Eberhard Kamprad: Neuanfang Neuanfang Kurzgeschichte
Transcription
Eberhard Kamprad: Neuanfang Neuanfang Kurzgeschichte
-1Neuanfang arbeiterin. „Sein Besitzer hat ihn zum Einschläfern Kurzgeschichte gebracht, weil er bösartig sei. Er ist aber ein ganz Eberhard Kamprad normaler Hund, nur etwas eigensinnig, wie Dackel eben sind und natürlich mit einem halben Jahr Felix war alt und in vielen Dingen etwas nach- noch nicht erzogen. Wir dürfen aber laut Gesetz lässig. Seinem Rauhaardackel Max ging es eben- kein gesundes Tier einschläfern und sind nun auf so. Mit zunehmendem Alter war ihnen manches der Suche nach dem Züchter, denn bei dem bis- unwichtig geworden. Beider Bärte wirkten unge- herigen Besitzer wollten wir ihn auch nicht las- pflegt, Haar und Fell waren struppig und mit der sen." Felix betrachte den Dackel, der Dackel be- Reinlichkeit nahmen sie es auch nicht mehr so trachtete Felix. „Wollen Sie ihn mitnehmen?“, genau. Da Felix und Max im gleichen Bett schlie- fragte die Tierarzthelferin, „er würde nichts kos- fen, störte das keinen. Ihre Ausdünstungen ver- ten.“ „Wuff-Wuff“, machte Paul und das hieß of- mengten sich zu einer speziellen Geruchsmi- fenbar: „Ich bin einverstanden.“ Felix zögerte. schung. Wenn sie auf der Straße Kindern begeg- „Eigentlich denke ich immer noch an meinen Max. neten, veranlasste das die Mütter zu der Ermah- Ich weiß nicht, ob ein neuer Hund jetzt das Richti- nung: „Geht nicht so nah an dem alten Penner ge wäre?“ und seinem dreckigen Köter vorbei! Wer weiß, was ihr euch da weg holt?“ Der Dackel verschwand traurig wieder unter dem Tisch. Er hatte offenbar gespürt, dass es Viermal täglich drehten die beiden ihre Runde nichts mit einem neuen Zuhause war. Felix ging durch das Wohngebiet. Dem Dackel fiel es von zur Tür, kehrte aber plötzlich um. „Geben Sie ihn Tag zu Tag sichtlich schwerer, langsam setzte er mir. Zwei Verlassene gehören zusammen.“ Die eine Pfote vor die andere. Eines Morgens ver- Schwester reichte Felix den Hund, der zum Glück misste Felix den warmen Körper an seiner Seite. Halsband und Leine umhatte, und beide zogen Besorgt erhob er sich, um nach Max zu sehen. Da los. lag er in seinem Körbchen und stand nicht mehr Zu Hause angekommen nahm Paul die Gerät- auf. Felix hockte sich davor und hielt eine stumme schaften seines Vorgängers in Besitz, nachdem er Zwiesprache mit dem langjährigen Gefährten sie ausgiebig beschnüffelt hatte. Beim nächsten seiner einsamen Tage. Dann wickelte er den klei- Ausführen hatten ihn bald die Kinder entdeckt. nen Körper in die Lieblingsdecke und trug ihn zur „Babyhund! Babyhund!“, riefen sie, kamen aber Abgabe zum Tierarzt. Mühsam unterdrückte er die nicht näher. Paul freute sich über die Aufmerk- Tränen, als er ihn aus den Händen gab. „Das war samkeit, legte sich auf den Rücken und strampel- mein letzter Freund“, sprach er stockend zu der te mit den Pfoten. Ein etwa zehnjähriger Junge Assistentin, als er seine Gebühr bezahlte, „nun überwand schließlich seine Scheu und die Er- bin ich ganz allein. Am besten ich fahre auch bald mahnungen der Mutter und kam näher. in die Grube.“ Wie als Widerspruch hörte er plötz- „Wie heißt ’n der Hund?“ lich kräftiges Bellen unter dem Tisch hervor. Dann „Paul.“ erschienen zwei Pfoten an der Tischkante und „Mensch! Ich heiße auch Paul. Ein tolles Ding.“ darüber ein Dackelkopf, der Felix mit klugen, Paul hockte sich hin und streichelte dem Da- braunen Augen anblickte. Der kleine Kerl stand mit gestreckten Hinterpfoten auf einem Stuhl, ckel den Bauch. „Darf ich ihn auch einmal nehmen?“ sodass er gerade über den Tisch gucken konnte. „Das ist Paul, unser Sorgenkind“, erklärte die MitEberhard Kamprad: Neuanfang -2Felix entgegnete, dass der Kleine erst einmal „hier schnuppere mal, damit du weißt, dass ich Ruhe bräuchte und sie verabredeten sich in zwei wirklich dein neues Herrchen bin. Ich habe auch Stunden am Klettergerüst. noch geduscht, vergiss das nicht bei der Ge- Wieder daheim setzte Felix das Hundekind ins ruchskontrolle.