Individuelles Fortbewegungsmittel der nächsten
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Individuelles Fortbewegungsmittel der nächsten
Individuelles Fortbewegungsmittel der nächsten Generation Mit Wasserstoff auf zwei Rädern Stefan Oßwald...Industrial Design... ...2004 "Wäre die Wäscheleine groß, kantig und generell klobig, hätte sie die Abmessungen eines Überseekontainers, sähen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, auch Wäscheklammern anders aus." Individuelles Fortbewegungsmittel der nächsten Generation Mit Wasserstoff auf zwei Rädern Eingereicht als Diplomarbeit (schriftlicher Teil) von Stefan Oßwald an der Hochschule für Kunst und Design Halle – Burg Giebichenstein Fakultät Design Studiengang Industriedesign 2004 Betreuer: Prof. Frithjof Meinel Michael Suckow Gliederung Seite Kapitel Thema 06 1. Einleitung 07 2. Das Ziel der vorliegenden Arbeit 08 08 10 13 17 18 20 21 21 22 22 23 23 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6 Historie der zweirädrigen Mobilität Aufbruch in eine neue Ära der Mobilität Auf der Suche nach dem Motor – und einer Form dafür Alternative Antriebskonzepte Gefährliche Herausforderungen Zur Erfindung des Motorrades Zur Entwicklung des Motorrades – einige Beispiele Beginn der Serienfertigung Ungewöhnliches Erscheinungsbild – Alternatives Antriebs- und Marketingkonzept Ästhetik der Maschine – Technische Innovation Leichtbau – Neue Materialien Reduziertheit Dauerhaftigkeit 24 24 25 4. Gebrauchskultureller Charakter des Motorrades im Wandel der Zeit 4.1 Jugendkulturen – Subkulturen – Gegenkulturen 4.1.1 Bobber, Chopper, Teddy-Boys und Biker (Umbauten und Umnutzung – handgefertigte Individualisierung) 4.1.2 We are the Mods, we are the Mods... 4.2 Die Wandlung vom Brot-und-Butter-Fahrzeug zum "Abenteuerspielzeug" (was war Motorradfahren vor 50 Jahren – was ist es heute?) 28 31 33 33 35 36 38 5. 5.1 5.2 5.3 5.4 Stand des Designs – aktuelle Tendenzen in der Motorradbranche Motorraddesign heute: Superlativistisch – höher, schneller, weiter... Umdenken in der Motorradbranche Sicherheitaaspekte beim Motorradfahren "Ich habe einen Traum..." – Gedanken zum Baukast enprinzip 40 40 41 42 42 43 44 45 46 48 48 6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 Ausgangslage – Stand der Technik Die Nutzung von Wasserstof f als Energiespeicher zum Antrieb Möglichkeiten der Speicherung Die Flüssigspeicherung in vakuumisolierten Behältern Die gasförmige Wasserstoffspeicherung in Druckbehältern Die Speicherung im chemisch gebundenen Zustand Zur Geschichte der Brennstoffzelle Zur Funktionsweise der Brennstoffzelle Der Einsatz von Brennstof fzellen in der mobilen Anwendung Betankung eines Flüssigwasserstoffspeichers Gefahren und Probleme von Wasserstoff 49 7. Forderungskatalog an den gestalterischen Teil – Synthese – Konzeptansatz 1. Einleitung Die Motivation, ein individuelles brennstoffzellengetriebenes Fortbewegungsmittel zu gestalten, kommt nicht von ungefähr. Seit gut 10 Jahren beschäftige ich mich mit der Wiederherstellung alter oder – wenn man so will – historischer Motorräder und seit geraumer Zeit auch mit der Umgestaltung eines Motorrades zu einem Caféracer im klassischen Stil der wilden 70er. Das bedeutet für mich ein Hobby, dem ich in selbstauferlegter Isolationshaft im Keller beim Schrauben genauso fröhne wie mit guten Freunden bei ausgedehnten gemeinschaftlichen Tourenerlebnissen, Testfahrten und im gedanklichen Austausch darüber. Die Ausgewogenheit zwischen beiden Polen ist hier das Salz in der Suppe. Allerdings geht mit diesen klassischen Fortbewegungsmitteln – Autos wie Motorräder – auch eine schleichende Entwertung der Lebensqualität, gerade in Ballungszentren einher. Stichworte sind hier Atemluftverschmutzung, der generelle und immer vorhandene Verkehrslärm und natürlich der immense Platzbedar f einer innerstädtischen Verkehrsstruktur. Hier gilt es den Bogen zu schlagen und die neuesten technischen Errungenschaften mit der ältesten Sehnsucht der Menschheit zu verknüpfen, der Sehnsucht nach Mobilität . Abb. 01: Wanderer 11AS der WandererWerke in Chemnitz, restauriert 1996 Abb. 02: MZ-Caféracer, modifiziert 2004 06 In der Brennstoffzelle liegt der Schlüssel zur emissionsfreien Alternative der Zukunft, die uns auch weiterhin Mobilität mit unbeschränkter Reichweite garantieren wird. Die Forschung und Entwick- lung weist dafür ein immer größer werdendes Potential auf, und die aktuellen Prognosen bestätigen, dass die Zeit eindeutig für den Brennstoffzellenantrieb arbeitet. Die fossilen Brennstoffe gehen zur Neige, dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sie die Qualität des heutigen Entwicklungsstandards maßgeblich beeinflusst haben. Der Brennstoffzellenantrieb funktioniert. Das