Wissenschaftliche Arbeit

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Wissenschaftliche Arbeit
Christian Mahnke
Weberstraße 5
69120 Heidelberg
Rappräsentation.
Deutschsprachige Raptexte als Literatur
einer nicht-literarischen Jugendkultur
Wissenschaftliche Arbeit im Fach Deutsch
an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
zur Zulassung zur wissenschaftlichen Prüfung
für das Lehramt an Gymnasien
vorgelegt bei
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer
Heidelberg, Oktober 2006
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
4
2.
Theoretische Grundlagen der Arbeit
8
2.1
Begriffserklärung deutschsprachiger Raptext
8
2.2
Literaturwissenschaftliche Berechtigung
deutschsprachiger Raptexte
10
2.3
Literaturwissenschaftliche Relevanz
deutschsprachiger Raptexte
14
Literarische Situation von Jugendlichen in
Deutschland
17
Der hermeneutisch-kontextualistische Ansatz
19
2.4
2.5
3.
Forschungsgegenstand Rap im Kontext
3.1
22
Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte
des Rap im Kontext der HipHop-Kultur
22
3.1.1 Entstehung des Rap im Kontext
der HipHop-Kultur in den USA
24
3.1.2 Entwicklung des Raps im Kontext
der HipHop-Kultur in den USA
26
3.1.3 Entstehung des Raps im Kontext
der HipHop-Kultur in Deutschland
28
3.1.4 Entwicklung des Raps im Kontext
der HipHop-Kultur in Deutschland
31
3.2
Afrikanische Sprachpraktiken im Rap
35
3.3
Rapgenres in Deutschland
39
3.1.1
Polit-Rap
39
3.1.2
Story-Rap
42
3.1.3
Party-Rap
43
3.1.4
Pimp-Rap
45
3.1.5
Battle-Rap
46
3.1.6
Gangster-Rap
49
3.1.7
Freestyle-Rap
50
2
4.
Hermeneutisch-kontextualistische Analyse und
Interpretation ausgewählter Raptexte
4.1
Präsentation und Konstruktion von Identität in
deutschsprachigen Raptexten
4.1.1
4.2
4.3
Interpretation des Polit-Raptextes
„Eins auf Eins“ von Skills En Masse
52
52
54
4.1.2 Interpretation des Story-Raptextes
„Die Jungs aus’m Reihenhaus" von
Blumentopf
60
4.1.3 Interpretation des Story-Raptextes
„Ich hab’ geschrieben" von Torch
66
Präsentation von Gesellschaftsbildern und
Erfahrungswelten in deutschsprachigen Raptexten
72
4.2.1 Interpretation des Gangster-Raptextes
„Mein Block" von Sido
76
4.2.2 Interpretation des Gangster-Raptextes
„Mein Block" von Azad
82
4.2.3 Interpretation des Story-Raptextes
„Mein Block" von Blumentopf
86
4.2.4 Interpretation des Battle-Raptextes
„Mein Block" von Aggro Berlin
89
4.2.5 Interpretation des Battle-Raptextes
„Mein Block" von Eko
90
Resümee und Fazit der Interpretation
94
5.
Schluss
97
6.
Literaturverzeichnis
100
7.
Anhang
104
3
1. Einleitung
Goethe, Nietzsche und die Kirche
shit, der nie im Kontext zu mir entstand [...]
ich brech' Dir die Strophe, Vers nach Verse.1
In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass die jugendlichen Angehörigen der HipHop-Kultur in Deutschland, die meist migrantischer
Abstammung sind und, aufgrund ihres sozial schwachen Umfeldes und
eigener Existenz- und Zukunftsängste, meist nur einen geringen bis gar
keinen Bezug zu traditionellen Literaturformen wie Gedichten, Dramen, Novellen oder Romanen haben, mit der Aneignung und Praktizierung von Rap eine neue literarische Gattung etablierten. Im Sinne
einer „Rappräsentation“ erfahren, reflektieren und kommunizieren sich
die Jugendlichen selbst und den Rap an sich über die Raptexte. In der
Rezeption, Produktion und Performanz von Rap suchen, entwickeln,
präsentieren und behaupten sie Identität und bringen ihre individuellen
Gesellschaftsbilder zum Ausdruck.
Im Sinne einer „Literatur einer nicht-literarischen Jugend“ finden
gerade vieler solcher Jugendlicher, die in Zusammenhang mit ihrer
persönlichen,
sprachlichen
oder
schulischen
Situation
literaturverdrossen sind, in den Raptexten einen freien Aktionsraum, in
dem sie sich ungezwungen und eigenständig in deutscher Sprache
literarisch betätigen, entwickeln und entfalten kön-nen. Besonders
wichtig erscheint dabei die Möglichkeit, als gesell-schaftlicher
Außenseiter Kritik an der Herrschaftsgesellschaft ausüben und auf
soziale Missstände hinweisen zu können.
In Kapitel 2 werden zunächst die theoretischen Grundlagen dieser
Arbeit erläutert, um aufzuzeigen, auf welche Art und Weise
deutschsprachige Raptexte die Literatur einer nicht-literarischen
Jugendkultur bilden, welche Funktionen sie für die Jugendlichen
erfüllen und wie sie von den Jugendlichen inhaltlich gestaltet werden.
Dazu wird zuerst der Begriff „deutschsprachiger Raptext“ erläutert und
1
Skills en Masse. „Eins auf Eins“. Auf Album: Wie wir. Kopfnicker Records, 2000.
4
seine wesentlichen Charakteristika beschrieben. Anschließend wird das
Phänomen „deutschsprachiger Raptext“ auf seine Berechtigung und
Relevanz als literaturwissenschaftlicher Forschungsgegenstand untersucht. Dazu werden verschiedene Literaturbegriffe auf das Phänomen
„deutschsprachige Raptexte“ angelegt, um dessen Berechtigung als
Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft zu begründen. Dafür
wird in dieser Arbeit zwischen einem pragmatischen, einem deskriptiven und einem normativen Literaturbegriff unterschieden. Diese
Absicherung auf theoretischer Ebene ist insofern notwendig, dass Raptexten ein besonderes Kommunikationsverhältnis zugrunde liegt,
welches einen überwiegend schreibend konzipierenden Sender und
gleichzeitig einen überwiegend hörend rezipierenden Empfänger vorsieht, und Raptexte demzufolge nicht als Literatur im klassischem
Sinne verstanden werden können.
Die Relevanz deutschsprachiger Raptexte als Forschungsgegenstand
der Literaturwissenschaft wird an-hand der kontroversen Bedeutung
und Wertschätzung erläutert, die den Texten seitens der Jugendlichen
und der Gesellschaft zugesprochen wird, was aus aktuellem Anlass
anhand der Zusammenhänge von sozialkritischen französischen
Raptexten und den Vorstadtkrawallen in Frankreich 2005 aufgezeigt
wird.
Anschließend erfolgt eine vereinfachte Darstellung der literarischen
Situation der Jugendlichen in Deutschland, in der der fehlende Bezug
vieler Jugendlicher zu Literatur im klassischen Sinn aufgezeigt wird.
Dafür wird sich in erster Linie auf die Erkenntnisse aus der PISAStudie 2004 und der Shell-Jugendstudie 2006 berufen. Es wird im
Sinne eines heuristischen Konstrukts zwischen literarischen und nichtliterarischen Jugendlichen unterschieden. Unter „literarisch“ sind
diejenigen Jugendlichen zu verstehen, die weitgehend aus dem gebildeten sozialen Mittelstand stammen und in der Regel über eine weiterführende Schulbildung und Kenntnisse und Erfahrungen mit klassischer Literatur verfügen. Analog dazu sind unter dem Begriff „nicht5
literarisch“ diejenigen Jugendlichen erfasst, die wenig oder keinen
Bezug zu deutscher Literatur haben, da sie meist aus einem sozial
benachteiligten Migrantenmillieu stammen und weder sprachlich noch
gesellschaftlich in Deutschland integriert sind.
Als letzte theoretische Grundlage wird sowohl auf theoretischer Ebene
das Verständnis von Hermeneutik als Interpretations-Methode, als auch
auf praktischer Ebene die Anwendung des hermeneutisch-kontextualistischen Ansatzes in dieser Arbeit vorgestellt. Nach diesem Ansatz
wird sich der möglichst richtigen Interpretation der Texte über das
Wissen und die Kenntnisse um den Rap und seine Sprachpraktiken und
um die soziale und literarische Situation der jugendlichen Rapper in
Deutschland angenähert. Um eine korrekte Interpretation der im Rahmen des hermeneutisch-kontextualistischen Ansatzes verwendeten
soziohistorischen Daten, Raptexte und deren Zusammenhänge optimal
zu gewährleisten, sieht der Ansatz zudem vor, Aussagen von deutschsprachigen Rappern in diversen veröffentlichten Interviews und persönlich geführten Gesprächen zu bestimmten Thematiken und Aspekten heranzuziehen.
Im Kapitel 3 wird dann zunächst der Forschungsgegenstand Rap im
Kontext
untersucht.
Dazu
erfolgt
eine
Beschreibung
des
Forschungsgegenstandes Rap, die sowohl eine Erklärung seiner
soziohistorischen Entstehung und Entwicklung im Kontext der
HipHop-Kultur in den USA und seiner späteren Entstehung und
Entwicklung in Deutschland, als auch eine Betrachtung wesentlicher
dem Rap zugrunde liegender afrikanischer Sprachpraktiken umfasst.
Ergänzend dazu wird eine Übersicht über die verschiedenen RapGenres
gegeben,
die
sich
in
Deutschland
als
eigenständige
dann
ausgewählte
Untergattungen entwickelt und etabliert haben.
Im
abschließenden
deutschsprachige
Kapitel
Raptexte
4
werden
entsprechend
des
hermeneutisch-
kontextualistischen Ansatzes untersucht. Unter Bezugnahme auf die
6
Untersuchung von MENRATH (2001) zur Identitätskonstruktion im
HipHop wird exemplarisch aufgezeigt, wie die Jugendlichen die
Prozesse ihrer Identitätskonstruktion und Identitätsbehauptung in den
Raptexten sprachlich formulieren und wie die Auseinandersetzung um
die Durchsetzung eigener Identitätspositionen zum literarischen
Prozess wird. Weiterhin wird aufgezeigt, wie die jugendlichen Rapper
über den Rap Kritik an der Gesellschaft und an den sozialen
Missständen, in denen sie sich befinden, ausüben. Dazu werden zum
Identitätsaspekt
drei
und
zum
Gesellschaftsaspekt
fünf
deutschsprachige Raptexte hermeneutisch im Kontext der soweit
erarbeiteten soziohistorischen Daten und Kenntnisse von der HipHopKultur interpretiert.
Zu den Schwierigkeiten und Einschränkungen dieser Arbeit soll an
dieser Stelle auf den aktuellen Forschungsstand verwiesen werden.
Trotz gestiegener Akzeptanz und erhöhter Zunahme von HipHop und
Rap als wissenschaftlichen Forschungsgebieten in der Linguistik, der
Soziologie und der Pädagogik liegen bisher noch keine eigenständigen
literaturwissenschaftlichen
Publikationen
zu
deutschsprachigen
Raptexten vor, die sich mit der Darstellung von Identität und
Gesellschaftsbildern der Jugendlichen auseinandersetzen. Deshalb wird
dieser Arbeit zu großen Teilen Forschungsliteratur zum Thema HipHop
zugrunde gelegt, die vorwiegend aus eben jenen angeführten
Disziplinen stammt, aber teilweise auch eine literaturwissenschaftliche
Perspektive einnimmt.
Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Raptexte in einer
Schreibweise festgehalten wurden, die nicht dem Reimschema folgt,
sondern, um den Textfluss zu verdeutlichen, dem musikalischen Takt.
Des besseren Verständnis wegens liegt der wissenschaftlichen Arbeit
auch eine CD mit Hörbeispielen zu einigen der in Kapitel 4
untersuchten Texten bei.
7
2. Theoretische Grundlagen der Arbeit
In diesem Kapitel werden deutschsprachige Raptexte auf ihre Berechtigung und Relevanz als Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft betrachtet. Dazu wird zunächst der Begriff „deutschsprachiger
Raptext“ geklärt. Im Anschluss daran werden der deskriptive, der normative und der pragmatische Literaturbegriff nach BAASNER (1998)
auf Raptexte angelegt, um die Aufnahme von Raptexten in den Kanon
literarischer Gattungen und damit die Legitimierung als literaturwissenschaftlichen Forschungsgegenstandes zu begründen.
Zudem wird die Relevanz von Raptexten als Forschungsgegenstand
der Literaturwissenschaft über einen Exkurs zu den Zusammenhängen
zwischen
französischen
Raptexten
und
den
landesweiten
Vorstadtkrawallen in Frankreich 2005 und dem Bezug zur aktuellen
Situation in Deutschland verdeutlicht. Abschließend werden die
derzeitige literarische Situation von Jugendlichen in Deutschland
aufgezeigt und der hermeneutisch-kontextualistische Ansatz dieser
Arbeit vorgestellt.
2.1 Begriffserklärung „deutschsprachiger Raptext“
Der Rap selbst ist eine Form oraler Dichtung, ein Sprechgesang - mit
dem Lied, dem Minnesang, dem Gedicht und der Ballade vergleichbar
-, der über ein rhythmisch einfaches Bass- und Schlagzeug-Fundament
gesprochen wird. Der Begriff „Rap“ leitet sich dabei vom englischen
Verb „to rap“ für „lebhaftes Daherreden“ oder „prahlen“ und dem Akronym „r.a.p.“ für „rythm and poetry“ ab. Auf der anderen Seite ist es
aber „nicht gleich Rap, wenn jemand über einen 4/4-Takt spricht und
nicht singt“ (Loh und Güngör 2002, 185).
Der Rap entstand ursprünglich in den 1960er Jahren in den afroamerikanischen Gettos der USA als „Sprachspiel voller ironischer Übertrei-
8
bungen, Wortspiele und Slang-Fragmente, bei dem nicht nur rhythmisch gesprochen, sondern auch mit Tempo, Tonhöhe und Klangfarbe
gespielt wird“ (Klein und Friedrich 2003, 15). Im Laufe der Jahre hat
er sich weiterentwickelt und diverse Genres ausgebildet, in denen Rapper vorwiegend soziale Missstände kritisieren, Geschichten erzählen,
Partys besingen oder sich selbst und ihre Rapkunst zum Mittelpunkt
sprachlicher Auseinandersetzungen machen.
Seit seiner Kommerzialisierung und seiner globalen Verbreitung in
den 1980er Jahren ist der Rap das prominenteste der vier Elemente2 der
wettkampforientierten HipHop-Kultur. So kann zwar auf der einen
Seite gesagt und gerappt werden, „der Text steht im Zentrum, der Rest
ist nur Schabernack“3, aber es gilt auch, dass er im Kontext dieser anderen kulturellen Praktiken und der übergeordneten HipHop-Kultur zu
untersuchen ist, denn „Hip Hop ist kein Musikstil, sondern Sprechgesang, nur ein Teil der Kultur, B-Boys nur ein Teil der Kultur, Graffiti
nur ein Teil der Kultur“4.
Eines der wesentlichsten Elemente dieser Kultur, den performativen
Charakter, hat der Rap im Zuge seiner Kommerzialisierung jedoch
verloren. Anfangs existierte Rap nicht auf Tonträgern, sondern nur im
Moment der Aufführung vor einem Publikum. Damit lag jedem Rap
eine individuelle und einmalige Art des Vortrags, Sprechgeschwindigkeit, Pausen und Betonung durch einen Rapper zugrunde. Während die
DJs die instrumentale Grundlage der Raps von der Platte abspielten,
trugen die Rapper dazu ihre Texte vor; einzeln, in Gruppen oder im
Wettstreit miteinander, dem sogenannten Battle. Dieser performative
Charakter ging aber mit der Kommerzialisierung des HipHop weitgehend verloren, da der Rap heutzutage größtenteils über Tonträger wie
CDs transportiert wird und damit reproduzierbar fixiert ist. Seine ande-
2
Die HipHop-Kultur setzt sich aus den kulturellen Praktiken des Sprayens, des DJings - also des Auflegens von Platten-, des Breakdancings - des akrobatischen
Tanzens - und des Rappens zusammen.
3
Stieber Twins. „Fenster zum Hof“. Auf Album: Fenster zum Hof. MZEE, 1997.
4
Cora E. „Nur ein Teil der Kultur“. Auf Album: Nur ein Teil der Kultur. Buback,
1994.
9
ren wesentlichen kulturellen Merkmale und die Funktionen, die diese
erfüllen, hat der Rap dabei aber beibehalten.
2.2
Literaturwissenschaftliche Berechtigung deutsch-
sprachiger Raptexte
In diesem Kapitel sollen Raptexte auf ihre Berechtigung als Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft betrachtet werden. Dieser
Aspekt ist insofern zu untersuchen, dass Raptexte zwar - abgesehen
vom Genre des Freestyles - schriftlich konzipiert werden und teilweise
schriftlich dokumentiert in Form von CD-Booklets, Büchern und Internetseiten vorliegen, in der Regel jedoch eher auditiv rezipiert werden.
Zieht man diesen Umstand als kritischen Einwand heran, könnte man
Raptexten wohl in der Tat die Zugehörigkeit zum literarischen Kanon
absprechen. Andererseits birgt eine zu eng gefasste Kanonisierung
Gefahren für die literarische Tradition. Sie führt im Laufe der
Zeit zur weitgehenden Erstarrung des literarischen Lebens. [...]
Es hat sich allerdings in den vergangen Jahren ebenfalls erwiesen, daß die Verständigung über Literatur unbefriedigend verläuft, wenn nicht gewisse Normen den Gegenstandsbereich begrenzen und inhaltlich festlegen. (Baasner 1996, 18)
Deshalb werden im Folgenden der deskriptive, der normative und der
pragmatische Literaturbegriff nach BAASNER auf Raptexte angelegt,
um diese auf ihre Literarizität hin zu überprüfen (Baasner 1996, 20ff).
Während der deskriptive Literaturbegriff das als Literatur beschreibt,
was in einer Kultur an Literatur vorgefunden wird, macht der normative Literaturbegriff explizite Vorschriften, wie Literatur zu sein hat. Der
pragmatische Literaturbegriff schließlich erklärt Literatur als das, was
eine Gruppe von Leuten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten
Ort dafür hält.
10
Reduziert man BAASNERS beschreibenden deskriptiven Literaturbegriff nun zunächst auf dessen Kernaussage, dass Literatur primär „aus
abgeschlossenen, zusammenhängenden sprachlichen Äußerungen in
Schriftform“ (BAASNER 1996, 31) besteht, ergibt sich für die literaturwissenschaftliche Betrachtung von Raptexten das Problem, dass
diese zwar durchaus in dieser Form existieren, aber nur selten auch so
rezipiert werden. Diese Problematik kann aber durch BAASNERS eigene Ergänzungen seiner Literaturbegriffs-Definition aufgelöst werden: „Den Einwurf, mündliche überlieferte Märchen oder Lieder gehörten aber doch auch zur Literatur, müssen wir gelten lassen. Es gibt
eine Tradition der mündlichen (oralen) Überlieferung“ (1996, 12).
Diese bezeichnet die erzählende Weitergabe von geschichtlichen, gesellschaftlichen und religiösen Informationen, insbesondere in Form
von Geschichten, Sagen, Legenden und Traditionen. Sie spielt in allen
Kulturkreisen eine große Rolle, vor allem in jenen, die keine oder erst
eine späte schriftliche Überlieferung kennen. Dort werden wichtige
Erzählungen in Rituale eingebaut, die sich dann wegen ihrer nonverbalen Inhalte den Beteiligten besonders ins Gedächtnis einprägen. Für
eine dauerhafte Überlieferung wird meist auch die Gedichtform gewählt, weil Reim und Versmaß verhindern, dass einzelne Wörter leicht
vergessen und verändert werden können. In diesem Sinne lassen sich
auch die Raptexte dieser Tradition zuordnen, wenn man Tonträger wie
CDs, Kassetten und Schallplatten als deren moderne Medien versteht
oder wenn man die auf Jams5 und Konzerten live performten Raps zur
Betrachtung heranzieht.
Der engere normative Literaturbegriff definiert nach BAASNER nur
das als Literatur, „was ausgewählte Merkmale der Literarizität aufweist“ (Baasner 1996, 31). Diese normative Literaturbegriff lässt sich
aber ebenfalls als eigentlich deskriptiver bezeichnen, da es sich bei
besagten Merkmalen vordergründig um Fiktionalität, literarische Freiheit und Mehrdeutigkeit handelt, die als Grundvoraussetzung für Lite5
Mit Jams werden öffentliche und private HipHop-Veranstaltungen bezeichnet.
11
ratur anzusehen sind. Das Merkmal der Mehrdeutigkeit ist ein Kriterium, das im weitesten Sinne jeder Art Text, und damit auch Raptexten,
zugrunde liegt. Und die Frage nach Fiktionalität stellt sich beispielsweise für den Leser erst gar nicht, sondern wird automatisch angenommen. Die Fiktion bezieht sich dabei
als Ganzes durchaus auf Zusammenhänge der Erfahrungswelt,
doch ist diese Referenz vieldeutig (Mehrdeutigkeit, Polysemie
der Literatur) und stellt nie einen direkten Zusammenhang her.
Es handelt sich um vermittelte Referenz, auf deren Zustandekommen mehrere Faktoren einwirken, wie die Lektüreerfahrung, das allgemeine Wissen oder der Gemütszustand der Lesenden. [...] Eindeutig ist die Bedeutung gewöhnlich selten; je
nach gewählter Perspektive bekommt ein Text gewöhnlich verschiedene Bedeutungen, er ist mehrdeutig, bedeutungsoffen.
[...] Alles was erreicht werden kann, ist eine teilweise Ausschöpfung des Bedeutungspotentials einer Fiktion. (Baasner
1996, 14)
Lassen sich Raptexte nach dem deskriptiven bzw. normativen Literaturbegriff relativ eindeutig als zulässiges Element des literarischen Kanons bestimmen, birgt der pragmatische Literaturbegriff diesbezüglich
eine paradoxe Schwierigkeit. Er orientiert sich nämlich nicht an den
vorliegenden Inhalten oder an traditionellen Vorgaben von Literatur,
sondern geht von der Produzenten- bzw. Rezipientenseite aus, indem er
das zur Literatur erklärt, was innerhalb einer Gesellschaft von den
Zeitgenossen dafür gehalten wird.
Die Meinungen darüber gehen aber in der unsrigen modernen pluralistischen Gesellschaft weit auseinander und auffallend ist dabei, dass
selbst unter den Rappern keine homogene Auffassung von der Literarizität ihrer Texte vorherrscht. „Wer Rap als 'Literatur' begreift, sollte
daher nicht verkennen, dass es sich dabei also vor allem um eine 'AntiLiteratur' handelt - eine bewusst oder unbewusst abgegebene Stellungnahme gegen die Vernunftrhetorik und die literarischen Vorbilder des
Establishments“6.
6
Gayring, Mischa. “Word Up. Rap-Texte als Arbeitsmaterialen für den Unterricht“.
Literaturkritik 12 (12. 2001). Auf:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=4438&ausgabe=200112
[Zugriff erfolgt am: 10.10.2006]
12
Damit schlägt sich die ablehnende Haltung vieler Rapper gegenüber
dem, was man als „klassische Literatur“ bezeichnen könnte nicht nur
auf formaler Ebene nieder, beispielsweise im bewussten Aufbrechen
tradierter Reimschemata, sondern auch auf der intentionalen Ebene.
Rap-Lyrics stehen dabei der traditionellen Gedichtlyrik formell stets
nach, die Form wird sozusagen erst durch die Musik geliefert. Mal
wird Fließtext daraus, mal werden willkürlich Pseudo-Versgrenzen
gesetzt, die sich aber nicht einheitlich durchziehen, da Rap sich nicht
an den Endreim hält, sondern dort reimt, wo es gerade geht. Daraus
resultiert die Lebendigkeit, daraus resultiert die neue Freude am Reim
einer literaturverdrossenen Jugendkultur. Vor allem Jugendliche aus
migrantischen Kulturen bemühen sich um diesen Bruch mit gesellschaftlich etablierten Normen.
Für sie stellen Rap und HipHop ein Gegenentwurf zu bestehenden Lebensweisen dar. Dementsprechend versuchen sie in Konsequenz auch
die sprachlichen Mittel, die sie für diesen Bruch mit der Gesellschaft
einsetzen, im Gegenentwurf zu bisherigen sprachlichen Ausdrucksformen zu entwickeln. Viele Rapper ordnen darüber hinaus ihr Betätigungsfeld eher dem musikalischen oder journalistischem als dem literarischen Gebiet zu. So bezeichnete Chuck D. von der Rap Gruppe Public Enemy HipHop einst als das „CNN der Schwarzen“7. Diese Weigerung einiger Rapper, ihren Rap als literarische Gattung einordnen zu
lassen, kann aber mit dem Verweis auf ihre tatsächliche Unkenntnis
von Literarizität teilweise entkräftet werden: „Die meisten Schriftsteller verstehen von Literatur nicht mehr als Vögel von Ornithologie“8.
Auf der Gegenseite bezeichnen einige Literaturwissenschaftler und kritiker einzelne Rapper hingegen sogar als Dichter und sprechen ihren
Texten besondere poetische Sprachkraft zu:
7
Zugaro-Merimi, Tiziana. „Die Hip Hop Nation“. Auf:
http://www.freitag.de/2002/11/02111101.php. [Zugriff erfolgt am: 10.10.2006]
8
Wikiquote. Auf: http://de.wikiquote.org/wiki/Literatur. [Zugriff erfolgt am:
10.10.2006]
13
Es gibt einen jungen deutschen Dichter, der sich als Rapper etabliert hat. [...] Er heißt Frederik Hahn und nennt sich Torch also ein englisches Wort. Es kann Fackel heißen oder Taschenlampe. Egal, eine Leuchte in Deutschland, wenn er seinen Rap
runterrattert, ist dieser Torch allemal. Warum? Weil er das auf
den Punkt bringt, was in den Augen der Welt und in unserem
eigenen Auge unsere Identität ausmacht“9.
Fasst man nun die Ergebnisse der Anlegung des deskriptiven, des normativen und des pragmatischen Literaturbegriffes auf Raptexte nach
BAASNER zusammen, lässt sich zweifelsfrei von der literarischen
Gattung Rap sprechen, die sich einerseits über Ähnlichkeiten ihrer Texte in Rhythmus und Metrik definiert und andererseits jedoch erheblich
divergiert, was deren Themen und deren sprachliche Darbietung betrifft. Diese Divergenz führte wie bereits aufgezeigt zur Ausbildung
weiterer Subgenres des Rap, wie des Polit-, Gangster- oder BattleRaps, die wiederum, wenn auch weniger deutlich und abgrenzbar voneinander, in sich divergieren.
2.3 Literaturwissenschaftliche Relevanz deutschsprachiger Raptexte
In diesem Kapitel sollen Raptexte hinsichtlich ihrer Relevanz als Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft betrachtet werden. Aus
Gründen der Veranschaulichung soll deshalb die Bedeutung von Rap
und Raptexten für Jugendliche im Kontext politischer und sozialer
Rahmenbedingungen beispielhaft anhand aktueller und gesellschaftlich
relevanter Ereignisse aufgezeigt und anschießend eine entsprechende
literaturwissenschaftliche Relevanz über das gesellschaftliche Bedürfnis nach neuen Erkenntnissen abgeleitet werden. Die landesweiten
Vorstadtkrawalle in Frankreich im Oktober und November 2005 eignen
sich besonders gut, um die Zusammenhänge von Rap, Jugend, Politik
und Literatur an einem konkreten Beispiel aufzuzeigen.
9
Brothers Keepers.
Auf: http://www.brotherskeepers.de/aktivisten_torch.html.
[Zugriff erfolgt am: 10.10.2006]
14
Nach Beendigung der tagelang andauernden gewalttätigen Krawalle im
November 2005 wurde der Justizminister von mehr als 200 Parlamentariern dazu aufgefordert, sieben Rapper strafrechtlich zu verfolgen,
weil diese mit ihren Texten „Hass in der Bevölkerung säen“, „zu Gewalt aufrufen“ und „ihre Musik zu den Faktoren der Unruhen in den
Vorstädten gehört“10. Zu diesen Rappern zählt beispielsweise auch der
Rapper "Fabe", der im Stück „Impertinent“ rapt: „Das Leben ist eine
Demo, Frankreich eine Glasscheibe und ich der Pflasterstein“11.
Der Abgeordnetensprecher Grosdidier verwies dementsprechend auf
einen Zusammenhang zwischen den Vorstadtkrawallen und den Gewalt
verherrlichenden Liedtexten vieler französischer Rapper: „Wenn ich
mit den jungen Leuten diskutierte, hörte ich genau die gleichen Argumente, die auch in den Songs immer wieder auftauchen.“ Natürlich
seien die Raptexte nicht „der ausschließliche Grund“, aber die „ständige Verbreitung dieser Aufrufe zu Gewalt und Aufstand" habe mit dem
Ausbruch der Unruhen "durchaus etwas zu tun“12.
Interessanter Weise äußerten sich auf der Gegenseite viele politik- und
sozialkritische Rapper, dass sie mit ihren Texten nicht aufhetzen, sondern lediglich bestehende Situationen dokumentieren wollten. Das Tages- und Nachtgeschehen in den Vorstädten findet sich in gereimter
Versform in den Raptexten wieder, denn ein Rapper ist „der Lautsprecher einer Generation, ein städtischer Journalist“, stellte der Rapper
Rost in einem Zeitungsinterview fest. Gleichsam erklärte der Rapper
Rohff bezüglich des Zusammenhangs zwischen seinen Raptexten und
den Vorstadtkrawallen: „Natürlich übertreibe ich manchmal in meinen
Texten, aber dabei geht es nur darum, eine bestimmte Realität zu kritisieren“13.
10
Vgl. Rahir, Kim. „Monsieur G. und die bösen Rapper“. Der Spiegel (30. 11.
2005).
11
Hahn, Dorothea. „Flirt mit dem Totschlag“. Die Tageszeitung (30.11.2005).
12
Deutsche Presse-Agentur. „Krawalle bei Paris. Nein zur Gewalt, ja zum Dialog“.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (05. 11. 2005).
13
Rahir, Kim. „Französische Rapper: Wutschreie aus dem Getto“. Der Spiegel
(09.11.2005).
15
Und die französische HipHop-Gruppe Psy4 de la Rime14, die ihre Musik und ihre Texte ein „SOS der Elendsviertel“ nennt, verwies bereits
drei Wochen vor Beginn der frankreichweiten Vorstadtkrawalle in einem Interview auf die bedeutende Aussagekraft der umstrittenen Raptexte selbst: „Es will doch niemand wissen, warum die Leute Autos
kaputtschlagen und Shit rauchen oder verkaufen. Über den Rap könntest du nämlich all diese netten Antworten finden“15. Diese Fähigkeit
aber, Raptexte im Sinne der Autorenintention „richtig“ zu interpretieren, wird dem durchschnittlichen Raphörer vom französischen Kulturminister de Vabres und dem Abgeordneten Grosdidier klar abgesprochen: „Die Leute, die das hören, haben doch nicht die Bildung, die es
ihnen ermöglicht, diese Worte im übertragenen Sinne zu verstehen“16.
Angesichts dieser Ereignisse in unserem Nachbarland Frankreich und
des Wissens um ähnliche soziale Strukturen, Problematiken in der
Migrations- und Bildungspolitik und Einflüsse der Globalisierung,
stellt sich die Frage nach der Wiederholung solcher Ausschreitungen
unter vergleichbaren Umständen und Konstellationen in Deutschland.
Der brandenburgische Innenminister Schönbohm warnte bereits, dass
es „auch in Deutschland Entwicklungen in Richtung Gettoisierung gibt,
weil wir die Integration lange Zeit nicht ernst genug genommen haben”17.
Und auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion
Bosbach beurteilt die Situation kritisch. „Auch wenn die gesellschaftliche Realität bei uns anders ist, sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, daß so etwas wie in Frankreich bei uns nicht geschehen könnte“18.
