chemnitz, Dresden, Leipzig, Plauen
und Zittau.
Die Zahl der Mitgliedsunternehmen der IHK Chemnitz und deren Branchenverteilung lässt
Rückschlüsse auf die hohe Bedeutung und die Besonderheiten der Wirtschaft des Kammerbezirkes zu: 1922 wies die Kammer 12.127 Mitgliedsunternehmen mit etwa 300.000 Beschäftigten auf. 1.561 Unternehmen gehörten zur Textilindustrie, 469 zum Maschinenbau. Der
Bezirk der IHK Chemnitz umfasste die Stadt Chemnitz und die Amtshauptmannschaften
Chemnitz, Annaberg, Flöha, Glauchau, Marienberg, Stollberg, Borna, Döbeln und Rochlitz.
Die Handelskammer Plauen umfasste die Städte Plauen und Zwickau und neben den beiden gleichnamigen Amtshauptmannschaften auch die Amtshauptmannschaft Auerbach,
Oelsnitz und Schwarzenberg.
Die Dresdner Kammer war für die Unternehmen innerhalb der Kreishauptmannschaft
Dresden und der Amtshauptmannschaft Oschatz zuständig. 1929 zählte sie 9.777 Mitglieder, davon 4.196 aus der Industrie, 3.702 aus dem Groß- und 1.879 aus dem Einzelhandel.
Die Industrie- und Handelskammer Zittau war die zuständige Einrichtung für die Unternehmen der Kreishauptmannschaft Bautzen. 1929 wies sie 2.593 Mitglieder auf, 1.407 aus
dem Bereich der Industrie. 631 gehörten zum Großhandel, 1.879 zum Einzelhandel.
Der Bezirk der Leipziger Kammer wurde 1929 um die Amtshauptmannschaften Borna und
Grimma erweitert. Danach gehörten demselben nun 10.388 wahlberechtigte Unternehmen
an, von denen 2.772 zur Industrie zählten. Dem Großhandel waren 6.244 Mitgliedsunternehmen zuzuordnen, dem Einzelhandel 1.372, was die Spezifik des Kammerbezirks der
Messestadt erkennen lässt.
Die Berufsausbildung wurde vor dem Hintergrund der Rationalisierung und des raschen
technischen und technologischen Fortschritts immer wichtiger. In der Weimarer Republik
oblag den Kommunen die Verantwortung für die Berufsschulen. Die Kammern unterstützten eine ganze Reihe dieser Schulen; insbesondere lag ihnen die Qualität der Ausbildung
an den Handelsschulen am Herzen. Wenngleich inzwischen Handelshochschulen, auch
die Leipziger, in staatliche Trägerschaft übergegangen waren, unterstützten die sächsischen Kammern nach wie vor die von ihnen gegründete Einrichtung.
Die sich in Sachsen seit 1927 abzeichnende Wirtschaftskrise traf das Land mit ganzer
Härte. Reichskanzler Gustav Stresemann hatte auch Sachsen im Blick, als er 1928 auf der
Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) darauf verwies, dass
außerhalb Europas die Produktion gegenüber dem Vorkriegsstand um 30 bis 40 Prozent
zugenommen habe, in Europa hingegen noch nicht einmal das Niveau von 1913 erreicht
worden sei. In der Weltwirtschaftskrise seit 1929 gingen schließlich Tausende Unternehmen in die Insolvenz, andere wurden außerordentlich geschwächt. Besonders betroffene
Branchen waren die Textilindustrie und der Handel. Die internationalen Handelsbeziehungen verringerten sich auf ein Minimum. In der hoch industrialisierten Region grassierte die Arbeitslosigkeit.
Der Zusammenbruch des internationalen Finanzmarktes hatte gravierende Folgen für die
Exportwirtschaft. Um deren Lage zu verbessern, unterstützte zum Beispiel die IHK Chemnitz den Russlandausschuss der deutschen Wirtschaft, da die Maschinenbaufirmen der
Stadt und der Region von sowjetrussischen Importaufträgen profitierten.
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DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Das Gebäude der 1898 auf Initiative
der Handelskammer Leipzig gegründeten
Handelshochschule
Schülerzahlen an der Öffentlichen
Höheren Handelslehranstalt zu Leipzig
61
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Der vom Reich und vom Land eingeschlagene Weg aus der Krise war wirtschaftspolitisch
umstritten. Wie die Reichregierung unter Kanzler Brüning setzte auch die sächsische
Landesregierung unter Ministerpräsident Schieck auf eine deflationistische Politik des
Sparens und der Ausgabenreduzierung. Trotzdem wies Sachsen 1931 den höchsten ProKopf-Schuldenstand aller deutschen Länder auf.
Die sächsischen Unternehmer, ihre Kammern und der Verband der Sächsischen Industriellen (VSI) hatten bereits seit 1925 eine Neuorientierung der Sozialpolitik mit dem Ziel
gefordert, die finanziellen Belastungen des Staates, der Kommunen und der Unternehmen
zu reduzieren. Problematisch hieran war, dass insbesondere die sächsische Wirtschaft
aufgrund der Krise der Weltwirtschaft von der deutschen Binnennachfrage anhängig war.
Deren Schwächung hatte Konsequenzen für die Absatzmöglichkeiten der sächsischen
Konsumgüterindustrie, zumal die Steigerung der Exporte wegen des Protektionismus in
der internationalen Wirtschaft bereits in den »Goldenen Zwanzigern« geringer war als
das Wirtschaftswachstum.
1928 trat mit Wilhelm Wittke einer der schärfsten Kritiker der staatlichen Sozialpolitik an
die Spitze des wichtigsten und auch in den Kammern einflussreichen Unternehmerverbandes. Die Forderung nach Abbau der staatlichen Verschuldung durch den Abbau der
sozialen Leistungen resultierte nicht zuletzt aus der schwierigen wirtschaftlichen Lage
der Mehrheit der Mitgliedsunternehmen.
Nach 1930 wurden Staatsinterventionen zum wichtigsten Bestandteil des wirtschaftlichen
Krisenmanagements: Mit der Förderung von Kartellen in Schlüsselindustrien, mit Staatsbeteiligungen im Bankensektor, die als rettende Stützungsmaßnahmen verstanden wurden, und Vorschriften wie jenen zur Devisenbewirtschaftung gelangten zentrale Bereiche
Auf den »Jahresschauen Deutscher Arbeit«
konnte sich die sächsische Wirtschaft einem
Millionenpublikum präsentieren. Im Bild das
Dresdner Ausstellungsgelände mit dem Ausstellungspalast, dem Planetarium, dem Presseturm und dem zur Ausstellung »Die technische Stadt« (1928) eingeweihten Kugelhaus.
62
Wartende Menschen vor dem Arbeitsamt in
der Gerberstraße in Leipzig, 1932
der Volkswirtschaft unter staatliche Kontrolle. Nach dem Übergang der Macht an die
Nationalsozialisten 1933 sollte sich die NS-Führung dieser staatlichen Befugnisse sowie
der Beteiligungen an Unternehmen bedienen, um die Volkswirtschaft im Sinne des »Führerprinzips« umzugestalten.
Obgleich es kaum Differenzen im Unternehmerlager im Hinblick auf die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik gab, kam es 1932 und 1933 zu scharfen Auseinandersetzungen
zwischen der Mehrheit der Unternehmer Sachsens und radikal gesinnten nationalsozialistischen Firmeninhabern. Bei den IHK-Wahlen von 1932 versuchte die NSDAP, die Mehrheit in den Kammern zu erobern, scheiterte aber an der Fähigkeit des VSI, seine Anhänger
zu mobilisieren. Die Anfechtung der Wahlen durch die NSDAP wurde zurückgewiesen,
worauf die Nationalsozialisten auch in Sachsen aggressiv die Führung der Kammern
angriffen. Sie erklärten, dass die IHK nur die Interessen der »hundertjährigen Unternehmen« vertreten würden und außerdem von Juden und Freimaurern unterwandert wären.
Die Masse der kleinen und mittleren Unternehmen bekämen hingegen in den Kammern
keinerlei Unterstützung. Damit deutete sich schon die vom nationalsozialistischen Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes vorgegebene Angriffsrichtung gegen die gewählten
Führungen der Kammern an.
Ulrich Heß
63
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Großkraftwerk Böhlen
Für den »Nutzen billiger
elektrischer Arbeit«
Das Großkraftwerk Böhlen war Teil des Verbundes zur sächsischen Elektrizitätsversorgung, der seit 1917 und vor allem nach Kriegsende in den 1920er Jahren aufgebaut wurde.
Laut Beschluss des sächsischen Landtages war mit diesem Energieverbund beabsichtigt,
den »Nutzen billiger elektrischer Arbeit durch die Fürsorge des Staates nach und nach
allen Landesteilen zukommen zu lassen, der unwirtschaftlichen Zersplitterung der Stromversorgung durch planvolles Zusammenfassen der bestehenden lebensfähigen Anlagen
abzuhelfen und die Bodenschätze und Naturkräfte des Landes in umfassender Weise in
den Dienst der Elektrizitätsversorgung zu stellen«. Die AG Sächsische Werke (ASW), in
deren Auftrag das Kraftwerk Böhlen gebaut wurde, entstand mit dem Ziel, die auf eine
große Anzahl von Gemeinden und privaten Elektrizitätswerken verteilte Versorgung Sachsens mit Strom auf der Basis der im Lande vorhandenen Braunkohle zu konzentrieren.
Ihre Gründung erfolgte am 13. November 1923. Aufgrund eines am 14. März 1924 mit dem
Freistaat Sachsen abgeschlossenen Vertrages übernahm die ASW die bereits bestehenden
staatlichen Braunkohle- und Elektrizitätsunternehmen. Als erstes war 1907/08 das Braunkohlenwerk Herkules in Hirschfelde bei Zittau errichtet und 1911 ein Kraftwerk eingeweiht
worden. Der Ausbau zum Großkraftwerk Hirschfelde erfolgte 1918/20, womit der Grundstock zur sachsenweiten Energieversorgung gelegt wurde.
FIRMENPORTRÄT GROSSKRAFTWERK BÖHLEN
Die weltweit erste Abraumförderbrücke beim Braunkohleabbau
Das mitteldeutsche Braunkohlenrevier wurde nach dem Ersten Weltkrieg und seinen territorialen Folgen rasch zu einem der wichtigsten Energielieferanten Deutschlands.
Als 1921 der Tagebau Böhlen aufgeschlossen wurde, begann eine Zeit der Energieversorgung auf Braunkohlenbasis, die in der Region um Böhlen bis in die Gegenwart fortgeführt
wird.
Der Böhlener Tagebau lag mitten im Leipzig-Bornaer Braunkohlevorkommen. Er war zu
seiner Eröffnung der größte Tagebau der Welt. Erstmals wurde beim Braunkohleabbau
der Einsatz einer Abraumförderbrücke vorgesehen. Am 25. März 1921 begann mit dem Einsatz des Baggers 1 der Aufschluss. Wie damals üblich, wurde der Bagger von einer Dampfmaschine angetrieben. Er verfügte über 250-Liter-Kratzeimer. 300 Kubikmeter Abraum
oder Kohle konnten damit pro Stunde abgebaut werden. 1929 wurde der Bagger auf Elektroantrieb umgerüstet. Im April 1922 kam ein weiterer 500-Liter-Bagger im hinzu, der das
Oberflöz freilegte. Aus diesem wurde 1924 die erste Kohle abgebaut.
Hochspannungsleitungen im
Freistaat Sachsen, Stand August 1930
Luftaufnahme des Braunkohle- und
Großkraftwerks Böhlen, vor 1930
64
65
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Mit einem Verhältnis Abraum zu Kohle von 2,05 zu 1 war die Förderung relativ kostengünstig. Der Abraum setzte sich aus Löß, Lößlehm, Geschiebelehm, Kies, Meeressanden, Ton
und Sand zusammen. Im Gegensatz zu früheren Aufschlüssen wurde in Böhlen auf eine
vorhergehende Entwässerung des Abbaufeldes durch Schächte und Strecken verzichtet.
Während des Aufschlusses ereignete sich 1927 eine erste schwere Havarie. Am 27. Juni 1927
brach zwischen 7.00 und 7.30 Uhr der westliche Damm der Ringspülkippe. Schlammmassen ergossen sich in die Tagebauausfahrt und in den Ort Lippendorf.
Das Maschinenhaus des Großkraftwerkes
Böhlen, vor 1930
Grube mit Förderbrücke in Böhlen,
1930er Jahre
66
Benzin für die Autarkie
Rund 50 Prozent der in Böhlen geförderten Kohle wurden zur Verstromung genutzt. Das
Großkraftwerk Böhlen wurde im Gegendruck- und Kondensationsverfahren betrieben. Mit
einer Gesamtleistung von 209.500 Kilowatt war es das viertgrößte Kraftwerk Deutschlands.
1926 entstand in der Region ein weiteres Industriekraftwerk, das die Chemiefabrik Böhlen
mit Strom versorgte. Mit der Entwicklung der Karbochemie auf der Basis von Braunkohle
erweiterte sich das Produktionsspektrum der Böhlener Braunkohlenindustrie wesentlich.
Böhlen wurde damit zu einem der wichtigsten Standorte nicht nur der Energiegewinnung,
sondern auch der chemischen Industrie in Mitteldeutschland.
Im Zuge der Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Konzentration auf die
Forschung und Entwicklung von Treibstoffen auf Braunkohlebasis und die Überleitung
dieses Verfahrens in die Produktion. In den Jahren 1936 bis 1941 wurden Werksteile für
das Abscheiden von Phenol, das Gaswerk und für die Schwefelgewinnung errichtet. Zur
Produktpalette zählten Briketts, Dampf, Elektroenergie und Gas sowie Phenolatlauge,
Teer, Leichtöl, Industriekoks und Schwefel. Die Auswahl des Standortes Böhlen für die
erste Großanlage erfolgte nicht nur wegen der zustimmenden Haltung der in staatlicher
Hand befindlichen ASW, sondern auch wegen der chemischen und physikalischen Eigen-
FIRMENPORTRÄT GROSSKRAFTWERK BÖHLEN
schaften der im Weiße-Elster-Becken anstehenden Braunkohle. Sie war für die Verschwelung besonders gut geeignet. Mit der Entscheidung zum Bau des Benzinwerkes musste
die Jahresleistung des Tagebaus Böhlen als Rohstofflieferant von 3 auf 6 Millionen Tonnen
Braunkohle, also um 100 Prozent gesteigert werden. Böhlen konnte sich als Gemeinde
wesentlich erweitern. ASW und andere Industrieunternehmen beteiligten sich am Bau
von Siedlungen im Ort.
Zerstörung von Orten und Landschaft
Das Abbaufeld des Tagebaus, der später in Tagebau Zwenkau umbenannt wurde,
erstreckte sich in der weiteren Entwicklung des Standortes von Böhlen nach Norden bis
nach Markkleeberg. Die Ostgrenze bildete die Eisenbahnlinie Leipzig – Altenburg, die
Westgrenze die Stadt Zwenkau. Nach 1970 wurde das Abbaufeld nach Westen bis an
die Gemarkung Kleindalzig – Zitzschen erweitert. Bereits bei der Planung des Tagebaus
Böhlen wurde die unter dem Dorf Zeschwitz liegende Kohle in den Kohlevorrat des Feldes
einbezogen. Damit stießen die Verantwortlichen des staatlichen sächsischen Kohle- und
Energieunternehmens auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung, denn Zeschwitz war
ein beliebter Ausflugsort der Leipziger Einwohner. Auch die geplante Abbaggerung des
Harthwaldes stieß auf massive Kritik. Doch sowohl Zeschwitz, als auch der Harthwald
wurden devastiert. Am 1. Mai 1943 war die Räumung des Ortes abgeschlossen. Damit
wurde erstmals in Mitteldeutschland ein Dorf vollständig für die Gewinnung der Braunkohle abgebrochen. Nach Zeschwitz fielen bis zur Einstellung des Abbaus im Tagebau
Zwenkau noch die Orte Prödel, Cospuden, Bösdorf und Eythra dem Braunkohlenabbau
zum Opfer. Von Großdeuben, Gaschwitz, Zöbigker, Hartmannsdorf, Knauthain und Zwenkau wurden Teile in Anspruch genommen.
Petrolchemisches Kombinat »Otto Grotewohl«,
Reaktionskolonnen des Winkler-Generators,
um 1984
Vom Symbol des Scheiterns zum effektivsten Braunkohlekraftwerke der Welt
1944/45 wurden die Kraftwerks- und Industrieanlagen bei Luftangriffen schwer zerstört.
Am Kriegsende wurde Böhlen von der US-Armee besetzt, bevor es in die sowjetische Besatzungszone eingegliedert wurde. Am 1. August 1946 ging es als Reparation Deutschlands
in das Eigentum der UdSSR über. Bereits am 1. Juni 1946 wurde aus der Braunkohle-Benzin-AG, Werk Böhlen, und dem Braunkohlen- und Großkraftwerk Böhlen der Aktiengesellschaft Sächsische Werke die Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) Kombinat Böhlen
gebildet. Ihr Produktionsprofil umfasste die Förderung von Braunkohle, deren Weiterverarbeitung zu Briketts und Benzin sowie weiterhin die Verstromung. Im Mai/Juni 1952 übergab die UdSSR das Kombinat in das Eigentum der DDR. Die neue Firmenbezeichnung lautete VEB Kombinat Böhlen, ab 22. November 1952 VEB Kombinat »Otto Grotewohl« Böhlen.
Am 1. Januar 1969 wurden die Kombinate Böhlen, Espenhain und Rositz zum VEB ErdölVerarbeitungs-Kombinat »Otto Grotewohl« Böhlen zusammengelegt. Mangel an Finanzen
und an technischen Ressourcen führten dazu, dass die mitteldeutsche Braunkohleindustrie zu einem Symbol des Scheiterns der DDR wurde.
Die Tradition der Kohleverstromung wird heute in der Region Böhlen durch das Kraftwerk
Lippendorf weitergeführt. Das Unternehmen Vattenfall Europe, Tochter des schwedischen
Staatskonzerns Vattenfall AB, betreibt seit dem Jahre 2000 dieses als eines der effektivsten
Braunkohlekraftwerke der Welt.
Ulrich Heß
67
UNTERNEHMERPORTRÄT HEINRICH ERNEMANN
UNTERNEHMERPORTRÄT OTTO MORAS
Heinrich Ernemann AG
Wagner & Moras AG
Heinrich Ernemann
Otto Moras
H
tto Moras (1871 –1945) wurde als Sohn eines Zittauer
Textilfabrikanten geboren. Seit 1899 bauten Vater und
Sohn Moras in Zittau eines der größten deutschen Textilunternehmen auf, das seit 1911 als Wagner & Moras AG firmierte. 1923 entstanden daraus die »Vereinigten Deutschen Textilwerke AG«. Nach der Übernahme der Aktienmehrheit der
Baumwollspinnerei Speyer im Jahr 1931 betrieb Moras mit
knapp 200.000 Spindeln, 4.000 Webstühlen und fast 5.000 Mitarbeitern eines der größten deutschen Textilunternehmen. Als
Folge der Weltwirtschaftskrise 1931 in Schwierigkeiten geraten,
wurde 1933 die Aktiengesellschaft aufgelöst. Moras, früher Vorstandsmitglied der Vereinigten Textilwerke Wagner & Moras AG
Zittau, erwarb 1932 die zu dieser Gesellschaft gehörige Zittauer
Futterstoffweberei und -schlichterei und wandelte sie in die
Gebrüder Moras AG Zittau um.
Schon in der Zeit des Kaiserreiches verband ihn eine enge
Freundschaft mit dem damaligen Syndikus des Verbandes Sächsischer Industrieller (VSI) Gustav Stresemann, der in der Weimarer Republik Reichskanzler und Reichsaußenminister werden
sollte. Otto Moras zählte zu den politisch einflussreichsten Unternehmern in Sachsen. Von 1918 bis 1928 war er 1. Vorsitzender des
VSI und Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen
Industrie. Scharf griff er mehrfach die von den Reichs- und Landesregierungen nach dem Ersten Weltkrieg betriebene Finanzund Sozialpolitik an. Noch in der Weltwirtschaftskrise forderte
er die Entschuldung von Reich und Land. Gegenüber der NSDAP
hielt er Distanz und versuchte den VSI auf diesem Kurs zu halten.
Über seine Rolle als Unternehmer in der Zeit zwischen 1933 und
1945 ist bislang wenig bekannt. Im Oktober 1943 empfahl der für
die Kriegsrüstung zuständige Minister Albert Speer die Stilllegung des Moras’schen Unternehmens. Da der Zittauer Raum
damals noch als luftkriegssichere Region galt, wurde im März
1944 in der Gebr. Moras AG eine Produktionsstätte der Dessauer
Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG eingerichtet. In Zittau
sollte unter anderem das Triebwerk für das Jagdflugzeug Messerschmitt Me 262 gefertigt werden – das erste serienreife Strahltriebwerk der Welt.
Ulrich Heß
einrich Ernemann (1850–1928) wurde 1850 im Eichsfeld
geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, ehe
er in die sächsische Residenz übersiedelte. 1889 wurde
der technisch gebildete Kaufmann Teilhaber einer kleinen Kameratischlerei und war fortan führend an der Entwicklung der Fotound Kameraindustrie und am Aufstieg Dresdens zu deren zentralen Standort beteiligt. Seine Firma, die 1899 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, entwickelte sich zu einem Weltunternehmen.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts bestimmten die Ernemann-Werke
den Spitzenstandard der Branche mit. Die aufwändig gearbeiteten Kameras wurden anfangs für vermögende Fotoamateure,
später auch für die populäre Atelierfotografie produziert.
Bei der Durchsetzung des Films spielte das Unternehmen eine
herausragende Rolle. Der Filmprojektor »Imperator« hatte nahezu eine Monopolstellung auf dem internationalen Markt inne;
Amateure griffen zu Ernemanns Heimprojektoren. Innovative
Entwicklungen wie die »Zeitlupe« von Hans Lehmann kamen im
Ersten Weltkrieg bei Produkten wie der Maschinengewehrkamera
zum Einsatz. Die der per Feldpost lieferbare Kleinkamera für Soldaten und die Kleinbildkameras für Amateurfotografen in den
1920er Jahren machten den Fotoapparat zum Massenkonsumgut.
Für professionelle Bedürfnisse wurde die »Ermanox« entwickelt.
Der Geschäftserfolg Ernemanns beruhte auf der soliden Ausbildung der Mitarbeiter, der hochstehenden Forschung und Entwicklung, einem ideenreichen Reklamefeldzug und der straffen Organisation des Fabrikbetriebs nach betriebswirtschaftlichen
Kriterien. Leistungsorientierte Bezahlung und betriebliche Sozialpolitik dienten der Motivation der Belegschaft. Heinrich Ernemann war Vorstandsmitglied des Dresdner Gewerbevereins und
der Ortsgruppe des Verbandes Sächsischer Industrieller und im
Exportverein für das Königreich Sachsen engagiert. 1913 wurde er
zum Kommerzienrat und 1918 zum Ehrendoktor der TH Dresden,
die er großzügig förderte, ernannt. 1925/26 brachte er die Ernemann-Werke in den größten europäischen Kamerakonzern Zeiss
Ikon AG ein, womit der bedeutsame Rang der mitteldeutschen
Kamera- und Fotoindustrie gesichert war.
Holger Starke
68
O
Heinrich Ernemann, Porträtaufnahme, angefertigt anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Dresden, 1918
Otto Moras, Zittau, in Fa. Vereinigte Deutsche Textilwerke A.-G.
Vorsitzender des Verbandes Sächsischer Industrieller, 1918 –1928
69
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Waggonbau in Bautzen
Die Erfinder des »Hechtwagens«
Dampfspritzenwerkstatt,1878
»Arbeitsordnung« der Wagenbauanstalt und
Waggonfabrik für elektrische Bahnen zu
Bautzen, 1898
70
Der heute zum kanadischen Bombardier-Konzern gehörende Waggonbau Bautzen geht
auf die 1846 eröffnete »Eisengießerei- und Maschinenbauanstalt von Petzold & Centner«
zurück. Johann Samuel Friedrich Petzold war Besitzer eines Eisenhammerwerks, Friedrich
August Centner Techniker.
Zur Ansiedlung von Industrieunternehmen hatte der Rat der Stadt Bautzen 1838 damit
geworben, die benötigten Flächen unentgeltlich zur Verfügung stellen zu wollen. Petzold
und Centner waren die ersten Unternehmer, die dieses Angebot nutzten und so die Industrialisierung in der Lausitz wesentlich voran brachten. Bis dahin war dort die Textilherstellung dominierend, und die Eisenbahn von Dresden nach Bautzen stand gerade kurz
vor der Vollendung. Mit 20 Arbeitern beginnend, hatte sich das Unternehmen bis 1860
auf das Doppelte vergrößert und auf Gießereiartikel, Maschinenteile und Feuerwehrgeräte
spezialisiert.
Nach Ausscheiden seines Partners firmierte sich das Werk in »Lausitzer Maschinenfabrik
vormals C. F. Petzold« um. 1878 wurde die erste Dampf-Feuerspritze ausgeliefert; sie ging
an die Berliner Feuerwehr. Bald wurde Bautzen in Deutschland Marktführer für Dampfspritzen, die anfangs noch von Pferden gezogen wurden, bis man um 1900 zu den Automobil-Dampfspritzen überging. Eine der ersten wurde im April 1903 an die Stadt Dresden
geliefert.
FIRMENPORTRÄT WAGGONBAU IN BAUTZEN
Zu dieser Produktion kamen ab 1902 große Aufträge der Sächsischen Staatsbahn für Güterund Personenwagen hinzu.
Nach einem Brand des Werkes im Jahr 1908 erfolgte eine bauliche Erweiterung. 1911 erhielt
das Werk auch einen Gleisanschluss. Bis dahin wurden die Erzeugnisse mit Pferdefuhrwerken zum Güterbahnhof transportiert.
Als 1921 das 75-jährige Bestehen gefeiert wurde, produzierte die Waggon- und Maschinenfabrik AG vormals Busch Bautzen etwa 4.000 Schienenfahrzeuge im Jahr – neben Güterwagen und Reisezugwagen auch elektrische Lokomotiven, Wagen für die Berliner S-Bahn,
Triebwagen und Steuerwagen für Eisenbahnen und Straßenbahnen.
Scharfenberg-Kupplungen für die S-Bahn
Anfang der 1920er Jahre arbeitete man mit der Waggonfabrik Steinfurt in Königsberg
zusammen. Diese besaß bereits Erfahrungen beim Bau von Scharfenberg-Kupplungen,
die neben der mechanischen Verbindung auch die automatische Verbindung der elektrischen Leitungen zwischen den Wagen ermöglichten. Die beiden Firmen gründeten
gemeinsam 1922 die Scharfenberg-Kupplung AG.
Ansicht des Werkes vor der Erweiterung,
für die der nahe gelegenene Fluss Spree
verlegt wurde, 1907
Straßenbahnwagen für Hamburg und Buenos Aires
Als zweite Firma entstand Anfang 1897 in Bautzen die »Wagenbauanstalt und Waggonfabrik für elektrische Bahnen vormals W. C. F. Busch«. Wilhelm Conrad Friedrich Busch
war ein Fabrikbesitzer aus Hamburg, der dort bereits 1878 Pferdebahnwagen für die Hamburger Straßenbahn geliefert hatte. Schon 1897 wurden die ersten Straßenbahnwagen im
Bautzener Werk gebaut, und 1911/12 die gesamte Fertigung aus Hamburg nach Bautzen
verlagert.
Die Produktion wuchs, begünstigt durch den damals hohen Bedarf an modernen, elektrisch angetriebenen Straßenbahnwagen. So bestellte zum Beispiel die Stadt Bad Schandau für ihre 1898 eröffnete Kirnitzschtalbahn eine Serie von Triebwagen, 1903 bezog
Buenos Aires als erste ausländische Stadt Straßenbahnwagen aus Bautzen.
Zwischen 1900 und 1910 beteiligte sich die Firma an der renommierten Waggonbaufirma
George F. Milnes in Birkenhead (bei Liverpool), wo die ersten europäischen Straßenbahnwagen gebaut worden waren. Aus Bautzen wurden Fahrgestelle und Rohbau-Wagenkästen
geliefert, die man in Birkenhead komplettierte.
71
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Straßenbahnwagen für die Berliner Grunewaldbahn, 1905
Straßenbahn Dresden:
Triebwagen 1724 »Großer Hecht«
72
Als Mitte der 1920er Jahre in Berlin der Umbau des Eisenbahn-Nahverkehrs auf elektrischen Antrieb begann, schloss die Deutsche Reichsbahn mit einem Konsortium aus sechs
großen Waggonbaufirmen einen Vertrag über die Lieferung von insgesamt 1.276 S-BahnFahrzeugen ab. Bautzen hatte daran einen Anteil von etwa 17 Prozent. Bemerkenswert
war die Forderung der Reichsbahn nach Austauschbarkeit aller Teile unabhängig vom
Hersteller, was ein gemeinsames Konstruktionsbüro sowie die Normung von Werkzeugschablonen und Teilen erforderte.
Bei der Berliner S-Bahn fanden die Scharfenberg-Kupplungen ihr erstes großes Einsatzgebiet – sie waren Bestandteil des Bautzener Lieferprogramms bis in die 1980er Jahre.
Von den in dieser Zeit produzierten Straßenbahnwagen ist der 1925 für die Lockwitztalbahn bei Dresden gebaute Triebwagen 9 als Traditionswagen bei der Kirnitzschtalbahn
bis heute erhalten. Er besaß als technische Besonderheit Einachsdrehgestelle.
Am 5. Juli 1928 fusionierten die »Waggon- und Maschinenfabrik AG vormals Busch Bautzen« mit der »Linke-Hofmann AG Breslau« zur »Linke-Hofmann-Busch AG« (LHB).
Damit war einer der größten Konzerne in Deutschland entstanden, den aber bald die Weltwirtschaftskrise erreichte. Im Werk Bautzen sank die Beschäftigtenzahl auf 300. In dieser
Situation beschloss der Konzern eine strukturelle Reorganisation, um ȟbersichtlichere
und selbstständige Betriebseinheiten zu bilden, die mit dem örtlichen Wirtschaftsleben
enger verbunden sind«. So wurde die Fusion wieder aufgehoben und das Werk Bautzen
selbstständig.
Von den in Bautzen Anfang der 1930er Jahren gebauten Straßenbahnwagen ist besonders
der gemeinsam mit Christoph & Unmack Niesky gebaute »Hechtwagen« zu erwähnen, der
in Dresden zum Einsatz kam. Er war ein wesentlicher Schritt zum modernen Straßenbahnwagen, der zum aufkommenden Kraftfahrzeug konkurrenzfähig war. Ab 1939 konzentrierte sich die Produktion auf den Eisenbahn-Waggonbau und Gießereiprodukte.
»Ferkeltaxen« und Salonwagen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mussten von 1.350 Maschinen über 1.000 abgebaut und als Reparationsleistung in die Sowjetunion transportiert werden. Trotzdem
konnten noch im Laufe des Jahres 1945 Reparaturen an Güterwagen und Reisezugwagen
sowie Wagen der Berliner S-Bahn durchgeführt werden.
Das Werk stand zunächst unter sächsischer, ab 1946 als Waggonfabrik der Sowjetischen
AG für Transportmittelbau unter sowjetischer Verwaltung, kam aber 1947 wieder unter
deutsche Administration und wurde der Industrievereinigung LOWA (Lokomotiv- und
Waggonbau) angegliedert.
1948 konnte man neben Reparaturaufträgen auch wieder Neubauten übernehmen.
Es wurden Weitstrecken-Reisezugwagen für die sowjetische Eisenbahn gefertigt, aber auch
112 sogenannte Weinkühlwagen, die zwei Kessel und ein Personalabteil in der Mitte
besaßen und sicher nicht zum Transport von Wein dienten. Auch für den Bedarf des
eigenen Landes wurde wieder produziert. Neben Reparatur und Neubau von Eisenbahnwaggons und Reisezugwagen wurden von 1956 bis 1960 auch Doppelstockbusse gebaut,
die unter anderem im Stadtverkehr von Berlin, Leipzig, Hoyerswerda zum Einsatz kamen.
Der Bau von Straßenbahnwagen dagegen wurde in anderen Standorten konzentriert, vor
allem im Waggonbau Gotha.
FIRMENPORTRÄT WAGGONBAU IN BAUTZEN
Mittelpufferkupplungen, System Scharfenberg,
mit Steuerleiste für Triebwagen
Unter den in den 1960er Jahren gebauten Eisenbahnfahrzeugen waren neben Reisezugwagen unterschiedlicher Konstruktion auch im Volksmund als »Ferkeltaxen« bezeichnete zweiachsige Leichttriebwagen mit Dieselmotor sowie zwei Triebwagen des Prototyps
eines vierachsigen Dieseltriebwagens, der aber nicht in Serie ging. Auch Reisezugwagen
mit spezieller Ausstattung und Salonwagen wurden produziert, so für den DDR-Regierungszug. In den Konstruktionsbüros arbeitete man an der Weiterentwicklung von Weitstrecken-Reisezugwagen, aber auch an der geplanten und nie realisierten Mittelpufferkupplung.
Moderne Nahverkehrs-Fahrzeuge
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands stand der Waggonbau vor der Aufgabe, die
vorhandenen Standorte zu sichern. 1990 wurde der Waggonbau Bautzen in eine GmbH
überführt. Im selben Jahr wurden die Waggonbaufirmen in der ehemaligen DDR zur Deutschen Waggonbau Aktiengesellschaft (DWA) zusammengeschlossen. Diese gehört seit
1998 zum kanadischen Konzern Bombardier.
Die Produktionspalette verschob sich von den »schweren« Eisenbahnfahrzeugen zu Fahrzeugen des Nahverkehrs, also Schienenfahrzeugen für S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen. So konnte an die Tradition des Straßenbahnbaus aus den 1930er Jahren angeknüpft werden. Die Straßenbahnbetriebe in der ehemaligen DDR nutzten die Möglichkeit
der Modernisierung ihres Fahrzeugbestands, der bis dahin meist durch die technisch überholten tschechischen Tatra-Fahrzeuge geprägt war. Moderne Niederflurwagen fanden bald
auch Absatz im Ausland.
Uwe Kuschinski
Einer der ersten rekonstruierten TatraStraßenbahnwagen für die Chemnitzer
Verkehrs-AG, 1992
73
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Wurzener Nahrungsmittel GmbH
Von »Biscuits«
zu »Cornflakes«
1886
1953
1990
1999
2010
74
Der mit Zug oder Auto aus Richtung Leipzig nach Wurzen kommende Reisende sieht schon
von Weitem die beiden markanten denkmalgeschützten Mühlentürme. Diese fanden sich
im 1954 angemeldeten und eingetragenen Warenzeichen des in VEB Nahrungsmittelkombinat »Albert Kuntz« umbenannten Betriebes wieder und prangten bis 1989 auf dessen
Verpackungen. Der Staatsbetrieb war der Nachfolger der »Wurzener Kunstmühlenwerke
und Biscuitfabriken, vorm. F. Krietsch«.
Die Geschichte der Krietsch-Werke begann 1847. In diesem Jahr kaufte der 1804 in Wehlitz
bei Schkeuditz geborene Johann Friedrich Krietsch »für 27.000 Taler erst die eine Hälfte
... und 1854 die andere Hälfte« der Wurzener Stadtmühle.
Die Stadtmühle war bereits 1490 vom Bischof Johann von Weißbach im Zuge der Verlegung
des Bischofssitzes von Stolpen nach Wurzen als Mahl-, Walk- und Schneidemühle gebaut
worden. Zehn Jahre später folgte mit der Neumühle die zweite der ab 1568 lange Zeit an
die Stadt verpachteten Mühlen. Die Neumühle kam 1871 zur Versteigerung und wurde
sogleich von Johann Friedrich Krietsch erworben.
FIRMENPORTRÄT WURZENER NAHRUNGSMITTEL GMBH
Brände und Neubauten
Eine Besonderheit in Wurzen war die Einrichtung einer speziellen Industrietransportbahn. Der Ingenieur Max Schiemann konzipierte diese Bahn ohne Gleise, aber mit Oberleitungen. Die Belieferung der Mühlenwerke mit Roh- und Brennstoffen und der Transport
der Mühlenerzeugnisse wurde dadurch ermöglicht.
Im Oktober 1917 brannten die Stadtmühle, Biskuitfabrik und viele Wohnungen ab. Das
Leipziger Unternehmen Max Fricke wurde mit der Projektierung einer neuen Weizenmühle
beauftragt. Deren Bau begann wenige Wochen nach dem Brand. Der Neubau beherbergte
außer der Weizenvermahlung auch die Graupenmühle sowie die Erbsen- und Hirseschälerei. Auch die Keksfabrikation entstand neu und produzierte mit neuesten Spezialmaschinen außer Keksen und Honigkuchen auch Waffeln.
1924 brannte auch die als Roggenmühle fungierende und 1902 aus dem Konkurs heraus
erworbene Wurzener Dampfmühlen-Aktiengesellschaft, vorm. Gustav Schönert ab. Die
zu ihr gehörenden Kesselanlage, die Nudelfabrik und das Silo blieben erhalten. Damit
bestand die Möglichkeit, die Roggenvermahlung zu verlegen. Die neue Roggenmühle lieferte genau zehn Monate später erstmals Mehl aus. Dieser Mühlenneubau wurde ebenfalls
von Max Fricke konzipiert.
Die Weltwirtschaftskrise hinterließ auch in Wurzen ihre Spuren. Über die Aktiengesellschaft der Wurzener Kunstmühlenwerke und Biscuitfabriken musste 1930 ein Vergleichsverfahren eröffnet werden, dem ein Jahr später ein zweite Sanierung folgte.
Linke Seite:
Warenzeichen und Verpackungen der in Wurzen hergestellten Nahrungsmittel im Wandel
der Zeiten, Wurzener Nahrungsmittel GmbH,
1999
Briefbogen der »Wurzener Kunstmühlenwerke
u. Biscuitfabriken vorm. F. Krietsch«
vom 12. Februar 1929
Die Ährenkrone als Schutzmarke
Nach der Übernahme der beiden Mühlen in seinen Besitz begann der Firmengründer mit
der schrittweisen Umwandlung des Betriebes in ein Fabrikunternehmen. Die endgültige
Aufhebung des Mahlzwanges in Sachsen 1869 hatte den Übergang von der Lohn- zur Handelsmüllerei ermöglicht.
Etwa zu dieser Zeit soll auch in den Krietsch-Mühlen die Dampfmaschine Einzug gehalten
haben. Zusätzlich wurde in den folgenden Jahren aus der Ölmühle eine Graupenmühle, die
Erbsenschälerei wurde aufgenommen und 1868 eine Brotfabrik errichtet. Die dort gebackenen Brote wurden auch überregional verschickt. Später folgte noch eine Hirseschälerei.
Der älteste, 1833 in Böllberg bei Halle geborene Sohn von Johann Friedrich Krietsch, Julian
Wilhelm Friedrich Krietsch, trat als ausgebildeter Mühlentechniker in das Unternehmen
ein. Um 1870 folgte der 1850 in Wurzen geborene zweite Sohn Ernst Krietsch als Leiter der
Biskuitabteilung. Nach dem Tod des Firmengründers wurde das Unternehmen am 1. Mai
1886 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die als Ährenkrone eingetragene Schutzmarke soll aus dieser Zeit stammen. Weitere Warenzeichen der Krietsch-Werke waren
außerdem Löwen-Marke, Anker-Marke und Reiter-Marke.
Nach Drohungen von Bäckermeistern musste 1888 die Brotherstellung beendet werden.
Die vorhandenen Einrichtungen zum Backen nutzte man fortan, um Honig- und Pfefferkuchen, Schiffszwieback und andere Dauerbackwaren herzustellen.
75
DIE KAMMERN ZWISCHEN DEM ERSTEN WELTKRIEG UND DEM SCHEITERN DER WEIMARER REPUBLIK
Kriegsfolgen
Am Kriegsende und nach der Besetzung von Wurzen durch amerikanische Truppen am
24. April 1945 wurden die in den Mühlen- und Biskuitwerken lagernden Vorräte geplündert. Nach dem Wechsel der Besatzungsmacht und dem Volksentscheid in Sachsen am
30. Juni 1946 kamen die Krietsch-Werke unter Landesverwaltung und ein Jahr später in
die Hände des Rates der Stadt Wurzen, um schließlich ein weiteres Jahr später erneut in
Landesverwaltung überzugehen. Ab 1948 lieferte die Bäckerei Butterkekse für Offiziere
und Funktionäre der sowjetischen Militärverwaltung, während die Soldaten mit dem
ebenfalls dort hergestellten Dauerbrot versorgt wurden.
Es erfolgten weitere der damals sehr häufigen Strukturveränderungen, die am 1. Mai 1953
zur Umbenennung des Betriebes in VEB Nahrungsmittelkombinat »Albert Kuntz« (NAK)
führten. Mit dem Namen Albert Kuntz wurde der KPD-Funktionär und zeitweilige Wurzener Stadtrat geehrt, der seit 1933 im Außenlager Dora des KZ Buchenwald inhaftiert war
und dort 1945 umgebracht wurde.
Warenzeichen und Verpackungen der in Wurzen hergestellten Nahrungsmittel im Wandel
der Zeiten, Wurzener Nahrungsmittel GmbH,
1999 Wurzener Nahrungsmittel GmbH
Rechte Seite: Wurzener Kunstmühlenwerke
und Bisquitfabriken AG, vorm. Krietsch nach
dem Neubau der Roggenmühle 1924/25
76
»KI-NA« und Cornflakes
Mit der schrittweisen Modernisierung der Verarbeitungsanlagen und vor allem mit der
Entwicklung der völlig neuen Erdnussflips, Cornflakes, von Schnellkochreis und Instantnährmitteln für Kinder (KI-NA) bekam der Betrieb ein Alleinstellungsmerkmal in der DDR.
Parallel dazu wurde auch in die Dauerbackwarenproduktion investiert, so dass außer
Keksen auch Lebkuchen, Gebäckmischungen und Waffelerzeugnisse aus Wurzen kamen.
Nach den politischen Veränderungen in der DDR 1989 und der Auflösung des Kombinates
in Halle an der Saale versuchten Mitglieder der Betriebsleitung 1990 die Produktion in Wurzen als Treuhandbetrieb unter dem Namen Wurzener Nahrungsmittel- und Keksfabriken
GmbH fortzuführen. Der einbrechende Absatz sowohl im In- als auch im Ausland ließen
den Fortbestand des Unternehmens fraglich erscheinen, zumal großer Investitionsbedarf
bestand. Die Treuhandanstalt beschloss deshalb im August 1992, den Betrieb zu liquidieren. Ende des gleichen Jahres fand sich für die Produktion der in der DDR entwickelten
Produkte sowie für die in Wurzen bereits im 19. Jahrhundert begonnene Verarbeitung von
Hafer, Weizen und Hülsenfrüchten mit der Getreide AG aus Rendsburg in letzter Minute
ein Investor, in dessen Besitz die Wurzener Nahrungsmittel GmbH bis heute ist.
