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Sonder-Newsletter Nr. 17 (November 2011)
Blastozystenkultur
Dieser Newsletter befasst sich noch einmal intensiv mit der Blastozystenkultur im Rahmen
von IVF/ICSI. Dies ist deshalb dringend erforderlich, da einige ambitionierte Websites Ärzte
und Paare darüber informieren wollen, was in der Reproduktionsmedizin angeblich falsch
oder richtig sei.
Immerhin
ist
man
sich
mittlerweile
darüber
einig,
dass
das
deutsche
Embryonenschutzgesetz (EschG) die Blastozystenkultur nicht verbietet. Die Ratgeber im
Netz sind allerdings der Ansicht, dass die Blastozystenkultur nichts nütze und keinen Vorteil
biete gegenüber einem Transfer in einem sog. Teilungsstadium, d.h. an Tag 2 oder 3 der
Embryokultur. Dann haben die Embryonen maximal das Vier- bzw. Achtzellstadium erreicht.
In der Blastozystenkultur erreichen Embryonen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu
einer Schwangerschaft führen können, das Stadium der „vollen“ oder „expandierten“
Blastozyste. Grundsätzlich muß ein Embryo, der unter natürlichen Bedingungen oder bei der
künstlichen Befruchtung (IVF und ICSI) zur Schwangerschaft führt, fünf Tage nach der
Imprägnation (Eindringen oder Einbringen des Samenfadens in die Eizelle) das Stadium der
Blastozyste durchlaufen („große Broschüre“ und „kleine Broschüre“). Voraussetzung dafür
ist, dass er über eine intakte genetische Ausstattung verfügt. Ist dies nicht der Fall und er
erreicht deshalb nach fünf Tagen nicht das Blastozystenstadium, dann ist die
Wahrscheinlichkeit seiner Einnistung gering und die Schwangerschaftsrate tendiert praktisch
gegen Null.
Eigene und umfangreiche Daten aus der Literatur belegen, dass einerseits die
Schwangerschaftswahrscheinlichkeit höher und andererseits die Fehlgeburtenrate niedriger
ist, wenn eine „gute“ Blastozyste an Tag 5 statt eines „guten“ Teilungsembryos and Tag 3
der Embryokultur übertragen wird. Dies liegt daran, dass ein „guter“ Tag-3 Embryo sich nach
Transfer nicht zwingend in eine „gute“ Blastozyste weiter entwickelt, sondern seine weitere
Reifung, wie unsere Untersuchungen zeigen, im Beeren- (Morula-) Stadium vermutlich durch
genetische Defekte blockiert werden kann. Das Erreichen des Stadiums der „vollen“ und
„expandierten“ Blastozyste signalisiert daher weitgehende genetische Intaktheit, was letztlich
durch die damit verbundene hohe Schwangerschaftsrate belegt wird.
Viele Paare werden bestätigen können, dass ihnen beim Transfer von Embryonen an Tag
zwei oder Tag drei nach Eizellgewinnung mitgeteilt wird, dass „gute“ Embryonen übertragen
wurden. Das mag auch zutreffen. Nur: An Tag 2 oder 3 der Embryokultur läßt sich eben nicht
vorherbestimmen, ob diese Embryonen auch tatsächlich nach Transfer in der
Gebärmutterhohle das Stadium der Blastozyste erreichen. Bei wiederholtem Ausbleiben
einer Schwangerschaft wird dann häufig von einem „Implantationsfehler“ gesprochen und
eine völlig sinnlose und darüber hinaus kostspielige Immunisierung empfohlen. Die sehr
hohe Schwangerschaftsrate bis zu 80% bei Transfer von zwei expandierten Blastozysten
weist im Umkehrschluss darauf hin, dass es sich bei Ausbleiben einer Schwangerschaft
dann in der Regel nicht um einen Einnistungsdefekt auf der Ebene der
Gebärmutterschleimhaut, sondern um eine nicht ausreichende Qualität der Embryonen
handelt (siehe „kleine Broschüre“ des Kinderwunschzentrum Darmstadt).
Das Kinderwunschzentrum Darmstadt hatte bereits im Jahr 2001 (damals noch im Klinikum
Darmstadt) die Blastozystenkultur in Verbindung mit dem PN-Scoring routinemäßig
eingeführt, um einerseits vermehrte Einblicke in die frühe Embryonalentwicklung zu erhalten
und andererseits die Paare im Hinblick auf ihr individuelles Prognoseprofil besser beraten zu
können.
