BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG

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BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache
19. Wahlperiode
19/2215
12.02.09
Unterrichtung
durch den Präsidenten der Bürgerschaft
Betr.: Reise einer Delegation der Hamburgischen Bürgerschaft nach Marseille
anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft HamburgMarseille vom 07. bis 10. Oktober 2008
Vorbemerkung
Die Städtepartnerschaft Hamburg-Marseille, mit der die beiden Partner 1958 – also
fünf Jahre vor der Unterzeichnung des ersten Abkommens („Elyséevertrag“) über die
deutsch-französische Zusammenarbeit durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und
den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle – Neuland betraten, feierte im
Jahr 2008 ihr 50-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass fanden in den beiden Städten
zahlreiche Veranstaltungen statt, rund 100 davon in Hamburg. Das große Engagement von Ehrenamtlichen aus diversen Vereinen, Institutionen und Organisationen
(zum Beispiel deutsch-französische Gesellschaft Cluny, Felix-Mendelssohn-Jugendsinfonieorchester, Hamburger Liedertafel, Volkshochschule, Handwerkskammer et
cetera pp. machten deutlich, dass die Partnerschaft mit Marseille auf einer breiten
gesellschaftlichen Basis steht. Eine Jubiläumsbroschüre, eine Internetplattform
(www.marseille.hamburg.de) und eine Plakataktion, die parallel in beiden Städten zu
sehen war, machten auf die Feierlichkeiten aufmerksam und gaben einen Überblick
über das vielfältige Jubiläumsprogramm.
Im Juli 2008 hatte eine mehr als 50-köpfige Delegation unter Leitung von Bürgermeister Jean-Claude Gaudin die Freie und Hansestadt Hamburg besucht, um das Jubiläum zu würdigen. Zum Gegenbesuch reisten sowohl eine 16-köpfige Senatsdelegation unter der Leitung von Bürgermeister Ole von Beust als auch eine Delegation der
Hamburgischen Bürgerschaft vom 07. bis 10. Oktober nach Marseille. Neben den
offiziellen Feierlichkeiten, an denen die Bürgerschaftsdelegation gemeinsam mit der
Senatsdelegation teilnahm, standen für die Hamburger Abgeordneten Fachgespräche
mit Vertretern der Legislative im Mittelpunkt. Die parlamentarischen Kompetenzen von
Zentralstaat, Metropolregion, Departement und Region waren das zentrale Thema bei
den Gesprächen mit Vertretern der verschiedenen Institutionen.
Die Bürgerschaftsdelegation umfasste folgende Mitglieder:
-
Berndt Röder, Präsident der Bürgerschaft (CDU)
-
Frank Schira, Fraktionsvorsitzender (CDU)
-
Hans-Detlef Roock, stellvertretender Fraktionsvorsitzender (CDU)
-
Roland Heintze, europapolitischer Sprecher (CDU)
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Jens Grapengeter (CDU)
-
Günter Frank, europapolitischer Sprecher (SPD)
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Elke Badde (SPD)
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Dr. Andreas Dressel (SPD)
-
Andreas Waldowsky, europapolitischer Sprecher (GAL)
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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 19. Wahlperiode
Die Delegation wurde begleitet von Ulfert Kaphengst, Leiter des Protokolls der Bürgerschaft.
1. Offizieller Festakt der Stadt Marseille
Zu einem offiziellen Festakt hatte Bürgermeister Gaudin rund 250 Gäste in das Rathaus eingeladen. In seiner Rede würdigte er die guten Beziehungen zur Freien und
Hansestadt Hamburg, die auch bei den Feierlichkeiten im Hamburg zum Ausdruck
gekommen seien. Für die Koordination zukünftiger Aktivitäten regte er die Einrichtung
eines regelmäßigen Lenkungsausschusses an. Ein Vorschlag, den Bürgermeister von
Beust in seiner Rede aufgriff. Der Festakt, bei dem sich Hamburgs Bürgermeister in
das Goldene Buch der Stadt eintrug, schloss mit der feierlichen Ernennung von Angela Reverdin-Gabriel zur neuen Hamburg-Ambassadorin in Marseille. Musikalisch
umrahmt wurde das Programm vom Hamburger Felix-Mendelssohn-Jugendsinfonieorchester. Anschließend lud Bürgermeister Gaudin zu einem festlichen Mittagessen in
das Palais Pharo ein.