Der Dauerbackwarenfabrikation war ebenfalls ein wechselvolles Schicksal beschieden.
Im Oktober 1990 hatte sich die Stixi AG aus Saarlouis am ausgegliederten Unternehmen
beteiligt. Fünf Jahre später erwarb sie auch die restlichen Anteile an der Wurzener Dauerbackwaren GmbH von der Treuhandanstalt. Nach dem Konkurs der Stixi AG erhielt das
Wurzener Werk 1997 mit der Imhoff-Gruppe (Stollwerck AG) einen neuen Besitzer. Da
Stollwerck 2002 zur hundertprozentigen Tochter des Schweizer Unternehmens Barry
Callebaut AG wurde, gehörte auch das Wurzener Werk vorerst zu diesem weltweit agierenden Unternehmen. 1997 vernichtete ein Brand das Wurzener Hauptgebäude mit der
Feingebäckproduktion. Ein Jahr später ging das neu gebaute und erweiterte Werk in
Betrieb. 2008 wurde die Wurzener Dauerbackwaren GmbH an das Polcher Unternehmen
Griesson-de Beukelaer GmbH & Co. KG verkauft. Beide Unternehmen haben sich auf
dem Markt etabliert.
Uwe Hessel
Mit neuesten Spezialmaschinen
wurden nun außer Keksen und Honigkuchen auch Waffeln produziert.
»Gleichgeschaltet« und »judenfrei«
Die Kammern in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes
1933–1945
Glückwunschschreiben der Industrieund Handelkammer Chemnitz an die
C. F. Schubert Strumpf- und Wirkwarenfabrik Callenberg
Rechte Seite:
Kameraproduktion bei Zeiss Ikon
in den 30er Jahren
78
Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur am 30. Januar 1933 stellte einen
schwerwiegenden Einschnitt in der Geschichte der sächsischen Wirtschaftskammern dar.
Die demokratische Selbstverwaltung der Wirtschaft wurde beseitigt. Die Freiheit unternehmerischen Handelns wurde durch die Einbindung in ein ständisch-autoritäres, auf
dem Führerprinzip beruhendes System beschnitten. Dementsprechend veränderten sich
auch die Aufgabenfelder der Industrie- und Handelskammern. Im Zuge der Kriegsvorbereitung wurden sie schließlich immer stärker als Exekutive des Staates zur Wirtschaftsführung herangezogen.
Bereits am 17. März 1933 bekannten sich die Präsidenten und Syndizi der sächsischen
Kammern bei einer gemeinsamen Tagung in Plauen zur Regierung Hitlers. Sie verwiesen
darauf, dass Ruhe und Ordnung gesichert sein müssten und erwarteten, in die Entscheidung wirtschaftspolitischer Fragen einbezogen zu werden. Im Juni 1933 wurde auf der
Basis des Gesetzes über die Auflösung und Neubildung der Industrie- und Handelskammern und Gewerbekammern im Freistaat Sachsen eine Mitgliederbereinigung durchgeführt. Mitglieder jüdischer Herkunft wurden aus allen Wahlfunktionen verdrängt und
zum Teil bereits ausgeschlossen. Gleiches galt für Unternehmer, die sich gegen die NSDAP
gewandt hatten oder den Nationalsozialisten missliebig aufgefallen waren.
Reichsstatthalter Martin Mutschmann ernannte Herbert Ender zum Staatskommissar für
die Gleichschaltung der Kammern in Sachsen. Wahlen wurden von der NS-Führung strikt
abgelehnt. Alle Mitglieder der Kammern wurden von den NSDAP-Führungen beurteilt,
wobei hierbei die politische Haltung bis 1932/33 zugrunde gelegt wurde. Ihr Verhältnis
zum neuen Regime war das entscheidende Kriterium dafür, ob sie in den gleichgeschalteten Industrie- und Handelskammern mitarbeiten durften.
Der Schwerpunkt der Kammerarbeit sollte – so der die NS-Positionen präsentierende
Staatskommissar – auf folgenden Bereichen liegen: Die Beobachtung der wirtschaftlichen
Entwicklung im Kammerbezirk, die Führung des Handelsregisters, die Mitwirkung bei der
Preisüberwachung und bei der Überwachung des Straßen- und Schienenverkehrs. Mit
letzterem wurde die Erwartung verbunden, dass die Kammern Einfluss auf die Fahrplangestaltung nehmen würden. Die für die sächsische Wirtschaft bedeutsame Exportpolitik
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
sowie die Vergabe von Kleinkrediten gehörten zu den Themen, auf die die Kammern ebenfalls Einfluss nehmen sollten. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Sachsen war aber
vor allem die Arbeitsbeschaffung jenes Thema, von dem die Akzeptanz des neuen
Regimes wesentlich abhing. Deshalb wurden die Kammern darauf orientiert, diese Aufgabe in den Vordergrund ihrer Arbeit zu stellen.
Mit dem Beginn der Aufrüstung verschoben sich die Prioritäten erneut. Ab 1938 richteten
die Kammern Abteilungen zur wirtschaftlichen Mobilisierung ein, gewissermaßen als
Schlussfolgerung aus den Problemen am Beginn des Ersten Weltkrieges: Bereitstellung
von Rohstoffen, Energie und Arbeitskräften waren die zentralen Themen.
Die nationalsozialistische Rassenpolitik, die sich auch gegen das Eigentum jüdischer
Unternehmer richtete, wurde seit 1933 mit Unterstützung der Kammern umgesetzt. Bis
dahin hatte der völkische Antisemitismus bereits einen Resonanzboden unter den durch
die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise bedrohten Unternehmern und Gewerbetreibenden gefunden. Die Kammern übernahmen die Bewertung der Firmen von jüdischen
Eigentümern und unterstützten so die Nutznießer der »Arisierung«. In Leipzig wurde
bereits Ende des Jahres 1935 von einem »Arisierungsmarkt« gesprochen, auf dem die Unternehmen jüdischer Gewerbetreibender angeboten wurden. In den Mitteilungen der Leipziger
IHK war jeden Monat von »Fortschritten« bei der Enteignung der jüdischen Unternehmer und Gewerbetreibenden die Rede; am Jahresende 1938 wurde festgestellt, dass die
Ehrung von Gefolgschaftsmitgliedern in der
Körting & Mathiesen A.-G., Leipzig-Leutzsch
durch den Präsidenten der Leipziger Industrieund Handelskammer, Werner Stöhr
(links Werner Stöhr und Max Körting), 1939
Rechte Seite: Autobahnbau als Mittel zur
Arbeitsbeschaffung und Kriegsvorbereitung.
80
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Leipziger Wirtschaft nun »judenfrei« sei. In den anderen Kammerbezirken vollzog sich eine
gleichartige Entwicklung. In Dresden wurden 1935 unter anderem das Bankhaus Gebrüder
Arnhold und später die Bankhäuser S. Mattersdorf und Bondi & Maron von ihren jüdischen
Eigentümern verkauft, nachdem sie unter Druck gesetzt worden waren. Hiervon profitierte
vor allem die mehrheitlich im Staatseigentum befindliche Dresdner Bank. In Chemnitz
waren Anfang 1939 nur noch zwei Unternehmen in jüdischem Besitz.
Die Machtübernahme durch die NSDAP ermöglichte es auch, eine Niederlage der Partei
im Jahr 1932 zu tilgen. Damals hatte es bei und nach den IHK-Wahlen eine scharfe Auseinandersetzung gegeben. Die NSDAP hatte ihre Wahlerfolge bei den Gewerbekammerwahlen des gleichen Jahres in Chemnitz krönen und – nach ihrer Sprachregelung – »die
bisherige Vormachtstellung der Juden, Freimaurer und Deutschnationalen« brechen wollen. Mit ihrem Antrag, die Wahlen für ungültig zu erklären, scheiterte sie. Als die IHK
Chemnitz ebenso wie die anderen sächsischen Kammern 1933 aufgelöst wurde, sah sie
ihre Stunde gekommen. Hinter diesem Angriff verbarg sich auch die Wut auf die trotz der
Krise noch stärkeren Unternehmer, wenn die NSDAP-Propaganda der IHK-Führung vorwarf, sie vertrete nur die Interessen der »hundertjährigen« Traditions-Unternehmen.
In der Chemnitzer Tageszeitung vom 11./12. Juni 1933 wurde unter der Überschrift »Neuordnung im Chemnitzer Kammerbezirk. Auch hier regiert in Zukunft nur das Hakenkreuz«
über die Neubildung der Chemnitzer Kammer berichtet. Staatskommissar Ender und nicht
der bis dahin amtierende IHK-Präsident Hans Vogel stand der konstituierenden Versammlung vor. Im Auftrag des Reichsstatthalters Mutschmann berief er die neuen Mitglieder
der IHK. Johannes F. A. Schöning (Industrie-Lloyd GmbH Chemnitz) wurde zum PräsidenMedaillen der Industrie- und Handelskammern
Chemnitz und Plauen in Gold und Silber
U-Boot-Bau bei Kelle & Hildebrandt, 1943
82
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
ten bestellt, Kurt Domsch (Bärensprung & Starke GmbH Frankenau) und Arthur Bahner
(G. A. Bahner GmbH Lichtenstein-Callnberg) zu Stellvertretern. Im Juli 1934 löste Herbert
Mitscherling (C. F. Jäckel, Hohenstein-Ernstthal) Schöning ab. Mitscherling stand allerdings trotz seiner Unterstützung durch Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht von
Anfang an in der Kritik der sächsischen NS-Führung und wurde 1937 durch den SA-Hauptsturmführer und Kammerangehörigen Hans Schöne ersetzt.
Bereits am 9. Juni 1933 hatte Ender auch die Dresdner Kammer neu bilden lassen. Hier
verlor Präsident Richard Wolf seine Position; Alphons Michalke von der Sturm-ZigarrenSpeditions GmbH übernahm dieses Amt.
In Leipzig wurde der Fabrikant und Ingenieur Paul Körner zum Präsidenten ernannt, seine
Stellvertreter waren der von der NSDAP eingesetzte Kommissar Enke und das Mitglied der
alten Kammerspitze Max Köhler. Die NSDAP erstellte wie auch in den anderen Kammerbezirken die Vorschlagsliste, die durch den Staatskommissar Ender im Auftrag Mutschmanns verkündet wurde.
In Zittau übernahm Hans Lippmann, Fabrikdirektor in Waltersdorf, die Position des Kammerpräsidenten, in Plauen Max Lesch (Vogtländische Tüllfabrik AG Plauen).
Die fünf Präsidenten bildeten seit 1934 den Führerrat der sächsischen Wirtschaft, dem
der Dresdner IHK-Präsident automatisch vorstand.
Der Aufbau der Kammern folgte ständischen Grundsätzen. Die Industrie- und Handelskammern setzten sich nun aus zwei Ständen zusammen: der Industrie und dem Handel.
Diese gliederten sich nochmals in Pflichtfachschaften auf der Ebene der Industriezweige.
Jede dieser Pflichtfachschaften wurde durch ein Kammermitglied angeführt.
Am 1. Mai 1943 wurde die VOMAG zum
»nationalsozialistischen Musterbetrieb«
Hitler und sein Gefolge begutachten auf der
Internationalen Automobilausstellung in Berlin 1936 das Modell des »Kontinent-Express«
– eines Riesenomnibusses der VOMAG
Betriebs A.G. Plauen, der wie manch andere
Großprojekte im Planstadium verblieb.
83
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Im August 1938 wurden die Industrie- und Handelskammern dem Reichwirtschaftsminister zugeordnet. Im August 1939 bekamen sie staatliche Aufgaben zur Organisation
der Kriegswirtschaft übertragen. Sie waren mitverantwortlich für die Funktionsfähigkeit
der wichtigen Industriebetriebe, der unentbehrlichen Handelsbetriebe, Kreditinstitute
und Versicherungsunternehmen und hatten die Energieversorgung und die Versorgung
mit Rohstoffen und Halbfabrikaten sicherzustellen. Sie wurden damit Hilfsinstitutionen
der auf Kriegsbedarf ausgerichteten NS-Strukturpolitik, die in die wirtschaftliche Selbstständigkeit und in die Besitzverhältnisse der Unternehmen umso rigider eingriff, je länger der Krieg dauerte und je knapper die Ressourcen wurden. Das Reichwirtschaftsministerium erteilte den Kammern weitreichende Befugnisse bei der Schließung von
Unternehmen, die rüstungswirtschaftlich nicht relevant waren. In den letzten zwei
Kriegsjahren spielten sie auch eine wesentliche Rolle bei Betriebsverlagerungen von
Unternehmen, die durch den Luftkrieg besonders gefährdet waren, aus anderen Territorien nach Sachsen. Dieselben wurden insbesondere in Fabrikgebäuden sächsischer
Textilunternehmen eingerichtet.
1942 kam es schließlich zum endgültigen Verlust der Selbstverwaltung der Kammern. Die
Zugehörigkeit zu den Wirtschaftsvertretungen wurde neu geregelt. Nunmehr wurden auch
alle Kleingewerbebetreiben, die nicht im Handelsregister verzeichnet waren, aufgenommen – nicht zuletzt, um auf diese Weise die Finanzlage der Kammern zu verbessern.
Produktion im Sachsenwerk Niedersedlitz
bei Dresden in den 1930er Jahren.
Haushaltplan der IHK Chemnitz 1941
84
Ab 1936 zeichnete sich eine Differenzierung in der wirtschaftlichen Lage der einzelnen
Regionen und Industriezweige ab. Leipzig als Teil der mitteldeutschen Industrieregion
profitierte von der Nachfrage nach hochwertigen Maschinen, die Exportmöglichkeiten
eröffnete und auch von der deutschen Metallverarbeitungsindustrie angemeldet wurde.
Seit Mitte 1930er Jahre entwickelte sich in Leipzig der Flugzeugbau, der sich auf den Nachbau von Flugzeugen der Unternehmen Junkers, Arado, Messerschmidt und Focke-Wulf
sowie auf den Motorenbau konzentrierte. Das Gewicht der Region Leipzig als Teil des mitteldeutschen Rüstungszentrums erhöhte sich weiter durch die Herstellung synthetischen
Treibstoffes auf der Basis von Braunkohle in der Region zwischen Borna, Böhlen, Espenhain und Zeitz. Auch der Chemnitzer Maschinenbau profitierte von der enormen Nachfrage nach hochwertigen metallbearbeitenden Maschinen. Die Rohstoffverknappung, die
mit der Devisenknappheit einher ging, verursachte vor allem in der Textilindustrie Lieferschwierigkeiten und Kurzarbeit. Durch die Fortschritte bei der Verarbeitung von Zellwolle und Kunstseide in der Textilindustrie konnte dieser Mangel soweit ausgeglichen
werden, dass die Branche in Sachsen seit 1937 die Arbeitszeit wieder auf das Vorkrisenniveau bringen konnte.
1935 wurde die Wirtschaftskammer Sachsen zum ausführenden Organ des Reichwirtschaftsministeriums erklärt; ihr stand der Direktor der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt
Zimmermann vor. 1936 folgte die Überführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages in die Reichswirtschaftskammer, der die regionalen Kammern, die Bezirkswirtschaftskammern und die Bezirksgruppen der Wirtschaftsverbände unterstanden.
Georg Bellmann, in den 1920er Jahren
Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes
der sächsischen Textilindustrie in Chemnitz,
war als Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden
seit 1935 maßgeblich an der sog. »Arisierung«
beteiligt.
Dresdner Bank-Werbung, Kino-Dia, 1943
85
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Reparaturarbeiten an der Friedensbrücke
in Plauen. Im Hintergrund links das teilweise
zerstörte Kammergebäude.
86
Die sächsischen IHK sowie die Handwerkskammer und die bisherige Wirtschaftskammer
wurden am 31. März 1943 in die Gauwirtschaftskammer überführt, die dem sächsischen
Wirtschaftsministerium unterstellt wurde. Die Industrie- und Handelskammern wurden
nunmehr offiziell aufgelöst und ihr Vermögen durch die Gauwirtschaftskammer übernommen. In den Kammerbezirken entstanden regionale Wirtschaftskammern, die auch die
Handwerker einschlossen. Friedrich-Wilhelm Wohlfahrt, Direktor der Zeiss-Ikon AG Dresden, erhielt den Auftrag, die Gauwirtschaftskammer aufzubauen. Gauleiter Mutschmann
wurde zur entscheidenden Person in allen wirtschaftspolitischen Fragen. Zu den Hauptaufgaben der Gauwirtschaftskammer gehörte bis zum Kriegsende die Erschließung und
Organisation aller Ressourcen für die Rüstungswirtschaft.
Die Vielzahl von organisatorischen und strukturellen Veränderungen bei der Organisation
der Wirtschaft während der zwölf Jahre der NS-Herrschaft zeigt, dass die Kammern vor
unlösbaren Aufgaben standen. Die rigide Orientierung auf die Rüstungs- und Kriegswirtschaft und die Strukturen langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung ließen sich nicht miteinander vereinen.
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Da Sachsen, insbesondere der Großraum Leipzig sowie die Städte Chemnitz und Dresden,
immer wichtiger für die deutsche Kriegswirtschaft war, wurde das Land seit 1943 zum Zielgebiet des alliierten Luftkrieges. In Leipzig verzeichneten die traditionell wichtigen Zweige
wie die polygrafische Industrie und die Rauchwarenherstellung beim Bombardement des
Zentrums und der Ostvorstadt im Dezember 1943 enorme Verluste. In Dresden waren von
der Bombardierung im Februar 1945 viele feinmechanisch-optische Betriebe schwer betroffen. Im März 1945, wenige Wochen vor dem Kriegsende, richtete der Luftangriff auf Chemnitz schwere Schäden in der Industrie an. Das im ersten Kriegsjahr eingeweihte erweiterte
Kammergebäude an der Bahnhofsstraße blieb dabei unbeschädigt.
Am Ausgang des Zweiten Weltkrieges waren viele Industriebetriebe zerstört. Das zwischen
den Siegermächten geschlossene Potsdamer Abkommen sah vor, das deutsche Kriegspotential zu vernichten und die Produktion von Metallen, chemischen Produkten und des
Maschinenbaus wesentlich einzuschränken. So standen nach dem Kriegsende die
modernsten Teile der sächsischen Industrie für den Übergang zur Friedenswirtschaft nicht
zur Verfügung.
Ulrich Heß
Das schwer beschädigte Gebäude der Teekanne in Dresden (im Hintergrund), um 1950
87
UNTERNEHMERPORTRÄT WERNER STÖHR
UNTERNEHMERPORTRÄT WALTER CRAMER
Leipziger Kammgarn-Spinnerei Stöhr
Leipziger Kammgarn-Spinnerei Stöhr
Walter Cramer
Werner Stöhr
D
W
er aus einer Leipziger Kaufmannsfamilie stammende
Unternehmer Walter Cramer (1886 –1944) hatte seit
1919 die Leitung der elterlichen Kammgarnspinnerei
Gautzsch AG im heutigen Markkleeberg inne. 1923 wechselte er
in den Vorstand der Leipziger Kammgarnspinnerei Stöhr & Co.
AG. Mit seinem Namen ist nicht nur die Sanierung des Konzerns
verbunden. Ihm war es auch zu danken, dass die Mitarbeiter
angemessene Löhne, eine profunde Ausbildung und gute Sozialleistungen erhielten. Grundlage hierfür waren die von Cramer
beförderten Innovationen, vor allem die erfolgreichen Versuche
mit Zellwolle (1928) und die Entwicklung der Perfektring-Spinnmaschine durch einen Schweizer Ingenieur. Hierbei handelte
es sich um eine platzsparende Maschine zur Herstellung von
Feinstgarnen aus Wolle, die sich bald weltweit durchsetzte.
In der Zeit des Nationalsozialismus hatte das nicht als Rüstungsbetrieb eingestufte Unternehmen mit staatlichen Restriktionen zu kämpfen. Im Krieg wurden Tochtergesellschaften
geschlossen oder an »kriegswichtige« Firmen zwangsverpachtet
und Teile der Belegschaft in die Rüstungsindustrie dienstverpflichtet. Die 1943 für das Stammhaus in Leipzig-Plagwitz angeordnete Stilllegung konnte noch abgewendet werden, ehe das
Werk beim Luftangriff am 20. Februar 1944 großteils zerstört
wurde.
Walter Cramer war ein Freund und Vertrauter des früheren Leipziger Oberbürgermeisters Carl Goerdeler. Den bürgerlichen
Widerstand unterstützte er durch Kontakte ins Ausland und die
Übergabe von Dokumenten; zudem versuchte er, auf die Generalität einzuwirken. Wegen seiner kritischen Haltung zur NSPolitik der Judenvernichtung wurde im April 1944 gegen ihn ein
Prozess wegen »Wehrkraftzersetzung« angestrengt. Zwei Tage
nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Cramer verhaftet und am 14. November 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Ulrich Heß
88
erner Stöhr (1886–?), Vorstandsmitglied der Leipziger
Wollkämmerei, gehörte seit 1935 dem Beirat der IHK
zu Leipzig (später Wirtschaftskammer) an und wurde
zum 1. April 1938 ihr Präsident. Dieses Amt übte er bis zum
Kriegsende aus.
Er war ein Neffe des Gründers der Kammgarnspinnerei Stöhr &
Co. KGaA in Leipzig-Plagwitz Eduard Stöhr und Vorstandsmitglied der Leipziger Wollkämmerei in Leipzig. Sein Onkel hatte
1880 mit weiteren Teilhabern die Kammgarnspinnerei in Leipzig-Plagwitz gegründet. Diese wurde in den 1930er Jahren durch
Expansion vor dem allem nach Osteuropa zum größten deutschen Kammgarnkonzern. 1939/40 wurde das Leipziger Unternehmen als einer der ersten Textilbetriebe Leipzigs auf
Rüstungsproduktion umgestellt. Neben textilen Produkten wurden vor allem Munition, Maschinenpistolen und Teile für die
Flugzeugproduktion hergestellt. In Markleeberg wurde für den
dortigen Zweigbetrieb ein KZ-Außenkommando angelegt.
Stöhr galt frühzeitig als überzeugter Nationalsozialist. Unmittelbar nach dem Regierungsantritt Hitlers versuchte er, Walter
Cramer, Vorstandsmitglied der Kammgarnspinnerei, für die
NSDAP-Mitgliedschaft zu gewinnen. Cramer, der sich wegen des
immer aggressiveren innenpolitischen Kurses schon von der
Deutschnationalen Volkspartei des Vizekanzlers Hugenberg
abgewendet hatte, lehnte ab.
Stöhr gehörte zu den Vertretern in der Leipziger IHK, die zur
raschen Vertreibung jüdischer Unternehmer aus der Wirtschaft
der Messestadt beitrugen. So trieb er die »Arisierung« des Astoria-Hotels 1938 in seiner Funktion als IHK-Präsident voran.
Die verwerflichste Handlung Stöhrs besteht zweifellos in der
Denunziation des am 14. November 1944 hingerichteten Walter
Cramer. Er ergriff als Präsident der Wirtschaftskammer die
Initiative, Cramer den Reisepass im Mai 1944 zu entziehen. Cramers Äußerungen zur NS-Rassenpolitik, zur Wirtschaftspolitik
und zum Krieg denunzierte er bei der Geheimen Staatspolizei
als staatsfeindliche Auffassungen.
Am 9. Mai 1945 wurde Werner Stöhr durch den Aufsichtsrat der
Leipziger Wollkämmerei seines Postens enthoben und fristlos
entlassen. Ein Spruchkammerverfahren in Darmstadt wurde
Anfang 1950 auf Grund unzureichender Beweislage eingestellt.
Ulrich Heß
89
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Auto Union AG
Vom Automobilzum Rüstungskonzern
Die deutsche Automobilindustrie befand sich zwischen Jahrhundertwende und Erstem
Weltkrieg auf Erfolgskurs. Sachsen entwickelte sich neben Südwestdeutschland und dem
Großraum Berlin zu einem Schwerpunkt der neuen Autobranche. Zu Beginn der zwanziger
Jahre waren hier fast zwei Dutzend Automobilunternehmen beheimatet. Inflation und
Weltwirtschaftskrise hatten jedoch verheerende Folgen. Ein Großteil der Automobilfirmen ging in Konkurs. Im Jahr 1931 standen auch die wenigen verbliebenen großen sächsischen Automobilbauer vor dem Aus: Der Zwickauer Luxuswagenhersteller Horchwerke
AG sowie die Siegmarer Automobilabteilung der Wanderer-Werke AG in Chemnitz. Der
DKW-Konzern, der vor der Weltwirtschaftskrise annähernd fünfzehntausend Beschäftigte
zählte – der DKW-Besitzer J. S. Rasmussen hatte zudem 1928 die Audi-Automobilwerke
AG übernommen – war durch erneute Millionenverluste bedroht.
Zeitungsanzeige in der Wochenschrift
»Illustrierte Zeitung« vom 26.8.1937,
Sonderheft Sachsen
Rechte Seite:
DKW im Auto Unionwerk Audi, Hebebühne,
um 1936
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Die Gründung
Im Mai 1931 kam es in Oberschlema/Sachsen zu Gesprächen über eine mögliche Zusammenarbeit von DKW und Horch. Der Rettungsplan für den sächsischen Automobilbau:
Sanierung der wichtigsten sächsischen Personenkraftwagen-Hersteller DKW, Audi, Horch
und Wanderer zum Erhalt des Industriezweigs und Zusammenschluss zu einem zukunftsfähigen sächsischen Autoblock. Am 29. Juni 1932 traten die Generalversammlungen der
vier beteiligten Unternehmen zusammen. Einstimmig wurden die Fusionsverträge zwischen DKW, Audi und Horch, die Kauf- und Pachtverträge mit Wanderer sowie der Gesellschaftsvertrag des neuen Unternehmens angenommen. Durch den Zusammenschluss
entstand auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise Deutschlands drittgrößter Kraftfahrzeugkonzern.
Das Wirken der Auto Union AG
Der Gesamtabsatz der deutschen Kraftfahrzeugindustrie lag 1932 bei 41.118 PKW und
47.630 Motorrädern. Die Auto Union AG verkaufte davon 6.629 Automobile und 12.778 Motorräder, dies waren jeweils 16,1 und 26,8 Prozent der Gesamtzahlen. Das Unternehmen
konnte bis 1936 einen überdurchschnittlichen Absatzzuwachs verzeichnen und baute
seinen inländischen Marktanteil von rund 16 auf 25 Prozent aus, insbesondere beim
Wanderer-Geschäft und dem DKW-Kleinwagenprogramm. Im Motorradbereich behauptete
die Auto Union AG ihre Spitzenposition und erhöhte ihren Marktanteil auf rund 35 Prozent
im Jahr 1936.
Exportiert wurde in mehrere europäische Länder –
nach Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien,
Polen und in die Schweiz – sowie nach Übersee, zum
Beispiel nach Brasilien, Argentinien und Südafrika.
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Machte das Exportgeschäft 1934 gerade vier Prozent des Gesamtumsatzes aus, stieg der
Umsatzanteil 1938 auf 14 Prozent. Exportiert wurde nach Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien, Polen und die Schweiz sowie nach Übersee, so nach Brasilien, Argentinien
und Südafrika. Die Schwerpunkte beim Export lagen auch hier auf den Marken Wanderer
und DKW.
Der geschäftliche Aufschwung schlug sich nachhaltig in der Belegschaftsentwicklung nieder: die Auto Union AG beschäftigte zum 31. Oktober 1932 4.359 Arbeiter und Angestellte.
Bis 1936 stiegen die Zahlen auf 20.154 und bis 1939 auf 24.889 Beschäftigte.
DKW F5 Front Luxus-Cabriolet vor dem Auto
Union Werk Audi, um 1936
Gesamtübersicht Auto-Union-Werke,
aus einem Werbeprospekt, um 1936
92
Fünf Hauptwerke – hunderte Zulieferer
Das Werk DKW in Zschopau fertigte die Motoren für die bei Audi in Zwickau montierten
DKW-Frontwagen sowie die Spandauer Vierzylinderprogramme Schwebeklasse und Sonderklasse. Hinzu kamen das umfangreiche Stationär- und Einbaumotorenprogramm für
die Bau-, Forst- und Landwirtschaft sowie das Motorradprogramm. In Zschopau war
zudem die Rennmotorrad-Abteilung angesiedelt, die in den dreißiger Jahren große Rennerfolge erzielte. Das Werk beschäftigte im August 1939 rund 4.900 Mitarbeiter und erwirtschaftete fast 60 Prozent des Konzernumsatzes.
Das Werk Audi in Zwickau war für die Fahrgestellfertigung und Endmontage beim DKWFrontwagen zuständig, anfänglich auch für die Fertigung des neu eingeführten Audi
Front. Die Markterfolge beim DKW-Frontwagen führten zu Kapazitätsengpässen und
Anfang 1934 zur Auslagerung des Audi-Front-Programms zum Horch-Werk.
Das Werk Spandau lieferte die Holzkarosserien für das DKW-Frontprogramm und war
zudem Produktionsstandort für die heckangetriebenen DKW-Vierzylinderprogramme. Das
Werk mit seinen rund 2.700 Beschäftigten (1939) erfuhr in den dreißiger Jahren eine erhebliche Erweiterung.
Das Werk Horch in Zwickau zeichnete für das Horch-Wagenprogramm, das Audi-Front-Programm, den Audi-/Horch-Kundendienst sowie diverse Wanderer-Fertigungen verantwort-
FIRMENPORTRÄT AUTO UNION AG
lich und trug bis Ende der dreißiger Jahre auch die Hauptlast am Entwicklungs- und Versuchsprogramm der Auto Union AG. Angegliedert war dem Werk die Automobil-Rennsportabteilung. Vor Kriegsbeginn beschäftigte das Horch-Werk rund 6.700 Arbeiter und Angestellte und war seit 1934 Schwerpunkt für die Wehrmachtsfertigungen der Auto Union AG.
Das Werk Siegmar wurde zum Zentrum der Konzernplanungen ausgebaut. Die Fabrikation
der Wanderer-Automobile, im von den Wanderer-Werken gepachteten Gebäuden war als
Provisorium gedacht. Planmäßig sollte das Werk nach Ablauf des zehnjährigen Pachtvertrages an die Wanderer-Werke AG übergeben werden und die Wanderer-Automobilfertigung auf ein neues Hauptwerk der Auto Union AG in Chemnitz übergehen. Bis Mitte der
dreißiger Jahre gab es Überlegungen, das Siegmarer Werk nach Ablauf des Pachtvertrages
zu kaufen und zum neuen Auto Union AG-Hauptwerk auszubauen. Der Verwaltungssitz
der Auto Union AG befand sich zunächst in Zschopau bei der DKW-Verwaltung. Nach Kauf
des ehemaligen Presto-Werks und umfassendem Umbau wurde die Hauptverwaltung im
Juni 1936 offiziell in Chemnitz eingeweiht. Die Zulieferer der Auto Union AG kamen in der
ersten Hälfte der dreißiger Jahre vorwiegend aus Sachsen. Dazu zählten DKK Scharfenstein, die Metallwerke Zöblitz AG, die Framo-Werke Hainichen, der Karosseriebauer Gläser
in Dresden, die Leipziger Kugellagerfabriken und Eisengießereien sowie die Sächsischen
Gußstahlwerke in Freital. Allein für das Geschäftsjahr 1936/37 verzeichnete das Unternehmen mehr als 500 Zulieferbetriebe mit einem Gesamtumsatz von 45 Millionen Reichsmark.
Der Anteil außersächsischer Lieferenten nahm in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre
und während des Zweiten Weltkrieges stetig zu, waren doch die Kapazitäten der sächsischen Zulieferer begrenzt.
Der Zweite Weltkrieg wirkte sich nachhaltig auf das Unternehmen aus. Nach 1940 vollzog
die Auto Union AG den Wandel zum Rüstungskonzern. So produzierte das Zschopauer
DKW-Werk ab Mai 1940 ausschließlich Motorrad- und Stationärmotoren für die Wehrmacht sowie Militär-Motorräder. Im Zwickauer Audi-Werk erfolgte unter anderem die Herstellung von Flakgeschützen und die Endmontage des Steyr-LKW Typ 1500. Im Werk Horch
liefen die Auto Union-Kübelwagen, Torpedos, Panzermotoren sowie Hanomag- und SteyrPanzerfahrzeuge vom Band. Im Werk Siegmar fand etwa die Fertigung von Heeres-LKW
sowie von Torpedos, Maschinengewehren, Geschützen und Panzerfahrzeugen statt.
Auto-Union-Aktie von 1932
Nach 1945
Zum Kriegsende im Mai 1945 befanden sich die Werke in verschiedenen Besatzungszonen,
waren teilweise besetzt, ausgeplündert und von Schutt und Trümmern übersät. Der neue
Technische Ausschuss legte am 19. Mai ein Konzept für ein zukünftiges Produktionsprogramm vor. Die Konzentration lag auf dem Kleinwagen-, Einbaumotoren- und Motorradbau der Marke DKW und dem Nutzfahrzeugbau. Die Marken Wanderer, Horch und Audi
sollten eingestellt werden. Mit der Beschlagnahme und Demontage der Auto Union AGWerke im Juni 1945 endeten alle Überlegungen. Über neunzig Prozent der Maschinen und
Einrichtungen wurden abgebaut. Dem Volksentscheid vom 30. Juni 1946 zur »entschädigungslosen Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher« folgte nach treuhänderischer
Verwaltung durch die Sächsischen Aufbauwerke GmbH die Löschung der Firma im Handelsregister Chemnitz am 17. August 1948.
Anett Polig
93
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Dresdner Bank
Bankgeschäft
im Zeichen der Diktatur
Eugen Gutmann (1840 –1925)
Dresdner Bank in der Wilsdruffer Straße 44
in Dresden, ehemaliges Bankhaus Michael
Kaskel, 1880er Jahre
94
Die Wurzeln der Dresdner Bank liegen in Sachsen. 1872 wurde das bereits 100 Jahre zuvor
gegründete Dresdner Privatbankhaus von Michael Kaskel unter Beteiligung von Investoren
aus Sachsen, aber auch aus Berlin, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Eine neue
kapitalstarke Bank sollte von Dresden aus vor allem Industrie, Handel und Gewerbe in
Sachsen mit den erforderlichen Betriebsmitteln versorgen. Trotz der 1873 beginnenden
»Gründerkrise« und den nachfolgenden Jahren der »Großen Depression« entwickelte sich
das junge Institut unter seinem agilen Leiter Eugen Gutmann hervorragend; durch die
Übernahme anderer Privatbankhäuser bzw. die Eröffnung von Filialen war es bald an allen
wichtigen Industriestandorten in Mitteldeutschland präsent. Eugen Gutmann wollte jedoch
mehr. Er wollte die Dresdner Bank zu einer der großen Universalbanken im deutschen Kaiserreich machen. 1881 wurde eine Filiale in Berlin eröffnet. Die Geschäfte am wichtigsten
deutschen Finanzplatz entwickelten sich ausgesprochen günstig. Schon bald übertrafen
die Umsätze dieser Niederlassung diejenigen der Dresdner Zentrale. Folgerichtig beschlossen die Entscheidungsgremien im Jahr 1884, den Sitz der Geschäftsleitung von Dresden
nach Berlin zu verlegen.
FIRMENPORTRÄT DRESDNER BANK
rung der nationalsozialistischen Machthaber, teilweise in vorauseilendem Gehorsam
wurde seit 1933 der jüdischen Belegschaft gekündigt. Nach den 1934 erlassenen »Nürnberger Rassegesetzen« wurden auch bisher »geschützte«, darunter langjährig im Unternehmen befindliche und verdiente Mitarbeiter aus dem Dienst »entfernt«.
Eine ähnliche Abkehr von moralischen Standards und eine zunehmende Annäherung an
das NS-Regime legte die Dresdner Bank auch im Umgang mit jüdischen Geschäftspartnern
an den Tag. Dies wurde besonders offenkundig bei der »Arisierung« jüdischer Unternehmen und Vermögenswerte. Um sich bei der Vermittlung dieser Unternehmen an »arische
Erwerber« gegenüber konkurrierenden Instituten zu behaupten, ging die Geschäftsführung
enge Allianzen mit dem Herrschaftsapparat ein. Formal wandte die Dresdner Bank bei den
meisten »Arisierungsfällen« lediglich die geltenden Rechtsverordnungen an; etwa, wenn
es darum ging, den Wert eines jüdischen Unternehmens zu ermitteln. Im Ergebnis ging die
Bewertungspraxis jedoch fast immer zu Lasten der Verkäufer, so dass deren Vermögenswerte in der Regel weit unter Wert von den Käufern übernommen wurden.
Ansicht des Gebäudes der Dresdner Bank
in der König-Johann-Straße 3 in Dresden,
um 1897
Bankenkrise und Konsolidierung
Von ihrer neuen Zentrale aus und unter der umsichtigen Leitung Eugen Gutmanns expandierte die Dresdner Bank bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in alle wichtigen Industrieregionen des Kaiserreiches und baute auf den ausländischen Kapitalmärkten ihre Präsenz aus. Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegsinflation führten zu einem Rückgang der
Geschäfte, was sich auch durch eine vergleichsweise günstige Entwicklung während der
»Weimarer Konjunktur« von 1925 bis 1929 nicht kompensieren ließ. Im Juli 1931 geriet das
Institut in den Strudel der deutschen Finanz- und Bankenkrise. Es war de facto zahlungsunfähig und musste durch die Zufuhr von neuen Betriebsmitteln durch das Reich gestützt
werden. 1932 ordnete die Reichsregierung die Verschmelzung der Dresdner Bank mit der
ebenfalls zahlungsunfähigen Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank) an, stellte das
neue Aktienkapital zur Verfügung und entsandte Vertrauenspersonen in die Leitungsgremien.
Auf dieser Grundlage konnte die Dresdner Bank einen Konsolidierungsprozess beginnen,
der sich seit 1933 unter den veränderten Bedingungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik fortsetzte. Unter der Kontrolle des Reiches stehend war sie jedoch besonders
anfällig für Einflussnahmen durch die Politik. Die Bank geriet schnell unter Druck, ihre
jüdischen Direktoren und Angestellten zu entlassen. Teilweise in Reaktion auf die Forde-
95
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Vorstand der Dresdner Bank:
v.l.n.r.: Emil Meyer, Hugo Zinßer, Hans Pilder,
Hans Schippel, Alfred Busch, Karl Rasche, 1938
Exemplarisch lässt sich dies bei der »Arisierung« des Dresdner Privatbankhauses Gebr.
Arnhold zeigen. Bereits seit 1933 war das Bankhaus mit Stammsitz in der Dresdner Waisenhausstraße dem Druck lokaler Parteibehörden und ihrer Propaganda ausgesetzt. Bis
1935 strengten die Nationalsozialisten drei zivilrechtliche Verfahren gegen das Bankhaus
und seine Inhaber an. Es gab polizeiliche Verhöre, zermürbende Prozesse, Hausdurchsuchungen und einen erzwungenen Verkauf von Aktienpaketen – alles mit dem Zweck, die
Familie Arnhold zum Verkauf ihres Bankhauses zu bewegen. Die Dresdner Bank bot an,
das Bankhaus zu fairen Konditionen zu erwerben. Die Inhaber gaben dieser Offerte daher
den Vorzug und willigten in eine Übernahme ein. Nach Vertragsabschluss erhob die Bank
jedoch Einspruch gegen drei Vertragspunkte, wie etwa den Wert der Immobilien, die Höhe
der Pensionszahlungen und angeblich manipulierte Bilanzen. Unter wachsendem Verkaufsdruck mussten die Inhaber von Gebr. Arnhold schließlich die Reduzierung des zuvor
vereinbarten Kaufpreises von vier Millionen auf 3,3 Millionen RM akzeptieren.
Handelte es sich bei der Übernahme des Bankhauses Arnhold um eine »Arisierung« auf
eigene Rechnung, so bestand der Kern des eigentlichen »Arisierungsgeschäfts« jedoch in
der Vermittlung jüdischen Besitzes an »arische Erwerber« auf Provisionsbasis. Mit der
Mehrheit der Käufer konnte die Dresdner Bank neue Geschäftsbeziehungen knüpfen.
Damit bot sich die Chance, stagnierende oder gar rückläufige Gewinne in klassischen
Geschäftsfeldern, wie etwa dem Kreditgeschäft, zu kompensieren.
Zwischen ökonomischer Rationalität und Regimenähe
Ungeachtet dessen stieß die Geschäftsentwicklung der meisten deutschen Banken im sogenannten Altreich zunehmend an Grenzen. So bot die geschäftliche Expansion in die vom
NS-Regime abhängigen oder annektierten Gebiete die willkommene Möglichkeit, neue
Wachstumsfelder zu erschließen. Die Übernahme von Kreditinstituten in den besetzten
Gebieten West-, Mittel- und Osteuropas versprach einen deutlichen Zuwachs nicht nur an
Kunden, sondern auch an Firmenbeteiligungen aus dem Portefeuille der neu erworbenen
Banken. Ab 1938 übernahm die Dresdner Bank daher in rascher Folge wichtige Kreditinstitute oder erwarb Beteiligungen an ihnen, unter anderem in Wien, Prag, Posen, Krakau,
Amsterdam und Brüssel. Diese Expansion in die besetzten Gebiete trug entscheidend zum
Wachstum des gesamten Konzerns bei.
Die Dresdner Bank konnte ihre Position in der deutschen, ja sogar europäischen Finanzwelt
deutlich ausbauen. Ihre Gewinne und ihre Rendite stiegen bis in die letzten Kriegsmonate
hinein weiter an. Doch beruhte die positive Geschäftsentwicklung zu einem großen Teil
auf der von der Bank bewusst praktizierten Nähe zum Herrschaftsapparat und zu Entscheidungsträgern des NS-Regimes. Vorstandsmitglieder waren zum Beispiel als finanzpolitische Berater bei der Emission großer Anleihen für die Rüstungsfinanzierung eingebunden.
Schwerer wog jedoch, dass Mitglieder des Führungsgremiums wie etwa Karl Rasche auf
der Grundlage enger persönlicher Beziehungen zu Wirtschaftsexperten der VierjahresplanBehörde in die »Neuordnung« der Wirtschaft in den besetzten Gebieten und in deren ökonomische Ausplünderung involviert waren. Moralisch am verwerflichsten war jedoch die
Rolle der Dresdner Bank als »Finanzdienstleister« der SS, unter anderem durch Kreditierung jener Firmen, welche die Bauten für die Tötungsmaschinerie in den Vernichtungslagern errichteten.
96
FIRMENPORTRÄT DRESDNER BANK
Rückkehr nach Dresden
Die Dresdner Bank, die 1931 noch am Rande des Zusammenbruchs stand, hatte sich bis
zum Ausgang des Weltkrieges zu einem großen europäischen Bank-Konzern entwickelt.
