Mythos Kreuzzüge. Selbst - H-Soz-Kult
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Mythos Kreuzzüge. Selbst - H-Soz-Kult
F. Hinz: Mythos Kreuzzüge Hinz, Felix: Mythos Kreuzzüge. Selbstund Fremdbilder in historischen Romanen (1786–2012). Schwalbach/Ts.: WochenschauVerlag 2014. ISBN: 978-3-7344-0019-3; 576 S. Rezensiert von: Alexander Berner, Historisches Seminar, Westfälische WilhelmsUniversität Münster Die Auseinandersetzung mit den Kreuzzügen erfreut sich derzeit einer erheblichen Konjunktur. Jenseits der fachwissenschaftlichen Diskurse betrifft dies auch den populären Bereich, umfasst also das, was gemeinhin als „Geschichtskultur“ (Jörn Rüsen, Bernd Schönemann) bezeichnet wird. Felix Hinz untersucht in seiner hier zu besprechenden Habilitationsschrift das Feld derjenigen deutschsprachigen oder auf Deutsch zwischen 1786 und 2012 erschienenen historischen Romane, deren Handlungsrahmen die Kreuzzüge des Mittelalters sind. Von den 164 insgesamt recherchierten historischen Romanen bezieht er 64 in seine Analyse ein und wertet 20 intensiv aus. Darunter befinden sich bekannte Klassiker wie Sir Walter Scotts „Der Talisman“ oder Felix Dahns „Die Kreuzfahrer“, aber auch dem Historiker weniger präsente neuere Werke wie Wolfgang Hohlbeins „Das Siegel“ oder Rainer Maria Schröders „Der Fall von Akkon“.1 Der von Hinz verfolgte geschichtswissenschaftliche Ansatz ist insofern begrüßenswert, als die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Literaturgattung bislang vorwiegend von Literaturwissenschaftlern betrieben worden ist. Hinz erschließt mit seiner Studie den Forschungen aus dem Bereich der Rezeptionsgeschichte der Kreuzzüge, der Geschichtsdidaktik und -kultur ein neues Feld. Zum Aufbau der Studie: Der eigentliche Hauptteil der Arbeit („Anblick“, S. 46–458) zerfällt in zwei Gliederungseinheiten, „Längsschnitte“ (S. 46–179) und „Querschnitte“ (S. 180–458). In seinen Längsschnitten fragt Hinz nach Konstanten der Kreuzzugsnarrative der von ihm untersuchten historischen Romane und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Romane von „christlicher, abendländischer und europäischer Identitätssuche“ (S. 178) handeln und der „Diskurs über die Orientkreuzzüge 2015-2-003 ein national bestimmter ist“ (S. 179). Dieser Befund verwundert wenig, wertet Hinz doch vornehmlich deutsche oder auf Deutsch publizierte Titel aus. Die Beobachtung, dass etwa englische Nationalismen (z.B. Richard I. Löwenherz) von deutschen Autoren geduldet und sogar fortgeschrieben werden, französische (z.B. Ludwig IX.) hingegen keine Berücksichtigung finden, ist deutlich interessanter und hätte gern etwas stärker bearbeitet werden dürfen. Die in den „Längsschnitten“ festgehaltenen Befunde dienen den „Querschnitten“ als Hintergrundfolie. Dort findet dann der Löwenanteil der Erschließungsarbeit statt, denn hier konfrontiert Hinz seine nach historischen, nicht literarischen Epochen (1786–1870 „Nationalismus“, 1871–1945 „Deutsches Reich“, 1946–1991 „Im Angesicht der Bombe“, 1992–2012 „Nach 1992“) geordneten vier Quellencorpora je mit einem siebenteiligen Fragenkatalog. Er fragt unter anderem nach den Vorlieben der unterschiedlichen Epochen für bestimmte Kreuzzüge, nach der Konzeption der Hauptfiguren, den auf Jerusalem projizierten „letzten Werte[n] und Hoffnungen“ sowie nach der Bewertung der Kreuzzugsidee, des Islams und des Judentums. Dabei ist ihm bewusst, dass er die literarischen Diskurse über die Kreuzzüge in einem von zahlreichen historischen wie literarischen Entwicklungen geprägten Zeitraum untersucht, dessen Feinund Eigenheiten er gar nicht abbilden kann. Hinz geht es vielmehr um die Entwicklungslinien und die zeichnet er – mit Mut zur Lücke – gekonnt nach. Dem „Anblick“ folgt der „Ausblick“ (S. 459–494), in dem die zentralen Ergebnisse der Studie zusammengefasst, ihr Nutzwert für anschließende Untersuchungen formuliert sowie Desiderata benannt werden. Es schließt sich ein recht umfangreiches Literaturverzeichnis an, das von gründlicher Recherche