2. Empfang des Generalkonsulats, der Stadt Hamburg und der Stadt Marseille
Mit einem gemeinsamen Empfang des deutschen Generalkonsulats und der beiden
Partnerstädte wurden in der Kongresshalle des Palais Pharo das Partnerschaftsjubiläum und der Tag der deutschen Einheit gefeiert. Vor 350 Gästen griff Marseilles stellvertretender Bürgermeister Jacques Rocca Serra die Idee eines Lenkungsausschusses wieder auf. Er gab bekannt, dass er als Vorsitzender des Ausschusses, der zeitnah seine Arbeit aufnehmen solle, fungieren werde. Weitere Grußworte sprachen der
deutsche Generalkonsul Wilhelm Späth und der Erste Bürgermeister Ole von Beust.
Das kulturelle Rahmenprogramm gestalteten die Hamburger Liedertafel, ihr Marseiller
Partnerchor „Les Baladins de la chanson“ und die Hamburger Tanzgruppe Hajusom.
Die Auszubildenden der Hotelfachschule Hamburg, die eine langjährige Partnerschaft
mit der Marseiller Schule verbindet, beköstigten die Gäste mit einem hanseatischen
Buffet.
3. Das Stadtentwicklungsprojekt Euroméditerranée
Der Untergang traditioneller Industrien (Seife, Öl und ähnlich) und die Verlagerung
des Hafens aus der Stadt heraus führten in der Vergangenheit zu einem langsamen
Verfall des Stadtzentrums von Marseille. Vor diesem Hintergrund sieht das 1996
gestartete und auf circa 20 Jahre angelegte Stadtentwicklungsprojekt Euroméditerranée die bauplanerische und architektonische Neu- und Umgestaltung großer Gebiete
der Stadt Marseille vor. Dabei weist das Projekt viele Parallelen zur Hamburger
HafenCity auf, die in einer gemeinsamen Ausstellung dokumentiert wurden.
Neben dem Gebiet des ehemaligen Handelshafens umfasst das fast 500 Hektar große Projekt dabei auch weitere Bezirke im historischen Stadtkern von Marseille. Ziele
sind sowohl die Ansiedelung von Unternehmen als auch der Neubau beziehungsweise die Sanierung von Wohneinheiten sowie kulturelle Angebote. Bei einer Rundfahrt
durch das Stadtentwicklungsgebiet konnte sich die Delegation einen Überblick über
das Projekt verschaffen. Der Geschäftsführer von Euroméditerranée, Francois Jalinot,
erläuterte es zudem anhand eines Modells.
Die aktuelle Zwischenbilanz von Euroméditerranée verzeichnet den Bau von 2.100
neuen Wohnungen, die Renovierung von 2.300 Wohnungen, 700 Firmenansiedlungen
sowie die Schaffung von 17.000 neuen Arbeitsplätzen. Während die öffentliche Hand
rund 500 Millionen Euro investierte, kam etwa das Fünffache aus der Privatwirtschaft
hinzu.
Euroméditerranée wird vom französischen Staat, der Region Provence-Alpes Côte
d’Azur, dem Departement Bouches-du-Rhône, der Metropolregion Marseille und der
Stadt Marseille getragen. Allerdings wird das Projekt in der Marseiller Öffentlichkeit
durchaus auch kritisch begleitet. Als problematisch wird insbesondere die „Edelsanie-
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rung“ bestehender Stadteile betrachtet, die in den Augen der Kritiker zu einer massiven Verdrängung sozial schwächerer Bewohner führt.