Das war vor allem das Ergebnis einer Strategie der bewussten Nähe zu den Herrschenden
des NS-Regimes. Dieses lange Zeit verdrängte finstere Kapitel ist heute aufgearbeitet: Die
Dresdner Bank öffnete ihre Archive und stellte sich einer unabhängigen und kritischen
Erforschung ihrer eigenen Geschichte, die man in dem von Klaus Dietmar Henke 2006
herausgegebenen Bänden nachvollziehen kann.
Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs musste die Dresdner Bank, wie alle anderen
Berliner Kreditinstitute, am 23. Juli 1945 auf Anordnung der sowjetischen Militäradministration ihre Geschäftstätigkeit einstellen. In den westlichen Besatzungszonen entstanden
1952 drei rechtlich selbstständige Nachfolgeinstitute, die 1957 zur Dresdner Bank AG mit
Sitz in Frankfurt am Main fusionierten.
Im Jahr 1990 bot sich der Dresdner Bank die Möglichkeit, nach 45 Jahren wieder in ihre
Gründungsstadt zurückzukehren. Schon am 2. Januar 1990 eröffnete sie ein Büro in Dresden und war damit als erste westdeutsche Bank nach der Wende in der DDR vertreten. Ihre
besondere Verbundenheit mit dieser Stadt drückte die Dresdner Bank zudem durch die
Gründung der »Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank« aus sowie durch ihr Engagement in der Stiftung Frauenkirche.
2001 wurde die Dresdner Bank von der Allianz AG übernommen und im Jahr 2009 in die
Commerzbank eingegliedert.
Harald Wixforth
Linke Seite Mitte:
Beflaggung des Bankgebäudes in der
König Johann-Straße 3 in Dresden anlässlich der Olympischen Spiele, 1936
Linke Seite unten:
Zentrale der Dresdner Bank in Berlin nach
einem Bombenangriff, 1943
Dresdner Bank-Werbung, Kino-Dias, 1943
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DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Teekanne GmbH
Teekanne, Tee-Bombe
und TeeFix
Werbung für die Teedosierdose »Triumph«,
1903
Werbung für die »Tee-Bombe«, 1914
98
Im Jahr 1882 gründeten die Kaufleute W. Rudolf Seelig und J. G. Hille in Dresden ein
Geschäft für den Handel mit Japan- und Chinawaren sowie für Tee – das Unternehmen
R. Seelig & Hille. Sie reagierten damit sowohl auf das gestiegene Interesse an exotischen
Waren aus den geheimnisumwitterten asiatischen Ländern als auch auf die sich verbreitende Mode des Teetrinkens. Dresden war in jener Zeit eine internationale Stadt, in der
zahlreiche Ausländer, zumeist reiche Pensionäre, wohnten. Diese Ausländer waren vor
allem im Englischen, im Amerikanischen und im Russischen Viertel unweit des späteren
Hauptbahnhofes ansässig. Die 1862 in Dresden eröffnete erste europäische Zigarettenfabrik war die Gründung eines baltischen Barons aus St. Petersburg. Die Engländer brachten
hingegen nicht nur den modernen Sport, sondern auch die Sitte des Teegenusses in die
sächsische Residenzstadt. Via Hamburg gelangten der Tee und die für eine stilvolle Teezeremonie notwendigen, aus Asien importierten Utensilien per Schiff auf der Elbe nach
Dresden. Der Absatzerfolg von R. Seelig & Hille erforderte bald die Erweiterung der
Geschäftsräume: 1886 wurde ein Lokal an der Prager Straße, dem Prachtboulevard Dresdens, bezogen. Am 3. August 1888 ließen sich die Inhaber der Firma die Handelsmarke
»Theekanne« gesetzlich schützen.
Im Jahr 1892 wurden die jungen Mitarbeiter Rudolf Anders und Eugen Nisslé zu Prokuristen ernannt. Sechs Jahre später übernahmen sie den Betrieb, der seitdem als Familienunternehmen weitergeführt wird.
Teegenuss wurde populär
Die neuen Inhaber stellten den Handel mit Japan- und Chinawaren ein, um sich fortan
ausschließlich auf den Import, die Verarbeitung und den Vertrieb von Tee zu konzentrieren. Mit der Neuerung, den Tee vor dem Verkauf zu reinigen, zu mischen und portioniert
unter Markennamen zu vertreiben, der dauerhaft beworben wurde, gelang ihnen der Aufstieg zum Großunternehmen. Die Meinung der Firmeninhaber als Bürger war bald ebenso
gefragt wie der Rat der Fachleute in den Branchenverbänden – dem Deutschen Tee-Konsortium und dem daraus hervorgegangenen Teeverband. Nach und nach wurden verschiedene Schritte der Herstellung mechanisiert und ein ausgeklügeltes Logistik- und Vertriebssystem aufgebaut. Eine Daueraufgabe war die Kreation neuer Teemischungen
entsprechend der veränderten Geschmacksgewohnheiten und deren kundengerechte Portionierung.
Parallel zur Durchsetzung von alkoholfreien Getränken wie Limonade und Mineralwasser
erlebte auch der Teekonsum im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts den Durchbruch
FIRMENPORTRÄT TEEKANNE GMBH
auf dem Weg zum Volksgetränk. Verantwortlich hierfür war, neben der Verbilligung des
Transports, der Herstellung und des Vertriebs vor allem die drastische Senkung der Einfuhrzölle für Tee. Der Einsatz von Maschinen und des Elektromotors erleichterte die Produktion. Als Großhändler belieferten Rudolf Anders und Eugen Nisslé Abnehmer im
gesamten Reich und in mehreren europäischen Staaten. Die 1902 im böhmischen Bodenbach errichtete Zweigniederlassung übernahm den Vertrieb für Österreich-Ungarn. Auf
der Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 in Dresden trug das Unternehmen R. Seelig
& Hille, dem eine Goldmedaille zuteil wurde, zur Popularisierung des Teegenusses im Allgemeinen und zur großen Bekanntheit der Marke »Teekanne« im Besonderen bei.
Ankunft von Teeballen im Dresdner Elbhafen,
um 1920
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
Die weltweit erste Teebeutelpackmaschine
»Pompadour« mit einer Kapazität von 35
Stück je Minute, Aufnahme: 1928
Teekanne in Düsseldorf: Blick in die größte
Teebeutelstraße der Welt mit 48 ConstantaMaschinen, 1967
100
Von »Teebomben« und Teebeuteln
Im Ersten Weltkrieg lieferte das Unternehmen den Kunden an der Front und in der Heimat
eine revolutionäre Neuerung aus: den Vorläufer des Teebeutels. Bei der zeittypisch »Teebombe« genannten Kreation handelte es sich um portionierte und leicht gezuckerte Teeportionen in von Hand gepackten Mullbeutelchen. Den Firmeninhabern gelang es, das
Unternehmen sowohl durch die von Zwangswirtschaft und Importblockaden beeinträchtigten Jahre als auch durch die von der Geldentwertung gekennzeichnete Nachkriegszeit
zu führen. Das vom Unternehmen auf der Jahresschau Deutscher Arbeit 1926 in Dresden
errichtete »Teehaus« war Ausdruck des erneuten Aufschwungs der Firma, die in jener Zeit
bereits der bedeutendste Teeimporteur Deutschlands war. Die Teeballen aus den Anbaugebieten in Asien wurden in Transitlagern in großen europäischen Häfen umgeschlagen,
ehe sie die Dresdner Zentrale, die Zweigniederlassung in Bodenbach oder die Tochtergesellschaft in Warschau erreichten. Die Produkt- und Firmenwerbung hatte ihr spezifisches
Gepräge – sanft, gefällig, aufklärend – behalten. Werbeaktionen wie Preisausschreiben,
Rabattaktionen, Sammelbildeditionen und Werbefilme verbreiteten den Ruf der »Teekanne«. Das Gesicht der Marke wurde vor allem von den phantasievoll-farbkräftigen
Zeichnungen des Dresdner Künstlerehepaares Molge-Gocht geprägt.
Im Jahr 1930 – mitten in der Weltwirtschaftskrise – wurde das Unternehmen in Teekanne
GmbH umbenannt. Zugleich bezog man ein neues Gebäude an der Zwickauer Straße, einen
großzügigen Werkskomplex, in dem sich zuvor das Verwaltungsgebäude der Mühlenbauanstalt vorm. Gebr. Seck befunden hatte. Von der Krise war die Teekanne GmbH, in der
damals fast 300 Mitarbeiter tätig waren, nur in geringem Umfange betroffen. Einerseits
hielten die Kunden dem Unternehmen die Treue. Andererseits wurden bereits vor dem Ausbruch der Krise die weltweit ersten Teebeutelpackmaschinen – eine Konstruktion von Adolf
Rambold – aufgestellt. Auf den »Pompadourmaschinen« konnten 35 Teebeutel in der
FIRMENPORTRÄT TEEKANNE GMBH
Minute hergestellt werden; die Maschine entwickelte sich zu einem Verkaufsschlager. Mit
einer neuen Generation von Maschinen (»Reliance«) und Teebeuteln (Marke »TeeFix«)
wurde der Ausstoß bis 1937 auf 80 Beutel gesteigert. Die Maschinen- und Apparateproduktion wurde zum zweiten Standbein des Unternehmens, dessen Führung zwischenzeitlich
auf die Söhne Rolf Anders und Johannes Nisslé übergegangen war. Nach 1939 kam es zu
ähnlichen Import- und Versorgungsproblemen wie im Ersten Weltkrieg. Beim Luftangriff
auf Dresden am 13./14. Februar 1945 wurde der Werkskomplex von »Teekanne« schwer zerstört. Nach dem Einmarsch der Besatzer kam es zur Beschlagnahmung und Plünderung
der Vorräte. 1946 wurden die Firmeninhaber der Teekanne GmbH enteignet.
Rückkehr nach Radebeul
1946 unternahmen die früheren Inhaber Rolf Anders und Johannes Nisslé in Viersen im
Rheinland einen Neuanfang. Der schweren Nachkriegszeit folgten die Währungsreform
und die Zollsenkung auf Teeimporte. Vom danach einsetzenden »Wirtschaftswunder«
profitierte auch die Firma Teekanne. Bis zum Jahre 1954, in dem der Firmensitz nach Düsseldorf verlegt wurde, stieg »Teekanne« wieder zu einer Weltfirma auf. Die Erfindung des
Doppelkammerbeutels 1949 und dessen Markteinführung als »TeeFix« 1951 sowie die Konstruktion entsprechender Teepackmaschinen hatten das Unternehmen erneut an die
Spitze der internationalen Entwicklung geführt. Der Konstrukteur und nunmehrige Mitinhaber Adolf Rambold leitete die angeschlossene Maschinenbaufirma. Mehreren Erweiterungen des Betriebsgeländes folgten Neugründungen von Tochterunternehmen an
anderen Orten. Neue Teemischungen wurden kreiert, darunter äußerst erfolgreich verschiedene Früchtetees. 1967 wurde die weltgrößte Taktstraße für TeeFix-Produkte in
Betrieb genommen. In den folgenden Jahren trat das Unternehmen mit weiteren Erfindungen auf dem Gebiet der Teeportionierung und -verpackung hervor.
1980 übernahm mit Ronald Nisslé, Steffen und Uwe Anders die dritte Generation der
Familie Verantwortung in der Geschäftsführung. Das Unternehmen hatte mittlerweile
1200 Beschäftigte und war unangefochtener Marktführer in Deutschland. Das werbliche
Erscheinungsbild war seit 1945 mehrfach modernisiert und dem Zeitgeist angepasst worden: die Werbedame »Rita« aus den 1950er/60er Jahren hatte hierbei international
bekannten Stars aus Sport und Unterhaltung Platz machen müssen. Heute ist die frühere
Weltklasse-Tennisspielerin Stefanie (»Steffi«) Graf das Gesicht der Teekanne-Werbung.
Seit 1990 ist Teekanne wieder mit einem Produktionsstandort in der Gründungsregion
Dresden präsent. Nach der Friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 hatten die Inhaber
den Kontakt zum VEB Kaffee und Tee in Radebeul bei Dresden, dem einzigen noch existierenden Betrieb der Branche in der Region, aufgenommen. 1991 wurde die von Otto E.
Weber 1875 begründete Radebeuler Firma, die Teehaus GmbH, übernommen. Es folgten
weitere Gründungen und Übernahmen in anderen europäischen Ländern und in den USA.
1995 trat die vierte Generation in die Unternehmensführung von Teekanne ein, ehe 2011
mit Rainer Verstynen erstmals ein familienfremder Manager an die Firmenspitze rückte.
Das vor über 125 Jahren in Dresden begründete Unternehmen ist heute wie vor einhundert
Jahren ein Unternehmen von Weltgeltung, in dem Innovation und Tradition, Effizienz und
soziale Verantwortung gleichermaßen zu Hause sind.
Holger Starke
Plakat zur II. Internationalen Hygieneausstellung in Dresden 1930/31,
Entwurf: Heinrich Molge
Das Sortiment der Tochterfirma Teehaus
in Radebeul, 2007
101
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
FIRMENPORTRÄT VOMAG BETRIEBS-AG PLAUEN
VOMAG Betriebs-AG Plauen
Standardfahrzeuge
für die Wehrmacht
Werbung für den neuen Viertonner, 1934
Anzeige zum Projekt des »Kontinent-Express«,
1936
102
Will man die VOMAG-Geschichte erzählen, hat man von drei Aktien-Gesellschaften zu
berichten. Die Vorgeschichte spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und begann
mit dem Industriespion Albert Voigt. Mit dessen Hilfe gelang 1857 die Einführung von
zwei Schweizer Handstrickmaschinen ins Vogtland. In jener Zeit war die Handstickmaschine so weit entwickelt, dass die damit betriebene industrielle Fertigung die traditionelle Produktion der weltbekannten Plauener Spitzen fast zum Erliegen gebracht hatte.
Voigt richtete zusammen mit dem Schweizer Maschinenbauer Johann Conrad Dietrich in
Kändler bei Limbach im Erzgebirgsvorland eine Maschinenfabrik ein. Dort sammelte
Direktor Dietrich jene Erfahrungen, die ihn 1881 bewogen, zusammen mit einem Monteur
der Firma, – er hieß auch Dietrich – in Plauen die »Vogtländische Maschinenfabrik
J. C. & H. Dietrich« zu gründen. Diese stellte Hand- und Schiffchenstickmaschinen her.
Nach zwei Jahren hatte der Betrieb 250 Beschäftigte und verkaufte seine Produkte an die
Stickereiindustrie in der Schweiz, in Böhmen, England, Frankreich, Italien, Russland und
Nordamerika. 1895, als die Firma bereits 400 Menschen beschäftigte und für weitere
Expansion neues Kapital benötigte, wurde am 21. Juni die »Vogtländische Maschinenfabrik Actiengesellschaft« (VOMAG) gegründet. Neben Hand- und Schiffchenstickmaschinen fertigte diese nun auch Druckmaschinen und Elektromotoren. Ihren Weltruf gewann
das Unternehmen aber durch die 1909 in den Markt eingeführte automatische lochkartengesteuerte Stickmaschine.
Im Ersten Weltkrieg stieg die VOMAG mit der LKW-Fertigung erstmals in das lukrative
Rüstungsgeschäft ein. Darüber hinaus war die Firma 1919 zu Europas größtem Produzenten von Rotationsdruckmaschinen avanciert. Aber die Weltwirtschaftskrise und interne
Probleme ließen das Unternehmen scheitern. Das am 9. Mai 1932 eröffnete Konkursverfahren zog sich bis zum 11. Juni 1942 hin, ehe die VOMAG endgültig aus dem Handelsregister gestrichen wurde.
Gewinne mit Lastkraftwagen und Bussen
Die zweite VOMAG – die »VOMAG Betriebs-A.G., Plauen« – wurde am 16. März 1932 als
Auffanggesellschaft gegründet und sollte die Aufträge der insolventen VOMAG abarbeiten.
Die Neugründung profitierte davon, dass die Wirtschaft wieder verstärkt LKW zu ordern
begann und unter anderem die Reichspost ihren Nachholbedarf befriedigte. Außerdem
bestellte die Reichsbahn nun erstmals LKW und Busse in großer Zahl. Die Senkung der
Kfz-Steuer und Verschrottungsprämien für veraltete LKW taten ein Übriges. So verbuchte
die VOMAG Betriebs-A.G. trotz der Konkursverpflichtungen schon in ihrem ersten, nur
sieben Monate währenden Geschäftsjahr 1932 einen Reingewinn. 1933 wurden eine Kapitalerhöhung vorgenommen und weitere Betriebsstätten der insolventen VOMAG erworben. Ein Jahr nach der Gründung hatte die neue VOMAG ihre Belegschaft mehr als verdreifacht und einen Reingewinn von 35.000 RM erwirtschaftet.
Um nicht mehr mit der in Insolvenz gegangenen VOMAG in Verbindung gebracht zu werden, wurde die VOMAG Betriebs-A.G. 1938 in VOMAG Maschinenfabrik A.-G. umbenannt.
In jenem Jahr wuchs die Belegschaft auf 612 Angestellte und 3213 Arbeiter an. Die Firma
verbuchte 222.415,88 RM Reingewinn und schüttete wie schon 1937 sechs Prozent Dividende aus. Ein Blick auf die – nur bis 1942 veröffentlichten – Geschäftszahlen zeigt ein
rasantes Wachstum. 1941 wurde das Kapital um zwei auf nun sechs Millionen RM erhöht,
Gewinne und Belegschaft wuchsen weiter. 1942 erwirtschaftete die Firma 360.000 RM
Reingewinn, beschäftigte 1007 Angestellte und 5798 Arbeiter. Von nun an nannte sich
das Unternehmen »VOMAG Vogtländische Maschinenfabrik Akt.-Ges.« Von 1933 bis 1942
hatte die VOMAG ihre Belegschaft auf das Sechsfache gesteigert und die Gewinne verzehnfacht.
Auf Augenhöhe mit den Platzhirschen
Als die VOMAG Betriebs-A.G. 1932 noch um ihr Überleben ringen musste, waren dort LKW
und Autobusse gebaut worden, welche – wie damals üblich – von anderen Firmen karossiert wurden. Die Produktionskapazität der Plauener Firma war jedoch gering. So repräsentierten die 1937 zugelassenen fünf VOMAG-Omnibusse und 352 Lastkraftwagen nur 1,2
bzw. 1,3 Prozent der Gesamtzulassungen. Zu den bemerkenswerten Entwicklungen der
VOMAG-Ingenieure gehörte ein dreiachsiger 9-Tonner-LKW und ein Bus auf gleicher Basis,
die auf der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung von 1938 gezeigte wurden. Mit 150 PS erreichten sie 63 bzw. 72 Stundenkilometer. Damals boten lediglich Mercedes-Benz und Faun stärkere Fahrzeuge an. Im selben Jahr verabschiedeten sich die
Plauener auch endgültig vom benzingetriebenen LKW. Die VOMAG-Dieselmotoren war so
ausgereift, dass sie – wie die Firma anpries – durch Änderung weniger Bauteile auch mit
Benzin, Holz-, Flüssig- und Stadtgas betrieben werden konnten. Dass die Leistungen der
Gasbetriebener VOMAG-Langeisentransporter,
Ende der 1930er Jahre
Links:
Der »Graubschat-Express« vor dem Anhalter
Bahnhof in Berlin, 1939
VOMAG-Motorkipper, um 1938
103
DIE KAMMERN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIMES
VOMAG-Ingenieure auf Augenhöhe mit den Platzhirschen
der Branche standen, zeigt das Modell des »KontinentExpress«, das auf der Automesse von 1936 präsentiert
wurde. Es folgte dem ein Jahr zuvor von Mercedes-Benz und
Büssing vorgelegten Bus-Konzepten, hatte zwei gelenkte
Vorder- und zwei angetriebene Hinterachsen. Für den Bus
waren 40 bis 50 Sitzplätze vorgesehen. Hinter dem Passagierteil befanden sich Toilette, Küche und der Servicezugang zum 350 PS starken 12-Zylinder-Diesel-Boxer-Motor.
Die Frachtwagenvariante sollte mit 16 bis 19 Tonnen Nutzlast über die Autobahn fahren. Die VOMAG-Entwürfe wie
auch die der Konkurrenz wurden jedoch nicht verwirklicht.
Anders der Omnibuszug »Graubschat-Express«, der seit
1939 tatsächlich über die Straßen rollte. Er basierte unter
anderem auf dem 200-PS-LKW der VOMAG, die Aufbauten
schuf die Berliner Firma Graubschat. Im Inneren hatte man
über einen Faltenbalg freien Durchgang zwischen Bus und
Anhänger, so dass für die Fahrgäste auf ihren 78 Sitzplätzen
der Eindruck eines zusammenhängenden Raumes entstand. Eingesetzt wurde er von der Reichsbahn auf der
Reichsautobahn-Kraftomnibus-Linie Berlin-München – die
von zwei Pausen unterbrochene Fahrt dauerte elf Stunden.
Im Jahr 1942 erlangte noch einmal eine VOMAG-Entwicklung Aufmerksamkeit. Die Plauener hatten ihren 150-PSDiesel bei nur sechzehnprozentiger Hubraumsteigerung
und ohne dass er schwerer wurde, zu einer Leistung von
200 PS geführt. Ein wichtiger Kunde für die 200-PS-Busse
war die Kraftverkehrsgesellschaft Sachsen.
Einheits-LKW und Gaudiplom
Viele der technischen Entwicklungsleistungen konnte die
VOMAG auf dem rüstungsfixierten Markt jedoch nicht
gewinnbringend umsetzen. Für den »Einheits-LKW« der
Wehrmacht bekam sie wegen ihrer begrenzten Kapazitäten
kein Fertigungskontingent, gehörte aber später zum Produzentenkreis des sogenannten Einheits-Dieselmotors. 1940
begann das Unternehmen mit der Lizenzproduktion des
18-Tonnen-Halbketten-Fahrzeuges »Sd. Kfz. 9, Typ 3«, des
Wehrmacht-Standardfahrzeugs zum Schleppen und Bergen
schwerer Lasten. 1942 legte die Firmenleitung ein Angebot
für die Entwicklung und Produktion eines Panzer-Prototyps
vor, dessen Serienfertigung dann im Oktober 1943 aufgenommen wurde. Fünf Monate zuvor hatte die VOMAG das
»Gaudiplom für hervorragende Leistungen« bekommen
104
FIRMENPORTRÄT VOMAG BETRIEBS-AG PLAUEN
und war somit »nationalsozialistischer Musterbetrieb«. In jenen Jahren presste das Unternehmen mehrere tausend Zwangsarbeiter aus. Letztlich lieferte die VOMAG etwa 1.700
»Jagdpanzer IV« und verlängerte damit das Abschlachten an den Fronten Europas. Am
8. April 1945 zerstörten amerikanische Bomberverbände die Betriebsstätten so weit, dass
die Produktion eingestellt werden musste. Nachdem die SMAD am 1. Juli 1945 Plauen von
den Amerikanern übernommen hatte, verfügte sie die vollständige Demontage der
VOMAG und sprengte im Winter 1945/45 systematisch die Betriebsanlagen.
Am Beginn des Jahres 1933 war die VOMAG eine traditionsreiche, innovative und auf internationalen Märkten agierende Firma gewesen. Anfang 1946 war von dem Unternehmen
nichts geblieben als eine ebenerdige Fläche: Die Maschinen waren demontiert, die
Gebäude geschleift. 1948 erfolgte die Löschung aus dem Handelsregister. Was wurde aus
den Menschen? Die Ingenieure und Arbeiter der VOMAG führten in West- und Ostdeutschland das technologische Erbe fort, beispielsweise bei Krupp oder in der 1946 gegründeten
Plauener Maschinenbaugesellschaft mbH, welche Reparaturen anbot. Ab 1953 gab es in
Plauen wieder einen Instandsetzungswerk für Großraumfahrzeuge, das später die Grundinstandsetzung der in DDR verkehrenden Busse übernahm. 1990 nahm dort NEOPLAN –
seit 2.000 unter dem Dach von MAN – die Busproduktion auf. Zu den Besonderheiten des
Plauener Sortiments gehören Flughafenvorfeldbusse, die weltweit geliefert werden.
Bis zum Ende der DDR waren auch noch etwa zwanzig VOMAG-LKW und -Busse im harten
Alltagseinsatz gewesen. Mit etwas Glück kann man heute auf vogtländischen Straßen alte
VOMAG-Schmuckstücke treffen, die Enthusiasten originalgetreu wiederaufgebaut haben
und bei gutem Wetter hin und wieder »ausführen«.
Thomas Ahbe
Zwei VOMAG-Zugmaschinen bergen 1944 in
Italien einen beschädigten deutschen Panzer
Linke Seite:
Panzerproduktion in der neuen »Panzerhalle«
der VOMAG
Jagdpanzer IV der VOMAG (restauriertes Modell
des Deutschen Panzermuseum Munster)
105
Zusammenbruch, Neubeginn
und Planwirtschaft
Die Kammern in der Nachkriegszeit und in der DDR
1945–1990
Otto Seiffert, Präsident der IHK Sachsen
1945–1950
Rechte Seite: Wiederaufbau in Dresden.
Die Straßenbahn fährt wieder: Linie 25 in der
Grunaer Straße während des Wiederaufbaus
des landwärtigen Gleises im Juni 1946.
106
Die Kriegsfolgen trafen auch die sächsische Wirtschaft, wenngleich weniger als andere
Industriezentren Deutschlands. Einige ihrer Zweige wie die Leipziger Buch- und Druckindustrie, die Dresdner Fotoindustrie und der Chemnitzer Maschinenbau wurden sowohl
durch die strukturellen Veränderungen als auch durch die unmittelbaren Kriegszerstörungen betroffen. Die Demontagen und der Verlust an qualifizierten Fachkräften durch
Krieg und Kriegsgefangenschaft verschärften diese Situation. Die Struktur einer auf das
ganze Land verteilten Industrie war jedoch im Wesentlichen erhalten geblieben. Die Vielfalt der Industriezweige und der Schwerpunkt der Konsumgüterindustrie verhinderten so
gravierende Einbrüche wie in den Zentren der Rüstungsindustrie. So entstand rasch wieder eine leistungsstarke sächsische Wirtschaft, die deren Traditionen bis weit in die 1950er
Jahre weiterführen konnte.
Die institutionellen Folgen waren dennoch gravierend: Die Siegermächte zerschlugen 1945
den NS-Staatsapparat auf allen Ebenen, das Bankensystem wurde vorerst stillgelegt und
die Verkehrsverbindungen waren vielerorts beschädigt oder zerstört.
Nach Beendigung des Krieges wurde im Mai 1945 die Wirtschaftskammer Sachsen aufgelöst, das galt auch für die Bezirkswirtschaftskammern.
Am 29. Oktober 1945 erließ die Landesverwaltung eine Verordnung zur Neugründung
einer Industrie- und Handelskammer für Sachsen mit Sitz in Dresden. Erster von der Landesverwaltung bestellter Präsident war Otto Seiffert, der dieses Amt bis 1950 ausübte. Die
Industrie- und Handelskammern im damaligen Bundesland Sachsen wurden als Organe
der Wirtschaft zur Durchführung der von der Zentralverwaltung und der Landesverwaltung erlassenen Anordnungen, Verfügungen und Richtlinien verstanden. Ihre Aufgabe
war insbesondere, die an sie ergehenden Weisungen der Zentralverwaltung und der Landesverwaltung »unter Einschaltung der Initiative der in der Wirtschaft Tätigen« zu verwirklichen. In allen Kreisen des Landes entstanden regionale Industrie- und Handelskammern, so dass 29 Kreiskammern und eine Nebenstelle entstanden. Die Kammern, in
denen anfänglich alle Unternehmensformen von Industrie und Handel vertreten waren,
leisteten eine wichtige Arbeit zur Wiederherstellung der Wirtschaft. Allerdings ließen sie
sich sowohl hinsichtlich der Aufgabenstellung wie auch in der Zusammensetzung nicht
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Verordnung über die Bildung der Industrieund Handelskammern im Bundesland Sachsen,
29. Oktober 1945
Jahresbericht der IHK Sachsen, 1947
108
mit den bis 1932 existierenden Kammern vergleichen. Je ein Drittel der 24 Mitglieder waren
Vertreter der Mitgliedsfirmen, Vertreter der Gewerkschaften sowie Vertreter der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialverwaltungen. Ansätze der Selbstverwaltung der Wirtschaft,
wie sie in Leipzig unter der US-amerikanischen Besatzung rasch wieder auflebten, wurden
nach deren Abzug ebenso rasch liquidiert. Die dirigistische Organisationsstruktur der
Kammer resultierte zum Teil aus der schwierigen wirtschaftlichen Lage, aber auch aus
den wirtschaftspolitischen Zielstellungen in der sowjetischen Besatzungszone. Die Hauptaufgabe der IHK bestand in der Ingangsetzung der durch den Krieg schwer zerstörten kleinen und mittleren Unternehmen. Vor allem sollte die Versorgung der Bevölkerung mit
Brennstoffen, Lebensmitteln und Kleidung gewährleistet werden.
Das 1943 von der Gauwirtschaftskammer übernommene Eigentum der alten sächsischen
IHK wurde auf die neugegründete Industrie- und Handelskammer des Landes übertragen.
Die Neugründung hatte auch Konsequenzen für die Entwicklung in den regionalen Wirtschaftszentren. Industrie- und Handelskammern wurden in Leipzig, Borna und Grimma
gegründet, diese nahmen zu Beginn des Jahres 1946 ihre Tätigkeit auf. Am 1. Juli 1949
wurde aus der IHK Leipzig die Bezirkskammer IHK Leipzig, der nunmehr die Kreisgeschäftsstellen Borna und Grimma unterstanden.
In der Dresdner Region entstanden 10 IHK auf Kreisebene, die etwa 5.400 Industrieunternehmen und mehrere Tausend Handelsunternehmen sowie Unternehmen des Gaststätten-, Verkehrs- und Beherbergungsgewerbes betreuten. Für die Kleinunternehmen in den
Bereichen Groß- und Kleinhandel, Gaststätten, Verkehr, Drogerien und Gartenbau bestand
eine Pflichtmitgliedschaft.
In Görlitz, das im Ergebnis des Krieges zum Freistaat Sachsen gekommen war, wurde am
29. September 1945 die Bezirkswirtschaftskammer Görlitz gegründet. An der Veranstaltung nahmen der Präsident der Landesverwaltung Sachsen Rudolf Friedrichs und der
Vizepräsident Kurt Fischer teil. Der Status der Bezirkswirtschaftkammer war nur ein Übergang zur Anpassung an die sächsischen Strukturen und schloss 1949 mit der Umbenennung zur Kreisgeschäftsstelle Görlitz der IHK Bautzen.
In Chemnitz wurde am 29. Januar 1946 die Bezirkswirtschaftskammer aufgelöst. Bereits
bei der Besetzung der Stadt im Mai 1945 wurde das Gebäude der IHK in der Bahnhofstraße
(Carolastraße) zum Sitz der Ortskommandantur der sowjetischen Militärverwaltung. Die
IHK, zu dieser Zeit noch Bezirkswirtschaftskammer, war gezwungen, ihre Geschäftsräume
zu verlegen. Auch in Plauen und Zwickau entstanden auf Weisung der Landesverwaltung
Sachsen Ende 1945 regionale Industrie- und Handelskammern; Ende der 1940er Jahre
gehörten die Kreisgeschäftsstellen Glauchau und Aue zur Zwickauer Bezirkskammer.
Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) zeigte sich an einer Einbindung der Kammern in die Nachkriegsordnung interessiert. Durch den Befehl 61 der SMA wurden die
Kammern zu Vertretern der Arbeitgeberseite bei den Tarifverhandlungen berufen. In der
am 30. Juni 1945 durch die SMAD für das Land Sachsen ernannten Beratenden Versammlung wurden allerdings den Kammern lediglich 3 der 67 Sitze zugestanden, dem Freien
Deutschen Gewerkschaftsbund hingegen 10.
Die sich darin bereits andeutende Schwächung der IHK prägte die weitere Entwicklung. Die
Anordnung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) zu Beginn des Jahres 1949, derzufolge die Staatsbetriebe (VEB) nicht mehr durch die IHK zu vertreten seien, ebnete den
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Weg in die Bedeutungslosigkeit. Gleichzeitig erhielten die Kammern aber nach wie vor Aufgaben, die sie nur in Zusammenarbeit mit dem »volkseigenen Sektor« realisieren konnten.
Die Führung der Kammer kämpfte um ihre Existenzberechtigung. Sie verstand sich als
»beratendes und begutachtendes Organ«, welches »staatlichen Bewirtschaftungs- und
Lenkungsstellen eine für die wirtschaftspolitische Entwicklung erwünschte Flankendekkung durch geschickte Aufklärungs- und Beratungstätigkeit« verschaffen könne. Und sie
sah sich als Mittler der Kontakte zwischen der ostdeutschen und der westdeutschen Wirtschaft. Die Beschränkung auf private Betriebe, denen allenfalls Hilfs- und Zubringerdienste zugestanden wurden, veränderte jedoch den Charakter der IHK.
Demontage im Arzneimittelwerk Dresden
durch die Belegschaft unter Aufsicht von
Soldaten der Roten Armee, 1945
109
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Am 1. Juli 1949 wurden Bezirkskammern der IHK errichtet. Sie waren als erforderlich
erkannt worden, weil bestimmte Schwerpunkte industrieller Fertigung in größeren Kreisen zentral erfasst werden sollten. 1949/50 übernahm die IHK im Interesse ihrer Stärkung
auch die Betreuung kleiner Familienunternehmen und Offener Handelsgesellschaften,
die bis dahin durch die Handwerkskammer betreut worden waren.
Eine erste gesetzliche Regelung zu den Industrie- und Handelskammern in der DDR erfolgten am 6. August 1953. Bis dahin blieb die Länderhoheit gegenüber den Kammern bestehen. Eine zentrale Kammerorganisation auf dem Gebiet der DDR entstand erst nach der
Auflösung der Länder und der Bildung der Bezirke.
Nach der rigiden Zerstörung eines Teiles der privaten Wirtschaft in den Jahren zwischen
1950 und 1952/53 wurde nach dem 17. Juni 1953 auch ein neuer Kurs gegenüber den privaten Unternehmern eingeschlagen. Sie sollten in das politische System der DDR integriert
werden. Deshalb entstand mit Wirkung vom 1. August 1953 die Industrie- und Handelskammer der Deutschen Demokratischen Republik. Diese war ab 1953 eine Organisation
in der DDR, die für die noch nicht verstaatlichten Unternehmen Teilaufgaben der früheren
Industrie- und Handelskammern wahrnahm. Ihr wurde das Recht auf Selbstverwaltung
unter der Aufsicht der Regierung der DDR eingeräumt. Der Vorstand der Industrie- und
Handelskammer der DDR bestand aus 45 Personen. Lediglich 15 hiervon wurden von den
Unternehmen selbst bestimmt. 15 Mitglieder benannte der Staat, 15 weitere die Belegschaften. Davon wurden 5 direkt durch den Vorstand des FDGB bestimmt. Das Präsidium,
Enteignungsurkunde (mit Begleitschreiben),
Aktien-Brauerei Plauen/Vogtl,. unterzeichnet
vom sächsischen Ministerpräsidenten Max
Seydewitz und (in Vertretung von Innenminister Kurt Fischer) vom Kultusminister Helmut Holtzhauer (alle SED), 1948
Schaufenster eines Einzelhandelsgeschäftes,
1954
110
111
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Bauarbeiten für die VEB Robotron und
Meßelektronik Dresden, um 1970
Das Gebäude der früheren IHK Chemnitz
hinter dem »versteinerten Wald«, um 1966
Rechte Seite: Propagandaspruch an einem
Bauleitungsbüro, 1975
112
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
eingesetzt durch den Vorstand, bestand aus dem Vorsitzenden und vier Stellvertretern.
Es musste vom Ministerpräsidenten genehmigt werden.
Die neugegründete IHK der DDR richtete in jedem Bezirk am Sitz des Rates des Bezirkes
eine Bezirksdirektion ein und bevollmächtigte diese, Kreisgeschäftsstellen einzurichten.
Diese konnten auch mehrere Kreise umfassen. Die IHK war aber weit davon entfernt,
Selbstverwaltungsorgan der privaten Wirtschaft zu sein. Im Gefüge des sozialistischen
Zentralismus wurden den IHK lediglich beratende und unterstützende Aufgaben zugewiesen. Die Bezirksdirektionen besaßen keinerlei Selbstständigkeit. Der Bezirksdirektor
und sein Stellvertreter wurden vom Präsidium der IHK der DDR bestellt; die Tätigkeit der
direkten Anleitung und Kontrolle durch die IHK der DDR unterstellt. Zur fachlichen Beratung des Bezirksdirektors wurden ein Beirat und Fachausschüsse gebildet.
Um die Kosten aufzubringen, war die IHK der DDR berechtigt, bei den ihr angeschlossenen
Betrieben Jahresbeiträge zu erheben, die sich aus einem Grund- und einem vom Umsatz
des jeweiligen Betriebes abhängigen Staffelbeitrag zusammensetzten.
Dass die politische Führung einen klaren, gegen die privaten Unternehmer gerichteten
Kurs verfolgte, war schon erkennbar gewesen. So war auch der IHK der DDR in dieser
Form und Struktur kein langes Leben beschieden. Ihr Präsidium und ihr Apparat wurden
bereits nach fünf Jahren Existenz aufgelöst, auf der Grundlage einer Verordnung über die
Bildung von Wirtschaftsräten bei den Räten der Bezirke und über die Aufgaben und Struktur der Plankommission bei den Räten der Kreise vom 13. Februar 1958. Eine Teilnahme
von Vertretern der IHK an den Wirtschaftsräten war nicht vorgesehen. Den IHK-Bezirksdirektionen und Kreisgeschäftsstellen wurde lediglich die Aufgabe der »politisch-ideologischen Einflussnahme auf die Betriebsinhaber der privatkapitalistischen Wirtschaft im
Interesse der verstärkten Einbeziehung in den sozialistischen Aufbau« zugewiesen.
Die Einbindung der privaten Wirtschaft in die staatliche wirtschaftliche Entwicklung zu
gewährleisten, war die wichtigste Aufgabe der IHK. Seit 1956 drängte der Staat darauf,
die staatliche Beteiligung zu akzeptieren, weil er darin die effektivste Methode sah, diese
Unternehmen zu beeinflussen.
Die bisherigen Bezirksdirektionen wurden selbstständig nunmehr den Räten der Bezirke
unterstellt; die Kreisgeschäftsstellen den Räten der Kreise und den Industrie- und Handelskammern der Bezirke. Von gutachterlichen oder beratenden Aufgaben war nichts mehr
übrig geblieben. Als »Transmissionsriemen« der SED hatten die Kammern die »Gesetze
und Maßnahmen der Arbeiter- und Bauernmacht« zu »erläutern«, Inhaber privater
Betriebe für die Aufnahme einer staatlichen Beteiligung, für die Einbeziehung in den staatlichen Kommissionshandel oder für eine Beteiligung an anderen Formen der Einbeziehung
in das sozialistische Wirtschaftssystem zu gewinnen. Damit trugen sie freilich zu ihrer perspektivischen Aufhebung bei, zumal auch die halbstaatlichen Betriebe von der Betreuung
durch die IHK ausgenommen wurden.
Während die Aufgaben der IHK der DDR sich anfangs noch an denen der freien IHK orientiert hatten, waren ihnen ab 1958 Themen wie die Mitwirkung an der Berufsausbildung
weitgehend entzogen. Sie sollten nun vor allem die Unternehmer für den Aufbau des
Sozialismus zu gewinnen. Aufgrund der Abschaffung der Koalitionsfreiheit in der DDR
hatten die IHK zwar die Aufgabe, für den Bereich der privaten Unternehmen Tarifverträge
abzuschließen. Gleichzeitig erfolgte aber die Enteignung der Kammern. Mit Weisung des
113
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Plakat der DEWAG zum
40. Jahrestag der DDR, 1989
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Rates des Bezirkes Leipzig vom 6. Februar 1959 wurde das gesamte Vermögen, das über
Jahrzehnte durch Mitgliedsbeiträge, aus Stiftungen und Spenden zusammengetragen worden war, entschädigungslos in Staatseigentum überführt.
Gleichzeitig musste mit diesen gesetzlichen Regelungen die Tätigkeit in der Bibliothek
der Kammer und dem Archiv eingestellt werden. Die Kammer war nicht mehr Eigentümer
ihres Vermögens und konnte somit nicht mehr über den Bestand dieser Einrichtung entscheiden.
Spätestens seit der Verstaatlichung der letzten Industriebetriebe 1972 führte die Kammer
endgültig ein Schattendasein. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt schieden damit noch einmal
1.100 Betriebe mit etwa 26.000 Beschäftigten aus der Kammerbetreuung aus. Danach war
die IHK noch für etwa 6.300 private Händler, Gastronomen, Taxiunternehmer und Schausteller zuständig. Händler, die zugleich ein Handwerk ausführten, wurden in den meisten
Fällen durch die Handwerkskammer betreut. Die traditionelle Bezeichnung der Kammern
stand in einem zunehmend grotesken Verhältnis zu Aufgabe, Bedeutung und Zuständigkeit. Am 1. Juli 1983 wurden sie deshalb in Handels- und Gewerbekammern umbenannt.
Diese waren eher »Kummerkasten« der privaten Gewerbetreibenden, denn einflussreicher
Interessenvertreter.
Eine Bilanzierung fällt schwer. Die Idee der Selbstverwaltung der Wirtschaft, wie sie sich
in der Kammergeschichte niederschlug, war ausgehöhlt, auch wenn Institutionen mit der
Bezeichnung »Kammer« noch existierten. Das Ziel der Kammern, den Mitgliedsunternehmen für ihre wirtschaftliche Existenz Unterstützung anzubieten, war nicht mehr realisierbar. Zugleich arbeiteten in den Kammern Mitarbeiter, die mit ihren immer begrenzteren
Möglichkeiten versuchten, für die Händler, Gastronomen und anderen Gewerbetreibenden da zu sein.
Der politische und wirtschaftliche Umbruch der Jahre 1989/90 wirkte auch für die Kammern wie die Öffnung eines Fensters in einem Jahrzehnte verschlossenen Raum.
Ulrich Heß
Rechte Seite:
Arbeiterinnen im VEB Kombinat Robotron,
Werk Dresden-Gruna
Aus der Serie Dresden »Zeitreise«
(Christian Borchert ), Dezember 1980
114
115
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Auhagen GmbH in Marienberg
Schmucke Modelle
für phantastische Bahnwelten
Firmenanwesen, um 1912
Sobald ein Zug der Erzgebirgsbahn in Richtung Marienberg die Steigung am Hang des
Hüttengrundes passiert, taucht auf der rechten Seite für kurze Zeit ein »schmuckes«
Betriebsgelände auf. Es passt sich harmonisch in die Landschaft ein wie die Gehöfte,
Rathäuser, Kirchen oder Bahnbauten auf den Hochflächen und in den Tälern der in über
eintausendjähriger Geschichte entstandenen Kulturlandschaft. Vor dem Hauptgebäude
des Betriebes deutet ein Eisenbahn-Formsignal an, dass hier Dinge für Eisenbahnfreunde
hergestellt werden.