Prinzip ist seit über einem Jahrhundert bekannt. Seit gut 20 Jahren wird am Einsatz für die individuelle Mobilität geforscht. Allerdings hat sich seit den ersten rollenden Laboratorien unter den Gesichtspunkten des Designs nicht viel verändert. Mittlerweile ist man so weit, dass der Brennstoffzellenantrieb in Kompaktwagen verpflanzt werden kann. Die geläufige Methode ist allerdings, ein Serienfahrzeug, ob Automobil oder Scooter, leerzuräumen und die Brennstoffzelle "hineinzustopfen". Ist sie so hässlich? Muss man sich gar dafür schämen? Ich denke nein. Warum also nicht ein Fortbewegungsmittel gestalten, das die Brennstoffzelle in ihrer Präsenz, Funktion und Zukunftsfähigkeit kommuniziert? Ein Fortbewegungsmittel auf dieser Basis zu gestalten ist mir also eine Herzensangelegneheit, und ich hoffe die Erkenntnisse aus der privaten Beschäftigung kommen der Arbeit genauso zugute wie die in der theoretischen Arbeit erarbeiteten Erkenntnisse. Stefan Oßwald 2. Das Ziel der vorliegenden Arbeit Dem Thema des gestalterischen Teils werde ich mich aus drei unterschiedlichen Richtungen nähern. Ein Hauptpunkt ist die Analyse der Historie und des gebrauchskulturellen Charakters der Zweiradmobilität im Generellen. Dem folgt eine Abschätzung der aktuellen Tendenzen im Sektor der Motorradbranche. Dritter und letzter Themenschwerpunkt ist die Analyse der Brennstoffzelle als Antriebseinheit für Fahrzeuge. Das sind drei Bereiche, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Es ist also nicht zwingend nötig, diese Arbeit chronologisch zu lesen. Die Kongruenz wird sich im gestalterischen Teil niederschlagen. Aus den Resultaten der Überlegungen soll ein Erscheinungsbild für die Kommunikation einer neuartigen Technologie – der Brennstoffzelle im Individualverkehr – abgeleitet werden. 1 Historie Entwicklung & Gebrauchskultur 2 Design Märkte, Motorräder & Baukastensysteme 3 Technik Brennstoffzelle & Elektroantrieb 07 3. Historie der zweirädrigen Mobilität "Wenn man erstmal begriffen hat, wie grundlegend das Prinzip der Evolution ist, dann sieht man alles, was einem begegnet, in einem völlig anderen Licht." Douglas Adams In dem folgenden Kapitel werde ich mich im Groben mit der Geschichte der Zweiradmobilität befassen. Es soll nun keinesfalls die gesamte Geschichte der Zweiradmobilität dargestellt werden, das kann sehr viel ausführlicher in einem der zahllosen Bücher zu diesem Thema geschehen. Es sollen vielmehr im Einzelnen herausragende und auch skurrile technische Entwicklungen zur Sprache kommen, die eine Parallele zu aktuellen Entwicklungen darstellen und mir für meine Arbeit als kreativer Input dienlich sein können. Abb. 03: Das Laufrad oder auch "Draisine" von 1817 ist wohl das Urbild aller Fahrräder. Abb. 04: Um 1890 beginnt sich der typische Diamantrahmen an diesem Fahrrad unbekannter Marke abzuzeichnen. 3.1 Aufbruch in eine neue Ära der Mobilität Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begünstigen die allgemeinen Umstände eine in dieser Form nie mehr dagewesene immense Anzahl revolutionärer, technischer Neuerungen die individuelle Mobilität. Bis dato war diese nämlich nur unter Zuhilfenahme von Zug- oder Reittieren – in Kutschen von ihnen gezogen oder direkt auf deren Rücken –, dem Wind oder eben – etwas moderner – der Eisenbahn möglich; in diesem Falle können wir aber auch nur von einer eingeschränkten generellen Mobilität sprechen, da der Ausbau des Eisenbahnnetzes zu 08 dieser Zeit zwar vehement vorangetrieben wurde aber im Vergleich zu heute noch in den Kinderschuhen steckte. Die technisch notwendigen Komponenten zur individuellen Mobilität wie Zahnrad, Rollenkette (Renold, 1880*1)), Rad und Ballonreifen (Dunlop, 1888*1)) zur sinnvollen und effizienten Übertragung von Kräften einer Energiequelle auf ein Medium zur Fortbewegung sind zu dieser Zeit bereits gemacht oder gerade im Entstehen begriffen. Die Energiequelle für diese Art der Fortbe- wegung war bislang der Mensch selbst, der sich mittels seiner eigenen Muskelkraft in einer entsprechenden Vorrichtung fortbewegte, wie beispielsweise Carl Freiherr von Drais, der Erfinder der "Laufmaschine". Dieser bewerkstelligte seine individuelle Mobilität, in Ermangelung einer nützlichen Kraftübertragung mittels Kette oder Kardan, direkt, sozusagen "per pedes". Dies fand schon 1817, ein gutes halbes Jahrhundert vor den Versuchen seiner Nacheiferer auf dem Zweiradsektor statt. Die Erfindung des Fahrrades kann als Initialzündung der individuellen Fortbewegung mit den geringsten technischen Mitteln angesehen werden. Man muss sich vor Augen halten, dass die Artefakte und Grundprinzipien in eben dieser "fruchtbaren" Zeit, also im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, gemacht wurden und