Die jüngsten Vorfälle an der Rütli-Schule in Berlin im März 2006 und
die Berliner Krawalle vom 1. Mai belegen und unterstreichen die Bedeutung dieser Schlussfolgerung. Für die Literaturwissenschaft ergibt
sich somit auch die Aufgabe, die deutschsprachigen Raptexte auf ihre
14
Sprich: Psy quatre de la Rime, Anspielung auf frz. psychiatre, zu dt.: Psychiater
des Reims.
15
Rahir: Französische Rapper. 2005.
16
Rahir: Monsieur G. und die bösen Rapper. 2005.
17
Rahir: Monsieur G. und die bösen Rapper. 2005.
18
Rahir: Monsieur G. und die bösen Rapper. 2005.
16
Inhalte zu überprüfen und Methoden und Mittel zu ihrer Verständlichmachung bereitzustellen.
2.4 Literarische Situation Jugendlicher in Deutschland
Die literarische Situation der Jugendlichen in Deutschland korreliert
anzunehmender Weise stark mit ihrer sozialen Situation, wie in Kap.
4.2 beschrieben wird, da beide ähnlichen bis identischen Einflussfaktoren unterliegen. Der Schlüssel zum Erfolg, so eine der zentralen Aussagen der Shell-Studie, ist und bleibt der Schulabschluss. Während von
100 Abiturienten nur acht Prozent arbeitslos sind, beträgt diese Quote
bei den Hauptschulabsolventen 28 Prozent. Es ist nicht von der Hand
zu weisen, dass die Kinder von Migranten häufig ein Bildungsdefizit
haben (Hurrelmann und Albert 2006).
In der Grundschule bleiben Kinder aus Migrantenfamilien vier mal so
häufig sitzen wie Kinder von „Einheimischen“. Dabei spielen die mangelnden Deutschkenntnisse eine erhebliche Rolle. So gehen nach wie
vor nur 12 Prozent aller Arbeiterkinder von der Grundschule auf ein
Gymnasium über. Und von allen Migrantenkindern besuchen 50 Prozent eine Hauptschule und nur 9 Prozent ein Gymnasium (Baumert und
Schümer 2001, 373). Hingegen besuchen über 70 Prozent aller Beamtenkinder nach der Grundschule ein Gymnasium.
Die erste gute Note bekam ich dann auch ziemlich schnell,
mein Klassenlehrer war Melle Mel.
Er brachte mir sehr früh schon ziemlich viel bei.
[…] Ach bevor ich’s vergess,
Metaphern lernte ich bei Lord Finesse.
[…] Mein Lieblingsfach das war schnell entdeckt:
Poesie bei last Poets weckt den Intellekt,
oder Politik bei Chuck D...
Ich vergess nie
die Texte von Public Enemy19.
19
Torch. „Als ich zur Schule ging“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records,
2000.
17
Darüber hinaus lässt sich aber für alle Jugendlichen in Deutschland ein
Defizit bezüglich des Umgangs mit Literatur festhalten. Laut einer
PISA-Studie aus dem Jahr 2000 liegen die durchschnittlichen
Leistungen
der
Jugendlichen
in
Deutschland
im
Bereich
Lesekompetenz unter dem Mittelwert der OECD-Mitgliedsstaaten.
Unter Lesekompetenz versteht PISA dabei ein wichtiges Hilfsmittel
für das Erreichen persönlicher Ziele, als Bedingung für die
Weiterentwicklung des eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten
und als Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Der PISA-Test (PISA-Studie 2000) erfasst, inwieweit Schülerinnen
und Schüler in der Lage sind, geschriebenen Texten gezielt
Informationen zu entnehmen, die dargestellten Inhalte zu verstehen und
zu interpretieren sowie das Material im Hinblick auf Inhalt und Form
zu bewerten.
Auch nach einer Studie der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg verlieren Jugendliche die Lust am Lesen. In der
jüngsten Verbraucheranalyse von 2004 gaben nur noch 47 Prozent der
14- bis 19-Jährigen an, gern oder besonders gern Bücher zu lesen. 1995
hatten in dieser Altersgruppe noch 60 Prozent Lesen zu den liebsten
Freizeitbeschäftigungen gezählt. Bis auf die Tageszeitung sind alle
anderen Medien - Musik, Fernsehen, Zeitschriften, Videos, Kino und
Internet - für Jugendliche wichtiger20. Der Rap hingegen erfreut sich
trotz dieser Zahlen einer hohen Popularität unter den Jugendlichen,
womit ihm als literarischer Gattung besonders für die Jugendlichen
eine tragende Rolle zukommt.
.
20
Landeszentrale für politische Bildung. Heilbronner Stimme (07.10.2003). Auf:
http://www.lpb.bwue.de/aktuell/puu/3_04/b9-b15.htm. [Zugriff erfolgt am:
10.10.2006]
18
2.5 Der hermeneutisch-kontextualistische Ansatz
Dieser Arbeit liegt ein hermeneutisch-kontextualistischer Ansatz
zugrunde, der Hermeneutik als Interpretation im Sinne von Auslegung
versteht, auf der letztlich jegliche Form von Wissen beruht. Definiert
wird die Hermeneutik von SCHLEIERMACHER als „die Kunst, die
Rede eines anderen richtig zu verstehen“ (Schleiermacher 1977, 75).
Nach seinem Verständnis kann ein Interpret bzw. Hermeneutiker, der
einen Text verstehen will, niemals vollständig alle möglichen Bedeutungen ausschöpfen. Er muss aber sprachlich möglichst kompetent
sein, so dass er auch den synchronen und diachronen Differenzen innerhalb einer Sprache Rechnung tragen kann.
Diesen Bedingungen zu Folge muss ein hermeneutisches Verfahren zur
Interpretation von deutschsprachigen Raptexten folgende fünf Kriterien
berücksichtigen:
(1) Raptexte können verstanden werden.
(2) Raptexte können bzw. müssen einen Sinn bzw. mehrere
Sinne enthalten.
(3) Der Sinn von Raptexten kann mittels Auslegung, d. h. mittels Interpretation ermittelt werden.
(4) Das Verständnis von Raptexten ist nicht nur eine rein subjektive Tätigkeit, sondern erlaubt insbesondere auch allgemeine
Aussagen, die kommunizierbar und somit für andere Interpreten
nachvollziehbar sind.
(5) Das Verstehen von Raptexten ist ein unabschließbarer Prozess.
Die Hermeneutik verlangt vom Interpreten aber nicht nur eine grammatische, sondern auch eine historische und kulturelle Kompetenz, um
unter der Bedeutungsvielfalt eines Textes die entsprechende richtige
Bedeutung zu entschlüsseln (vgl. Schleiermacher 1977). Diese muss
19
umso größer sein, je mehr - wie gerade in Raptexten - Metaphern und
Anspielungen auf Objekte und Bereiche jenseits des vorliegenden Textes vorhanden sind, da diese stets auch einen zweiten Sinn bedingen.
Um diese dekodieren zu können, muss der Hermeneutiker sich auf der
objektiven und subjektiven Seite dem Urheber gleichstellen: objektiv
durch die Kenntnis der Sprache des Urhebers und subjektiv durch die
Kenntnis dessen äußeren und inneren Lebens. Für die hermeneutische
Interpretation von Raptexten bedeutet dies, diese sowohl im Kontext
der afroamerikanischen Sprachtraditionen und jugendsprachlicher
Merkmale, als auch im Hinblick auf die soziale und persönliche Situation der Rapper, also hermeneutisch-kontextualistisch zu betrachten.
Der hermeneutische Zirkel, der zunächst nur das Verhältnis von Teil
und Ganzem eines Textes bezeichnet, bezieht sich so in Erweiterung
auch auf die psychologische Befindlichkeit der Rapper und auf den
historisch-kulturellen Kontext, in dem ihre Texte entstanden sind.
Eine Erweiterung des hermeneutischen Verständnis findet sich bei
ECO, der darüber hinaus drei Perspektiven unterscheidet, aus deren
Sicht man einen Text interpretieren kann (vgl. Eco 1987, 37ff). Die
erste ist die Suche nach der intentio auctoris (Autoren-Intention), die
zweite die Suche nach der intentio operis (Werk-Intention) und die
dritte das Einbringen der intentio lectoris (Leser-Intention). Erst die
Verbindung aller drei Interpretationen, und die Erfassung der intentio
operis und der intentio lectoris unabhängig von den Intentionen der
Autoren, kann zu einer möglichst vollständigen und richtigen Interpretation führen.
In dieser Arbeit werden die Werks- und Leser-Intention aber ausgeklammert. Die Interpretation der Raptexte konzentriert sich allein auf
die Autor-Intention, deren Verstehen sowohl über Kenntnisse der
Wertvorstellungen und Praktiken der HipHop-Kultur und dem Rap
zugrunde liegender afrikanischer Sprachpraktiken, als auch über Auszüge aus Interviews und Gesprächen mit den entsprechenden Rappern
und Kenntnisse um deren soziale und literarische Situation gewährleistet wird.
20
Zudem wird das richtige Verständnis der Autoren-Intentionen über
deren Verweise auf „die Selbstreflexion der Bedingungen literarischer
Kommunikation“ (Baasner 1996, 25) unterstützt, wie sie BAASNER
als Strukturmerkmale literarischer Texte einfordert und wie sie in Raptexten durchaus zahlreich vorliegen.
21
3. Forschungsgegenstand Rap im Kontext
In dieser Arbeit wird die These aufgestellt, dass deutschsprachige Raptexte eine Literaturform - wenn nicht sogar die einzige Literaturform
und damit die Literatur schlechthin - einer nicht-literarischen Jugendkultur darstellen. Damit ist gemeint, dass sich die migrantisch basierte
und zahlenmäßig dominierte Jugendkultur des HipHops, deren Angehörige aufgrund des sozial schwachen Milieus, aus dem sie ursprünglich stammten und zumeist immer noch stammen, nur selten einen Bezug zu Literatur im klassischen Sinne hatten, im Rap eine eigene Literaturform schuf und fand. In Deutschland dienen deutschsprachige
Raptexte ihren Produzenten und Konsumenten innerhalb und außerhalb
der HipHop-Kultur zur Entwicklung und Etablierung von Identität, zur
öffentlichen Kritik an sozialen Missständen und zum spielerischzwanglosen Spiel mit der deutschen Sprache.
Da mit dieser Arbeit deutschsprachige Raptexte als Forschungsgegenstand in die Literaturwissenschaft noch immer eingeführt werden,
ist eine genaue Schilderung der Hintergründe des Raps an sich
angebracht. Dazu werden Raptexte zunächst näher betrachtet, indem
eine Beschreibung und Erklärung des Raps und seiner Zusammenhänge
mit der HipHop-Kultur gegeben wird. Daran schließt sich eine
soziohistorische Betrachtung der Entstehung und Entwicklung des Rap
im Kontext dieser HipHop-Kultur an. Da diese ein hochgradig
kodiertes und selbstreferentielles Kommunikationssystem ist, bedarf es
verschiedener Kontextualisierungen, um ihre spezifischen Praktiken,
Rituale und Werte nachvollziehbar darzustellen.
Die Betrachtung ist deshalb in vier Phasen gegliedert, die sich mit der
Entstehung und der Entwicklung des Rap in den USA und der
Entstehung des Rap nach afroamerikanischen formalen, stilistischen
und inhaltlichen Vorgaben in Deutschland und seiner weiteren hiesigen
Assimilierung und Akkomodation beschäftigen. Es wird aufgezeigt,
wie Rap zuerst englischsprachig in einem afroamerikanischen
22
Kulturkreis in den USA entstand und sich entwickelte, anschließend
englischsprachig innerhalb eines deutschen Kulturkreis akkomodiert
und letztlich deutschsprachig assimiliert wurde. Bemerkenswert ist
dabei, dass sich sowohl für die Entstehung und Entwicklung des Rap in
den USA, als auch für seine Akkomodation und Assimilation in
Deutschland, primär eine in dem jeweiligen Kulturkreis lebende
migrantische Mischkultur verantwortlich zeichnete.
Außerdem
werden
wesentliche
dem
Rap
zugrundeliegende
afrikanische Sprachpraktiken erklärt und eine Übersicht über die
verschiedenen Rap-Genres gegeben, die sich in Deutschland als
eigenständige Untergattungen entwickelt und etabliert haben.
3.1 Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Rap
im Kontext der HipHop-Kultur
Die soziohistorische Betrachtung der Entstehung und Entwicklung des
Rap im Kontext der HipHop-Kultur ist in vier Phasen gegliedert. Diese
beschreiben die Entstehung und die Entwicklung des Rap in den USA
selbst und die Entstehung des Rap nach afroamerikanischen formalen,
stilistischen und inhaltlichen Vorgaben in Deutschland und seine weitere hiesige Assimilierung und Akkomodation. Dabei werden sowohl die
spezifischen sprachlichen Praktiken und Rituale als auch die Werte und
Ideale der HipHop-Kultur nachvollziehbar dargestellt. Für die Betrachtung dieser Prozesse ist wichtig festzuhalten, dass die Begriffe Rap und
HipHop keine Synonyme sind, sondern vielmehr in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. HipHop ist der Oberbegriff für
einen umfassenderen kulturellen Komplex, der ein gesamtes kulturelles
Umfeld wie spezifische Mode, Stil, Einstellungen und Ideologien umfasst: „HipHop ist nicht Rap. HipHop meint die Synthese aus Sprache,
Bild, Musik und Tanz. Oder anders ausgedrückt: aus Rap, Graffiti, DJ-
23
Techniken und Breakdance. Rap ist [lediglich] das bekannteste und
kommerziell erfolgreichste Feld des HipHop“ (Menrath 2001, 30).
3.1.1 Entstehung des Rap im Kontext der HipHop-Kultur in den
USA
HipHop entstand in den 1970er Jahren in den USA als Subkultur einer
gettoisierten afroamerikanischen Bevölkerung. Seine Inhalte wurde
maßgeblich von den sozioökonomischen Rahmenbedingen der damaligen Zeit und lange vorherrschenden gesellschaftlichen Konflikten geprägt. Im Zuge der De-Industrialisierung in den USA in den 1960er
Jahren stieg gleichzeitig die Arbeitslosigkeit erheblich an und wurden
Bildungs- und Sozialetats gekürzt. Diese Veränderungen betrafen vor
allem Jugendliche ethnischer Minderheiten aus den Gettos der amerikanischen Großstädte. Viele von ihnen waren dort an einem amerikanischen Schulsystem gescheitert, dessen Inhalte nur wenig Berührungspunkte mit ihren existentiellen Grundbedürfnissen aufwiesen. Da ihnen
reale soziale Aufstiegschancen durch die wirtschaftliche, politische und
gesellschaftliche Lage verwehrt blieben, nahmen in Folge Kriminalität
und Bandenwesen in diesen Gettos vermehrt zu.
HipHop kann somit als selbstorganisierter Lösungsversuch afroamerikanischer Jugendlicher einer für sie schwierigen sozialen Situation
betrachtet werden (vgl. Klein und Friedrich 2003, 14ff). Da ihnen die
finanziellen Mittel fehlten, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, kamen sie auf den Straßen und in den Hinterhöfen der Wohnblocks und in leerstehenden Fabrikhallen zusammen und feierten ihre
sogenannten „blockpartys“ (vgl. Loh & Verlan 2002, 39ff u. 54f; Verlan 2003, 140). Als Begründer dieser Partys und damit der HipHopKultur gelten drei DJ-Veteranen Kool DJ Herc, Africa Bambaataa und
Grandmaster Flash ( Krekow & Steiner 2002, 43). Ihnen kommt auch
der Anspruch zu, dessen richtige Geschichte erzählen zu können: "The
only way you gonna hear the real historical views on it is by the people
24
who were actually there- who actually took it from nothing and build
into whatever it became to be."21
Auf den Blockpartys trafen Rapper und DJs auf Graffitisprayer, die mit
ihren an graue Hauswände gesprayten Bildern einen visuellen Rahmen
für die Veranstaltungen schufen, und auf Breakdancer, die mit akrobatischen Körperbewegungen zur Unterhaltung beitrugen. Schnell wurden das Breakdancen und Rappen „zu Wettbewerben zwischen einzelnen Personen und Gangs ausgebaut. Diese subkulturellen, ritualisierten
Veranstaltungen basieren auf dem call-and-response-Prinzip, das aus
der schwarz-amerikanischen Erzähltradition stammend eine lebendige
Interaktion zwischen DJ, Rapper und dem tanzenden Publikum herstellt“ (Klein und Friedrich 2003, 16).
Vor diesem Hintergrund stellte HipHop zunächst eine lokal auf das
Getto begrenzte und damit relativ autarke Subkultur dar, in der Gebiete
und Bereiche zur Selbstbestimmung eingefordert wurden: "Es ging
darum, einen Raum zu erobern, in dem die Angehörigen von Minderheiten und der Gettos ungestört und frei leben, Musik hören und tanzen
konnten" (Poschardt 1992, 394).
Soziale Positionen unter den Jugendlichen wurden innerhalb dieses
gemeinschaftlichen Lebensraumes kompetitiv nach lokal differenten
und subkulturell kodierten Maßstäben, wie individuellen Fertigkeiten
und persönlichem Stil, erworben. Dabei fungierten sowohl die Praxis
des Graffiti-Sprühens, als auch die des Wettstreits zwischen DJs, Breakern oder Rappern als wichtige identitäts- und statusstiftende Rituale,
über die einige der Jugendlichen ihre kriminelle Energie in produktive
Kreativität umzulenken versuchten: „Statt sich gegenseitig umzubringen, trugen Gangs [...] ihre Rivalitäten in sprachgewaltigen verbal contests und DJ-Battles aus“ (Farin 1998, 46). Indem sie auf Straßen und
Plätzen Breakdance trainierten und öffentliche Flächen mit Hilfe von
Graffitis markierten, eroberten sie sich ihre Straßenräume auf gewaltfreie Art zurück. In den öffentlichen Wettkämpfen maßen die Jugendli21
Grandmaster Flash; zitiert nach: Nelson, George. „Hip- Hop´s Founding Fathers
speak the truth.” The Source 11 (1993), 44.
25
chen ihr Können in den verschiedenen HipHop-Disziplinen und verbesserten in einem permanenten Wettbewerb gegeneinander ihre individuellen Fertigkeiten (vgl. Androutsopoulos 2003, 12)
Etwas später führte DJ Hollywood eine spezielle Form des Raps ein:
den begleitenden Sprechgesang in Reimen, eine Mischung aus kurzen
Phrasen, Ausrufen und Scat-Sprache, die am Anfang vor allem bloße
Tanzanfeuerung für die Partygäste war. Aus dieser Funktion des Partyanimateurs und -moderators ergab sich auch die Bezeichnung MC22,
die später durch die Bezeichnung Rapper abgelöst wurde.
Die Aufgabe des MCs bestand anfänglich darin, in Reimen den DJ,
die Musik und sich selbst zu loben. Aber schnell entstand aus dem
MC-ing ein eigenes HipHop-Genre, Rap (Klein und Friedrich 2003,
15f). Die Raptexte dienten zunächst vor allem weiterhin dem Entertainment und der Selbstdarstellung (Klein und Friedrich 2003, 25f),
thematisierten schließlich aber auch die Realität des Gettos und die
sozialen Ungerechtigkeiten. Der Rap begann Geschichten zu erzählen
und seine Themen spiegelten den Alltag der Jugendlichen wider: Armut, Kriminalität, Drogen, aber auch Sex und Partys.
3.1.2 Entwicklung des Raps im Kontext der HipHop-Kultur in den
USA
Um 1980 herum entwuchs die Musik des HipHop ihren subkulturellen
Ursprüngen. In den Studios der Plattenfirmen entwickelte die Musikindustrie ein neues Genre, den Rap. 1979 landet die Sugarhill Gang mit
dem „Party-Song“ Rappers Delight den ersten Rap-Hit. Damit machten
sie Rap und HipHop über die Grenzen des New Yorker Gettos hinaus
in den USA und sogar weltweit bekannt. Allerdings hatten die Rapper
der Sugarhill Gang kaum etwas mit der HipHop-Szene der Bronx zu
tun, sondern waren lediglich das Produkt einer Plattenfirma. „‚Rapper’s
22
MC ist die Abkürzung für master of the ceremony bzw. master of the crowd (Engl.:
Zeremonienmeister, Beherrscher der Menge).
26
Delight’ war von Studio-Musikern gespielt und von 3 No-Name-MCs
gerappt, die mehr oder weniger gecastet waren und geklaute Reime
benutzten“ (Krekow & Steiner 2002, 249; vgl. auch Toop 2000, 96 und
Güngör & Loh 2002, 40).
Durch ihren Erfolg setzte die Kommerzialisierung des HipHop ein.
Viele Rapper der ersten Stunde erhielten nun ebenfalls Plattenverträge
und die HipHop-Kultur verlor ihren performativen Charakter. Auf den
Blockpartys hatte HipHop sehr vom Dialog mit dem Publikum gelebt,
bei dem die Musik und die Raptexte in einmaliger und nicht reproduzierbarer Form vorgetragen wurden. Dies war im Verewigen der Musik
und der Texte auf Vinyl nicht gegeben. KLEIN und FRIEDRICH
(2003, 20) sehen deshalb einen „Verrat an den Idealen des realen, authentischen HipHop“ in dieser Entwicklung: „Das Pressen der DJMusik auf Vinyl markiert daher weit mehr als nur den Beginn ihrer
Kommerzialisierung. Der Ereignischarakter der DJ-Musik geht verloren. DJ-Musik wird Text, der unabhängig von Autor und Publikum
existiert“.
Zeitlich und inhaltlich lässt sich die Entwicklung des Rap also wie
folgt klassifizieren: den Anfang bildete von 1970 bis 1979 die „Old
School“. 1980 entwickelte sich parallel zu ihr die sogenannte „New
School“ (Toop 2000, 183f). Diese beiden Strömungen wurden Anfang
der 90er Jahre um die „No School“ oder „Next School“ ergänzt (Verlan
2001, 12). Zu diesem Zeitpunkt spaltete sich die HipHop-Kultur nämlich in eine Bewahrer-Kultur, die „Old School“ und eine Pop-Kultur,
die „New School“, die aber beide gleichberechtigt die kulturelle Praxis
des HipHop definierten. Während die „Old School“ ausschließlich auf
die New Yorker Bronx konzentriert war, die enge Verbindung von Rap
und Breakdancing kultivierte und deren performative Streitkultur in
den Vordergrund stellte, entstand die „New School“ mit ihren neuen
Rapszenen mit eigenen spezifischen Raps in Los Angeles, San Francisco, Houston und Chicago. Diese neue HipHop-Bewegung kultivierte
neue Stile und Subgenres, und Rapper begannen erstmals ihre Musik
27
selbst zu vermarkten. Der „New School“-Rap und seine Inhalte wurden
zunehmend politisch und dokumentierten die ausweglose Situation
schwarzer Jugendlicher, Rassismus und Gewalt. Mit „The message“
von Grandmaster Flash wurde an der Ostküste zum ersten Mal eine
sozialkritische und politische Stimme laut und wenig später sorgte die
Gruppe Public Enemy für weltweites Aufsehen. An der Westküste entstanden zeitgleich zahlreiche weitere Rap-Subgenres wie der von
N.W.A., Ice Cube und Ice T begründete Gangster-Rap, der Pimp-Rap
und Story-Rap (Klein und Friedrich 2003, 17). Der nun von einer Kulturindustrie getragene Rap breitete sich in Folge global aus und wurde
in zahlreichen kulturell differenten Varianten lokal akkommodiert und
assimiliert (vgl. Androutsopoulos 2003, 11f).
3.1.3
Entstehung des Raps im Kontext der HipHop-Kultur in
Deutschland
Im Vergleich zur Entstehungsgeschichte des afroamerikanischen Raps,
die lokal auf die New Yorker Bronx der 1960er Jahre begrenzt ist, lässt
sich die Entstehungsgeschichte des deutschsprachigen Raps weder zeitlich noch räumlich so eindeutig bestimmen, da in der Szene darüber
eine diffuse und nicht genau belegbare Meinung herrscht. Vor allem
die lokale Zuordnung der Entstehung von Rap, und damit von HipHop
in Deutschland, ist bis heute in der Szene umstritten. So wird bis heute
von vielen Rappern in ihren Raptexten bewusst die eigene Stadt als
Ursprung der HipHop-Kultur in Deutschland propagiert, auch wenn die
Stadt Heidelberg von Szenegrößen wie Matthias Lanzer, dem Herausgeber des „Rap Nation Magazin“, als dieser anerkannt wird: „Den Anfang und die Wiege der deutschen HipHop-Szene würde ich schon irgendwie der Stadt Heidelberg zusprechen, da dort die meisten Strukturen mit Graffiti, Breakdance und Rap zusammenliefen. Die Heidelberger Schule hat dies auch sehr stark forciert und viele Leute inspiriert,
etwas zu machen“ (Krekow & Steiner 2002, 349).
28
Anzunehmen ist aber ohnehin, dass Rap in Deutschland in mehreren
Städten gleichzeitig entstand, da er hier nicht erfunden wurde, sondern
mit all seinen bis dahin entwickelten Subgenres in den 1980er Jahren
als ein durch Massenmedien wie Radio und Fernsehen transferiertes
fertiges Produkt nach Deutschland kam. Der von den Medien importierte HipHop fand hier vor allem bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation wie die GettoJugendlichen in den Staaten sahen, einen euphorischen Widerhall. Sie
begannen sich die Aktionsarten der HipHop-Kultur, und insbesondere
des Raps, anzueignen und mit ihrer eigenen Lebenswelt zu verbinden
(vgl. Farin 1998, 47). Schauplatz dieser Subkultur dabei vor allem auf
selbstorganisierten Veranstaltungen in Jugendhäusern, Lagerhallen und
anderen frei verfügbaren Räumlichkeiten. Hier wurde zunächst meist
auf Englisch gerappt, was angesichts des amerikanischen Vorbilds nahe lag. Mit den ersten Erfahrungsgewinnen aber kamen auch die ersten
migrantischen Rapgruppen auf, die Texte in ihrer Muttersprache verfassten. Dies waren zumeist türkische Jugendliche, die wohl den größten Teil der ursprünglichen HipHop-Bewegung in Deutschland ausmachten. Für viele von ihnen war die Verwendung der deutschen
Sprache von Beginn an ein Problem. Die Gründe, die gegen eine Verwendung des Deutschen als Rapsprache vorgebracht wurden, waren
vielfältig. Einige Rapper betrachten das Englische als einzig legitime
HipHop-Sprache, andere, die sich dafür entschieden, auf Türkisch zu
rappen, lehnten Deutsch als Herrschaftssprache ab, wieder andere bezogen sich auf den holprigen, harten Klang deutscher Wörter (Güngör
& Loh 2002, 55).
Aber es gab auch Ausnahmen wie Fresh Familie, Sons of Gastarbeita,
Islamic Force, Kanaks with Brains oder Kanakencamp, die in ihren
Texten ihre Erfahrungen als Einwanderkinder zweiter Generation verarbeiteten und über die sozialen Missstände, Rassismus und ein fehlendes Integrationsbemühen seitens der deutschen Gesellschaft rappten:
29
jetzt sind wir da, die söhne der gastarbeita
ich denke, allmählich gescheiter, und ein teil dieser kultur pur
wir sind nicht nur die gäste im eigenen land
mit verstand baut keiner auf sand, wir leben hier, soweit es geht
wollen wir zurück? Ist doch viel zu spät!
konkret gefragt: zurück wohin?
mal ganz ehrlich, da fehlt mir jeder sinn
ich bin, was ich bin, ein sohn dieser region
unabhängig von tradition und religion
in diesem land gebildet, verkannt, gemieden, anerkannt
mit dem rücken an die wand für kreativen widerstand
also frag nicht, wer wir sind
wir sind die söhne der gastarbeita.23
So ist HipHop im Prinzip auch in Deutschland „auf der Straße entstanden und wurde von denen groß gemacht, die in der deutschen Gesellschaft nicht die besten Aussichten auf Erfolg hatten“ (Krekow & Steiner 2002, 19). Und auch wenn die deutsche HipHop-Kultur angesichts
des Vorwurfs ein "vorgefertigtes Klischee" oder "Ausfluss von Marketingstrategien" zu sein, schnell in Rechtfertigungsdruck geriet, hatte sie
auf sozialer Ebene vergleichbare positiv kanalisierende Einflüsse auf
viele Jugendliche und bot Ihnen einen medialen Freiraum zur Suche,
Findung, Entwicklung und Behauptung ihrer Identität.
Die kulturelle und soziale Integrationskraft von HipHop in den
Achtzigerjahren und frühen Neunzigerjahren kann kaum überschätzt werden. [...] Die HipHop-Kultur bot zudem einen kulturellen Rahmen, in dem sich deutsche Jugendliche und Migrantenkids treffen und austauschen konnten, ohne dass die gängigen Vorurteile und Rassismen der Mehrheitsgesellschaft eine
Rolle gespielt hätten. (Krekow & Steiner 2002, 22)
Durch die zunehmende Kommerzialisierung des Raps änderte sich diese Entwicklung aber und führte zu einer Spaltung der Rap-Szene, jedoch nicht der gesamten HipHop-Kultur, zwischen migrantischen
Jugendlichen
aus
sozial
schwachen
Milieus
und
deutschen
Jugendlichen aus dem sozialen Mittelstand.
23
Sons of Gastarbeita. „Die Söhne der Gastarbeita“. 1995. In: Güngör & Loh 2002,
61.
30
3.1.4 Entwicklung des Raps im Kontext der HipHop-Kultur in
Deutschland
Anfang der Neunziger Jahre vollzog sich in der deutschen HipHopSzene eine tiefgreifende Veränderung, die auch von enormer Bedeutung für die gesamte deutsche Gesellschaft sein sollte. Die türkische
Rapgruppe Fresh Familee veröffentlichte 1991 die erste Platte mit
deutschsprachiger Rap-Musik (Klein und Friedrich 2003, 14). Das war
in Deutschland bis dahin undenkbar gewesen, da vor allem auf Englisch, aber auch in allen anderen Sprachen gerappt wurde, nur nicht auf
Deutsch. Auch die aus Jugendlichen migrantischer Abstammung bestehende Gruppe Advanced Chemistry aus Heidelberg schaffte mit ihrem
deutschsprachigen Rap „Fremd im eigenen Land“ 1992 den Durchbruch und sorgten erstmals für eine breitere Wahrnehmung der Raptexte innerhalb und außerhalb der noch überschaubaren Szene:
Viele der Stücke, die wir später auf Deutsch veröffentlicht haben, waren im Konzept und als Songs schon vorher auf Englisch geschrieben worden. Es ging uns also nie um die Sprache
an sich. Es ging uns darum, die gleichen Ideen einer plötzlich
größer werdenden Menge von Leuten zugänglich zu machen.
‚Fremd im eigenen Land’ existierte schon in der Version
‚Stranger in my own land’. [...] Wir haben bei dem Song schon
1990 in Bern auf dem ‚CH-Fresh’ unsere grünen Pässe gezeigt,
und die Leute sind ausgeflippt. Die haben verstanden, worum es
ging. Irgendwann merkst du, während du da mit deinem grünen
Pass stehst und auf Englisch rappst, dass dein Publikum größtenteils deutschsprachig ist. Und dann denkst du: hier stimmt
was nicht. Das war der Zugang zu deutschen Rap. (Linguist
von Advanced Chemistry. In: Güngör & Loh 2002, 134)
Diesen von migrantischen Jugendlichen geschaffenen Zugang zum Rap
machten sich auch unmittelbar darauf Die Fantastischen Vier, eine
Formation deutscher mittelständischer Jugendlicher, zunutze und erlangte mit ihren deutschsprachigen Raptexten als erste Chart-Erfolge.
Ihre Pionierarbeit war die Basis dafür, dass auch deutsche Jugendliche
aus dem Mittelstand die HipHop-Kultur als Ausdrucksmöglichkeit entdecken konnten (vgl. Farin 1998, 57).