Vielfalt auf der Modellbahnplatte
Die Auhagen GmbH ist Modelleisenbahnern weithin bekannt. Sie produziert Bahnhofsgebäude, Lokschuppen, Wassertürme, Fabrikhallen, Stadtvillen, Bauernhäuser und Biergärten en miniature – also Gebäude und Anlagen im Kleinformat, mit denen Modelleisenbahnplatten erst jene Illusion von Realität vermitteln, die den Reiz dieses Hobbys
ausmachen. Die Vorbilder finden sich faktisch vor der Haustür, aber auch in der weiteren
Umgebung im Erzgebirge. Manche Modelle sind für den Kenner auf den ersten Blick zu
identifizieren, da sie die maßstäbliche Verkleinerung eines Gebäudes an einer viel befahrenen Hauptstrecke der Deutschen Bahn oder an einer der von den Eisenbahnfreunden
so geliebten Schmalspurbahnen sind.
Doch nicht nur die Bauten im Erzgebirge standen Pate für die detailgetreu gestalteten
Modelle der Marke Auhagen, sondern ebenso eine ganze Reihe norddeutscher Bauwerke,
dazu typisch preußische Eisenbahnarchitektur und sogar ein holländischer Bauernhof.
Damit kann der Modelleisenbahner komplette Landschaften nachbauen – vorausgesetzt,
seine Modellbahnplatte verfügt über ausreichend Platz. Die Vielfalt des Angebotes, aus
dem er wählen kann, ist auf jeden Fall überwältigend.
Ein Vergleich der Auhagen-Kataloge aus den Jahren 1991 und 2011 verdeutlicht, dass aus
einem ehedem beschränkten Sortiment eine nahezu unüberschaubare Angebotspalette
geworden ist. Heute stehen die Kunden vor der Qual der Wahl: Sie können viele Landschaften und Städte zusammenbauen; bei der Gestaltung von Industrieanlagen, Gewerbebauten und Verkehrswegen sind der Phantasie ebenfalls kaum Grenzen gesetzt.
Die Firmengebäude 2011, nach mehreren
Rekonstruktions- und Umbaumaßnahmen
116
FIRMENPORTRÄT AUHAGEN GMBH IN MARIENBERG
beginn mit Paukenschlag: Die maßstäbliche Verkleinerung des Bahnhofes KlingenbergColmnitz wurde auf Anhieb zum »Modell des Jahres« gewählt. Die Ankunft des Familienbetriebs in der Marktwirtschaft hätte nicht besser gelingen können.
Auhagen war den typischen Weg vieler sächsischer Familienbetriebe gegangen. Die Wurzeln des Unternehmens reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als im Erzgebirge eine Vielzahl von Industriebetrieben gegründet wurde. Im Jahr 1885 nahm die am Standort Hüttengrund, etwas unterhalb der alten Bergstadt Marienberg gelegene Pappenfabrik von
Heinrich Auhagen die Produktion auf. Über mehr als zwei Generationen hinweg, auch in
der ereignisreichen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verzeichnete die Firma einen guten
Geschäftsgang. Im Jahr 1945 erweiterte sich das Produktionsspektrum: Mit der Herstellung
von gestanztem Weihnachtsbaumschmuck trat die Veredlung des Ausgangsmaterials an
die Seite der Pappenproduktion. Seit den frühen 1950er Jahren, als die Modelleisenbahnen
der Spurweite HO immer besser wurden, bot die Firma Auhagen Modellbausätze aus
Pappe im Maßstab 1:87 an. Die Hobbyeisenbahner griffen begeistert zu. Später wurden
Kunststoffspritzmaschinen angeschafft und ein eigener Werkzeugbau eingerichtet. Damit
war Auhagen in der Lage, einige Details wie kleine Regenrinnen und Fernsehantennen
aus Kunststoff herzustellen, wodurch die Gebäude ein realistischeres Aussehen erhielten.
Durch den auf der Verpackung aufgebrachten Hinweis »Gemischtbauweise« konnte der
Modellbaufreund erkennen, dass die Packungen nicht nur Teile aus gestanzter Pappe,
sondern auch Kleinteile aus anderen Materialien enthielten.
Modell eines Straßenzuges mit Fahrzeugmodellen aus der Serie »Schmidtstraße«,
Nenngröße H0
Neubeginn mit Paukenschlag
Im Jahr 1991, ein Jahr nach der Reprivatisierung des früheren Familien- und damaligen
Staatsunternehmens, stellte das Unternehmen zum ersten Mal auf der Nürnberger Spielwarenmesse aus, die als Leitmesse der Branche in Deutschland gilt. Es war ein Neu-
117
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Fertigung der Kartonagen mit Hand,
1980er Jahre
Konstruktion/Entwicklung von Modellen, 1991
Anwendung von CAD/CAM-Software
im Werkzeug-und Formenbau, 2010
118
»Mamos« contra »Auhagen«
Nach langwierigem und beharrlich geführtem Kampf um größere Materialzuteilungen in
der Staatsplanwirtschaft der DDR gelang es Auhagen, 1970/71 zur Vollplastausführung
überzugehen. Doch schon ein Jahr später brachte die Zwangsverstaatlichung einen tiefen
Einschnitt in der Firmengeschichte. In den folgenden 18 Jahren firmierte das Werk unter
VEB Modellspielwaren Marienberg-Hüttengrund und wurde 1980 in das Kombinat VEB
VERO Olbernhau eingebunden. Dabei verschwand sogar offiziell der Traditionsname
Auhagen. Unter den Modelleisenbahnern fand die neue Markenbezeichnung »Mamos« –
ein Kunstwort, das für »Marienberger Modellspielwaren« stand – jedoch kaum Freunde;
sie sprachen weiterhin von »Auhagen«.
Im Zuge des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs im Osten Deutschlands wurde
das Unternehmen 1990 reprivatisiert. Mit einem Sortiment aus Modellbahnzubehör sowie
aus Verpackungen aus Pappe und Karton kehrte Auhagen unter seinem etablierten
Markennamen auf den freien Markt zurück. 1993 übergab Rudolf Auhagen seiner Tochter
Ute Hofmann-Auhagen die Führung des Unternehmens, das seither in der Rechtsform
einer GmbH geführt wird.
Modellbau verlangt nach Perfektion. Dies gilt ganz besonders für den schwierigen deutschen Markt mit seiner anspruchsvollen Kundschaft. Sonderwünsche sind eigentlich die
Regel: In einem Jahr wünscht sich der Kunde zur Erweiterung seiner Modellbahn eine alpenländische Szene; im nächsten Jahr verlangt er nach Modellen norddeutscher Fischerkaten. Solchen rasch wechselnden Anforderungen gerecht zu werden, ist der hochgesteckte Anspruch der Auhagen GmbH. Kein Hersteller kann jedoch jeden regional charakteristischen Haustyp im Modell vorhalten. Die erfolgreiche Strategie der Auhagen
GmbH besteht darin, eine ausgewogene Breite des Sortiments bei vielfältigen Gestaltungsvarianten anzubieten. Das Unternehmen, das seine Produkte in den drei klassischen
Spurweiten HO, TT und N fertigt, ist damit seit vielen Jahren Marktführer im Modellbahn-Zubehörmarkt im Osten Deutschlands.
Die strenge Jury ist überzeugt
Dieser Erfolg beruht nicht zuletzt darauf, dass die Auhagen GmbH Trends mitbestimmt
und zugleich Kundenwünsche flexibel aufgenommen hat. Auf eindrucksvolle Weise zeigt
dies das vielfältig kombinierbare Baukastensystem. Als nach 1990 im Osten Deutschlands
allerorten die alten Fabrikgebäude mit ihren rauchenden Schornsteinen, alten Werkhallen
und Direktionsgebäuden verschwanden, stieg die Nachfrage nach Miniaturen aus der Blütezeit der Industrie stark an. Das Auhagensche Baukastensystem ermöglicht es dem ambitionierten Modellbauer, sich eigene Fabriklandschaften zusammenzustellen. Dieses
System wurde ebenso prämiert wie zuvor viele andere Schöpfungen des Unternehmens
für den Modellbahnmarkt. Seit 1991 wurde nahezu jedes Jahr ein Produkt der Firma als
»Modell des Jahres« ausgezeichnet. Als Preisgericht fungierte dabei eine überaus strenge
Jury: die Gemeinschaft der Modelleisenbahner selbst. Initiiert von den Zeitschriften
»Eisenbahn-Magazin« und »Modellbahn-Illustrierte« werden unter den Neuheiten jedes
Jahres in verschiedenen Kategorien die Favoriten gewählt – wobei jährlich tausende Produkte neu auf den Markt gelangen. Auch im Jahr 2011 ging die begehrte Auszeichnung in
der Kategorie »Gebäudemodelle und ihre Ausstattungen« wiederum ins Erzgebirge.
KURZTITEL
Konstruiert und gefertigt werden die Modelle im Marienberger Ortsteil Hüttengrund. Hierbei werden letztlich dieselben Verfahren angewendet, die ein Fertighaushersteller für die
87-mal größeren Vorbilder nutzt: Konstruktion am Computer und Fertigung auf CNCgesteuerten Maschinen. Bis heute bekennt sich Auhagen konsequent zum Produktionsstandort Deutschland. Das sächsische Unternehmen produziert ausschließlich am
Gründungsstandort. Dies ist einerseits ein Bekenntnis zur Region und andererseits eine
Botschaft im Hinblick auf Anspruch, Qualität und Termintreue, wie die Geschäftsführer
des Familienunternehmens Ute Hofmann-Auhagen und Michael Hofmann betonen.
Heute setzt die Firmenleitung auf neueste
Technologien (hier: SANWA TRP-820-SE
Stanzautomat).
Modelle von Auhagen sind hochwertiges, in Serie gefertigtes Zubehör für die Modelleisenbahn. Aufgrund der Erfahrung des Unternehmens im kostenintensiven Werkzeugund Formenbau hat Auhagen auch eine starke Position entlang der gesamten Wertschöpfungskette inne. Zu vielen Herstellern der Branche, die auf das in Jahrzehnten gewachsene
Können des Marienberger Unternehmens vertrauen, bestehen Kooperationsbeziehungen.
Verpackungen aus Karton und Pappe in unterschiedlichen Formen und Materialkombinationen runden das Produktionsprogramm der Auhagen GmbH ab. Apropos Karton:
Derselbe stand vor über 125 Jahren am Anfang der Entwicklung der Firma Auhagen.
Jüngst ist das Unternehmen zu diesem Material zurückgekehrt und ergänzt das Sortiment
aus Kunststoffmodellen mit Bausätzen aus fotorealistisch bedrucktem Karton, die sich
besonders gut zur Hintergrundgestaltung eignen.
Helge-Heinz Heinker
119
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Abraham Dürninger & Co. GmbH
Die Drucker der Aufnäher
»Schwerter zu Pflugscharen«
Abraham Dürninger
Deckblatt eines Angebotskataloges, 1897/98
120
Als der Namensgeber der heutigen Abraham Dürninger & Co. GmbH 1747 auf Wunsch des
Grafen Nikolaus von Zinzendorf nach Herrnhut kam, hatte er einen klaren Auftrag: dem
kleinen Dorfladen der Herrnhuter Brüdergemeine auf die Beine zu helfen. Mit wirtschaftlichem Geschick und einem feinen Gespür für die Trends der Zeit gelang es Abraham Dürninger, der selbst der Brüdergemeine angehörte, innerhalb weniger Jahre aus dem unbedeutenden Geschäft ein florierendes Handelsunternehmen zu entwickeln, das kunstvoll
bedruckte Leinwand aus Herrnhut in viele europäische Staaten, ja sogar nach Nordamerika lieferte. Auch mit Spiel- und Kolonialwaren wurde zeitweilig gehandelt.
Als Dürninger 1773 kinderlos starb, verfügte er, dass das Unternehmen unter seinem
Namen unabhängig weitergeführt werden und nur im Falle existentieller Not an die Brüdergemeine übergehen solle. Als christlicher Kaufmann hatte er großen Wert auf Unabhängigkeit gelegt, auf die Trennung von theologischer und wirtschaftlicher Sphäre – und
der Erfolg gab ihm Recht.
FIRMENPORTRÄT ABRAHAM DÜRNINGER & CO. GMBH
Die Stiftung als »Lebensversicherung«
Um 1800 zählte Dürninger zu den größten sächsischen Unternehmen, in dem bis zu 12.000
Spinner und 2.000 Weber beschäftigt waren. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden
auch die Herstellung und der Vertrieb von Tabakwaren aufgenommen. An der Gründung
der Handels- und Gewerbekammer Zittau 1862 war die Firma maßgeblich beteiligt. Dürninger war der erste deutsche Importeur von Havanna-Zigarren. Seit 1903 führte das Unternehmen den Titel eines Sächsischen Hoflieferanten.
Im Jahr 1925 wandelten die Direktoren der Firma Abraham Dürninger & Co. das Unternehmen in eine Stiftung um. Die aufgrund der Erfahrungen in der wirtschaftlich instabilen
Nachkriegszeit getroffene Entscheidung erwies sich nach dem Zweiten Weltkrieg als ein
Glücksfall. Als in der sowjetischen Besatzungszone Grundstücke und Unternehmen in
Staatseigentum überführt wurden, blieb die Stiftung nach kirchlichem Recht – wie das
Eigentum der Kirchen überhaupt – unverändert erhalten. Allein die weithin bekannte
Herrnhuter Sterne GmbH, bei der Dürninger Mehrheitsgesellschafter war und die Produktionshallen zur Verfügung stellte, wurde enteignet.
Bei der Weltausstellung in Paris 1937 erhaltene Auszeichnung mit dem »Großen Preis«
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Die Startbedingungen nach dem Krieg waren schwierig. Die zur Veredlung der Gewebe
wichtige Bleichanstalt in Herrnhut war zerstört, Fabrikanlagen und Lager waren geplündert. Unternehmensteile, die sich in jenem Teil Schlesiens befanden, der nach dem Zweiten Weltkrieg von Deutschland abgetrennt wurde, gingen verloren. Viele kleine Schritte
und großes Improvisationstalent waren nötig, ehe die Weberei 1954 wieder ihren Betrieb
aufnehmen konnte. 1962 wurde der Grundstein für die heute so wichtige Textildruckerei
gelegt. Erst in den 1970er Jahren waren die schlimmsten Kriegsfolgen überwunden. Mit
dem Textilkombinat Lautex war ein fester Abnehmer für die Waren gefunden, womit Dürninger – was den Vertrieb anging – in das Plansystem der DDR integriert war. Darüber
hinaus wurden andere staatliche Betriebe, zum Beispiel aus der Spielwarenindustrie, mit
Vliesprodukten beliefert. Vom Erfolg profitierte das in der Rechtsform der Stiftung agierende Unternehmen jedoch kaum: Vom Gewinn mussten etwa 95 Prozent als Steuer abgeführt werden, was kaum Investitionen in neue Technik oder Immobilien ermöglichte.
Rückgrat und Improvisationstalent
Geleitet wurde das Unternehmen von einem ehrenamtlichen Stiftungsvorstand, der sich
aus Angestellten rekrutierte – ein Umstand, der den Zusammenhalt stärkte und dazu beitrug, den staatlichen Repressalien standzuhalten. Für Privatunternehmen gestaltete sich
der Marktzugang jenseits der Kombinatsstruktur sehr schwierig; eigene Exportbeziehungen suchte der Staat nach Kräften zu verhindern. Gab es Probleme, musste die Stiftung
sich selbst helfen. Ein weiteres Problem war die Gewinnung von motivierten Arbeitskräften: Die Entlohnung in Privatunternehmen war mittlerweile vom Staat vorgeschrieben
und so gestaltet worden, dass der Verdienst nicht mit dem in einem Staatsbetrieb (VEB)
mithalten konnte. Diese Umstände erforderten von den Betriebsleitern Alexander Verbeek
(1960er Jahre) und Fritz Scholtz, der Dürninger bis zum Ausgang der 1980er Jahre prägen
sollte, viel Improvisationstalent. Aber auch Rückgrat war in manchen Situationen gefragt
– zum Beispiel, als seit 1981 das Signet der Friedensdekade der evangelischen Kirchen in
121
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
der DDR mit dem Bibelzitat »Schwerter zu Pflugscharen« in der Herrnhuter Fabrik
gedruckt wurde. Das Motiv wurde auf Lesezeichen aus Vlies in sechsstelliger Auflagenhöhe verbreitet. Da für den Druck auf Textilien keine staatliche Druckgenehmigung eingeholt werden musste, konnte auf diese Weise das staatliche Veröffentlichungsmonopol
umgangen werden. Bald fanden sich die Lesezeichen als Aufnäher an zahllosen Jacken
vorwiegend jugendlicher Träger – und in der Herrnhuter Druckerei wurden Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen durchgeführt.
Die zerstörten Gebäude, 1945
Aufnäher für die erste Friedensdekade
»Schwerter zu Plugscharen«, gedruckt in der
Druckerei der Herrnhuter Brüdergemeine,
1980
122
Ein »ganz normales« Unternehmen
Nach der deutsch-deutschen Währungsunion 1990 hatte die Stiftung mit denselben Problemen zu kämpfen wie viele andere Betriebe im Osten Deutschlands. Der staatlich organisierte
Absatz war zusammengebrochen; ungünstige Wechselverhältnisse erschwerten den Export.
Investitionen in neue Technik waren ebenso vonnöten wie der Aufbau eines eigenen Vertriebs und die Suche nach soliden Geschäftspartnern. 1991 wurde aus der Dürninger-Stiftung
der Geschäftsbetrieb als Abraham Dürninger & Co. GmbH ausgegründet, wobei die Stiftung
alleiniger Gesellschafter blieb. Hans-Michael Wenzel wurde Geschäftsführer. Die Produktund Servicepalette verbreiterte sich: Eine Lohnweberei wurde aufgebaut, die bis zum Sommer 2011 produzierte. 2002 wurde die Herrnhuter Holzwerkstätten GmbH übernommen. Der
Handel mit Kirchenbedarf (Talare, Kerzen, Sakralmöbel, Herrnhuter Sterne) und zwei Einzelhandelsgeschäfte im Ort runden das Portfolio ab. Heute liegt der Schwerpunkt der
Geschäftstätigkeit auf dem hochwertigen Textildruck, mit dem über 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet werden. Wie jedes andere Unternehmen muss sich die Abraham Dürninger & Co. GmbH mit ihren Produkten und Dienstleistungen auf einem hart umkämpften
Markt behaupten. Die verschiedentlich im Ort Herrnhut, der stark durch die Brüdergemeine
geprägt ist, verbreitete Auffassung, dass der Firma das Geld sprichwörtlich vom Himmel
zufällt, hält Geschäftsführer Albrecht Kittler, der seit 2010 die Verantwortung für das Traditionsunternehmen trägt, scherzhaft entgegen: »Morgens gehe ich oft vor die Tür und schaue
nach, ob es vielleicht ein paar Dukaten geregnet hat – bislang habe ich nie etwas gefunden«.
Die Palette der durch das Unternehmen entsprechend den Kundenwünschen im Sieb- oder
Digitaldruck veredelten Produkte ist vielfältig und schließt unter anderem T-Shirts und
andere Oberbekleidung, Baumwolltaschen, Geschirrtücher, aber auch Caps und Schlüsselbänder ein. Ebenso groß ist die Bandbreite der textilen Werbemittel.
FIRMENPORTRÄT ABRAHAM DÜRNINGER & CO. GMBH
Mit umfassendem Service, der transparenten Staffelung von Qualitätsklassen und Preisen
sowie dem Aufbau eines Onlineshops für Privatkunden hat das Unternehmen die Weichen
für die Zukunft gestellt. Diese Leistung wurde unter anderem mit dem Großen Preis des
Mittelstandes der Oskar-Patzelt-Stiftung im Jahr 2008 und der mehrfachen Zertifizierung
als Ökoprofit-Betrieb des Landkreises Görlitz durch den Landrat und die IHK Sachsen
gewürdigt. Kein Zweifel: Der visionäre Unternehmensgründer Abraham Dürninger wäre
damit einverstanden, wie seine Unternehmensphilosophie durch Albrecht Kittlers Team
in der Gegenwart neu interpretiert wird.
Helge Pfannenschmidt
Detail einer Digitaldruckmaschine für Textilien
Drucksaal mit Siebdruckmaschinen
Abraham Dürningers Vermächtnis – neu interpretiert
Es verdient Respekt und Anerkennung, dass die Firma Dürninger trotz des Preisdrucks
der globalisierten Märkte sozialen Aspekten auch heute noch hohe Priorität einräumt. So
beschäftigt Dürninger zahlreiche Behinderte – und zwar nicht in einem geschützten
Bereich, sondern direkt in der Produktion. War dieser Umstand in den Jahren der Existenz
der DDR noch einem Mangel an Arbeitskräften zuzuschreiben, ist er heute ein bewusster
Akzent in der sozialen Agenda des Unternehmens. In Sachsen gibt es kaum ein Unternehmen, das sich auf diesem Gebiet ähnlich intensiv engagiert. Im Jahr 2011 wurden wiederum 4 Lehrlinge eingestellt, womit einerseits der zukünftige Facharbeiternachwuchs
ausgebildet und andererseits ein Zeichen gesetzt wird, der Abwanderung aus der strukturschwachen Region entgegenzuwirken.
123
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
FIRMENPORTRÄT MODEHAUS FISCHER GMBH & CO. KG
Modehaus Fischer GmbH & Co. KG
Links: Anzeige um 1900
Sechs Generationen
erfolgreich am Markt
Die erste Werkstatt Karl-Ernst Fischers,
um 1832
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in Deutschland im Einzelhandel im Allgemeinen
und im Textilhandel im Besonderen ein starker Konzentrationsprozess vollzogen. Seit den
1990er Jahren hat dieser Prozess an Dynamik zugenommen. Dies stellte für ostdeutsche
Unternehmen, die seit 1990 wieder frei am Markt agieren konnten, jedoch nur selten über
gute Startbedingungen verfügten, eine schwere Hypothek dar.
Das Modehaus Fischer gehört zu der kleinen Schar von Unternehmen, die auf eine außerordentlich erfolgreiche Entwicklung zurückblicken können. Das Handelsgeschäft besteht
in Kontinuität seit 180 Jahren als Familienunternehmern.
Verkaufsmessen in Gasthöfen
1832 siedelte sich der Nürnberger Leinewebermeister Karl-Ernst Fischer in Taucha bei Leipzig an und eröffnete am 15. April eine Werkstatt, die gleichzeitig auch Wohn- und Verkaufsraum war. Zunächst handelte er mit selbst produzierten Leinenwaren und mit
Flachsgarnen. Taucha hatte in diesem Jahr die städtische Selbstständigkeit durch die Allgemeine Städteordnung wiedererlangt und zählte etwa 1.800 Einwohner. Nach drei Jahren
eröffnete Fischer in dem genannten Haus an der Eilenburger Straße ein Ladengeschäft.
Der Enkel Friedrich Oskar Fischer profilierte in den 1890er Jahren das Geschäft neu, indem
er ausgewählte Textilwaren unterschiedlicher Hersteller zum Verkauf brachte. Da die Einwohnerzahl von Taucha sich innerhalb von sechs Jahrzehnten mehr als verdoppelt und
der Wohlstand im Ort wie auch in den umliegenden Dörfern zugenommen hatte, erweiterten sich die Absatzchancen. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass die Fischers ihre
Ware nicht nur in ihrem kleinen Laden anboten, sondern auch in die benachbarten Dörfer
fuhren und das Sortiment von Textilien und Stoffen direkt auf den Bauernhöfen zum Verkauf brachten. In Gasthöfen wurden sogar Verkaufsmessen durchgeführt.
Oskar Fischer
124
Anzeige zum 100-jährigen Jubiläum,
unten das 1914 erbaute Geschäftshaus
»Gut, reell und preiswert«
Zwischen 1914 und 1916 entstand in der Nähe der späteren Endhaltestelle der aus Leipzig
kommenden Straßenbahn in Taucha ein neues repräsentatives Ladengeschäft. Dort befindet sich noch heute der Stammsitz des Unternehmens. 1923 erfolgte wiederum ein Generationenwechsel. Seit 1936 führten Max Fischer und seine Ehefrau Senta die Firma. Max
Fischers Credo war es, die Kundschaft »gut, reell und preiswert« zu bedienen. Zwischen
1936 und 1938/39 entwickelten sich die Geschäfte gut. Viele Familien hatten nach den Jahren der Krise Nachholbedarf bei der Ausstattung mit Bekleidung. Unternehmen und
Beschäftigte profitierten damals ebenso wie die Stadt Taucha von der Entwicklung des
Ortes zu einem Rüstungsstandort für den Motoren- und Flugzeugbau. Nach dem Ausbruch
des Krieges beschränkte die schrittweise eingeführte Kontingentierung von Textilien und
Rohstoffen die Geschäftsmöglichkeiten. An diese Zeit erinnert ein im Stammhaus auf einer
alten Continental-Schreibmaschine präsentierter Brief vom 12. Oktober 1942, in dem Max
Fischer die Firma Kämmerer aus Waltershausen dringend um Ware »gleich welcher Art«
bat. Die Bombardierung der Rüstungsbetriebe und die militärische Besetzung überstand
das Unternehmen ohne Beschädigung. Anschließend wurden jedoch die Bestände an Textilien und anderen Waren von früheren Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen geplündert, die in den nahegelegenen Rüstungsbetrieben unter unmenschlichen
Bedingungen gefangen gehalten und ausgebeutet worden waren. In den Plünderungen
entluden sich die Erbitterung über das durch die Deutschen erlittene Unrecht und der
Hass auf das NS-Regime; sie waren aber wohl auch das Ergebnis blanker Not.
Die schwierige Nachkriegszeit, in denen es an nahezu allen Dingen mangelte, konnte das
Familienunternehmen überstehen. In Taucha lebten damals nahezu 17.000 Einwohner.
Der Bedarf an Kleidung war hoch, was für das Geschäft eines Textilhändlers eigentlich
eine gute Basis darstellt. Die Situation für den privaten Einzelhandel änderte sich jedoch
bald grundsätzlich. Über die Steuerpolitik wurde staatlicher Druck ausgeübt. Zugleich
ließ die Verstaatlichung eines großen Teils der Produzenten von Textilien den Betrieb
eines privaten Einzelhandelsgeschäftes zur Herausforderung werden.
Max Fischer
125
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
»Exportüberhänge« als Attraktion
Im Unterschied zu den anderen privaten Textilwarengeschäften in der Region konnte Max
Fischer die Kontakte zu und den Direktbezug von den staatlichen und zum Teil auch den
privaten Unternehmen aufrechterhalten. Auswahl und Abholung der Textilien verblieben
damit in seiner Hand. Mit einigen Betrieben konnte er sogar Verträge über die Abnahme
von »Exportüberhängen« schließen, die er als Attraktion in seinem Geschäft verkaufte.
1968 übernahm Axel Fischer nach dem Tode seines Vaters in der fünften Generation das
Modehaus. Die sprichwörtliche »Mangelwirtschaft« war nun auch im Textilhandel zu spüren. Die Familie Fischer musste eine staatliche Beteiligung an ihrer Firma akzeptieren,
blieb aber Herr im eigenen Haus. Der 1972 unternommene Versuch, das Unternehmen zu
verstaatlichen, konnte abgewehrt werden.
Wie schon sein Großvater am Ausgang des 19. Jahrhunderts setzte Axel Fischer auch unter
den schwierigen Geschäftsbedingungen jener Zeit auf die Qualität von Service und Kundenbetreuung. Dies ermöglichte Zuwachsraten, von denen die staatseigenen HO- und die
genossenschaftlichen Konsum-Textil-Geschäfte nur träumen konnten. Zwischen 1968 und
1988 stieg der Umsatz von einer auf zehn Millionen DDR-Mark.
Der Übergang zur Marktwirtschaft im Jahr 1990 war für das Familienunternehmen eine
große Herausforderung, die jedoch erfolgreich gemeistert wurde. Heute wird das Unternehmen in der Fachpresse des Textilhandels als eines der erfolgreichsten mittelständischen Unternehmen der Branche in Deutschland gewürdigt.
Fischers hatten 1990 nicht abgewartet, welches Schicksal ihnen die neue Gesellschaft
bescheren würde. Als kurz vor dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion die Möglichkeit dazu bestand, boten sie Waren aus dem Westen Deutschlands in
ihrem Geschäft in Taucha an. Im Juli 1990 konnten sie bereits mit einer modernen Ladeneinrichtung und einem neuen Warenangebot aufwarten. Weil sie der Entwicklung immer
Axel Fischer im Verkaufsgespräch, um 1978
126
FIRMENPORTRÄT MODEHAUS FISCHER GMBH & CO. KG
einen Schritt voraus waren, blieb die Kundenbindung auch über jene kritische Zeit hinweg
erhalten. Im Tauchaer Geschäftshaus kamen anfänglich überwiegend Waren aus westlichen Überproduktionsbeständen zum Verkauf; bald wurden jedoch langfristige Lieferverträge ausgehandelt. Neue Lieferanten kamen hinzu, das Modehaus wurde Teil eines
großen Einkaufsverbandes. Im Jahr 2000 trat mit Ulrich Fischer die sechste Generation
in die Geschäftsleitung ein.
Verwandlung in ein »Wohlfühlhaus«
Heute besitzt das Unternehmen, in dem etwa 300 Beschäftigte arbeiten, 16 Filialen in
einem Umkreis von 120 Kilometern um das Stammhaus in Taucha. Die Ausbildung von
eigenem Nachwuchs gehört zu den Grundprinzipien der Geschäftsführung. In Mitteldeutschland verfügt das Unternehmen über 140.000 Stammkunden. Filialen bestehen in
Taucha, Altenburg, Delitzsch, Oschatz, Dessau, Eilenburg, dem Stadtzentrum von Leipzig,
Dresden, Zeitz, Halberstadt, Meißen, Zwickau, Gera, Halle-Neustadt und dem Stadtzentrum von Halle. 2011 wurden die mit 1.800 Quadratmeter Fläche größte Filiale des Unternehmens in Dessau und das 1.600 Quadratmeter umfassende Geschäft im Einkaufszentrum »Elbepark« in Dresden eröffnet. Die Einkaufsfläche in den »Zwickau Arcaden« wurde
auf 1.700 Quadratmeter verdoppelt.
Das Modehaus Fischer ist bis heute gut für Überraschungen: Beim Umbau des Stammhauses im Herbst 2011 haben sich die Händler von der üblichen Markenpräsentation verabschiedet und ein »Wohlfühlhaus mit sieben Stilwelten« geschaffen. Eine Innovation,
die ihresgleichen sucht und die wieder einmal erklärt, weshalb die Geschichte des Unternehmens nun schon 180 Jahre zurückreicht. Angesichts dessen ist es wohl nur folgerichtig, dass Axel Fischer seit längerer Zeit als Vizepräsident des Bundesverbandes des Textileinzelhandels (BTE) die Interessen dieser Berufsgruppe mit vertritt.
Ulrich Heß
Das Modehaus Fischer heute
Die 2011 neu eingerichtet Verkaufsräume
verbreiten »Wohlfühlatmosphäre«
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DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
FIRMENPORTRÄT HOFFMANN FÖRDERTECHNIK GMBH WURZEN
zwar in Wurzen eine ganze Menge kleiner Inseln, aber wir spürten natürlich überall den
Druck, in der Presse, im Fernsehen, im Radio. Das Studium, das ich da begonnen hatte,
war eine dieser Reaktionen darauf, eine Vorbereitung. Sich weiterbilden, damit Du nach
wie vor dich etwas besser darstellen kannst.«
Vom Eigentümer zum Direktor eines VEB
Wie viele andere Gründer engagierte sich Dietrich Hoffmann seit 1960 in der LDPD, um
dem Druck einer SED-Mitgliedschaft zu entgehen. Allmählich und mit viel Mühe erwarb
er in den 1960er Jahren einen gewissen Wohlstand. Dennoch verließ ihn seine Skepsis
nie. Nach der Verstaatlichung einer großen Zahl von Privatbetrieben im Februar 1972
Dietrich Hoffmann auf einer Messe 1953
Die neuen Firmengebäude, Eröffnung 2002
Hoffmann Fördertechnik GmbH Wurzen
Dageblieben aus Liebe zur Heimat
Die Wurzener »Hoffmann Fördertechnik GmbH« blickt heute auf 63 Jahre Firmengeschichte zurück. Ihr Gründer Dietrich Hoffmann war 22 Jahre alt, als er sich selbständig
machte, und besaß bereits einige Erfahrungen mit dem Handel in der Sowjetischen Besatzungszone. Seine Intuition riet ihm jedoch, auf Handelsgeschäfte zu verzichten, da private
Unternehmer unter den Bedingungen planwirtschaftlicher, von den Besatzern kontrollierter Wirtschaftsstrukturen, in gefährliche Situationen kommen konnten. Er spezialisierte sich daher lieber auf die Reparatur und Produktion von landwirtschaftlichen
Maschinen und Hebezeugen.
Auf der Agrar-Messe in Markkleeberg
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Den politischen Fallen aus dem Weg gehen
Seine Frau Hanna heiratete er 1952, zu einer Zeit, als ihn angesichts der Zukunft eines
Privatbetriebes in der DDR erste Zweifel plagten. Im Frühling 1953 war er wie viele andere
Mittelständler kurz davor, in Richtung Westen zu flüchten, aber aus Liebe zur Heimat entschloss sich das junge Ehepaar, dennoch zu bleiben, und brachte die Produktion allmählich wieder in Gang. Dietrich Hoffmann entwickelte – unterstützt von seinen kompetenten
Mitarbeitern – in den fünfziger Jahren permanent neue Produkte und erhielt darauf zahlreiche Patente).
Weil er früh erkannte, wie entscheidend neben qualitativ hochwertiger Arbeit ein hohes
Maß an Fachwissen ist, studierte er Maschinenbau und bildete sich zum Ingenieur weiter.
Den politischen Fallen des sozialistischen Systems konnte er mit seiner Firma zunächst
erfolgreich aus dem Weg gehen. So nahm er 1959 eine staatliche Beteiligung von 20 Prozent an, jedoch nicht mit einem VEB als Partner, sondern mit einer Bank als Kommanditist, da ihm eine solche Unternehmensstruktur viel günstiger für seine eigene, unternehmerische Freiheit vorkam: »Wir waren also hier nur noch kleine Inseln. Wir waren
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DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
FIRMENPORTRÄT HOFFMANN FÖRDERTECHNIK GMBH WURZEN
wurde er als Direktor seines eigenen Betriebes mit 50 Mitarbeitern berufen. 1977 mit der
Zusammenschließung verschiedener ähnlicher Betrieben beauftragt und avancierte er
schließlich zum Direktor des VEB Fördertechnik. »Ich produzierte Hebezeuge, das zweite
Unternehmen Eimerkettenbagger für Sand, Kies und Ton und Transportbänder. Ein
Betrieb produzierte Transportwagen, ein anderer war Zulieferbetrieb für die Kraftfahrzeugindustrie, ein nächster eine große Tischlerei und ein anderer führte Instandsetzungen
für Hebezeuge durch «: Fünf Jahre später wurde er dennoch abgelöst, denn Hoffmann war
immer noch kein Mitglied der SED geworden. Er durfte aber aufgrund seiner Kompetenzen
das Exportbüro des Betriebs leiten und für die Produkte des VEB in der Welt werben.
Gemeinsam mit Herrn Erhard Müller, dem späteren Verkaufsleiter der zukünftigen Hoffmann Fördertechnik GmbH (1990), leitete er dieses neue Geschäft.
Werbeaufnahme für Plakate und Poster,
1960er Jahre
130
Neuanfang und neue Lehre
In dieser Tätigkeit erlebt er die friedliche Revolution und schöpfte wie viele ehemalige
Privatunternehmer in der DDR neue Hoffnungen. Hoffmann wurde 1990 von der Regierung Modrow sogar als Berater für den Bereich Reprivatisierung gerufen und entwickelte
das Reprivatisierungsgesetz vom März 1990 mit. Durch sein Engagement sollte der damalige VEB Fördertechnik Wurzen als eines der ersten zehn Unternehmen der ostdeutschen
Industrie auf beispielhafte Weise reprivatisiert werden. Allein allerdings hätte er dieses
waghalsige Unternehmen nicht begonnen. Schon im Herbst 1989 hatte Dietrich Hoffmann mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn über die gemeinsame Leitung des
Familienunternehmens gesprochen, falls es zu einer Rückübertragung der Firma kommen sollte.
Das junge Paar hatte – mit viel Optimismus aber auch Skepsis im Angesicht der neuen
Aufgabe – zugesagt und musste nun, da das Projekt konkret wurde, alles von der Pieke
auf lernen. Brigitta Hühn, die Betriebswirtschaft/Maschinenbau in Dresden studiert hatte,
entschloss sich 1990 für ein betriebswirtschaftliches Aufbaustudium an der damaligen
»Karl-Marx-Universität Leipzig« und absolvierte ein mehrmonatiges Praktikum in der Controlling-Abteilung eines großen Unternehmens in Ravensburg. Matthias Hühn tauschte
als diplomierter Kraftfahrzeugtechniker das Lenkrad gegen den Hängetaster eines Hebezeugs: »Nur, das war mir klar, so einfach würde es wohl nicht werden.«
Matthias Hühn blieb 1990 in Wurzen mit einer 4-jährigen Tochter und einem Unternehmen, das mittlerweile wegen des starken Auftragsrückganges mit nur noch ca. 60 Mitarbeitern operierte. Am 1. September 1992 wurde er alleiniger Geschäftsführer – nach etwas
mehr als zwei Jahren des Lernens. Brigitta Hühn kam 1992 wieder nach Wurzen und arbeitet seitdem im Unternehmen. Anfang der 1990er Jahren bildeten Vater, Tochter und
Schwiegersohn ein Team, das Tag für Tag mit neuen Problemen konfrontiert wurde und
dennoch nie aufgeben wollte.
Das Unternehmen konzentriere sich – so die neue Strategie – auf die Herstellung und den
Verkauf von Elektrokettenzügen. Dabei wurden bereits 1992 für zwei völlig verschiedene
Kundenkreise Hebezeuge hergestellt: Für die Industrie und für die Licht – und Bühnentechnik in allen Arten von Veranstaltungsplätzen. Die Auftragseingänge erholten sich und
Mitte der 1990iger Jahre entstand als drittes, völlig neues Betätigungsfeld die Herstellung
von Kranen für Windkraftanlagen. »Bis auf das Jahr 2009 mit minus 7 Prozent zu 2008
gab es seit 1992 kein Jahr ohne Umsatzwachstum, so dass unsere bangen Fragen aus dem
Beginn der »neuen Selbstständigkeit« schon lange keine Themen mehr sind und wir mit
viel Optimismus in die Zukunft schauen, obwohl die Produktion von Maschinen in
Deutschland – wir tun dies tatsächlich noch mit einer hohen Fertigungstiefe am Standort
Wurzen – sicherlich nicht einfacher wird«, schätzt Matthias Hühn ein.
In dritter Generation
Im Jahr 2008 sind alle Gesellschaftsanteile an Brigitta Hühn übergegangen, die als Prokuristin und Verantwortliche für Buchhaltung und Controlling im Unternehmen tätig ist.
Und auch die dritte Generation der Familie ist schon einbezogen: Die einzige Enkelin von
Dietrich Hoffmann wuchs wie ihre Mutter im Betrieb auf, in dem sie heute zusammen mit
ihrem Freund arbeitet. Für die Unternehmensführung, so Matthias Hühn, hat die Familie
all die Jahre eine klare Linie: »Diese ist bei uns nicht geprägt von riesigen und herausragenden Ereignissen oder Erfolgen, sondern von dem System der kleinen und überschaubaren Schritte und damit auch des überschaubaren Risikos«.
Die deutsche Wiedervereinigung hat für die Familie Hoffmann ein neues Leben ermöglicht
und Träume wahr werden lassen. Für den Senior, dem seit der Gründung seiner Firma
bewusst gewesen war, auf welche Mittel und Möglichkeiten er verzichten musste, war die
Ankunft in der Marktwirtschaft wie eine Neugeburt. Für seine Kinder, denen diese Welt
ganz neu war, bedeutete sie eine radikale Umwandlung. Dietrich Hoffmann war Selbständiger in der SBZ, Privatindustrieller, Betriebsleiter in einem VEB, Exportleiter in der DDR
und hatte danach noch die Möglichkeit Privatunternehmer in der Bundesrepublik
Deutschland zu sein. Außerdem kennt er das Glück, gemeinsam mit seinen Nachkommen
unternehmerisch tätig und erfolgreich zu sein. Dietrich Hoffmann, der im Mai 2011 seinen
85. Geburtstag gefeiert hat, ist mehr als glücklich, dass er die positive Entwicklung seines
Lebenswerkes »Hoffmann Fördertechnik GmbH« schon so lange miterleben durfte, obwohl damit nach 1972 überhaupt nicht mehr zu rechnen war.
Agnès Arp
Hebezeuge der Firma
Hoffmann Fördertechnik GmbH, 2011
Links: Mitarbeiter des Unternehmens beim
Programmieren und Umspannen der Werkzeuge eines Starrag-Heckert Bearbeitungszentrums, 2011
131
UNTERNEHMERPORTRÄT LOTHAR UND ANDREAS RICHTER
UNTERNEHMERPORTRÄT HEINZ UND THILO LEHMANN
Gartenfachmarkt Richter Chemnitz
Lehmann Maschinenbau GmbH
Lothar und
Andreas Richter
Heinz und
Thilo Lehmann
I
A
m Jahr 1989 beendete der Florist Andreas Richter ein berufsbegleitendes Studium zum Gartenbauingenieur an der
Dresdner Fachhochschule. Seine weitere berufliche Perspektive schien damit vorgegeben: ein Arbeitsleben in jener
Produktionsgenossenschaft, in die der großelterliche Betrieb
bei der »Kollektivierung der Landwirtschaft« 1962 eingegangen
war. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass der
gewaltlose politische Umbruch in der DDR unmittelbar bevorstand, dem ein Jahr später die Wiedervereinigung Deutschlands
folgen sollte.
Der Urgroßvater von Andreas Richter, Hermann Richter, hatte
1886 eine Gärtnerei auf dem Kaßberg in Chemnitz gegründet.