in den letzten 130 Jahre nur verfeinert und optimiert wurden. Die Diamantform, der von Starley 1886 entwickelten Rahmengeometrie, die im Wesentlichen auch noch lange für Motorräder übernommen wurde, basiert auf der logischen konstruktiven Umsetzung der wirkenden Kräfte und hat bis heute an Gültigkeit nicht verloren. Sie ist in den aktuellen Rahmenkonzepten noch immer rudimentär präsent, wenn auch mittlerweile neue Materialien und veränderte Bedürfnisse der Gestalt einen neuen Ausdruck verleihen. *1) Charles M. Falco in "The Art of the Motorcycle", S.24, Solomon R. Guggenheim Foundation Abb. 05: 1903 glänzte dieses schicke Rennrad der Marke Opel in den Schaufenstern mit voll entwickeltem Diamantrahmen. Abb. 06: ebenfalls 1903 kam dieses Fahrrad der Marke Corona mit Kardanantrieb in die Läden. Abb. 07: Hundert Jahre später – Gleiches Prinzip, gesteigerte Ansprüche. Hier am Beispiel eines Mountainbikes der Marke Canyon mit Scheibenbremse und Vollfederung 09 3.2 Auf der Suche nach dem Motor ...und einer Form dafür Abb. 08: Ein kleiner Wagen wird durch ausströmenden Dampf angetrieben, 1749 Abb. 09: Maurice Greene freut sich – das darf er auch, hat er doch gerde den Weltrekord über die 100 Meter gebrochen. 10 Der Mensch versucht, seit er die Fähigkeiten seines Geistes in einigermaßen klaren und logischen Bahnen lenken kann, seine physiologisch gesetzten Grenzen mit Geisteskraft zu Überwinden. Diese Tatsache brachte das älteste und bestbewährteste Werkzeug des Menschen, den Faustkeil, hervor. Das Werkzeug blieb immerhin rund 430.000 Jahre "en vogue", ein absoluter Klassiker also, von dessen Erfolg heutige Werkzeughersteller nur träumen können. Die Lust und der Wille zur Erschaffung einer Prothese, einer Körperverlängerung oder eines Mechanismus zur Beschleunigung, um damit den Einsatzradius des eigenen Körpers zu erweitern, scheint des Menschen innigster Wunsch und unterscheidet ihn durch dieses Bestreben von allen anderen Tieren dieses Planeten. Dieser Wille zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der bahnbrechenden Entwicklungen und Erfindungen der Menschheit und kumuliert in den aktuellen Virtualisierungstendenzen in allen Bereichen des täglichen Lebens. Der intelligente Kühlschrank, das digitale Auto, das Neutronengehirn. All diese Erfindungen und Konzepte lösen den Körper des Menschen ab und ersetzen ihn durch etwas Allmächtiges und Unendliches. Hierbei gibt es sicherlich regionale Unterschiede. Während einige, wollen sie beispielsweise fliegen, dies durch Medidation versuchen und damit reüssieren, strengen andere ihren Denkapperat in der Formulierung eines Konstruktes zum Fliegen an. Eine physiologisch gegebene Grenze in der Geschichte war und ist die der Bewegungsgeschwindigkeit. Ein trainierter menschlicher Körper erlaubt seinem glücklichen Besitzer eine Peakgeschwindigkeit von knapp 37 km/h. In diesem Falle ist das ein spezifischer Körper, nämlich der von Maurice Greene, dem Weltrekordhalter über den 100Meter-Sprint mit 9,79 Sekunden. Ob nun auf der Suche nach Möglichkeiten der Erweiterung des Einsatzradius und der damit verbundenen Geschwindigkeit der Motor erfunden wurde, oder ob der Motor zur Fortbewegung eingesetzt wurde, weil das die berühmte erste fixe Idee war, sei dahingestellt. Eine unumstößliche Tatsache ist allerdings, dass sobald eine Antriebseinheit in eine einigermaßen zuverlässig funktionierende Maschine umgestzt worden war, befassten sich sofort andere findige Köpfe mit der Plantierung dieser Arbeitsmaschine in ein Fortbewegungsmittel. Die naheliegenste und wichtigste Komponente zur Konstruktion eines Fahrzeuges ist ein angemessen kompakt bauender Motor, der genügend Leistung für Vehikel und Fahrer aufbringen kann. Der stand allerdings nicht sofort zur Verfügung. Bis etwa in das Jahr 1890 war es dazu eine offene Frage, welcher Motortyp denn nun der geeignete für die motorisierte Fortbewegung sei. Es gibt keine belegenden Zeugnisse, dass der Elektroantrieb für die Zweiradmobilität ins Auge gefasst wurde. Die Akkumulatoren hatten zum damaligen Zeitpunkt und Entwicklungsstadium rießige Abmaße. Der Elektroantrieb spielte in der frühen Entwicklungsgeschichte des Automobils eine tragendere Rolle. Bereits um 1900 wurden von Ferdinand Porsche in Zusammenarbeit mit Lohner zwei Elektrofahrzeuge realisiert, die mit einer 44-zelligen Batterie mit 80V ausgerüstet waren. Dieses "Monstrum" garantierte immerhin eine Leistung von 300Ah, welches den Fahrzeugen eine immense Reichweite von ca. 50 Kilometern ermöglichte. Abb. 10: Das Lohner-Porsche Elektrofahrzeug von 1901 – Reichweiten bis zu 50 km wurden mit Batteriestrom realisiert. Die Dampfmaschine hatte bis dato schon eine vielversprechende Entwicklung durchgemacht. 