4. Ausstellung von HafenCity Hamburg und Internationale Bauausstellung
Die Ausstellung „Maritimes Hamburg im Aufwind – HafenCity und IBA Hamburg: Zwei
Stadtentwicklungsprojekte für die Zukunft der Metropole“ findet im Rahmen des
50-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft zwischen Marseille und Hamburg statt.
Sie war vom 8. Oktober bis zum 30. November 2008 im historischen „Fort Saint Jean“
am Alten Hafen zu sehen. In Anwesenheit der Hamburger Delegation wurde die Ausstellung offiziell eröffnet.
Die Ausstellung veranschaulichte, wie die Hansestadt Hamburg mit zwei zukunftsweisenden Projekten ihre Stadtentwicklung voran treibt und im Wettbewerb der europäischen Metropolen neue Maßstäbe setzt.
Analog zu dieser Ausstellung war bereits im Juli eine Ausstellung zu Euroméditerranée in der Hamburger HafenCity eröffnet worden.
Mit dem Projekt „Euroméditerranée“ strebt Frankreichs zweitgrößte Metropole in den
Kreis der Top-20 der europäischen Städte. Das neu gestaltete Hafenviertel wird bis
2013 mit herausragenden Neubauten international angesehener Architekten aufgewertet, denn dann will Marseille als Kulturhauptstadt Europas für sich werben.
5. Ausstellung jung.de
Das Goethe-Institut Paris präsentierte in der Marseiller Stadtbibliothek vier Wochen
lang seine Wanderausstellung jung.de. Ziel war es, einem jugendlichen Publikum ein
modernes und differenziertes Deutschlandbild zu vermitteln. Dazu wurden Jugendstudien, Videoclips aber auch Umfrageergebnisse zum Alltag von Jugendlichen in
Deutschland vermittelt. Bei der Ausstellungseröffnung durch den für Kultur zuständigen Vize-Bürgermeister Marseilles, Herrn Herrmann, sprachen auch Vertreter des
Goethe-Instituts und der Direktor der Bibliothek, Herr Eboli. Jugendliche der HipHop
Academy Hamburg boten ein gelungenes Rahmenprogramm, das sie gemeinsam mit
Jugendlichen aus Marseille einstudiert hatten.
6. Die Ausstellung Van Gogh – Monticelli
Anlässlich der französischen Ratspräsidentschaft hat Frankreich in einer einzigartigen
Initiative seine 26 Partner in der EU zur „Europäischen Kultursaison“ eingeladen. In
ganz Frankreich wurden im zweiten Halbjahr 2008 mehrere hundert Veranstaltungen
organisiert, um das künstlerische Schaffen und das kulturelle Erbe Europas einer
möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Als einer der Höhepunkte der Veranstaltungsreihe wurde in Marseille die Ausstellung
„Van Gogh et Monticelli” präsentiert. Gezeigt wurden die Werke im Centre de la Vieille
Charité im Quartier du Panier: sozusagen die Altstadt von Marseille, die einst ziemlich
herunter gekommen heute der Standort feiner Restaurants und Galerien ist. In der
Ausstellung, die die Hamburger Delegation bei einer beeindruckenden Sonderführung
zu sehen bekam, wurden Werke zweier unterschiedlich berühmter Maler in unerwarteter Weise präsentiert. In der Gegenüberstellung der Werke – davon fast 20 Gemälde
von Van Gogh – vermitteln die Bilder das Gefühl einer Verwandtschaft zwischen dem
jungen Holländer und dem alten Meister aus Marseille. Die Ausstellung zeigte Motive,
die von beiden dargestellt wurden, damit der Aufbau ihrer Technik und Gemeinsamkeiten nachvollziehbar werden.
Wie kann man einen weltberühmten Maler neben einem Künstler ausstellen, dessen
Renommee nur Insidern bekannt ist und der nicht eine zentrale Rolle der Kunstgeschichte spielt? Der Vergleich beruht auf Van Goghs Korrespondenz mit seinem Bruder Theo. Er forderte seinen Bruder auf, Bilder von Monticelli zu erwerben und diese
neben seinen auszustellen. Als Bewunderer Monticellis wollte er vergleichen, wie weit
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er seinem Vorbild nahe kam. In seiner Korrespondenz entpuppt sich Van Gogh als der
beste Kritiker von Monticellis Stil, von dem er sich in jeder Hinsicht inspirieren ließ.