Auf rund 10.000 Quadratmeter Freiland- und Gewächshausflächen wurden fortan Pflanzen und Blumen für den Handel angebaut. Nach 1930 führte dessen Sohn Arno Richter den angesehenen Familienbetrieb in zweiter Generation fort. Kurz vor dem
Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sämtliche Gewächshäuser bei Luftangriffen zerstört. Die Familie Richter baute den
Betrieb jedoch nicht nur wieder auf, sondern erweiterte denselben sogar auf stattliche 20.000 Quadratmeter Anbaufläche.
Bevor der älteste Sohn Lothar Richter das Unternehmen in
dritter Generation hätte weiterführen können, wurde der Familienbetrieb im Zuge der Zwangskollektivierung 1962 in
die »Gärtnerische Produktionsgenossenschaft Karl-Marx-Stadt
West« eingegliedert. Arno Richter wurde zum Betriebs- bzw.
Brigadeleiter degradiert und musste hinnehmen, wie die erwirtschafteten Überschüsse in andere Genossenschaftsprojekte
abflossen, während der frühere Familienbetrieb verfiel.
Nach dem Mauerfall erkannte Andreas Richter schnell seine
Chance. Er stellte einen Antrag auf Reprivatisierung, dem zum
1. September 1990 stattgegeben wurde. Der Inhaber nutzte den
frühen Start in die Selbstständigkeit; er profilierte das Unternehmen als Gartenfachmarkt. Bis in die Gegenwart hinein hat
er den auf hoher Fachkompetenz und Warenqualität sowie auf
132
Andreas Richter
Kundennähe beruhenden Wettbewerbsvorteil gegenüber der
starken Konkurrenz der Discounter bewahren können.
Im Jahr 2011 feierte der Inhaber Andreas Richter zusammen mit
der Familie, 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – darunter
90 Prozent Fachkräften – sowie zehn Auszubildenden, das 125jährige Gründungsjubiläum des Unternehmens.
Andreas Richter ist seit 1990 Mitglied der Vollversammlung der
IHK Chemnitz, darunter zwischen 2006 und 2011 als Mitglied
im Präsidium. Seit 16 Jahren bekleidet er zudem das Amt des
Präsidenten des Fachverbandes Deutscher Floristen, Landesverband Sachsen.
Achim Dresler
m 16. Juni 1945 gründete Heinz Lehmann im vogtländischen Pöhl einen Reparatur- und Handwerksbetrieb, die
heutige Lehmann Maschinenbau GmbH. 15 Jahre nach
der Gründung wurde das Unternehmen nach Jocketa verlegt,
da die Ortschaft Pöhl einem Talsperrenbau weichen musste. Um
die neuen Firmengebäude finanzieren zu können, wandelte
Heinz Lehmann das Unternehmen in eine KG mit dem Kommanditisten Carl Zeiss Jena um. In dieser Zeit fertigte Lehmann
Maschinenbau unter anderem Antriebe für Kuppeln in Sternwarten und hydraulische Hubgeräte für Lasten von bis zu 500
Tonnen – bis heute ein Spezialgebiet der Firma.
Im Zuge der großen Enteignungswelle im Jahr 1972 wurde das
Unternehmen in Staatseigentum überführt. Heinz Lehmann
und sein Sohn Thilo – heute Geschäftsführer – wurden aus dem
nunmehr als VEB Lengenfelder Maschinenbau firmierenden
Betrieb herausgedrängt. Im Herbst 1989 reifte die Idee, die heutige Lehmann Maschinenbau zu reprivatisieren. Die Rückübertragung erfolgte am 16. Juni 1990 – exakt 18 Jahre nach der Verstaatlichung des Unternehmens.
Thilo Lehmann und seine Frau Beate frischten die Kontakte zu
Geschäftspartnern im westlichen Teil Deutschlands auf. Innerhalb weniger Jahre gelang es, das Unternehmen als Spezialist
für den Sondermaschinen- und Anlagenbau zu etablieren
– nicht zuletzt dank innovativer Eigenentwicklungen. Heute
umfasst die im In- und Ausland gefragte Produktpalette unter
anderem Biogas-Anlagentechnik mit eigenem BioextrusionsVerfahren, Recyclinganlagen und Ausrüstungen für die Polarforschung. Und längst prägt auch die dritte Generation der
Familie das Unternehmen. Der ältere Sohn Markus ist als Produktionsleiter bei Lehmann Maschinenbau tätig, während der
jüngere Sohn Titus Geschäftsführer einer eigenen Firma ist, die
eng mit dem Unternehmen der Eltern zusammenarbeitet.
Helge Pfannenschmidt
133
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Weinhaus Vincenz Richter in Meißen
Neueröffnung am Tag
der Währungsunion
Rechts: Helga und Gottfried Herrlich
Das Restaurant liegt malerisch
in der Meißener Altstadt.
Wer das ehrwürdige Weinhaus und Restaurant Vincenz Richter in unmittelbarer Nachbarschaft der Meißener Frauenkirche betritt, hat das Gefühl in ein anderes Jahrhundert
zu geraten. Es ist einer der wenigen Orte in Sachsen – nach Meinung des ehemaligen amerikanischen Botschafters William Robert Timken sogar in ganz Deutschland – an denen
bürgerliche deutsche Restaurantkultur und ein authentisches mittelalterliches Ambiente
zusammenfinden. Nicht umsonst war Vincenz Richter das erste Restaurant Ostdeutschlands, welches nach der Wende in den Kreis der Romantik-Restaurants aufgenommen
wurde – ein Gütesiegel, für das strenge Kriterien gelten.
Angesiedelt ist Vincenz Richter in einem verwinkelten ehemaligen Tuchmacherzunfthaus
aus dem Jahr 1523, das mit viel Liebe zum Detail eingerichtet ist. Zahllose Antiquitäten
aus der familieneigenen Sammlung schmücken die Wände: Hellebarden, Lanzen, eine
FIRMENPORTRÄT WEINHAUS VINCENZ RICHTER IN MEISSEN
»Ordnung über Weinstuben« aus der Zeit Augusts des Starken, Humpen, Bilder – »alles
echt und in Eigeninitiative restauriert«, wie Gottfried Herrlich, mit 75 Jahren noch immer
Herr des Hauses und Gastgeber mit Leib und Seele, kommentiert. Dass die Sammlung
noch beisammen ist, darf angesichts der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts
als ein kleines Wunder gelten – wie überhaupt die Tatsache, dass Restaurant und Weinstube seit nunmehr fünf Generationen von einer Familie geführt werden. Der familiäre
Zusammenhalt spielte bei Vincenz Richter immer eine entscheidende Rolle: »Ein solches
traditionsreiches Gebäude bleibt nur bestehen, wenn jede Generation alles tut, um es zu
erhalten«, zeigt sich Helga Herrlich, geborene Richter in 4. Generation, überzeugt.
Ein nützliches Schreiben vom »Großen Bruder«
Im Jahr 1873 legte Vincenz Richter I. den Grundstein dieser Entwicklung: Er erkannte,
dass das Haus am Markt die ideale Lage für ein Gasthaus besaß und trug den Grundstock
der Antiquitätensammlung zusammen. Außerdem war er Gründungsmitglied der ersten
deutschen Gastwirtsunion. Sein Nachfolger Vincenz II. baute kurz vor der Inflation 1924
das gesamte Haus um und gründete ein Weingut – eine Entscheidung, die sich vor dem
Hintergrund des um diese Zeit aufkommenden Tourismus als goldrichtig erwies: Bald
gehörte Vincenz Richter zu den ersten Adressen der Stadt – auch wegen des hervorragenden Weines, der bis 1942 mit einer alten Presse im Innenhof gekeltert wurde. Mit dem
Übergang des Gasthauses auf Vincenz III. im Jahr 1945 begann ein fast vier Jahrzehnte
andauerndes Ringen um den Fortbestand des Lokals: Die im Laufe von 100 Jahren zusammengetragene Sammlung sollte aufgelöst und in den Bestand von Museen eingegliedert
werden, und immer mal wieder gab es Versuche, das Lokal zu verstaatlichen. Man wehrte
sich nach Kräften. Als äußerst hilfreich erwies sich dabei das Schreiben eines kunstsinnigen russischen Generals, das längst Teil der historischen Sammlung ist und in der Gaststube hängt. Mit diesem Schreiben bestätigt er den Inhabern, dass von den historischen
Waffen der Sammlung keine Gefahr ausgeht und diese daher in Privatbesitz verbleiben
dürfen. Weit wichtiger aber war wohl der Symbolgehalt dieses Schreibens: Immerhin hatte
es ein ranghoher Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte unterzeichnet – und welcher
SED-Funktionär hätte sich schon der Autorität des »Großen Bruders« widersetzen wollen?
Auch die reichen Weinvorräte, welche die Soldaten im Keller vorfanden und requirierten,
dürften sie darin bestärkt haben, ihre schützende Hand über Vincenz Richter zu halten.
Vincenz III. und seine Frau Ilse wussten das Dokument jedenfalls immer wieder klug für
ihre Sache verwenden.
Die eigenen Weine für besondere Anlässe
Auch auf die Unterstützung der Meißner Bevölkerung konnten die Gastwirte jederzeit
bauen. Meißen ohne Vincenz Richter? Undenkbar! Und obwohl heute längst Touristen
den Großteil der Besucher ausmachen, beharrt Familie Herrlich darauf, dass Vincenz
Richter symbolisch den Meißnern gehört. Das zeigte sich nicht zuletzt in den schweren
ersten zehn Jahren nach dem Krieg, als man auch für den Besuch von Gaststätten noch
Lebensmittelmarken brauchte. Bei Vincenz wurde niemand ausgeschlossen. Zur Not
bezahlte man eben in Naturalien – oder man brachte Kaninchen und Ferkel selbst mit,
um sie im Innenhof zu grillen.
134
Während der Sanierung 1989
135
DIE KAMMERN IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER DDR
Auch bei der Beschaffung von Wein waren gute Kontakte und Beharrlichkeit gefragt. Einzige Erzeuger in der Region waren zur Zeit der DDR die VEG Weinbau Radebeul und die
Sächsische Winzergenossenschaft Meißen; seit 1972 wurde nur noch in Meißen Wein
gekeltert. Ergänzend führte Vincenz Richter bulgarische und ungarische Weine. Die verschwindend kleinen Mengen, die auf dem eigenen Weingut erwirtschaftet wurden – denn
das gab man auch unter den schwierigsten Bedingungen nicht auf – gelangten nicht in
den freien Verkauf. Sie wurden Gästen und Besuchern zu besonderen Anlässen im Restaurant kredenzt.
Festlich geschmückte Tafel im romantischen
Innenhof des Restaurants
Die Erfinder des »Meißner Menüs«
Seine heutige Gestalt erhielt das Restaurant im Zuge der grundlegenden Sanierung 1989.
Gottfried Herrlich und seine Frau Helga (geb. Richter) – die vierte Generation – hatten
das Lokal im Dezember 1988 übernommen und sich umgehend an die Arbeit gemacht.
Dabei kamen Gottfried Herrlich seine umfassenden Erfahrungen im Baugewerbe zugute.
Nach einem Studium der Architektur hatte er es zum Direktor des Land- und Kreisbaubetriebes Meißen gebracht. Es war die Unzufriedenheit mit der Stagnation und Lethargie,
die ihn schließlich 1988 die Flinte ins Korn werfen ließ. Er hatte viel vor mit der Stadt,
doch man ließ ihn »auflaufen« – der Bruch mit den Autoritäten war nicht mehr zu kitten.
Ehrgeizig, wie es seinem Naturell entspricht, fand er Gefallen an der Idee, im Kleinen zu
verwirklichen, was im Großen nicht vorangehen wollte. Und so machte er sich – »vollkommen naiv«, wie er selbst sagt –, mit Unterstützung von Freunden und Verwandten
daran, das ein Jahr zuvor von der staatlichen Bauaufsicht gesperrte Gebäude vom Keller
bis zum Dach zu sanieren. Dabei war er Projektant, Bauleiter, Maurer und Zimmermann
in einem. Dass er sich nicht entmutigen lässt, auch wenn ihm Stein um Stein in den
Weg gelegt wird, musste Gottfried Herrlich oft genug beweisen – aber nicht mal die Verweigerung einer Baugenehmigung brachte ihn von seinem Vorhaben ab. Am Tag der Währungsunion 1990 konnte die Familie das Haus neu eröffnen, das bis heute ein Meißner
Institution ist – und neben Restaurant und Weinstube auch beliebte Filmkulisse, Baudenkmal sowie Museum. Der Erfindungsreichtum und das unternehmerische Geschick,
das Gottfried Herrlich und seine Vorgänger in allen Zeiten auszeichnete, sind ihm auch
heute noch nicht abhanden gekommen. Das Meißner Menü – erstes Städtemenü Deutschlands – ging bisher mehr als 4.000-mal über den Tisch. Und auch für das Jubiläumsjahr
2010 ließ sich Sohn Thomas im Weingut etwas ganz Besonderes einfallen: Dem Riesling
des Jahrgangs 2003 wurde beim Neuverschließen eine Meißner Porzellanperle hinzugefügt, die zugehörige Geschenkpackung enthält ein Silberkettchen mit passender Fassung.
Vieles spricht dafür, dass die Tradition des Hauses eine Fortsetzung in seinem Sinne findet: Tochter Ulrike Herrlich-Wustmann führt seit langem erfolgreich eine Pension mit
Weinstube, Sohn Thomas hat den hauseigenen Riesling zu einer anerkannten Marke entwickelt und auf dem Kapitelberg eine moderne Weinproduktion mit Vinothek etabliert.
Helge Pfannenschmidt
Rechte Seite: Anton Herrlich
im hauseigenen Weinberg
136
Bald gehörte Vincenz Richter zu den ersten
Adressen der Stadt – auch wegen des hervorragenden Weines, der bis 1942 mit einer
alten Presse im Innenhof gekeltert wurde.
Der neue Anfang
Die Wiedergründung der Kammern und der Strukturwandel der Wirtschaft in Sachsen
1990–2012
Die konstituierende Sitzung der IHK-Vollversammlung fand am 30. Juni 1992 im Plenarsaal des Dresdner Rathauses statt
138
Als Anfang 1990 in der DDR die ersten Schritte zum Abbau der Beschränkungen für das
private Unternehmertum unternommen wurden, konnte auch an die Tradition der unternehmerischen Selbstverwaltung wieder angeknüpft werden. Die Zeit der Entmündigung
wurde bereits im Januar 1990 auf Initiative sächsischer Unternehmer mit der Bildung einer
provisorischen Vollversammlung und der damit verbundenen Reorganisation in der
Dresdner Kammer beendet. Die Mitwirkung beim Übergang in ein Wirtschaftssystem, das
Privatinitiative als Grundlage wirtschaftlichen Handelns betrachtet, hierbei jedoch auch
die Interessen der Arbeitnehmer nicht aus dem Blick verliert, gehört zu den bleibenden
Leistungen der Kammern in der schwierigen Umbruchsphase.
Nachdem am 1. März 1990 die Verordnung über die Neugründung von Industrie- und
Handelskammern in Kraft getreten war, gründeten sich bis Ende Mai die Kammern in
Leipzig, Chemnitz und Dresden. Seit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages zwischen
den beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 lag deren Tätigkeit das Industrie- und
Handelskammer-Gesetz der Bundesrepublik zugrunde. Demnach sind diese Organisationen der gewerblichen Selbstverwaltung und der regionalwirtschaftlichen Interessenvertretung. Das war ein wesentlicher Unterschied zu den vor 1990 in der DDR bestehenden
Kammern, die eine dem Staatsapparat nachgeordnete Einrichtung gewesen waren.
Die Startbedingungen für die Kammern waren nicht einfach. Einerseits vollzog sich in
kurzer Zeit der Zusammenbruch der Staatsplanwirtschaft der DDR einschließlich des
Finanzsystems und der überwiegend nach Osten ausgerichteten Handelsstrukturen.
Andererseits mangelte es im Lande an Erfahrungen mit marktwirtschaftlichen Bedingungen. Dieses Manko konnte mit Unterstützung von Unternehmern und Kammern aus den
westlichen Bundesländern nur teilweise wettgemacht werden. Die Hauptaufgabe bestand
darin, die Entstehung eines leistungsfähigen sächsischen Mittelstandes zu unterstützen.
Die Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur der drei Kammerbezirke blieben auch nach
der Übergangsphase bestehen, teils verstärkten sie sich sogar beziehungsweise bildeten
sich neu heraus – und sie bestimmten auch unterschiedliche Entwicklungen und Akzentsetzungen in der Arbeit der Kammern.
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Die Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen-Erzgebirge/Vogtland wurde am
21. April 1990 gegründet. Die Wahl zur Vollversammlung hatte am 9. April stattgefunden.
Als Präsident wurde Christian Bloch, Inhaber
der Firma Bloch KG, Reichenbach gewählt,
Wolfram Hoschke wurde der neu bestellte
Hauptgeschäftsführer. Einzige Frau in der
Runde war Brigitte Reinhardt, Direktorin der
vormaligen Handels- und Gewerbekammer,
nun stellvertretende Hauptgeschäftsführerin.
Als Gäste waren zur Wahl waren Christian
Heinrich Sandler, Präsident und Helmuth
Jungbauer, Hauptgeschäftsführer der IHK
Bayreuth (4. und 6.v.l.) sowie Dieter Barth,
Hauptgeschäftsführer der IHK Reutlingen
(3.v.r.) anwesend.
Zum Jahresempfang am 11. Februar 1994
wurde als Festredner Bundeskanzler Helmut
Kohl begrüßt. 230 Gäste aus Wirtschaft,
Wissenschaft, Politik und Verwaltung nahmen
am Empfang teil.
140
Neugründung der IHK Chemnitz 1990: Wirtschaft und Freiheit in Südwestsachsen
Am 25. Januar 1990 versammelten sich 20 Gewerbetreibende verschiedener Branchen in
Chemnitz und riefen zur Neugründung einer Industrie- und Handelskammer auf, um die
gerade errungenen Freiheitsrechte für die Entwicklung der privaten Wirtschaft zu nutzen.
Der Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, die Neugründung und Privatisierung von Betrieben, Geschäftskontakte und wirtschaftliches Know-how, die Wiederbelebung des Unternehmertums überhaupt – dies waren die Herausforderungen des
Frühjahrs 1990, und hierfür brauchte es eine Kammer, welche die Funktionen des Interessenvertreters und Dienstleisters, des Beraters und Vermittlers übernimmt.
Dies alles konnte nunmehr endlich in Eigenverantwortung der Unternehmerschaft selbst
gestaltet werden. Frischer Wind zog in die Handels- und Gewerbekammer, jene Nachfolgeeinrichtung der »alten« IHK in der späten DDR-Zeit, die zunehmend an Bedeutung verloren hatte und bis 1989 nur noch wenige private Händler, Gastronomen und Spediteure
betreuen konnte. In ihren Geschäftsstellen liefen nun die Fäden für die Neugründung
zusammen, die nur dank des ehrenamtlichen Engagements der Unternehmer gelang. Zu
ihnen gehörten Newcomer und Quereinsteiger, die gerade erst den Sprung in die Selbständigkeit gewagt hatten, ebenso wie ehemalige Inhaber 1972 zwangsverstaatlichter
Betriebe.
Anfang April 1990 wurde die Wahl zur ersten Vollversammlung abgeschlossen, am 21. April
1990 gründete sich die Kammer, die wenig später den Namen »IHK Südwestsachsen Erzgebirge/Vogtland« führte, indem sich das neu gewählte Ehrenamt – Präsident, Präsidium
und Vollversammlung – konstituierte. Erster Präsident wurde Christian Bloch, Groß- und
Einzelhändler für Getränke, Konserven und Industriewaren, aus Reichenbach im Vogtland. Hauptgeschäftsführer wurde Wolfram Hoschke aus Chemnitz.
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Vor dem Hintergrund zentralistischer Machtausübung und Organisationsstrukturen in
der DDR und dem diesen Erfahrungen entspringenden Willen, über unternehmerische
Geschicke wieder selbst zu entscheiden, gründeten im Juni 1990 engagierte Unternehmer
in Zwickau eine eigenständige Kammer und in Plauen im Verlauf des Jahres eigenverantwortliche Kammergremien. Auf Basis der zwischenzeitlichen sächsischen Gesetzgebung
beschloss die Vollversammlung am 18. Mai 1992 die neue Satzung der Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen. Außerdem verabschiedete sie den Beschluss zur Bildung
der Regionalkammern Chemnitz, Plauen und Zwickau, die eine lebensfähige Balance zwischen regionaler Mitbestimmung, effizienter Aufgabenerfüllung und geschlossener politischer Interessenvertretung ermöglichten. Fortan hieß die Kammer »IHK Südwestsachsen
Chemnitz-Plauen-Zwickau«.
Es war eine atemberaubende Zeit des Aufbruchs, voller Ungewissheiten und voller Chancen. Hilfe kam von den westdeutschen Kammern – aus dem benachbarten Bayreuth
ebenso wie aus Dortmund, Aachen, Düsseldorf und Nürnberg. Neben wertvollen Hinweisen zum Aufbau und zur Organisation gehörte dazu auch ganz praktische Unterstützung
wie die Überlassung eines Fax- und Kopiergerätes sowie die Bereitstellung geringer DMBargeldbeträge als Tankgeld für erste Dienstreisen bis zur Währungsunion am 1. Juli 1990.
Im Dezember 1990 konnte nach nur viermonatiger Bauzeit das mit Unterstützung der IHK
Mittlerer Niederrhein (Krefeld) errichtete Zentrum für Weiterbildung in Chemnitz eröffnet
werden. Mit der Wiedervereinigung im Oktober 1990 hatte die Kammer die nach bundesdeutschem Recht vorgesehenen Aufgaben in der Berufsausbildung, in der Weiterbildung
sowie in der Außenwirtschaft übernommen.
Die 1990er Jahre waren sodann bestimmt durch die Festigung und Weiterentwicklung der
demokratischen Strukturen der IHK als Selbstverwaltungskörperschaft, in deren Fokus
vor allem die regionale Wirtschaftsförderung im Rahmen des »Aufbau Ost« stand, flankiert durch den Ausbau des Existenzgründungs- und Weiterbildungsbereichs sowie von
großen Anstrengungen im Technologie- und Innovationsbereich. Mit ihren Beteiligungen
an den Technologiezentren Chemnitz, Freiberg, Mittweida und Zwickau, dem Arbeitskreis
Technologietransfer e.V., ihren frühzeitigen Kooperationsverträgen mit den Universitäten
und Hochschulen ihres Kammerbezirkes (Chemnitz, Freiberg, Mittweida und Zwickau)
hat die IHK Chemnitz in einem schwierigen Umgestaltungsprozess auch den Wirtschaftsund Forschungseinrichtungen wichtige Impulse für den Erhalt der notwendigen engen
Beziehungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft geleistet.
Seit der Neufassung der Satzung im Zusammenhang mit der IHK-Wahl 2011 wurden die
Gremien zur besseren Artikulation der Interessen der Unternehmerschaft durch Errichtung zusätzlicher Regionalversammlungen in Chemnitz, Mittelsachsen und im Erzgebirge
gestärkt, die seitdem gemeinsam mit den Regionalversammlungen Plauen und Zwickau
die IHK Chemnitz bilden.
Die Region Südwestsachsen ist ein gutes Beispiel dafür, dass Tradition und Moderne,
Unternehmertum und Verantwortung, Wirtschaft und Freiheit zusammenpassen und
zusammengehören – wie auch die regionale Interessenvertretung in den Teilregionen des
Kammerbezirkes und eine starke Interessenvertretung nach außen zwei Seiten ein und
derselben Medaille sind.
Frühzeitig wurden die beiden Kammergebäude in Zwickau (oben) und Plauen
saniert und damit vor dem Verfall gerettet.
Hans-Peter Stihl, Präsident des Deutschen
Industrie- und Handelskammertages, heute
DIHK, (vorn 2.v.r.), informierte sich am
19. Februar 1992 über die wirtschaftliche
Situation im Kammerbezirk Südwestsachsen
und besuchte das privatisierte Unternehmen
Barmag Spinn Zwirn GmbH in Chemnitz.
141
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Sitz der IHK Dresden war 1990 das Gebäude
in der August-Bebel-Straße 48.
Die Neugründung in Dresden: Rüstzeug für die Marktwirtschaft
Zur Jahreswende 1989/90 herrschte rege Betriebsamkeit in den Büros und neu formierten
Ressorts der IHK Dresden, damals noch auf der August-Bebel-Straße 48. Regionale Unternehmer – unter ihnen viele, deren Unternehmen 1972 als letzte Gruppe von Privatbetrieben
zu VEBs verstaatlicht wurde – hatten seit dem Wendeherbst ihre Vorstellungen über den
Neubeginn der Kammer entwickelt. Auf deren Initiative kam es bereits im Januar 1990 zur
Bildung einer provisorischen Vollversammlung. Damit war die Dresdner Kammer mit ihren
zur Wende rund 8.000 Mitgliedern die erste IHK auf dem Gebiet der DDR, die einen Schlussstrich unter die jahrzehntelang staatlich reglementierte Arbeit des Kammerapparates zog
und die Grundlagen für eine moderne Kammerarbeit nach dem Grundsatz unternehmerischer Selbstverwaltung gelegt hatte.
Von Bedeutung für die Entwicklung eines freien Unternehmertums waren das am 6. März
1990 verabschiedete Gewerbegesetz, in dem die Gewerbefreiheit festgeschrieben wurde,
und das Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, worin es hieß: »Zur Förderung privater Initiativen zur Entfaltung desUnternehmertums unterstützt der Staat die Gründung und Tätigkeit privatwirtschaftlicher
Unternehmen, insbesondere von Klein- und Mittelbetrieben in den Bereichen der mittelständischen Industrie, des Bauwesens, des Handels, des Transportwesens, der Dienstleistungen und des Tourismus.«
Diese gesetzlichen Grundlagen ließen eine schnell steigende Anzahl von Bürgern Motivation und Mut entwickeln, die neu gewonnenen Freiheiten zu nutzen und sich eine Existenz
als Selbständiger aufzubauen. Existenzgründungen und auch die beginnende Rückfüh-
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
rung oder Reprivatisierung einst enteigneter Betriebe führten dazu, dass die Mitgliederzahl
der Kammer rasch stieg und in den Folgemonaten die IHK im Zeitraffertempo zu ihrer
eigentlichen Bestimmung zurückfand: zu einer echten Interessenvertretung für die Mitgliedsbetriebe. Oben an stand die Vermittlung des erforderlichen Rüstzeugs für den noch
reichlich unbekannten Weg in die Marktwirtschaft. Zu Fragen der Reprivatisierung, der
Unternehmensgründung und Umwandlung ehemaliger Staatsbetriebe gesellten sich die
Übernahme aller Aufgaben der Berufsbildung, die Neuausrichtung des Außenhandels
sowie die Erfüllung hunderter Kooperationswünsche. Selbst für gestandene Mitarbeiter
bedeuteten diese Themen vielfach Neuland, war man doch mit der eigenen Aneignung des
Management-ABCs den Mitgliedern oft nur wenige Tage voraus. Ohne die sich zeitgleich
entwickelnden Kontakte zu Kammern »aus dem Westen«, die den Dresdnern quasi als
Paten tatkräftig unter die Arme griffen, wäre dies so nicht möglich gewesen. Insbesondere
zu den Kammern in Stuttgart, Hamburg und Heilbronn erwuchsen daraus feste Partnerschaften.
Neben der Arbeit mit den Unternehmern, die mit der IHK nun wieder einen konkreten
Anlaufpunkt für ihre Fragen und Probleme gefunden hatten, wurde auch letzte Hand an
interne Strukturen, an eine Satzung und eine Wahlordnung gelegt. Am 29. Mai 1990 war
es dann soweit, die konstituierende Vollversammlung trat zusammen und gründete – nun
auch ganz offiziell – die neue IHK Dresden. Zum ersten Präsidenten wählte das aus 70
Gewerbetreibenden bestehende oberste Kammergremium Kurt Günther, Betriebsdirektor
des Spezialbetonwerkes Dresden, und bestellte Elvira-Maria Horn zur ersten Hauptgeschäftsführerin.
Am 29. Mai 1990 wurde Kurt Günther,
Betriebsdirektor des Werkes Spezialbeton
Dresden, zum ersten Präsidenten der IHK
Dresden gewählt, und Elvira-Maria Horn
zur ersten Hauptgeschäftsführerin bestellt.
Vor dem Dresdner Blockhaus: Als erste
sächsische Kammer bestellte die IHK Dresden
1991 öffentlich 33 vereidigte Sachverständige
verschiedener Fachrichtungen.
142
143
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Rudolf Sommerlatt: Präsident der IHK
zu Leipzig (1990 bis 2010) und Träger des
Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse
Hochrangiger Besuch im Sommer 1991:
Bundespräsidentin Rita Süssmuth (Mitte)
informiert sich über die wirtschaftliche Lage
der Region Leipzig. Ihr zu Seite:
IHK-Hauptgeschäftsführer Hans-Dieter
Manegold, Generalsekretär der Otto Benecke
Stiftung Wolfgang G. Beitz (links), IHK-Präsident Rudolf Sommerlatt, Geschäftsführer
der Leipziger Messe Kurt Schoop (rechts)
144
IHK zu Leipzig: Bewegende Anfangszeiten der 1990er Jahre
Schon im Januar 1990 begannen die Vorbereitungen für die Wiedergründung der Industrieund Handelskammer zu Leipzig. Diese wurde durch die Handels- und Gewerbekammer des
Bezirkes Leipzig (HGK) und die Kammer für Außenhandel der DDR, Außenstelle Leipzig,
vorangetrieben. Am 8. März 1990 fand dann die Konstituierung der Vollversammlung im
»Gästehaus am Park« in Leipzig statt.
Die Wahlperiode wurde auf zwei Jahre beschränkt, da einige Branchen lediglich durch
Staatsbetriebe (VEB) präsent waren und damit nicht Mitglied in der IHK sein konnten. Weitere Sitze für Unternehmen, die beispielsweise durch Rückführung der 1972 zwangsverstaatlichten Betriebe reprivatisiert werden sollten, wurden vorerst nicht besetzt. Zum ersten Präsidenten wurde Hans-Joachim Bernhardt gewählt. Im Mai des gleichen Jahres folgte ihm
der Unternehmer Rudolf Sommerlatt, der zehn Jahre das höchste IHK-Ehrenamt bekleiden
sollte. Er wirkte in zahlreichen weiteren Ehrenämtern, Arbeitskreisen sowie Aufsichtsratsgremien und war einer der maßgeblichen Initiatoren bei der Errichtung wirtschaftsfördernder Einrichtungen und der Neugründung der Handelshochschule Leipzig in privater Trägerschaft (1992). Für seine Verdienste bei der Umstrukturierung und Stärkung der Wirtschaft
in der Region Leipzig wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.
Es waren bewegende und bewegte Anfangszeiten. Im Vorwort des ersten Jahresberichtes
1990/91 nach Neugründung der Leipziger IHK wird dazu festgehalten: »Die deutsche Einheit
brachte den Menschen im Osten Deutschlands alle demokratischen Freiheiten, aber auch
die Erkenntnis, daß es keinen schmerzlosen Übergang von der administrativen Planwirtschaft in die freie Marktwirtschaft gibt.« Die IHK in dieser Phase mit aufzubauen, war für
viele Mitglieder der ersten Vollversammlung und des Präsidiums eine echte Herausforde-
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
rung, da sie sich selbst in einem intensiven Wettbewerb mit den in der freien Marktwirtschaft etablierten Unternehmen befanden.
Die Stärke des wirtschaftlichen Um- und Aufbruches spiegelte sich auch in der Arbeitsintensität der Kammer selbst wieder. Erste Aufgaben auf Grundlage des Gewerbegesetzes
der DDR vom 16. März 1990 waren Stellungnahmen zu erlaubnispflichtigen Gewerbeanträgen, Kreditanträgen und Eintragungen im Handelsregister. Gründungswillige standen in und am Gebäude der IHK-Hauptgeschäftsstelle in der Erfurter Straße 2 in langen
Reihen an. Auch deshalb folgte im Sommer und Herbst 1990 etappenweise der Umzug in
das Gelände am Friedrich-Engels-Platz, der später in Goerdelerring umbenannt wurde.
In der Leipziger Wirtschaftsregion war die IHK mit ihren Geschäftsstellen in Altenburg
(Landkreise Altenburg/Schmölln), Borna (Landkreise Borna/Geithain), Döbeln (Landkreise Döbeln/Oschatz) sowie in Eilenburg (Landkreise Eilenburg/Delitzsch/Torgau/Wurzen) vertreten.
In den Anfangsjahren besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit den Kammern
der alten Bundesländer, welche die Aufbauarbeit des Ehren- und Hauptamtes tatkräftig
unterstützten. Vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammern aus Hannover, Köln und Hagen vermittelten im personellen Austausch, in Weiterbildungen oder in konkreten Hilfeleistungen ihre Erfahrungen und ihr Wissen. So
erschien beispielsweise die erste Ausgabe der Kammerzeitschrift »Leipziger Wirtschaft« mit
Unterstützung der IHK Hannover-Hildesheim im März 1990 als Beiheft der »Niedersächsischen Wirtschaft«. Im Mai 1990 wurde die erste eigenständige Ausgabe gedruckt; Anfang
1991 erreichte sie schon eine Auflage von 22.000 Exemplaren.
In nur wenigen Monaten ihres Bestehens hatte sich die IHK zu einem verlässlichen Partner
und Förderer der regionalen gewerblichen Wirtschaft entwickelt. Im September 1990 startete
die Innovationsberatungsstelle, im Oktober folgte die Energie- und Umweltberatungsstelle.
Ab dem 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, wurden Carnets und Ursprungszeugnisse für den Außenhandelsbereich nach dem nun geltenden Recht der Bundesrepublik
Deutschland ausgestellt.
Schon seit dem Monat August des gleichen Jahres wurden Ausbildungsverträge nach bundesdeutschem Vorbild ausgegeben; gleichzeitig wurde die Lehrlingsrolle, das gesetzlich
vorgeschriebene Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse, eingeführt. Parallel
erfolgte der Aufbau des Prüfungswesens und der Prüfungsausschüsse. Vor allem der Ausund Weiterbildungsbereich erlebte schon in dieser Zeit eine enorme Dynamik. Die angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen der Leipziger IHK wurden im Jahr 1990 mit durchschnittlich 1.900 Teilnehmern im Monat frequentiert.
Leipzig konnte in den Nachwendejahren an seine Messetradition anknüpfen. Schon zur
Herbstmesse 1990 waren die drei sächsischen Industrie- und Handelskammern mit einem
ersten Gemeinschaftsstand für ihre Mitglieder vertreten.
Titel der ersten Ausgabe der Mitgliederzeitschrift »Leipziger Wirtschaft« nach Wiedergründung der Kammer im März 1990
Kreatives Marketing: Empfehlungskarte für
den Start in die freie Marktwirtschaft«, 1990
145
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Die »Gläserne Manufaktur« von Volkswagen in
Dresden
Kundenzentrum der Porsche Leipzig GmbH:
Im Mittelpunkt des Porsche Werkes befindet
sich das markant gestaltete Kundenzentrum.
Die Wirtschaft in Sachsen seit 1990
In Dresden konsolidierten sich mit Unterstützung von Bund und Land bestehende Zweige
der verarbeitenden Industrie, vor allem die Mikroelektronik mit der Halbleiterfertigung.
Dresden entwickelte sich zum europäischen Zentrum dieses konjunkturabhängigen
Hightech-Industriezweiges. In den vergangenen Jahren kamen mit Informations-, Bio- und
Solartechnologie weitere zukunftsweisende Industriezweige hinzu. Als Standort der Flugzeugindustrie knüpfte Dresden an ältere Traditionen an. Die pharmazeutische Industrie
blieb erhalten. Die im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens von etwa einer Million Besuchern
besichtigte »Gläserne Manufaktur« – eine Fabrik zur Montage von Luxus-PKW – steht für
die Verbindung von Tradition und Hochtechnologie, von Industrie und Dienstleistung.
Zum einen ist sie Bestandteil der Fahrzeugbranche im »Autoland« Sachsen, zum anderen
Teil des weltweit beachteten touristischen Angebots der Landeshauptstadt Dresden.
Der Kammerbezirk Chemnitz zeichnet sich durch eine außerordentlich große Branchenvielfalt aus. Die drei industriellen Zentren – Chemnitz mit dem Erzgebirge, die Zwickauer
Region und Plauen im Vogtland – weisen bis zum heutigen Tage eine unterschiedliche Prägung auf. Während der Maschinen- und Fahrzeugbau in Chemnitz einen Schwerpunkt hat,
gilt Freiberg als Zentrum der Herstellung von Halbleiterwerkstoffen und Halbleitern, aber
auch als ein wichtiger Standort der Solar- sowie der Recycling- und Umweltindustrie. In
der Zwickauer Region ist die Tradition des Fahrzeugbaus mit neuer Stärke aufgenommen
worden. Die Stadt Plauen ist nach wie vor bekannt durch die Textil- und Spitzenindustrie,
aber auch durch den Maschinen- und Fahrzeugbau.
Die Leipziger Wirtschaftsregion hat seit den 1990er Jahren einen tiefgreifenden strukturellen Wandel durchlebt. Dazu gehört die Neubelebung der industriellen Basis mit den
Ansiedlungen von Auto-Weltmarken wie Porsche (1999) und BMW (2001) gleichermaßen
wie die Renaissance des (Messe-)Handels sowie des Warenverkehrs. So hat sich der Leipziger Norden mit seinem Flughafen und Güterverkehrszentrum zum paneuropäischen
Knotenpunkt für Logistikdienstleister entwickelt. Das »Who-is-who« der Branche ist mit
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Infineon Technologies Dresden – Blick
in einen Produktionsfinger mit Anlagen für
das Plasmaätzen von Waferoberflächen
heute über 100 Unternehmen im Netzwerk Logistik Leipzig-Halle e.V. organisiert, das von
der IHK zu Leipzig im Jahr 2008 mitbegründet wurde. Nicht nur die Unternehmerschaft
sprüht vor Energie – auch die benannte Branche konnte in der Region an die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts anknüpfen. Südlich von Leipzig in Lippendorf entstand um die
Jahrtausendwende an traditionellem Standort ein neues, hochmodernes Braunkohlekraftwerk. Der in Leipzig ansässige Erdgasimporteur und -lieferant Verbundnetz Gas AG ist der
größte in Ostdeutschland beheimatete Konzern. Mit der European Energy Exchange AG
ist auch die kontinentaleuropäische Energiebörse in der Messestadt vertreten. Medien-,
Kreativ- und Kulturwirtschaft sowie der Biotechnologiebereich und touristische Highlights
ergänzen das breite wirtschaftliche Profil von Stadt und Region.
IHK Chemnitz / IHK Dresden / IHK zu Leipzig
SolarWorld Innovations GmbH Freiberg
Im Jahr 2007 feierte der Flughafen LeipzigHalle sein 80-jähriges Firmenjubiläum.
Im Juli desselben Jahres folgte die Inbetriebnahme der neuen Start- und Landebahn Süd,
und schließlich verlagerte das Logistikunternehmen DHL 2008 das europäische
Luftfrachtdrehkreuz von Brüssel nach
Leipzig/Halle.
146
Volkswagen Sachsen –
Fahrzeugwerk Zwickau
147
UNTERNEHMERPORTRÄT HARTMUT BUNSEN
UNTERNEHMERPORTRÄT CLAUS BUTZE
Messeprojekt GmbH in Leipzig
Dr. Butze GmbH & Co. KG in Klingenberg
Hartmut Bunsen
Claus Butze
H
anchmal muss man zunächst einen Schritt zurückgehen, um ganz nach vorn zu kommen. Als sich mit der
politischen Wende 1989 unvermittelt die Chance ergab,
sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, wagte Claus Butze
aus dem sächsischen Klingenberg einen solchen Schritt: Der
promovierte Ingenieur gab seine Stellung in der Geschäftsleitung eines 6.000-Mann-Unternehmens auf und gründete 1990
einen Großhandelsbetrieb. Es reizte ihn, an die unternehmerische Familientradition anzuknüpfen: Sein Vater Arthur hatte bis
in die 1960er Jahre ein Lebensmittelgeschäft geführt.
Gemeinsam mit seinem Sohn Jan, der 1994 ins Geschäft einstieg,
erschloss sich der Quereinsteiger im Rekordtempo den Markt für
Reinigungsmittel und -maschinen. Immer wieder bewies Claus
Butze sein Gespür für die Erfordernisse des Marktes – beispielsweise mit dem frühen Aufbau einer Filiale in Prag (1994) oder
mit dem Ausbau eines verfallenen Dreiseithofs in Klingenberg
zu einem Hotel, das seit der Fertigstellung 1998 auch als hauseigenes Schulungszentrum genutzt wird. Spätestens mit dem
Beitritt zur Großverbraucherspezialisten eG (GVS), einer der
erfolgreichsten Ein- und Verkaufsgenossenschaften Deutschlands, gehörte das Unternehmen zu den Großen der Branche.
Das jüngste Kapitel der Erfolgsgeschichte war im Jahr 2010 der
Neubau eines Logistik- und Lagerzentrums auf einer Fläche von
5.000 Quadratmeter.
artmut Bunsen (geb. 1940), Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Leipziger Messeprojekt GmbH,
ist seit der Entstehung des Unternehmens im Jahre 1991
einer der wichtigsten und aktivsten sächsischen Unternehmer.
Er ist Sprecher der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlin sowie Vizepräsident der IHK
zu Leipzig. In diesen und in einer Reihe weiterer Funktionen ist
er bestrebt, die Rahmenbedingungen für das unternehmerische
Handeln und damit die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen
und in anderen ostdeutschen Ländern positiv zu beeinflussen.
Nach dem Studium an der Leipziger Hochschule für Bauwesen
arbeitete Hartmut Bunsen bei der Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) in Leipzig als Investbauleiter, Technischer Direktor und Produktionsdirektor. 1990 beschritt er den
Weg in die Selbstständigkeit. Die ihn begleitenden Mitarbeiter
trugen mit Flexibilität, Kreativität und Lösungsorientierung zur
erfolgreichen Entwicklung des Unternehmens bei. Der Gründung der Orbital Fair International GmbH 1990, in der Bunsen
zweiter Geschäftsführer war, folgte ein Jahr später die von ihm
ins Leben gerufene Messeprojekt GmbH Leipzig. 1992 entstand
die Innenausbaufirma INUMA GmbH. Inzwischen ist aus den
genannten Unternehmen eine Firmengruppe mit 170 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 25 Millionen Euro hervorgegangen, die sich als weltweit operierendes Unternehmen
etabliert hat.
Inwieweit seine sportlichen Erfahrungen dem Unternehmer
Hartmut Bunsen von Nutzen waren, lässt sich schwer beurteilen. Ausdauer, Siegeswillen und Sportsgeist sind auf beiden
Gebieten vonnöten. So überrascht es nicht, dass der erfolgreiche Unternehmer auch über eine beeindruckende sportliche
Vita verfügt: Er wurde DDR-Meister (1965) und zweifacher
Seniorenweltmeister (2000/2003) im Rudern. Bis heute betreibt
er aktiv Segeln, Tennis und Handball; zudem ist er Vizepräsident des Sachsen Sail Club Leipzig und Vorsitzender des AkaUlrich Heß
demischen Rudervereins zu Leipzig.