1868 ließ sich der Erfinder Louis Guillaume Perreaux eine Dampfmaschine patentieren, die bereits bei einem Gewicht von 61kg so kompakt war, dass sie in das erste kommerziell erfolgreiche Pedalfahrrad der Gebrüder Pierre und Ernest Michaux eingesetzt werden sollte. Mit demontierten Tretkurbeln, modifiziertem oberen Rahmenholm und einer Keilriemenscheibe für den Antrieb präsentierten sie drei Jahre später das Dampffahrrad "Michaux-Perreaux". Im Grunde eine recht prickelnde Art der Fortbewegung, sitzt man doch mit gespreizten Beinen über einem heißen Dampfkessel (s. Bild S. 20). Die Dampfmaschine wäre aber viel ausgereifter, wenn nicht in der Euphorie um den Ottomotor ihr Todesurteil gesprochen worden wäre. 11 Abb. 11: Der Daimler Patentmotor von 1889 war der erste Zweizylinder-ViertaktOttomotor der Welt. 12 Der Viertaktverbrennungsmotor wurde bereits 1862 von Alphonse Beau de Rochas vorgeschlagen und 1876 von Nikolaus Otto in eine funktionierende Maschine umgesetzt. Dabei gelangt eine brennbare Mischung aus Luft und Brennstoff in einen Zylinder, wird von dem nach oben strebenden Kolben komprimiert, arbeitet nach erfolgter Verbrennung gegen diesen und wird schließlich ausgestossen. Dies geschieht in folgenden vier Arbeitstakten: Ansaugen, Verdichten, Verbrennen, Auslassen. Fünf Jahre später setzte Gottlieb Daimler eine optimierte – und vor allem leichtere – Version dieses Motors in einen vierrädrigen Holzrahmen. Er schuf damit, noch bevor er sich mit Automobilen beschäftigte, das erste Motorrad mit Verbrennungsmotor, das eigentlich nur als Testlauf vor dem Einsatz in einer Motorkutsche gedacht war. Dieses knochenbrechende Konstrukt aus Holz und Stahl hatte noch recht wenig gemein mit einem wirklichen Motorrad und besaß neben den zwei Haupträdern vorne und hinten auch noch zwei "Stützräder" links und rechts vom Fahrers (s. Bild S. 18). Hier, wie generell bei den ersten Motorrädern bis 1901, hieß der Beifahrer immer Nervenkitzel. Die Vehikel waren nämlich ausgestattet mit einem Oberflächenvergaser, bei dem der Kraftstoff in einer offenen Pfanne verdampft und vom Motor freiweg "eingeatmet" wird und einer Glührohrzündung mit offener Flamme am Ende eines Platinrohres. Hier hätte es nicht viel gebraucht um das Fahrzeug im wahrsten Sinne des Wortes in einen Feuerstuhl zu verwandeln. elektronisch gesteuerte H2-Einspritzdüse 3.3 Alternative Antriebskonzepte Exzenterwelle Wie der Blick auf eine befahrene Straße beweist, hat sich das Prinzip des Verbrennungsmotors für fast alle im heutigen Straßenverkehr betriebenen Fahrzeuge etabliert. Doch weist die Geschichte immer wieder Stellen auf, in der die Entwicklung – selbst für den unangezweifelten Sieger, den Verbrennungsmotor – nicht geradlinig verläuft, sondern mehrere Prinzipien im großen Rennen um Verwirklichung gleichauf liegen. Grob gesehen, kann man die Ideen in zwei Kategorien unterteilen: jene, die mit unkonventionellen Methoden die Nachteile der Verbrennungsmotoren überwinden wollen, und jene, die visionär auf prinzipiell andere Motorkonzepte setzen.*1) Seitendichtung Scheitelleiste Luft Abgase Dichtbolzen Zündkerzen Läufer Abb. 12: Ein speziell zum Betrieb mit Wasserstoff ausgelgter Hybrid-Wankelmotor im Mazda RX-08 Hydrogen Zu erster Gruppe gehören beispielsweise die recht skurrilen Umlaufkolbenmotoren. Bei dieser Technik wird mit geschickt angeordneten Kolben nicht die Kurbelwelle im Inneren, sondern gleich das Gehäuse selbst angetrieben. Das Geniale daran ist, dass der Motor keine zusätzliche Kühlung benötigt, denn er führt sich diese durch seine Rotation selbst zu. So wurde er um 1920 in der Luftfahrt und sogar einem kommerziellen Motorrad, der Megola von 1922, eingesetzt. Diese Technologie beinflusste das Erscheinungsbild dieses Motorrades nachhaltig. Da der Motor nicht herkömmlich im Rahmen unterhalb von Tank und Fahrer sondern im sich drehenden Vorderrad untergebracht war, konnte der ursprüngliche Platz einem tiefen Durchstieg weichen (s. Bild S.21). Der Kreiskolben- oder Wankelmotor hat ebenfalls seinen Platz in dieser Gruppe. Er arbeitet genauso wie der Otto-Motor mit vier Arbeitstakten, doch werden diese in unterschiedlichen Bereichen des Gehäuses erledigt. Der Effekt ist in etwa so, als gäbe es für jede Funktion einen separaten Zylinder. Im Inneren dreht sich ein dreieckiger Läufer auf einer exzentrischen Bahn, der die Aufgabe der Taktung übernimmt. Dabei muss – im Gegensatz zu einem Otto-Motor – keine lineare Bewegung umgewandelt werden. Bei der Verbrennung wird der Läufer unmittelbar bewegt. Abb. 13: Der Umlaufkolbenmotor in der Vorderradnabe der Megola Abb. 14: Ein Sternmotor aus der Luftfahrt *1) Wolfgang König, Technikhistoriker von der Technischen Universität Berlin in der "Stuttgarter Zeitung" vom 