7. Marseille als Kulturhauptstadt Europas 2013
Die Ausstellung “Van Gogh et Monticelli”, die weit über die Grenzen des Landes
Beachtung fand, hatte für die Stadt eine herausragende Bedeutung. Sie trug maßgeblich dazu bei, das Image der zweitgrößten Stadt Frankreichs als Kulturmetropole aufzupolieren. In diesem Zusammenhang hat die nationale Nominierung Marseilles als
Kulturhauptstadt Europas 2013 eine große Bedeutung für die Stadt. Die Entscheidung
der Jury, die sich wenige Tage vor dem Besuch der Hamburger Delegation gegen die
Mitbewerber Bordeaux, Lyon und Toulouse ausgesprochen hatte, wurde in der Stadt
mit großem Enthusiasmus aufgenommen und in den offiziellen Reden zum Jubiläum
der Städtepartnerschaft Hamburg-Marseille mit Stolz zum Ausdruck gebracht. Mit der
formalen Ernennung durch den Rat der Europäischen Union ist im Mai 2009 zu rechnen.
8. Der Hafen und die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt
Der kulturelle Imagegewinn ist im Zusammenhang mit einem bemerkenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit von 20,4 Prozent (1996) auf 12,7 Prozent (2007) und einem
wirtschaftlichen Aufschwung zu sehen.
Seit 2001 ist Marseille mit dem Schnellzug TGV von Paris aus in drei Stunden zu
erreichen. Der „TGV-Effekt“ schlägt sich zum einen in einer beträchtlichen Steigerung
der Touristenzahlen, aber auch in einer zunehmenden Ansiedlung von jungen kreativen Unternehmen nieder. Viel versprechend entwickelt sich auch die Zahl der Landungen von Kreuzfahrt-Linien. Waren es 1996 nur 62.500 Kreuzfahrtpassagiere, so
wurde 2007 erstmals die Zahl von 425.000 überschritten. Sie soll 2008 auf 500.000
und bis 2011 auf 1 Million ansteigen.
In einem Gespräch mit dem Generaldirektor der staatlichen Hafenverwaltung in Marseille, Jean-Claude Terrier, und bei einer Informationsfahrt durch den 50 Kilometer
westlich von Marseille gelegenen Hafen Fos-sur-Mer informierte sich die Delegation
der Hamburgischen Bürgerschaft über die Entwicklung des Hafens und den Prozess
der Privatisierung.
Marseille-Fos ist Frankreichs größter Ölhafen und der drittgrößte weltweit (62,5 Millionen Tonnen Erdöl und Erdölprodukte pro Jahr). In Europa ist Marseille nach Rotterdam, Antwerpen und Hamburg der viertgrößte Hafen. Allerdings hat Marseille jahrelang das Zeitalter der Containerschiffe verschlafen. Nach einem Bericht der Marseiller
Handelskammer war Marseille-Fos im Containerverkehr 1985 noch Nummer 1 im
Mittelmeer, Nummer 6 in Europa und Nummer 24 weltweit, 2005 lag es auf Platz 11
im Mittelmeer, Platz 20 in Europa und Platz 84 in der Welt.
In Fos-sur-Mer soll nun eine moderne Infrastruktur zur Abfertigung der Container aufgebaut, mit der die Region die an andere Mittelmeerhäfen verlorenen Kapazitäten
wieder aufholen will. 2007 wurden erstmals 1 Million Container abgefertigt, bis 2010
soll mit zwei neuen Terminals die 2 Millionen-Marke überschritten werden (zum Vergleich: die Prognose für den Hafen Hamburg für 2010 beträgt rund 14 Millionen Standardcontainer). In zwei Ausbaustufen, die für 2010 („Fos 2 XL“) und 2014 („Fos 3 XL“)
geplant sind, soll das 10.000 Hektar große Areal vor den Toren ausgebaut werden. Im
Rahmen der Ausschreibungen stehe die neue „Port of Marseille Authority“ unter anderem auch mit der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) und der Firma Eurogate
im Kontakt, berichtete Generaldirektor Terrier.