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Die Behandlungsmethode des „deutschen Mittelweges“ (Günther, Taupitz und Kaiser,
2008¸ Bals-Bratsch et al, 2010; Frommel et al., 2010; Kleine Broschüre) unterstreicht die
Bedeutung der Blastozystenkultur im Behandlungskonzept der künstlichen Befruchtung. Auf
eine kurze Formel gebracht bedeutet der „deutsche Mittelweg“, dass unter Berücksichtigung
des sog. „individuellen Prognoseprofils“ so viele Eizellen im PN-Stadium in die
Embryonenkultur eingebracht werden sollen wie erforderlich ist, um mit einer akzeptablen
Wahrscheinlichkeit mindestens einen (maximal drei) einnistungsfähige Embryonen zu
erhalten.
Mit der Einführung der Blastozystenkultur ist nämlich erkannt worden, dass im Mittel nur ca
20% (bis 30%) der Eizellen im PN-Stadium als Embryonen an Tag 5 der Kultur das
Blastozystenstadium erreichen und praktisch nur diese das Potential zur Schwangerschaft
haben. Die übrigen 70-80% sind de facto nicht vital. Das PN-Scoring erlaubt zwar das
Aussortieren mikroskopisch grob defekter Eizellen im PN-Stadium, ermöglicht jedoch nicht
deren Auswahl im Hinblick ihre spätere Implantationsfähigkeit als Embryonen. Insofern
wurde von uns die „strikte Dreierregel“ als „Lotteriespiel“ mit der Gesundheit von Mutter
und (im Falle einer Drillingsschwangerschaft) der Kinder charakterisiert. Die strikte
„Dreierregel“ gilt unter Reproduktionsmedizinern und herausragenden Medizinrechtlern als
obsolet.
Die Bestimmung des „individuellen Prognoseprofils“ erfolgt nach ärztlichem Ermessen. In
die Planung des ersten Behandlungszyklus und insbesondere des Umfangs der
Embryokultur dieses Zyklus (wie viele Eizellen im Vorkernstadium weiter zu Embryonen
kultiviert werden sollen) fließen verschiedene Daten des Paares (Alter der Frau,
anamnestische Daten, erhobene klinische und sonografische Befunde, Labordaten,
Spermiogramm etc.) ein. Der erste Behandlungszyklus wird zeigen, ob sich überhaupt und
ggf. wie viele Blastozysten, also potentiell einnistungsfähige Embryonen entwickelt haben.
Es konkretisiert sich somit das individuelle Prognoseprofil. In einem Folgezyklus kann es
dann erforderlich sein, den Umfang der Embryokultur zu vergrößern, ggf. auch sämtliche
verfügbaren Eizellen im PN-Stadium der Embryokultur zuzuführen. Das wiederholte
Ausbleiben der Embryonalentwicklung bis in das Blastozystenstadium kann ggf. auch die
Grundlage für die Empfehlung sein, auf eine weitere Behandlung unter Verwendung eigener
Ei- bzw. Samenzellen zu verzichten. Hier wird klar, dass es sinnlos ist, einer Frau eine
Immunisierung zu empfehlen, wenn nicht klar ist, ob sich überhaupt Blastozysten entwickeln.
Der HCG-Anstieg im Blut als hormonales Zeichen einer Einnistung erfolgt frühestens an Tag
10 bis 11 nach dem Eisprung bzw. der Eizellgewinnung im Rahmen der künstlichen
Befruchtung. An Tag 13 nach der Follikelpunktion liegt der HCG-Spiegel im Blut bei
vermutlich erfolgreicher Einnistung eines Embryos bei circa 50-70 mIE/ml. Dieser Wert
verdopplet sich bei normalem Verlauf etwa alle 2 Tage.
Es ist unser ärztliches Prinzip, unmittelbar am Ende eines Behandlungszyklus, ungeachtet
der Tatsache, ob eine Schwangerschaft eingetreten ist oder nicht, ein ausführliches
Gespräch mit dem Paar zu führen. Sämtliche Daten des Behandlungszyklus werden
sorgfältig analysiert und besprochen. Hierbei spielt das Ergebnis der Blastozystenkultur
eine entscheidende Rolle.