03.06.2000 13 Abb. 15: Der NSU Ro 80 mit Wankelmotor war seiner Zeit weit voraus. Vorne tief, hinten hoch ergibt die strömungsgünstige Keilform. Abb. 16: Ein früherer BSA-Prototyp mit Wankelmotor – Der Motor ein KM914 stammte von Sachs und brachte 18 PS Leistung. Abb. 17: Eine Herkules Motorrad-Rennmaschine mit Sachs-Wankelaggregat 14 Schwingungen werden reduziert und die potenzielle Motordrehzahl wird erhöht. Diese höhere Effizienz ermöglicht eine viel kleinere Bauweise bei gleicher Leistung gegenüber einem herkömmlichen Kolbenmotor. Außerdem müssen keine Ausgleichsgewichte, wie die Kurbelwellenbacken zum Kompensieren der translatorischen Massen, mitbeschleunigt werden. Das verleiht Wankelmotor wiederum eine drehfreudige Charakteristik. Mitte Oktober 1967 wurde die Produktion des richtungweisend strömungsgünstigen NSU Ro 80 mit dem Zweischeiben Wankelmotor KKM 612 aufgenommen. Im Februar 1968 wurde das Auto, das formgestalterisch seiner Zeit um 10 Jahre voraus war, von einer Fachjournalistenjury zum "Auto des Jahres" gewählt. Anfang der 70er Jahre ist die Wankel-Technologie so zukunftsfähig, dass alle namhaften, japanischen Motorradhersteller wie Suzuki, Yamaha und Kawasaki aber auch die britische Motorradschmiede BSA unter Lizenz Wankelmotoren im Bereich von 20-80 PS für den Motorradbereich konzipieren. Ungelöstes Problem ist allerdings die Abdichtung und der Verschleiß der Kanten des Läufers zum Motorgehäuse. So wurde dieser Technologie, bedingt durch Ausfälle und damit verbundenem erhöhten Benzinverbrauch, ein eher abenteuerliches Image beschert. Durch neue Hochleistungsmaterialien wird dieses Problem aber immer stärker minimiert. Mazda hat diese Antriebstechnologie seit den 60er Jahren ebenfalls nicht aus den Augen gelassen. Aktuell ist zum Beispiel der RX-8 mit WankelTechnologie ausgerüstet, der hybrid mit Wasserstoff-Direkteinspritzung betrieben werden kann. In der zweiten Gruppe der Alternativen zum Verbrennungsmotor sind Konzepte zu finden, die tatsächlich das Zeug dazu gehabt hätten oder immer noch haben, mit dem Verbrennungsmotor mitzuhalten. Beispielsweise lässt sich der Stirlingmotor mit jedem beliebigen Brennstoff betreiben und erreicht den Wirkungsgrad einer Dieselmaschine. Gasturbinen arbeiten noch etwas effizienter. Der Elektroantrieb, welcher eine saubere und logische Alternative zum Verbrennungsmotor stellt, hat auch seine liebe Not, sich gegen den Goliath Verbrennungsmotor zu behaupten. Viele Hersteller haben sich dennoch in den letzten Jahren einen kleinen Markt erobert und diesen mit einer erfreulichen Vielfalt von Elektromobilen für den privaten täglichen Gebrauch bedacht. Der große Nachteil liegt derzeit noch in der Größe, dem Gewicht und nicht zuletzt dem enormen Preis der Batterie. Die Batterie macht ungefähr ein Drittel des gesamten Fahrzeugpreises aus und "beschwert" ein E-Fahrzeug wie den ThinkCity auf ganze 940 Kilogramm. Ließe sich diese durch eine Brennstoffzelle ersetzen, wären die Fahrzeuge um ein Vielfaches effizienter. Die Vorteile des Elektroantrie- Abb. 18: Der Th!nk City ist ein Stadtfahrzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h und eingefärbter Kunststoffkarosserie. bes liegen auf der Hand. So übertreffen sie den Otto-Motor durch ein gänzlich lineares Drehzahlband. Das bedeutet, dass der Beschleunigungsfaktor bei jedweder Geschwindigkeit der gleiche ist (der Otto-Motor liefert nur bei bestimmten Laufgeschwindigkeiten seine Höchstleistung). Außerdem ist ihr Lauf wesentlich vibrationsärmer, damit ruhiger und nicht zuletzt ist die Komplexität eines solchen Aggregates im Vergleich relativ überschaubar und störungsunanfällig. Der serielle Einsatz all dieser Alternativen, zumindest in der Automobilität, ist bisher allerdings als gescheitert zu betrachten. Das liegt daran, dass Technik aus rein ökonomischen Gründen zutiefst konservativen Charakter aufweist. Hat die Großindustrie einmal in eine tech- nische Entwicklung investiert, wird dieser eingeschlagene Weg auf "Biegen und Brechen" beibehalten. Selbst die Entwicklung des eigentlich ökomomisch arbeitenden Wankelmotors wurde durch diesen Konservatismus be-, wenn nicht gar verhindert. Nur wenige Außenstehende ahnten damals, wie groß der geistige und materielle Aufwand sein musste, um eine solche Revolution im schon altehrwürdigen Motorenbau herbeizuführen. Auch an Widerständen der einschlägigen Industrie, die um die Rentabilität konventioneller Fertigungsanlagen bangte, hatte es naheliegenderweise nicht gefehlt. Nicht selten fristen alternative Einfälle ihr Dasein als aufgekaufte und nie verwirklichte Patente in Schubladen, die nicht mehr geöffnet werden. 