drachen foundation seattle

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drachen foundation seattle
EINLEINER
Bilder für den Himmel
Die Geschichte der Ausstellung „Bilder für
den Himmel“ begann mit Dr. Paul Eubel,
Leiter des Goethe-Instituts im japanischen
Osaka, der in den 1980er-Jahren auf eine
brillante Idee kam: Namhafte Künstler sollten sich mit einem Werk auf Drachen verewigen, die so entstehende Drachenkollektion anschließend auf Welttournee gehen.
Gesagt, getan. Ab 1988 flog die Sammlung
von Kontinent zu Kontinent, insgesamt
mehrmals um den Globus. Und auf jeder
Station wurden einheimische Künstler
gebeten, einen weiteren Beitrag zu dieser
einzigartigen Ausstellung zu leisten.
von Ralf Dietrich
Zur Jahrtausendwende sollte die Ausstellung dann sesshaft werden. Mittlerweile
war das Projekt ein Querschnitt durch die
Welt der Kunst geworden. Expressionisten
wie Karel Appel und Emilio Vedova
waren ebenso zu finden wie Pop-Art-Ikone
Robert Rauschenberg oder Frank Stella und
Tadaaki Kuwayama, Vertreter der MinimalArt. In einem renovierten Hangar nahe
Detmold fanden die Drachen dann
schließlich auf 2.200 Quadratmeter Fläche
eine neue Heimat. Doch leider blieb der
erhoffte Besucherandrang aus. Hinzu kam
uf unserer alphabetischen Reise
durch die Welt der Einleiner kommen wir in dieser Folge zu dem
Buchstaben B. Hier wollen wir bei einem
genialen Erfinder, einer aussergewöhnlichen Ausstellung, einer klassischen
Drachenforum und einer physikalischen
Größe verweilen.
A
Bell, Alexander Graham
Was haben Telefon, Grammophon und
Zellendrachen gemeinsam? Nichts? Weit
gefehlt. Ihr geistiger Vater ist Alexander
Graham Bell, geboren am 3. März 1847 in
Edinburgh, seines Zeichens Sprachtherapeut, Erfinder, Großunternehmer – und
Genius. Wie viele andere Flugpioniere
auch, probierte Bell seine aerodynamischen Theorien zunächst an Drachen aus.
Er vermutete, dass man größeren Auftrieb
erzeugen könne, wenn man mehrere kleine
Auftriebseinheiten bündeln würde. Resultat
dieser Annahme waren die heute legendären Bellschen Tetraeder-Drachen, damals
Giganten von 3.000 und mehr Zellen.
Klassische Tetra-Eder-Drachen nach
Alexander Graham Bell
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Farbenfroh und künstlerisch wertvoll:
Ein Ausstellungs-Exponat
Nachbauten von Bells Oionos sind
heutzutage leider selten
1898 entwickelte er seinen ersten dreieckigen Kastendrachen. Bereits sieben Jahre
später schwebte Bell in anderen Dimensionen. Besser gesagt, einer von Bells
Angestellten. Ein Verbunddrachen mit
1.300 Zellen hob den Mann unbeabsichtigt
zirka 10 Meter in die Höhe. Bell war begeistert, wogen Drachen und unfreiwilliger
Passagier doch zusammen über 130
Kilogramm. Ermutigt von dieser Erkenntnis baute Bell noch im gleichen Jahr einen
Drachen mit knapp 3.400 Zellen. Der
„Cygnet“ (junger Schwan) wurde von
einem Dampfboot gezogen und war in der
Lage, Menschen über Wasser in die Luft zu
hieven. Heutzutage sind Tetraeder weitaus
kleiner. 35 beziehungsweise 56 Zellen gelten als Standard und auch das Aufbauprinzip hat sich etwas geändert. Wurden
früher die Segel an ein festes Gestänge
genagelt, so werden heute die Zellen eines
Tetras meist von innen aufgespannt und
lassen sich für den Transport zerlegen.
Wert mit einer Angabe in Kilogramm
gleich. Grob vereinfacht ist dies auch in
Ordnung, allerdings lohnt es sich dennoch,
einmal näher auf Kilogramm beziehungsweise Newton zu schauen.