31
Der Erfolg der Fantastischen Vier brachte viele Jugendliche dazu, sich in deutschsprachigen Reimen zu probieren. Noch prägender wirkte die Arbeit der Kolchose auf die Entwicklung der
HipHop-Szene. Die Massiven Töne, Die Krähen, Freundeskreis
und viele andere Bands schufen mit der Kolchose in wenigen
Jahren ein dichtes Netzwerk, das jüngeren Aktivisten ermöglichte, ihre Ideen umzusetzen, ohne sich an den Vorgaben der
Industrie orientieren zu müssen. (Krekow & Steiner 2002, 19)
Damit vollzogen sich zwei Entwicklungen: erstens gab es erstmals seit
dem 2. Weltkrieg eine deutschsprachige Musik mit ernstzunehmenden,
sozial-kritischen Texten und zweitens spaltete sich die HipHop-Szene
nun in eine migrantische und eine deutsche Seite auf, wobei es auch
vereinzelt Grenzgänger zwischen beiden Seiten gab. Dabei erwies sich
die Geschichte des deutschen HipHop als Verdrängungsprozess: Die
Migranten, die den HipHop hierzulande etabliert hatten, wurden in den
Neunzigern vom Spaß-HipHop des deutschen Mittelstandes ins Abseits
gestellt, da dessen Gruppen wie eben die Fantastischen Vier oder Fettes Brot sehr schnell von der Plattenindustrie entdeckt und vermarktet
wurden. Die vorher noch sehr unabhängige Szene entwickelte sich im
Laufe der Jahre dadurch rasant zu einem Massenphänomen, bei dem
ein regelrechter Ausverkauf stattfand. Zudem beschränkten sich immer
mehr Anhänger darauf nicht selbst aktiv, sondern lediglich Fan zu sein.
Dies war zur Anfangszeit, als HipHop in Deutschland noch eine Kultur
der Aktiven war, nicht möglich gewesen.
In Folge entwickelte sich ein zunächst nicht ganz ernst gemeinter verbaler Schlagabtausch zwischen vornehmlich aus migrantischen und
vornehmlich aus deutschen mittelständischen Rappern bestehenden
Gruppen. Als Ursprung des deutschen Battle-Raps gilt dabei die langjährige Auseinandersetzung zwischen dem Rödelheim Hartreim Projekt aus Frankfurt und den Fantastischen Vier aus Stuttgart, die sich in
mehreren Raps aufeinander bezogen und gegenseitig „dissten“24. Beide
24
Dissen, von to disrespect (engl.), ist ein wesentliches Element des Raps. Der reale
oder fiktive Gegner wird dabei im wahrsten Sinne des Wortes „runtergeredet“, indem
ihm bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten und ein bestimmter Status in der
Gesellschaft und der HipHop-Szene abgesprochen werden. Meist geht das Dissen mit
dem Boasten einher, dem Lobpreisen der eigenen Person bezüglich eben jener
Eigenschaften und Fähigkeiten.
32
Rapgruppen bezogen dabei deutlich konträre Positionen, die sich aber,
allem öffentlich inszenierten Aufruhr zum Trotz, bedenkenlos im
Rahmen der HipHop-Kultur vereinen lassen. So erklärte Thomas D.
von den Fantas in einer MT Show auch ganz nüchtern: "We are from
the Mittelstand"25, während in den Raps der Rödelheimer zwischen den
Zeilen immer wieder der Triumph des eigentlich chancenlosen sozialen
Außenseiters aufblitzte, der dank seiner Härte, Stärke, Zähigkeit und
seiner überragenden Rapfähigkeiten letztlich doch erfolgreich(er) ist.
Nach und nach beteiligten sich weitere Gruppen in Interviews und
Raps an den verbalen Auseinandersetzungen und es bildeten sich quasi
zwei regelrechte Fronten aus: die meist migrantischen „Straßenrapper“,
die auf die Authentizität der in ihren Texten geschilderten Erlebnisse
beharrten, und die mittelständischen „Spaßrapper“, die der Auffassung
waren, der Rap und seine Aussagen und Attitüden ließe sich nicht eins
zu eins in die deutsche Kultur übertragen, da für die untere soziale
Schicht in Deutschland eine noch immer deutlich bessere Lebenssituation vorherrschen würde, als für die untere soziale Schicht in den afroamerikanisch Gettos der USA.
Bis zum Ende der Neunziger Jahre bildete sich dann eine Vielfalt von
Rapgenres in Deutschland aus. Dabei formten einige Großstädte und
ihre umliegenden Regionen schwerpunktmäßige Ballungszentren für
ein jeweils bestimmtes Genre. So war Hamburg eine Bastion des PartyRaps, Heidelberg Stellvertreter des sozial- und politkritischen Concious-Rap, Stuttgart die Stadt der Dichter und Denker und der Ruhrpott
mit Dortmund, Köln und Essen eine Hochburg einer fast ausschließlich
auf die Szene selbst bezogenen Rapkultur. Danach kam die deutsche
Rapszene nahezu zum Erliegen und das mediale Interesse ließ merklich
nach, da es an neuen Impulsen fehlte.
Erst zwei Jahre später erfuhr der deutschsprachige Rap zu Beginn des
neuen Jahrtausends eine Renaissance. In Berlin schoss wie über Nacht
eine Rapszene aus dem Boden, die sich über Jahre hinweg im Schatten
25
http://www.zeit.de/archiv/1999/18/199918.fantastischen_.xml
33
der Medien etabliert hatte: der deutsche Gangster-Rap. In gewisser
Weise stellte er den Versuch jugendlicher Migranten dar, sich nachträglich an der Kommerzialisierung der von ihnen in Deutschland begründeten HipHop-Kultur zu beteiligen, nachdem ihnen bis dato medientauglichere deutsche Jugendliche und Heranwachsende den Rang
abgelaufen hatten.
Mit unverhohlenen Provokationen gewannen diese Rapper wie Kool
Savas, Sido, Bushido, Fler oder die Rapgruppe M.O.R die Aufmerksamkeit und das Interesse der Medien und die Begeisterung vieler Jugendlichen. Ihre Texte überschreiten selbst unterste Grenzen des sonst
üblichen Vokabulars im deutschen Rap und beinhalten misogyne Aussagen, in denen Frauen meist nur auf sexuelle Aspekte reduziert werden,
Ihr wollt Romantik? Ich fick mit der Faust!
Ich mag es, wenn Du weinst. Komm, Nutte, bounce.
Spar dir Deine Blumen, hoch mit dem Rock!26,
die Verherrlichung des Gettos, von Gewaltanwendung und Drogenkonsum
In meinem Block gelten Regeln, die wir selbst aufstellen.
Wenn Du nicht von hier bist, ist es garantiert,
dass Du auffällst. Wir brauchen mehr Geld,
mehr Gold, mehr Gras, SL und mehr Spaß.
In meinem Block haben wir unsere eigene Mode:
Reebok Classic, Azad-Shirt und 'ne Trainingshose.
Unser Catwalk ist der Asphalt,
wir leben hier im Dunkeln auf der Suche nach dem Licht,
wir sind Nachtfalter. Wir sind Machthalter,
Nordwest Stadt, wir sind Macht, Alter!.27
und nationalsozialistisches Vokabular:
„Denn ohne mich wird deutscher Rap
schon wieder nicht hart.
Schon wieder ein Tag,
an dem ich eure Lieder nicht mag.
26
Bushido. „Pussy”. Auf Album: Vom Bordstein bis zur Skyline. Aggro Berlin,
2003.
27
Azad. „Mein Block“. Auf Album: Der Bozz. Bozz Music, 2004.
34
Salutiert, steht stramm!
Ich bin der Leader wie A.“28
Allerdings dauerte diese Renaissance des Raps in Deutschland nur
zwei Jahre und kam bereits 2005 wieder zum Erliegen, da sie sich zum
einen größtenteils auf Berliner Rapper beschränkte und zum anderen
weitere neue Impulse ausblieben. Trotzdem interessieren sich nach
einer Schätzung des Portals für Jugendszene-Forschung der Universität
Dortmund29 derzeit allein in Deutschland weit über drei Millionen Jugendliche für HipHop. Mehrere hunderttausend davon betätigen sich
aktiv in einer der vier Sparten dieser Subkultur.
3.2 Afrikanische Sprachpraktiken im Rap
Ein wesentliches Element, das den deutschsprachigen Rap von anderen
Musikformen in Deutschland unterscheidet, sind eine Vielzahl afrikanischer Sprachpraktiken, die dem Rap zugrunde liegen. Ein genaues
Wissen um ihre Beschaffenheit, ihre kulturellen Hintergründe und ihren Einfluss auf den deutschsprachigen Rap ist deshalb zwingend notwendig, um sich einem richtigen Textverständnis annähern zu können.
Rap steht eindeutig „in der Tradition des für westafrikanische Kulturen
charakteristischen Umgangs mit Rythmen und Tonsprachen, die in den
schwarzen Gettos Nord-Amerikas eine eigene Grammatik gefunden
haben und von der performance-orientierten Poesie des black art movement der 1960er und 1970er Jahre ästhetisiert worden sind“ (Klein
und Friedrich 2003, 15).
Die Rapper griffen auf verschiedene afrikanische Sprachtraditionen
zurück und setzten sie in den Kontext amerikanischer Kultur und Sprache. So stellt beispielsweise das Playing the Dozens eine stilisierte
Form des Schlagabtauschs über Beschimpfungen und Beleidigungen
dar, die zur gegenseitigen Unterhaltung von Männern in der Sklaverei,
28
29
Bushido. „Electro Getto”. Auf Album: Electro Getto. Urban, 2004.
http://www.jugendszenen.de/hiphop/detail.php?nr=229
35
in Gefangenschaft und im Militärdienst praktiziert wurde und die als
kulturelles Erbe im Rap weitergeführt wird.
Eine weitere bedeutende afrikanische Sprachtradition, die dem Rap
zugrunde liegt, ist die mündlichen Überlieferung von Neuigkeiten und
geschichtlichen Ereignissen, die sogenannte ‚oral history’, die ursprünglich im Sinne eines Berufes ausgeübt wurde. Dieser heißt Griot,
“which can be translated as news-singer or bard or rhapsode.
Griots are the oral historians of West-African societies, and they
also deliver news. They do so by travelling from village to village and singing the news, the history of the “tribe”, or traditional folk-tales, accompanying themselves by various string instruments. The profession of the griot is a family-trade: the
skills - and the knowledge, i.e., the history - is passed on from
generation to generation within a griot family.“30
Dieser Prozess der Akkomodation an Lebensumstände in Amerika
durch Assimilierung afrikanischer Sprachpraktiken setzte bereits zur
Zeit der Sklavenhaltung im 18. und 19. Jahrhundert ein. Da es den afrikanischen Sklaven verboten war, ihre Muttersprachen zu sprechen,
kodierten sie die amerikanische Herrschaftssprache, um ihre Aufseher
und Halter in deren Gegenwart unerkannt und damit ungestraft beleidigen und sich frei miteinander unterhalten zu können.
Ein wesentliches Merkmal dieser Kodierung stellt die direkte Sinnumkehrung sprachlicher Zeichen dar. Eines der bekanntesten und
gleichzeitig am meisten missverstandenen Beispiel hierfür ist das Wort
„Nigger“, das von einem Weißen gesagt als Schimpfwort gilt, von einem Afroamerikaner zum anderen aber ein Ausdruck der Anerkennung
der eigenen Identität im anderen war und damit größte Wertschätzung
bedeutete. Umgekehrt bedeutet ein einem Weißen gegenüber geäußertes Lob eine entsprechende Beleidigung. Diese ironische Form der
Kodierung wurde auch in den Rap übernommen, der für NichtSzenezugehörige zahlreiche un- und missverständliche Worte, Metaphern und Aussagen enthält. Die Sprache war und ist insofern subversiv, dass Ihre Doppeldeutigkeiten oder die extremen Übertreibungen
beim „Shit talking“ oft lediglich für die Angehörigen derselben Stadt30
www.utexas.edu/coc/cms/faculty/streeck/hiphop/Ancestor_genres.pdf
36
viertel zu dekodieren sind (vgl. Farin 1998, 46ff). Rap bot also nicht
nur ungeheuer aufregende Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl zu steigern, sondern verband die Jugendlichen auch durch Anspielungen auf
gemeinsames Alltagswissen.
Besonders ist dies im Genre des Battle-Raps der Fall, dessen Texte auf
gegenseitigen Beschimpfungen und Beleidigungen basieren, die aber
nicht wörtlich, sondern als Teil eines am Wettkampfgedanken orientierten Rituals zu verstehen sind und aus afrikanischen Sprachtraditionen entstammen. Unter dem Begriff des Battle (engl. Schlacht,
Kampf) sind also „konkrete künstlerische Auseinandersetzungen“
(Loh & Verlan 2002, 343) zu verstehen, die es nicht nur im Rap, sondern auch in den drei anderen Ausdrucksformen der HipHop-Kultur Sprayen, DJ-ing und Breaken - gibt, da der Battle-Gedanke an sich tief
im HipHop verwurzelt ist: „Und Wettbewerb war das Herz des HipHop. Sein Prinzip“ (Toop 2000, 22).
Der Rap, und der Battle-Rap im Speziellen, ist daher als Transfer einer
körperlichen gewaltvollen Selbstbehauptung ins Sprachliche zu betrachten. Sein Prinzip, aus dem Überlebenskampf in den afroamerikanischen Gettos der 70er Jahre stammend, ist auch heute noch das der
Auseinandersetzung geblieben. Rhetorische Begabung, Rhythmusgefühl und Auftreten ersetzen physische Stärke und Schnelligkeit, der
sprachliche Schlagabtausch verdrängte die brutalen körperlichen Aufeinandertreffen. Gezielt werden mit der Bedeutungsvariation von
Sprache gespielt und gesellschaftliche Tabus gebrochen. Die eigene
Person wird in den Mittelpunkt erhoben und jeder mögliche oder tatsächliche Gegner mit bloßen Worten niedergerungen und bezwungen.
„Sprichwörter, Verdrehungen, Witze, fast alle Arten von Diskurs werden benutzt, aber nicht im Sinne einer diskursiven Kommunikation,
sondern als Waffe in Sprachwettkämpfen“ (Diedrichsen 1993, 48).
37
Im Rap finden Battles entweder als Freestyle-Battles 31 oder in geschriebenen Battle-Raps statt. Beide haben als Battle-Texte gemein,
dass in ihnen die Sprechakte Boasting und Dissing dominieren, die
komplementär zueinander agieren. Beim Boasting (engl. angeben oder
prahlen) versucht der Rapper „seine Qualitäten in Style, Skills, Flow
und Metaphorik unter Beweis zu stellen“ (Loh & Verlan 2002, 344).
Der Inhalt ist dabei jedoch nicht, wie LOH und VERLAN an dieser
Stelle fortfahren, nebensächlich, sondern besteht eben aus der Kunst
der Selbstdarstellung und der Erhöhung des eigenen Selbst über den
Vollzug sprachlicher Handlungsakte, die sich hauptsächlich auf die
Fähigkeiten, den Erfolg und das Ansehen als Rapper, auf sozialen und
beruflichen Erfolg und auf physische und psychische Qualitäten wie
gutes Aussehen, Stärke, Gewitztheit und Intelligenz im allgemeinen
beziehen. Das Pendant zum Boasting ist das Dissing (abgeleitet von
engl. disrespect: beleidigen, beschimpfen), bei dem ein oder mehrere
reale Gegner oder ein unbestimmtes lyrisches Du angegriffen werden.
Auch hier ist die Qualität von Style, Skills, Flow und Metaphorik für
den Erfolg des sprachlichen Handlungsvollzugs ausschlaggebend.
Die Erhöhung der eigenen Person im Boasting erfolgt also in Abhängigkeit zum Herabsetzen des/der anderen im Dissing. Mit „angeben“
und „beleidigen“ übersetzt, gehören beide Sprechakte zu einer Gruppe
„illokutionärer Verben“, die keine performative Verwendung haben.
Mit der Aussage „Ich beleidige Dich“ ist der Akt der Beleidigung nicht
zu vollziehen, ebenso verhält es sich mit dem Angeben (vgl. Searle
1990, 25f). Aus diesem Umstand ergibt sich für die Rapper die Notwendigkeit, auf sprachlich kreative Weise eigene Wege zu finden, um
die Sprechakte im gewünschten Sinne zu vollziehen.
Neben dem Boasting und dem Dissing existieren in Raptexten noch
drei weitere sprachliche Praktiken: das Teaching, das Toasting und das
Signifying. Während letzteres in gewisser Weise sehr vielen Sprechak31
Freestyle-Raps werden spontan improvisiert und rein mündlich vorgetragen, meist
im ritualisierten oder persönlichen Schlagabtausch mit einem anderen Rapper.
38
ten im Rap genreübergreifend zugrunde liegt, stehen die ersten beiden
Praktiken in enger Verbindung mit jeweils spezifischen Rap-Genres, da
diese mit ihren Texten jeweils eine bestimmte Intention verfolgen, die
sie von den anderen Genres unterscheiden und abgrenzen.
So ist beispielsweise das Teaching die zugehörige Praktik zum PolitRap. Da dieser dem Publikum einen meist politisch oder sozialen
Sachverhalt vermitteln will, wird der Hörer oder Leser oft direkt angesprochen (Loh & Verlan, 2002, 348). Das Toasting, das sich vorwiegend in den Story-Raps wiederfindet, ist eine alte jamaikanische Erzähltradition, die schon zu den Anfangszeiten der HipHop-Kultur in
der Bronx in den Rap importiert wurde. Das Signifying hingegen ist
„die Kunst des anspielungsreichen Sprechens“ (Loh & Verlan, 2002,
351), die beim Rezipienten Assoziationen erzeugen soll, die in inhaltlich verschiedene Richtungen gehen. Es kommt genreübergreifend zur
Geltung und bezeichnet die Ironie, die den Sprechakten innewohnt.
3.3 Rapgenres in Deutschland
Der Rap in Deutschland lässt sich in sechs verschiedene Genres unterteilen, die weniger formal als textlich-inhaltlich voneinander differenzieren. Ein siebentes Sondergenre stellt zudem der Freestyle-Rap dar, der
sich durch seine Produktions- und Vortragstechnik von den anderen
Genres unterscheidet.
3.3.1 Polit-Rap
Der bis heute wohl prominenteste HipHopper weltweit, der HipHop
nicht nur als Kunst, sondern als politisches Medium verstanden wissen
will, ist der Afroamerikaner Afrika Bambaataa aus den USA. Ihm wird
nachgesagt, den Wettkampf-Gedanken in der HipHop-Kultur etabliert
zu haben und somit viele gewalttätige, rivalisierende Straßengangs in
39
Crews verwandelt zu haben, die ihre Konflikte größtenteils im spielerischen Wettstreit miteinander austrugen. Dabei spielte die Möglichkeit
zur Kanalisierung und zum verbalen Ausdruck von Existenz- und Zukunftsängsten eine wichtige Rolle.
Auch der deutschsprachige Polit-Rap (auch Message-Rap oder Concious-Rap genannt) stammt meist von türkischen, italienischen, slawischen oder afrodeutschen Jugendlichen und beinhaltet explizit formulierte Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und Rassismus in Deutschland.
Die Raps beinhalten zumeist eine eindeutige Botschaft, also eine klare
Aussage politischer Natur, die einerseits Kampfansage an eine fiktive
„bösartige“ deutsche Gesellschaft und andererseits Aufruf zur Vereinigung und Handlung der eigenen sich in der Minderheit befindenden
Gesellschaft ist.
Anlässlich massiver und gewalttätiger rassistischer Ausschreitungen
in Rostock und Solingen 1991 veröffentlichte beispielsweise die Gruppe Advanced Chemistry aus Heidelberg 1992 mit Fremd im eigenen
Land den der ersten deutschsprachigen Polit-Rap, der es über die Szene
hinaus zu gesamt-gesellschaftlicher Wahrnehmung brachte. Die Gruppe besteht wie viele Rapgruppen in Deutschland aus drei Jugendlichen
migrantischer und migrantisch-deutscher Abstammung. Ihr Rap prangert deutlich die Einstellung der deutschen Gesellschaft zur migrantischen Minderheit an und versuchte letztere auf gemeinsamen Zusammenhalt einzuschwören:
Ausländerfeindlichkeit, Komplex der Minderwertigkeit.
Ich will schockieren und provozieren,
meine Brüder und Schwestern wieder neu motivieren,
[...] Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land,
kein Ausländer und doch ein Fremder.32
Hingegen gibt es aufgrund einer historisch verwurzelten Befangenheit
nur wenige deutschen Rapper, die öffentlich über das Thema „Rassismus“ oder „Deutschland“ rappen oder überhaupt dementsprechendes
32
Torch. „Fremd im eigenen Land“. Auf Maxi CD: Fremd im eigenen Land. Mzee,
1992.
40
Vokabular verwenden können. Einer dieser wenigen, der in der HipHop-Szene in Deutschland und in der Gesellschaft, soweit sie ihn
denn wahrnimmt, aufgrund seiner Rap-Fertigkeiten und der Deckungsgleicheit seiner Texte mit seinem wirklichen Leben dazu legitimiert ist, ist der Rapper Curse, mit bürgerlichen Namen Michael Sebastian Kurth, aus der ostwestfälischen Kreisstadt Minden:
Ich geb 'n Fuckfinger an alle Politiker!
[...] Wer jetzt noch rapt ohne Sinn,
ist genauso schlimm wie die Nazis!33
Warum nicht einfach so tun,
als wär Deutschland das Paradies,
weil’s hier keine Nazis
in Politik und Wirtschaft mehr gibt.34
Im Ernst, ich bin selber froh das Stoiber nicht da ist,
wo der Schröder sitzt und entscheidet,
wieviel Steuern der Staat kriegt.
Meine Stimme kriegen niemals die Nazis.
Das soviel klar ist.35
Im Laufe der Zeit wurde der Polit-Rap aber auch um allgemeine Gesellschaftskritik, besonders an der Konsumgesellschaft, und um oft
abstrakte, philosophische Aussagen erweitert. Themen wie Umweltschutz, Bulimie, Feminismus, Globalisierung, etc. wurden in der Regel
von jugendlichen Rappern aufgegriffen, die aus dem deutschen Mittelstand stammten und von der migrantisch dominierten HipHop-Szene
weitgehend ausgegrenzt wurden, wie etwa Der Wolf auf „Gibt’s doch
gar nicht“:
Ich gehe raus und denke: ‚Gibt´s doch gar nicht!’
Ich guck mir unsere Umwelt an und frag mich, wozu plan ich?
Ob Regenwaldabholzung, Atomkraft, Ozonloch,
in der Nordsee Bohrinseln und was weiß ich sonst noch,
kurz gesagt: ganz schlecht gelaufen,
alles was mir bleibt is´n Stückchen Regenwald zu kaufen.36
33
Curse. „Nichts wird mehr so sein wie es war“. Auf Album: Innere Sicherheit.
Jive, 2003.
34
Curse. „Curse dreht ab“. Auf Album: Innere Sicherheit. Jive, 2003.
35
Curse. „Warum nicht“. Auf Album: Von Innen Nach Außen. Jive, 2001.
41
oder der aus drei Rapperinnen bestehenden Gruppe Tic Tac Toe:
Ich bin zu fett und mich lassen solche Dinge nicht kalt.
Drum steck ich mir, halt immer den Finger in Hals.
Denn ich hasse die Frau im Spiegel
und will aussehen wie die Frauen
auf’m Cover von Frau im Spiegel.37
Die Problematiken, die diese Rapper in ihren Texten behandeln, werden aber von der migrantisch und dominierten vorwiegend männlichen
HipHop-Szene in Deutschland in der Regel für unbedeutend erklärt, da
sie sich nicht mit konkreten, realen Erfahrungen ihres Alltaglebens
beschäftigen.
3.3.2. Story-Rap
Im Story-Rap wird im Prinzip eine Geschichte oder ein persönliches
Erlebnis erzählt, wodurch dieses Rapgenre besonders nahe an die
westafrikanische Sprachtradition des „griot“ rückt, der berufsmäßig als
Wanderlehrer dem Volk belehrende Geschichten, Sagen und Legenden
vorsang und vortrug. Dabei werden in Story-Raptexten oft auffällig
viele Metaphern verwendet, so dass das Erzählte oft nur Bild für einen
tieferen Sinn darstellt:
Persönlichkeiten beschreiten Schattenseiten,
zwischen dunklen Kapiteln liegen unsere Lesezeichen.
Heimgesucht wie Poltergeist, Mitleid vereist,
halt dich über Wasser, bevors dich in die Tiefe reißt!
Tief depressiv wie Kaspar David Friedrich,
Kulli fließt wie Öl, setzt meinen Gedankenstrich.
Ich schalte ein, um abzuschalten.
Meine Erscheinung ist jung, nur der Verstand gehört den Alten.
Gib mir 26 Letter plus Stift und Papier,
logisches Geschmier vom letzten Kurier38
36
Der Wolf . „Gibt's Doch Gar Nicht“. Maxi CD: Gibt's Doch Gar Nicht. Universal,
1996.
37
Tic Tac Toe. „Spiegel“. Maxi CD: Spiegel. A One Ent, 2005.
42
Andererseits kann auch das klare und eindeutige Erzählen der
Geschichte selbst eine hohe Kunst sein. Der Heidelberger Rapper
Torch berichtet in „Als ich zur Schule ging“ eindringlich von seinen
Erfahrungs- und Erlebensprozessen in einer Kindheit und Jugend
zwischen der staatlichen Schule und der Schule des HipHops, die
seinen Charakter und seine Entwicklung entscheidend prägten und ihn
letztlich zum Rap führten:
Mit 14 wurde meine Männlichkeit auf die Probe gestellt,
denn ich beiss wenn man zu laut bellt. Ich hab gelernt,
meinem Gegner nie zu offenbaren, was man denkt,
weil man ihm Wissen über Schwächen schenkt.
Bevor ich wusste, was Freundschaft war,
wusste ich, wie man sich schlägt,
solange bis der Gegner sich nicht mehr regt.
Stärkster auf dem Pausenhof, der Schnellste im Sport,
dann wurde Torchmann groß
und Meister im Kampf mit dem Wort.39
In „Wüstenblume“ erzählt Curse die Lebensgeschichte einer jungen
Afroamerikanerin, die sich durch ihre tugendhafte Lebensweise aus
dem Getto befreit und es schafft, ihre Familie wieder zu versöhnen.
Und die aus der deutschen Mittelschicht stammende Rapgruppe
Blumentopf schildert in „Manfred Mustermann“ die Lebensgeschichte
eines „typischen Deutschen“ von Geburt, Schule, Beruf und Rente bis
zum friedlichen Dahinscheiden im Beisein der Familie.
3.3.3 Party-Rap
Der Party-Rap ist unbeschwerter Feierabend-Rap, der seit den
Anfangszeiten des Rap bis in die heutige Zeit seine Thematiken und
Ausdrucksformen unverändert beibehalten hat: Entspannen und feiern,
38
Too Strong. „Einzelkämpfer“. Auf Album: Die 3 Vonne Funkstelle. Virgin Ger,
1999.
39
Torch. „In Deinen Armen“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records, 2000.
43
Partys, Alkohol, Drogen und Sex. Der Party-Rapper inszeniert sich
dabei als Animateur, der seine Zuhörer zum Feiern motiviert, oder als
Entertainer, der seinen Zuhörern seine persönlichen Partyerlebnisse
berichtet, weshalb die Texte dementsprechend meist einfach und leicht
verständlich gehalten sind:
Ich traf eine junge Frau, die hat mir ganz gut gefallen
und am Samstag in der Diskothek liess ich die Korken knallen.
Wir haben viel Spass gehabt, viel gelacht und was ausgemacht,
haben uns nochmal getroffen
und den Nachmittag zusammen verbracht.
Wir gingen mal ins Kino, hatten noch ein Rendezvous
[...] Ist es die da, die mit'm dicken Pulli an?
Mann, nein, es ist die Frau, die Freitags nicht kann.
Es ist die da, die da, die da, die da, die
Es ist die da, die da, die da, oder die da
Es ist die da, die da, die da, die da, die
Ist es die da? Hey, freitags war sie nie da.40
Im Vergleich zu den USA wird dieses Genre in Deutschland allerdings
nicht von einer migrantischen Kultur getragen, sondern hauptsächlich
von deutschen Rappern aus mittelständischen und kleinbürgerlichen
Familien besetzt, das sein Publikum auch weitgehend in deutschen
Jugendlichen findet. Das prominenteste Beispiel unter diesen Rappern
und Rapgruppen sind Die Fantastischen Vier. Lange Zeit mit dem
Vorwurf konfrontiert, mit massen- und medientauglichem Spaßraps
wie „Die Da“ oder „Jetzt ist sie weg“ den Ausverkauf des deutschen
HipHop initiiert zu haben, gilt die Gruppe in der HipHop-Szene noch
immer als umstritten: „Als ich das erste Mal die Fanta 4 gesehen habe,
haben wir uns so wegen der deutschen Texte geschämt. Deutsche Texte
waren damals einfach nur Grönemeyer und sonst nichts. Die Tatsache,
dass man wirklich ernsthaft versucht, mit deutschen Texten
umzugehen, war so undenkbar, das glaubt heute kein Mensch mehr“
(Textor. In: Krekow & Steiner 2002, 339).
40
Die Fantastischen Vier. “Die Da!?!”. Auf Maxi CD: Die Da!?!. Columbia Records, 1992.
44
3.3.4 Pimp-Rap
Der Pimp-Rapper pflegt die Rolle des Selbstdarstellers in Bezug auf
seine sexuelle Attraktivität, Kompetenz und seinen Erfolg bei den
Frauen. Diese werden meist als dem Mann unterlegene, sexuelle
Gespielinnen dargestellt und auf ihre sexuellen Funktionen reduziert.
Dementsprechend setzt sich ein Pimp-Raptext aus einer Kette beliebig
aneinander gereihter bis inhaltlich miteinander verknüpfter BoastingSprechakte zusammen, in denen sich der Pimp-Rapper als Frauenheld,
Sunnyboy oder sogar als Zuhälter inszeniert. Dazu verwendet er oft
Vergleiche und Metaphern, die, wörtlich genommen, oft sexistisch und
frauenfeindlich sind.
Ich seh' die Dinge realistisch, ohne ficken keine Kinder,
doch die Leute ham kein Plan und sagen "S. du bist behindert".
Ihr wollt Rap mit Lehrcharakter,
ich bring Nutten bei zu blasen, ohne Zähne.
Wenn ich komme, wachsen Nutten graue Strähnen, Nigga.41
Der Pimp-Rap ist in Deutschland aufgrund der kritischen Haltung der
Gesellschaft zu seinen Inhalten und seinem Vokabular wenig verbreitet
und wird in seinen extremen Formen fast ausschließlich von Jugendlichen migrantischer Abstammung praktiziert. Sein Status bleibt aber
auch in der HipHop-Szene marginal, da es keine Rapper gibt, die sich
als Pimp-Rapper verstehen und überwiegend Pimp-Raptexte produzieren. Vielmehr wird der Pimp-Rap in Deutschland zum größten Teil von
Gangster- und Battle-Rappern praktiziert, da diese Rapgenres inhaltsund strukturverwandt mit dem Pimp-Rap sind. Der Pimp, also der Zuhälter, ist ein fester Bestandteil des Gettos, auch er muss seine Existenz
kämpferisch in einer feindlichen Umwelt behaupten.
Darüber hinaus sind den drei Genres die Sprechakte des Boasting und
des Dissing und die Sprachpraktik des Signifying gemeinsam, also die
Freude am Sprach- und Wortspiel, das aus seiner pragmatischen Bedeutungsebene herausgelöst und im Rap wertfrei isoliert wird. Diese
Ironie ist, vor allem für denjenigen, der nicht in der Kultur und der Erfahrungswelt des HipHop zu hause ist, angesichts der drastischen
41
Kool Savas. “Pimplegionär”. Auf Mix-Tape: Pimplegionär. 1996
45
Wortwahl wie in „Pimplegionär“ vom deutsch-türkischen Rapper Kool
Savas und „Fuffies im Club“ von Sido, auf den ersten Blick sicherlich
schwer nachzuvollziehen. Deutlicher wird sie hingegen bei „Damenwahl“ von Flowin Immo formuliert, der eine Liste seiner bisherigen
Gespielinnen runterrappt:
Zickige Ziegen, schnatternde Gänse,
gackernde Hühner, quakende Enten,
krächzende Krähen, drohende Drachen,
brüllende Schrullen, kreischende Weiber,
gewichtige Wuchtbrummen,
besonnene Nonnen, rollende Tonnen,
mollige Mutties und klammernde Mamas.