zeugt. Äußerst begrüßenswert ist der abschließende, nur leider etwas versteckte kleine Absatz über den Verfasser selbst (S. 571f.). An dieser Stelle tritt die übergeordnete Causa scribendi (die Verbindung von Geschichtskultur und -wissenschaft) deutlich 1 Walter Scott, Der Talisman, Leipzig 1826; Felix Dahn, Die Kreuzfahrer. Erzählung aus dem dreizehnten Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1884; Wolfgang Hohlbein, Das Siegel, Wien 1987; Rainer Maria Schröder, Der Fall von Akkon, Würzburg 2006. © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. hervor. Der Aufbau der Studie ist in seiner glasklaren Stringenz positiv hervorzuheben. Insbesondere die verschiedenen Kapitel innerhalb der „Querschnitte“ erlauben ein Maximum an Vergleichbarkeit der von Hinz eingeteilten Epochen, sodass in diesem Bereich Handbuchformat erreicht wird. Felix Hinz hat sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, in „welchem Maße die Geschichte der Kreuzzüge einerseits festen Sinngebungsmustern folgte und inwiefern sie andererseits von der Aufklärung bis heute sich wandelnder Bedürfnisse bediente“ (S. 15). Dieses Ziel erreicht Hinz. Unter anderem gelingt es ihm nachzuweisen, dass die Kreuzzüge über die Zeiten hinweg eher negativ bewertet werden, was mit der ebenfalls wenig schmeichelhaften Bewertung der römischen Kirche einhergeht. Der „Sündenfall“ (S. 464) des Papsttums besteht für die Romanautoren in der Einmischung der Kirche in weltliche Angelegenheiten, was als bis heute wirkender Reflex der Aufklärung zu verstehen ist. Die Schutzwürdigkeit der mühsam erlangten Trennung von Sacerdotium und Imperium wird in den Romanen überaus deutlich vermittelt. Bei aller Kritik am ‚Design‘ der Kreuzzüge kann Hinz aber auch einen Grundtenor feststellen, der dem ‚selbstkritischen‘ Urteil der Romanautoren entgegenläuft: Der Westen in Gestalt der Kreuzfahrer steht für die Freiheit, während der Orient die Unfreiheit repräsentiert. Die Kreuzzüge werden als Klimax einer von religiösem Wahn bestimmten Zeit erzählt, an die dann auf die Erkenntnis der Protagonisten folgend rational-positiv konnotiert Reformation, Aufklärung, Kulturkampf etc. anschließen. Der Orient hingegen erstarrt in seinem mittelalterlichen Sieg und „Stillstand [. . . ] ist der Tod“ (S. 465). Dies sind nur einige wenige der wichtigen Ergebnisse, die Felix Hinz erarbeitet hat und dafür sei ihm außerordentlich gedankt. Die Grundlage für anschließende Diskussionen um unser eigenes Geschichtsverständnis und den modernen Diskurs über die Kreuzzüge verbreitert er damit wesentlich. Bei allen Verdiensten, die der Verfasser leistet, muss auch auf einige kleinere Mängel hingewiesen werden: Der Fragenkatalog an die Objekte seiner Forschung ist ohnehin sehr umfangreich, weshalb sich der Rezensent fragt, ob denn die Frage nach der Sicht auf die Deutschen wirklich Berücksichtigung hätte finden müssen. Zwar geht es Hinz auch um Identitäten, aber die jeweiligen Unterkapitel wirken etwas isoliert von den übrigen Textteilen. Hier hätte eine Möglichkeit zur Raffung bestanden, denn zur übergeordneten Leitfrage trägt dieser Aspekt nur wenig bei. Insbesondere für den Zeitraum ab 1992, den Hinz als „Clash of Civilizations?“ betitelt, bleibt die Frage, in welchem Maße historische Romane den Mythos Kreuzzüge gestalten. Einerseits ist in diesen Jahren die deutsche Kreuzzugsliteratur „explodiert“ (S. 369). In den letzten 30 Jahren hat sich andererseits die populäre Auseinandersetzung mit diesem Thema deutlich diversifiziert; neben die historischen Romane traten – und treten – neue Medien oder Plattformen, die die Wahrnehmung der Kreuzzüge dokumentieren und gestalten. Zu denken ist hier vor allem an Filme2 , Reenactment als Phänomen in breiteren Bevölkerungsschichten sowie Rollen-3 und Computerspiele.4 In all diesen Bereichen werden die Kreuzzüge als historisches Substrat genutzt und erzählerisch interpretiert. Die Geschichtskultur wandelt sich derzeit massiv. Welche Rolle bleibt da dem historischen Roman? Gerade weil Hinz vollmundig den „Mythos Kreuzzüge“ zum Titel seines Buches erhebt, hätte der Rezensent dann doch mit ein paar Seitenblicken mehr gerechnet. Auffällig ist zudem der starke Rückgriff auf bestimmte Darstellungen der Kreuzzüge mit einem Schwerpunkt in der neueren (Jonathan Phillips, Christopher Tyerman) und älteren 2 Z.B. Sheldon Lettichs „The Order“ (2001), Ridley Scotts „Kingdom of Heaven“(2005), Peter Flinths Zweiteiler „Arn – The Knight Templar“ (2007) und „Arn – The Kingdom at Roads End“ (2008). 