Ein Newton ist die Kraft, die benötigt wird,
um einen ruhenden Körper mit einer
Masse von einem Kilogramm in einer
Sekunde auf eine Geschwindigkeit von
einem Meter pro Sekunde zu beschleunigen. Alles verstanden? Ein Newton entdrucksvoll: 3 Millionen Besucher weltweit,
156 Exponate von 127 Künstlern aus
25 Ländern machten das Projekt „Bilder
für den Himmel“ zu einem Sinnbild für
das weltumspannende Miteinander des
gemeinsamen Drachenfliegens.
Bogenspitzdrachen
Beim so genannten Bogenspitzdrachen
handelt es sich um den vielleicht ältesten
bekannten Drachen der westlichen
Hemisphäre. Erste Erwähnung fand der
Flachdrachen, der zumeist aus Seide
gefertigt und mit einem Gestänge aus
Bambus versehen wurde, Anfang des
19 Jahrhunderts. Seinen Namen verdankt
er dem spitz zulaufenden Top und den
geschwungenen Flügeln.
Im Jahr 1827 meldete der Lehrer George
Pocock in Großbritannien seine neueste
Erfindung zum Patent an: die „Char-volant“.
Eine Kutsche, die von zwei großen, hintereinander angebrachten Bogenspitzdrachen
gezogen wurde. Laut Pocock konnten vier
bis fünf Personen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 32 Stundenkilometer befördert werden. Dies waren nicht nur die
ersten Zugdrachen in Europa, sie waren
auch die ersten Vierleiner. Denn gesteuert
wurden die Drachen über zwei mal zwei
Leinen, die sowohl die seitliche Lage der
Bogenspitzdrachen als auch deren Stellung
zur Windrichtung beeinflussen konnten.
Pocock kann somit mit seiner von Drachen
gezogenen Kutsche mit Fug und Recht als
Vorfahr von Peter Lynn bezeichnet werden.
Apropos Peter Lynn. Der Neuseeländer ist
bekannt für seine kreativen Ideen, insbesondere im Tractionbereich und bei stablosen Großdrachen. Eine andere Seite von
Peter ist jedoch weniger bekannt: die des
Mäzens und Drachenhistorikers. Lynn entdeckte unlängst einen alten Bogenspitzdrachen und nach langen, zähen Verhandlungen gelang es ihm, den Drachen zu kaufen.
Um das Sammlerstück der Nachwelt zu
erhalten, übergab er es kurz darauf der
Drachen Foundation zur Konservierung
und für weitere Untersuchungen als Dauerleihgabe. Eine Bauanleitung zu einem Bogenspitzdrachen findet sich unter anderem
im Internet unter www.drachenarchiv.de.
Bruchlast
Für damals noch 3,– D-Mark
konnte man die Ausstellung
„Bilder für den Himmel“ besuchen
ein Streit zwischen der Betreibergesellschaft
und Initiator Paul Eubel und so schloss das
Museum 2005 seine Pforten. Doch die
Bilanz des Projekts liest sich dennoch ein-
www.sport-und-design-drachen.de
Wunderschöner Nachbau eines
Bogenspitzdrachens von Charmayne
Umbowers aus Seattle
Steht man im Drachenladen vor dem
Regal mit den Leinen, hat man häufig die
Qual der Wahl. Erzeugnisse unterschiedlicher Produzenten, weiße, gelbe oder
andersfarbige Produkte liegen neben dikken und dünnen Schnüren. Was also nehmen? Ein wichtiges Kriterium bei der
Schnurwahl ist die Bruchlast. Dem Punkt
also, ab dem die Zugkraft auf der Leine zu
groß wird und selbige reißt. Gemessen
wird diese Kraft in Dekanewton (daN).
Viele Drachenfreunde setzen den daN-
www.sport-und-design-drachen.de
Peter Lynn überlies diesen wohl ältesten
erhaltenen Flachdrachen der
Drachenfoundation als Dauerleihgabe
spricht ungefähr der Gewichtskraft eines
Körpers mit einer Masse von 102 Gramm –
allerdings nur auf Meereshöhe. Ein Dekanewton entspricht 10 Newton, eine 100daN-Leine hat also eine Mindestbruchlast
von 102 Kilogramm. Doch grau ist alle
Theorie. In der Realität wird niemand exakt
voraussagen können, wann eine Schnur
reißt. Labore führen deshalb ganze Messreihen durch und definieren Abweichungen,
den so genannten K-Faktor. Für die Praxis
ist wichtig: Hängt die Leine durch,
ist sie zu schwer. Singt die Leine,
steht sie ordentlich unter Spannung.
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