Abzuwarten bleibt, inwieweit die durch eine Gesetzesänderung im Juli 2008 eingeleitete Teilprivatisierung der französischen Häfen die Wettbewerbsfähigkeit des Marseiller Hafens verbessern wird. Die Reform soll in fünf Jahren abgeschlossen sein.
Noch, so berichtete der Generaldirektor der Hafenverwaltung, sei der Marseiller Hafen
im Vergleich zu den Mitbewerbern völlig ungenügend für die Zukunft gerüstet. Mit
einer Anschubfinanzierung von 200 Millionen Euro, die die Zentralregierung in Paris
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zur Verfügung gestellt habe, solle die Entwicklung des Hafens jedoch massiv vorangetrieben werden. Der multimodale Hafen Marseille, der sowohl über Schiene und Straße als auch über Flüsse und Pipelines an das Hinterland angebunden ist, könnte, so
die ehrgeizigen Pläne, durch einen Ausbau der Wasserwege und des Schienenverkehrs im Hinterland auch den Markt in Lyon oder in Süddeutschland bedienen. Ein
wesentlicher Schritt sei zum Beispiel der Ausbau des Logistik-Zentrums „Fos Distriport“, für das eine Fläche von 160 Hektar zur Verfügung stehe.
Der Marseiller Hafen beschäftigt 4.000 Menschen, in nachgelagerten Bereichen sind
es insgesamt 40.000 Menschen. Der Hafen erbringt einen jährlichen Umsatz von circa
6 Milliarden Euro.
Stark beeinflusst wird die Entwicklung des Hafens durch die starke Stellung und ausgeprägte Streikbereitschaft der Gewerkschaften. So wurde beispielsweise im Frühjahr
2007 fast die gesamte Ölzufuhr Frankreichs für sechs Wochen unterbrochen; Anlass
war die Einstellung eines nicht gewerkschaftlich organisierten Gabelstaplerfahrers.
Als Konsequenz der Reform solle die Zahl der 1.500 Mitarbeiter in der staatlichen
Hafenverwaltung um 50 Prozent reduziert werden. Gleichzeitig sollten jedoch im
Rahmen des Projekts „Ville Port“, das in seiner städtebaulichen Zielsetzung mit der
Hamburger HafenCity zu vergleichen ist, auch 10.000 neue Arbeitsplätze entstehen,
erklärte der Generaldirektor.
9. Eurocopter
Eurocopter ist eine Tochter der EADS und bildet innerhalb des Konzerns den gesamten Geschäftsbereich rund um das Helikopter-Geschäft ab. Als Anbieter mit der weltweit größten Auswahl an Zivil- und Militärhubschraubern belegt Eurocopter eine Spitzenposition im Weltmarkt. Das Unternehmen ist 1992 aus einem Zusammenschluss
der deutschen DASA Daimler Chrysler Aerospace und der französischen Aérospatiale-Matra hervorgegangen.
Am Standort Marseille/Marignane werden Teile der Geschäftsführung unterhalten,
außerdem sind hier Endfertigung, Logistik, der Kundenservice und ein Testcenter
untergebracht. Das Unternehmen unterhält weitere Betriebe an Standorten in
Deutschland (Donauwörth, Ottobrunn und Kassel), Frankreich (Marignane und La
Courneuve) und Spanien (Madrid und Albacete).
Eine Verbindung zu Hamburg kann insbesondere über den EADS Konzern hergestellt
werden, zu dem auch Airbus gehört. Neben dem Kerngeschäft fertigt Eurocopter auch
einige Flugzeugteile, die in den Airbus-Modellen zum Einsatz kommen (zum Beispiel
Türkomponenten und ähnlich). Hamburg setzt unter anderem das Eurocopter-Modell
EC-135 in der Hubschrauberstaffel der Polizei ein (Anschaffung: 2004).