15 Ein PS bezeichnet übrigens die Leistung (Arbeit pro Zeiteinheit), die benötigt wird, um in einer Sekunde 75 Kilogramm einen Meter anzuheben. Mit einem PS kann man auf der Straße 150 kg bewegen, auf der Schiene 500 kg und auf dem Wasser 4000 kg. Ein durchschnittliches Pferd hat eine Höchstleistung von ca. 24 PS. Die Dauerleistung beträgt allerdings ziemlich exakt vier PS. Seit 1.1.1978 gilt offiziell die Leistungseinheit Kilowatt (kW), das sind umgerechnet 1,36 PS. Die Frage welche sich stellt, ist: wie würde denn ein aktuelles Motorrad aussehen, wenn sich aus bestimmten Gründen der Praktikabilität, Verfügbarkeit oder technischen Entwicklung ein anderes Motorenprinzip mit anderem Potential durchgesetzt hätte? Diese Frage kann man natürlich auf alle uns bekannten – oder noch unbekannten – Energiewandlungsprinzipien ausweiten. Wie würde wohl ein Motorrad heutzutage, nach gut einem Jahrhundert Entwicklungs- aber auch Fetischierungsgeschichte aussehen, hätte beispielsweise das Schwungrad, der Elektroantrieb, eine gänzlich unbekannte Antriebstechnologie oder eben der Brennstoffzellenantrieb die Oberhand gewonnen? Und welche Funktionen wären dann bei geänderten Prinzipien wichtig? Wäre es beispielsweise sinnvoll den Fahrer stärker zu schützen (vielleicht sogar vor der eigenen Antriebsquelle). Sollte der Umgang mit dem Fahrzeug völlig neu überdacht werden und ein gänzlich differentes Nutzungskonzept als "nur" die private Fahrt in Betracht gezogen werden? Für eine Neukonzeption gilt es sowohl Risiken als auch Potentiale neu zu beurteilen. Das in seiner Form bekannte Motorrad ist sicherlich mehr als ein "Gehäuse" für den Motor. Der Motor ist konstruktives Element. Motor und Vehikel stehen in formästhetischer, funktionaler, kommunikativer Wechselbeziehung. Die Entwicklung die Motor und Vehikel gemeinsam durchlaufen haben, spiegelt sich in dem gesamten Fahrzeug wieder. 16 3.4 Gefährliche Herausforderungen Wie wir an der Entwicklungsgeschichte des Verbrennunsmotors ersehen können, ist die Fortbewegung mit diesem in der frühen Entwicklungsphase immer etwas heikel – um nicht zu sagen brandgefährlich – gewesen. Ganz egal, welche historische Bauform wir betrachten, es ist kein Wunder, dass das Hantieren mit Zündverstellhebel, Hochdruckaggregaten, rückschlagender Anlasserkurbel, brennbaren und gesundheitsschädlichen Treibstoffen Sportsmänner und Wagemutige geradezu herausforderte. Tankstellen gab es übrigens genauso wenig wie Straßenwachten. Die Brennstoffe wurden aus der Apotheke bezogen. Und das einzige, auf das man sich hunderprozentig verlassen konnte, war die generelle Unzuverlässigkeit der Konstrukte. Wer es sich also leisten konnte und in sportlicher wie draufgängerischer Hinsicht nur einen Funken auf sich hielt, legte sich eine solche "Höllenmaschine" zu, um die Fortschrittlichkeit, Luxuriösität oder Einzigartigkeit seiner Person zum Ausdruck zu bringen. Allerdings trifft dies noch lange nicht für alle Menschen zu. Es ist lächerlich zu glauben, dass derart technische Segnungen auch schon vom Durchschnittsverdiener um die vorletzte Jahrhundertwende erworben werden konnten. Der Preis für ein Automobil beträgt nämlich gerade das 100-fache des Monatslohnes eines Durchschnittsverdieners. Selbst kleine Motorfahrzeuge wie Voiturettes, Cyclecars oder eben Motorräder lagen schlichtweg außerhalb seiner finanziellen Reichweite. Erst im Laufe des ersten Weltkrieges trat neben die Bedeutung des Autos als Luxusgut und Sportartikel auch seine Bedeutung als Transportmittel.*1) Machen wir einen kleinen Sprung und betrachten die Ausgangslage der Brennstoffzelle, denn es bietet sich gerade wieder an. Die Startbedingungen für die Brennstoffzelle heute und die der Benzinmotoren zu Anfang des 20. Jahrhunderts sind im Grunde ziemlich identisch. Sie sind teuer, gefährlich und unpraktikabel. Die KW -Leistung der Brennstoffzelle steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Preis. Wir haben schon wieder ein unkonntrollierbares Hochdruckaggregat (den Wasserstofftank) und die Brennstoff-Versorgungsfrage unterwegs ist auch noch lang nicht gelöst. Alle Mineralölkonzerne lehnen, was die Versorgung eines Fahrzeuges an ihren Tankstellen angeht, "tankend" ab. Erschwerend für den Brennstoffzellenantrieb kommt hinzu, dass die Äquivalente bereits vorhanden sind. Der direkte Vergleich zwischen hochentwickeltem Benzineinspritzmotor (der mit einem guten Jahrhundert Entwicklungsvorsprung glänzt) und Brennstoffzelle für die Transportation fällt für letztgenannte ungünstig aus. Aber betrachten wir allein die begrenzete Verfügbarkeit von Mineralöl, ist die Suche nach einer Alternative viel mehr als purer Pioniergeist und Spaß an der Herausforderung. Sie ist ein zwingendes Muss, denn ohne die liebgewonnene Mobilität ist unsere Welt in dieser Form schlichtweg nicht mehr denkbar. *1) Wendler, F. (Hrsg.): Automobile Moden. Eine AutomobilDesigngeschichte, Fokke-Museum, Bremen, 1998, S. 9 Abb. 19: Cyclecar von 1914 mit 6-PSBlumfeld-V-Twin-Aggregat, einfachem Kettenantrieb und zwei Gängen Abb. 20: das gleiche Cyclecar ohne Verkleidung – Interessantes Gestaltungsmerkmal: der Tank, direkt über den Zylinderköpfen des V-Motors, tritt vorne aus der Karosserie heraus und verleiht ihr somit etwas torpedoähnliches. 