Babies, gebährende Ladies,
werdende Mütter sind die Götter,
liebende Omas und brave Töchter,
okulante Tanten, kranke Schwestern, Basen und Cousinen
zähl' ich unter anderen zu meinen Konkubinen.42
Die beste Darstellung als erfolgreichster Frauenheld muss also nicht
zwangsläufig über die schockierendsten und härtesten Worte,
Metaphern und Inhalte verwirklicht werden, sondern kann auch über
die Kreativität und Quantität der Metaphern vollzogen werden. Über
den Erfolg der Darstellung entscheidet dabei in letzter Instanz immer
das Publikum, dass die Glaubwürdigkeit des Rappers an seinem
„Bezug auf die Tradition des HipHop als eine Getto-Kultur ethnischer
Minderheiten, das Akzeptieren und Beherrschen der Konventionen bei
HipHop-spezifischen Events“ (Klein und Friedrich 2003, 7f) und
seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten als Rapper festmacht.
3.3.5 Battle-Rap
Der Battle-Rap stellt das am meisten verbreitete Genre im Rap dar.
Viele Rapper sehen in ihm sogar ein wesentliches Element der RapGrundschule, das nicht unbedingt mit fortschreitender Entwicklung
42
Flowin Immo. “Damenwahl”. Auf Album: Terra Pi. Immonopol, 2000.
46
praktiziert werden müsste, aber unbedingt zum Erweitern und
Trainieren der eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten als Rapper im
Anfangsstadium geübt werden sollte: „Ich schreibe natürlich auch
Battle-Texte ohne Ende. Das ist schließlich Rap, doch andererseits sind
die Skills, die man durch solche Texte bekommt, supergeil für Texte
verwendbar, bei denen ich sage, so das ist meine Geschichte“
(Pyranhia. In: Krekow & Steiner 2002, 292).
Wie kein anderes Rapgenre konzentriert der Battle-Rap den
Wettkampf-Gedanken, das Herz und Prinzip des HipHop, in sich. Die
Intention des Rappers ist, sich selbst positive Attribute zuzuschreiben
und damit in den Vordergrund zu stellen, während man einen
imaginären oder tatsächlichen Gegner verhöhnt, beleidigt und ihm
wesentliche Kompetenzen eines Rappers abspricht. Dazu verwendet er
die Sprechakte des Boasting und des Dissing im komplementären
Wechselspiel.
Aus meinem Block kommt der beste Rap der Welt.
AZ, Ihr seid Mitläufer, wir Rebellen.
Wir kommen direkt aus dem Dreck, Ihr seid weichgespült.
Der Beat drückt auf Deinen Magen, bis Du scheißen willst!43
Die Gattung zeugt dabei oft von außerordentlichem Wortwitz und
hoher sprachlicher Kreativität, mit der die immer selbe Thematik der
Auseinandersetzung mit und des Triumphs über den anderen über
immer neue Vergleiche und Metaphern sprachlich inszeniert und
vollzogen wird. Allerdings lässt sich eine Verschiebung des BattleGedankens feststellen. Am Anfang stehen Advanced Chemistry mit
ihrer Old-School-Einstellung. Battle wurde dort als Wortwitz
verstanden, der durch lyrische Überlegenheit einen fiktiven Gegner
bekämpfte.
Es gab aber auch schon früh eine Form des Straßenbattle, des Dissens
in einer Tradition des Playing the Dozens, das spielerische
43
Azad. „Mein Block“. Auf Album: Der Bozz. Bozz Music, 2004.
47
Beschimpfen eines Gegners, den man durch gezielte Erniedrigungen
bekämpft. Seit 1996/97 veränderte sich der Battle-Gedanke ein
weiteres Mal. Nicht mehr der reale Alltag steht im Vordergrund,
sondern eine fiktive Welt, in der man sich als omnipotenten Helden
imaginiert. Es gab diesen Ansatz schon immer im Rap, etwa bei Kool
Keith oder auch Ice T, der selbst sagt, dass er in seinen Texten oft in
eine bestimmte Rolle schlüpft (vgl. Loh & Güngör 2002, 299).
Es ist genau dieser Aspekt, der den Battle-Rap in der Szene selbst auch
umstritten macht. So gibt es die Forderung nach mehr Substanz in den
Battle-Reimen, da Rap “auch eine Form der Selbstverarbeitung“
(Hülse. In: Krekow & Steiner 2002, 205) sei:
Ich fass' es zusammen in einer Zeile:
Fick dich, ich diss dich, Bitch und Scheiße.
Was bleibt von euren Texten,
wenn ich die sechs Worte streiche!44
Zudem besteht im Prinzip weitgehend Einigkeit darüber, dass alle
Aussagen eines Battle-Raps sich entweder nur auf einen gänzlich
fiktiven und nicht näher bestimmten Rapper oder allerhöchstens auf die
inszenierte Rap-Figur eines anderen, aber keinesfalls auf die
Persönlichkeit des realen Menschen dahinter beziehen:
Da die Scheiße Kampfsport ist,
sei drauf gefasst, dass du gedisst wirst!45
Auf der anderen Seite gehen die Meinung über die Grenze dessen, was
innerhalb dieses festgelegten Rahmens gesagt werden darf und was
nicht, dennoch weit auseinander. „Sobald es im Freestyle aber zu einer
Beleidigung der Familie kommt, hört für Amin der Spaß definitiv auf:
‚Das ist für mich richtig dumm. Wenn mich jemand mit seinem
Freestyle beleidigt, wenn der meine Familie ins Spiel bringt, dann
kriegt er direkt eine in die Fresse, da kann er so viel rappen, wie er will,
44
45
Curse. „Der Fluch“. Auf Album: Sinnflut. Subword, 2005.
Curse. „10 Rapgesetze“. Auf Maxi CD: 10 Rapgesetze. Jive, 2000.
48
dann kriegt er das Mikrofon ins Gesicht, und ich sag ihm: ‚Hier, das ist
mein Freestlye’“ (Krekow & Steiner 2002, 153). Die Rapper von 5
Sterne Deluxe halten Einwänden wie diesen gerne den metaphorischironischen Grundgedanken des Signifying entgegen: „Wir beschimpfen
jetzt nicht deine Mutter oder die Mutter von irgendjemandem, sondern
es ist ja im übertragenen Sinne die Ansage: Leckt mich am Arsch.
Macht doch, was ihr wollt. Wir machen unseren Scheiss“ (Krekow &
Steiner 2002, 171). Diese Position wird auch von Kool Savas, dem
erfolgreichsten und bekanntesten Vertreter des Battle-Rap, vertreten,
dessen ersten Veröffentlichungen „sich vor allem durch die extrem
sexistisch-homophoben Lyrics vom bisherigen Deutschrap“ (Güngör &
Loh 2002, 215) deutlich unterschieden.
3.3.6 Gangster-Rap
Der Gangster- oder auch Getto-Rap beschreibt das Leben im Getto
bzw. in den sozialen Niederungen der Gesellschaft. Im Gegensatz zum
Polit-Rap bezieht er aber nicht direkt kritisch Stellung zu dieser Thematik, sondern zielt vielmehr auf eine Verherrlichung der Rolle des
gesellschaftlichen Außenseiters ab, der im offenen Widerstand gegen
bestehende Herrschaftsverhältnisse antritt. Die prominenteste Vertreter
des Gangster-Raps sind Azad, Sido und Bushido, die aus sozial schwachen Vierteln in den Großstädten Berlin und Frankfurt stammen. Sie
inszenieren sich dabei als „Krieger und Stimme der Straße“, die authentisch aus ihrer eigenen Erfahrungswelt berichten. "Wenn ihr auf
Play drückt und meine CD hört, bekommt ihr 70 Minuten aus meinem
Leben – wenn ihr auf Stop drückt, seid ihr wieder in eurem Leben"46.
Wir sind die Stimme der Nation,
deswegen ham' sie Angst vor uns.
Und eben diese eine Angst hat dieses Land gebumst,
doch eure Kinder stehen hinter uns. Sie fühlen es:
46
Bushido. In: „Harte Texte und die Härte der Nazis. Interview mit Bushido, Loh,
Güngör.“ Süddeutsche Zeitung (27.06.2005).
49
Wir sind die Hoffnung, die du nachts in deine Türen ritzt,
wie das Echo der Nation, die keine Stimme hat
Wir sprechen das aus, was jeder in sich drinne hat,
denn du bist ganz allein. Niemand hat hier Zeit für dich
Und keiner interessiert sich dafür, wenn du Scheiße frisst.47
Die Rapper schildern im Gangster-Rap ihre psychischen und
physischen Qualitäten, die sie zum Überlebenskampf in den
gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb des Milieus befähigen:
Jeder Zweite von uns war in einem Kampfsportverein.
Jeder Dritte hat einen Pitt, weil jeder Vierte versucht
Dich zu ficken, gibt es noch die fünf in's Gesicht
Nordwest-Mathematik, unser Code.
Ich zeig' Rap, wo die Straßen sind, hundert pro!48
Oft wird im Gangster-Rap auf die überlegene soziale Position
innerhalb des Außenseitertums und der Gesellschaft verwiesen, über
die sich der Rapper triumphierend erhebt. Dieser Triumph wird vor
allem am sprachlich inszenierten Erfolg bei Frauen, der Menge und der
Qualität des Drogenkonsums und der Größe des finanziellen
Vermögens gemessen.
3.3.7 Freestyle-Rap
Freestyle ist die Bezeichnung für einen improvisierten Rap. Der Rapper
erfindet und formuliert seinen Text blitzschnell und spontan während
des Rappens, der dann allerdings auch nur bei wenigen Könnern eine
wirkliche Aussage enthält. Vielmehr dient der Freestyle dazu, die Fähigkeiten und Kreativität als Rapper unter Beweis zu stellen. Ursprünglich eng mit dem Battle-Gedanken verknüpft, entstand der Freestyle auf
den frühen HipHop-Jams in den USA, auf denen je zwei Rapper einen
Freestyle-Wettkampf austrugen, indem sie sich vor einem Publikum
47
48
Bushido. “Stimme der Nation”. Auf Album: Staatsfeind Nr.1. Urban, 2005.
Azad. „Mein Block“. Auf Album: Der Bozz. Bozz Music, 2004.
50
jeweils zwischen 45 und 60 Sekunden lang nacheinander mit improvisierten Texten maßen.
ich muss dich leider wieder dissen
wegfegen, denn ich bin dadiv pe, ich bin der regen
im regenwald, denn wir hegen bald
den namen david pe, und weißt du was, meinen degen halt
ich in der hand und schlitze dich auf wie d’artagnan
je suis david pe, je represant. (David Pe. In: Verlan 2003, 142).
Aus dem Duell geht als Sieger hervor, wem es gelingt, seinen Gegner
mit einem witzigeren Text, durch bessere Vortragskunst oder durch
eine geistreichere Anspielung zum Verstummen zu bringen. „Dann
kam es noch zum Freestyle-Battle, bei dem richtig viele Leute gegen
MC Rene angetreten sind. Für damalige Verhältnisse war er echt der
Beste und hat einfach alle Leute plattgemacht und weggeburnt. Ich
fand es richtig geil, wie alle Leute stutzig und bestürzt mit einem
‚O.K., du hast gewonnen’-Gesicht von der Bühne gegangen sind“ (MK
ONE. In: Krekow & Steiner 2002, 198).
51
4. Hermeneutisch-kontextualistische Analyse und
Interpretation ausgewählter Raptexte
Anhand der Untersuchung repräsentativer Texte und deren Interpretation wird gezeigt, dass jugendliche Rapper in Deutschland in Raptexten
sowohl ihre Identität entwickeln und öffentlich ausdrucksstark darstellen, als auch ein heterogenes Bild der Gesellschaft zeichnen und vermitteln, das sich aus ihrer individuellen Wahrnehmung und Bewertung
der Eindrücke und Ereignisse in ihrem Handlungsfeld und ihrer Erfahrungswelt zusammensetzt. Dabei reflektieren und dokumentieren die
Jugendlichen in den Raps ausführlich die Art und Weise, in der sie Rap
als literarisches Instrument zu diesen sprachlichen Handlungen benutzen.
4.1
Präsentation und Konstruktion von Identität in
deutschsprachigen Raptexten
Der Analyse und Interpretation der Raptexte zur Präsentation und Konstruktion von Identität wird die Untersuchung von MENRATH (2001)
zugrunde gelegt, sich auf die Problematik der Identitätskonstruktion im
HipHop konzentriert. MENRATH versteht Jugendliche als kulturelle
Akteure und Identität im HipHop als Produkt einer Aufführungspraxis.
In ihrer Untersuchung geht sie der Frage nach, auf welche Weise Jugendliche sich der sozial- kulturellen Identitätskonstruktion bemächtigen und inwiefern sie diese affirmativ bzw. progressiv einsetzen.
In diesem Kontext versucht MENRATH herauszufinden, wie Widerstandspotentiale im HipHop von HipHoppern selbst beurteilt werden.
Interessant ist die Aufschlüsselung spezifischer Konzepte wie "realness", "style" und "represent", über die als Handlungsanweisungen mit
entsprechenden komplementären Kontrollinstanzen im HipHop sozialkulturelle Identität konstruiert wird. Dabei untersucht MENRATH die
52
Identitätskonstruktion auf drei Ebenen, welche mit den drei genannten
Konzepten korrespondieren, d.h. sie betrachtet sowohl die individuelle
Selbstinszenierung, die kollektive Identitätskonstruktion, als auch den
identitätspolitischen Auftritt nach außen. Hilfreich sind die Ausführungen von MENRATH insbesondere in Bezug auf die Frage, inwiefern
ein drohender Authentizitätsverlust HipHop- intern eine Rolle spielt
und welche Strategien jugendliche HipHop- Aktivisten entwickeln, um
ihre kulturelle Identität zu bewahren.
Nach MENRATH ist HipHop eine Jugendkultur mit Codes und
Teilnahmebedingungen. Die wichtigste Teilnahmebedingung besteht
darin, dass man „sich selbst spielen“, also seine Identität performieren
muss. Ein wichtiger Bestandteil von Identität im HipHop ist dabei die
Aufführungspraxis: je nachdem wo und auf welche Weise sie
performiert wird - wie sehr sie sich beispielsweise an kommerziellen
Repräsentationen orientiert - bildet sich Identität erst aus. Die Praxis ist
insofern ein notwendiger Bestandteil von Identität, weshalb diese im
HipHop auch als Produkt verstanden wird.
In neueren Popmusiktheorien wird Musik nicht mehr als Ausdruck
einer sozialen Identität bzw. soziopolitischen Situationen verstanden,
sondern als Mittel zur Identitätbildung betrachtet. Die tatsächliche Performanz, das Erleben und Schaffen von Rap ist damit ein Prozess, der
Identitäten im Sozialen erst entstehen lässt. Auch in den theoretischen
Debatten zu kultureller Identität hat sich der Blickpunkt auf die Prozessualität von Identitäten verschoben. Identitäten werden als performative
aufgefasst, sie entstehen erst in der Performanz.
Mit der Performativität von Identitäten tritt auch die Identitätspolitk
in den Vordergrund. Identitäten werden als willentliche Entwürfe betrachtet, mit denen auf eine sinnlich-körperliche Weise in der Performanz Politik betrieben wird, in dem intern erarbeitete und realisierte
Identitätsmodelle in der Außenwelt präsentiert und angewandt werden.
Einer besonderen Bedeutung spricht sie dabei dem hohen Stellenwert
von Reflexivität bei der HipHop-Identität zu, der auf ein neues, performatives Modell von Identitäten deutet.
53
4.1.1 Interpretation des Polit-Raptextes „Eins auf Eins“ von Skills
En Masse
Skills En Masse ist eine multikulturelle Rapgruppe aus Stuttgart, die
aus der Frontrapperin Meli und ihrem Bruder Marcy besteht, der sie
sowohl als Rapper wie auch als DJ bei ihren Performanzen unterstützt.
Der Rap „Eins auf Eins“ ist ein Story-Rap, der eindeutig um die Vermittlung einer Message, also einer Botschaft oder Nachricht, an den
Hörer bemüht ist. Bereits im Intro wird die Hörergruppe als die Angehörigen der HipHop-Kultur und die Bewohner des Stadtviertel Friedenberg näher bestimmt („Für die Homies! Friedenberg! Für die Hip
Hops aus den Blocks! Yeah, nur für unsere Leute!“ 49, Z. 1-3) und die
Botschaft an sie, auf ihren Kern reduziert, explizit formuliert („Verlier'
niemals die Hoffnung! Yeah, yeah! Verlier' niemals die Hoffnung,
Junge!“, Z. 5-6). Über den Verweis auf den gemeinsam lokalen städtischen Lebensraum wird somit zunächst eine direkte Verbindung zwischen Rapper einerseits und Raphörern andererseits hergestellt.
Gleichzeitig wird der Aufruf zur Bewahrung der Hoffnung in Form
einer Kampfansage gegen einen zunächst nicht näher bestimmten Gegner, das lyrische Du des Textes, postuliert („Du kriegst eins auf eins,
eins nach dem anderen!, Z. 7; Einer nach dem anderen! Ich hab' keinen
Schiss!, Z. 10). Dieser fiktive Gegner wird nun mit Hilfe des Raps und
der in ihm als Kampfmittel formulierten Aussagen nicht nur seines
gegenwärtigen sozialen und finanziellen Status, sondern auch seiner
Zukunft und seines Schicksals beraubt („Ich leg' Bomben in Dein Omen, schuck' Dich vom Podeum, ersetz' Dein Marmor mit Linoleum.“,
Z. 17-18), indem seine Identität und seine Welterklärung aggressiv als
Lebenslüge und unwirklich aufgedeckt wird („Keine vorsichtige Politik, ich stick' Dich um Illusionen.“, Z. 16). Die Demontage der Identität
dieses lyrischen Dus wird weiter verstärkt, indem der Kampf gegen den
fiktiven Gegner metaphorisch zu einem Eroberungskrieg erhoben wird
49
Homies ist ein Ausdruck aus der HipHop-Kultur mit der im weitesten Sinne alle
geistigen Verbündeten und im engeren Sinne die Angehörigen der eigenen lokalen
Clique oder Szene bezeichnet werden.
54
(„Krieg wie Napoleon, ich platz' Trauben, das ist Wein“, Z. 19), an
dessen Ende das gewaltsame Eindringen des lyrischen Ichs in die Identität des anderen steht („Braus' in Dein Housing ein wie Polizei.“, Z.
20), wobei sich hier der Metapher einer polizeilichen Hausdurchsuchung bedient wird, die viele HipHopper aufgrund von illegalen Grafittis oder Drogenkonsum und -vertrieb aus ihrer eigenen Erfahrung kennen.
Trotz der Interaktion der beiden Identitäten des lyrischen Ichs und des
lyrischen Dus, bleibt die Kommunikation eine einseitige, da das lyrische Ich zwar in die Identität des anderen eindringt und diese verändert, sich selbst jedoch dabei dieser nicht öffnet („Siehst meine Augen?
Siehst mich nur von außen, weit draußen.“, Z. 21). In dieser Auseinandersetzung auf der Meta-Ebene bleibt die Identität des anderen buchstäblich auf der Strecke („Ich seh' Dich fallen, wo wir laufen.“, Z. 23),
da sie im Kampf mit der Identität des lyrischen Ichs hoffnungslos unterlegen ist („Du kannst mir gar nichts, komme wer da wolle“, Z. 46).
Im Rückbezug auf den metaphorischen Kampf als notwendiges Mittel zur Behauptung der eigenen Identität und der Demontage der Illusion, in der das lyrische Du seine eigene Identität wahrnimmt und damit
der Identität selbst, wird es explizit zur weiteren Verbreitung der Message des Raps und zum eigenen Bestreben nach der Loslösung von der
Illusion und damit von seiner bisherigen Identität aufgefordert („überbring' die Nachricht. Halt' den Geist klar, Du bleibst greifbar“, Z. 4748).
Das lyrische Ich reflektiert die unterschiedlichen Voraussetzungen
der Auseinandersetzung dabei als in ihren Extremen eigentlich gleichbedeutende Positionen („Noch mal von vorn: Ich hab' nix zu verlieren
und Du hast noch nie verloren!“, Z. 46-49), von denen sich die Identitäten dem Kampf annähern. Während es selbst im Kampf kein Risiko
eingeht, da eine Niederlage zu keinen Veränderungen führen würde,
geht das lyrische Du hingegen scheinbar kein Risiko ein, da es seine
Identität bisher stets erfolgreich behaupten konnte.
55
Die Position der stets erfolgreichen und siegreichen Identität wird dabei aber als eine letztlich zum Scheitern verurteilte entlarvt, da die von
Niederlagen und Verlusten geprägte Identität, die nicht nur als Gewinner, sondern auch als Verlierer überleben kann, sich schließlich als die
gefestigtere, weil flexiblere, Identität erweist, die sich nicht als starres
Konzept, sondern als im Fluss und dem dauernden Wandel unterliegend begreift. MENRATH (2001, 24) verweist darauf, dass Identitätspositionen nur im Wissen darüber existieren, „daß sie nicht Ausdruck
einer Realität sind, sondern einer bestimmten Vorstellung von Realität.
Identitäten sind nicht individuelle Kreationen, sondern vielmehr Zitate
von Stereotypen. Sie sind nur individuelle Re-Kreationen unserer Vorstellungen über Identitätspositionen.“
Dieses Verständnis liegt auch der Identitätsposition des lyrischen
Ichs zugrunde und bildet die Basis seiner Stärke, was es auch an das
lyrische Du gerichtet explizit kommuniziert („Ich erkenn' Dich, das
erschreckt Dich. Mein Ton fett trist, triffst meinen Blick, ist autistisch.
Ich küss' Dich so richtig, misch' Dich auf, ich bin Mischling“, Z. 5255). Und erst nachdem es das lyrische Du von seinem Beharren auf
seiner bisherigen Identitätsposition „gereinigt“ hat, sind ein Ende des
Kampfes und ein gemeinsames Fortbestehen möglich („Ich zerr' Deinen besoffenen Kopf unter Duschen, dann können wir huschen“, Z. 7778).
Während die Identität des lyrischen Dus weitgehend unbestimmt bleibt,
werden die Identität des lyrischen Ichs und die Faktoren, die zu seiner
Entwicklung führten ausführlich beleuchtet. Deutlich distanziert es sich
von der in der deutschen Gesellschaft dominierenden christlichen Religion und deren weltlichem Stellvertreter, der nicht als Repräsentant,
sondern als Verfälscher des göttlichen Willens und moralischer Wertvorstellungen angesehen wird, und verweist auf seine islamische Religionsausrichtung („Ich blas' den Papst zur Hölle, bet' zum Vater, alle
unter Allah.“, Z. 30) als die einzig richtige für alle Gesellschaften und
Individuen.
56
Gleichzeitig verweist es auf seine individuelle Perspektive auf die Welt
und deren veränderter Wahrnehmung in Abgrenzung zur gesellschaftlichen Norm. Die Augen des lyrischen Ichs sind nicht, wie die anderer
Menschen, vom Grauen Star befallen, der zu Blindheit führt, sondern
vom Grünen Star („Meine Netzhaut unter grünem Star, so Leben is'
kein Honig.“, Z. 31), einer nicht näher bestimmten Veränderung, die
sich aber als Verweis auf Konsum von Gras/Marihuana und ein damit
verändertes Bewusstsein bzw. Wahrnehmung verstehen lässt, da sich
auch in anderen Raps von Skills En Masse explizit oder metaphorisch
formulierte Verweise auf Drogenkonsum („wir spliffen im Park, mein
Hobby ist Denken, der Grund, warum ich ill Lyrics hab“50 aus „Wie
wir“) und Drogenhandel finden lassen („ohne dass die Leute bemerken,
Geschäfte in Handschlag, Asse in den Ärmeln“51 aus „Wie wir“).
Im Kontext eines Lebens, das weniger den Ansprüchen und Vorstellungen der gesellschaftlichen Norm, als denen des Gettos genügt, wird
auch erneut die Position des lyrischen Dus angegriffen, indem ihm die
Fähigkeit abgesprochen wird, in der von der Gesellschaft lebensfeindlich gestalteten und gehaltenen Welt zu überleben („Auf verlorenem
Boden in diesem Krieg geboren. Wo ich wohn', kommst Du leicht in
Situationen. Taubheit, Stress auf jedem Level, unsichtbare Fessel.
Kümmert niemand Dreck hier, ob wir krepieren.“, Z. 33-36). Das lyrische Ich ist sich dabei der Gefahr durchaus bewusst, der es seine Identitätsposition durch seinen Widerstand gegen und der versuchten Befreiung aus den widrigen Herrschaftsverhältnissen aussetzt („Je höher
der Gipfel, um so dünner die Luft! Und je steiler ich ansteig', umso
tiefer die Schlucht!“ Z. 50-51). Es positioniert sich in seinem verbalen
Freiheitskampf als Feind der Gesellschaft („Erscheinung terroristisch.
Meinung kritisch“ Z. 56) und legitimiert seine Handlungsweise über
deren eigene Wertvorstellungen („Mein Streit is' biblisch, erzieht mich,
50
„Spliffen“ stammt aus dem Englischen (to spliff) und bezeichnet das Rauchen einer
Marihuanazigarette.
51
Auf der Straße werden kleinere Drogenmengen verdeckt verkauft. Wenn sich zum
Ende des Gesprächs scheinbar beiläufig die Hand zur Verabschiedung gegeben wird,
tauschen der Käufer und Verkäufer dabei in einer flüssigen Bewegung das Geld und
die Drogen aus, die sie beide in ihrer Hand halten.
57
zielt auf mich, erschiesst mich täglich. Ich bin das Ergebnis dieser Ethik.“, Z. 64-66). Die eigene Identitätsposition wird dabei nicht nur als
eine aktuell konstruierte, sondern durch weit in der Zeit zurückreichende soziohistorische Faktoren bedingte aufgezeigt.
Das lyrische Ich schafft nicht das Spannungsfeld zwischen individueller und gesellschaftlicher Identität, sondern erbt dieses durch seine familiäre, konfliktbeladene Vorgeschichte („mein Blut ging durch Gesichter schottisch, Pull' Sklaven von Plantagen, wo mein Blut aufliegt.
Vergewaltigt, schottisch und indisch-afrikanisch.“, Z. 57-59). Seine
Blutlinie, der es seine heutige Existenz verdankt, gründet auf einer
Vergewaltigung, also auf einer gewaltsam herbeigeführten Vermischung der Gene, was wiederum auf die Auseinandersetzung von Identitäten - hier von Gesellschaften und nicht von Individuen - hinweist. In
Analogie zum oft verwendeten Begriff der christlichen Religion lässt
sich das lyrische Ich als aus einem „befleckten Empfängnis“ hervorgegangen ansehen und steht damit in direktem Gegensatz zum Mythos
des „unbefleckten Empfängnis“ der heiligen Jungfrau Maria. Diesen
Ursprung kann das lyrische Ich nicht vergessen, mehr noch, es sehnt
sich zurück nach der lokalen Heimat seines familiären Ursprungs („In
der Karibik, wo mein Blut lebt.“, Z. 60) und kann in der hiesigen fremden Gesellschaft nur unter angepasster Identität existieren („Ich sprech'
Sprachen, deutsch, englisch, leb' unter Sklavennamen. Alle Charakteristik fließt durch meine Adern.“, Z. 61-63).
Diese Distanz zur Gesellschaft kommt besonders darin zum Tragen,
dass nicht nur ihre moralischen und ethischen Wertvorstellungen, sondern auch ihre rationalen Weltbilder und Welterklärungsversuche konsequent abgelehnt werden („halt' die Bünder Philosophen auf Distanzen. Goethe, Nietzsche und die Kirche, Shit, der nie im Kontext zu mir
entstand. “, Z. 68-70), da sich diese auf Annahmen und Voraussetzungen begründen, die sich nicht mit der Erfahrungs- und Lebenswelt des
lyrischen Ichs decken und nur als oktruierte Lebensauffassung empfunden werden („Ich bin kein Hund zu deren Herren.“, Z. 71). Diese
58
Form der Existenz ist für das lyrische Ich nicht tragbar, da es seine
Identitätsposition dafür gegen seinen Willen verschieben müsste („Das
lügt mich an und stresst mich aus!“, Z. 72). Es bezieht im Gegenteil
dazu Stellung und versucht dem lyrischen Du zu ermöglichen, seine
Identitätsposition nachzuvollziehen („Verstehst Du? Ich bin nicht relaxt, meine Art ist kraus.“, Z. 72-73). Statt sich zu entspannen und in
den gegebenen gesellschaftlichen Umständen zu fügen, kritisiert es
diese und deren zugrunde liegenden kulturellen Bedingungen („Ich
hass' Euch für Papier, für Tempel und Haus“, Z. 74) und postuliert seine Abwehrstrategien und Gegenmaßnahmen, um seine Identität weiterhin zu behaupten („Und lern' schnell. Ich nehm' mein Leben in die
Hand in Handschellen.“, Z. 74-76).
Entsprechend dem Konflikt des lyrischen Ichs bezüglich seiner Identität mit den Identitätsansprüchen der Gesellschaft, im Text präsentiert
durch die Identität des lyrischen Dus, ist auch das Rapverständnis ein
kampfbetontes. Der Rap als literarische Ausdrucksform an sich enthält
sprachliche Waffen zur Identitätsbehauptung und Identitätszerstörung
(„Mörder Wörter, Zuhörer hören härter.“, Z. 24) und sprachlich basierte Kampftechniken, um bestehende Konventionen und Rituale aufzubrechen („Ich brech' Dir die Strophe, Vers nach Verse“, Z. 25). Im bewusst grammatikalisch falsch artikulierten „Verse“ findet sich dabei
jenes Spiel mit der Bedeutung wieder, das für den Rap typisch ist. Der
Vers wird nicht nur auf der sprachlichen Ebene gebrochen, sondern
dieser Prozess wird durch die Assoziation mit „Ferse“ auf eine körperliche, konkret erfahrbare Ebene gehoben.
Das lyrische Ich gibt sich somit in der Auseinandersetzung um seine
Identität nicht nur nicht auf, sondern geht vielmehr selbst zum Angriff
über und verlagert den Kampf von seiner Identitätsposition auf die des
Gegners, also der Gesellschaft, die sich nun der Notwendigkeit zur
Veränderung und Umgestaltung der eigenen Identitätsposition ausgesetzt sieht („Mein Wort is' Mathe, Alles konzentriert sich wie Karate,
verändert Dich und Dein' Partner. Skills en Masse ist deutsches Partoir.“, Z. 26-29). Entgegen den widrigen Lebensumständen und 59
bedingungen gelingt es dem lyrischen Ich damit schließlich seine Identität über den aus der Notwendigkeit heraus entstandenen Rap erfolgreich zu behaupten und auszubauen („Der Scheiss um mich zieht mich
runter wie Sumpf, mach' aus Armut 'ne neue Form von Kunst.“, Z. 3940).
4.1.2 Interpretation des Story-Raptextes „Die Jungs aus’m Reihenhaus" von Blumentopf
Die Rapgruppe Blumentopf besteht aus fünf Rappern, die von ihren
sozialen und literarischen Voraussetzungen her, vereinfachend gesagt,
dem deutschen Mittelstand zuzurechnen sind. Daher gelten sie wie die
Fantastischen Vier, Fettes Brot und andere vornehmlich deutsche Rapgruppen bei vielen migrantischen Rappern und Raphörern als „Spaßund Studentenrapper“, deren Lebenswelt und damit auch deren Raps
nur wenig Berührungspunkte mit der Erfahrungswelt migrantischer
Jugendlicher aufweisen, da sie scheinbar aus einem geordneten familiären Umfeld stammen und durch erfolgreiche Schullaufbahnen am
Gymnasium über eine gesicherte zukünftige berufliche Existenz verfügen.
Objektiv betrachtet aber bleiben die Prozesse der Identitätskonstruktion und -präsentation im Rap erstens von diesen unterschiedlichen
Voraussetzungen unberührt, da der Rapper im Rap für gewöhnlich immer seine individuell gravierendsten Probleme, gleich welcher Art
auch immer, reflektiert und präsentiert, und zweitens sind diese Annahmen ohnehin eher als pauschalisierende Klischees und Vorbehalte
seitens eines Teils migrantischer Jugendlicher zu verstehen, die sich in
Wirklichkeit ganz anders gestalten. Auch der deutschstämmige Jugendliche aus dem Mittelstand kennt existentielle Probleme, Sinnfragen und
Konfliktsituationen mit der Gesellschaft, nur enstehen und entwickeln
sich diese unter anderen Bedingungen.