Bei einem gemeinsamen Werksbesuch mit der Delegation des Senats gab die Generalsekretärin der Eurocopter Gruppe Mathilde Royer einen Überblick über die außerordentlich positive Entwicklung des Unternehmens, das im Jahr 2007 seinen Umsatz
um 9,7 Prozent von 3,8 auf 4,17 Milliarden Euro steigern konnte. Allein im Jahr 2007
habe Eurocopter 488 Militär und Zivilhelikopter ausgeliefert.
Das Unternehmen gewährte der Hamburger Delegation einen Einblick in die Fertigung
des „Super-Puma“.
10. Das politisch-administrative System Frankreichs und die parlamentarische
Praxis
Im Mittelpunkt der Gespräche, die die Delegation der Bürgerschaft in Marseille führte,
stand der Austausch mit Repräsentanten der parlamentarischen Gremien der Stadt
Marseille, des Departements, der Region und der Metropolregion. Einen ersten Überblick über die Kompetenzen der Gebietskörperschaften und ihre Finanzen bekam die
Delegation bei einem Briefing durch den Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Wilhelm Späth. In Gesprächen mit dem stellvertretenden Präsidenten der Metropolregion „Marseille Provence Métropôle (MPM)“, Jean-Pierre Bertrand, mit dem stell5
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vertretenden Generaldirektor des Conseil Régional, Bertrand Wolkowitsch und mit
dem stellvertretenden Präsidenten des Conseil Général, Hervé Chérubini, wurden
diese Informationen vertieft.
Neben der Information über die Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften im Zentralstaat richtete sich der Fokus auf die aktuelle politische Situation in Marseille. Dabei
stellte sich die zentrale Frage: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der
konservativen Regierung in Marseille und der sozialistisch regierten Metropolregion,
der sozialistisch regierten Region und den ebenfalls sozialistisch regierten Departements in der politischen Praxis?
10.1. Die Stellung der Kommunen und Regionen im politischen System Frankreichs
In Frankreich werden die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung vom Staat, den
Gebietskörperschaften (Regionen, Departements und Kommunen) und zum Teil von
für spezielle Aufgaben eingerichteten Behörden wahrgenommen. Die Legislative
bestimmt, welche öffentliche Aufgabe von staatlichen und welche von den anderen
Gebietskörperschaften wahrzunehmen sind.
Artikel 72 der Verfassung garantiert ihnen „Entscheidungen in allen Zuständigkeitsbereichen zu treffen, die auf ihrer Ebene am besten umgesetzt werden können.“ (Subsidiaritätsprinzip). Laut Verfassung verfügt keine Gebietskörperschaft über die Aufsicht
über eine andere (das ist besonders deshalb wichtig, da sich die einzelnen Gebietskörperschaften häufig territorial überschneiden). Die Kompetenzverteilung ist zwischen den Gebietskörperschaften klar durch das Gesetz geregelt.
Die Gebietskörperschaften der Französischen Republik und ihre parlamentarischen
Gremien gliedern sich wie folgt:
-
Die Region mit dem Conseil Régional
-
Das Departement mit dem Conseil Général
-
Die Stadt beziehungsweise Gemeinde mit dem Conseil Municipal
Marseille, mit circa 830.000 Einwohnern (1,3 Millionen in der Agglomeration), gehört
zum Departement Bouches-du-Rhône, in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur.
Mit den Dezentralisierungsgesetzen der Jahre 1982 und 1983 waren erhebliche
Umwälzungen verbunden, ohne dass dadurch aber Frankreich zu einem föderalen
Staat geworden wäre.
