Hier ist der Artikel

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Muskelfaseriss, zugezogen beim
Aufwärmen.
Der Stürmer, der aus der Kälte kam
„Zu untalentiert, zu klein und zu
schmächtig“, lautete das vernichtende
Urteil, das einst über den jungen Berat
Sadik gefällt wurde. Inzwischen ist der
22-Jährige um einiges älter und mit
192 cm alles andere als klein. Und
auch am Talent hat es wohl schon
damals nicht gefehlt, wie sein
Werdegang zum „großen, geschickten
und ‚bedrohlichen’ Angreifer“ zeigt.
Text: Jens Siebeneichner
Als alle mit ihm rechneten, kam er
nicht. Verwundert rieben sich die
Zuschauer in der SchücoArena beim
letzten Heimspiel gegen Borussia
Mönchengladbach die Augen. Nicht
Berat Sadik, 192 cm, sondern Markus
Bollmann, 190 cm, betrat direkt nach
dem bitteren 0:2 durch Marko Marin,
170 cm, eilig das Spielfeld.
Denn noch waren zehn Minuten zu
spielen und wie auf jedem Fußballplatz
der Welt, fliegen dann auch in Bielefeld
die Bälle der zurückliegenden
Mannschaft in hohem Bogen in den
gegnerischen Strafraum. Mit diesen
Flugobjekten etwas anzufangen, ist
eigentlich ein Fall für Berat Sadik,
Arminias längstem Angreifer. Doch der
Neuzugang saß auf der Bank und war
aber zum Zuschauen verurteilt.
Es muss ein lauer Spätsommertag
gewesen sein, als Berat Sadik am 14.
September 1987 im mazedonischen
Skopje das Licht der Welt erblickte.
Seine Eltern hatten alle Hände voll
damit zu tun, ihre Kinder in der
südlichsten Teilrepublik Jugoslawiens
mit dem Notwendigsten zu versorgen.
Das sollte nicht so bleiben. „Meine
Eltern wollten uns etwas bieten, uns
die Chance geben, ohne Angst vor
politischen Unruhen aufzuwachsen“,
erklärt Berat Sadik den langen Weg
aus Mazedonien nach Norden, den
seine Familie antrat, um sich
schließlich im finnischen Kiuruvesi
niederzulassen. Beängstigende zwei
Grad Celsius zeigt das Thermometer
dort im Schnitt. „Ein wirklich kalter Ort,
an dem du nicht viel Sport machen
kannst“, erinnert sich der 22-Jährige
Stürmer. Dort ist es aber nicht nur kalt,
sondern auch ziemlich einsam. Gerade
einmal sieben Seelen verteilen sich in
der Region auf einen Quadratkilometer
(das sind ungefähr 140 Fußballplätze),
in Bielefeld würde man auf der
gleichen Fläche von 1260 Menschen
gegrüßt. Vorausgesetzt man ist
freundlich und höflich. So wie Berat
Sadik, der sich bereits eine
Viertelstunde vor dem eigentlichen
Interview-Termin am vereinbarten
Treffpunkt, der Gaststätte Schade an
der Herforder Straße, einfindet.
Dort genießt Berat so etwas wie einen
Heimvorteil, denn Wirt Dzeko ist
Albaner, Dolmetscher Kadri ebenfalls,
was sich wunderbar mit Berats
Muttersprache, dem Albanischen,
verträgt. Die Mehrheit der Mazedonier
spricht - kaum unüberraschend mazedonisch, danach folgt das
Albanische, weiterhin wird in
vereinzelten Regionen Türkisch oder
Serbisch gesprochen. Bei der
Begrüßung fallen die ersten Worte
aber automatisch auf Englisch, Sadiks
Alltagssprache, derer er sich auch im
Kreise seiner Mannschaftskollegen
bedient. Damit sich das bald ändert,
besucht er zusammen mit Chris
Katongo einen Deutschkurs, der wohl
schon erste Früchte trägt. Denn ab und
an lächelt Sadik bereits, bevor der
Dolmetscher die albanischen Worte
gefunden hat. „Verstehen einfacher“,
sagt er mit einem entschuldigenden
Grinsen.