60
Einige Aspekte der problematischen Konflikte eines „typischen“
deutschstämmigen Rappers, der HipHop entsprechend dessen Gesetzmäßigkeiten und Werten als kulturellen Lebensweg in einer deutschen
Gesellschaft und deren kulturellen Werten und Gesetzen praktiziert und
sein Leben nach dieser Subkultur ausrichtet, werden in „Die Jungs
aus’m Reihenhaus“ veranschaulichend erzählt. Im Gegensatz zu dem
Rap „Ich hab geschrieben“ von Torch, der aus einem einzigen fließenden und am Stück gerappten Text besteht, setzt sich der Rap von Blumentopf aus drei Strophen und einem Chorus zusammen, der sieben
mal wiederholt wird, so dass die Strophen nicht nur inhaltlich, sondern
auch auf formaler Ebene voneinander separiert werden.
Zum Teil liegt diese Textstruktur darin begründet, dass Blumentopf
aus fünf Rappern besteht, von denen sich drei den Text von „Die Jungs
aus’m Reihenhaus“ untereinander aufteilen. Diese Praxis ist im Rap
weit verbreitet, da sich die meisten Rapper auch in Rapgruppen organisieren und ihre Texte im Verbund schreiben bzw. vortragen. Dabei
wird der Text entweder präzise aufgeteilt oder es gibt einen vortragenden Rapper, in der Regel dessen Autor selbst, der nur mit dem gemeinsamen Rappen einzelner Zeilen, von Refrains oder Zwischenrufen zur
Motivation des Publikums unterstützt wird.
In „Die Jungs aus’m Reihenhaus“ erzählt jeder der drei Rapper in
seiner Strophe von seinen individuellen Umständen und Erfahrungen in
der Schule und im gesellschaftlichen Alltag und von seiner Einstellung
zum und seinem Verständnis von Rap. Dazu leitet jeder Rapper seine
Strophe in der ersten Zeile mit einem Verweis auf die Straße ein, in der
er aufwuchs („Ich bin nur ein Rapper aus der Reisringerstraße“, Z. 5;
„Ey, ich bin aus der Stadionstraße, und ich komm von Spatzenweg“, Z.
34; „Vielleicht hat ja die Straße, in der ich aufwuchs, meinen Charakter
geprägt, doch wer hört das gern, wenn er als Kind in ’ner Sackgasse
lebt.“, Z. 62-63) und verweist somit gleichzeitg auf die Bilder des Städtischen im Rap, die zu keiner anderen Jugendkultur so sehr gehören
wie zum HipHop (Klein und Friedrich 2003, 99ff) und ein wesentlicher
61
Bestandteil der Performativität von Identität in dieser Jugendkultur sind
(Menrath 2001, 65ff).
Der Verweis auf die eigene Straße, Viertel oder Stadt verortet den
Rapper im lokalen Raum und meist geht mit dem Verweis auch ein
deutliches Bekenntnis zu bzw. eine Wertschätzung spezifischer Eigenschaften eben jener Straße, Viertel oder Stadt einher, die diese charakteristisch von anderen unterscheidet. Mit der ersten Zeile des Chorus
wird diese Verortung im lokalen Raum zugleich auch präzisiert („Die
Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus“, Z. 1) und der soziale
Hintergrund der Rapper betont aufgezeigt, welches eben nicht der Klischeevorstellung des Einfamilienhauses entspricht, die viele migrantische Rapper und Raphörer von deutschstämmigen Jugendlichen aus
dem sozialen Mittelstand haben.
Auch im weiteren Verlauf des Textes wird konsequent mit diesen Vorurteilen gebrochen, indem auf individuell verschiedene Schullaufbahnen verwiesen werden, die teilweise diesen gängigen Annahmen entsprechen („Auch wenn sich in der Schule manche von mir wegsetzten.
Für viele war ich ’n Streber, weil ich nichts als Einsen hatte“, Z. 8081), aber diese im Einzelfall auch deutlich widerlegen („Und ich war
auch mal auf ner Schule, wo ich leider versagte. Alle hatten den Finger
in der Luft, ich mein in der Nase, und wenn ich mich doch einmal gemeldet hab, war’s nur ne peinliche Frage. Jeden Tag hab ich gedacht,
wo bin ich eigentlich gerade und wie übersteh ich nur die kommenden
langweiligen Jahre. Ich besetzte stets die allerhintersten Plätze, hatte
nur schlechte Noten und nie das geringste Interesse. Die Brüste meiner
Lehrerin war’n groß wie Honigmelonen, doch nicht mal das genügte
mir als Motivation.“, Z. 6-14).
Und wie der migrantische Rapper, der sich über den Rap als gegen die
Gesellschaft eingestellter und handelnder Gangster oder aktiver politischer Widerstandskämpfer präsentiert, muss auch der deutschstämmige
Rapper Konfliktsituationen bewältigen, in denen er der Gesellschaft im
Form seines direkten und prägenden sozialen Umfeldes, wie der Fami62
lie, staatlichen Erziehern und Lehrern und späteren Arbeitgebern, Rechenschaft über seinen individuellen Lebensweg und die damit verbundenen Handlungsweisen ablegen und diese gegen deren genormte Ansprüche behaupten muss. Auf die Sorge der Eltern um das
gesellschaftsgerechte und beruflich und finanziell gesicherte Leben
ihres Sohnes („Meine Mutter war besorgt um ihren komischen Sohn:
„Flo, wie willst du später Miete zahlen ohne Diplom?“, Z. 18-19)
reagiert der erste Rapper, in der es die Kritik an seinem Lebensweg als
Anstoß nimmt, um diesen noch eindringlicher und entschlossener zu
verfolgen („ Da bin ich los zu meiner Bank, um meine Kohle zu holen,
um mir Baggy-Pants zu kaufen, um in meinen Hosen zu wohnen.“, Z.
20-21).
Damit wird nicht nur die zukünftige finanzielle Sicherheit bewusst
riskiert („Ey, ich scheiß auf schlechte Jobs mit popligem Lohn und
wenn ich es mit Raps nicht schaffe, mache ich mit Drogen Millionen.“,
Z. 22- 23), sondern auch bereits das aktuelle Guthaben darauf verwendet, um den Lebensweg als HipHopper kulturgerecht zu beschreiten,
wie es mit der Metapher von den Baggy-Pants, einer tiefer gehängten,
weit geschnittenen Hose, die ein Symbol und traditionelles Kleidungsstück der HipHopper ist, umschrieben wird.
Der zweite Rapper verweist in seiner Strophe rückblickend zudem darauf, dass dieser Lebensweg auch im Sinne der gesellschaftlichen Ansprüche erfolgreich beschritten wurde, da er nicht nur adäquate Alternativ-Möglichkeiten zu herkömmlichen Berufsformen bietet, sondern
darüber
hinaus
sogar
zu
sozialem
Aufstieg
führen
kann
(„Früher war ich am Airport und hab eure Koffer verladen, heut ist
mein Job all denen zu helfen, die ’n Stock im Arsch haben. Damals bin
ich Postauto gefahren und hab Päckchen geliefert [...] Um ein bisschen
Geld zu verdienen, haben wir Autos gewaschen, heut kriegen wir Geld
und Respekt mit dem Soul, den wir machen, genau.“, Z. 38-43). Der
Rapper betont damit zum einen seine Arbeitstätigkeiten auf dem Niedriglohnsektor, der auch ein aktuelles bis späteres Betätigungsfeld vieler
migrantischer Jugendlichen ist, und legitimiert damit seinen Anspruch
auf die Anerkennung seiner Angehörigkeit zur HipHop-Kultur in der
63
Szene. Zum anderen bekräftigt er diesen Anspruch über Sprechakte des
Boastings noch, indem er diesen früheren Tätigkeiten den heutigen
Erfolg als Rapper und, damit implizit einhergehend, auch seine eigenen
Fertigkeiten und Fähigkeiten als ein solcher gegenüberstellt und heraushebt („Und ich hab mir paar Mark verdient mit Hecken schneiden,
doch das ist vorbei, denn heut schneid ich gut ab beim Texteschreiben.“, Z. 44-45).
In der letzten Strophe schildert der dritte Rapper die Begleitumstände
seines Rapperlebens und deren Auswirkungen auf seine Lebensgewohnheiten, Verhaltensweisen und Bewusstseinszustände, die sich
dadurch außerhalb der gesellschaftlichen Norm bewegen. Im Gegensatz zu seiner offenen Kommunikation mit der Gesellschaft und der
Öffentlichkeit über den Rap steht ein gelegentlicher Rückzug aus
kommunikativen Situationen im Alltagsleben („Trotzdem mach’ ich
mein Weg, auch wenn ich manchmal nichts red“, Z. 64), der auch auf
Erschöpfung durch die nachtaktive Lebensweise des kreativschöpferischen und unterhaltungsorientierten Rapperlebens zurückzuführen ist („Und es vorkommt, dass man kübelt und ’ne Nacht lang
nicht schläft. Wenn ihr mich tagsüber seht, bin ich meist völlig schlaftrunken und komm schlechter in die Gänge als Anfänger in Fahrstunden. Ich halte mich wach dank massenhaft Koffein“, Z. 65-68).
Die auch in der kulturellen Praxis des HipHop verankerte Lebensweise
eines Rappers - man rappt nicht nur, sondern man ist Rapper - ist eben
nur zum Teil mit den Ansprüchen und Lebensgewohnheiten der Gesellschaft vereinbar und führt im Einzelfall auch zu Konfliktsituationen, sei es wegen des unterschiedlichen Lebensrhythmus oder unterschiedlichen Wertvorstellungen und Auffassungen und Gewichtung
von Lebenszielen („Heute steck ich meine Zeit und Begabung in meine
Platte. Mein Vater denkt, dass ich mein Talent verschenk, weil ich am
Abend MC bin und nur am Vormittag Student.“, Z. 83-84).
64
Das Verständnis der Rapper von Rap und die Bedeutung, die dieser für
sie und ihre Lebensführung innehat, wird im Text von „Die Jungs
aus’m Reihenhaus“, wie in vielen Raptexten üblich, explizit formuliert.
Über den Rap und seine spezifischen Sprachform kommunizieren sie
sich nach Außen („Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime
raus“, Z. 1) und sprechen den Hörer bewusst an, indem sie ihn dazu
auffordern, sich ihre Texte anzuhören („Legt nur diese Scheibe auf und
dreht die Scheiße laut und du begreifst es auch.“, Z. 3-4). Der Rap als
kulturelle Praxis ist dabei von solcher Bedeutung und von solch lebensfüllendem Inhalt, dass er nicht nur über andere Formen der sprachlichen Kommunikation dominiert, sondern sogar physische Handlungsweisen ersetzt („Früher mit Skateboards, doch seit ich Raps auf Takte
leg, ist Flow mein Extremsport.“, Z. 36-37) und mit prägenden Erfahrungen des Heranwachsens gleichgesetzt wird („Doch manches vergesse ich echt nie: den ersten Rausch, den ersten Sex, den ersten Text, den
ich schrieb.“, Z. 50-51).
Dabei steht nicht der Aspekt der Veröffentlichung und des performativen Vortrags des Textes und damit die Erhaltung im kollektiven Gedächtnis im Vordergrund, sondern die Tatsache seiner einmaligen Erschaffung („Wenn ich Semesterferien hab, bleib ich einfach im Bett
und schreib Lieder und Tracks, bis auch der letzte Takt gefüllt ist und
schmeiß sie wieder weg, bis auch das letzte Blatt zerknüllt ist.“, Z. 7173), womit dem Rap die Vergänglichkeit eines flüchtigen Gedankens
verliehen wird. Diesen Zuschreibungen wird die inhaltliche Bedeutung
der Raptexte auf der anderen Seite gegenübergestellt. Die Raps werden
nicht als Musikform betrachtet, sondern als textbasiertes literarisches
Ausdrucksmittel („und will für Raps keine Grammies, sondern den
Pulitzerpreis.“, Z. 78), das eine besondere Plattform für Reflektion und
Kritik an der Gesellschaft bietet. Ihnen wird zudem die Qualität zugesprochen, ihren Hörer zu erreichen, zur Reflektion anzuregen und zu
einem höheren Bewusstsein zu führen („Ich glaube an das Gute und die
Macht von Raptexten“, Z. 79). Die Kommunikation über den Rap vollzieht sich so abseits alltäglicher Kommunikationskonventionen und
65
wird sogar nonverbal über den Tatbestand des Rappens an sich und der
Art und Weise der Performanz des Raps ausgeübt („Doch wer mich
kennt von Live-Konzerten, mit dem brauch ich nicht reden. Was ich
fühl, wenn ich rap, ist in meinen Augen zu lesen.“, Z. 85-87).
4.1.1 Interpretation des Story-Raptextes "Ich hab' geschrieben"
von Torch
Der Deutsch-Haitianer Torch aus Heidelberg, mit bürgerlichem Namen
Frederik Hahn, gilt als einer der Gründerväter der deutschen HipHopBewegung in den 1980er Jahren und ist einer der besten Rapper seiner
Zunft, obwohl er in jungen Jahren die Schule abbrach. Mit „Fremd im
eigenen Land“, einem polit- und gesellschaftskritischen Rap, schilderte
er zusammen mit Toni L und Linguist 1991 erstmals deutschsprachig bezeichnenderweise sind alle drei Rapper migrantischer Abstammung die Problematik der deutschen Migrationspolitik und der Distanz zwischen der deutschen Gesellschaft und den Migranten. In dem Rap „Wie
ich bin" beschreibt er sich bilderreich als "der Spielverderber, der
Wachrüttler, schreiende Wecker, Sündenbock, Legende in Leder,
Lieblingsrapper, bin der Besserwisser, Rappatriot, ewiger Aufklärer,
der Klugscheißer, der Märchenerzähler, der Ruhestörer".52 Es sind Verse wie diese, die auch den Literaturkritiker Wolf Biermann auf Torch
aufmerksam machten und in ihm "einen jungen deutschen Dichter, der
sich als Rapper etabliert hat und den ich bewundere"53 sehen lassen.
Wie viele Rapper versteht Torch Rap als ein persönliches Ausdrucksmittel und den Prozess des Schreibens als ein Weg zur Welterklärung,
zur Konstruktion eines eigenen Weltbildes und damit von eigener Identität. Er schreibt seine Texte in völliger Ruhe und Konzentration auf
das eigene Selbst, also in einem Wahrnehmungszustand, den er als
einen Sender beschreibt,
52
53
Torch. „Wie ich bin“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records, 2000.
Biermann, Wolf. „Das Kind sitzt nackt im Schneesturm“. Die Welt (08.11.2000).
66
den ich in meinem Kopf einstelle. Auf dieser Frequenz und höre
oder sehe ich irgendwas und ich versuch einfach, das, was ich
entziffern kann, aufzuschreiben. Ich schreibe es in einer Form
hin, in der ich es verstehen kann oder die mich persönlich unterhält. Dabei versuche ich, mich nicht stören zu lassen. Und
dann kann ich es für mich persönlich als real bezeichnen. Das
heißt, ich mache mich beim Schreiben meiner Texte nicht davon abhängig, ob es später jemand anders hören muss, sondern
ich mach es erst mal nur für mich. [...] Wenn Du schreibst, bist
Du ja am Konstruieren. Das heißt, Dein Körper ist im Einklang
mit dem, was Dein Gehirn macht. Das ist ein Level, und Du bist
gleichzeitig auf einem Level mit Deiner Welt, weil Du sie ja
auch reduzierst wie ein Kind, das in seinem Zimmer sitzt und
Lego spielt. In dem Moment bist du Teil von etwas Magischem,
Du konstruierst Dich selbst grade in dem Moment, und das ist
für mich sehr wichtig.54
Diese Auffassung von Schreiben und Rap legt nahe, dass der Rap "Ich
hab' geschrieben" ein autobiographisches Werk ist, in dem Torch - das
lyrische Ich - über das Schreiben seinen Trennungsschmerz verarbeitet
und gleichzeitig diesen Prozess und die dahinter stehenden Gefühle
nach außen kommuniziert, an eine geliebte Frau - das lyrische Du -, die
ihn verlassen hat, und an den Hörer.
Diese Annahme wird durch die Tatsache unterstützt, dass sich viele
Angaben über das lyrische Ich mit Elementen aus dem wirklichen Leben von Torch decken, beispielsweise das Autogramme-Schreiben
nach einem Konzert oder die Jugend in Heidelberg, in der er sich als
Grafitti-Sprayer einen Namen machte („Und ich ging auf die Straße mit
meinem Marker, es hat niemand gemerkt. Seit diesem Tag hab ich Züge gesprüht und die Wände von Heidelberg gefärbt. Ich hab meinen
Namen gemalt 1000 mal und mehr meist als Meisterwerk, damit es das
Selbstbewusstsein stärkt. Ich hab Tags mit nem Stein in die Scheiben
von Bushaltestellen gekratzt, damit mir der Kopf nicht platzt!“, Z. 20 27).
Das Verständnis um die hier geschilderten Vorgänge bedingt zum einen das Wissen, das Torch selbst als Sprayer in Heidelberg aktiv war
und die Schullaufbahn auf dem Gymnasium vorzeitig abgebrochen hat,
54
http://www.allesreal.de/mag.php?site=interview&id=torch&wer=Torch
67
und zum anderen fundamentale Kenntnisse von den kulturellen Praktiken des HipHop-Elementes Grafitti: mit Marker (Z. 20) werden die
Edding-Filzstifte bezeichnet, mit denen die Sprayer ihre Tags55 (Z. 26)
auf allen möglichen öffentlichen Plätzen, Wänden, Schildern, Stromkästen, Mülleimern usw. auftragen, um ihre Präsenz und ihren Status
zu markieren.56 Auch das Besprühen von Zügen stellt eine illegale Tätigkeit dar, welche von den jugendlichen Sprayern in Form einer kulturellen Praxis des Widerstands gegen die Herrschaftsgesellschaft und
der Lebensraumaneignung ausgeübt wird und somit ein wichtiges Element zur Konstruktion eigener Identität ist.
Torch greift seine Sprayervergangenheit auch in anderen Raps auf
und berichtet, wie in „In Deinen Armen“, auch detailliert über die realen juristischen Konsequenzen seines Tuns: „Hausdurchsuchung, vor
Gericht 5 mal, mein Name vom Zug in die Kartei wie ein Sündmal.“57
Jedoch lässt er sich durch diese Repressionen nicht vom Sprayen und
Taggen abhalten, da diese kulturellen Praktiken für ihn die essentielle
Funktion erfüllen, ihm bei der Befreiung des eigenen Ichs von weitaus
schlimmeren inneren Zwängen zu helfen (Z. 27).
Die Konstruktion von Texten als Hilfsmittel zur Konstruktion eigener
Identität und Lebenswelt zieht sich wie ein roter Faden durch den Text.
21 Mal wird das Wort "schreiben" und 3 Mal metaphorische Ausdrücke dafür (Z. 5, 24 und 26) in den 87 Zeilen benutzt, womit Schreiben
eindeutig als Leitmotiv der Erzählung zu erkennen ist. Erst durch den
Prozess des Schreibens gelingt es Torch sein gesamtes Leben zu reflektieren und das Erlebte zu verarbeiten. Dadurch ist er in gewisser Weise
selbst auch vom Schreiben abhängig, das sich in seinem Leben als automatischer Mechanismus ("starrte ich auf meine Hand, als ich begriff,
dass sie zum Stift griff", Z. 4) bzw. als aus seinem Inneren heraus gesteuerter Prozess "irgend etwas lenkt meine Gedanken, und dieser Gedanke lenkt meine Hand", Z. 8-9) vollzieht.
55
Ein Tag (engl.) ist ein meist verschnörkelt geschriebenes Namenskürzel.
vgl. Wikipedia. Auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti. [Zugriff erfolgt am:
10.10.2006]
57
Torch. „In Deinen Armen“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records, 2000.
56
68
Durch die Parallelität der Prozesse setzt Torch das Leben des lyrischen
Ichs mit dem Rap gleich. Der Raptext ist zugleich Performanz und Reflektion der Performanz, in dem Sinne, dass er geschrieben ist und vorgetragen wird und gleichzeitig die Hintergründe und Entwicklung seines Geschriebenwerdens aufgezeigt werden. Auch das lyrische Ich
erfüllt einen doppelten Anspruch, in dem es sich einmal auf den realen
Rapper Torch bezieht, der von allen äußeren Einflüssen isoliert in seinem Zimmer sitzt und liegt und an dem Rap schreibt („Ich hatte
Schmerzen und daher wusste ich, dass ich wach war, ganz allein nur
mit der Stille als mein Nachbar. Die Luft war erfüllt mit Nervengift
und wie bekifft starrte ich auf meine Hand, als ich begriff, dass sie zum
Stift griff.“, Z. 1-4) und zugleich diese Performanz auf einer MetaEbene reflektiert, auf der das „Ich“ des Rappers mit der Sprachwelt
kommuniziert („Ich dreh den Kopf, gleich neben mir da liegen sie,
Blätter mit 1000 intensiven Gedanken, geformt in Worte. Wenn man
schreibt, dann sprechen sie.“, Z. 50-52).
Das Ich wird von dieser Welt zunächst vereinnahmt („Als ich leise
oben an der Decke lag, so leer wie ein weißes Blatt, flog ich in meinem
Zimmer umher.“, Z. 47-48; „Und fiel vom Bett direkt in die Schachtel
mit den Texten. Vor Schreck musste ich erkennen, das ich kein Mensch
mehr war, eingeklemmt zwischen dem A und dem K wurde es mir klar:
Ich war der 27. Buchstabe.“, Z. 61-65), aber in letzter Konsequenz als
der Welt fremdes Element wieder ausgestoßen („Das komplette Alphabet stand gegen mich. Sie starrten mich an und lachten mich aus, die
Sätze sagten, ich sei aussätzig und so setzten sie mich aus, und formten
sich zu einem Sinn zusammen und ich konnte mein gesamtes Leben
lesen.“, Z. 65-69).
Das lyrische Ich wird somit zum "Teil einer Vision“ (Z. 7), die aus
seinem Inneren heraus entsteht und löst sich wieder aus dieser heraus.
Es fängt an einen Rap zu schreiben, um das ausdrücken zu können, was
es gegenüber dem lyrischen Du verbal nicht artikulieren konnte ("Die
Mine brach, aber ich schrieb weiter, die nie gesagten Worte rächen
69
sich, aber die Bleistifte in meinem Gedächtnis, die brechen nicht. Ich
hab geschrieben, bis meine Finger wund war’n, weil kein einziger Ton
mehr aus meinem Mund kam, denn als du gingst, ging auch meine
Kraft zu reden fort, wie ein Knebel in meinem Mund.“, Z. 12-18). Der
Akt des Schreibens wird damit zum Akt der Befreiung vom Schmerz
und der kommunikativen Isolation. Erst über ihn kann das lyrische Ich
sein Inneres, schon nahezu zwanghaft, nach Außen kommunizieren
(„In der Zeit zwischen den Träumen, da kann ich schreiben, Exhibitionist gegenüber dem Blatt, ich muss ihm einfach mein Intimstes zeigen.“, Z. 38-40).
Dabei wird die eigentlich rein sprachliche Kommunikation sogar mit
körperlicher Interaktion gleichgesetzt. Das Schreiben und die damit
verbundene Reflektion und der Rückzug ins Innere des Ichs werden
gleichbedeutend mit einem innigen physischen Kontakt mit der geliebten Frau erlebt („Ich hab geschrieben, als würde ich deinen Körper
zeichnen, den Stift über die Blätter streichen und zärtlich über deinen
Rücken streicheln.“, Z. 81-84).
Diese Personifizierung des Schreibens wird anschließend auf der MetaEbene umgekehrt. Das lyrische Ich durchlebt die Metamorphose zum
"27. Buchstaben" (Z. 65), während den Buchstaben auch menschliche
Fähigkeiten zugesprochen werden („Die Sätze sagten, ich sei aussätzig
und so setzten sie mich aus“, Z. 67).
Das lyrische Ich verliert sich zwischen der realen Welt und jener, die
es im Schreiben konstruiert, und erkennt in dieser Leere, daß es „kein
Mensch mehr" (Z. 63) ist. Weil es sich nicht verstanden fühlt und außerstande ist, mit anderen Menschen zu kommunizieren („Ich traf so
viele Frauen, schrieb ihre Nummern auf, aber ich rief nie an, weil ich
nicht mehr sprechen kann. Ich weiß noch, wie nach dem Konzert der
Junge zu mir kam. Ich wollt' ihm so viel sagen, ihn warnen, aber die
Zeit reichte nur für ein Autogramm. Ich hab versagt, deswegen sag ich
nichts mehr.“, Z. 41-46), flüchtet es sich in seine eigentliche Domäne,
das Schreiben.
70
Aber auch hier wird es ausgesetzt und ausgegrenzt. "Das komplette
Alphabet stand gegen mich" (Z. 65) ist als die Resignation zu verstehen, weder bei den Menschen noch bei den Buchstaben Anerkennung
zu finden. Als Buchstabe fällt das lyrische Ich "in die Schachtel mit
den Texten" (Z. 62). Die Texte, geschrieben auf "Blätter mit 1000 intensiven Gedanken" (Z. 51), repräsentieren sein gesamtes Leben, da es
sein ganzes Leben lang geschrieben und dieses Leben in seinen Texten
verarbeitet hat. Nun kann es, wörtlich und symbolisch, "sein gesamtes
Leben lesen" (Z. 69), also seine Innenwelt aus der Außenperspektive
erleben und damit die endgültige Erkenntnis über sein Leben gewinnen.
Das perfekte Verständnis des Textes bzw. der Texte ist daher auch
gleichzusetzen mit dem perfekten Verständnis seines Lebens. Somit
wird das Schreiben von Raps als Reflexions- und Konstruktionsprozess
eigener Identität und eigener Lebenswelt zum eigentlich beherrschenden Thema und Zentrum des Raptextes. Die Inspiration für diesen entstammt allerdings nicht aus sich selbst heraus, sondern aus der tragischen Liebesgeschichte, die das lyrische Ich nur hintergründig und
unbestimmt anklingen lässt. Der Rap dient ihm damit gleichzeitig zur
inneren Bewältigung seines Traumas einerseits und zur Überwindung
kommunikativer Schwierigkeiten nach Außen hin („Stundenlang hab
ich geschrieben, wie leid es mir tat. Hätt ich’s dir gesagt, hätt’ ich uns
viel erspart. Zu spät! Was ist geblieben? An einem Tag hab ich stark an
dich gedacht, ich hab geweint, gereimt und mit meinen Tränen dir diesen Text geschrieben.“, Z. 85-87). In dieser doppelten Funktion lässt
sich auch der Aspekt der „Rappräsentation“ dieses Textes verstehen.
Nicht nur die eigene Identität und die eigene Person, sondern auch der
Rap an sich wird im und durch den Rap präsentiert.
71
4.2
Präsentation
von
Gesellschaftsbildern
und
Erfahrungswelten in deutschsprachigen Raptexten
Als Grundlage der Analyse und Interpretation der folgenden Raptexte
soll zunächst eine Erläuterung zur sozialen Situation jugendlicher
Rapper in Deutschland erfolgen. Die postmoderne Gesellschaft in
Deutschland wird durch Pluralisierungs-, Subjektivierungs- und
Globalisierungsprozesse bestimmt, die über eine Vielfalt von
Sinnangeboten, zu zunehmender Individualisierung und drohendem
Orientierungsverlust von Jugendlichen führen. Im Zeichen des
Niedergangs traditioneller Gemeinschaften, wie der Familie oder des
Vereinswesens, partizipieren viele Jugendliche fast ausschließlich in
selbstgewählten, meist eigenständig entwickelten und bestimmten
Formen
von
Vergemeinschaftungen
wie
Jugendszenen
oder
Jugendkulturen, unter denen die bekannteste und populärste die
musikalisch basierte HipHop-Kultur ist.
Diese war in Deutschland ursprünglich eine von fast ausschließlich
migrantischen Jugendlichen praktizierte Untergrund-Kultur, die als
eine Kultur der Macher keine passiven Angehörigen, sondern nur Aktivisten kannte. Als HipHop und Rap jedoch zu Massenphänomenen
wurden, änderten sich diese Verhältnisse, so dass sich heute neben der
noch immer vorherrschenden Mehrheit migrantischer Rapper, die das
Fundament der HipHop-Szene bilden, auch eine große Zahl deutscher
Rapper finden, die den größeren Anteil an medialer Präsenz und kommerziellem Erfolg in Deutschland innehaben. Um die jeweilige Bedeutung und den Stellenwert des Raps als Literaturform für diese beiden
Gruppen jugendlicher Rapper in Deutschland aufzuzeigen, werden im
Folgenden die soziale Lebenssituation migrantischer und deutschstämmiger Jugendlicher vergleichend betrachtet und ihre Zusammenhänge mit der kulturellen Praxis Rap aufgezeigt.
72
Die Auswirkungen der zunehmenden Pluralismus- und Globalisierungstendenzen auf die Jugend in Deutschland lassen sich deutlich über
die Shell-Jugendstudie 200658 belegen. Nach ihr haben in den letzten
Jahren immer weniger Jugendliche eine eher zuversichtliche Vorstellung von der eigenen Zukunft und der Zukunft der Gesellschaft. Zudem
sind die meisten Jugendlichen der Meinung, die Zuwanderung nach
Deutschland müsse begrenzt werden, da sie ihre gesellschaftliche und
internationale Situation verändert einschätzen. Die Jugendlichen beurteilen ihre wirtschaftlichen und sozialen Aussichten schlechter, was zu
einer emotionalen Schließung „nach außen“ bzw. zu einer verengenden
Besinnung auf den eigenen Kulturkreis führt. Nach der ShellJugendstudie wuchs die Besorgnis von Jugendlichen in Deutschland,
ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder keine adäquate Beschäftigung zu
finden, von 55 Prozent in 2002 auf 69 Prozent in 2006.
Im Vergleich zwischen Jugendlichen migrantischen Ursprungs und
ihren deutschstämmigen Altersgenossen befinden sich die migrantischen Jugendlichen darüber hinaus meist in einer schlechteren sozialen
Situation und werden zudem in ihren Familien oft früh mit Konflikten
oder sogar Gewalt konfrontiert, sind aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in ihrer Entwicklung und Entfaltung benachteiligt und werden von der deutschen Gesellschaft teilweise ausgegrenzt. Im Vergleich mit Jugendlichen aus dem Mittelstand ist ihre Situation der Abgrenzung und Orientierungslosigkeit eine doppelt schwere, da sie sich
nicht nur von einer älteren Generation ausgrenzen und ausgegrenzt
werden, sondern sich dieser Prozess noch einmal auf ethnischer Ebene
wiederholt, indem sie als Jugendliche migrantischen Ursprungs von
einer deutschen Gesellschaft ausgegrenzt werden. Ihr Verhältnis zur
Gesellschaft ist damit von einer strukturell ähnlichen Lebenssituation
geprägt wie die der afroamerikanischen Rap- und HipHop-Begründer
58
http://www.shell.com/home/Framework?siteId=de-de&FC2=/dede/html/iwgen/about_shell/Jugendstudie/2006/zzz_lhn.html&FC3=/dede/html/iwgen/about_shell/Jugendstudie/2006/jugendstudie2006_zukunftssichten.htm
l
73
in den Gettos der USA, auch wenn sie sich inhaltlich nicht ganz so
dramatisch ausnimmt.
Aber auch in Deutschland gibt es organisierte Jugendbanden in den
Großstädten, die außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung nach ihren
eigenen, oft gewaltbestimmten, Regeln leben. Zu dieser Entwicklung
haben vor allem stadtpolitische Veränderungen beigetragen, die zu
einer Gettoisierung von Stadtvierteln führten. Gerade für Jugendliche
aus diesen Vierteln stellt HipHop eine Art Widerstandskultur dar, innerhalb derer sie ihr Recht auf Ausdruck über die Widerstandsliteratur
Rap behaupten können und Raumverdrängungs- und Aneignungsprozesse eine wichtige Rolle spielen. Die deutschstämmigen Jugendlichen
aus mittelständischen Lebensverhältnissen hingegen sehen im HipHop
meist ein Tor zu eben dieser Welt, die ihnen ansonsten als Angehörige
der Herrschaftsschicht verwehrt und verschlossen bliebe.