10.1.1. Die Region und der Regionalrat (Conseil Régional)
Frankreich ist in 26 Regionen eingeteilt, davon 22 im Mutterland und vier in Übersee,
wobei jedes Überseeterritorium auch eine Region bildet. Die Regionen wurden bereits
1955 geschaffen, waren aber lange Zeit nur eine dekonzentrierte Einheit der nationalen Planung. Im Jahr 1972 erhielten sie den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit begrenzter Finanzhoheit, jedoch ohne eine direkte demokratische Vertretung. Erst die Dezentralisierungsgesetze von 1982 und 1983 schufen eine echte
Regionalstruktur und weisen der Region die Funktion einer echten Gebietskörperschaft zu, deren Aktivitäten jedoch von externen Instanzen (Präfekt der Region,
Finanzstellen) kontrolliert wird. Über die Regionen setzt der Zentralstaat zentrale politische Ziele durch sogenannte Projektverträge um. Diese Verträge sichern gleichzeitig
die Bereitstellung umfangreicher Mittel aus Paris.
Die Hauptaufgaben der Region sind
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Bau, Unterhaltung und Ausstattung der Gymnasien (lycées)
-
Bau und Unterhaltung spezieller Bildungseinrichtungen für die berufliche Ausbildung
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-
finanzielle Unterstützung von Ausbildungsstätten
-
Energie (erneuerbare Energien)
-
Öffentlicher Verkehr
-
Raumplanung, Entwicklung und Durchführung des Regionalplanes (Die Regionen
finanzieren große Infrastrukturmaßnahmen mit und sind verantwortlich für den
regionalen Eisenbahnverkehr.)
-
Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung mit direkten und indirekten Förderprogrammen
Zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, in
deren Zentrum Marseille liegt, über ein Budget von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.
Die beschließende Versammlung ist der Regionalrat (Conseil Régional). Er wird für
sechs Jahre nach dem allgemeinen direkten Wahlrecht gewählt und tagt vier bis fünf
Mal im Jahr. Exekutivorgan ist der Präsident des Regionalrates, der von den Regionalräten gewählt wird. Die Amtszeit beträgt ebenfalls sechs Jahre. Er schlägt der Vollversammlung des Regionalrates (Assemblée) Maßnahmen vor und führt sie aus. Der
Präsident des Regionalrates ist zugleich Dienstvorgesetzter der Bediensteten der
Region.
Im Conseil Régional der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur bildeten die Sozialisten
der Partei PS (46 Sitze) zusammen mit Kommunisten (PCF, 19 Sitze) und Grüne (Les
Verts, acht Sitze) nach der letzten Wahl 2004 eine Koalition. Die größte Oppositionspartei ist die URAP (Konservative) mit 31 Sitzen. Präsident der Regionalversammlung
ist Michel Vauzelle von der PS, seit 1998.
10.1.2. Das Departement und der Generalrat (Conseil Général)
In Frankreich gibt es 100 Departements, 96 im Mutterland und vier in Übersee. Ein
Departement wird verwaltet durch die beschließende Versammlung, den Conseil
Général (Generalrat) und dessen Präsidenten, der das Exekutivorgan dieser Körperschaft ist.
Die Departements haben im Rahmen der Dezentralisierung von 1982 und 1983 zu
ihren Hauptaufgaben im sozialen Bereich eine Reihe von Zuständigkeiten hinzugewonnen.
Zu den Aufgabengebieten des Departements zählen
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Bau und Unterhalt der Mittelschulen (Collèges), die in etwa den deutschen Realschulen entsprechen
-
Straßenbau (Nationalstraßen)
-
Soziale Sicherung und Gesundheitsvorsorge (zum Beispiel Mindesteinkommen,
Ausgaben für Kinder, Alte, Behinderte, Jugendliche, Aidszentren, Impfungen et
cetera)
-
Museen des Departements
-
Öffentlicher Nahverkehr: Zuschüsse an Kommunen
-
Förderung des Vereinslebens (Breitensport)
-
Müll
-
Natur- und Gewässerschutz
Außerdem können die Departements, genau wie die Gemeinden, unterstützend in das
Wirtschaftsleben eingreifen. Das Departement Bouches-du-Rhône verfügt als fünftgrößtes Departement Frankreichs über einen Jahresetat von 1,9 Milliarden Euro. Etwa
Dreiviertel des Etats machen laufende Verwaltungsausgaben aus.