148
M
Für seine Leistungen als Unternehmer wurde Claus Butze 1999
mit dem durch die Oskar-Patzelt-Stiftung verliehenen »Großen
Preis des Mittelstandes« und 2007 mit dem Sonderpreis »Premier« in diesem Wettbewerb ausgezeichnet. 2009 belegte Butze
beim Wettbewerb »Unternehmer des Jahres« der Sächsischen
Zeitung den 3. Platz. Zudem ist der Geschäftsführer der Dr. Butze
GmbH & Co. KG seit vielen Jahren als Präsidiumsmitglied in der
IHK Dresden tätig.
Helge Pfannenschmidt
149
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Curt Bauer GmbH in Aue
Feinste Damaste und
technische Textilien
Die Geschäftsführer Gert und Michael Bauer
Das Unternehmensgelände
in den 1920er Jahren
150
»Beste Qualität für höchste Ansprüche« – dieses Motto prägt die wechselvolle und gleichwohl erfolgreiche Geschichte der Curt Bauer GmbH aus Aue. Die Produkte dieser Damastweberei – vor allem Bett- und Tischwäsche – sind auf den internationalen Märkten gefragt
und stehen im besten Sinne für Wertarbeit »Made in Germany«. Der Exportanteil liegt bei
60 Prozent. Mit 120 Mitarbeitern, 13 Lehrlingen, einer stabilen Marktposition und einem
hohen Innovationsgrad gehört die Curt Bauer GmbH zu den führenden Unternehmen der
traditionsreichen Textilindustrie Sachsens.
Die Unternehmensgründung liegt 130 Jahre zurück. 1882 kaufte der Berliner Unternehmer
Samuel Wolle in Aue eine Weberei und übertrug die Leitung dem einheimischen Kaufmann Alwin Bauer. Es erfolgte eine wesentliche Erweiterung des Betriebes; Veredlung
und Konfektion wurden installiert. 1906 beschäftigte das Unternehmen 758 Mitarbeiter.
Betriebskrankenkasse und Altersversorgung
1915 übernahm dessen Sohn Curt Bauer als alleiniger Chef die Fabrik. Er führte in den Folgejahren die Betriebskrankenkasse und eine betriebliche Altersversorgung ein. Da der
Gründer Samuel Wolle jüdischer Herkunft war, erzwangen die Nationalsozialisten in den
1930er Jahren die Umbenennung der nach ihm benannten Firma S. Wolle in Curt Bauer
GmbH. Seit 1939 musste die Textil-Firma immer mehr der Rüstungsproduktion weichen.
Nach einem Protest wurde Curt Bauer verhaftet und 1944 in den Freitod getrieben.
1945 waren von den einst 640 Webstühlen noch 45 arbeitsfähig. Von einer Enteignung
FIRMENPORTRÄT CURT BAUER GMBH IN AUE
blieb das Unternehmen vorerst verschont. 1953 wurden jedoch Alexander Bauer, der Sohn
von Curt Bauer, und dessen Mutter Margarethe, wegen einer angeblichen Steuerschuld
verhaftet. Durch die Ereignisse des 17. Juni 1953 kamen beide wieder frei und Alexander
Bauer konnte den Betrieb bis zum Übergang in den Ruhestand 1981 leiten. Seit 1972, als
die Verstaatlichung und die Umbenennung in VEB Damastweberei Aue erfolgte, war das
Unternehmen ein Staatsbetrieb.
Am Ende der DDR-Zeit verfügte das Unternehmen einerseits über 700 qualifizierte Mitarbeiter und andererseits über veraltete und verschlissene Maschinen. Dennoch stellte Alexander Bauer einen Reprivatisierungsantrag. Nach dessen Bestätigung leiteten seine beiden Söhne Gert und Michael Bauer als Geschäftsführende Gesellschafter die wieder in
Curt Bauer GmbH rückbenannte Firma. Die Folgejahre waren durch umfangreiche Investitionen in die Weberei und die Veredlung, aber auch in die Logistik und in die Umwelttechnik sowie in den Aufbau des Vertriebssystems geprägt.
Das Firmengelände 2010
Nach der Hochwasser-Katastrophe 2002
Einen Rückschlag in der jüngsten Firmengeschichte brachte das Hochwasser im Spätsommer 2002. Hierbei wurde nicht nur der gesamte Betrieb überschwemmt; dasselbe riss sogar
die Verbindungsbrücke zwischen den beiden Werksteilen Weberei und Veredlung hinweg.
Der Gesamtschaden belief sich auf 9 Millionen Euro. Die Bauers und ihre Mitarbeiter ließen sich jedoch nicht entmutigen. Zwei Wochen nach der Katastrophe lief die Produktion
wieder an. Die Zerstörung bot zugleich die Chance für einen Neuanfang. In den folgenden
zwei Jahren wurden mit einem Investitionsaufwand von 7 Millionen Euro Technik und
Gebäude erneuert und eine neue Brücke gebaut.
Mit der Modernisierung des Betriebes ging die Entwicklung neuer Produkte und die
Erschließung neuer Märkte einher. Kern des Sortiments ist nach wie vor die Damastbettund -tischwäsche, die im Inland an 2.500 Fachhändler geliefert wird. Beim Export reicht
der Abnehmerkreis von Europa über Nordamerika und die Golfstaaten bis nach Fernost.
Gewachsen ist auch das Geschäft als Objektausstatter für renommierte Hotels, Restaurants
und Airlines. Seit über 40 Jahren webt die Curt Bauer GmbH aber auch feinste Damaste
für den Grand Boubou, die traditionelle Kleidung in der Region Westafrika.
Während des Hochwassers im August 2002
151
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Moderne, hochproduktive Jacquard-Webmaschine
Rechts: Textilveredlungsanlage
Eine aktuelle Bettwäsche-Kollektion
152
Neuheiten: Technische Textilien
Das Design der Produkte wird jährlich durch die eigene Kreativabteilung oder durch
Zukauf von Mustern erneuert. Als neue Bereiche haben sich in den letzten zehn Jahren
die Fertigung von Textilien für die Ausstattung von Kirchen und für technische Anwendungen herausgebildet. Vor allem das Gebiet der technischen Textilien ist seit Jahrzehnten
ein kontinuierlich wachsender Markt; die deutsche Textilindustrie ist hierin Weltmarktführer. Gestützt auf ihre anerkannte Weberei-Kompetenz konzentrieren sich die Entwickler
von Curt Bauer auf Anwendungen für den Automobilbau. Im Mai 2011 konnte das Unternehmen in Frankfurt a. M. auf der weltgrößten Messe für technische Textilien ihre Innovationen erfolgreich präsentieren. Gezeigt wurden Gewebe mit speziellen thermischen
Eigenschaften, Rollos für den Wärmeschutz an Kühlregalen beziehungsweise Laderaumabdeckungen für Kombifahrzeuge sowie ein fast acht Meter großer Faltenbalgstoff für
Aufstell- und Schlafdächer auf Personenkraftwagen und Kleinbussen.
Die Geschäftsführer Gert und Michael Bauer können mit berechtigtem Stolz auf die vergangenen 20 Jahre zurückblicken. Ihre Leistung dokumentiert sich nicht nur im wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch in den erreichten Standards und erhaltenen Auszeichnungen. Seit 1997 besteht die Curt Bauer GmbH regelmäßig die Prüfungen für das
Qualitätsmanagementsystem DIN ISO 9001. Weiterhin tragen die Produkte das Gütesiegel
für umweltfreundliche Textilien »Öko-Tex-Standard 100«. Aber auch beim Design belegt
die Marke »Bauer« vordere Plätze. Neben der Auszeichnung mit dem sächsischen Designpreis erhielt die in der Fabrik gefertigte Bettwäsche in den USA 2003 und 2004 den New
Product Award. Für die unternehmerische Gesamtleistung wurde der Curt Bauer GmbH
der »Oskar für den Mittelstand« zuerkannt.
Regelmäßig werden die Produkte des Unternehmens auf Messen ausgestellt, unter anderem auf der wichtigsten Messe im Bereich der Haustextilien – der »Heimtextil« in Frankfurt a. M. – auf der sie in der Premium-Etage »More Clarity« präsentiert werden.
Franz Rudolph
Seit über 40 Jahren webt die
Curt Bauer GmbH feinste Damaste
für Grand Boubou, die traditionelle
Kleidung in der Region Westafrika
Exportschlager Afrikadamast
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Dr. Doerr Feinkost Dresden
Die heimatverbundenen
»Leckermacher«
Unternehmer in zwei Welten:
Udo Doerr (1938 – 2001)
Etwa 96 Prozent aller Deutschen kennen die Stiftung Warentest – ein herausragender
Wert, aber keine große Überraschung. Erstaunlicher ist schon, wenn ein Hersteller von
Feinkost einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht – und sei es auch nur im regionalen
Maßstab: 96 von 100 Dresdnern und immerhin 67 von 100 Sachsen ist die Marke Dr. Doerr
Feinkost ein Begriff. Wie diese Werte zeigen, hat sich das Familienunternehmen mit seinen Produkten einen festen Platz in sächsischen Haushalten erobert; auch in Thüringen
sind die Feinkostwaren aus dem Dresdner Hause Dr. Doerr sehr begehrt. Dieser Geschäftserfolg beruht vor allem auf zwei Faktoren, die die unternehmerische Tätigkeit der Inhaber
bis heute bestimmen: einem hohen Qualitätsbewusstsein und dem Bemühen um ein ausgeglichenes Verhältnis von Tradition und Innovation.
Erst Feinkost, dann naturheilkundliche Salben
Die Geschichte des Unternehmens lässt sich nahezu 80 Jahre zurückverfolgen: Im April
1933 gründeten Herbert Doerr und sein Frau Alice in Dresden die Feinkostfabrik Dr. Herbert Doerr. Die Produkte trafen den Geschmack der Kunden, so dass aufgrund der großen
Nachfrage bald ein neues Fabrikgebäude an der Max-Hünig-Straße in Dresden-Klotzsche
in Betrieb genommen werden musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieb das mittelständische Unternehmen zunächst in Familienhand; seit 1971 leitete Udo Doerr aus der
zweiten Generation den Betrieb. Damals wurde ein neues Produktspektrum entwickelt:
kalorienarme Mayonnaisen, Salatcremes und Saucen. Im Jahr 1972 schien das endgültige
Ende des Unternehmens gekommen, als der Feinkostbetrieb im Zuge einer Kampagne der
SED in Staatsbesitz überging und in das Fischkombinat Rostock eingegliedert wurde. Udo
Doerr widmete sich danach zunächst Forschungsaufgaben, ehe er 1978 einen erneuten
Gang in die Selbstständigkeit wagte – innerhalb der engen Grenzen, in denen privatunternehmerisches Engagement in der DDR möglich war. In der von ihm erworbenen
Drogerie am Schillerplatz in Dresden-Blasewitz verkaufte er nicht nur Kosmetikprodukte
und Haushaltsbedarf, sondern gründete 1984 auch einen pharmazeutischen Kleinbetrieb
für die Herstellung naturheilkundlicher Salben.
Der Fuhrpark der Dresdner Firma Dr. Doerr
Feinkost im Jahr 1993
154
FIRMENPORTRÄT DR. DOERR FEINKOST DRESDEN
stattete sie nach den neuesten hygienischen und technologischen Standards aus. Bald
sollte sich das als ein kluger Schachzug erweisen, denn die »Schonzeit«, die ostdeutschen
Betrieben eingeräumt wurde, um Rückstände aufzuholen, fiel deutlich kürzer aus als
gedacht. Als andernorts noch an Gewerbegebieten und neuen Produktionshallen gebaut
wurde, lief die Produktion bei Dr. Doerr bereits 1992 nach internationalem Standard.
Mit Elan und Ideenreichtum war Udo Doerr ans Werk gegangen, obgleich die Aufgaben
und Probleme anfangs nahezu unüberschaubar waren, wie sich sein Sohn Christian Doerr
erinnerte: »Man muss sich das heute immer mal wieder bewusst machen. Was wir damals
erlebt haben, war eine 180-Grad-Wendung von einer Mangelwirtschaft in eine Überflussgesellschaft. Produktpalette, Verpackung, Vertrieb – in keinem dieser Punkte war das
Unternehmen, das wir vorfanden, konkurrenzfähig. Es galt, in kürzester Zeit grundsätzliche Entscheidungen zu treffen.« Christian Doerr, Angehöriger der dritten Generation der
Unternehmerfamilie Doerr, verstärkte seit 1992 als zweiter Geschäftsführender Gesellschafter die Führung im Familienunternehmen.
Udo Doerr mit der Hauptgeschäftsführerin
der IHK Dresden, Elvira-Maria Horn, 1992
Herzhaft und kräftig für die Heimatregion
Seit dem Rückkauf des Betriebes aus Staatsbesitz war das Handeln der Familie Doerr durch
eine essentielle unternehmerische Tugend bestimmt: die Eigeninitiative. Schon im Jahr
1990 hatte die Familie auf ausgedehnten Touren durch die alten Bundesländer ihre Produkte Vertretern großer westdeutscher Handelsunternehmen vorgestellt – wohlwissend,
dass diese bald den ostdeutschen Markt dominieren würden. Die Rechnung ging auf: Als
Supermärkte und Discounter an die Stelle der Kaufhallen der staatlichen DDR-Handelsorganisation HO traten und auch viele Verkaufsstellen der Konsumgenossenschaften verdrängten, fanden sich quasi über Nacht kaum noch Produkte aus dem Osten Deutschlands
in den Regalen – wohl aber die Feinkost-Spezialitäten von Dr. Doerr. Die klare Ausrichtung
auf die Geschmacksvorlieben und Essgewohnheiten in der Heimatregion trug ebenfalls
zum Geschäftserfolg der Marke bei: Mit einer eher herzhaften und kräftigen Note trug das
Unternehmen den Wünschen der Kunden im Osten Deutschlands Rechnung.
Blick in die Produktionshalle, 2011
Schnell konurrenzfähig: der Neustart 1990
Als sich im Zuge der Friedlichen Revolution die Chance ergab, den früheren Familienbetrieb
wieder zu übernehmen, zögerte Udo Doerr keine Sekunde: 1990 kaufte er das Unternehmen
von der Treuhandanstalt zurück. Ein Jahr später erwarb er von der Treuhandanstalt die
ehemalige Molkerei in der Würzburger Straße – bis heute Sitz des Unternehmens – und
155
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Rechte Seite:
Beim Testen neuer Salatvariationen
Aus der Produktpalette 2010
156
Udo Doerr widmete sich jedoch nicht nur dem Wohlergehen des eigenen Unternehmens.
In den 1990er Jahren war er einer der wichtigsten Unternehmerpersönlichkeiten im Freistaat Sachsen. Mit seinem Engagement in Führungspositionen der Wirtschaft, unter anderem in der wieder gegründeten IHK Dresden und in der Landesarbeitsgemeinschaft der
sächsischen Industrie- und Handelskammern, im Agrarmarketingverein Sachsen und im
Mittelstandsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums, verlieh er dem sich neu formierenden Mittelstand wichtige Impulse. 1994 überreichte ihm der frühere Bundesaußenminister und Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher den Preis »Aufschwung Ost« für besondere
unternehmerische Leistungen. 1999 folgte die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Entsprechend groß war der Schock, als Udo Doerr im Jahr 2001
nach kurzer und schwerer Krankheit verstarb.
Mit Brombeerton und Comicfigur
Nach dem Tod von Udo Doerr rückte dessen Sohn Christian an die Spitze des Unternehmens. Obwohl Christian Doerr an der Seite seines Vaters bereits viele Erfahrungen hatte
sammeln können, kam dies für ihn, wie er sich erinnerte, dem sprichwörtlichen Sprung
ins kalte Wasser gleich.«Wer dabei zu viel nachdenkt, geht unter.« Seine anfänglichen
Bedenken zerstreuten sich jedoch bald und der Erfolgsgeschichte von Dr. Doerr Feinkost
wurde unter seiner Führung ein neues Kapitel hinzugefügt. Als Reaktion auf veränderte
Ernährungsgewohnheiten wurde unter der Leitung von Christian Doerr das Sortiment
erweitert, ohne das traditionelle Produktspektrum zu vernachlässigen. Mit der Inbetriebnahme eines neuen Produktionsgebäudes im Jahr 2004 – entstanden im Zuge der Beseitigung der Hochwasserschäden durch die Weißeritz 2 Jahre vorher – konnten die Produktionsabläufe effizienter gestaltet werden. Label und Verpackung der Feinkostprodukte
wurden mehrmals einem Relaunch unterzogen, womit auch dem geänderten ästhetischen
Empfinden der Kunden Rechnung getragen wurde. Dabei ging Christian Doerr auch ungewöhnliche Wege: Die Verpackungen und Etiketten von Dr. Doerr Feinkost sind seit Herbst
2010 in einem Brombeerton gehalten. Dies ist in der Branche ebenso ungewöhnlich wie
die eigens entwickelte Comicfigur und der Claim »Die Leckermacher«, welche der Marke
einen hohen Wiedererkennungswert verleihen.
Zum geschäftlichen Erfolg beigetragen hat die Tatsache, dass Dr. Doerr trotz Professionalisierung und Wachstum immer ein bodenständiges Familienunternehmen geblieben
ist. Wenn andere Unternehmen von »Expansion« und »kontinuierlichem Wachstum«
sprechen, so besteht Christian Doerr darauf, die Dinge differenzierter zu betrachten:
Ist Wachstum eigentlich unter allen Umständen ein positiver Begriff? Sollte sich ein Unternehmen wie Dr. Doerr Feinkost nicht eher darauf konzentrieren, in Zeiten einer rückläufigen Bevölkerungszahl seinen Marktanteil und seinen hohen Qualitätsmaßstab zu
sichern? Wer blind Kapazitäten schafft, ohne ein Konzept für deren Auslastung zu haben,
so der Geschäftsführende Gesellschafter Christian Doerr, macht sich erpressbar. Gemäß
diesem Credo erweiterte Doerr mit seiner neuesten Investition die Unabhängigkeit des
Unternehmens bei sinkenden Kosten: Bis zum Herbst 2011 entstand ein weiteres Fertigwarenlager, während die Produktionsräume eine hoch energieeffiziente Lüftungsklimatisierung erhielten.
Helge Pfannenschmidt
96 von 100 Dresdnern und immerhin 67 von 100 Sachsen ist die Marke
Dr. Doerr Feinkost ein Begriff.
UNTERNEHMERPORTRÄT HANS-JÜRGEN UND THILO MÜHLE
UNTERNEHMERINNENPORTRÄT DAGMAR LUX
LuxOase in Kleinröhrsdorf
Mühle-Glashütte GmbH
Dagmar Lux
Hans-Jürgen und Thilo Mühle
E
ans-Jürgen Mühle (geb. 1941) und Thilo Mühle (geb. 1968)
führen in vierter beziehungsweise fünfter Generation
ein Familienunternehmen, das bereits dreimal völlig
neu entstanden ist. Der Ursprung des Betriebes lässt sich bis
ins Jahr 1869 zurückverfolgen. In jenem Jahr gründete Robert
Mühle in Glashütte die Firma Robert Mühle & Sohn, in der Präzisionsmessgeräte hergestellt wurden, die von ortsansässigen
Betrieben benötigt wurden. Seit den 1920er Jahren kam die
Belieferung der Autoindustrie (DKW, Horch, Maybach) mit Autouhren, Drehzahlmessern und Tachometern hinzu.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Betrieb als kriegswichtig eingestuft und übernahm unter anderem von Siemens
Produktionsaufträge. In der nach Kriegsende enteigneten und
den Carl-Zeiss-Werken Jena zugeordneten Fabrik wurden als
Reparationsleistung für die Sowjetunion Messuhren hergestellt
und repariert. Hans Mühle hatte jedoch bereits im Dezember
1945 wegen des hohen Bedarfs an diesen Erzeugnissen ein neues
Unternehmen gegründet, das sich auf die Herstellung von Messuhren für die Druckereitechnik und von Lauf- und Hemmwerken
für die Foto- und Kinoindustrie verlegte. Später war der Betrieb
Alleinhersteller von Zeigerwerken für Temperatur- und Druckmessgeräte in der DDR. 1970 übernahm Hans-Jürgen Mühle nach
dem Tod seines Vaters die Geschäftsführung. Nach dem Studium
der Feinmechanik und Optik in Jena hatte er in einem Zulieferbetrieb des väterlichen Unternehmens gearbeitet und war deshalb mit den Abläufen vertraut.
1972 wurde die Firma verstaatlicht und in den VEB Glashütter
Uhrenbetriebe (GUB) eingegliedert. Dort arbeitete Mühle im
Vertrieb; später stieg er zum Vertriebsleiter auf. Nach der
Herstellung der deutschen staatlichen Einheit wurde er einer
der Geschäftsführer der GUB, die das Unternehmen in das
neue Wirtschaftssystem führten. 1994 entschloss er sich zur
Selbstständigkeit. Die von ihm begründete Mühle-Glashütte
GmbH nautische Instrumente und Feinmechanik ist damit die
s war Mitte der 90er Jahre, als sich Dagmar Lux (geb. 1971),
gebürtige Ravensburgerin, auf den Weg in den damals
noch etwas wilderen Osten machte, um nach einem
geeigneten Standort für einen Campingplatz zu suchen. Als
diplomierte Betriebswirtin für internationales Marketing spielte
sie schon länger mit dem Gedanken, sich selbstständig zu
machen. Als ihr während eines Jobs im Ausland auffiel, wie viel
Komfort und Service die dortigen Anlagen im Vergleich zu den
deutschen boten, wusste sie, was zu tun ist. Nach längerer
Suche entschied sie sich wegen des großen touristischen Potenzials und der reizvollen Kombination von Kultur und Natur für
Kleinröhrsdorf nahe Dresden als Standort. Dagmar und Thomas
Lux kauften ein 7,3 Hektar großes Seegrundstück mit 250 Stellplätzen. Nach einem zermürbenden Genehmigungsmarathon
konnten die beiden endlich ihre Vision verwirklichen. Von
Anfang setzten sie dabei auf einen Service, der so manches bessere Hotel »alt aussehen lässt«. »Für unsere Gäste stehen wir
Kopf« lautet das Motto bis heute – und das ist keineswegs übertrieben: Wer Urlaub in der LuxOase macht, muss auf nichts verzichten: Ausflüge, Ticketservice, Gastronomie, Unterhaltungsund Sportangebot, Animation, neuerdings auch einen Wellnessbereich – das und vieles mehr bietet Familie Lux ihren
Gästen. Erwies sich die Charmeoffensive in der Gründungszeit
als wirksames Mittel, um einige infrastrukturelle Defizite auszugleichen, ist sie heute, angesichts der wachsenden Konkurrenz, erst recht unerlässlich. Davon abgesehen entspricht sie
auch einfach dem Naturell von Dagmar Lux.
Die LuxOase wurde von maßgeblichen Institutionen und Verbänden sehr positiv klassifiziert – sowohl der Deutsche Tourismusverband als auch die Tourismus Marketing Gesellschaft
Sachsen vergaben fünf Sterne. Im »Bundeswettbewerb vorbildliche Campingplätze« wurde die LuxOase 2006 mit Gold ausgezeichnet.
Helge Pfannenschmidt
158
H
dritte Firmengründung innerhalb der Familie. Zunächst wurden
Marinechronometer und Schiffsuhrenanlagen gefertigt. Heute
macht das Geschäft mit Armbanduhren etwa 85 Prozent des
Umsatzes aus. Im Jahr 2000 trat der Betriebswirt und gelernte
Werkzeugmacher Thilo Mühle in das Unternehmen ein. Seit
2004 an der Geschäftsleitung beteiligt, ist er seit 2007 alleiniger
Geschäftsführer.
Ulrich Heß
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DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
IMO Leipzig GmbH
Mit Fachleuten
selbst in der Antarktis
Historisches Foto des Werksgeländes
Die Bügelstruktur des Berliner Hauptbahnhofes, die Dachkonstruktion der Allianz-Arena
in München, das Porsche-Kundenzentrum in Leipzig, der 70 m hohe O2-Gittermast in Marburg, die europaweit größte Stahlbetonbogenbrücke über die Wilde Gera in 110 m Höhe
auf der A 71 oder Stahlkonstruktion in den Kraftwerken Boxberg, Neurath und Lünen –
diese beeindruckenden Konstruktionen wurden von der Leipziger Firma montiert.
Die respektable Referenzliste der IMO Leipzig GmbH umfasst zwischen 1990 und heute
eine Vielzahl von beeindruckenden Bauwerken und Konstruktionen in den Sortimenten
Brücken, Mobilfunkmaste, Kraftwerke, Sport- und Gesellschaftsbauten, Industrie- und
Messehallen, Flugzeughangars, Silos und Behälter und weitere Stahlhochbauten in
Deutschland und in der Europäischen Union. Selbst in der Antarktis sind zur Zeit Fachleute der IMO Leipzig GmbH zu finden.
FIRMENPORTRÄT IMO LEIPZIG GMBH
Als die Industriemontagen Leipzig GmbH 1990 ins Handelsregister eingetragen wurde,
konnte sie schon auf einhundert Jahre Erfahrung als Montagebetrieb zählen. Ihre Wurzeln
reichen bis zur Gründung der Firma »Karl-Schiege-Eisenbau« 1890 in Leipzig zurück. Das
Unternehmen wechselte mehrfach seinen Eigentümer und seinen Namen und konnte
auch nach Zwangsverwaltung und Verstaatlichung – seit 1958 als VEB Brücken- und
Stahlbau und seit 1965 als VEB Industriemontagen Leipzig mit einem umfangreichen Leistungsspektrum und internationalem Ruf aufwarten, baute unter anderem am Berliner
Fernsehturm, dem Gewandhaus Leipzig, Stahlwerk El Hadjar (Algerien), Kraftwerk Wolfsburg, Hanau und Völklingen mit.
Die heutige IMO Leipzig wurde 1992 privatisiert. Geschäftsführender Gesellschafter ist
seither Wolfgang Topf, der 1973 seine Tätigkeit im Unternehmen begann. Als Mittelständler an der Spitze eines florierenden Unternehmens mit 350 Mitarbeitern setzt er sich in
unterschiedlichen Gremien für die Interessen der regionalen Wirtschaft ein, wirkte als
Präsident des Unternehmerverbandes Sachsen und seit Mai 2000 auch als Präsident der
Industrie- und Handelskammer zu Leipzig.
Eines seiner zentralen Anliegen ist es, Mittelständler und Hochschulen zusammenzuführen. So fördert die IMO Leipzig GmbH derzeit mit zwei Deutschlandstipendien junge leistungsfähige Nachwuchskräfte im technischen Bereich.
Dachkonstruktion des Neues Rathauses in
Leipzig, 1903
Montage von 3.000 t Stahl für die Straßenbrücke Bad Lauterberg, 2011
Montage einer 120 m hohen Gerüstkonstruktion für die Rauchgasreinigungsanlage (REA)
am Kraftwerksneubau Hamburg-Moorburg,
2011
Werksgelände der IMO Leipzig GmbH
160
Montage der Hallenkonstruktion für den
neuen Wartungshangar Air Berlin am neuen
Flughafen BBI Berlin- Schönefeld
161
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Leipziger Messe GmbH
Die Glashalle als
neues Wahrzeichen
Das erste Messeplakat, 1908
Das »Messemännchen«,
Maskottchen der Leipziger Messe
162
Die Leipziger Messe ist einerseits die jüngste und – mit Blick auf das Veranstaltungsportfolio – innovativste unter den Top Ten der deutschen Messegesellschaften. Andererseits
zählt sie mit ihrer 850-jährigen Geschichte zu den ältesten noch existierenden Handelsplätzen Europas und erlebte nicht nur den Wandel der deutschen Geschichte, sondern
auch mehrfach die Umgestaltung des Messewesens.
Bereits seit dem frühen 11. Jahrhundert herrschte in Leipzig ein reges Handelstreiben. Im
19. Jahrhundert wurde hier die Mustermesse entwickelt, welche die bis dahin dominierende Warenmesse ablöste. Mit den innerstädtischen Messehäusern und dem Gelände
der Technischen Messe entstand eine das Stadtbild prägende Infrastruktur, von der Leipzig bis heute profitiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Leipziger Messe
mit ihren Universalmessen im Frühjahr und Herbst zum wichtigsten Zentrum des OstWest-Handels für die DDR und die osteuropäischen Staaten – insbesondere, nachdem die
RGW-Staaten 1955 beschlossen hatten, den Ost-West-Handel künftig auf Leipzig zu fokussieren. Mit dieser Entscheidung ging eine deutliche Aufwertung des Handelsplatzes Leipzigs einher. In den 1950er und 1960er Jahren präsentierten sich zu den Messen etwa 10.000
Aussteller auf einer Fläche von etwa 300.000 m2; die Besucherzahlen lagen jeweils um
die 600.000er-Marke. Der Slogan »Leipzig – Schaufenster der Welt« zeigt, welche Bedeutung die SED-Führung der Messe zuschrieb, die ein wesentliches Element der Außendarstellung der DDR als starke Industrienation war.
Mit dem Ende der DDR und der Auflösung des osteuropäischen Wirtschaftsblocks 1990
änderten sich die Rahmenbedingungen für die »Mutter aller Messen« drastisch. In kurzer
Zeit musste sich die neu gegründete Leipziger Messe GmbH, die sich seitdem je zur Hälfte
im Eigentum des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig befindet, auf dem über viele
Jahrzehnte gewachsenen freien Messemarkt in Deutschland behaupten. Mit Ideenreichtum
und Hartnäckigkeit sowie einer Anschubfinanzierung aus dem Bundeshaushalt machten
sich die Verantwortlichen auf den Weg, die Leipziger Messe »neu zu erfinden«. Statt der
gewohnten zwei Universalschauen im Jahr wurden zahlreiche Branchen- und Fachmessen
etabliert. Doch nicht nur die Inhalte des Messeangebotes wurden überarbeitet, es musste
auch ein neuer, logistisch günstiger Standort gefunden werden. Nach drei Jahren Bauzeit
wurde am 13. April 1996 eines der modernsten Messegelände der Welt zur AMI Auto Mobil
International eingeweiht. 111.300 m2 Ausstellungsfläche, 70.000 m2 Freifläche, ein modernes Kongresszentrum, dazu die architektonisch einzigartige Glashalle des englischen StarArchitekten Ian Ritchi, bekannt für seine Glaspyramide vor dem Pariser Louvre – das neue
Messegelände setzte in jeder Hinsicht Maßstäbe.
FIRMENPORTRÄT LEIPZIGER MESSE GMBH
Ein Podium für viele Branchen
Heute ist die Leipziger Messe einer der zehn wichtigsten Standorte Deutschlands im
Messegeschäft und ein bedeutender europäischer Messeplatz. Jedes Jahr locken rund
40 Messen und über 100 Kongresse etwa 1,3 Millionen Besucher an. Zu den bekanntesten
Veranstaltungen gehört die Leipziger Buchmesse, die berühmt und beliebt für ihr einzigartiges Lesefest »Leipzig liest« ist.
Ein Branchenhöhepunkt ist auch die »AMI« (Auto Mobil International) mit nahezu
300.000 Besuchern und zahlreichen Welt-, Europa- und Deutschlandpremieren. Die AMI
profiliert sich als Nummer 1 der deutschen Automessen in den geraden Jahren und findet
im Verbund mit AMITEC, der Fachmesse für Fahrzeugteile, Werkstatt und Service, sowie
der AMICOM, der Branchenmesse für mobile Unterhaltung, Kommunikation und Navigation, statt.
Ein Beispiel für innovative Messen, mit denen auf neu entstehende Märkte reagiert wird,
ist die BEACH & BOAT. Die Wassersportmesse Leipzig zielt in erster Linie auf die Absatzchancen, die sich mit den im Zuge der Renaturierung von Braunkohletagebauen entstehenden Gewässerlandschaften rund um Leipzig und in der Lausitz bieten – ein enormes
Entwicklungspotenzial für Wirtschaft und Tourismus.
Der neue Messeturm und
das Freigelände vor der Glashalle
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DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Bau des Kongresszentrums, 1994
Bau der Messehallen und der Glashalle, 1994
Auf der Automobilmesse, 2010
164
Seit mehreren Jahren schreiben auch die parallel stattfindenden Fachmessen intec und Z
eine Erfolgsgeschichte. Die in Deutschland einzigartige Messe-Kombination vereint die
wichtigsten deutschen Fachmessen der metallver- und -bearbeitenden Branche sowie der
Zulieferindustrie.
Eine veranstaltungsübergreifende Kompetenz, die neben Messen auch Kongresse einschließt, zeichnet die Leipziger Messe im Bereich Medizin aus. Die hohe Akzeptanz in
der Medizinbranche verdankt sie den international anerkannten Wissenschafts- und
Forschungszentren in Leipzig sowie renommierte Spezialisten, die an den Leipziger Einrichtungen wirken. Im Zentrum der Leipziger Medizinmessen steht die ORTHOPÄDIE +
REHA-TECHNIK, die zusammen mit dem angeschlossenen Kongress der weltweit wichtigste Treffpunkt der Branche ist. Hinzu kommen zahlreiche hochkarätige Medizinkongresse, die dieses Kompetenzcluster der Leipziger Messe stärken. Vom Know-how der
ORTHOPÄDIE + REHA-TECHNIK profitiert Russlands »People & Health«, die von der
Tochtergesellschaft Leipziger Messe International veranstaltet wird, oder die chinesische
CSRE in Xiamen, für welche die Leipziger Messe Aussteller akquiriert.
Mit der Eigenproduktion DENKMAL wurde 1994 erstmals in Europa eine Messe für Denkmalpflege, Restaurierung und Altbausanierung veranstaltet. Heute ist sie eine europäische Leitmesse, die mit der DENKMAL MOSKAU seit 2011 einen erfolgreichen Ableger in
der russischen Hauptstadt hat.
Zu den bekannten Leipziger Publikumsmessen gehören die HAUS – GARTEN – FREIZEIT,
die MODELL–HOBBY–SPIEL und die PARTNER PFERD als großes Sportevent. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern, Verbänden und Industrienetzwerken arbeitet die Leipziger Messe kontinuierlich an der Weiterentwicklung bestehender und an
neuen Messekonzepten.
In ihrem internationalen Geschäft konzentriert sich die Leipziger Messe auf die Märkte
in Mittel- und Osteuropa. Hier verfügt sie über eine hohe Kompetenz, sehr gute Vernet-
FIRMENPORTRÄT LEIPZIGER MESSE GMBH
zung und exzellentes Ansehen. Das Tochterunternehmen »Leipziger Messe International« organisiert zum Beispiel Messebeteilungen für deutsche Unternehmen im Ausland,
ist aber auch Mitveranstalter an russischen, chinesischen, ukrainischen oder weißrussischen Messeplätzen.
Das Congress Center Leipzig (CCL) steht für eine besondere Erfolgsgeschichte: Seit 1996
werden hier jedes Jahr Dutzende hochkarätige nationale und internationale Kongresse
durchgeführt – darunter seit 2008 das International Transport Forum, eine Veranstaltung
der OECD. Zu diesem Anlass kommen Teilnehmer aus über 50 Staaten, darunter Verkehrsminister, Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten zusammen. Lohn der hervorragenden
Arbeit: Dreimal nacheinander landete das CCL unter den Top Ten der Kongressgastgeber,
2008 wurde es sogar als bestes Kongresszentrum Deutschlands mit dem Preis der Veranstaltungsbranche, dem Conga-Award, ausgezeichnet.
Auf der Automobilmesse, 2010
Motor der regionalen Wirtschaftsentwicklung
Die Leipziger Messe ist eng mit der Stadt verwoben, in der sie beheimatet ist. Darüber
hinaus besitzt sie große Bedeutung für die Wirtschaft der gesamten Region Mitteldeutschland. So bietet die Leipziger Messe vielen sächsischen Branchen – beispielsweise
dem traditionsreichen Maschinenbau – eine internationale Plattform direkt vor ihrer
Haustür.
Auch die indirekten ökonomischen Effekte sind nicht zu unterschätzen. Hotels, Gaststätten, Taxifahrer, Ladenbesitzer, Handwerker – sie alle profitieren von einer florierenden
Messe. Laut einer Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung generiert jeder auf der
Messe ausgegebene Euro weitere fünf Euro Einnahmen in der Region. Bei Kongressen sind
es sogar 13 Euro zusätzlich. Gleichzeitig sorgt die Geschäftstätigkeit der Leipziger Messe
für die Sicherung von über 4.000 Arbeitplätzen allein in Leipzig und über 7.000 in der
gesamten Bundesrepublik.
Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, setzt die Leipziger Messe auf Wachstum der Geschäftstätigkeit und Effizienzsteigerung. Dabei kann sie mit einer sehr guten
Infrastruktur, einer hohen Servicequalität und einem hervorragenden Preis-LeistungsVerhältnis punkten. An dem traditionsreichen Messeplatz können die Kunden – also Veranstalter, Aussteller oder Eventmanager – nicht nur Flächen in Messehallen mieten, sondern den kompletten Service für beinahe jede Art von Veranstaltung. Das reicht von der
Konzeption und Planung bis zur Realisierung von Präsentationen und Auftritten einschließlich der Gastronomie. Zur Muttergesellschaft, der Leipziger Messe GmbH, gehören
fünf Tochterunternehmen, die das gesamte Leistungsspektrum der Veranstaltungsbranche abdecken. Der Wettbewerbsvorteil der Leipziger Messe als integriertem Messeveranstalter besteht im funktionierenden Baukastensystem. Jede Kompetenz, die für die Organisation von Messen und Kongressen notwendig ist, kann der Kunde einzeln buchen: die
Durchführung von eigenen Messen, die Geländeinfrastruktur für Gastveranstaltungen,
unsere Eventdienstleistungen, den Standbau, das Catering, die Hotelvermarktung – oder
das komplette Leistungspaket aus einer Hand.
Darüber hinaus hat sich die Leipziger Messe 2010 als erste deutsche Messegesellschaft mit
dem international anerkannten Nachhaltigkeitssiegel »Green Globe« zertifizieren lassen.
Helge Pfannenschmidt
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DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida
Begehrt bei den Großen
der Wälzlagerindustrie
Blick auf das Firmengelände 1925
Neue und rekonstruierte Gebäude auf dem
Firmengelände 2011
Messingschmelze
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Neben dem Zahnrad sind vor allem das Kugel- und das Rollenlager, die beide zu den Wälzlagern zählen, zum Symbol der klassischen Industrie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts geworden. Seit dem Beginn der 1950er Jahre werden in Mittweida
Wälzlagerkäfige gefertigt. Diese Produktion stellt höchste Anforderungen an die Qualität
und die Präzision der Arbeit.
Das Unternehmen MPT Präzisionsteile ist aus der Firma Wächtler & Lange hervorgegangen, die Fahrradmarkenschilder, Petschaften, Fahnennägel und ähnliche Blechwaren
produzierte. Gründer war der Graveur Ernst Rudolf Wächtler, der zusammen mit zwei
Freunden am 5. Januar 1895 unter äußerst bescheidenen Bedingungen in einer Stube am
Mittweidaer Pfarrberg den Betrieb aufnahm. Bereits ein Jahr nach der Gründung war es
möglich und notwendig, ein eigenes Fabrikgebäude zu errichten. Die Mittweidaer Metallwarenfabrik Rudolf Wächtler & Lange beschäftigte am Beginn des 20. Jahrhunderts
knapp 100 Arbeitskräfte. 1905 zog die Firma erneut um, diesmal in die Leipziger Straße,
in der Nähe des Bahnhofes. Dort befindet sich noch heute der Standort des Nachfolgers
MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida.
Anspruchsvolle Aufgabe: Wälzlagerkäfige
In der Folge der 1946 vollzogenen Verstaatlichung und der veränderten wirtschaftlichen
Strukturen im Osten Deutschlands wandelte sich das Produktionsprofil des Betriebes völlig. Die hohe Qualität der Blechverarbeitung in Mittweida ermöglichte es, dass das Werk
seit 1951 die in der ostdeutschen und osteuropäischen Wirtschaft dringend benötigten
Wälzlagerkäfige an die Deutsche Kugellagerfabrik Leipzig lieferte. 1962 folgte die Produktion von Walzenkränzen aus Aluminium und 1973 von Wälzlagerkäfigen aus Kunststoff.
Eine eigene Gelbgießerei war die Voraussetzung dafür, dass seit 1964 Wälzlagerkäfige
auch in Messinglegierungen hergestellt werden konnten.
Als das Unternehmen zum 1. Juli 1990 in eine GmbH umgewandelt wurde, arbeiteten etwa
480 Beschäftigte im Wälzlagerkäfigwerk. Dieses wurde nun Teil der Deutschen Kugellagerfabriken (DKF). Der Wälzlagermarkt in Ostdeutschland und Osteuropa brach jedoch
bald völlig zusammen. Die DKF wurde zum Hauptverlustträger des Mutterkonzerns FAG
Kugelfischer und brachte diesen an den Rand des Zusammenbruchs. Das Mittweidaer
Unternehmen war von dieser Krise ebenso wie das Gesamtunternehmen DKF Leipzig
besonders stark betroffen und ging in die Insolvenz.
Im Jahr 1993 entschloss sich der Produktionsleiter Dieter Gebauer, aus der Konkursmasse
eine GmbH mit 39 Beschäftigten als Management-Buy-Out zu gründen. Als Kenner des
FIRMENPORTRÄT MPT PRÄZISIONSTEILE GMBH MITTWEIDA
Wälzlagermarktes und der Qualitäten der Mittweidaer Fachkräfte sah er darin eine Chance
für den Erhalt eines Unternehmens, das weiterhin auf Wälzlagerkäfige spezialisiert war.
Als »West-Manager« in einem DDR-Betrieb
Dieter Gebauer wurde 1947 in Riesa geboren. Seine Eltern kamen aus Schlesien und waren
in die von der Stahlerzeugung geprägte Stadt zugezogen, weil sein Vater in der Stahlbranche arbeitete. Ab 1957 wohnte die Familie im Ruhrgebiet. Ein Studium des Maschinenbaus
an der renommierten Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH)
war für Dieter Gebauer die Basis für seine berufliche Entwicklung. Nach wissenschaftlicher Arbeit an der RWTH wechselte er zu FAG Kugelfischer in Schweinfurt. Bereits im
November 1989, unmittelbar nach der Grenzöffnung durch die DDR-Regierung, schickte
die Unternehmensführung Dieter Gebauer nach Mittweida, weil sie Interesse an der dortigen Produktionsstätte des VEB Wälzlagerkombinat Leipzig hatte. Zum Jahresbeginn 1990
wurde er Produktionsleiter. Vermutlich war er damit einer der ganz wenigen westdeutschen Manager, die noch in einem DDR-Staatsbetrieb – und dies nicht nur als Berater –
gearbeitet haben.