So ganz und gar nicht verstehen wollte
sich Berat Sadik mit Ari Seppälä.
Bereits zu Grundschulzeiten geriet die
fußballerische Sozialisation des
mazedonischen Einwandererkindes
ernsthaft in Gefahr. „Ich sei der
schlechteste Fußballer, den er je
gesehen hat“, lautete das vernichtende
Urteil seines damaligen
Schulsportlehrers. Herr Seppälä hielt
den kleinen Berat nämlich für
untalentiert, zu klein und schmächtig
sei er, so könne das nichts werden mit
der Fußballkarriere. Man ahnte damals
eben noch nicht, dass Berat mal
baumlang werden sollte und so
trainierte er eben das, was er
beeinflussen konnte: die technischen
Fähigkeiten. Das merkt man noch
heute. „Ich bemühe mich, auch mit
dem Kopf zu spielen“, so Sadik, der
das nicht nur wortwörtlich, sondern
auch im übertragenden Sinne meint:
„Beim Fußball musst du auch
gedanklich schnell sein, Bälle
geschickt ablegen und die Mitspieler
einsetzen“, erklärt der Stürmer seine
alles andere als hölzerne Spielweise,
die er zuletzt in Arminias U23 unter
Beweis stellte, als er zwei Treffer
mustergültig vorbereitete. Während
des ersten Saisondrittels nominierte
ihn Michael Frontzeck stets für den
Bundesligakader, sieben Mal wurde er
eingewechselt und verbuchte dabei
eine Torvorlage. „Berat ist ein Spieler,
dem wir die Zeit geben, um sich bei
uns in Ruhe zu entwickeln“, sieht auch
Detlev Dammeier noch jede Menge
Potential in dem finnischen
Nationalspieler.
Auch Ari Seppälä hatte Berat übrigens
irgendwann von seinem Talent
überzeugt. Jahre nach der ersten
Begegnung auf Lehrer-Schüler-Ebene
trafen sich die beiden wieder. Diesmal
in der A-Jugend des FC Kuopio.
Großzügig erlaubte Seppälä Sadik
mitzutrainieren; mit dem Spielen würde
es allerdings nichts werden, hieß es
zunächst. Die Geschichte wäre nicht
erwähnenswert, wenn sie nicht ein
glückliches Ende genommen hätte:
Der FC Kuopio hatte personelle
Probleme, Sadik wurde ins kalte
Wasser geworfen und schoss in
seinem ersten Spiel alle drei Tore
seiner Mannschaft. So ging es weiter:
„Er konnte mich einfach nicht mehr aus
dem Team werfen“, schmunzelt Sadik,
der nicht wie jemand wirkt, der die
Flinte vorschnell ins Korn wirft.
Kurz nachdem Berat 2007 zum FC
Lahti wechselte, rief der finnische
Fußballverband an. Sadik, der den
mazedonischen und den finnischen
Pass besitzt, zögerte nicht lange, das
Angebot anzunehmen. „Ich will mich
weiterentwickeln. Schließlich habe ich
auf so eine Chance gewartet – die
finnische Nationalmannschaft wird
aber nicht auf mich warten“,
verdeutlicht Arminias Nummer 11
seine Ziele. Neben zwei Einsätzen für
die A-Mannschaft, spielte Sadik zehn
Mal für die U21-Auswahl. Stuart
Baxter, Finnlands englischer
Nationaltrainer, beobachtet Sadik
genau, denn er braucht gute, junge
Spieler mit Perpektive.
„Sadik ist ein großer, geschickter und
bedrohlicher Angreifer“, so die
wörtliche Übersetzung des
Spielerprofils von Berat Sadik auf einer
finnischen Fußballseite im Internet.
Wie wenig „bedrohlich“, sondern
vielmehr beliebt Sadik ist, bewies
zuletzt der Besuch seiner früheren
Mitspieler vom FC Lathi in Bielefeld.