Da ihre Probleme wie Beziehungs- und Familienkonflikte im Vergleich mit den existentiellen Schwierigkeiten vieler migrantischer Jugendlicher eher marginaler Natur sind, versuchen sie deren Problematiken in ihren Raps aufzugreifen und zu dokumentieren, um ihre eigene
Position aufzuwerten. Statt das, wie auf gesellschafts-politischer Ebene
gefordert, die migrantischen Jugendlichen also in die deutsche Gesellschaft integriert werden, um ihre Probleme zu lösen, ereignet sich im
Rap ein Integrationsbemühen deutschstämmiger Jugendlicher in die
Problematik der Migranten.
Aus diesen gegensätzlich Zugängen zur HipHop-Kultur ergibt sich ein
Kampf um Daseinsberechtigung und Akzeptanz. Während sich die
deutschstämmigen Jugendlichen in die von migrantisch Jugendlichen
dominierte Kultur des HipHop zu integrieren versuchen, sind diese
darauf bedacht, jegliche Aneignungsprozesse ihrer gerade erst im HipHop und Rap geschaffenen Freiräume und Aktionsfelder zu unterbinden. DJ MK ONE führt zur in diesem Sinne mangelnden Akzeptanz
vieler deutschstämmiger Rapper innerhalb der Szene den Aspekt der
mangelnden Authentizität an: „Ein Beispiel dafür ist Maximillian vom
74
Freundeskreis. Den kann ich in seiner Position nicht ernst nehmen. Der
ist gut aufgewachsen und nimmt dreimal Che Guevara in den Mund
und sagt, dass links gut ist. Das ist schön und toll, aber im Endeffekt
schafft er keine Brücke zwischen HipHop und Politik“ (DJ MK ONE.
In: Krekow & Steiner 2002, S. 201).
Die migrantischen Jugendlichen versuchen hingegen diese Verbindung
zwischen Rap, sozialer Realität und ihrer Kritik an dieser vornehmlich
in Worten zu formulieren, die zum einem dem Inhalt der Kritik angemessen sind und zum anderen auf eine Kommunikation untereinander
und nicht nach außen hin abzielen:
Rap ist eigentlich die Sprache der Unterdrückten, und das heißt
eben, dass die Sprache von der Straße kommt, und man muss
diese Straßensprache auch bewahren. Wenn ich die Straßensprache spreche, dann verstehen mich die meisten, die Leute,
die die neue HipHop-Generation ausmachen. Die, die keine Realschule besucht haben, die kein Abitur gemacht haben. Es ist
normal, dass deutsche HipHop-Gruppen keine politischen Themen bringen. Die haben doch nicht solche Erfahrungen wie wir
gemacht (Güngör & Loh 2002, 213).
Im Folgenden wird anhand des interpretativen Vergleichs von fünf
Raptexten von unterschiedlichen Rappern aufgezeigt, wie migrantische
und deutschstämmige Jugendliche ihr Gesellschaftsbild und ihre Erfahrungswelten in deutschsprachigen Raptexten veranschaulichen. Diese
fünf Raps tragen alle den Titel „Mein Block“; eine Gemeinsamkeit, die
nicht willkürlicher, sondern intentionaler Natur ist, da die Raptexte
nicht nur den selben Gegenstand zum Thema haben, den „Block“, sondern sich zudem auch aufeinander beziehen, was durch explizite Verweise auf die anderen Raps in den Texten formuliert ist. Die Raps werden deshalb in der Reihenfolge ihrer Entstehung untersucht, um diese
Verweise aufzeigen und erklären zu können. Inhaltlich differieren die
fünf Raps deutlich, da die Rapper den Begriff „Block“ aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Intentionen angehen.
Dies hat zur Folge, dass die fünf Raps auch verschiedenen Genres zuzuordnen sind.
75
4.2.1 Interpretation des Gangster-Raptextes "Mein Block" von
Sido
Der Rapper Sido, der mit bürgerlichem Namen Paul Würdich heißt,
stammt aus Berlin und ist dort Teil der Rapformation Die Sekte, einer
Gruppe von Rappern, die sich unter diesem Namen organisiert haben
und vornehmlich der New School und ihrem Gangster- und Battle-Rap
zuzuordnen sind. Der Name S I D O ist ein Akronym, dessen Bedeutung Würdich selbst in einem Interview als „superintelligentes Drogenopfer“ erklärte und der auf seinen enormen Drogenkonsum verweisen
soll, der ihm durch die gesellschaftlichen Missstände aufgezwungen
wurde. Die Kritik an der deutschen Wohlstandsgesellschaft, an der er
als Bewohner eines Plattenbaus in einem Randbezirk und früher Schulabgänger mit einem Notenschnitt von 4,7 nie teilhatte, da er von ihr
ausgegrenzt wurde, und das Erheben von Gegenwerten wie etwa Drogenkonsum und eine nicht erfolgs-, sondern unterhaltungsorientierte
Lebenseinstellung, die die eigene Lebenswelt und deren soziale Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten präsentieren, ist auch das beherrschende Element einer Vielzahl seiner Texte. Unter diesem Aspekt
betrachtet ist „Mein Block“ auch ein klassischer Sido-Rap.
Gleich zu Beginn des Textes erfolgt in Form einer doppeldeutigen
Aufforderung eine direkte Ansprache an den Hörer („Steig ein, ich will
dir was zeigen!“, Z. 1), das lyrische Du, bei dem es sich
anzunehmender
Weise
um
einen
Angehörigen
der
Wohlstandsgesellschaft handelt. Das Einsteigen kann als ein Einlassen
und Achtgeben auf den Text einerseits oder als Betreten der Lebenswelt des lyrischen Ichs andererseits verstanden werden. Eindeutig
ist jedoch die damit verbundene Absicht, dem Hörer eine Botschaft
oder Nachricht, also einen Inhalt, vermitteln zu wollen. Dieser Inhalt
wird im Folgenden auch gleich als die Lokalität des Stadtviertels, dem
Märkischen Viertel, konkretisiert, in dem der Rapper Sido zuhause ist,
und dessen besonderen räumlichen und sozialen Besonderheiten
aufgezeigt („Den Platz, an dem sich meine Leute rumtreiben. Hohe
76
rumtreiben. Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume, Menschen auf
Drogen, hier platzen Träume.“, Z. 2-4).
Das Viertel wird damit als ein Ort der Hoffnungslosigkeit beschrieben,
in dem die architektonische Bauweise der Großstadt den Menschen von
der Natur abtrennt und seine existentiellen Grundlagen, wie die Atemluft, gefährdet. Der Frust und die Resignation, die aus dieser Lebensweile erwachsen werden über zielloses Abhängen auf öffentlichen
Plätzen und Drogenkonsum kompensiert, was zu einer weiteren Verschlechterung der individuellen Lebenslage führt. Die Bewertung dieser, nach gesellschaftlichen Vorstellungen äußerst negativen Lebenssituation aber ist eine Frage der Perspektive, wie im Text aufgezeigt
wird, und wird von den Bewohnern des Viertels ganz anders getroffen
(„Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben“, Z. 5). Sie akzeptieren dabei nicht nur diese soziale Identität, die ihnen durch die
bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse aufgezwungen werden,
sondern vertreten und verteidigen diese sogar in solidarischer Verbundenheit nach außen hin („Ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend. Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring, er ist
zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn.“, Z. 5-8). Damit wird die
Identitätsposition des gesellschaftlichen Außenseiters durch Umkehrung der Wertvorstellungen unter eigenen Vorzeichen in die eigene
Identität integriert.
Dieser Prozess wird auch durch die bewusste Ausgrenzung der deutschen Wohlstandsgesellschaft, in Form des lyrischen Dus im Text vertreten, aus diesem Lebensumfeld und von dieser Identitätsposition betont aufgezeigt („Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht wohl
fühlst, dass du viel lieber zu Hause im Kohl wühlst. Du sitzt lieber an
gut gedeckten Tischen, dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich.
Steig ein!“, Z. 9-12). Deutlich wird damit das Leben in den sozialen
Randbezirken der Stadt dem gut bürgerlichen Leben der deutschen
Wohlstandsgesellschaft gegenübergestellt, wobei die PlattenbauViertel nicht mehr nur sich selbst, sondern ganz Berlin präsentieren
77
und somit einen wesentlichen Beitrag zur Identität der ganzen Stadt
und zur Gesamtheit des Stadtbildes leisten. Neben der existentiellen
Sicherheit durch die Verfügbarkeit ausreichender Grundnahrungsmittel, wird auch de sozialer Wohlstand kritisiert („Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus, weil du denkst, du hast alles, was du
brauchst!“, Z. 13-14) und verallgemeinernd von einer herablassenden
und verächtlichen Haltung aller Angehörigen der Wohlstandsgesellschaft gegenüber den Angehörigen der sozial schwachen Schicht ausgegangen. Dieser scheinbare Nachteil wird aber durch das bessere Ausreizen der Möglichkeiten der eigenen Existenz kompensiert („Doch im
MV scheint die Sonne aus dem Arsch! In meinem Block weiß es jeder:
wir sind Stars! Hier krieg ich alles, ich muss hier nicht mal weg, hier
hab ich Drogen, Freunde und Sex!“ , Z. 15-18).
Die Vorteile und Möglichkeiten, die das gesellschaftliche Zusammenleben dem Einzelnen bietet, werden damit im Kontext der eigenen
Lebenswelt reproduziert. Auch unter den vom Erfolg ausgegrenzten
„Verlierern“ in der Gesellschaft gibt es wiederum Sieger und Verlierer,
die im Zusammenleben interne Hierarchien entwickeln. Diese entfallen
aber bei einer Bedrohung oder einem Angriff von Außen, da es ihnen
nur der gemeinschaftliche Zusammenhalt ermöglicht, sich gegen die
überlegene Gesellschaft und deren Werte und Gesetzmäßigkeiten zu
behaupten („Die Bullen können kommen, doch jeder weiß Bescheid,
aber keiner hat was gesehen, also können sie wieder gehn!“, Z. 19-22).
Im Kontext dieses solidarischen Zusammenschlusses wird auch eine
starke Beziehung zum lokalen Wohnraum als verbindendem Element
der sozial schwachen Schicht aufgebaut und dieser zum Symbol für das
eigene Leben und der eigenen Identität erhoben („Mein schöner weißer
Plattenbau wird langsam grau, drauf geschissen, ich werd auch alt und
grau, im MV!“, Z. 23-24). Besonders im Refrain kommt diese Verbundenheit zum lokalen Wohnraum deutlich zum Tragen. Ausgehend vom
Oberbegriff der Stadt Berlin werden immer kleinere zusammenschlussund identitätsstiftende Wohnräume angeführt („Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein
78
Block!“, Z. 25-26), die die Gesamtheit des emotionalen und rationalen
Lebens und der Erfahrungswelt des lyrischen Ichs präsentieren („Meine
Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom ersten, bis
zum sechzehnten Stock!“, Z. 27-28).
Im restlichen Text des Raps beschreibt das lyrische Ich pointiert die
Bewohner seines Hauses, die für die Gesamtheit der Angehörigen der
sozial schwachen Schicht stehen und jeweils unterschiedliche Stereotypen repräsentieren, und deren Lebensweisen und Kommunikation
untereinander. Gleich im ersten Stock wohnt der Hausmeister, der früher den körperbetonten und gesellschaftlich nicht gerade angesehenen
Beruf eines Türstehers ausübte und darüber hinaus eine nicht näher
bestimmte kriminelle Vergangenheit aufweist („Der Typ aus dem Ersten war früher mal Rausschmeißer, seit dem er ausm Knast is, is er
unser Hausmeister.“, Z. 33-34). Bezeichnenderweise ist, mit Blick auf
die Wertumkehrung, damit genau eine Person, die gegen das deutsche
Recht und Gesetz gehandelt hat, für Recht und Ordnung im gesamten
Haus zuständig.
Dieser Aspekt des juristischen Bruchs mit der Gesellschaft wird im
Anschluss auf ein weites Spektrum sexueller Tabubrüche ausgeweitet,
da der Hausmeister eine Prostituierte aufsucht, die im zweiten Stock
lebt und ihn mit sado-masochistischen Sexpraktiken bedient und deren
Dokumentationen an voyeuristische Dritte verkauft („Er is oft bei der
Nutte ausm Zweiten, jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten!“, Z. 35-36). Die Gruppe der Voyeure wird durch den analfixierten Bewohner des fünften Stocks repräsentiert („Der Fetischist aus
dem Fünften kauft sie gerne, er sagt, Rosetten sehen aus wie kleine
Sterne“, Z. 37-38), der seine Vorliebe mit dem homosexuellen Bewohner aus dem elften Stock teilt („obwohl die von dem Schwulen aus dem
Elften immer aussieht, als ob man den Schwanz gerade frisch rauszieht.“, Z. 39-40).
79
Auch die Befindlichkeit homosexueller Frauen wird anhand des Klischees der sexuell frustrierten Hausfrau aufgezeigt, deren Neigungswandel durch sexuelle Frustration aus negativen heterosexuellen Erfahrungen erklärt wird („Ganz zur Freude der Hausfrau darüber, die sagt,
Männer ficken auch nicht mehr wie früher. Deshalb trifft man sie oft
im Fünfzehnten Stock, bei der Hardcore-Lesbe mit dem Kopf unter
ihrem Rock.“, Z. 65-68).
Die Dominanz der sexuellen Abartigkeit aus bürgerlich-gesellschaftlicher Sicht und sexuellen Freiheit aus der eigenen Perspektive
wird zudem über die Darstellung von Sex als einer in allen Arten und
zu jeder Zeit verfügbaren Handlung aufgezeigt („Wenn ich ficken will,
fahr ich runter in den Dritten, aber die Braut fick ich nur zwischen die
Titten, denn der Porno-Stock befindet sie im Achten, hier könnt ich
jeden Tag woanders übernachten.“, Z. 69-72). Die Authentizität der
zum großen Teil außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegenden sexuellen Neigungen und Praktiken wird dabei vor allem durch eine authentische Sprache, der sogenannten Straßensprache, verdeutlicht und
diese auf rein textlicher Ebene somit als wahre Ereignisse und wirkliche Lebensverhältnisse eben jener Lebenswelt der Straße, also des
sozialen Gettos, verifiziert.
Neben der Sexualität spielen im sozialen Umfeld des Gettos vor allem
Drogenkonsum und Drogenhandel eine wichtige Rolle. So wird als
Bewohner des vierten Stocks ein Drogenabhängiger beschrieben, der
seinen Lebensinhalt nur über den Konsum von Rauschmitteln wie Alkohol und Marihuana definiert („Genauso wie der Junkie ausm Vierten,
der zum Frühstück erstmal 10 Bier trinkt.“, Z. 43-44) und zur Beschaffung seiner illegalen Güter den Drogendealer im siebten Stock aufsucht
(„Dann geht er hoch in den Siebten zum Ticker, er bezahlt für 10 Teile,
doch statt Gras kriegt er ’n Ficker! Damals war der Drogen-Stock noch
der Zehnte, der aus dem Siebten is der, der überlebte.“, Z. 45-48).
Mit dem Verweis darauf, dass ursprünglich ein anderer Bewohner die
Rolle des Drogenhändlers ausübte, der aber inzwischen an den Folgen
seines Konsums gestorben ist, wird auch der Konsum und der Verkauf
80
von härteren Drogen wie Heroin angedeutet und aufgezeigt, dass diese
Funktion naht- und reibungslos von einem anderen Gettobewohner
übernommen wird, womit Drogen, einem Grundnahrungsmittel in der
Wohlstandsgesellschaft gleich, auch ständig verfügbar sind. Diese
ständige Verfügbarkeit von Dienstleistungen und Gütern, die es aufgrund von Wertvorstellungen und Gesetzen in der normalen Gesellschaft nicht gibt, erstreckt sich dabei auf ein breites Spektrum („Hier
kriegst du alles, im Zwölften bei Mannek kriegst du Falschgeld“, Z. 6162).
Somit wird über die Metapher des Wohnhauses und seiner verschiedenen Stockwerksbewohner das an sich lebensfeindliche Getto als, perspektivbedingt, durchaus lebensfreundlicher Wohnraum dargestellt,
dessen als offenkundig angesehenen Nachteile in scheinbare Vorteile
umgewandelt werden können. Die Anforderungen, die ein solches Leben an den Einzelnen stellt, sind jedoch hart und erziehen trotz Zusammenschluss nach außen hin nicht zwangsläufig zu Gemeinschaftlichkeit im Inneren.
Wer mit den Lebensbedingungen nicht zurechtkommt, wer quasi
Verlierer unter den Verlierern ist, wird nicht als Teil der eigenen Außenseitergesellschaft akzeptiert und seinem Schicksal überlassen („Im
Sechzehnten Stock riecht der Flur voll streng, aus der Wohnung, wo
so’n Kerl seit 3 Wochen hängt.“, Z. 73-74). Damit wird der Tod, in
Übersteigerung der Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens, gleichzeitig auch als Normalität und Alltag erfahren, und die Schwere, die ihm
seitens der Normalgesellschaft beigemessen wird, aufgefangen.
Insgesamt schafft Sido somit einen Gegenentwurf zum Bild des Gettos
in der Normalgesellschaft, das einerseits als ironische Kritik an den
bestehenden Verhältnissen, aber auch als Homage an das Getto gesehen werden kann. Den möglichen Vermutungen seiner Hörer, dass ihn
sein kommerzieller Erfolg als Rapper in der Normalgesellschaft („Und
davon sing ich dir ein Lied, du kannst es kaufen“, Z. 41), zu dem er
sich auch frei bekennt, zu einem Teil dieser werden lassen könnte, begegnet Sido bereits im Vorfeld, indem er seine Akzeptanz und Verbun81
denheit zu dieser bestimmten Lebenswelt des Gettos und zur Lebenseinstellung des gesellschaftlichen Außenseiters explizit formuliert
(„Auch wenn ich jetzt das dann rock, bin ich immer noch Sido aus’n
Block. Ich fühl mich wohl zwischen Dreck und Gesocks, denn egal
wohin du gehst, es kommt drauf an, wo du herkommst.“, Z. 57-60).
Diese Behauptung wird auch durch den Verweis auf seinen bleibenden
Wohnsitz inmitten des Gettos und der totalen Identifikation mit dessen
Bewohnern unterstütz („Ich häng im Sechsten rum, in meinem Stock!
Mit meinen übergeilen Nachbarn, in meinem Block!“, Z. 75-76).
4.2.2 Interpretation des Gangster-Raptextes "Mein Block" von
Azad
Das deutschlandweite Aufsehen, das der Rap „Mein Block“ von Sido
erregte und den kommerziellen Erfolg, den dieser damit erzielte, motivierten eine Reihe von Rappern dazu, die in der Gesamtgesellschaft
entstandene Diskussion und die thematischen Aspekte des Raps aufzugreifen und spielerisch abzuwandeln. Wo Sido die Berliner Außenseitergesellschaft „nur“ als eigentliche Opfer der sozialen Verhältnisse
beschreibt, denen es gelingt das Beste, aus ihren im Vergleich eingeschränkten Lebensmöglichkeiten zu machen, stellt der iranische Rapper
Azad aus Frankfurt sich und die Angehörigen der Frankfurter
Außenseitergesellschaft
als
eigenständige
Herrscher
über
eine
autonome Welt dar, die sich vornehmlich durch ihre körperliche
Überlegenheit in einem gewaltbestimmten Umfeld auszeichnen („Wir
sind Machthalter, Nordwest Stadt, wir sind Macht, Alter!“, Z. 36).
Damit greift er das im HipHop fest verankerte Prinzip des Wettkampfs
auf und inszeniert in seinem Rap „Mein Block“ das Frankfurter Getto
als denjenigen Lebensraum in Deutschland, der die härtesten
Anforderungen an seine Bewohner stellt und dementsprechend auch
die härtesten Bewohner stellt.
82
Dazu greift er die anderen Rapper und deren „Blöcke“, die sie präsentieren und repräsentieren, unter anderem über Boasting und Dissing
Sprechakte bezüglich der Qualität der Raps und der Rapper an („Aus
meinem Block kommt der beste Rap der Welt. AZ, Ihr seid Mitläufer,
wir Rebellen.“, Z. 37-38). Dabei wird gleich zwei Mal ein direkter Bezug zwischen den Anforderungen der Lebenssituation und der Qualität
der Raps hergestellt („Wir kommen direkt aus dem Dreck, Ihr seid
weichgespielt. Der Beat drückt auf Deinen Magen, bis Du scheißen
willst!“, Z. 39-40; „Ich zeig' Rap, wo die Straßen sind, hundert pro!“,
Z. 61). Den eigenen Rapfähigkeiten, wie dem Flow 59 werden dabei
metaphorisch destruktive Kräfte und Eigenschaften auf physischer Ebene zugesprochen („AZ, mein Flow brennt alles nieder, Du bist Fan
von wem? Mein Flow brennt alles nieder, Junge!“, Z. 62-63).
In erster Linie konzentriert sich Azad aber auf eine genaue Darstellung
der Lebensverhältnisse in seinem sozialen Umfeld, die es als das härteste aller Gettos in Deutschland charakterisieren sollen. Dazu verweist
er gleich zu Anfang auf einen untrennbaren Existenz-Zusammenhang
des lokalen Lebensraums und des Drogenkonsums („In meinem Block
wächst man auf mit Hasch und Beton“, Z. 1), der als ein gegebener
Begleitumstand betrachtet wird („Du lernst schnell [...] wie man das
Gift verträgt, das ist nichts.“, Z. 3-6) und dessen Handhabung als natürlicher Prozess gelernt werden muss, da der Konsum von Marihuana/Gras/Weed/Haschisch/Dope einen wesentlichen Teil des Lebensinhaltes im Getto ausmacht („Ich [...] lass' den Beat bangen, Weed brennen, fahr' zu meinen Gangstern. Wir hängen ab, lassen Rauch raus, es
ist Nebel, Tag aus, Tag ein, Choja, das ist unser Leben.“, Z. 9-13).
Der übermäßige Konsum der Rauschmittel („Wir brauchen mehr
Geld, mehr Gold, mehr Gras“, Z. 31; „Wir verbrennen Dope wie Kalorien“, Z. 54) wird interessanter Weise über eine Argumentation begründet, die auch aus normalgesellschaftlicher Perspektive nachvollziehbar erscheinen mag, nämlich, dass die paralysierende Wirkung der
Rauschmittel, die das Leben zu einem unwirklichen Nebel verzerren,
59
Mit Flow (engl.) wird der Sprachfluss, das Rhythmusgefühl und das
Intonationsvermögen eines Rappers bezeichnet.
83
umfangreichere gewaltvolle Ausschreitungen und Auseinandersetzungen in den Gettos verhindert („es hält uns ruhig, ohne das wird es blutig hier!“, Z. 55).
Einen weiteren Beitrag dazu leistet zwar auch die Präsenz der Polizei,
die allerdings als militante und außenseitergesellschaftsfeindliche Repräsentanten der Normalgesellschaft wahrgenommen werden und dementsprechend gemieden wird („In meinem Block ist es nachts leer auf
der Straße, Bullerei patrouilliert wie Militär auf der Straße.“, Z. 7-8).
Um sich der Polizeigewalt zu entziehen und illegale Aktivitäten wie
Drogenhandel und Diebstahl durchführen zu können („In meinem
Block läuft das Business, das keiner sieht. In meinem Block pumpt
Blaulicht Adrenalin!“, Z. 21-22), haben die entsprechenden Angehörigen der Außenseitergesellschaft ein kodiertes Warnsystem entwickelt,
mit dem sie sich beim Erscheinen der Polizei untereinander warnen
(„Du hörst Hiba-Ash, wenn die Bullen kommen. Rasch wird mein
Block leer. Du lernst schnell, wie man Gewicht bewegt, schnell, wie
man Gesichter liest“, Z. 2-5).
Diese nach innen solidarische und nach außen abgrenzende Handlungsweise beruht auf einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl der
gesellschaftlichen Außenseiter, wie sie auch Sido für Berlin geltend
macht („In meinem Block sind wir eine Gang und wir brauchen keine
Farben oder Zeichen, um uns zu erkennen!“, Z. 51-53). Statt der Gangfarben und Handzeichen, über die sich Jugendgangs in den Staaten in
kennzeichneten und identifizierten, wird die Identifikation mit den
Mitbewohnern des eigenen Gettos und den Angehörigen der eigenen
Clique über eine gemeinsame kodierte Sprache, ein gleiches Outfit und
den familiengleichen sozialen Zusammenhalt gewährleistet („In meinem Block sprechen wir unseren eigenen Slang. In meinem Block sind
die Jungs wie meine zweite Fam.“, Z. 23-24; „In meinem Block haben
wir unsere eigene Mode: Reebok Classic, Azad-Shirt und 'ne Trainingshose.”, Z. 32-33) und der eigene identitätsstiftende lokale Lebensraum zum gesamten Lebensraum schlechthin erklärt, indem er mit der
84
gesamten Welt gleichgesetzt wird („Mein Block, mein Revier, mein
Heim, meine Welt!“, Z. 28).
Im Gegensatz zu den in Sido’s „Mein Block“ geschilderten Lebensumständen rührt dieser Zusammenhalt aber weniger von der im Vergleich zur Lebenswelt der Normalgesellschaft schlechteren sozialen
Lebenssituation, sondern hauptsächlich von der gewaltbestimmten
Form der im Frankfurter Getto lebenden Außenseitergesellschaft („Wir
sind rau wie der Wind, der hier weht! Komm' in mein Viertel und ich
zeig' Dir, was geht!“, Z. 41-42). In dieser gilt das Gesetz des Stärkeren
(„In meinem Block gelten Regeln, die wir selbst aufstellen.“, Z. 29),
dessen Auswirkungen auf das Zusammenleben in Form einer kleinen
Zahlenspielerei im Raptext präsentiert („Vier-Drei-Neun, Frankfurt am
Main, jeder Zweite von uns war in einem Kampfsportverein. Jeder
Dritte hat einen Pitt, weil jeder Vierte versucht Dich zu ficken, gibt es
noch die fünf in's Gesicht.“, Z. 56-59) und selbstironisch als den außergesellschaftlichen Umständen angemessene und entsprechende „Nordwest-Mathematik“ (Z. 60) bezeichnet werden.
Im Gegensatz zu der von Sido beschriebenen Gesellschaftsgruppe aus
Berlin hat sich die Frankfurter Außenseitergesellschaft nur bedingt an
die Lebensverhältnisse angepasst („Wir leben hier im Dunkeln, auf der
Suche nach dem Licht, wir sind Nachtfalter.“, Z. 30-35). Gleich dem
nur in der Dunkelheit aktiven Nachtfalter streben auch sie aus den Niederungen und Missständen ihrer Lebenssituation, in die sie hineingeboren worden, dem Licht, also einem erfolgreichen und abgesicherten
Leben jenseits des Überlebens entgegen. Aber in der Realität bleibt
dieses Ziel für sie unerreichbar, die einzige Form von Reichtum, die sie
erreichen können, ist nicht materieller, sondern ideeller Natur („Unsere
Familien, unser größter Reichtum, unsere Heimat im Inneren“, Z. 1415).
Die Ursache dieser sozialen Ungerechtigkeit wird in der aus ihrer
Position nicht zu ändernden Haltung und Handlungsweise der herrschenden Normalgesellschaft gesehen („Das Leben füttert uns mit
Frust, wir reagieren über. Unser Blut kocht und wir können nichts da85
für. Ich knall' die Fakten wie Schellen auf den Tisch: Es bleibt, wie es
bleibt, und es is, wie es is!“, Z. 17-20), die letztlich in emotionaler Überreaktion, Gegenpositionierung und Kampfansage an diese herrschende Gesellschaft resultieren („Ihr seid Feinde, wir Killer, komm'!“,
Z. 16).
Der Rap endet mit dem deutlichen Verweis auf die Autorenintention an
den Hörer, nicht etwa die gesellschaftlichen Missstände in den Großsiedlungen und Großstadtgettos nur anzuprangern, sondern diese im
sprachlichen Wettkampf auch als bestmöglichen Gegenentwurf zu den
Lebensräumen der Normalgesellschaft darzustellen („Jetzt wisst Ihr,
wer den geilsten Block hier hat! Azad! Der Bozz! Frankfurt Nordwest!
Komm'!“, Z. 76-77).
4.2.3 Interpretation des Story-Raptextes "Mein Block" von Blumentopf
Auch die fünf deutschstämmigen Rapper aus München greifen in ihrem
Rap „Mein Block“ das Bild des eigenen Stadtviertels bzw. der eigenen
Stadt als Metapher für gesellschaftliche Verhältnisse auf („Das ist mein
Block, mein Haus. mein Viertel. Mein Block, meine Straße, mein Viertel.“, Z. 1-2), aber thematisieren diese, entsprechend ihrer anderen Erfahrungs- und Lebenswelt als beispielsweise Sido oder Azad, mit Blick
auf die Normalgesellschaft. Ihr Rap ist zwar ebenfalls eine Homage an
ihre Stadt (Und Leute wisst Ihr was? Ich lieb' die Stadt!“, Z. 25; „Und
Leute wisst ihr was? Ich mag die Stadt!“, Z. 68) und die Gesellschaft,
in der sie leben, aber er kritisiert, unter normalgesellschaftlichen Wertvorstellungen, auch deutlich die Missstände innerhalb dieser Gesellschaftsgruppe. Dies sind in erster Linie die mangelhafte Kommunikation miteinander („Meine Wohnung ist im ersten Stock, in dem Block
mit der Schneiderei im Erdgeschoss. Wo man mich nicht grüßt, sondern gegen Wände klopft“, Z. 3-5; „Wo man selten jemand lächeln
86
sieht“, Z. 9) und die fehlende Solidarität untereinander („Wo keinem
was entgeht, weil jeder aus dem Fenster glotzt. Wo Gerüchte sich
verbreiten wie ein Kettenbrief, und man sich den Kopf zerbricht, wie
ich mein Geld verdien“, Z. 6-7; „Wo's kein Mensch interessiert, wenn
Du einmal Hilfe brauchst. Sogar der Hausmeister macht Dir hier die
Tür' nicht auf. Hauptsache ist, Du rückst die Miete raus“, Z. 11-13), die
in einem starken Gegensatz zum von Sido und Azad propagierten
Gemeinschaftsgefühl der Außenseitergesellschaft stehen. Dieses wird
darüber hinaus insofern konterkariert, dass die einzige soziale Verbindung des lyrischen Ichs in der Normalgesellschaft nicht etwa eine
gleichaltrige Person, sondern eine alte Frau ist, zu der es eine familienähnliche Beziehung aufbaut („Und deshalb kenn' ich meine Nachbarn
nicht, außer der Frau neben mir, die schon einundachtzig ist [...] und
ich teil meine Zeitung mit ihr und deshalb find' ich manchmal Süßigkeiten vor der Tür. Und dann ist es fast 'n bisschen so, als ob Du noch
’ne Oma hättest“, Z. 49-55).
Im ironischen Verweis auf die vorangegangenen Raps und deren Darstellung eines Lebensraumes, in dem Drogenhandel, Diebstahl und
Prostitution die einzigen Möglichkeiten zu sein scheinen, um Geld zu
verdienen, wird die Schilderung des Münchner Stadtviertels über normalgesellschaftliche Geschäfte („In dem Block mit der Näherei im
Erdgeschoss“, Z. 4; „In dem Block mit der Schneiderei im Erdgeschoss“, Z. 31) inszeniert.
Mit diesem Verweis einher geht eine Beschreibung typischer deutscher normalgesellschaftlicher Einstellungen wie der Berufsauffassung
(„Wo Künstler noch 'n Schimpfwort und keine Arbeit ist“, Z. 16) und
dem damit verbundenen Lebensrhythmus und der Lebensausrichtung
(„Wo man es hasst, wenn Du 'ne Party gibst, weil das ganze Haus am
Schlafen ist.“, Z. 17-18) und alltäglichen Handlungsweisen („Wo du an
'nem Dienstag nicht lange schläfst, weil die Müllabfuhr direkt vor der
Garage steht, wo der Nachbar gerne Rasen mäht, wo man Treppen
putzt und Straßen fegt.“, Z. 19-22), die sich jedoch objektiv betrachtet
87
gegen die dargestellten Probleme der Außenseitergesellschaft, wie
Drogen, Kriminalität, Gewalt und Armut, eher marginal ausnehmen.