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Im Conseil Général von Bouches-du-Rhône regiert eine Koalition aus PS (Sozialisten)
und DVG (französisch für diverse Linke, die keine Partei bezeichnet, sondern einen
Zusammenschluss linkspolitischer Kandidaten ohne Parteizugehörigkeit) und PRG
(eine gemäßigte linksliberale Partei). Präsident des Conseil Général ist Jean-Noel
Guerini von den Sozialisten.
Der Vertreter der Zentralregierung im Departement ist der Präfekt. Er vertritt die verschiedenen Ministerien innerhalb des Departements und informiert die Regierung über
aktuelle Entwicklungen in seinem Departement. Er verfügt über eingeschränkte
Zuständigkeiten im Bereich der Polizei. Der gesamte Informationsfluss zwischen den
Ministerien und den dekonzentrierten Dienststellen muss über ihn laufen.
10.1.3. Die Metropolregion
Die Metropolregion Marseille (Communaute Urbaine Marseille Provence Metropole),
zu der sich 18 Kommunen zusammengeschlossen haben, bildet eine zusätzliche
Gebietskörperschaft, die jedoch kein eigenes Budget verwaltet. Ihre Kompetenzen
beschränken sich auf gemeinschaftliche Planungen der Kommunen zum Beispiel im
Bereich Nahverkehr, Parkhäuser oder dem Bau und Betrieb gemeinsamer Müllverbrennungsanlagen.
Dem Rat der Metropolregion (Conseil de Communaute) steht Präsident Eugene
Caselli (PS) vor. Er hatte sich im April 2008 überraschend – und entgegen der parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse im Wahlgremium – gegen den Favoriten und politischen Weggefährten von Marseilles Bürgermeister Gaudin, Renaud Musselier (UMP)
durchgesetzt.
10.1.4. Die Gemeinde
Mehr als 36.000 Gemeinden gibt es in Frankreich. Die Gemeinde wird verwaltet durch
die beschließende Versammlung, den Conseil Municipal (Stadt- beziehungsweise
Gemeinderat) und den Bürgermeister, der das ausführende Organ dieser Versammlung ist. Die Zuständigkeiten der Gemeinden sind sehr vielfältig, aufgeteilt in Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben.
Jede Gemeinde ist vor allem für die folgenden Bereiche zuständig:
-
Bildung (Primarschulen)
-
Sport
-
Jugend
-
Kultur
-
Sicherheit
10.2. Die aktuelle politische Situation in Marseille und Umgebung
Im März 2008 wurde in Marseille der Stadtrat gewählt. Die konservative Partei UMP
mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Gaudin wurde mit 41,03 Prozent stärkste
Kraft; allerdings mit einem hauchdünnen Vorsprung vor den Sozialisten der PS mit
39,14 Prozent. Die darauf folgende Stichwahl für das Bürgermeisteramt endete in
einem Vorsprung von wenigen Hundert Stimmen: Jean-Claude Gaudin setze sich mit
51 Prozent gegen seinen Konkurrenten Jean-Noel Guerini (PS) mit 49 Prozent durch.
Gaudin ist seit 1995 Bürgermeister von Marseille.
11. Zusammenfassung
Die Bürgerschaftsdelegation hat im Rahmen des Jubiläumsprogramms der Städtepartnerschaft eigene Akzente gesetzt. Die parlamentarischen Kontakte zur Stadt Marseille aber auch zur Region und zum Departement haben dazu beigetragen, dass die
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Städtepartnerschaft auch auf dieser Ebene mit neuem Leben erfüllt wird. Die Kenntnisse über die politischen Entscheidungsprozesse im politisch-administrativen System
eines Zentralstaates konnten durch anschauliche Vorträge und die praxisorientierten
Diskussionen mit den Vertretern der Parlamente vor Ort vertieft werden. Viele der
Erfahrungen zum Beispiel im Bereich der Europa-, der Stadtentwicklungs- und der
Hafenpolitik werden sicherlich als Anregungen in politische Entscheidungsprozesse
einfließen.
Berndt Röder
Präsident
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