Kurzentschlossen machten sich die
alten Kollegen samt Funktionären auf
den Weg nach Bielefeld und vor dem
Spiel gegen Gladbach den Fan-Shop
der SchücoArena unsicher. Blau und
weiß, Arminias dominierende Farben,
mögen die Finnen eben. „Ein
Spontanbesuch?“ fragen wir Sadik.
„Und ein bisschen Urlaub“, grinst der
mazedonische Finne, der später noch
den Abend mit dem Besuch aus
Finnland verbrachte.
zweite Liga gilt. Zwar ist momentan
von der Nachverpflichtung offensiver
Spieler in der Winterpause die Rede
an der Melanchthonstraße. Doch wer
weiß, vielleicht verhält es sich bald
umgekehrt zum Spiel gegen Gladbach:
Er kommt, wenn keiner mit ihm
rechnet.
„So verrückt die Finnen manchmal
wirken - man denke nur an
Handyweitwurfwettbewerbe - solche
spontanen Reisen sind normal“ erklärt
eine gebürtige Finnin dem HALBVIERRedakteur: „Die Leute begeistern sich
sehr für Sport, und wenn er nicht vor
ihrer Haustür stattfindet, reisen sie ihm
eben hinterher“, so die
Geschäftsführerin der DeutschFinnischen-Gesellschaft. Wenngleich
Eishockey immer noch die Sportart
Nummer 1 ist, fast jeder Finne - auch
Berat Sadik - schon einmal auf
Langlaufskiern stand und Motorsport
eine große Rolle spielt, gewinnt
Fußball an Popularität. Der
Zuschauerschnitt beim Eishockey ist
rückläufig, Fußball in Finnland holt auf.
In der Saison 07/08 verfolgten
durchschnittlich 2.600 Zuschauer die
Spiele in der Veikkausliga. Rekord.
Dank an die Deutsch-FinnischeGesellschaft, Dzeko, Kadri und Albert.
„In Rückspiel der WM-Qualifikation auf
Deutschland zu treffen, ist natürlich ein
Traum von mir“, sagt Sadik mit
ernstem Tonfall. Er ist ehrgeizig,
keiner, der sich auf ersten Lorbeeren
ausruhen will. Als es beim FC Lahti in
der ersten finnischen Liga ähnlich gut
lief, wie zuvor beim FC Kuopio, weckte
der junge Finne schnell
Begehrlichkeiten außerhalb
Skandinaviens. Neben Arminia
offerierte beispielsweise Ascoli Calcio
aus Italiens zweiter Liga ein ähnlich
gutes Angebot, doch „ die Bundesliga
ist besser, also auch die größere
Herausforderung“, verdeutlicht Sadik
seinen Ehrgeiz.
Herrn Seppällä überzeugte er spät,
aber nachhaltig. In Bielefeld hat er
dafür drei Jahre Zeit, so lange läuft
sein Vertrag, der für die erste und
Zur Person
Berat Sadik kam am 14. September
1987 in Skopje zur Welt und zog 1990
aus dem Krisengebiet ins beschauliche
Finnland. Dort spielte er sich über die
Stationen FC Kuopio und FC Lahti in
die Notizbücher europäischer
Fußballscouts und verließ im Sommer
2008 das Land der vielen Seen und
noch mehr Bäume in Richtung
Teutoburger Wald. Der 1,92 m große
Juniorennationalspieler, der auch
bereits für die A-Elf zum Einsatz kam,
„ist zwar kein Horst Hrubesch“, so
Detlev Dammeier in Anspielung an das
Kopfballungeheuer, aber „spielerisch
talentiert“. In seiner ersten Saison bei
Arminia stand Berat Sadik bis zu
seinem Muskelfaserriss stets im 18erKader und wurde sieben Mal
eingewechselt. Die U23 verstärkte der
mazedonisch-finnische Stürmer mit der
Nummer 11 in zwei Partien, in denen
er ein Tor erzielte und zwei weitere
vorbereitete.