Heute ist die MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida ein stabiles Unternehmen, das sich in
der deutschen und internationalen Wälzlagerindustrie einen guten Ruf erarbeitet hat.
In Mittweida zählt es zu den größten Unternehmen. Die MBT GmbH fertigt vor allem Kleinund Mittelserien sowie Sonderprodukte; die strikte Kundenorientierung ist eine der Voraussetzungen für ihre erfolgreiche Entwicklung. Zudem wird großes Augenmerk auf die
Marktbearbeitung gelegt. Die MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida beschickt bedeutende
2006 erhielt die Firma den »Oskar des
Mittelstandes«, rechts Geschäftsführer
Dieter Gebauer
Arbeiter beim Gießen eines Ringes
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DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Fachmessen in der ganzen Welt. Zu Firmen in mehr als 20 Ländern konnten inzwischen
Exportbeziehungen aufgebaut werden, gegenwärtig sind vor allem die Märkte in Osteuropa und Asien im Blick. Im März 2010 wurde die MPT Trading & Engineering in Bejing
eröffnet. Mit der Diversifizierung der Kundschaft wird das Ziel verfolgt, Konjunkturschwankungen besser abfedern und schneller auf unterschiedliche Wachstumschancen
in verschiedenen Märkten reagieren zu können. Die drei »Großen« der Wälzlagerindustrie
SKF (Svenska Kugellagerfabriken), Timken und die Schaeffler-Gruppe, zu der heute auch
die Unternehmen der FAG gehören, sind die Hauptabnehmer der Mittweidaer Erzeugnisse.
Rasche Produktentwicklung und große Fertigungstiefe ermöglichten es, die Wertschöpfung im eigenen Unternehmen zu erhöhen. Moderne Technik war hierfür eine weitere Voraussetzung. Seit 1994 wurden 54 Millionen Euro in den Betrieb investiert. In den vergangenen Jahren entstand im Unternehmen eine der modernsten Gießereien Europas.
Produkte aus Blech
Standortvorteil Hochschule
Ebenso großes Augenmerk richtet die Geschäftsführung auf Ausbildung und Gewinnung
des Facharbeiternachwuchses. Seit 1994 wurden 95 Lehrlinge ausgebildet, und alle Fachkräfte konnten übernommen werden. Kennzeichnend für die Zusammensetzung der
Belegschaft ist heute eine gute Mischung von jungen und älteren Arbeitskräften. Letztere
bekamen eine Chance, weil sie Erfahrungen und Können einbrachten und flexibel einsetzbar sind. Die aus Wächtlers Zeiten herrührende Tradition, dass Kinder von Betriebsangehörigen im Unternehmen gern ausgebildet werden, hat Gebauer wieder aufgenommen, da dies die Integration der neuen Mitarbeiter erleichtert. Dieselben wissen, welche
Anforderungen sie erwarten, und die soziale Kontrolle fördert ihre Einbindung. Gleichzeitig kann die Phase der Orientierung im Unternehmen abgekürzt werden.
An der Ausbildung von Hochschulabsolventen nimmt das Unternehmen ebenfalls Anteil,
denn ein großer Reiz des Standortes liegt in der Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der
Hochschule Mittweida. Gemeinsame Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Werkstoffkunde werden seit längerem bearbeitet, so wurde etwa ein Hochleistungs-KohlefaserKunststoff-Wälzlagerkäfig entwickelt. Da Lager im Hochdrehzahlbereich besonderen
Anforderungen unterliegen, bieten hochtemperaturbeständige Kunststoffe mit speziellen
Füllstoffkombinationen eine durchaus kostengünstige Alternative, die Anwendungen bis
hin zum Einsatz in der Luft- und Raumfahrt erlaubt. 1998/99 entwickelten die Hochschule
und die MPT GmbH Mittweida gemeinsam eine 3-D-Lasermesseinrichtung für den Werkstatteinsatz, die beide nutzen können. Auch mit den Technischen Universitäten Dresden
und Chemnitz und der Bergakademie Freiberg steht Gebauer in Kontakt, und er profitiert
nach wie vor von den Beziehungen zur RWTH in Aachen.
Der Chemnitzer Raum bietet dem Unternehmen eine gute Infrastruktur. Die erfolgreiche
Entwicklung des Chemnitzer Maschinenbaus in den vergangenen Jahren wirkt sich nicht
nur – und nicht einmal in erster Linie – auf die Absatzmöglichkeiten positiv aus: Es ist
vor allem die anregende Atmosphäre, die die Nähe eines der Zentren des deutschen
Maschinenbaus mit sich bringt.
Ulrich Heß
FIRMENPORTRÄT MPT PRÄZISIONSTEILE GMBH MITTWEIDA
MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida
hat sich in der deutschen und internationalen Wälzlagerindustrie einen
guten Ruf erarbeitet
Wälzlagerkomponenten aus Messing.
Diese Komponenten dienen zur Führung und
Positionierung der Wälzkörper im Lager
Blechkäfige und Kugelhalter
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UNTERNEHMERPORTRÄT KNUT LÖSCHKE
UNTERNEHMERPORTRÄT GERD KALBITZ
Obstland Dürrweitzschen AG
L&P Dr. Löschke & Partner GmbH in Leipzig
Gerd Kalbitz
Knut Löschke
G
erd Kalbitz (geb. 1951) hat seinen Beruf von der Pike auf
gelernt: Der Lehre am Institut für Obstbau Dresden-Pillnitz und dem Ingenieurstudium an der Gartenbaufachschule in Erfurt folgte später das Diplom. Seit 1976 arbeitete er
in der LPG Obstproduktion Dürrweitzschen – einem Betrieb mit
Standorten zwischen Grimma, Döbeln und Oschatz.
Die Tradition des Obstbaus reicht in Mittelsachsen, im Gebiet
zwischen dem Fluss Mulde und dem Erzgebirgsvorland, bis in
das Mittelalter zurück. Ein intensiver Anbau wird in dieser
Region jedoch erst seit dem Jahre 1973 betrieben. 1989 bewirtschaftete die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft
Obstproduktion Dürrweitzschen 1.500 Hektar Land, bestanden
mit Apfel- und Birnbäumen, mit Pflaumen- und Kirschbäumen
und Beerensträuchern – ein Kapital, das den Versuch wert war,
sich auf den freien Markt zu wagen. Gerd Kalbitz war damals
LPG-Vorsitzender und gab die Devise aus: »Es wird nicht gejammert. Wir versuchen was Neues!«
Die LPG wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, als
deren Vorstandsvorsitzender Kalbitz – entgegen dem Rat seiner
damaligen Hausbanken – auch neue Geschäftsfelder erschloss.
Heute gehören zur Obstland Dürrweitzschen AG neben den
Obstplantagen eine Kelterei, eine Vermarktungsgesellschaft
sowie 900 Hektar Feldbaufläche. Die Diversifizierung des
Geschäfts hat dem Unternehmen über alle Konjunkturschwankungen hinweg das Überleben gesichert.
Gerd Kalbitz hat nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung seiner Firma vorangetrieben, sondern sich auch für den Obstbau
auf regionaler und auf Bundesebene engagiert. Die Liste seiner
Ehrenämter ist lang, sein Engagement wurde mit zahlreichen
Preisen gewürdigt.
Zum Ende des Jahres 2011 hat er die Führungsposition in seinem
Unternehmen abgegeben. Der Wechsel in den Ruhestand bedeutet jedoch nicht, dass Gerd Kalbitz dem Obstbau verlorengehen wird.
Sabine Frank
170
K
nut Löschke (geb. 1950) wuchs in Beucha bei Leipzig in
einer Kürschner-Unternehmerfamilie auf. Nach Abitur
und Lehre in Grimma schlug er jedoch die Laufbahn
eines Naturwissenschaftlers ein, studierte Kristallographie an
der Universität in Leipzig, an der er auch zum Dr. rer. nat und
zum Dr. sc. nat. promovierte. 1986 wechselte er nach Postgradualstudien in Novosibirsk und Moskau als Forschungsingenieur und Berater für CAD/CAM- und IT-Technik zum Kombinat
Wälzlager und Normteile. 1988 unternahm er bereits den Versuch, seine eigene, private IT-Unternehmung zu gründen, scheiterte jedoch auch am Veto des Kombinats Robotron.
Die Chance, unternehmerisch zu wirken, bot die Friedliche
Revolution in der DDR und die damit völlig veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Knut
Löschke gründete bereits im März 1990 »seine« PC-Ware und
entwickelte das Unternehmen seitdem sehr erfolgreich.
Nach dem Börsengang im Jahr 2000 expandierte die PC-Ware AG
zu einem internationalen Konzern, mit etwa 1.800 Mitarbeitern, mit Tochtergesellschaften in 26 Ländern und mit einem
Geschäftsvolumen von über 1 Milliarde Euro. Damit war PCWare nicht nur einer der europäischen Marktführer im ITUmfeld, sondern auch eines der erfolgreichsten ostdeutschen
Unternehmen.
Im Jahre 2009 gelang es der Raiffeisen Informatik GmbH aus
Österreich, die Mehrheit des Aktienkapitals der Gesellschaft
über die Börse zu übernehmen. Danach wurde Löschke aus
dem Vorstand gedrängt, worauf er seine Anteile am Unternehmen veräußerte. Seither ist Knut Löschke als UnternehmerBerater und Geschäftsführender Gesellschafter der L&P (Dr.
Löschke & Partner) GmbH tätig.
Die bereits 2004 übernommene Lehrtätigkeit an der Hochschule
für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig führt
Löschke nun als Honorarprofessor für das Studium Generale
fort. Seine eigenen Vorlesungen und Seminare beschäftigen
sich mit der Kultur und der Ethik des Unternehmertums. Er
möchte damit die Lust der jungen Leute an der erfolgreichen
unternehmerischen Selbstständigkeit wecken.
Knut Löschke ist Mitglied in verschiedenen Beratungs- und Aufsichtsgremien, so im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG und
im Hochschulrat der TU Dresden.
Ulrich Heß
171
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Vereinigte Porphyrbrüche auf dem Rochlitzer Berge GmbH
Material für die Ewigkeit
Rochlitzer Porphyrplatten bei der Gestaltung
der Ausstellung »Der Naumburger Meister.
Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen«, Landesausstellung Sachsen-Anhalt,
Naumburg 2011
Stein der Könige, so wird der seit mehr als eintausend Jahren abgebaute Rochlitzer Porphyr genannt. Sachsenweit und darüber hinaus werden repräsentative Gebäude mit der
Verwendung des rötlichen Steines aufgewertet. Vor mehr als 800 Jahren entstand das Kloster Wechselburg unter Verwendung dieses Steines, der bei diesem Bauwerk bis heute gut
erhalten ist. Denn Rochlitzer Porphyr ist im Unterschied zu Sandstein oder Muschelkalk
sehr resistent gegenüber der Witterung und den heutigen chemischen Belastungen.
Der 350 Meter hohe Rochlitzer Berg war einst ein Vulkan, aus dem bei einem oder mehreren Ausbrüchen riesige Aschemengen in den Himmel geschleudert wurden. Diese Asche
sedimentierte und bildete ein poröses, leicht bearbeitbares, aber festes Gestein. Die Tuffschicht ist 80 bis 100 Meter stark. Die Farbe wechselt zwischen rot, bräunlich, graugelb
oder violett. Bei Regen strahlt sie in leuchtendem Rot.
Seit dem 9. Jahrhundert wird der Stein in Rochlitz abgebaut; Getreidemahlsteine sind
noch älter und wurden erstmals vor etwa 3000 Jahren aus diesem Material hergestellt.
Bei unzähligen Burgen, Schlössern, Kirchen, Rathäusern, Bauernhöfen, Bürgerhäusern
und Denkmälern wurde mit dem Stein aus Rochlitz eine einmalige Ausstrahlung erreicht.
So verdankt das Leipziger Alte Rathaus seine besondere Wirkung nicht zuletzt diesem
Stein. Bei diesem Bauwerk wurde Rochlitzer Porphyr als Material für die derberen Bauteile
wie Erker, Tore, Säulenschäfte, Stufen, Simse verwendet, was dem Gebäude ein besonderes Gepräge gibt. Es ist kein Zufall, dass sich ein Neubau des Stadtgeschichtlichen
Museums Leipzigs ebenfalls mit diesem Gestein schmückt.
Eine frühe GmbH in Sachsen
Die heutige Firma Vereinigte Porphyrbrüche auf dem Rochlitzer Berge GmbH kann sich
als »Rochlitzer Porphyr Manufaktur seit 1585« rühmen. Seit dieser Zeit betrieb der erste
Steinmetz aus der Familie Haberkorn einen eigenen Steinbruch, und diese Linie lässt sich
bis in die heutige Zeit verfolgen.
Mit der Gewerbefreiheit in Sachsen zum Jahresbeginn 1861 wurde auch die »Rochlitzer
Hütte«, der traditionelle zünftige Zusammenschluss der Steinmetze und Steinbruchbesitzer, zu einer überholten Organisationsform des Gewerbes. Etwa ein Jahrzehnt zuvor, im
Jahr 1850, hatte die Polizei einen Versuch der Hüttenmitglieder, die zwischenzeitlich
bereits aufgehobene Handwerksgerichtsbarkeit weiterhin auszuüben, beendet.
Später schlossen sich die Steinmetzmeister beziehungsweise Steinbruchbesitzer Emil und
Oswald Haberkorn, Clemens und Otto Seidel und der Wechselburger Emil Schilling zu
einer GmbH zusammen. Die heutige Geschäftsführung ist stolz drauf, dass die GmbH trotz
172
FIRMENPORTRÄT VEREINIGTE PORPHYRBRÜCHE AUF DEM ROCHLITZER BERGE GMBH
der Widerstände unter den Beteiligten die dritte in Sachsen gewesen sein soll. 1910 gingen
das Werk sowie sieben Steinbrüche in den Alleinbesitz der Familie Emil Haberkorn über.
Bis in jene Zeit hatte die in der Gründerzeit einsetzende und lang anhaltende erfolgreiche
wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen und Deutschland das Wachstum des Unternehmens begünstigt. Der Stein aus Rochlitz gehörte zu den Materialien, die noch nach der
Wende zum 20. Jahrhundert deutschlandweit häufige Verwendung beim Bau von Bürgerhäusern und repräsentativen Bauwerken fanden.
Ein eigener Bahnanschluss
Allerdings wuchs mit den verbesserten Transportmöglichkeiten auch die Konkurrenz. Vor
allem aus Skandinavien drängten Steinbruchunternehmen auf den deutschen Markt.
Trotz knapper Erträge war es deshalb immer wieder erforderlich, die Anlagen in den Steinbrüchen und zur Verarbeitung des gebrochenen Rohmaterials zu modernisieren. In den
Jahren 1907 bis 1909 wurde am Verladebahnhof in Breitenborn/Sachsen ein Werkbetrieb
mit modernem Steinsägewerk aufgebaut. Damit erhielt das Werk ein eigenes Zweiggleis
zu den Königlich-Sächsischen Staatsbahnen und somit Bahnanschluss in die rasch wachsenden sächsischen Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz.
1924 wurde ein Steinbrech- und Walzwerk aufgestellt. Das dort gewonnene Material eignete sich unter anderem vorzüglich zur Herstellung von Putzen, von Belägen für Wege,
Sportstätten und Exerzierplätze sowie von Kaltasphaltdecken. 1932 arbeiteten 50 Arbeitskräfte in den Steinbrüchen auf dem Rochlitzer Berg.
Altes Rathaus Leipzig, im Vordergrund
der Eingang des Untergrundmessehauses
(heute wegen des Tunnelbaus abgebrochen)
AOK-Gebäude Leipzig, erbaut nach dem
Entwurf von Otto Droge 1922 –1925
Arbeiter im Rochlitzer Porphrysteinbruch,
um 1900
173
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Basilika Wechselburg, um 1180 erbaut,
ältestes erhaltenes Bauwerk mit Rochlitzer
Porphyr
Klaus Kalenborn (rechts) mit Besuchern
des Rochlitzer Porphyrlehrpfades
174
FIRMENPORTRÄT VEREINIGTE PORPHYRBRÜCHE AUF DEM ROCHLITZER BERGE GMBH
Nach dem Kriegsende bestand das private Unternehmen weiter. Es blieb bis zur Verstaatlichung 1972 im Besitz der Familie Haberkorn. Die ehemalige Inhaberin Ruth Haberkorn
schied zu diesem Zeitpunkt aus dem Unternehmen aus. Der Steinbruch wurde damals
von sechs Beschäftigten betrieben, die keine Steinmetze waren, sondern eine landwirtschaftlich-mechanische Ausbildung absolviert hatten. In den 1960er Jahren war die technische Ausrüstung des Unternehmens noch einmal modernisiert worden, um die umfangreichen Porphyrlieferungen ins damalige Karl-Marx-Stadt leisten zu können, welche für
Bauten in der repräsentativen Straße der Nationen benötigt wurde. In den 1980er Jahren
setzte die Betriebsleitung auf die Lieferung von Werkstein. Zudem plante sie im großen
Maßstab die Herstellung von Granulat, das exportiert werden sollte, was allerdings nicht
mehr realisiert wurde.
Schmuck für Rathaus und Kirche
1990 stellte Ruth Haberkorn einen Antrag auf Reprivatisierung des Betriebes. Ungeachtet
der veralteten technischen Ausrüstung wagte sie den Neubeginn, der einem Neuaufbau
des traditionsreichen Unternehmens entsprach. Das Haupteinsatzgebiet des Rochlitzer
Porphyrs sah sie zunächst vorwiegend im denkmalpflegerischen Bereich.
Im Jahr 1991 übernahm die Kalenborn KG aus Essen, die bereits in der Zeit der DDR Rochlitzer Porphyr gekauft und verarbeitet hatte, das Unternehmen Vereinigte Porphyrbrüche
auf dem Rochlitzer Berge GmbH. Seitdem wird der Abbau von Rochlitzer Porphyr unter
der Ägide dieser Firma betrieben. Die Kalenborn KG ist ein bundesweit tätiger Steinmetzbetrieb, der im Jahr 1931 von Aloys Kalenborn gegründet wurde und heute von den Enkeln
Axel und Klaus Kalenborn geleitet wird. Das Rochlitzer Unternehmen wurde damit als ein
Familienbetrieb erhalten, der sich auch in der Tradition der Familie Haberkorn versteht.
Derzeit arbeiten zwölf Beschäftigte im Unternehmen. Jährlich wird ein Prozent des abbauwürdigen Rochlitzer Porphyrs gebrochen und verarbeitet.
Er ist äußerst vielseitig zu verwenden und erfreut sich sehr großer Beliebtheit. Besonders
Bildhauer und Künstler sind von der Leichtigkeit der Bearbeitung, der glasigen Struktur
und der Haltbarkeit des rötlich schimmernden Steins überrascht.
Rochlitzer Porphyr wird derzeit auf drei Feldern eingesetzt: beim hochwertigen Hochbau,
bei der Gestaltung von Grabmälern und im Garten- und Landschaftsbau. Diese Einsatzgebiete umfassen jeweils ein Drittel des jährlich gebrochenen Porphyrs.
Klaus Kalenborn, Geschäftsführer in Rochlitz, spricht mit besonderem Stolz vom derzeit
größten Projekt des Unternehmens: Das Architekturbüro Schulz & Schulz in Leipzig und
die Kirchgemeinde der Leipziger Probsteikirche St. Trinitatis entschieden sich für die Verkleidung der neben dem Leipziger Neuen Rathaus entstehenden katholischen Kirche mit
Rochlitzer Porphyr. 5.000 Quadratmeter Rochlitzer Porphyr werden dazu benötigt. Ein
Bauwerk, das im Unterschied zu vielen anderen Bauten der Gegenwart nicht für ein Menschenleben, sondern für mehrere Jahrhunderte gebaut wird, schmückt und schützt sich
mit diesem wertvollen Stein.
Ulrich Heß
Steinmetzbrunnen auf dem Topfmarkt in Rochlitz
Rochlitzer Muldenbrücke, erbaut 1933/34 (historische Aufnahme)
Brunnen in Schmölln/Thüringen
Fassade des neuen Kaufhauses in der Altstadt
von Brandenburg
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DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
FIRMENPORTRÄT FLACHGLAS TORGAU GMBH
Flachglas Torgau GmbH
Rohbau des Gemengehauses der Floatanlage,
1984
Hochtechnologie für
Zukunftsindustrien
Luftaufnahme der ehemaligen Wannen A
und B, 2008 (Gebäude sind zwischenzeitlich
abgerissen)
Luftaufnahme der Flachglas Torgau GmbH
und AVANCIS Co KG
176
Torgau, seit der Abtrennung vom Königreich Sachsen 1815 preußische Grenz- und
Festungsstadt, verlor nach der Reichseinigung von 1871 seine militärstrategische Bedeutung. Der bis dahin dominierende Status als Festungsstadt hatte die die wirtschaftliche
Entwicklung der Stadt behindert – vor allem im Vergleich mit entstehenden Industriestandorten wie der Nachbarstadt Eilenburg. Erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert
siedelten sich auch in Torgau nach und nach Industriebetriebe an. Die Voraussetzungen
in der Region waren für einige Industriezweige günstig: Es gab abbauwürdige Rohstoffvorkommen für die Keramik- und Glasindustrie, die Anbindung an die Eisenbahnlinien
Dresden–Leipzig und Dresden–Berlin war ebenso gegeben wie die Lage am Wasserweg
Elbe. Zudem stand eine große Zahl von Arbeitskräften aus einem ländlich geprägten
Umfeld zur Verfügung. So entstanden Mitte der 1920er Jahre zwei Unternehmen, die bis
heute das Wirtschaftsleben der Stadt prägen. Zum einen kaufte der Steinguthersteller Villeroy & Boch 1925 eine Torgauer Geschirrfabrik und baute sie 1926 nach modernen Fertigungsgesichtspunkten zu einer Sanitärporzellan- und Tafelgeschirrfabrik aus, deren rationelle Produktion marktgerechte Verkaufspreise ermöglichte. Zum anderen wurde 1925 die
Torgauer Glashütten AG gegründet, die schon im Herbst 1926 die erste Schmelzwanne in
Betrieb nahm. Am 18. Dezember 1926 wurde das erste Glas gezogen.
In der Weltwirtschaftskrise musste 1931 das Unternehmen stillgelegt werden. Nach der
Übernahme durch die Deutsche Libbey-Owens-Gesellschaft (delog) Gelsenkirchen-Rotthausen nahm die Torgauer Glashütte 1937 als GmbH mit 98 Prozent belgischem Kapital
die Produktion wieder auf. Als am 16. April 1945 das Torgauer Tanklager bei der Bombardierung der Stadt in Brand geriet, wurde auch das Glasunternehmen stark beschädigt;
die Produktion musste eingestellt werden.
Der Bedarf an Glas war nach dem Kriegsende jedoch so groß, dass mit aller Kraft an der
Wiederherstellung gearbeitet wurde. Im Oktober 1945 konnte die Produktion wieder aufgenommen werden. Bis in die 1950er Jahre wurde die Glashütte Torgau GmbH als Auslandsbesitz treuhänderisch verwaltet. 1963 kam es zur Gründung des VEB Flachglaswerk
Torgau, der 1979 zum Stammbetrieb des VEB Flachglaskombinates Torgau mit 18 Betrieben wurde.
Da das Kombinat mehr als 80 Prozent des Flachglasbedarfs der DDR herstellte, erhielt der
Torgauer Betrieb 1985 eine Floatanlage, welche die britische Firma Pilkington lieferte. Die
Ausbildung zur Bedienung der Anlage erfolgte teilweise in Großbritannien.
1985: Produktionsstart Float
177
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Zentrale Messwarte der Floatanlage, 1985
Erfolgreicher Neustart 1990
Diese Modernisierung war eine Voraussetzung für den erfolgreichen Neustart 1990. Weitere Faktoren waren die hohe Qualifikation des Fachpersonals und die gute Verkehrsanbindung (Bahn, Straße) für den Massentransport der Rohstoffe Sand aus Hohenbocka in
Südbrandenburg, Soda, Kalk und Dolomit aus dem Harzvorland. All dies machte den
Standort Torgau für Investoren attraktiv. 1990 wurde das Flachglaskombinat in die Glasindustrie AG umgewandelt, zu der auch das Flachglaswerk Torgau als Flachglas Torgau
GmbH gehörte. Das gesamte Unternehmen wurde 1991 an die VEGLA (Vereinigte Glaswerke Aachen GmbH, Zweigniederlassung der Compagnie de Saint-Gobain) verkauft. Seitdem ist die Flachglas Torgau GmbH eine Tochtergesellschaft der VEGLA, heute Saint
Gobain Glass Deutschland GmbH. 1994 wurde die Autoglasproduktion in Torgau als
Sekurit Saint-Gobain Torgau GmbH aus dem VEGLA-Tochterunternehmen herausgelöst.
Geschäftsführer der Flachglas Torgau GmbH ist seit 2008 Uwe Naumann. Er erlernte den
Beruf eines Facharbeiters für Glastechnik im damaligen Flachglaskombinat Torgau. Nach
dem Abitur an der Berufsschule studierte er 1985 bis 1990 an der Bergakademie Freiberg,
wo er den Hochschulabschluss als Diplomingenieur für Silikattechnik erwarb. Die berufliche Perspektive führte ihn zurück nach Torgau. Anfangs arbeitete Uwe Naumann als
Techniker in der Gemengeanlage, später war er verantwortlich für die Qualitätssicherung
im gesamten Werk. Im Jahr 2000 wurde er Leiter der Verbundglasanlage. Den für Führungskräfte bei Saint-Gobain üblichen Auslandseinsatz absolvierte Uwe Naumann in
Frankreich; er arbeitete ein Jahr an der Floatglasanlage in Aniche. Im Jahr 2003 übernahm
er schließlich die Leitung der Magnetronanlage in Torgau.
Derzeit sind etwa 255 Mitarbeiter in der Flachglas Torgau GmbH beschäftigt. Um weitere
Arbeitsmöglichkeiten in der strukturell schwachen Region zu schaffen, gehen Unternehmen und Stadtverwaltung mehrere Wege, wobei die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften die wichtigste Voraussetzung für die weitere Entwicklung des Betriebes ist. 2011
wurde das überdurchschnittliche Engagement in der Berufsorientierung sowie in der
beruflichen Aus- und Weiterbildung durch die IHK zu Leipzig geehrt.
FIRMENPORTRÄT FLACHGLAS TORGAU GMBH
Schritt zur Sicherung des Glasstandortes Torgau. Das Flachglaswerk ist Zulieferer für die
Solarzellenproduktion von AVANCIS.
Ein Werk der Hochtechnologie wie jenes von Saint-Gobain in Torgau stimuliert nicht
zuletzt weitere Gewerbeansiedlungen. Derzeit haben sich etwa 40 Unternehmen mit ungefähr 500 Arbeitsplätzen für den Standort in der Nähe des Flachglaswerkes entschieden.
Darunter befinden sich die Torgauer Maschinenbau GmbH, die Sondermaschinen zur
Glasherstellung und -verarbeitung nach Kundenwünschen herstellt, bis Ende 2012 die
Saint-Gobain Sekurit Deutschland KG, die Saint-Gobain Autover Deutschland GmbH, die
gleichfalls zu Saint-Gobain gehörende Muffenrohr GmbH, die AVANCIS GmbH & Co. KG
und die Glasrecyclingfirma Reiling GmbH.
Auf dem Gelände ist auch ein Berufsschulzentrum untergebracht, in dem unter anderem
die Ausbildung zum (zur) Mechatroniker/in und zum (zur) Verfahrensmechaniker/in Glastechnik durchgeführt wird. Torgau – der nordsächsische Standort der Glasproduktion mit
großer Vergangenheit – verfügt über gute Voraussetzungen, diese Erfolgsgeschichte auch
in Zukunft fortzuschreiben. Nach dem »Jahrhunderthochwasser« der Elbe 2002, das den
Fortbestand des Werkes gefährdete, hat das inzwischen verwirklichte Hochwasserschutzkonzept auf diesem Gebiet Abhilfe geschaffen. Nun hemmt nur noch die unzureichende
Straßenanbindung die Entwicklung des Standortes Torgau – der Baubeginn der Bundesstraße 87n als Zubringer zur Bundesautobahn 14 scheint derzeit in weiter Ferne zu liegen.
Ulrich Heß
Eine produzierte Scheibe nach dem
Kühlprozess
Perspektivreicher Standort Torgau
Der international renommierte Konzern Compagnie de Saint-Gobain bietet die Gewähr
für eine erfolgreiche Entwicklung des Standortes. 2000 nahm eine neue Verbundglasanlage den Betrieb auf. 2007 wurde die AVANCIS GmbH gegründet, ein Joint-Venture zwischen der Hauptsparte Flachglas (Saint-Gobain Vitrage) und einem Tochterunternehmen
des Energiekonzerns Shell (Shell Erneuerbare Energien GmbH). 2008 begann die Produktion von Solarpanelen der neuen Generation in Torgau. 2009 übernahm Saint-Gobain
Vitrage die Shell-Beteiligung.
Derzeit investiert der Weltkonzern Saint-Gobain einen zweistelligen Millionenbetrag in
seinen Glasstandort Torgau. In einem neuen Gebäudekomplex auf dem Betriebsgelände
ist die Errichtung einer zweiten Magnetronanlage zur Beschichtung von Flachglas geplant.
Der angestrebte Zeitplan für den Bau ist ehrgeizig: Im Februar 2012 soll die Halle mit einer
Grundfläche von 10.000 Quadratmeter fertig gestellt sein. Danach werden zeitgleich der
Innenausbau und der Maschineneinbau erfolgen. Die Inbetriebnahme ist für Juni 2012
vorgesehen. Im Ergebnis werden etwa 20 neue Arbeitsplätze geschaffen – ein wichtiger
178
179
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Stahlbau Oberlausitz GmbH in Neugersdorf
Spezialisten für anspruchsvolle
Stahlkonstruktionen
Geschäftsführer Andreas Hempel
Rechte Seite: Sägen von Profilen und Trägern
auf der Säge-Bohr-Anlage
Auf dem Hof stapeln sich einige hundert Tonnen Profilstahl in allen vorstellbaren Formen,
Stärken und Längen, in der Produktionshalle kreischt Metall auf Metall, Schweißbrenner
werfen ihre blauen Lichtgarben aus, von der Decke herunter baumeln Stahlträger an
gewaltigen Laufkatzen, ein durchdringender Geruch nach zersägtem Stahl erfüllt den
Raum, es ist laut und schmutzig: In der Firma Stahlbau Oberlausitz fühlt man sich im
ersten Moment in ein früheres Industriezeitalter versetzt…
Und doch ist äußerste Präzisionsarbeit gefragt. Auf den Podesten hinter der Brennschneidanlage stapeln sich, pedantisch sortiert und beschriftet, Werkstücke aus Stahlblech, von denen keines wie das andere geformt ist. Diese Anlage wird, genau wie die
Sägebohrmaschine, schon lange nicht mehr von Hand eingerichtet, sondern direkt mit
Computerdaten aus dem Konstruktionsbüro gefüttert. Andreas Hempel, Geschäftsführer
der Stahlbau Oberlausitz GmbH, meint dazu: »Früher war das eine Branche, da hat’s
gereicht, wenn man Muskeln hatte. Heute haben wir hier keinen Ungelernten mehr, sondern nur noch qualifizierte Fachkräfte.«
Das Firmengelände in Neugersdorf 2011
»Wir sehen uns als Dienstleister.
Was der Kunde will, muss man erkennen
und ihm passgerecht hinlegen.«
180
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Arbeiter beim Schweißen
Auf der Brennschneidanlage werden Bleche
ausgebrannt.
182
Gittermasten und Umspannwerke
Als Andreas Hempel 1992 als Statikingenieur hier eingestellt wurde, hatte die Firma 80
Beschäftigte und fertigte Stahlkonstruktionen für Hallen, für Podeste und Gerüste. Angefangen hatte der Firmengründer Karl Ernst Güttler 1862 mit einer Schlosserei und einem
Eisenwarenhandel. Im Zuge der rasanten Industrialisierung Sachsens spezialisierte man
sich unter anderem auf die Fertigung von stählernen Fensterrahmen für Industriebauten.
Die Tochter des Firmengründers und später deren Sohn führten die Firma durch Inflationszeiten, Kriege und die ersten Jahrzehnte der DDR bis zur Enteignung 1972. Da war
die Produktion schon lange auf die Herstellung von Stahlkonstruktionen umgestellt. Nach
1989 stieg der Sohn des Alteigentümers wieder ins Geschäft ein, 60 Prozent der Firmenanteile hielt die Technometall Unternehmensgruppe aus Niederbayern.
Andreas Hempel wurde in die Firma geholt, um ein neues Geschäftsfeld aufzubauen – den
Energiebau. In diesem Spezialzweig des Metallbaus werden Gittermasten für Überlandleitungen in Serie gefertigt. In Neugersdorf entschied man sich für die anspruchsvolle
individuelle Einzelanfertigung von Umspannwerken. Jeder Insider weiß, wie schwierig
diese scheinbar schlichten und übersichtlichen Anlagen zu projektieren sind, in denen der
Strom aus einer Fernleitung für den örtlichen Versorger transformiert wird. Der Stahlbau
Oberlausitz projektiert und fertigt Stahlunterkonstruktionen für die unterschiedlichen
Spannungsebenen. Ankommende und wieder abgehende Seilstärken wollen exakt berechnet sein, da sieht faktisch jede Stütze anders aus; jedes Umspannwerk muss als Unikat den
Bedingungen am jeweiligen Standort entsprechend geplant und gebaut werden.
»Zulieferer des Jahres« für Siemens
Es hat fast zehn Jahre gedauert, um die Firma in diesem hart umkämpften Markt zu etablieren, und dennoch wäre beinahe das Aus gekommen. Im Jahr 1995 begannen die
Hauptgesellschafter der bayerischen Technometall, aus dem Unternehmen Geld abzuziehen. Die hiesigen Gesellschafter, die 40 Prozent der Anteile hielten, drängten daraufhin
auf einen Eigentümerwechsel, ehe die Firma völlig ausgeblutet sein würde. Und tatsächlich: Technometall verkaufte seine Anteile, Andres Hempel stieg als Geschäftsführender
Gesellschafter ein »und am 10. März 1996 war der Stahlbau Oberlausitz wieder in sächsischer Hand«, wie er nicht ohne Stolz sagte.
Heute liefert die Firma für Großkonzerne im Anlagenbau wie Siemens, Eon, Tennet, ENBW
oder Vattenfall, aber auch an kommunale und regionale Stromerzeuger wie Enso, avacon
oder die e.dis AG – diese Vielzahl an Kunden sorgt für eine relativ stabile Auftragslage.
Mittlerweile gibt es in mehr als 100 Umspannwerken Teile aus Neugersdorf. Im Besprechungsraum der Firma hängt eine Weltkarte – das ist nicht übertrieben, denn die Produkte
stehen nicht nur in Deutschland, sondern auch in China, Lettland, Turkmenien, in Indien,
Albanien, Vietnam und in der Türkei. »Je geringer die Stückzahl, umso größer ist die
Chance, dass wir dabei sind« sagt Andreas Hempel. Und: »Wir sehen uns als Dienstleister.
Was der Kunde will, muss man erkennen und ihm passgerecht hinlegen.« Für diese
anspruchsvolle Projektierung wurde 1995 die Techno-Engeneering D GmbH als hundertprozentige Tochtergesellschaft gegründet. Hier werden die Anlagen konstruiert, die Tragwerke statisch berechnet, und für jedes Einzelteil die technischen Daten so aufbereitet,
dass sie an die automatisierte Fertigung ausgegeben werden können. Die Schlosser und
FIRMENPORTRÄT STAHLBAU OBERLAUSITZ GMBH IN NEUGERSDORF
Stahlbauer können 50-Kilo-Kleinstaufträge genauso realisieren wie 500-Tonnen-Großanlagen, seefertig verpackt. Für den Aufbau vor Ort wird ein ganzes Montageteam oder wahlweise auch ein Leitender Monteur gestellt. Diese drei Module – Projektierung, Fertigung
und Montage – können von den Kunden komplett, aber auch einzeln in Anspruch genommen werden. Da deutsche Firmen selten niedrigere Preise als die Konkurrenz bieten können, setzt der Stahlbau Oberlausitz vor allem auf Liefertreue und Qualität. Das zahlt sich
um so mehr aus, als sich die Firma auf diesem Wege Nachfolgeaufträge bei den immer
gleichen Kunden sichert. Das Schaltwerk Berlin von Siemens zum Beispiel hat sie 2010
zum »Zulieferer des Jahres« gewählt. Heute werden in Neugersdorf etwa eintausend Aufträge im Jahr abgewickelt, etwa 80 Prozent davon im Energiebau. Die anderen Firmenleistungen sind nicht minder anspruchsvoll: Hallenbauten für Industrie und öffentliche Auftraggeber. Dazu gehören Produktionsstätten für unterschiedliche Gewerke in der
Automobilindustrie, Neubauten und Rekonstruktionen in der Grundstoff-, Kohle- und
Energieindustrie, Rohrbrücken, Gerüst- und Kranbahnkonstruktionen, aber zum Beispiel
auch Lichtkuppeln für repräsentative Gebäude. Einige Bauten in der Region tragen die
Handschrift der Firma: so ein großes Parkdeck in Dresden-Gorbitz, die Sport- und Freizeithallen in Seifhennersdorf und in Finsterwalde sowie Produktions- und Logistikhallen
in Seifhennersdorf, Zittau und Radeberg.
»Die Schnellen fressen die Langsamen ...«
Im Jahr 2001 konnte für 6 Millionen DM für das eigene Unternehmen eine neue Fertigungshalle gebaut werden, 2006 wurde der Fertigungsbereich noch einmal für 2,2 Millionen
Euro erweitert. Dazu kamen ein neues Bürogebäude und eine neue Versandhalle. Doch
das Hauptkapital des Unternehmens sind die qualifizierten und motivierten Mitarbeiter.
120 erfahrene Facharbeiter und Ingenieure sorgen für effiziente Planungs- und Produktionsabläufe. Die Facharbeiter werden im Betrieb ausgebildet – Andreas Hempel hat sich
engagiert für den sächsischen Firmenausbildungsring eingesetzt. Junge Ingenieure kommen meist von der Hochschule Zittau, aber auch das Erfahrungskapital der älteren Arbeitnehmer wird geschätzt. Hempel ist überzeugt: »Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen«. Effiziente Projektbesprechungen und schnelle
Entscheidungen, dazu Nervenstärke und eine gewisse Risikofreude – das gehört für Hempel zu den Vorzügen eines inhabergeführten mittelständischen Unternehmens: »Man
muss ein Kämpfer sein als Unternehmer, und Herzblut gehört immer dazu. Darin unterscheidet sich der Unternehmer von einem modernen Manager eines Großkonzerns. Der
ist 30 Prozent der Zeit damit befasst, seinen eigenen Stuhl zu sichern. Und diese 30 Prozent, das ist unsere Kampfreserve.«
Die Strategie geht auf. Die Neugersdorfer Stahlbau Oberlausitz GmbH musste seit 1992
keine betriebsbedingte Kündigung aussprechen und keinen Tag Kurzarbeit schreiben. Als
der Betriebselektriker, der sein ganzes Arbeitsleben in der Firma verbracht hatte, 2010 in
Rente ging und sein SV-Buch auf der Behörde vorwies, konnten die Beamten nicht glauben, was sie sahen – und fragten, ob sie das mal kopieren dürfen.
Sabine Frank
Blick in die Versandhalle
Blick in die Halle mit der Brennschneid- und
Bohranlage
183
UNTERNEHMERINNENPORTRÄT RENATE SCHEIBNER
UNTERNEHMERPORTRÄT FRANZ VOIGT
Glückauf-Brauerei GmbH Gersdorf
VSTR GmbH Rodewisch
Renate Scheibner
Franz Voigt
B
F
is heute ist die Brauindustrie eine Männerdomäne. Dies
trifft vor allem auf die Positionen des Braumeisters und
des Geschäftsführers zu. Eine mittelständische Brauerei
im Erzgebirge weicht jedoch schon seit über zwei Jahrzehnten
von dieser beinahe unumstößlichen Regel ab: die 1880 gegründete Glückauf-Brauerei Gersdorf, die seit 1990 von Renate
Scheibner (geb. 1949) geleitet wird.
Im Jahr der deutschen Teilung 1949 in Hohenstein-Ernstthal
geboren, erwarb sie Berufsabschlüsse als Stenotypistin und
Industriekauffrau. Ein Studium an der Ingenieurschule für
Lebensmittelindustrie in Dippoldiswalde schloss sie als DiplomWirtschaftsingenieurin (FH) ab. Seit 1968 arbeitet Renate
Scheibner in der Glückauf-Brauerei Gersdorf, die wenige Jahre
später in das Getränkekombinat Karl Marx-Stadt eingegliedert
wurde. 1990 – noch unter der Ägide der Treuhandanstalt –
übernahm sie als Geschäftsführerin die Leitung der in eine
GmbH umgewandelten Brauerei. Seit Januar 1991 ist Renate
Scheibner Geschäftsführende Gesellschafterin des als MBO
(Management-Buy-out) reprivatisierten Unternehmens. Sie ist
ehrenamtlich seit 1996 als Vorstandsmitglied und Schatzmeisterin der Initiative Südwestsachsen tätig. Seit 2001 ist
Renate Scheibner Präsidentin des Bundesverbandes mittelständischer Privatbrauereien Deutschland, seit 2004 Präsidentin des Verbandes mitteldeutscher Privatbrauereien.
2005 wurde in Gersdorf das 125-jährige Gründungsjubiläum der
Glückauf-Brauerei gefeiert. Das hochmoderne Unternehmen ist
für Mitarbeiter und Geschäftspartner ein verlässlicher Partner,
für die Region und deren Bewohner ein Wirtschaftsfaktor von
Rang und ein Ort der Identifikation. Die Tätigkeit von Renate
Scheibner in den Verbänden der Brauindustrie liegt auch im
Interesse der Kundschaft – ist es doch allein die Existenz der
mittelständischen Brauereien, die für jene Vielfalt an Braustätten, Biersorten und -marken steht, die so charakteristisch für
die deutsche Brauereilandschaft ist und für welche die Branche
zu Recht weltweit Berühmtheit erlangt hat.