17 3.5 Zur Erfindung des Motorrades Wenn es in der heutigen Zeit der Diskotheken keine Hörgeräte geben würde, ständen Hörrohre im Ruf eines schicken modischen Accessoires. S. Schulze Abb. 21: Gottlieb Daimler baute 1885 einen leichten Petroleummotor in einen vierrädrigen Holzrahmen und schuf damit das erste Motorrad mit Verbrennungsmotor. Abb. 22: So befestigt man fachgerecht den Sattel auf dem Pferderücken. Abb. 23: Bei dem Rahmen der Cyclone von 1914 ist deutlich die Verwandschaft zum Fahrrad zu erkennen. Im Anfangsstadium einer Entwicklungsgeschichte dauert es eine gewisse Zeit, bis sich verbindliche Erscheinungsbilder durch Versuch und Irrtum etablieren. Die Zuverlässigkeit, die Infrastruktur, das Image, der aktuelle Zeitgeist und nicht zuletzt die Industrie richten über Zukunftsfähigkeit oder Untergang eines Produktes. Kuriose Entwicklungen in die evolutionäre Sackgasse werden im nachhinein gerne belächelt – der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Befindet man sich allerdings an der historischen Weichenstellung zweier möglicher Varianten, dürfte die Entscheidung schwerer fallen; man weiß ja nicht, wie die Zukunft aussieht. Und noch viel gewichtiger: der Designer, Ingenieur, Wissenschaftler, Theologe, Schriftsteller et cetera gestaltet sie immer aktiv mit. Alles, was denkbar ist, ist möglich, und alles was möglich ist, wird irgendwann umgesetzt werden. Anhand des Daimler'schen "Reitwagens mit Petroleumantrieb" ist diese These klar zu erkennen: Gibt es (noch) keine Äquivalente ist der Erfinder vergeblich auf der Suche nach alternativen Erscheinungsbildern. Fahrräder mit modernem Starley-Rahmen machen um 1885 schon Stadt und Land unsicher. Diese haben zumeist auch schon gefederte und nicht selten komfortable Ledersättel, die doch als Leitbild dienen konnten. Viele der ersten Motorräder stehen dem Fahrrad sehr nah, denn zumeist wurden für sie Fahrradrahmen adaptiert. Doch sieht man sich den Reitwagen etwas genauer an, erkennt man, dass Pferd und somit die Allegorie des Reitens auf einem Pferderücken, in näherer Ver wandschaft zu st ehen scheint . Von einer umfassenden Gestaltung kann bei den ersten Prototypen also nicht gesprochen werden. Das klingt gemein und im Nachhinein sicherlich auch anmaßend – aber es ist so. Heute nicht anders als vor 130 Jahren. 18 Zur Aufnahme der ersten Otto-Motoren mussten allegorisch Kutsche und Pferd herhalten, aus denen sich dann, in einem längeren, antagonistischen Verhältnis aus stetig optimierten Motoren und Vehikeln schließlich die Kategorie Automobil und Motorrad kristallisierte. Was die Brennstoffzelle betrifft, sind wir heute wieder in dieser Prototypenphase. Diesmal sind es nicht Kutsche und Pferd, sondern eben Automobil und Motorrad, die formal und somit ihres Erscheinungsbildes beliehen werden. Ein Mediziner würde sagen: man entfernt den Dahinsiechenden ihr altertümliches, ausrangiertes Aggregat und transplantiert ihnen ein neues, zukunftsfähiges Spenderaggregat. Der Korpus bleibt also der alte, der in allen Ausformungen und Zeichen auf sein altes Herzstück verweist, während dieses jedoch ein anderes, neues ist. Das kann nicht gutgehen. Warum also nicht Herz und Korpus erneuern? Wir sind ja zum Glück keine Mediziner. Abb. 24: Äußerlich ein herkömmlicher Serien-Fiat, innwendig allerdings mit der neuesten technischen Entwicklung aus dem Brennstoffzellensektor ausgerüstet. Das ist nicht nur unsensibel, da es die Technologie nicht kommuniziert, sondern auch gefährlich, da man dieses Auto im Verkehr über das Gehör nicht mehr als solches wahrnehmen kann und es schlichtweg "übersieht". Abb. 25: Neue Technologie, neues Erscheinungsbild - Das ist Produktsprache und Kommunikation. 