Interview mit Berat Sadik
Tottenham Hotspur oder AC
Florenz?
Florenz. Ich habe mir die Stadt bereits
einmal angeschaut und natürlich auch
ein Spiel des AC angesehen. Beides
hat mir gut gefallen.
Jari Litmanen oder Zlatan
Ibrahimovic?
Jari. Als ich klein war, habe ich seine
Spiele gesehen. Er ist so etwas wie ein
Volksheld in Finnland und ich habe
mich sehr gefreut, mit ihm einmal in
der Nationalelf zusammen spielen zu
dürfen.
Frank Lampard oder Xavi
Hernandez?
Schwere Frage, aber ich würde Xavi
sagen, denn er ist technisch noch
stärker.
Teemu Selänne oder Jari Kurri?
(lacht und erklärt dem Dolmetscher,
dass das finnische Eishockeyspieler
sind). Jari Kurri ist eine Legende und
meiner Meinung nach der bessere
dieser beiden Ausnahmespieler. Er ist
schneller und hat mehr Tore erzielt,
außerdem durfte er den Großteil seiner
Karriere an der Seite von Wayne
Gretzky spielen.
Ribéry oder Diego?
Ich denke, Ribéry ist derzeit der beste
Spieler in der Bundesliga. Der
Elfmeter, den er gegen uns
herausgeholt hat, war allerdings
unberechtigt. Ich dachte zunächst, es
wäre einer, aber nachdem ich mir die
Szene im Fernsehen angesehen habe,
musste ich mein Urteil ändern.
Mika Häkkinen oder Kimi
Räikkönen?
Auf jeden Fall Mika! Er war zweimal
Weltmeister und dabei immer noch
sympathisch geblieben, alles andere
als abgehoben. Für ihn bin ich als
kleiner Junge sogar frühmorgens
aufgestanden um mir seine Rennen
anzusehen. Mit seinem Karriereende
ist mein Interesse an Motorsport
allerdings auch erloschen. Kimi ist
natürlich auch kein schlechter Fahrer,
aber menschlich weniger mein Fall, er
ist ein bisschen durchgeknallt
Daniel Craig oder Pierce Brosnan?
Pierce gefällt mir etwas besser. Ich
habe mir den neuen Bond noch nicht
angesehen, möchte das aber noch
nachholen. Ich verstehe Deutsch noch
nicht gut genug, um hier ins Kino zu
gehen.
Metallica oder Moloko?
Moloko ist mir leider kein Begriff?
Metallica mag ich, von denen stammt
ja auch unsere Einlaufmusik.
Ansonsten höre ich gerne R’n’B, HipHop oder Rap.
Fischfrikadelle oder Bratwurst?
Fischfrikadelle, die gibt es in Finnland
an jeder Ecke. Schweinefleisch esse
ich nicht, die Bratwurst kommt also
nicht in Frage.
Wodka oder Wasser?
Kein Wodka und kein Alkohol! Ohne
Wodka kann man leben, ohne Wasser
nicht.
Šar Planina oder Lappland?
Sar Planina, ein schöner Gebirgszug in
Mazedonien. In Lappland ist es zu kalt
und es fällt viel Schnee. Auch wenn ich
fast mein ganzes Leben in Finnland
gelebt habe, ich mag die Kälte nicht
besonders.
Helsinki oder Skopje?
Skopje, ich war zwar erst einmal dort,
aber ich liebe „Shkupi“, wie man es
albanisch ausspricht. Helsinki ist
natürlich wunderschön, aber Skopje ist
Heimat.
Sauna oder Strand?
In Finnland gibt es genug Saunen, mir
ist der Strand dann doch lieber. Einen
speziellen Lieblingsurlaubsort habe ich
aber nicht. Hauptsache es ist warm.
Berat oder Borat?
(lacht). Mmh, das eine ist wohl so
etwas wie ein naheliegender
Spitzname von mir, das andere bin ich.
Also nehme ich beide.