Holger Starke
184
ranz Voigt (geb. 1953) war im Juli 1990 einer der Initiatoren
der Gründung der Vogtländischen Straßen-, Tief- und
Rohrleitungsbau GmbH Rodewisch (VSTR). Als Geschäftsführer ist er heute einer der vier Gesellschafter des Unternehmens. Mit etwa 500 Beschäftigen und 60 Millionen Euro Umsatz
zählt die VSTR heute zu den leistungsstärksten mittelständischen Bauunternehmen in Sachsen. Neben der Stammfirma
gehören hierzu auch Tochterfirmen und Beteiligungen wie die
Voigtsgrüner Asphalt-Mischwerke GmbH & Co. KG in Hirschfeld,
die TBG Transportbeton Reichenbach und die Bau- und Immobilien GmbH in Rodewisch. Der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit liegt auf dem Straßen- und Tiefbau. Kennzeichnend für
das Unternehmen ist seine Innovationskraft. Als Anbieter der
Technologie des unterirdischen Bohrvortriebs für den Rohrleitungsbau und die Kabelverlegung hat es eine starke Wettbewerbsposition inne.
Franz Voigt wurde am 12. Februar 1953 in Zwickau geboren.
Nach dem Studium der Fachrichtung Bauwesen an der TU Dresden und dem Abschluss als Diplomingenieur war er seit 1977
im VEB Straßen-, Tief- und Rohrleitungsbau Rodewisch tätig,
zuletzt als Betriebsdirektor. Seit 1991 ist Franz Voigt Mitglied der
Vollversammlung der IHK Chemnitz, seit 1992 Vizepräsident
beziehungsweise Präsident der Regionalkammer Plauen. Am
20. Juni 2011 wurde er in der konstituierenden Vollversammlung
der Industrie- und Handelskammer Chemnitz zum neuen Präsidenten gewählt.
Auch auf der Bundesebene vertritt er seit langem Interessen der
deutschen und der sächsischen Wirtschaft, so von 1995 bis 2005
als Vorstandsmitglied der Deutsch-Ungarischen Außenhandelskammer, seit 1991 als Mitglied im Präsidium und von 2007 bis
2010 als Präsident des Deutschen Asphaltverbandes.
Ulrich Heß
185
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH
Mit Hightech
zum Weltmarktführer
Die in Dresden ansässige VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH ist in zweifacher Hinsicht
ein bemerkenswertes Unternehmen. Einerseits werden die Hochtechnologie-Erzeugnisse
der stark expandierenden Dresdner Firma von Kunden auf allen Kontinenten nachgefragt.
Im Osten Deutschlands, in dem sich seit 1990 ein gewaltiger Umbruch der Gesellschaft
vollzogen hat, gibt es nur wenige Unternehmen, die eine vergleichbare Erfolgsgeschichte
aufweisen können. Andererseits kann das relativ junge Unternehmen auf eine hochinteressante Vorgeschichte verweisen: Es entstand als Ausgründung aus dem international
renommierten Dresdner Forschungsinstitut Manfred von Ardenne.
Manfred von Ardenne 1939 vor seinem hochauflösenden Elektronenmikroskop
Rechte Seite:
Erstes Entwicklungsprojekt des ArdenneInstituts auf dem Gebiet der Plasmaphysik
war 1963 der Plasmafeinstrahlbrenner, von
dem zwischen 1964 und 1980 etwa 700 Anlagen ins In- und Ausland verkauft wurden.
186
Erfindungen für Fernsehen und Elektronenmikroskope
Namensgeber des Instituts war Manfred von Ardenne – ein Naturwissenschaftler, Erfinder
und Forscher von internationalem Rang. Sein ungewöhnlicher Lebens- und Karriereweg
widerspiegelt exemplarisch die Wendepunkte der deutschen und europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Als Jugendlicher meldete von Ardenne 1923 sein erstes Patent
an, dem später mehrere hundert weitere folgen sollten. In seinem 1928 eröffneten »Forschungslaboratorium für Elektronenphysik« in Berlin-Lichterfelde gelangen dem Autodidakten bahnbrechende Erfindungen auf dem Gebiet der Rundfunk- und Fernsehtechnik,
darunter die erste vollelektronische Fernsehübertragung, sowie die Entwicklung des elektronischen Rasterelektronenmikroskops hoher Auflösung. Ungeachtet der Kontakte zu
hohen Funktionären in der Zeit des Nationalsozialismus stand er dem Regime reserviert
gegenüber. Militärisch nutzbare Forschungen, etwa zum Radar oder auf dem Gebiet der
Atomforschung, spielten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Nach dem Ende des
Krieges wurde sein Institut in die Sowjetunion verlagert. Im nunmehrigen »Institut für
Industrielle Isotopentrennung« bei Suchumi wurden vor allem Arbeiten zur Kernforschung im Zusammenhang mit dem sowjetischen Atomprogramm durchgeführt.
Privates Forschungsinstitut in der DDR
Nach der Rückkehr aus der Sowjetunion wurde im Jahr 1955 im Norden von Dresden, im
früheren Stadtteil Weißer Hirsch, das »Institut Manfred von Ardenne« gegründet. Neben
Projekten der industrienahen Forschung, darunter Anwendungen der Elektronenstrahltechnologie und der Vakuumbeschichtung, wurde dort biomedizinische Forschung, vor
allem zum Zwecke der Krebsbehandlung, betrieben. Als einzig privatwirtschaftlich geführtes Forschungsinstitut stellte die Einrichtung im östlichen Wirtschaftsblock RGW ein
Novum dar. Bis zu 500 Mitarbeiter arbeiteten an Projekten der Grundlagenforschung, im
Der geschäftliche Erfolg und die Expansion
des Unternehmens widerspiegelt sich in der
gestiegenen Mitarbeiterzahl, die sich seit der
Gründung 1991 bis zum heutigen Tage auf
nahezu das Zehnfache vergrößert hat.
DIE WIEDERGRÜNDUNG DER KAMMERN UND DER STRUKTURWANDEL DER WIRTSCHAFT IN SACHSEN
Manfred von Ardenne vor dem hochauflösenden Elektronenmikroskop, 1979
VON ARDENNE-Produktionsgebäude im
Gewerbegebiet Dresden-Weißig. Die 455
Dünnschichtmodule der Solarfassade wurden
bei Würth Solar auf Anlagen aus dem Hause
VON ARDENNE beschichtet.
188
FIRMENPORTRÄT VON ARDENNE ANLAGENTECHNIK GMBH
Auftrag großer Staatsunternehmen, aber auch für den Export. Zur Refinanzierung des
Instituts trugen die Erlöse aus der Verwertung der Patente und des Muster- und Sondermaschinenbaus bei. Die ökonomische Krise in der DDR veranlasste Manfred von Ardenne
1985, den Einbau privatwirtschaftlicher Elemente in das staatssozialistische Wirtschaftssystem anzuregen – ein Vorstoß, der ergebnislos blieb.
Im Jahr 1990, als das staatssozialistische in das privatwirtschaftliche Wirtschaftssystem
transformiert wurde, standen das Institut und dessen Mitarbeiter vor dem Aus. Die hervorragende Ausbildung der Mitarbeiter, die exzellenten Forschungsleistungen und die
starke Praxisorientierung des Instituts bildeten jedoch die Grundlage für den Weg in eine
erfolgreiche Zukunft. Den Bemühungen der Familie von Ardenne, der Aktivität leitender
Mitarbeiter und dem Verständnis von Seiten der Treuhandanstalt war es zu verdanken,
dass etwa 40 Prozent der Mitarbeiter eine neue Perspektive erhielten. Wesentliche Teile
des Instituts konnten in die öffentliche Forschungslandschaft der Bundesrepublik
Deutschland (Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik) integriert werden. Andere Institutsteile nahmen als freie Unternehmen die Tätigkeit am Markt auf. Hierbei entwickelte sich die VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH, deren Gesellschafter die
Familie von Ardenne bildete, bald zur bedeutendsten Ausgründung. Erster Geschäftsführer des Unternehmens, in das 65 Mitarbeiter des ehemaligen »Instituts Manfred von
Ardenne« das in 35 Jahren erworbene Know-how einbrachten, wurde der am früheren
Institut seit 1962 arbeitende Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Peter Lenk.
Marktführer mit Photovoltaik
Der Aufstieg zu einem international erfolgreichen mittelständischen Betrieb vollzog sich
innerhalb weniger Jahre. Nach dem Markteintritt auf dem Gebiet der Vakuum-Prozesstechnik zum Jahresbeginn 1991 wurden seit 1993 Aufträge für komplette Industrieausrüstungen übernommen. Der kommerzielle Durchbruch gelang 1994/95 mit einem Großauftrag für die Herstellung und Installation einer Inline-Glasbeschichtungsanlage
(Metallband-Beschichtung). Nach dem Gewinn der Ausschreibung eines englischen Großkonzerns für einen sogenannten Jumbo-Coater zur Architekturglasbeschichtung wurde
1996 eine großzügig dimensionierte Fertigungsstätte im Gewerbegebiet Dresden-Weißig
mit Produktions- und Logistikflächen errichtet, die zehn Jahre später noch einmal erheblich erweitert wurde. Die in der Geschichte der Firma bislang größte Investition im Jahr
2006 war durch die im Zuge der Energiewende stark gestiegene Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen erforderlich geworden – ein neues Geschäftsfeld, in das das Unternehmen
eingestiegen war. VON ARDENNE Anlagentechnik zählt heute weltweit zur Spitzengruppe
der Anbieter von Elektronenstrahl- und Plasmatechnik sowie als einer der Marktführer
auf dem Gebiet der Architekturglas-Beschichtung und der Dünnschicht-Photovoltaik.
Im Jahr 2005 trat der Physiker Robin Schild in die Geschäftsführung ein; 2006 übernahm
er als CEO den geschäftsführenden Vorsitz. Die kaufmännische Seite der Geschäftsführung hat seit 2007 als CFO der Wirtschaftsingenieur Tino Hammer inne. Der geschäftliche
Erfolg und die Expansion des Unternehmens widerspiegelt sich in der gestiegenen Mitarbeiterzahl, die sich seit der Gründung 1991 bis zum heutigen Tage auf nahezu das Zehnfache vergrößert hat. im Jahr 2005 wurde die VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH als
erstes Unternehmen aus den neuen Bundesländern mit dem Hauptpreis im bundesweiten
Unternehmensvergleich »Top 100 – die innovativsten Unternehmen im Mittelstand« als
»Innovator des Jahres« ausgezeichnet, wobei vor allem die Beständigkeit der Innovationstätigkeit hervorgehoben wurde.
Das junge Unternehmen mit der traditionsreichen Geschichte ist heute nicht nur ein
bedeutender Arbeit- und Auftraggeber in der dynamischen Wirtschaftsregion Dresden.
Mit der Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Unterstützung
kultureller Aktivitäten – etwa im Förderverein Lingnerschloss – ist das Unternehmen
eine feste und beständige Größe in der Stadtkultur der sächsischen Landeshauptstadt
Dresden. In Dresden selbst erinnert heute ein Straßenname an den Ehrenbürger Manfred
von Ardenne – eine Forscher- und Unternehmerpersönlichkeit, deren Streben nach Innovation bis heute Leitbild für das Handeln von Gesellschaftern, Führungskräften und Mitarbeitern ist.
Holger Starke
Architekturglas-Beschichtungsanlage:
Auf diesen bis zu 100 m langen Anlagen
wird Flachglas in den Abmessungen bis zu
3.300 mm x 6.000 mm mit Solar-Controlund Wärmeschutzbeschichtungen versehen.
Beschichtungsanlage für solare
Anwendungen
189
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
IHK-Standorte in Sachsen
Die Kammern heute –
mit Blick in die Zukunft
Annaberg
Döbeln
Freiberg
Plauen
Zwickau
2012…
Die Hauptgeschäftsführer der sächsischen
Industrie- und Handelskammern (v.l.):
Thomas Hofmann, Leipzig; Detlef Hamann,
Dresden und Hans-Joachim Wunderlich,
Chemnitz
Wie kann sich die gewerbliche Wirtschaft im Freistaat Sachsen erfolgreich weiterentwickeln? Mit dieser zentralen Frage setzen sich die Industrie- und Handelskammern in
Chemnitz, Dresden und Leipzig in ihrer täglichen Arbeit intensiv auseinander. Sie sind
Interessenvertreter ihrer gewerblichen Mitglieder, serviceorientierter Dienstleister und
nehmen öffentliche Pflichtaufgaben wahr.
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts und durch das Prinzip der Selbstverwaltung
gestalten die Industrie- und Handelskammern ihre Arbeit unabhängig und bedarfsgerecht
in den einzelnen Regionen. Der Kammerbezirk Dresden umfasst die Landkreise Görlitz,
Bautzen, Meißen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und die Landeshauptstadt Dresden.
Der Kammerbezirk Chemnitz unterteilt sich in die Landkreise Mittelsachsen, Erzgebirgskreis, Zwickau, Vogtlandkreis sowie die Stadt Chemnitz. Der Kammerbezirk Leipzig beinhaltet die Landkreise Leipzig, Nordsachsen und die Stadt Leipzig.
Die Kammern vereinen heute über 240.000 Mitgliedsunternehmen (IHK Chemnitz: 96.000,
IHK Dresden: 97.000, IHK zu Leipzig: 66.000, Stand Dezember 2011) in den Branchen
Industrie, Bau, Handel, Finanz- und Versicherungswirtschaft, Verkehr/Logistik, Dienstleistungen, Gastronomie/Tourismus sowie der Landwirtschaft. Damit sind sie der größte
Interessenvertreter der sächsischen regionalen Wirtschaft auf kommunaler, regionaler,
auf landes-, bundes- und europäischer Ebene. Ihre Arbeit koordinieren die drei Kammern
in der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der sächsischen Industrie- und Handelskammern.
Große Vielfalt, mehr Unternehmertum, weniger Staat
Sachsens Wirtschaftslandschaft ist bei Unternehmensgrößen, Branchenschwerpunkten,
Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten oder Exportquoten vielfältig und regional differenziert. Jeder der drei Kammerbezirke weist eigene Charakteristika auf. Diese Strukturen
und Besonderheiten bestimmen auch die Zusammensetzung der ehrenamtlichen Gremien
der Kammern, die wesentliche Impulsgeber und Träger jener Arbeit sind. In den demokratisch gewählten IHK-Vollversammlungen, berufenen Ausschüssen und Arbeitskreisen
engagieren sich sachsenweit über 1.200 Unternehmerinnen und Unternehmer.
190
Chemnitz
Bautzen
Görlitz
Kamenz
Zittau
Riesa
Dresden
Nordsachsen
Delitzsch
Borna
Grimma
Torgau
Görlitz
Leipzig
Meißen
Bautzen
Leipzig
Dresden
Mittelsachsen
Chemnitz
Zwickau
Erzgebirgskreis
Vogtlandkreis
Leipzig
Sächsische SchweizOsterzgebirge
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
Hinzu kommen 7.500 ehrenamtliche Prüferinnen und Prüfer in der Aus- und Weiterbildung.
Jährlich werden etwa 44.000 Zwischen- und Abschlussprüfungen in der Berufsausbildung
abgenommen. Ergänzt wird das Spektrum durch 10.600 Prüfungen in der Aufstiegsfortbildung sowie knapp 5.000 Sach- und Fachkundeprüfungen im Verkehrs- und Bewachungswesen. Ferner betreuen die Mitarbeiter der drei sächsischen Industrie- und Handelskammern etwa 48.000 Auszubildende und deren Ausbildungsbetriebe – ein enorm wichtiger
Mosaikstein bei der Fachkräftesicherung der regionalen Wirtschaft.
Die Aus- und Weiterbildung bildet das Herzstück der hoheitlichen Aufgaben. Die sächsischen Industrie- und Handelskammern nehmen mehr als 50 dieser vom Staat übertragenen
Pflichtaufgaben wahr. Dazu gehören unter anderem auch die Benennung und öffentliche
Bestellung von jährlich 1.900 Sachverständigen gegenüber Gerichten und Unternehmen,
die Beurteilung von regionalen und kommunalen Bauleitplanungen oder die Ausstellung
von Ursprungszeugnissen und Carnets im Außenwirtschaftsbereich sowie Prüfungen im
Verkehrs- bzw. Gefahrgutgewerbe. Die Übernahme hoheitlicher Aufgaben durch die Kammern bedeuteten letztlich weniger staatliche Verwaltung, weniger Bürokratie, weniger
Steuern und Abgaben für die gesamte Wirtschaft.
Eröffnung des neuen Kontaktzentrum für
Sächsisch-Polnische Wirtschaftskooperation
am 3. Mai 2001 im Görlitz durch Sachsens
Europaminister Stanislaw Tillich (Mitte)
Netzwerktreffen:
Neujahrsempfang der Leipziger Wirtschaft
im Jahr 2011 mit über 1.000 Gästen unter
dem Motto »Gemeinsam für die Region«
192
Mehr Dienstleistungen für IHK-Mitglieder
Die sächsischen Industrie- und Handelskammern haben sich zu modernen, leistungsfähigen Organisationen mit vielfältigen Produkten und Serviceleistungen entwickelt. Mitgliedsunternehmen finden in den sechs Geschäftsfeldern »Starthilfe und Unternehmensförderung«, »Standortpolitik«, »Aus- und Weiterbildung«, »International«, »Recht und Fair
Play« sowie »Innovation und Umwelt« vielfältige Angebote vor. Der Anspruch ist, schnell
und kompetent zu helfen – von der Gründung des Unternehmens, über Wachstums- oder
Neuorientierungsphasen, Krisenzeiten bis hin zur Nachfolgeregelung. Beleg dafür sind
über 15.000 Existenzgründungsberatungen pro Jahr sowie über 5.000 Stellungnahmen zu
Bürgschafts- oder Förderanträgen. Selbst bei wirtschaftlichen Notlagen oder Streit unter
Geschäftspartnern helfen die sächsischen Industrie- und Handelskammern. So fungieren
Vermarktung von IHK-Leistungen: Im Rahmen
einer Marketingkampagne der IHK zu Leipzig
aus dem Jahr 2009 wird für das Geschäftsfeld
»International« geworben.
Linke Seite, rechts unten:
Frank Kupfer, Sächsischer Staatsminister
für Umwelt und Landwirtschaft, sprach das
Grußwort zur 7. Sächsischen Umweltmanagement-Konferenz im Oktober 2010 in der IHK
Chemnitz
sie als außergerichtliche Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten. Die Leipziger IHK
ist zudem eine öffentlich anerkannte Güte- und Mediationsstelle.
Netzwerkarbeit für ihre Mitgliedsunternehmen ist den Industrie- und Handelskammern
im Freistaat wichtig. Kombiniert mit dem fachlichen Know-how der Kammermitarbeiter
entstanden für die Mitglieder wichtige Synergieeffekte, zum Beispiel beim Thema »Umweltschutz«: Neben der aktiven Mitarbeit sächsischer Unternehmen sowie der Industrie- und
Handelskammern in der Umweltallianz Sachsen – einer freiwilligen Selbstverpflichtung
der Wirtschaft, eigenverantwortlich vorhandene Umweltbelastungen zu reduzieren – kommen spezifische Instrumente, wie der IHK-Energieberater, zum Einsatz. Jährlich werden
so etwa 1.300 Beratungen zur Energieeffizienz und zum schonenden Umgang mit Rohstoffen durchgeführt.
Außerdem spielen länderübergreifende Themen in der Kammerarbeit eine große Rolle.
So wurde von der IHK Chemnitz als erster sächsischer Kammer 1996 das »Kontaktzentrum
für sächsisch-tschechische Wirtschaftskooperation« gegründet. Seit 2009 besteht die
»Netzwerkkoordination Tschechien«. Hier werden Firmen aktiv bei der Geschäftspartnersuche unterstützt, Unternehmertreffen und Veranstaltungen zu aktuellen Themen organisiert. Seitdem gab es jährlich rund 500 Anfragen zu Geschäftspartnern, zu Arbeitsrecht
und Beschäftigung sowie zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen. Höhepunkt ist die
jährliche Veranstaltung »Sächsisch-Böhmische Wege«, die der Förderung und Entwicklung eines gemeinsamen sächsisch-tschechischen Wirtschaftsraumes dient.
Für den Kammerbezirk Dresden mit den angrenzenden Ländern Tschechien und Polen ist
der Nachbarschaftskontakt ein zentrales Thema. Kontaktzentren für sächsisch-tschechische und sächsisch-polnische Wirtschaftskooperation unterstützen als regionale Informations- und Beratungsstellen die Mitgliedsunternehmen bei ihren grenzüberschreitenden
gewerblichen Aktivitäten. Gebündelte Informationen, Kontakte und Angebote erhalten Interessierte im eigens entwickelten Internetportal unter www.polen-tschechienkontakt.info.
Geschäftspartnersuche im Seminar »Zulieferindustrie«, Juni 2006 im tschechischen Most
– organisiert vom »Kontaktzentrum für sächsisch-tschechische Wirtschaftskooperation«
der IHK Chemnitz
193
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
Am 21. Januar 2010 unterzeichnen Detlef
Hamann (l.), Hauptgeschäftsführer der IHK
Dresden, und Zbigniew Sebastian, Präsident
der Niederschlesischen Wirtschaftskammer,
eine Kooperationsvereinbarung (Bildmontage).
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
Um auf die täglichen Herausforderungen ihrer Mitglieder noch effizienter reagieren zu können, hat sich die IHK zu Leipzig vertriebsorientiert in ihrer Arbeit neu aufgestellt. Seit dem
Jahr 2008 stehen Branchenbetreuer den Betrieben als Erstansprechpartner zur Verfügung.
Sie bündeln sämtliche Fragestellungen und helfen mit Lösungen aus einer Hand. Produkte
wie der IHK-Sicherungsanker, Finanzmarktforen rund um die betriebliche Finanzierungsund Liquiditätssicherung sowie innovative Formate im Bereich der Fördermittelberatung
sind wichtige Angebote, gerade in Zeiten der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.
Um möglichst viele Firmen zeitgemäß zu vernetzen und ihnen eine Präsentationsplattform
zu bieten, wurde gemeinsam von den drei sächsischen Industrie- und Handelskammern
das Internetportal FiS www.firmen-in-sachsen.de entwickelt. Wer Lieferanten, Kunden
oder Kooperationspartner in Sachsen sucht, der wird bei über 50.000 aktuellen Firmenprofilen schnell fündig.
Fest verankert in der Region für die Region
Einen dienstleistungsorientierten Ansatz zu verfolgen heißt auch, regional als Ansprechpartner präsent zu sein. Moderne Kommunikationsmittel ersetzen dabei nicht den persönlichen Kontakt: Die IHK zu Leipzig ist mit ihren Regionalbüros sowie eigenen Regionalmanagern in Borna, Grimma, Delitzsch, Torgau und Oschatz präsent. Die Städte Zittau,
Besuch einer indischen Wirtschaftsdelegation
am 7. Oktober 2010 bei der IHK Dresden
Beratung zu Zoll und Außenwirtschaftsfragen
bei der IHK Dresden
194
Intensive Betreuung von Anfang an:
Beratung von Existenzgründern im StarterCenter der IHK zu Leipzig
Görlitz, Kamenz, Bautzen sind Sitz von Geschäftsstellen der IHK Dresden. Das Regionalbüro in Riesa ergänzt das Betreuungsspektrum. Für die IHK Chemnitz koordinieren eigene
Regionalversammlungen und Geschäftsstellen im Erzgebirge (Annaberg-Buchholz), in
Mittelsachsen (Freiberg und Döbeln), dem Vogtland (Plauen) sowie im Raum Zwickau
und der kreisfreien Stadt Chemnitz die Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Unternehmen.
Das Bekenntnis zur regionalen Präsenz fällt in eine Zeit, die vom demographischen Wandel in Sachsen und ganz Ostdeutschland geprägt ist. Weniger Geburten und mehr
Beschäftigte, die altersbedingt aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, stellen die Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. Die Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen haben deshalb Strategien entwickelt, Jugendliche frühzeitig für Berufe der
dualen Ausbildung zu begeistern, eine hochwertige Ausbildung sicherzustellen und
Fachkräfte kontinuierlich weiterzubilden. Um die Rahmenbedingungen für die Fachkräftesicherung zu verbessern, gehören gemeinsame Umfragen wie das »Fachkräftemonitoring« ebenso dazu wie das Engagement zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder
die Unterstützung von Initiativen der Landespolitik wie »5.000 mal 50« zur Beschäftigung
älterer Arbeitnehmer. Ferner sind die Kammern im Freistaat Sachsen Gründungsmitglieder der Allianz zur Beschäftigungsförderung von Menschen mit Behinderungen
»Arbeit + Behinderung«.
Links oben: Offensive für die Fachkräfte
von morgen – unter diesem Motto fand am
21. Januar 2012 der 13. Tag der Bildung statt.
Rund 2.000 Lehrstellen waren im Angebot, als
IHK, HWK und zum zweiten mal die Agentur
für Arbeit in Chemnitz ihre Türen öffneten.
Unterstützt wurden sie wieder durch zahlreiche Unternehmen, die sich vor Ort vorstellten.
195
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
Von der Gießerei bis zum Verpackungsspezialisten: Bei der 5. Kooperationsbörse Zulieferindustrie Erzgebirge im September 2010 präsentierten etwa 100 Aussteller ihre Produkte.
Erzgebirgskreis, Wirtschaftsförderung und die
IHK Chemnitz bieten den regionalen Unternehmern diese Plattform zu Präsentation und
Kooperation.
Das IHK Bildungszentrum Dresden
Berufsausbildung Drehen und Fräsen
DIE KAMMERN HEUTE – MIT BLICK IN DIE ZUKUNFT
Förderung der gewerblichen Wirtschaft
Junge Unternehmertalente und innovative Geschäftsideen beflügeln jeden Wirtschaftsraum. Für den Erfolg am Markt bedarf es viel Fleiß, Mut und die richtige Beratung. Organisiert im »Sächsischen ExistenzgründerNetzwerk« beraten und begleiten die sächsischen
Kammern motivierte Existenzgründer gemeinsam mit den Handwerkskammern im Freistaat und mit der Businessplan-Wettbewerb Sachsen GmbH. Das ist oftmals nur der
Anfang: Ob in Fragen der Investitionsförderung, des Technologietransfers, der Außenwirtschaft oder der Innovationsberatung – die sächsischen Kammern sind dabei erster
Ansprechpartner und haben diese Aufgaben zum Teil auch in eigenen Gesellschaften oder
Beteiligungen institutionalisiert.
Die künftigen Aufgaben der Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen sind
fest mit der Zukunft des sächsischen Wirtschaftsraumes verbunden. Vor allem die jüngere
Vergangenheit hat mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, der Energiewende
in Deutschland, den schwankenden Rohstoff- und Energiepreisen sowie der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum mehr denn je deutlich gemacht, wie vielfältig und zum Teil
schwer vorhersehbar die Herausforderungen sein können. Umso wichtiger ist die enge
Verzahnung von Haupt- und Ehrenamt, um weiterhin eine intensive Interessenvertretung
und Ausrichtung an den Bedürfnissen der regionalen gewerblichen Wirtschaft zu
gewährleisten. Die Kammern stehen für das Versprechen, jedes Mitgliedsunternehmen
schnell, kompetent und unbürokratisch zu unterstützen. Unser gemeinsames Ziel ist es,
Sachsen zu einer führenden Wirtschaftsregion Europas zu machen.
IHK Chemnitz / IHK Dresden / IHK zu Leipzig
»Botschaften nach Berlin – was die
sächsische Wirtschaft von der Politik erwartet«
lautete das Motto des Parlamentarischen
Abends der Sächsischen Industrie- und Handelskammern am 12. Oktober 2011 in Leipzig.
196
197
ANHANG
ANHANG
Personenregister
Anders, Rolf S. 101
Anders, Rudolf S. 98, 99
Anders, Steffen S. 101
Anders, Uwe S. 101
Ardenne, Manfred von S. 186, 188,
189
Arndt, Siegfried S. 36
Auhagen, Heinrich S. 117
Auhagen, Rudolf S. 118
Bahner, Arthur S. 83
Barth, Dieter S. 140
Basarke, Erich S. 28
Bauer, Alexander S. 151
Bauer, Alwin S. 150
Bauer, Curt S. 150, 151, 152
Bauer, Gert S. 150, 151, 152
Bauer, Margarethe S. 151
Bauer, Michael S. 150, 151, 152
Beitz, Wolfgang G. S. 143
Bellmann, Georg S. 85
Biagosch, Heinrich S. 30, 31
Bickel, Theodor S. 46
Biedenkopf, Kurt S. 156
Bloch, Christian S. 140
Bormann, Anette S. 41
Bormann, Günther S. 38, 40, 41
Bormann, Johannes S. 41
Brüning, Heinrich S. 62
Bunsen, Hartmut S. 148
Busch, Alfred S. 96
Busch, Wilhelm Conrad Friedrich
S. 70
Butze, Arthur S. 149
Butze, Claus S. 149
Centner, Friedrich August S. 70
Cichorius, Theodor S. 55
Cramer, Walter S. 88, 89
Diehl, David Gustav S. 50
198
Diehl, Gustav Emil S. 50
Dietrich, Johann Conrad S. 102
Doerr, Alice S. 154
Doerr, Christian S. 155, 156
Doerr, Herbert S. 154
Doerr, Udo S. 154, 155, 156
Domsch, Kurt S. 83
Dürninger, Abraham S. 120, 121,
123
Elias, Gustav S. 38, 40, 41
Ender, Herbert S. 78, 82, 83
Ernemann, Heinrich S. 24, 68
Falke, Anton S. 46
Fischer, Axel S. 126, 127
Fischer, Friedrich Oskar S. 124
Fischer, Karl-Ernst S. 124
Fischer, Kurt S. 108, 111
Fischer, Max S. 124, 125, 126
Fischer, Senta S. 124
Fischer, Ulrich S. 127
Fischer, Wolfram S. 12
Fricke, Max S. 75
Gebauer, Dieter S. 166, 167, 168
Goerdeler, Carl S. 88
Graf, Stefanie S. 101
Gulden, Heinrich William S. 26
Günther, Kurt S. 143
Gutmann, Eugen S. 94
Haberkorn, Emil S. 172, 173
Haberkorn, Oswald S. 172
Haberkorn, Ruth S. 174
Hahmann, Johann Gustav S. 20,
23
Hamann, Detlef S. 190, 194
Hammer, Tino S. 188
Kühne, Max Hans S. 28
Haupt, Moritz S. 55
Heidrich, Ernst S. 28
Autoren
Heinrich, Christian S. 140
Hempel, Andreas S. 180, 182, 183
Herrlich, Gottfried S. 134, 135
Herrlich, Helga (geb. Richter)
S. 134, 135
Herrlich, Anton S. 136
Herrlich, Thomas S. 136
Herrlich-Wustmann, Ulrike S. 136
Hille, J. G. S. 98
Hitler, Adolf S. 78, 83, 88, 89
Hoffmann, Dietrich S. 128
Hoffmann, Hannah S. 128, 129,
130, 131
Hofmann, Michael S. 119
Hofmann, Thomas S. 190
Hofmann-Auhagen, Ute S. 118,
119
Horn, Elvira-Maria S. 143, 155
Hoschke, Wolfram S. 140
Hühn, Brigitta S. 130, 131
Hühn, Matthias S. 130, 131
Jahn, Otto S. 55
Johann, König von Sachsen S. 12
Jordan, Ernst Albert S. 54
Jordan, Gottfried Heinrich
Christoph S. 54
Jungbauer, Helmuth S. 140
Kalbitz, Gerd S. 170
Kalenborn, Aloys S. 174
Kalenborn, Axel S. 174
Kalenborn, Klaus S. 174
Kohl, Helmut S. 140
Köhler, Carl Friedrich August S. 40
Köhler, Max S. 83
Körner, Paul S. 83
Körting, Max S. 80
Kraft, Georg Wilhelm S. 34
Krause, Karin S. 49
Krause, Karl S. 30, 31,
Krietsch, Ernst S. 74
Krietsch, Johann Friedrich S. 74
Krietsch, Julian Wilhelm Friedrich
S. 74
Kuntz, Albert S. 74, 76
Kupfer, Frank S. 192
Lehmann, Beate S. 133
Lehmann, Hans S. 68
Lehmann, Heinz S. 133
Lehmann, Markus S. 133
Lehmann, Thilo S. 133
Lehmann, Titus S. 133
Lenk, Peter S. 188
Lesch, Max S. 83
Lingner, Karl August S. 34, 36, 37
Lippmann, Hans S. 83
Löschke, Knut S. 171
Lossow, William S. 28
Luft, Irene S. 48
Lux, Dagmar S. 158
Lux, Thomas S. 158
Manegold, Hans-Dieter S. 143
Meyer, Emil S. 96
Michalke, Alphons S. 83
Mitscherling, Herbert S. 83
Modrow, Hans S. 130
Molge, Heinrich S. 100, 101
Mommsen, Theodor S. 55
Moras, Otto S. 69
Mühle, Hans-Jürgen S. 159, 199
Mühle, Robert S. 159
Mühle, Thilo S. 159
Mutschmann, Martin S. 78, 82,
83, 86
Naumann, Uwe S. 178
Nisslé, Eugen S. 98, 99
Nisslé, Johannes S. 101
Nisslé, Ronald S. 101
Oeser, Louis S. 14
Petzold, Johann Samuel Friedrich
S. 70
Pilder, Hans S. 96
Poppe, Heinrich S. 20
Rambold, Adolf S. 100, 101
Rasche, Karl S. 96
Reinhardt, Brigitte S. 140
Richter, Andreas S. 132
Richter, Arno S. 132
Richter, Hermann S. 132
Richter, Ilse S. 135
Richter, Lothar S. 132
Richter, Vincenz S. 134, 135
Richter, Vincenz II. S. 135
Richter, Vincenz III. S. 135
Rosenfeld, Johann Bernhard S. 38,
39, 40
Rülke, Ernst Christian S. 20
Ruppert, Friedrich S. 51
Schacht, Hjalmar von S. 83
Scheibner, Renate S. 184
Schieck, Walther S. 62
Schilling, Emil S. 172
Schippel, Hans S. 96
Schloßmann, Arthur S. 34
Schnorr, Theodor S. 46
Schnorr, Veit Hans S. 42
Schnorr, Veit Hans d. J. S. 42
Scholtz, Fritz S. 121
Schöne, Hans S. 83
Schönert, Gustav S. 75
Schöning, Johannes F. A. S. 82, 83
Schoop, Kurt S. 143
Seelig, W. Rudolf S. 98
Seidel, Clemens S. 172
Seidel, Otto S. 172
Seiffert, Otto S. 106
Sommerlatt, Rudolf S. 143, 144
Stihl, Hans-Peter S. 141
Stöhr, Eduard S. 89
Stöhr, Werner S. 80, 89
Stresemann, Gustav S. 60, 69
Süssmuth, Rita S. 143
Tillich, Stanislaw S. 193
Timaeus, August Friedrich
Christian S. 54
Timaeus, Albert Ferdinand S. 54
Timken, William Robert S. 134
Topf, Wolfgang S. 161
Ufert, Oscar S. 50
Verbeek, Alexander S. 121
Verstynen, Rainer S. 101
Vogel, Hans S. 82
Voigt, Albert S. 102
Voigt, Franz S. 185
Wachsmuth, Rudolf S. 17, 55
Wächtler, Ernst Rudolf S. 166
Weber, Otto E. S. 101
Weißbach, Johann von S. 74
Wetzel, Karl S. 52
Wittke, Wilhelm S. 62
Wohlfahrt, Friedrich-Wilhelm
S. 86
Wolf, Richard S. 83
Wolle, Samuel S. 150
Wunderlich, Hans-Joachim S. 190
Zapp, Alfred S. 28
Zbigniew, Sebastian S. 194
Zimmermann, Johann S. 50
Zimmermann (Direktor ADCA)
S. 84
Zinßer, Hugo S. 96
Zinzendorf, Graf Nikolaus von
S. 120
Dr. Thomas Ahbe
Sozialwissenschaftler und
Publizist, Leipzig
Helge Pfannenschmidt
Germanist und Anglist, freier
Lektor und Texter, Dresden
Dr. Agnès Arp
Historikerin, wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Jenaer Zentrum
für empirische Sozial- und
Kulturforschung
Anett Polig M.A.
Germanistin und Historikerin,
Wissenschaftliche Referentin am
Sächsischen Industriemuseum
Chemnitz
Dr. Dieter Bock
Historiker, Chemnitz
Prof. Dr. Franz Rudolph
Wirtschaftswissenschaftler,
Textilbeauftragter des Freistaates
Sachsen, Geschäftsführer des
INNtex e.V.
Achim Dresler
Historiker, Sammlungsleiter
und stellvertretender Direktor
des Sächsischen Industriemuseums Chemnitz
Sabine Frank
Kulturwissenschaftlerin,
Buch- und Rundfunkautorin
(u.a. MDR Figaro)
Dr. Heinz-Helge Heinker
Wirtschaftsjournalist, Autor,
Leipzig
Dr. sc. Ulrich Heß
Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker, a&hm– Art & Economic
History Management, Wurzen
Uwe Hessel
Diplomingenieur, Mitglied
im WIMAD e.V., Dresden
Norbert Kuschinski,
Verkehrs- und Betriebswirt,
Kustos für Nahverkehr und
Postgeschichte am Verkehrsmuseum Dresden
Dr. Holger Starke
Historiker, Kustos für Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte am Stadtmuseum
Dresden, stellvertretender Direktor des Stadtmuseums Dresden
Dr. Harald Wixforth
Historiker und Volkswirtschaftler,
wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Lehrstuhl für Wirtschaftsund Sozialgeschichte der Universität Bonn
Die Autoren konnten zum Teil
auf umfangreiche Spezialliteratur zurückgreifen, die hier
im Einzelnen nicht aufgeführt
wird. Bei Interesse vermittelt
der Verlag Kontakt.
199
ANHANG
Impressum
Bildnachweis
© FRIEBEL Werbeagentur und Verlag Dresden
Archiv DVB AG: S. 107
Archiv Waggonbau Bautzen: S. 70, 71, 72o., 73o.
Arzneimittelwerk Dresden: S. 12, 109, 113
Commerzbank AG, Historisches Archiv: S. 85,
94u., 95, 96, 97
Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V.: S. 94o.
Roland Gladasch: S. 180, 181, 182, 183
Glückauf-Brennerei GmbH Gersdorf: S. 184
Erich Höhne (Archiv Friebel WV): S. 112o.,
IHK Chemnitz: S. 8l. (Foto: Wolfgang
Schmidt), 11o. (Foto: Ulf Dahl), 23, 26o., 27o.
(Postkarte ohne Angaben zum Verlag), 27u.
(Reproduktion einer historischen Ansichtskarte
aus der Sammlung Günnel, Plauen; gedruckt
bei Bild & Heimat Reichenbach/V.), 28, 56, 78,
81, 82o., 84u., 86 (Sammlung Mensdorf,
C. Pasold), 108, 110, 112u., 140, 141, 190, 192u.r.
(Foto: Frank Kupfer), 193r., 195o. (Foto: Wolfgang Schmidt), 196o.
IHK Dresden: S. 4, 8m. (Foto: Andreas
Meschke), 10 (Foto: Jan Gutzeit), 11, 20, 24,
29u., 138, 142, 143o., 146o., 147o. (Infineon
Technologies AG), 190
(Foto: Andreas Meschke), 191m., 192o. (Foto:
Rainer Kitte), 194 o. (Foto: Goschütz, istock),
194u.l. (Foto: Jan Gutzeit), 194u., 196u.
(Foto: Jan Gutzeit)
IHK zu Leipzig: U1u. (Foto: Lutz Zimmermann),
U1o.m. (Foto: Porsche Leipzig GmbH), S. 8r.
(Foto: Lutz Zimmermann), 11u. (Foto: Lutz
Zimmermann), 144l., 144u. (Foto: Günter
Seidel), 145, 146m. (Foto: Porsche Leipzig
GmbH), 146 u. (Foto: Flughafen Leipzig/Halle
GmbH), 191u. (Foto: Lutz Zimmermann), 192u.
(Foto: Wolfgang Zeyen), 193o. (Foto: WSB
Werbeagentur), 195o.r. (Foto: Lutz Zimmermann), 197
Industriemuseum Chemnitz: S. 90, 93
INNtex Innovation Netzwerk Textil e.V.: S. 47,
48u., 49
Landeshauptstadt Dresden, Stadtplanungsamt:
S. 87
Horst Milde/Dresden, Reproduktion: SLUB,
Deutsche Fotothek. S. 68o.
2012
Herausgeber:
Industrie- und Handelskammer Chemnitz
Straße der Nationen 25, 09111 Chemnitz
Tel.: 0371 6900-0, Fax: 6900-191565
E-Mail: [email protected]
Kontakt: Angela Grüner,
Referentin Öffentlichkeitsarbeit
Industrie- und Handelskammer Dresden
Langer Weg 4, 01239 Dresden
Tel.: 0351 2802-0, Fax: 2802-280
E-Mail: [email protected]
Kontakt: Lars Fiehler, Pressesprecher
Industrie- und Handelskammer zu Leipzig
Goerdelerring 5, 04109 Leipzig
Tel.: 0341 1267-0, Fax: 1267-1421
E-Mail: [email protected]
Kontakt: Jörg Hübner,
Leiter Kommunikation | Öffentlichkeitsarbeit
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Konzeption: Dr. sc. Ulrich Heß,
Dr. Holger Starke
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Satz, Reprografie: Johannes Dose,
Friebel Werbeagentur und Verlag
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200
Nickelhütte Aue: S. 43u. (Foto: Michaelis), 44,
45 (45u.l.: Foto Haunstein)
Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv
Dresden: S. 84o.
Sächsisches Wirtschaftsarchiv, Leipzig: S. 9,
19, 21, 23, 25, 27u., 29o., 30, 31, 32, 33, 36u.,
37o.l., 55, 61, 64, 65, 66o., 69, 73u., 77, 80,
82, 88, 89, 162o.
SBS Bühnentechnik GmbH, Betriebsarchiv:
S. 82
SLUB, Deutsche Fotothek: S. 14, 37m., 59, 63,
66u., 67, 115
SolarWorld AG: S.146u.l.
Städtische Galerie Dresden: S. 15, 35
Stadtmuseum Dresden: S. 57, 106, 122u., 34,
36, 37o., 62 (Repros: Franz Zadniček)
Sternquell-Brauerei GmbH Plauen: S. 111
Teekanne GmbH & Co. KG, Düsseldorf: S. 98,
99, 100, 101
Unternehmensarchiv Audi Tradition,
Ingolstadt: S. 91, 92
Verein Vogtländische Textilgeschichte
Plauen e.V.: S. 46, 47o.
Verkehrsmuseum Dresden: S. 72
Volkswagen Sachsen GmbH: S. 147u.
VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH,
Dresden: S. 37u.r., 186, 187, 188, 189
WIMAD e.V.: S. 74, 75, 76
Mathieu, Axel Oskar: Vomag. Die fast
vergessene Automobilmarke. Berlin 1994:
S. 102, 103, 104
Bock, Dieter: 150 Jahre Werkzeugmaschinenfabrik UNION Chemnitz. 1852–2002,
(Chemnitz) 2002: S. 50, 51, 52, 53
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