Was sind nun die Vorteile der Blastozystenkultur?
Grundsätzlich ist es die Öffnung der „black box“ der Embyonalentwicklung so nah wie
möglich bis an den Zeitpunkt der Einnistung.
Der Transfer einer „guten“ Blastozyste führt zu einer höheren Schwangerschaftsrate
als der Transfer eines „guten“ Drei-Tage-Embryos. Der Grund dafür ist. dass an Tag drei
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nicht sicher entschieden werden kann, welche der guten Tag-Drei-Embryonen sich
überhaupt in eine Blastozyste weiter entwickeln.
Erst die Blastozystenkultur führt zu einer weitgehenden Minimierung des Lotteriespiels.
Ohne Blastozystenkultur läßt sich der deutsche Mittelweg nicht voll in eine Verbesserung
des Behandlungserfolges umsetzen.
Das individuelle Prognoseprofil kann auf Grund der Daten des ersten, vielleicht nicht
erfolgreichen Behandlungszyklus konkretisiert und die Planung des nächsten Zyklus
entsprechend angepasst werden.
Eine Vorfestlegung hinsichtlich der Anzahl der zu übertragenden Embryonen (ein bis
maximal drei Embryonen) kann von der Patientin bei Behandlungsbeginn nicht gefordert
werden. Die Patientin ist grundsätzlich immer diejenige, die entscheidet, was in jedweder
Behandlungsphase mit ihr geschieht (Zustimmung nach kompletter Aufklärung; „informed
consent“). Sollte sie, nachdem sie vorher den Wunsch nach Transfer von zwei oder drei
Embryonen geäußert hatte, beim Embryotransfer angesichts des Vorliegens von zwei oder
drei hinsichtlich einer Schwangerschaft entwicklungsfähigen Embryonen Angst vor einer
Mehrlingsschwangerschaft entwickeln, so kann sie auf dem Transfer nur eines einzigen
Embryos bestehen (sog. „single embryo transfer“). Selbstverständlich kann sie auch
entscheiden, welcher der Embryonen, nach Demonstration der Embryonen durch den Arzt,
ihr übertragen werden soll. Die obigen Ausführungen zeigen, dass dies sinnvollerweise nur
nach Blastozystenkultur möglich ist.
Siehe auch: Sonder-Newsletter Nr. 18: „Embryoscope: Zeitraffer-Videoüberwachung der
Embryonalentwicklung“
Literatur
Papanikolaou EG, D'haeseleer E, Verheyen G, Van de Velde H, Camus M, Van Steirteghem
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Papanikolaou EG, Camus M, Kolibianakis EM, Van Landuyt L, Van Steirteghem A, Devroey
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http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16540614
Papanikolaou EG, Camus M, Fatemi HM, Tournaye H, Verheyen G, Van Steirteghem A,
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Reprod Biomed Online. 2006 Jan;12(1):60-5
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16454935
Della Ragione T, Verheyen G, Papanikolaou EG, Van Landuyt L, Devroey P, Van
Steirteghem A.
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Developmental stage on day-5 and fragmentation rate on day-3 can influence the
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http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17257401
Papanikolaou EG, Kolibianakis EM, Tournaye H, Venetis CA, Fatemi H, Tarlatzis B, Devroey
P.
Live birth rates after transfer of equal number of blastocysts or cleavage-stage embryos in
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Hum Reprod. 2008 Jan;23(1):91-9. Epub 2007 Oct 26
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17965420
H.-L. Günther, J. Taupitz, P. Kaiser. Embryonenschutzgesetz. Juristischer Kommentar mit
medizinisch-naturwissenschaftlichen Einführungen. Verlag W. Kohlhammer, 2008.
Bals-Patsch, M, Dittrich R, Frommel M. Wandel der Implementation des deutschen
Embryonenschutzgesetzes. J Reproduktionsmed Endokrinol (2010) 7(2) 87-95
Frommel M, Taupitz, J, Ochsner A, Geisthövel F. Rechtslage der Reproduktionsmedizin in
Deutschland. J Reproduktionsmed Endokrinol (2010) 7(2) 96-105
Prof. Dr. med. G. Leyendecker
Kinderwunschzentrum Darmstadt
Ferticonsult
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