3 Z.B. Falk Fehr u.a., Kreuzzüge – Ritter im Heiligen Land: Cthulhu Mittelalter. Quellen- und Abenteuerband, Friedberg 2011; M. J. Alishah, Nights of the Crusades, o. O. 2013; Reenactment als Teil der living history-Bewegung sei hier unter Rollenspiele gefasst: <http://hornshattin.com/en/%D0%BA%D0%B8%D1%80/> (25.03.2015); <http://www.igwolf.net/>, (25.03.2015); <https://portalhistoria.wordpress.com/2012/09/02 /orden-de-los-caballeros-de-la-cruz/> (25.03.2015). 4 Z.B. Stronghold Crusader, Firefly Studios, 2002; Assassin’s Creed, Ubisoft, 2007; Crusaders: Thy Kingdom Come, Neocore Games, 2008; The Kings’ Crusade, Neocore Games, 2010; The Cursed Crusade, Kylotonn, 2011. © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. F. Hinz: Mythos Kreuzzüge (Steven Runciman) anglophonen Forschung. Im Grundsatz ist dies nicht kritikwürdig, allerdings muss man heute Runciman nicht mehr als Grundlage der Faktengeschichte der Kreuzzüge nutzen. Insgesamt werden neuere deutsche und französische Standardwerke der Kreuzzüge (z.B. von Hans Eberhard Mayer oder von Jean Flori) weitgehend ignoriert. Es hätte sich zudem eine engere Verzahnung mit aktuellen philologisch-komparatistischen Zugängen zu historischen Romanen angeboten. Die mittlerweile als überholt geltende Darstellung von Hugo Aust5 bezeichnet Hinz als „beste Allgemeindarstellung“ (S. 37 Anmerkung 61), die methodisch maßgebliche Studie von Hans Vilmar Geppert bleibt hingegen unberücksichtigt.6 Im formalen Bereich sei ein Versäumnis angesprochen: Der Studie fehlt jedweder Index, sodass die Suche nach bestimmten Personen, Werken oder Orten zu einem recht zeitintensiven Unterfangen ausarten kann. Überhaupt irritieren einige Entscheidungen des Verfassers: Beispielsweise hätten Kurztitel den umfangreichen Anmerkungsapparat entschlackt; ebenso wäre eine weniger eigenwillige Zitation von Artikeln aus dem Lexikon des Mittelalters willkommen gewesen (z.B. S. 65 Anmerkung 55: „Lexikon des Mittelalters, CDROM-Ausgabe 2000, Bd. 1, S. 1250 ,Aussatz‘“). Der Rezensent will hier ausdrücklich keine kleinlichen Korrekturen anmahnen, doch Hinz nutzt genau die Art von Zitation, die man in studentischen Hausarbeiten als nicht hilfreich kennzeichnet, weil der bezeichnete Titel zum einen nur schwer in einem Verzeichnis wiederzufinden ist, zum anderen in dieser Darstellungsweise einen neueren Forschungsstand suggeriert.7 Der Artikel ist dann auch nicht im Literaturverzeichnis auffindbar. Trotz dieser Kritikpunkte: Insgesamt hat Felix Hinz mit seiner Habilitationsschrift einen wichtigen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Orientkreuzzüge und zur Erforschung der Geschichtskultur geleistet, der hoffentlich weitere Untersuchungen ähnlicher Stoßrichtung nach sich ziehen wird. HistLit 2015-2-003 / Alexander Berner über Hinz, Felix: Mythos Kreuzzüge. Selbstund Fremdbilder in historischen Romanen 2015-2-003 (1786–2012). Schwalbach/Ts. 2014, in: H-SozKult 01.04.2015. 5 Hugo Aust, Der historische Roman, Weimar 1994. Vilmar Geppert, Der historische Roman. Geschichte umerzählt von Walter Scott bis zur Gegenwart, Tübingen 2009. Vgl. hierzu die Rezension von Julia Ilgner in: H-Soz-Kult, 07.09.2010, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id /rezbuecher-14818> (25.03.2015). 7 Die Druckfassung des betreffenden Artikels aus der Feder von Gundolf Keil erschien bereits im Jahr 1980 und wird in der CD-ROM-Ausgabe unverändert wiedergegeben. 6 Hans © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.