Während aber die Raps von Sido und Azad eine deutliche räumliche
Trennung von Außenseiter- und Normalgesellschaft in ihren Texten
implizieren und ein Bild von klar nach sozialem Gefälle separierten
Lebensräumen zeichnen, teilen sich bei Blumentopf beide diesen selben
Lebensraum („Und wenn ich aus dem Fenster glotz, seh ich statt Sonne
nichts als Sichtbeton, denn meine Wohnung liegt im Rückgebäude, mit
Blick auf den Hinterhof.“, Z. 32-35) und seine sozialen Umstände
(„Dort wird nur Müll geholt, und Kinder spieln da nicht, und wenn
Oktober ist, dann riecht man es, denn dann wird in den Hof gepisst,
weil gleich nebenan die Wiesn ist.“, Z. 36-38).
Verweise auf die in den anderen Raps als Hauptmerkmale aufgezeigten
Aspekte des Drogenkonsum, der Prostitution, der Kriminalität und der
HipHop-Kultur finden sich in diesem Text nur selten und mit unterschiedlicher Zuschreibung. Während der Normalgesellschaft der sozial
schwachen Schicht beispielsweise ein verklemmter Umgang mit Sexualität vorgehalten wird („Und er hofft, Du denkst, er hat sowas wie 'n
Arzttermin, doch allen ist klar was geht, hinter der Tür im Erdgeschoss
auf der Massage steht.“, Z. 44-46) und sich die Konflikte der Lebensweise als HipHopper auf geringfügige nächtliche Ruhestörung („Wo
Du nachts mit Skateboard heimfährst und mit dem Lärm die Nachbarn
weckst“, Z. 62) beschränken, werden kriminelle Handlungen andeutungsweise allein dem migrantischen Umfeld zugesprochen („in der
Türken den italienischen Laden besitzen, wo ein Import-Export-Shop
neben dem anderen liegt, und Du das Gefühl nicht loswirst, alles was
es dort gibt, kann da nur gelandet sein, weil es vom Lastwagen fiel.“,
Z. 58-61). Obwohl Blumentopf insgesamt ein glaubhafteres, weil vielseitigeres und vielschichtigeres Bild des sozialen Randbezirks als lokalen Lebensraums entwerfen, bestätigen sie teilweise die bei Sido und
Azad formulierte Annahme einer feindseelig eingestellten deutschen
Normalgesellschaft.
88
4.2.4 Interpretation des Battle-Raptextes "Mein Block" von Aggro
Berlin
Der Rap „Mein Block“ von der Berliner Rapgruppe Aggro Berlin, bei
der auch Sido mitwirkt, ist im Wesentlichen ein Remix, also eine Neuaufbereitung des alten Sido-Raps, der lediglich aus aktuellem Anlass
um ein Intro, eine zusätzliche Strophe und ein Outro erweitert wurde,
die von einem Berliner Rapper namens Loku gerappt wird. Der Remix
entstand dabei als direkte Antwort auf die Gegenentwürfe, die Blumentopf und eine andere deutschstämmige Rapgruppe namens Hecklar &
Koch mit ihrem jeweiligen Rap „Mein Block“ zu Sido’s Darstellungen
gesellschaftlicher Verhältnisse formulierten.
Schon im Intro wird dem Hörer erklärt, dass Sido nur über dem HipHop-Magazin Jues beiliegende Musik-CDs von diesen RapGegenentwürfen erfahren hatte („Ich hab mir die letzten zwei Jues geklaut, und auf den CDs waren so zwei Tracks drauf, die heißen "Mein
Block" von Blumentopf und Hecklar & Koch.“, Z. 1-3) und der Remix
damit lediglich in Reaktion auf diese entstand, um die Herrschaftsverhältnisse im Wettkampf um die Legitimierung der eigenen Gesellschaftsdarstellung wieder herzustellen („Mein Block, mein Block, mein
Block und nicht Blumentopf sein Block! Mein Block, mein Block,
mein Block und nicht Hecklar & Koch sein Block!“, Z. 4-7). Damit
spricht Sido den Mitgliedern der beiden deutschstämmigen Rapgruppen
das Teilen dieser Erfahrungswelt ab, die erst zum Sprechen über die
Inhalte und Zustände des Lebens in den sozialen Randbezirken berechtigt. Diese Degradierung wird hinsichtlich des Status als Rapper über
eine rhetorische Zwischenfrage des Rappers Loku erweitert („„Ey, Sido, wer is’n Blumentopf? Wer is’n Hecklar & Koch?“, Z. 88-89), mit
der dieser die beiden durchaus bekannten und erfolgreichen Rapformationen im übertragenen Sinne als unbekannte und unwichtige Gruppen
bezeichnet.
Der Rapper Loku trägt zur Gesellschaftsdarstellung lediglich dadurch
bei, indem er ein weiteres Mal auf den massiven Drogenkonsum unter
89
den Jugendlichen in diesen Viertel verweist („In meinem Block gibt es
Drogen genug.“, Z. 81) und auch seinen eigenen Drogenkonsum propagiert („Für meinen Nachbarn mach ich jeder Zeit einen Kopf klar.
Stani, ich hab immer gutes Dope da!“, Z. 82-83), auch wenn er einräumt, dass er durch diesen auch seine gesellschaftlichen Perspektiven
verloren habe („An Schule wurde nicht gedacht, wir haben lieber gelenzt, ’nen dicken Kopf geraucht und den Unterricht geschwänzt!“, Z.
86-87).
Am Ende des Raps wird, ähnlich wie bei Azad, noch einmal ein expliziter Verweis auf den zugrunde liegenden Wettkampf und den damit
verbundenen Streit um das authentischste und ansprechendste Gesellschaftsbild an den Hörer gerichtet („Jetzt könnt ihr euch entscheiden:
Wer hat den geilsten Block in Deutschland, Alter?“, Z. 98-99) und die
eigene Gruppe dabei als Sieger des Wettkampfes vorweggenommen
(„Beathovens Remix, Sido, Aggro Berlin, Loku, Fuhrmann und Band,
und die ganze Welt brennt! Aggro Berlin!“, Z. 100-102).
4.2.5 Interpretation des Battle-Raptextes "Mein Block" von Eko
Den Schlusspunkt unter die „Mein Block“-Reihe setzte der türkische
Rapper Eko aus Gladbach. Sein Rap greift das zugrunde liegende
Wettkampf-Prinzip inhaltlich am deutlichsten auf, da von allen Raps
seine Merkmale als Battle-Rap, die Sprechakte des Boasting und Dissing, am stärksten ausgeprägt sind, und distanziert sich gleichzeitig
parodistisch davon, indem er mit der Mehrdeutigkeit des Wortes
„Block“ spielt und dem Rap und der HipHop-Kultur an sich kommerziellen Charakter statt sozial-politischer Motivation unterstellt.
Der „Block“ ist bei Eko kein lokaler Lebensraum und keine Metapher
für gesellschaftliche Verhältnisse in Deutschland, sondern ein Notizblock, der die Gesamtheit seines Lebens als kommerziell ausgerichteter
90
und erfolgreicher Rapper enthält. So finden sich in ihm eine Vielzahl
von Geschäftsterminen („In meinem Block stehen viele Termine“, Z.
3), mit der Eko implizit aussagt, dass sich seine Raps gut verkaufen
lassen, weil er aufgrund seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten als Rapper
so viele Hörer hat. Diese Interpretationsrichtung wird dadurch in ihrer
Wahrscheinlichkeit bestärkt, dass der Block bei Eko im Refrain durchgängig über Verweise auf den Beruf des Rapmusikers kontextualisiert
wird („„Meine Arbeit, mein Geld, mein Label, mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!“, Z. 18-19).
Damit löst Eko in gewisser Weise das die anderen Raps dominierende Moment der gesellschaftlichen Verhältnisse auf, da er weder die
Außenseiter- noch die Normalgesellschaft explizit thematisiert, sondern diese beiden nur in ihrem Zusammenwirken als Gesamtgesellschaft versteht, in der jeder die Möglichkeit hat zu kommerziellem Erfolg und sozialem Aufstieg zu gelangen.
Um Rap zu seinem Beruf machen zu können, hat Eko im wirklichen
Leben ein Label, also eine eigene Produktions- und Vertriebsfirma,
gegründet, auf das er sich auch im Text bezieht. Diese Arbeit ist zwar
mit Stress, also alltäglichen Anforderungen, und Aufwand verbunden
und bedarf einer juristischen Legitimierung durch Verträge, um in
Funktion treten zu können, bringt ihm jedoch auf der anderen Seite das
Geld, um sich finanziell absichern und einen gehobenen Lebensstandard ermöglichen zu können.
In Kontrast zu den illegalen Geschäften, wie Azads „Business, das
keiner sieht“, die als einzige Möglichkeit der Berufsausübung für die
gescheiterten Existenzen der Außenseitergesellschaft dargestellt werden, repräsentiert sein Block den höchste Element der Weltwirtschaft,
die Börse („In meinem Block hab ich immer neue Börsen-News“, Z.
37), und demonstriert damit Ekos sozialen Aufstieg innerhalb der Gesellschaft („Es steht in meinem Block: Ich mach jetzt Pinke-Pinke“, Z.
67), der eine gleichzeitige Lossagung und Abtrennung vom bisherigen
lokalen Lebensraums des Gettos beinhaltet („Also bepiss ich die Gegend nebenbei und sage zu euch Winke Winke!“, Z. 68), auf das er,
91
indem er diesen metaphorisch mit einer Latrine gleichsetzt, verächtlich
zurückblickt.
Mit dem zusätzlichen Verweis auf seinen Erfolg bei den Frauen, wie
der Sängerin Yvonne Catterfeldt, die ganz oben auf der Liste in seinem
Notizblock steht („Mein Block, was verblätter ich noch diesen Scheiß?
Ach ja, Catterfeldt, Nummer Eins!“, Z. 32-33), nimmt Eko zudem Bezug auf die Verhältnisse in seinem wirklichen Leben, in dem er zum
Zeitpunkt der Entstehung dieses Raps eine Beziehung mit Valesca
führte, der Gewinnerin der Fernsehshow Deutschland sucht den Superstar. Neben dem für Battle-Rap obligatorischen Verweis auf kommerziellen, sozialen und sexuellen Erfolg finden sich in seinem umfangreichen Notizblock („Mein Block hat mehr Seiten als die Bibel“, Z. 9)
auch die Grundlagen seiner Arbeit als Rapper: die Songtexte und
Geschäftskonzepte („Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen, die Notizen
kennt außer mein Block nur Gott!“, Z. 20-21).
Neben diesen zahlreichen Boastings finden sich aber auch viele Dissing-Sprechakte in Ekos Rap, mit denen er sich direkt gegen die anderen Rapper wendet und sie über Bezugnahme auf ihre fehlenden Qualitäten als Rapper und unrealistischen Auffassungen von Rap angreift.
Sehr deutlich wird diese Bezugnahme an der Textparallelität der Zeilen
1 und 2, „Du mit deinem Underground-Sound lachst mich aus, weil du
denkst, du kommst irgendwann groß raus“, in Ekos Rap und den Zeilen
13 und 14 in Sidos „Mein Block“: „Du in deinem Einfamilienhaus
lachst mich aus, weil du denkst, du hast alles, was du brauchst“. Damit
nimmt Eko den Diss von Sido auf und entkräftet ihn, indem er nicht
den darin implizierten Vorwürfe widerspricht, sondern diese als zutreffend formuliert und im Gegenzug dafür die Position des anderen hinterfragt („Wie willst du dein Geld mit Realness verdienen?“, Z. 4).
Damit stellt er, nach dem Motto „Du bist, was du sprichst“, die bewusste Positionierung als gesellschaftlicher Außenseiter von Sido und
Azad als eine performative Sprachhandlung dar, die insofern mit einer
wirklichen Handlung gleichzusetzen ist, dass sie auch zur Fixierung der
92
Rolle als gesellschaftlicher Außenseiter im realen Leben führt. Der Rap
von deutschstämmigen Rappern wird hingegen gar nicht erst ernst genommen („Jeden Tag höre ich einen Witz von irgendwelchen deutschen Kids“, Z. 7) und als bloße Kompensation emotionaler Defizite
dargestellt („Nur so kriegen sie ein bisschen Liebe und sie freuen
sich.“, Z. 8).
Indem Eko die anderen Rapper aus seinem Block verbannt („Die Seite
mit den Rapper-Nummern hab ich heute rausgerissen.“, Z. 27), erklärt
er diesen, ähnlich wie andere Gesellschaftsgruppen in den anderen
Raps aus den lokalen Lebensräumen ausgegrenzt werden, auch zu seiner eigenen und ganz persönlichen Lebenswelt. Deutlich spricht er
ihnen den Erfolg im Rapgeschäft („An euch Oberclowns: Ihr kriegt alle
kein Respekt vor mir!“, Z. 29-30) und die entsprechenden Qualitäten
als Rapper ab, wie etwa Freestyle-Vermögen, Reimkunst und Wortschatz („Ich schreibe Lyrics, aber Rappen aus dem Kopf ist kein Thema! Kannst fragen, wenn du irgendwelche Wörter suchst.“, Z. 35-36).
Deutlich erklärt er jegliche Bemühungen, ihn im Rappen zu übertrumpfen, als von vornherein zum Scheitern verurteilt („Ihr seid gegen
mich, doch ich schreib Gegenhits. Mich zu dissen, ändert euer scheiß
Leben nicht.“, Z. 53-54), da er ob seiner Qualitäten stets siegreich aus
den sprachlichen Auseinandersetzungen hervorgehen und sich dementsprechend auch länger in den Charts halten würde („Manche Rapper
machen Doppel-Alben wegen mir, doch sie können sich nicht eine
Woche halten neben mir.“, Z. 59-60). Entsprechend dieser Behauptungen erklärt er sich zum Herrscher über den deutschen Rap („Nenn mich
König oder Vater!“, Z. 61), der sich selbst aus eigener Kraft im harten
Wettkampf des Rap-Geschäftes durchgesetzt hat („Eure Kackidole
wollen alle erreichen, was ich geschafft hab!“, Z. 43). Mit dem einzigen Verweis auf den lokalen Lebensraum in diesem Text („Das ist
Mönchengladbach!“, Z. 42) wird dieser Sieg des Willens und des Könnens über widrige Umstände als typische Qualität der dortigen Gesellschaft gekennzeichnet, die aber nicht drastisch in eine Normal- und
eine Außenseitergesellschaft unterschieden wird.
93
4.3 Resümee und Fazit der Interpretation
Anhand der untersuchten Texte wurde gezeigt, dass jugendliche Rapper in Deutschland in Raptexten sowohl ihre Identität entwickeln und
öffentlich ausdrucksstark darstellen, als auch ein Bild der Gesellschaft
zeichnen und vermitteln, das sich aus ihrer individuellen Wahrnehmung und Bewertung der Eindrücke und Ereignisse in ihrem Handlungsfeld und ihrer Erfahrungswelt ergibt. Interessant ist dabei auch,
dass die Jugendlichen den Rap, der ihnen als literarisches Instrument
zu diesen Funktionen dient, und die Art und Weise, in der sie ihn zur
Anwendung bringen, in ihren Raptexten ebenfalls reflektieren und dokumentieren.
Die thematischen Schwerpunkte, über die Prozesse um die Identitätskonstruktion und Identitätsbehauptung veranschaulicht werden, sind
meist Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen - wie bei „Ich hab
geschrieben“ von Torch -, Bezugnahmen auf den eigenen sozialen und
lokalen Lebensraum als identitätsstiftendes Merkmal - wie bei „Die
Jungs aus dem Reihenhaus“-, und identitätsbedingte Konfliktsituationen mit der Gesellschaft, wie in „Eins auf Eins“ von Skills en Masse,
die überwiegend von Jugendlichen migrantischer Abstammung formuliert werden.
Von der deutschen Gesellschaft wird in Raptexten ein heterogenes Bild
entworfen. Während viele Jugendliche migrantischer Abstammung aus
den Großstadt-Gettos in ihren Texten das Bild einer lebensfeindlichen
Umgebung zeichnen, die von Kriminalität, Drogen und Gewalt geprägt
ist, entwerfen besonders deutschstämmige Jugendliche ein Gegenbild,
das diese Schilderungen teilweise relativiert. In gewisser Weise wird
damit der Kampf um Lebensraum, der sich auch auf sozialer Ebene
zwischen Deutschen und Migranten und ihren Kindern abspielt, auf
literarischer Ebene fortgeführt. Mit deutlicher Geringschätzung verweisen die überwiegend migrantischen Gangster- und Battle-Rapper die
deutschstämmigen Jugendlichen in ihren Texten gleichermaßen aus
94
dem Viertel und aus dem Rap, da sie auch im wirklichen Leben beide
als ein migrantisches Erbe ansehen. Die deutschstämmigen Jugendlichen hingegen versuchen in ihren Texten gleichzeitig, sich diesen lokalen Lebensraum und die Zugehörigkeit zur Subkultur des HipHop, im
Besonderen die Legitimierung als Rapper, anzueignen. Dies wird beispielsweise in „Mein Block“ von Blumentopf deutlich, die sich im unbestimmten Niemandsland zwischen Außenseitergesellschaft und
Normalgesellschaft positionieren und ihre Bezüge und Distanzen zu
beiden gleichermaßen aufzeigen.
Sowohl in den Raps zu Aspekten von Identität als auch in den Texten
zum Gesellschaftsbild wird Rap als kommunikative Ausdrucksform
reflektiert. Am deutlichsten geschieht dies bei „Ich hab geschrieben“
von Torch, der den Prozess des Rapschreibens als das Betreten einer
Rapwelt beschreibt, die nicht mehr nur sprachlich ist, sondern als eigenständige und reale Welt personifiziert wird. Erst mit dem Betreten
dieser Welt kann eine Distanz aufgebaut werden, um aus der Außenperspektive auf die eigene Lebenswelt blicken zu können. Erst über
den Rap kann der Rapper also seine Erfahrungswelt und deren Grenzen
erkennen und diese reflektieren. Diese essentielle Funktion der Welterklärung macht Rap zu einer so wichtigen literarischen Gattung für gerade die Jugendlichen in Deutschland, die keinen oder nur einen geringen Bezug zu Literatur im klassischen Sinn haben.
Als einen der möglichen Gründe für die Beliebtheit des Raps bei gerade diesen Jugendlichen nannte der Rapper Holunder, mit bürgerlichem
Namen Bernhard Wunderlich, von der Rapgruppe Blumentopf mir im
persönlichen Gespräch60 die Inhalte des Raps an sich, die auf einer in
sozialer Hinsicht ganz bestimmten Lebens- und Erfahrungswelt basieren und diese auch repräsentieren. Rap sei für ihn eine Literatur der
Reflektion, der Selbstverarbeitung und des Protestes, weswegen er
beim Schreiben auch immer den Inhalt über den Reim stelle und Texte
produziere, deren Inhalte sich mit den Inhalten seines eigenen wirkli60
Das Gespräch fand nach dem Blumentopf-Konzert in der Halle 02 in Heidelberg
am 06. 10. 2006 statt.
95
chen Lebens decken. Obwohl einige Texte von Blumentopf wie Gedichte gelesen werden können und über gleiche strukturelle und formale Eigenschaften verfügen, betonte Holunder in diesem Gespräch zudem, dass ihm beispielsweise das Schreiben von Gedichten zu Beginn
seiner Karriere als Rapper nie in den Sinn gekommen wäre. Der performative Charakter und die Inhalte der Raps und die grundlegenden
Praktiken und Werte der HipHop-Kultur hätten ihn hingegen sofort
angesprochen. Mit dieser für die meisten Rapper repräsentativen Aussage unterstreicht Holunder die Bedeutung von deutschsprachigen
Raptexten als einer Literatur einer nicht-literarischen Jugendkultur.
96
5. Schluss
In dieser Arbeit wurde gezeigt, dass deutschsprachiger Rap eine
literarische Gattung sind, die als Literatur einer nicht-literarischen
Jugendkultur bezeichnet werden kann. Der Rap erreicht nicht nur mehr
als drei Millionen jugendliche Hörer in Deutschland, sondern regt auch
eine Vielzahl davon zur Eigenproduktion von Literatur, nämlich zu
Raptext, an. Besonders für Jugendliche migrantischer Abstammung,
die in den Wohnblöcken und Plattenbauten
der sogenannten
Großstadt-Gettos leben und deren lokaler Lebensraum und soziale
Erfahrungswelt von Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Diebstahl und
Gewalt und dementsprechend von Perspektivlosigkeit und Frust
geprägt sind, übernimmt der Rap eine wichtige Funktion zur Reflektion
und öffentlichen Darstellung von eigener Identität und individuellen
Gesellschaftsbildern. Literatur im klassischen Sinne hingegen spielt in
der Lebenswelt dieser Jugendlichen eine deutlich untergeordnete Rolle.
Der Rap ersetzt diese aber und bietet in seinen Texten einen freien
Aktionsraum, in dem sich diese Jugendlichen ungezwungen und
eigenständig in deutscher Sprache literarisch betätigen, entwickeln und
entfalten und ihre Kritik an bestehenden Verhältnissen ausdrücken
können.
Um dies aufzuzeigen, wurden zunächst die theoretischen Grundlagen
der Arbeit dargelegt. Der Begriff „deutschsprachiger Raptext“ wurde
einführend erklärt und Raptexte auf ihre Berechtigung und Relevanz
als
literaturwissenschaftlicher
Forschungsgegenstand
untersucht.
Weiterhin wurde eine Übersicht über die literarische Situation von
Jugendlichen in Deutschland gegeben und der hermeneutischkontextualistische Ansatz dieser Arbeit vorgestellt.
Im Hauptteil der Arbeit wurde dann der Forschungsgegenstand Rap im
Kontext
der
HipHop-Kultur
untersucht.
Dazu
erfolgte
eine
weiterführende Beschreibung des Forschungsgegenstandes Rap, die
sowohl eine Erklärung seiner soziohistorischen Entstehung und
97
Entwicklung im Kontext der HipHop-Kultur in den USA, als auch
seine spätere Entstehung und Entwicklung in Deutschland umfasst. Es
wurde dabei gezeigt, dass Rap von afroamerikanischen Jugendlichen
eigenständig als Literatur gegründet wurde, um einmal in Form von
Partyanimation und unterhaltender Texte direkt zur Verbesserung der
Lebensqualität der Hörer beizutragen und um die Hörer zum anderen
über nachdenkliche bis aggressive gesellschaftskritische Texte zu einer
Verbesserung der Lebensqualität anzuregen. In diesem Zusammenhang
erfolgte auch eine Betrachtung wesentlicher dem Rap zugrunde
liegender afrikanischer Sprachpraktiken, durch die diese Kritik
teilweise kodiert wird. Ergänzend dazu wurde eine Übersicht über die
verschiedenen Rap-Genres gegeben, die sich in Deutschland als
eigenständige Untergattungen herauskristallisiert entwickelt haben.
Im letzten Schritt wurden ausgewählte deutschsprachige Raptexte dann
entsprechend
des
hermeneutisch-kontextualistischen
Ansatzes
interpretiert. Anhand der untersuchten Texte wurde gezeigt, dass
jugendliche Rapper in Deutschland in Raptexten sowohl ihre Identität
entwickeln und öffentlich ausdrucksstark darstellen, als auch ein
heterogenes Bild der Gesellschaft zeichnen und vermitteln, das sich aus
ihrer individuellen Wahrnehmung und Bewertung der Eindrücke und
Ereignisse in
zusammensetzt.
ihrem
Dabei
Handlungsfeld
und
reflektieren
und
ihrer Erfahrungswelt
dokumentieren
die
Jugendlichen in den Raps ausführlich die Art und Weise, in der sie Rap
als literarisches Instrument zu diesen sprachlichen Handlungen
benutzen.
In der Einzelanalyse ausgewählter Raptexte konnte aufgezeigt werden,
dass die Prozesse um die Identitätskonstruktion und Identitätsbehauptung meist über Bezugnahmen auf zwischenmenschliche Beziehungen,
den eigenen sozialen und lokalen Lebensraum als identitätsstiftendes
Merkmal und identitätsbedingte Konfliktsituationen mit der Gesellschaft in Deutschland veranschaulicht werden. Weiterhin wurde das
heterogene Bild untersucht, dass von dieser Gesellschaft in den Raptex98
ten entworfen wird. Es wurde anhand der Texte nachgewiesen, dass im
Rap ein Spannungsfeld zwischen Jugendlichen migrantischer und Jugendlichen deutscher Abstammung existiert, das auch die jeweiligen
Darstellungen von Gesellschaftsbildern in den Raps prägt. Während
viele Jugendliche migrantischer Abstammung ihr lokales und soziales
Lebensumfeld als ein von Kriminalität und Gewalt geprägtes Getto
beschreiben, formulieren besonders deutschstämmige Jugendliche
durchaus ein positives Gegenbild der Gesellschaft in Deutschland.
Die Interpretation der Texte ergab auch, dass damit der Kampf um
Lebensraum, der sich auf lokaler und sozialer Ebene zwischen
Deutschen und Migranten und ihren Kindern abspielt, auf eine
literarischer Ebene transferiert wird. Die überwiegend migrantischen
Rapper verweisen die deutschstämmigen Jugendlichen in ihren Texten
gleichermaßen aus dem Viertel und aus dem Rap, da sie auch beides im
auch wirklichen Leben als ein migrantisches Erbe ansehen. Dem
gegenüber wurde in dieser Arbeit ausgearbeitet, dass deutschstämmige
Jugendlichen in ihren Texten hingegen gleichzeitig versuchen, sich
diesen lokalen Lebensraum und die Zugehörigkeit zur Subkultur des
HipHop, im Besonderen die Legitimierung als Rapper, anzueignen. In
Anbetracht der Untersuchung der Rap-Reihe „Mein Block“ kam diese
Arbeit dabei zu dem Ergebnis, dass dies nur bedingt gelingt, da sich die
deutschstämmigen Jugendlichen im unbestimmten Niemandsland
zwischen der Außenseitergesellschaft der migrantisch dominierten
HipHop-Kultur und der Normalgesellschaft positionieren. Nicht nur
aus diesem Grund konnte somit insgesamt aufgezeigt werden, dass Rap
als Literatur für die Angehörigen der HipHop-Jugendkultur, die wenig
oder gar keinen Bezug zu klassischer Literatur haben, eine wichtige
Funktion für Identitätskonstruktion und Darstellung von und Kritik an
Gesellschaftsbildern einnimmt.
99
6. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Advanced Chemistry. „Fremd im eigenen Land“. Auf Maxi CD:
Fremd im eigenen Land. Mzee, 1992.
Azad. „Mein Block“. Auf Album: Der Bozz. Bozz Music, 2004.
Bushido. „Pussy”. Auf Album: Vom Bordstein bis zur Skyline. Aggro Berlin, 2003.
Bushido. „Electro Getto”. Auf Album: Electro Getto. Urban, 2004.
Bushido. “Stimme der Nation”. Auf Album: Staatsfeind Nr.1. Urban,
2005.
Cora E. „Nur ein Teil der Kultur“. Auf Album: Nur ein Teil der Kultur. Buback, 1994.
Curse. „10 Rapgesetze“. Auf Maxi CD: 10 Rapgesetze. Jive, 2000.
Curse. „Warum nicht“. Auf Album: Von Innen Nach Außen. Jive,
2001.
Curse. „Nichts wird mehr so sein wie es war“. Auf Album: Innere
Sicherheit. Jive, 2003.
Curse. „Curse dreht ab“. Auf Album: Innere Sicherheit. Jive, 2003.
Curse. „Der Fluch“. Auf Album: Sinnflut. Subword, 2005.
Der Wolf . „Gibt's Doch Gar Nicht“. Maxi CD: Gibt's Doch Gar
Nicht. Universal, 1996.
Die Fantastischen Vier. “Die Da!?!”. Auf Maxi CD: Die Da!?!. Columbia Records, 1992.
Flowin Immo. “Damenwahl”. Auf Album: Terra Pi. Immonopol,
2000.
Freundeskreis. „A-n-n-a.“ Auf: Anna. For (Sony BMG), 1997.
Kool Savas. “Pimplegionär”. Auf Mix Tape: Pimplegionär. 1996
Massive Töne: Nichtsnutz. Auf: Kopfnicker. Mzee Records1996.
100
Skills en Masse. „Eins auf Eins“. Auf Album: Wie wir. Kopfnicker
Records, 2000.
Skills en Masse. „Wie wir“. Auf Album: Wie wir. Kopfnicker Records, 2000.
Stieber Twins. „Fenster zum Hof“. Auf Album: Fenster zum Hof.
MZEE, 1997.
Torch. „Als ich zur Schule ging“. Auf Album: Blauer Samt. 360
Grad Records, 2000.
Torch. „Wie ich bin“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records,
2000. Mzee, 1992.
Torch. „In Deinen Armen“. Auf Album: Blauer Samt. 360 Grad Records, 2000.
Too Strong. „Einzelkämpfer“. Auf Album: Die 3 Vonne Funkstelle.
Virgin Ger, 1999.
Tic Tac Toe. „Spiegel“. Maxi CD: Spiegel. A One Entertainment,
2005.
Sekundärliteratur:
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BAASNER, Rainer. Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft.
Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1996.
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Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb“. In: Baumert, Jürgen u.a.,
Hg. PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im
internationalen Vergleich. Opladen 2001.
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Bestimmung ihrer Grenzen“. Streit der Interpretationen. Konstanz:
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Klein, Gabriel & Friedrich, Malte. Is this real? Die Kultur des HipHop.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2003.
Krekow, Sebastian & Steiner, Jens. Bei uns geht einiges. Die deutsche
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Searle, John R. Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990.
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am: 10.10.2006]
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7. Anhang
Raptext 1: Skills en Masse - „Eins auf Eins“
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Intro:
Ey yo, yo! Für die Homies! Friedenberg!
Für die Hip Hops aus den Blocks!
Yeah, nur für unsere Leute! Am Start! Aha!
Am Start! Yeah! Ey yo!
Verlier' niemals die Hoffnung! Yeah, yeah!
Verlier' niemals die Hoffnung, Junge! Denn
Chorus:
Du kriegst eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen, einer nach dem anderen!
Eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen! Ich hab' keinen Schiss!
Du kriegst eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen, einer nach dem anderen!
Eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen! Ich hab' keinen Schiss!
Strophe 1:
Authentisch zur Musik, ich bin nicht schick.
Keine vorsichtige Politik, ich stick' Dich um Illusionen.
Parodie kann kommen, ich leg' Bomben in Dein Omen,
schuck' Dich vom Podeum, ersetz' Dein Marmor mit Linoleum.
Krieg wie Napoleon, ich platz' Trauben, das ist Wein,
braus' in Dein Housing ein wie Polizei. Siehst meine Augen?
Siehst mich nur von außen, weit draußen.
Bis Träume mir trauen, muss ich sie glauben.
Dann räum' ich sie aus, ich seh' Dich fallen, wo wir laufen.
Mörder Wörter, Zuhörer hören härter.
Ich brech' Dir die Strophe, Vers nach Verse,
find' mein' Gott als erste. Mein Wort is' Mathe,
Alle konzentriert sich wie Karate,
verändert Dich und Dein' Partner.
Skills en Masse ist deutsches Partoir.
Ich blas' den Papst zur Hölle, bet' zum Vater, alle unter Allah.
Meine Netzhaut unter grünem Star, so Leben is' kein Honig.
Ich duck' Partonen wie Pratonis, start' die Chronik.
Auf verlorenem Boden in diesem Krieg geboren.
Wo ich wohn', kommst Du leicht in Situationen.
Taubheit, Stress auf jedem Level, unsichtbare Fessel.
Kümmert niemand Dreck hier, ob wir krepieren.
Fake Action im Fernsehsessel! Ich fröstel', zuhause ruft.
Alles, was wir brauchen, ist gesunde Vernunft.
Der Scheiss um mich zieht mich runter wie Sumpf,
mach' aus Armut 'ne neue Form von Kunst.
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Du stoppst nix, wenn wir starten. Stock' den Atem!
Regulier' Systeme in Deinem Rahmen,
schmück' Augen mit Pelle Umhang, übe mich im Umgang.
Unterschätz' mich nicht!
Mein Status bessert sich ständig automatisch,
Du kannst mir gar nichts, komme wer da wolle,
überbring' die Nachricht. Halt' den Geist klar,
Du bleibst greifbar, noch mal von vorn:
Ich hab' nix zu verlieren und Du hast noch nie verloren!