“ Der Hund schnupperte an der Körbchen. Paul fiel um und schlief sofort ein. Es hingehaltenen Hand, rappelte sich dann auf und waren doch zu viel Aufregungen für das junge lief zur Tür. Schon fünf Minuten vor der vereinbar- Hundegemüt gewesen. In zwei Stunden hatte er ten Zeit waren Felix und Paul am Klettergerüst also eine Verabredung, überlegte Felix. Verabre- und warteten auf den Jungen. dung? Seit Langem hatte er nur medizinische „Wow, ich habe Sie erst gar nicht erkannt“, be- Termine wahrgenommen. Die Ärzte und Schwes- gann Paul das Gespräch. „Sie sehen so verändert tern mussten ihn so nehmen, wie er war, auch aus.“ wenn sie manchmal die Nase rümpften. Er ver- „Meinst du?“ suchte, sich zu erinnern, wann er das letzte Mal „Na ja, so einen schicken Jogginganzug hatten geduscht hatte. Es musste etwa einen Monat her Sie noch nie an. In den anderen Sachen sahen sein. Seitdem hatte er es bei Katzenwäsche be- Sie wie ein Penner ... Entschuldigen Sie!“ wenden lassen. Ein Duschbad fand er beim Stö- „Du kannst ruhig ‚du’ zu mir sagen. Ich nehme bern im Badschrank nicht, aber klares Wasser dir deine Bemerkung nicht übel. In gewissem Sin- war besser als nichts. Beim nächsten Einkauf ne hast du recht, wenn man es auch üblicherwei- „Duschbad“ notierte er auf seinem Zettel. Ein an- se den Menschen nicht ins Gesicht sagt.“ genehmes Gefühl war es, das Rieseln des warmen Wassers auf der Haut zu spüren. Er genoss es länger als eigentlich nötig, dachte einmal nicht an die Wasserrechnung. Dann stand er lange vor „Und warum haben Sie, ... hast du dich heute anders angezogen? Frisch rasiert ... bist du auch. „Tja ... ich wollte eben zu euch beiden Pauls passen. Ihr seid ja auch frisch und sauber.“ dem Kleiderschrank. Frisch geduscht, wollte er „Ja, damit nervt mich meine Mutter immer. nicht wieder in die alten Sachen kriechen. Als Komisch, dass wir den gleichen Namen haben. einziges vorzeigbares Stück hing da der schwarze Wir gehören wahrscheinlich zusammen. Kann ich Anzug, den er vor zehn Jahren zur Beerdigung ihn jetzt einmal nehmen?“ seiner Frau gekauft hatte. Nein! Das ging nun Felix lachte und gab ihm die Hundeleine. Stolz wirklich nicht. Aber Moment! Als er einmal zur Kur führte Paul seinen neuen Freund. Der Dackel war, hatte er sich einen Jogginganzug zulegen schaute häufig zu ihm auf und gab sich sichtlich müssen. Damals hatte er das absurd gefunden Mühe, so etwas wie eine Art „Fuß laufen“ zu und wohlgefühlt hatte er sich auch nicht darin. Viel Stande zu bringen, wenn er auch noch manchmal zu jugendlich! Wäre das nicht etwas für heute? über seine kurzen Pfoten stolperte. Wo hatte er ihn denn hingetan? Er suchte und Das war der Auftakt einer langen Reihe von suchte, krempelte fast die ganze Wohnung um. In gemeinsamen Spaziergängen, denen sich bald der hintersten Ecke des Oberschrankes fand er auch andere Kinder anschlossen. Der Welpe ihn schließlich in einem Karton. Frisch geduscht wuchs und wuchs und war bald ein stattlicher und rasiert im Jogginganzug! Ach ja, rasieren Dackelrüde und der Liebling des ganzen Wohn- musste er sich auch noch und mal mit der Haar- gebietes. Opa Felix wurde der Freund aller Kin- schneidemaschine über den Kopf fahren. Als Paul der. Oft kamen sie mit ihren kleinen oder großen in seinem Körbchen erwachte, blickte er verwun- Sorgen zu ihm. Er war zwar alt, hatte aber immer dert. „Du erkennst mich wohl nicht?“, lachte Felix, Zeit. Eberhard Kamprad: Neuanfang -3- Juli 2001 by Eberhard Kamprad Veröffentlicht in: LEseSTOFF, ein Magazin rund ums geschriebene Wort. 2. Jahrgang, Nr. 6, 04/2003, S. 38, ISSN 1919-0610 UND in: Zeitschrift "Kurzgeschichten", Ausgabe 9/2004, S. 40 , ISSN 1613432X, www.kurzgeschichten.biz Eberhard Kamprad: Neuanfang