Je höher der Gipfel, um so dünner die Luft!
Und je steiler ich ansteig', umso tiefer die Schlucht!
Ich erkenn' Dich, das erschreckt Dich.
Mein Ton fett trist, triffst meinen Blick,
ist autistisch. Ich küss' Dich so richtig,
misch' Dich auf, ich bin Mischling,
Erscheinung terroristisch. Meinung kritisch,
mein Blut ging durch Gesichter schottisch,
Pull' Sklaven von Plantagen, wo mein Blut aufliegt.
Vergewaltigt, schottisch und indisch-afrikanisch.
In der Karibik, wo mein Blut lebt.
Ich sprech' Sprachen, deutsch, englisch,
leb' unter Sklavennamen.
Alle Charakteristik fließt durch meine Adern.
Mein Streit is' biblisch, erzieht mich,
zielt auf mich, erschiesst mich täglich.
Ich bin das Ergebnis dieser Ethik.
Wer will tanzen? Schicksal scheint strategisch,
halt' die Bünder Philosophen auf Distanzen.
Goethe, Nietzsche und die Kirche,
Shit, der nie im Kontext zu mir entstand.
Ich bin kein Hund zu deren Herren.
Das lügt mich an und stresst mich aus!
Verstehst Du? Ich bin nicht relaxt, meine Art ist kraus.
Ich hass' Euch für Papier, für Tempel und Haus,
und lern' schnell. Ich nehm' mein Leben
in die Hand in Handschellen. Augen hell,
ich zerr' Deinen besoffenen Kopf unter Duschen,
dann können wir huschen,
Chorus:
weil, Du kriegst eins auf eins,
eins auf eins, eins auf eins, eins auf eins!
Du kriegst eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen, einer nach dem anderen!
Eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen! Ich hab' keinen Schiss!
Du kriegst eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen, einer nach dem anderen!
Eins auf eins, eins nach dem anderen!
Einer nach dem anderen! Ich hab' keinen Schiss!
Du kriegst eins auf eins!
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Raptext 2: Blumentopf - „Die Jungs aus’m Reihenhaus“
Chorus:
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
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Strophe 1:
Ich bin nur ein Rapper aus der Reisringerstraße
und ich war auch mal auf ner Schule, wo ich leider versagte.
Alle hatten den Finger in der Luft, ich mein in der Nase,
und wenn ich mich doch einmal gemeldet hab,
war’s nur ne peinliche Frage.
Jeden Tag hab ich gedacht, wo bin ich eigentlich gerade
und wie übersteh ich nur die kommenden langweiligen Jahre.
Ich besetzte stets die allerhintersten Plätze,
hatte nur schlechte Noten und nie das geringste Interesse.
Die Brüste meiner Lehrerin war’n groß wie Honigmelonen,
doch nicht mal das genügte mir als Motivation.
Mal nach vorn zu schauen, hätte sich sowieso nicht gelohnt,
denn auf den Dingern stand nicht drauf, wie man ne Strophe betont.
Meine Mutter war besorgt um ihren komischen Sohn:
„Flo, wie willst du später Miete zahlen ohne Diplom?“
Da bin ich los zu meiner Bank, um meine Kohle zu holen,
um mir Baggy-Pants zu kaufen, um in meinen Hosen zu wohnen.
Ey, ich scheiß auf schlechte Jobs mit popligem Lohn
und wenn ich es mit Raps nicht schaffe, mache ich mit Drogen Millionen.
Jeder, der uns zuhört wird jetzt mit dem Chorus belohnt.
Es wäre cool, wenn ihr dazu auch bouncen würdet, so wie gewohnt, denn
Chorus:
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Strophe 2:
Ey, ich bin aus der Stadionstraße, und ich komm von Spatzenweg,
und wenn sich unsere Platte dreht, ist jedem klar, dass es geht,
und kriegen wir Lipptricks live on Stage. Früher mit Skateboards,
doch seit ich Raps auf Takte leg, ist Flow mein Extremsport.
Früher war ich am Airport und hab eure Koffer verladen,
heut ist mein Job all denen zu helfen, die ’n Stock im Arsch haben.
Damals bin ich Postauto gefahren und hab Päckchen geliefert,
heute roll ich über Beats und pack meine Message in Lieder.
Um ein bisschen Geld zu verdienen, haben wir Autos gewaschen,
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heut kriegen wir Geld und Respekt mit dem Soul, den wir machen.
Und ich hab mir paar Mark verdient mit Hecken schneiden,
doch das ist vorbei, denn heut schneid ich gut ab beim Texteschreiben.
Damals ham wir noch Unkraut vernichtet, heute schlechte MC’s.
Wir lagen den Eltern auf der Tasche, heut’ legen wir Texte auf Beats.
Damals ... heute mit nem freshen Release, damals mit Löchern im Soul,
heute mit Päckchen voll Pease. Ich weiß, mein Gedächtnis ist mies,
doch manches vergesse ich echt nie:
den ersten Rausch, den ersten Sex, den ersten Text, den ich schrieb.
Heut will uns jeder sehen, damals haben wir Verstecken gespielt.
Ja, die Jungs aus’m Reihenhaus, die rappenden Chickchiefs.
Chorus
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Strophe 3:
Vielleicht hat ja die Straße, in der ich aufwuchs, mein’ Charakter geprägt,
doch wer hört das gern, wenn er als Kind in ’ner Sackgasse lebt.
Trotzdem mach’ ich mein Weg, auch wenn ich manchmal nichts red
und es vorkommt, dass man kübelt und ne Nacht lang nicht schläft.
Wenn ihr mich tagsüber seht, bin ich meist völlig schlaftrunken
und komm schlechter in die Gänge als Anfänger in Fahrstunden.
Ich halte mich wach dank massenhaft Koffein,
nehm das Mic und rap zu Beats, ich will schließlich Props verdienen.
Ein Topf-MC zu sein, ist eigentlich meistens ganz nett,
wenn ich Semesterferien hab, bleib ich einfach im Bett
und schreib Lieder und Tracks, bis auch der letzte Takt gefüllt ist
und schmeiß sie wieder weg, bis auch das letzte Blatt zerknüllt ist.
Zu viel Labels spielen!
Die Hausfrauen bringen regelmäßig Müll raus,
ich grab in Secondhandläden wie ne Wühlmaus,
bin immer auf der Suche nach dem groovigen Scheiß
und will für Raps keine Grammies, sondern den Pulitzerpreis.
Ich glaube an das Gute und die Macht von Raptexten,
auch wenn sich in der Schule manche von mir wegsetzten.
Für viele war ich ‚n Streber, weil ich nichts als Einsen hatte,
heute steck ich meine Zeit und Begabung in meine Platte.
Mein Vater denkt, dass ich mein Talent verschenk,
weil ich am Abend MC bin und nur am Vormittag Student.
Doch wer mich kennt von Live-Konzerten,
mit dem brauch ich nicht reden.
Was ich fühl, wenn ich rap, ist in meinen Augen zu lesen.
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Chorus
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Die Jungs aus’m Reihenhaus lassen die Reime raus,
und gibt’s mal keinen Applaus, dann sind wir scheiße drauf.
Legt nur diese Scheibe auf und dreht die Scheiße laut
und du begreifst es auch.
Raptext 3: Torch - „Ich hab geschrieben“
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Ich hatte Schmerzen und daher wusste ich, dass ich wach war,
ganz allein nur mit der Stille als mein Nachbar.
Die Luft war erfüllt mit Nervengift und wie bekifft
starrte ich auf meine Hand, als ich begriff, dass sie zum Stift griff.
Lauter Buchstaben entstanden mit Hilfe von Schreibwaren,
was ich schreib war'n Resultat von einem Schreibwahn.
Ich war Teil einer Vision, die aus mir selbst entstand.
Irgendetwas lenkt meine Gedanken,
und dieser Gedanke lenkt meine Hand.
Ich hab soviel geschrieben, aber niemand hört her,
würd’ der Welt zu gerne sagen, was ich wert wär'.
Die Mine brach, aber ich schrieb weiter,
die nie gesagten Worte rächen sich,
aber die Bleistifte in meinem Gedächtnis, die brechen nicht.
Ich hab geschrieben, bis meine Finger wund war’n,
weil kein einziger Ton mehr aus meinem Mund kam,
denn als du gingst, ging auch meine Kraft zu reden
fort, wie ein Knebel in meinem Mund.
An diesem Tag wurde mein Leben zu Nebel
und ich ging auf die Straße mit meinem Marker,
es hat niemand gemerkt.
Seit diesem Tag hab ich Züge gesprüht
und die Wände von Heidelberg gefärbt.
Ich hab meinen Namen gemalt 1000 mal und mehr
meist als Meisterwerk, damit es das Selbstbewusstsein stärkt.
Ich hab Tags mit nem Stein in die Scheiben von Bushaltestellen gekratzt,
damit mir der Kopf nicht platzt!
Ich hab soviel geschrieben in der Schule auf Tischen,
Bänken und Toiletten, ich wollte rappen, aber ich schwieg und schrieb
und ich schweig und schreib wie die Grammatik der Farbe Blau,
Worte im Sprung der Zeit zwischen Mann und Frau.
Interpretation, Aufsatz, Diktat, Gedicht!
Ein Wort, das ich noch nicht geschrieben hab, das gibt es nicht!
Aber es gibt drei Worte, die sind nur für dich.
Ich hab sie dir nie gesagt und das bereu ich heute fürchterlich.
Ja, ich hab's bereut, also hab ich meinen Schmerz beschrieben.
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Du hast mich aufgegeben, also hab ich meinen Schmerz aufgeschrieben.
In der Zeit zwischen den Träumen, da kann ich schreiben,
Exhibitionist gegenüber dem Blatt,
ich muss ihm einfach mein Intimstes zeigen.
Ich traf so viele Frauen, schrieb ihre Nummern auf,
aber ich rief nie an, weil ich nicht mehr sprechen kann.
Ich weiß noch, wie nach dem Konzert der Junge zu mir kam.
Ich wollt' ihm so viel sagen, ihn warnen,
aber die Zeit reichte nur für ein Autogramm.
Ich hab versagt, deswegen sag ich nichts mehr.
Als ich leise oben an der Decke lag, so leer
wie ein weißes Blatt, flog ich in meinem Zimmer umher.
Auf dem Bett bleib ich liegen und dann beweg ich mich nie mehr.
Ich dreh den Kopf, gleich neben mir da liegen sie,
Blätter mit 1000 intensiven Gedanken,
geformt in Worte. Wenn man schreibt, dann sprechen sie.
Da in dem Schuhkarton fließen sie, hörst du sie? murmeln deinen Namen!
Ein einziges Wort, das mir im Schlaf den Schweiß auf die Stirn treibt.
Wenn man schweigt, kann ich hören,
welchen Scheiß auch mein Gehirn schreibt.
Ich hab soviel geschrieben, aber niemand hats gehört oder hast du?
All ihr Lieder, Noten und Worte gebt doch endlich Ruh', lasst mich allein!
Ich wollte schreien, aber vom Träumen wurd’ ich müde
und so schlief ich endlich ein,
wälzte mich wie wild hin und her und fiel vom Bett
direkt in die Schachtel mit den Texten.
Vor Schreck musste ich erkennen, das ich kein Mensch mehr war,
eingeklemmt zwischen dem A und dem K wurde es mir klar:
Ich war der 27. Buchstabe. Das komplette Alphabet stand gegen mich.
Sie starrten mich an und lachten mich aus,
die Sätze sagten, ich sei aussätzig und so setzten sie mich aus,
und formten sich zu einem Sinn zusammen,
und ich konnte mein gesamtes Leben lesen.
Dann wachte ich auf und tat einfach so, als sei nichts gewesen.
Ja, Rap ist eine Religion, dass ist klar, aber wo war Gott
als ich allein mit meinen Reimen war?
Es war viel zu vieles klar, um noch was zu klären
und viel zu vieles wahr, um sich dagegen zu wehren.
Und als wären alle Worte gegen mich, schreibe ich und kämpfe ich,
solange bis ich die richtigen Worte find für dich,
auf die Bettdecke, auf die Tapete auf meine Haut.
Ich hab in meine Bücher geschaut, sie waren leer,
aufnehmen geht nicht mehr.
Heut muss alles raus, was ich gelesen hab und gewesen bin,
ich schreib es hin. Ich hab geschrieben,
als würde ich deinen Körper zeichnen,
den Stift über die Blätter streichen
und zärtlich über deinen Rücken streicheln.
Stundenlang hab ich geschrieben, wie leid es mir tat.
Hätt ich’s dir gesagt, hätt’ ich uns viel erspart.
Zu spät! Was ist geblieben?
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An einem Tag hab ich stark an dich gedacht, ich hab geweint,
gereimt und mit meinen Tränen dir diesen Text geschrieben.
Raptext 4: Sido – „Mein Block“
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Intro:
Steig ein, ich will dir was zeigen,
den Platz, an dem sich meine Leute rumtreiben.
Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume,
Menschen auf Drogen, hier platzen Träume.
Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben,
ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend.
Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring,
er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn.
Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht wohl fühlst,
dass du viel lieber zu Hause im Kohl wühlst.
Du sitzt lieber an gut gedeckten Tischen,
dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich. Steig ein!
Strophe 1:
Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus,
weil du denkst, du hast alles, was du brauchst!
Doch im MV-Schein weht die Sonne aus dem Arsch!
In meinem Block weiß es jeder: wir sind Stars!
Hier krieg ich alles, ich muss hier nicht mal weg,
hier hab ich Drogen, Freunde und Sex!
Die Bullen können kommen, doch jeder weiß Bescheid,
aber keiner hat was gesehen, also können sie wieder gehn!
Okay... ich muss gestehen, hier ist es dreckig wie ’ne Nutte,
doch ich weiß, das kriegt man wieder hin, mit ’nem bisschen Spucke!
Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau,
drauf geschissen, ich werd auch alt und grau, im MV!
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Strophe 2:
Der Typ aus dem Ersten war früher mal Rausschmeißer,
seit dem er ausm Knast is, ist er unser Hausmeister.
Er is oft bei der Nutte ausm Zweiten,
jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten!
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Der Fetischist aus dem Fünften kauft sie gerne,
er sagt, Rosetten sehen aus wie kleine Sterne,
obwohl die von dem Schwulen aus dem Elften immer aussieht,
als ob mal den Schwanz gerade frisch rauszieht.
Und davon sing ich dir ein Lied, du kannst es kaufen,
wie die Sekte-Fans aus dem Neunten, die immer drauf sind.
Genauso wie der Junkie ausm Vierten,
der zum Frühstück erstmal 10 Bier trinkt.
Dann geht er hoch in den Siebten zum Ticker,
er bezahlt für 10 Teile, doch statt Gras kriegt er ’n Ficker!
Damals war der Drogen-Stock noch der Zehnte,
der aus dem Siebten is der, der überlebte.
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Strophe 3:
Auch wenn ich jetzt das dann rock,
bin ich immer noch Sido aus’n Block.
Ich fühl mich wohl zwischen Dreck und Gesocks,
denn egal wohin du gehst, es kommt drauf an, wo du herkommst.
Hier kriegst du alles, im Zwölften bei Mannek
kriegst du Falschgeld und ’n Bootleg von Eisfeld.
Einen Stock höher hat so’n Kerl sein Studio,
er rappt und macht Tracks auf die Beatz von Coolio.
Ganz zur Freude der Hausfrau darüber,
die sagt, Männer ficken auch nicht mehr wie früher.
Deshalb trifft man sie oft im Fünfzehnten Stock,
bei der Hardcore-Lesbe mit dem Kopf unter ihrem Rock.
Wenn ich ficken will, fahr ich runter in den Dritten,
aber die Braut fick ich nur zwischen die Titten,
denn der Porno-Stock befindet sie im Achten,
hier könnt ich jeden Tag woanders übernachten.
Im Sechzehnten Stock riecht der Flur voll streng,
aus der Wohnung, wo so’n Kerl seit 3 Wochen hängt.
Ich häng im Sechsten rum, in meinem Stock!
Mit meinen übergeilen Nachbarn, in meinem Block!
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
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meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Raptext 5: Azad – „Mein Block“
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Strophe 1:
In meinem Block wächst man auf mit Hasch und Beton,
Du hörst Hiba-Ash, wenn die Bullen kommen.
Rasch wird mein Block leer. Du lernst schnell,
wie man Gewicht bewegt, schnell,
wie man Gesichter liest, schnell,
wie man das Gift verträgt, das ist nichts.
In meinem Block ist es nachts leer auf der Straße,
Bullerei patrouilliert wie Militär auf der Straße.
Ich trag' Bomberjacke, sitze im Benz,
lass' den Beat bangen, Weed brennen,
fahr' zu meinen Gangstern. Wir hängen ab,
lassen Rauch raus, es ist Nebel,
Tag aus, Tag ein, Choja, das ist unser Leben.
Unsere Familien, unser größter Reichtum,
unsere Heimat im Inneren,
Ihr seid Feinde, wir Killer, komm'!
Das Leben füttert uns mit Frust, wir reagieren über.
Unser Blut kocht und wir können nichts dafür.
Ich knall' die Fakten wie Schellen auf den Tisch:
Es bleibt, wie es bleibt, und es is', wie es is'!
Chorus:
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block sprechen wir unseren eigenen Slang.
In meinem Block sind die Jungs wie meine zweite Fam.
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block träumt jeder von dem großen Geld.
Mein Block, mein Revier, mein Heim, meine Welt!
Strophe 2:
In meinem Block gelten Regeln, die wir selbst aufstellen.
Wenn Du nicht von hier bist, ist es garantiert, dass Du auffällst.
Wir brauchen mehr Geld, mehr Gold, mehr Gras, SL und mehr Spaß.
In meinem Block haben wir unsere eigene Mode:
Reebok Classic, Azad-Shirt und 'ne Trainingshose.
Unser Catwalk ist der Asphalt, wir leben hier im Dunkeln,
auf der Suche nach dem Licht, wir sind Nachtfalter.
Wir sind Machthalter, Nordwest Stadt, wir sind Macht, Alter!
Aus meinem Block kommt der beste Rap der Welt.
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AZ, Ihr seid Mitläufer, wir Rebellen.
Wir kommen direkt aus dem Dreck, Ihr seid weichgespielt.
Der Beat drückt auf Deinen Magen, bis Du scheißen willst!
Wir sind rau wie der Wind, der hier weht!
Komm' in mein Viertel und ich zeig' Dir, was geht!
Chorus:
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block sprechen wir unseren eigenen Slang.
In meinem Block sind die Jungs wie meine zweite Fam.
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block träumt jeder von dem großen Geld.
Mein Block, mein Revier, mein Heim, meine Welt!
Strophe 3:
In meinem Block sind wir eine Gang
und wir brauchen keine Farben oder Zeichen,
um uns zu erkennen!
Wir verbrennen Dope wie Kalorien,
es hält uns ruhig, ohne das wird es blutig hier!
Vier-Drei-Neun, Frankfurt am Main,
jeder Zweite von uns war in einem Kampfsportverein.
Jeder Dritte hat einen Pitt, weil jeder Vierte versucht Dich zu ficken,
gibt es noch die fünf in's Gesicht.
Nordwest-Mathematik, unser Code.
Ich zeig' Rap, wo die Straßen sind, hundert pro!
AZ, mein Flow brennt alles nieder, Du bist Fan von wem?
Mein Flow brennt alles nieder, Junge!
Ich bin nicht Curse, aber dies ist alles real!
Ihr Deppen, wir hauen jeden von Euch weg, mir ist alles egal!
Ich knall' die Fakten wie Schellen auf den Tisch:
Es bleibt, wie es bleibt, und es is', wie es is'!
Chorus:
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block sprechen wir unseren eigenen Slang.
In meinem Block sind die Jungs wie meine zweite Fam.
In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht.
In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin!
In meinem Block träumt jeder von dem großen Geld.
Mein Block, mein Revier, mein Heim, meine Welt!
Outro:
Jetzt wisst Ihr, wer den geilsten Block hier hat!
Azad! Der Bozz! Frankfurt Nordwest! Komm'!
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Raptext 6: Blumentopf – „Mein Block“
Chorus:
Das ist mein Block, mein Haus. mein Viertel.
Mein Block, meine Straße, mein Viertel.
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Strophe 1:
Meine Wohnung ist im ersten Stock,
in dem Block mit der Schneiderei im Erdgeschoss.
Wo man mich nicht grüßt, sondern gegen Wände klopft,
wo keinem was entgeht, weil jeder aus dem Fenster glotzt.
Wo Gerüchte sich verbreiten wie ein Kettenbrief,
und man sich den Kopf zerbricht, wie ich mein Geld verdien',
Wo man selten jemand lächeln sieht,
und es im Treppenhaus nach Essen riecht,
wo's kein Mensch interessiert, wenn Du einmal Hilfe brauchst.
Sogar der Hausmeister macht Dir hier die Tür' nicht auf.
Hauptsache ist, Du rückst die Miete raus,
Wo Du Schiss hast, wenn Du Tüten rauchst.
oder daß die Oma neben Dir das Gas vergisst.
Wo Künstler noch 'n Schimpfwort und keine Arbeit ist,
wo man es hasst, wenn Du 'ne Party gibst,
weil das ganze Haus am Schlafen ist.
Wo du an 'nem Dienstag nicht lange schläfst,
weil die Müllabfuhr direkt vor der Garage steht,
wo der Nachbar gerne Rasen mäht,
wo man Treppen putzt und Straßen fegt.
Ich wohn' direkt in Münchens Innenstadt
wo man kein Garten braucht, weil man hier die Isar hat.
Und Leute wisst Ihr was? Ich lieb' die Stadt!
Chorus:
Das ist mein Block, mein Haus. mein Viertel.
Mein Block, meine Straße, mein Viertel.
Das ist mein Block, mein Haus. mein Viertel.
Mein Block, meine Straße, mein Viertel.
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Strophe 2:
Meine Wohnung liegt im dritten Stock
in dem Block mit der Näherei im Erdgeschoss
und wenn ich aus dem Fenster glotz,
seh ich statt Sonne nichts als Sichtbeton,
denn meine Wohnung liegt im Rückgebäude,
mit Blick auf den Hinterhof.
Dort wird nur Müll geholt, und Kinder spieln da nicht,
und wenn Oktober ist, dann riecht man es,
denn dann wird in den Hof gepisst, weil gleich nebenan die Wiesn ist.
Und wenn es dunkel wird und Du gehst abends aus'm Haus
triffst Du oft auf Typen, die Dir nicht in die Augen schauen,
auf wen, der Deinem Blick ausweicht, weil es ihm peinlich ist,
und auch, wenn Du nicht guckst, wo er klingeln wird,
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dann weißt Du es, denn die Damen erwarten ihn.
Und er hofft, Du denkst, er hat sowas wie 'n Arzttermin,
doch allen ist klar was geht,
hinter der Tür im Erdgeschoss auf der Massage steht.
Die meisten Mieter im Haus bleiben nur 'n halbes Jahr
dann ziehn sie wieder aus, und Du vergisst schon bald die Namen.
Und deshalb kenn' ich meine Nachbarn nicht,
außer der Frau neben mir, die schon einundachtzig ist,
die nie von ihren Kindern erzählt,
aber dafür wissen will, wie man ins Internet geht,
und ich teil meine Zeitung mit ihr
und deshalb find' ich manchmal Süßigkeiten vor der Tür.
Und dann ist es fast 'n bisschen so, als ob Du noch ’ne Oma hättest,
und Du weißt, dass Du eigentlich nicht aus Deiner Wohnung wegwillst,
denn Du würdest Deine Straße vermissen,
in der Türken den italienischen Laden besitzen,
wo ein Import/Export - Shop neben dem anderen liegt
und Du das Gefühl nicht loswirst, alles was es dort gibt,
kann da nur gelandet sein, weil es vom Lastwagen fiel.
Wo Du nachts mit Skateboard heimfährst
und mit dem Lärm die Nachbarn weckst
und jede Dachrinne verwendet wird als schwarzes Brett.
Ich wohn' direkt zwischen der Wiesn und dem Hauptbahnhof,
ohne Garten und Balkon, aber hey, wer braucht das schon?
Es ist direkt in Münchens Innenstadt,
wo Du kein Auto kaufst, weil Du hier die Trambahn hast,
und Leute wisst ihr was? Ich mag die Stadt!
Raptext 7: Aggro Berlin – „Mein Block“
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Intro:
Yeah! Ich hab mir die letzten zwei Jues geklaut,
und auf den CDs waren so zwei Tracks drauf,
die heißen "Mein Block" von Blumentopf und Hecklar & Koch...
Mein Block, mein Block, mein Block
und nicht Blumentopf sein Block!
Mein Block, mein Block, mein Block
und nicht Hecklar & Koch sein Block!!
Strophe 1:
Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus,
weil du denkst, du hast alles, was du brauchst!
Doch im MV-Schein weht die Sonne aus dem Arsch!
In meinem Block weiß es jeder: wir sind Stars!
Hier krieg ich alles, ich muss hier nicht mal weg,
hier hab ich Drogen, Freunde und Sex!
Die Bullen können kommen, doch jeder weiß Bescheid,
aber keiner hat was gesehen, also können sie wieder gehn!
Okay....ich muss gestehen, hier ist es dreckig wie ’ne Nutte,
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doch ich weiß, das kriegt man wieder hin, mit ’nem bisschen Spucke!
Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau,
drauf geschissen, ich werd auch alt und grau, im MV!
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Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Strophe 2:
Der Typ aus dem Ersten war früher mal Rausschmeißer,
seit dem er ausm Knast is, ist er unser Hausmeister.
Er is oft bei der Nutte ausm Zweiten,
jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten!
Der Fetischist aus dem Fünften kauft sie gerne,
er sagt Rosetten sehen aus wie kleine Sterne,
obwohl die von dem Schwulen aus dem Elften immer aussieht,
als ob mal den Schwanz gerade frisch rauszieht.
Und davon sing ich dir ein Lied, du kannst es kaufen,
wie die Sekte-Fans aus dem Neunten, die immer drauf sind.
Genauso wie der Junkie ausm Vierten,
der zum Frühstück erstmal 10 Bier trinkt.
Dann geht er hoch in den Siebten zum Ticker,
er bezahlt für 10 Teile, doch statt Gras kriegt er ’n Ficker!
Damals war der Drogen-Stock noch der Zehnte,
der aus dem Siebten is der, der überlebte.
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Strophe 3:
Hier kriegst du alles, im Zwölften bei Mannek
kriegst du Falschgeld und n Blutfleck von Eisfeld.
Einen Stock höher hat so’n Kerl sein Studio,
er rappt und macht Tracks auf die Beatz von Coolio.
Ganz zur Freude der Hausfrau darüber,
die sagt Männer ficken auch nicht mehr wie früher.
Deshalb trifft man sie oft im Fünfzehnten Stock,
bei der Hardcore-Lesbe mit dem Kopf unter ihrem Rock.
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Wenn ich ficken will, fahr ich runter in den Dritten,
aber die Braut fick ich nur zwischen die Titten,
denn der Porno-Stock befindet sie im Achten,
hier könnt ich jeden Tag woanders übernachten.
Im Sechzehnten Stock riecht der Flur voll streng,
aus der Wohnung, wo so’n Kerl seit 3 Wochen hängt.
Ich häng im Sechsten rum, in meinem Stock!
Mit meinen übergeilen Nachbarn, in meinem Block!
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Strophe 4:
Fuhrmann, so nennen mich meine Homes,
Mama nennt mich Sven. Komm in mein Viertel,
pack dein Stock aus und hau mich,
dann fick das MV-Licht, wir scheißen auf Blaulicht!
L O zum K zum U,
in meinem Block gibt es Drogen genug.
Für meinen Nachbarn mach ich jeder Zeit einen Kopf klar.
Stani, ich hab immer gutes Dope da!
Morgens getroffen an der Holzburg um 8,
dort haben wir schon oft manchmal Tage und Nächte verbracht!
an Schule wurde nicht gedacht, wir haben lieber gelenzt,
’nen dicken Kopf geraucht und den Unterricht geschwänzt!
Ey, Sido, wer is’n Blumentopf? Wer is’n Hecklar & Koch?
Also holst du jetzt die Bong und machst uns ’n Kopf klar? Yeah!
Chorus:
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten, bis zum sechzehnten Stock!
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel,
meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!
Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock!
Outro:
Yeah! Jetzt könnt ihr euch entscheiden:
Wer hat den geilsten Block in Deutschland, Alter?
100 Beathovens Remix, Sido, Aggro Berlin,
Loku, Fuhrman und Band und die ganze Welt brennt! Aggro Berlin!
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Raptext 8: Eko – „Mein Block“
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Strophe 1:
Du mit deinem Underground-Sound lachst mich aus,
weil du denkst, du kommst irgendwann groß raus.
In meinem Block stehen viele Termine,
wie willst du dein Geld mit Realness verdienen?
Ich stehe auf, um 6, 7 oder 8,
gehe ins Studio und mache ein paar Tracks 7 oder 8.
Jeden Tag höre ich einen Witz von irgendwelchen deutschen Kids,
nur so kriegen sie ein bisschen Liebe und sie freuen sich.
Mein Block hat mehr Seiten als die Bibel.
Hättest du so viel zu tun,
würdest du weinen wie beim Schneiden einer Zwiebel.
Auf Seite 2 steht die Nummer von Thomas Stein,
leih dir einen Anzug und ich lad dich in die Oper ein.
Ich engagierte dafür extra einen Schreiber
und kaufte einen extra Block für die Geschäfte mit Steiger,
verkaufe an die Streets und verkaufe an die Teenies
und zwinker mit den Augen wie die bezaubernde Jini.
Chorus:
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen,
mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
Strophe 2:
Die Seite mit den Rapper-Nummern hab ich heute rausgerissen.
Ihr wollt nicht mehr mit mir arbeiten, aber drauf geschissen.
An euch Oberclowns:
Ihr kriegt alle kein Respekt vor mir!
Ich chille nur mit Akay von Overground.
Mein Block, was verblätter ich noch diesen Scheiß?
Ach ja, Catterfeldt Nr.1!
In meinem Block ist kein Fehler!
Ich schreibe Lyrics, aber Rappen aus dem Kopf ist kein Thema!
Kannst fragen, wenn du irgendwelche Wörter suchst.
In meinem Block hab ich immer neue Börsen-News.
Im Allgemeinen: Ich les Frankfurter-Allgemeine
Egal, zieh die Punks ruhig auf deine Seite.
Ich hab jetzt ein Label, Homie, keiner kannte mich!
In meinem Block steht: Bald bin ich 21!
Das ist Mönchengladbach!
Eure Kackidole wollen alle erreichen, was ich geschafft hab!
Eko Fresh!
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Chorus:
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
Strophe 3:
Ihr seid gegen mich, doch ich schreib Gegenhits.
Mich zu dissen, ändert euer scheiß Leben nicht.
Ich bin ein Prominenter, ähnlich wie Tony Dancer,
habe schon so oft meine Nr. 5 geändert.
Haltet eure Schnauze, denn ich hab es ausgerechnet,
für mich kann es besser gar nicht laufen!
Manche Rapper machen Doppel-Alben wegen mir,
doch sie können sich nicht eine Woche halten neben mir.
Nenn mich König oder Vater!
Ob Ernährung oder Style: Ich hab einen persönlichen Berater!
Oh Backe, ihr seid alle so Kacke!
In meinem Block stehts noch drin: Mit Joe Budden,
kack drauf, was du rauchst!
Homie, ich bin Eko Fresh! Ich smoke Milliarden auf'm Bluedown.
Es steht in meinem Block: Ich mach jetzt Pinke-Pinke,
also bepiss ich die Gegend nebenbei und sage zu euch Winke-Winke!
Chorus:
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
Meine Arbeit, mein Geld, mein Label,
mein Stress, die Verträge, die Finanzen, mein Block!
Meine Lyrics, meine Pläne, die Ideen,
die Notizen kennt außer mein Block nur Gott!
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Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig
ohne fremde Hilfe angefertigt habe. Alle Stellen, die ich wörtlich oder
sinngemäß aus veröffentlichten oder nicht veröffentlichten Schriften
übernommen habe, habe ich als solche kenntlich gemacht.
Heidelberg, den 10. 10. 2006
Christian Mahnke
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