19 3.6 Zur Entwicklung des Motorrades – einige Beispiele Konzeptionell betrachtet ist das erste Motorrad, die dampfbetriebene Michaux-Perraux von 1871, genauso Fahrrad mit Motor wie die Benelli TNT 1130 von 2004. Dass zwischen beiden Maschinen trotzdem ein himmelweiter Unterschied in Leistung, Fahrkomfort, Anmutung und Erscheinung liegt, ist offensichtlich aber nicht nur der rein technischen Optimierung zu Verdanken. Das Motorrad wird nicht nur als technisch immer weiter verbessertes Konstrukt seinen Besitzer, sondern auch bald dessen Wünsche und Träume, transportieren müssen. Das Motorrad ist – wie eigentlich jedes industriell gefertigte Produkt – immer ein Spiegel seiner Zeit. Dieser Spiegel ist allerdings, vor allem heute, mit einem verschleiernden, weichzeichnenden Nebel überzogen, denn es gilt zu bedenken, dass Motorradfahrer – entgegen allen gängigen Klischees – beim Kauf eines neuen Modells ausgesprochen konservative Kaufargumente ins Feld führen. Die Hersteller wissen ganz genau, dass ihre Kunden revolutionären Entwürfen gegenüber sehr zurückhaltend sind. Abb. 26: 1871 ging das patentierte Micheaux-Perreaux Dampffahrrad in Produktion. Abb. 27: 2004 ist dann dieses Motorrad, eine Benelli TNT 1130 zu erwerben. Abb. 28: Trotz vollkommen neuem Motorkonzept ähnelt die Erscheinung des Motors der BMW K 100RS den älteren lluftgekühlten Boxer-Zweizylindern. 20 BMW hat beispielsweise bei der wassergekühlten Vierzylindermaschine K 100RS von 1985, die eine radikale Abkehr der 60-jährigen Tradition luftgekühlter BoxerZweizylinder darstellte, bewusst das Erscheinungsbild den älteren Modellen nachempfunden. * 1 ) Und bereits vor 50 Jahren hieß es: Für ein Motorrad ist jede Farbe recht , solange sie schwarz ist . Andererseits eignet sich ein Motorrad aber auch in besonderer Weise, eine revolutionäre Technologie zu kommunizieren, da es, im Gegensatz zu den meisten anderen Produkten, in der Öffentlichkeit bewegt wird und dadurch allseits präsent ist. Immer wieder stechen besondere Exemplare aus dem MotorradEinheitsbrei heraus, ob sich diese jedoch behaupten können oder wieder in der Versenkung verschwinden, kann nur die Zeit zeigen. Im Folgenden werden einige Besonderheiten der zweirädrigen Mobilität aufgeführt, die durch ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild, eine außergewöhnliche Innovationsleistung, oder schlicht ihrer Skurrilität wegen ins Auge stechen. *1) The Art of the Motorcycle, S. 24 3.6.1 Beginn der Serienfer tigung Das erste Serienmotorrad, das offiziell erworben werden konnte, war 1894 die deutsche Hildebrand & Wolfmüller mit 2,5 PS bei 240 U/min. Entscheidend bei diesem Motorrad war der Verzicht auf die Pedale als Antriebskraft. Das Motorrad war jetzt nicht länger ein Hybridfahrzeug, sondern eine Maschine mit eigener individueller Qualität . *2) Leider war der Aufbau, der die Pleuelstange des knapp 11/2 Liter fassenden Motors direkt mit dem Hinterrad verband (einer Dampflokomotive gleich), eine denkbar ungeeignete Methode der Kraftübertragung. Immerhin wurden knapp 1000 Stück dieser Maschinen in Frankreich gefertigt und verkauft, was die damalige immense Nachfrage nach komplett unausgereifter aber trotzdem teurer Technik als puren Imagefaktor belegt. Abb. 29: Ein Archetypus der Motorradentwicklung und gleichzeitig das erste Serienmotorrad der Welt – die Hildebrand & Wolfmüller von 1894 *2) The Art of the Motorcycle, S. 98 Abb. 30: Anderes Antriebskonzept, andere Erscheinung – Die Megola von 1922 besitzt den Umlaufkolbenmotor in der Vorderradnabe und erzielt damit beachtliche 90 km/h. 3.6.2 Ungewöhnliches Erscheinungsbild – Alternatives Antriebs- und Marketingkonzept Abb. 31: Zeitgenössische Werbung für die Megola – Bewusst werden Frauen als neue Zielgruppe anvisiert. Die Megola, schon im Kapitel zu alternativen Antriebskonzepten angesprochen, ist nicht nur aufgrund des im Voderrad befindlichen Nabenmotors eine Besonderheit erster Güte. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Ambiguität der 20er Jahre zwischen einer Abkehr von unkontrollierbarer Macht der Technik, die im ersten Weltkrieg entfesselt wurde, sowie einer revolutionären und positiven Fortschrittsgläubigkeit durch Mechanisierung besteht. Die Megola ist dafür wohl das eindeutigste Manifest zweirädriger Mobilität. Mit ihrer Vollverkleidung, dem tiefen Durchstieg und dem bequemen Lenker hat sie fast genausoviel Ähnlichkeit und bietet damit auch einigen Komfort, den man nur von Automobilen gewöhnt war. Hinzu kommt, dass erstmals auch Frauen durch eine gezielte Marketingstrategie als Käuferinnen, in einem bis dato strikt von Männern dominierten und auch mit männlichen Attributen besetzten Bereich, angepeilt wurden. 21 3.6.3 Ästhetik der Maschine – Technische Innovation Gegen Anfang der 30er Jahre entsteht die französische Majestic. Sie ist ein vollverkleidetes Motorrad, dessen stromlinienförmiges, eigenständiges Erscheinungsbild mehr ist, als nur oberflächliche Hülle. Die Majestic besitzt im Gegensatz zu den meisten kontemporären Motorrädern statt der Vorderradgabel eine Nabenlenkung, bei der lediglich Vorderrad und Bremse bewegt werden. Diese Konstruktionsvariante, die – zumindest theoretisch – für mehr Stabilität sorgt, war lange Zeit in Vergessenheit geraten. Sie wird heute aber, neben der Achsschenkellenkung, zumindest in Konzeptstudien für moderne oder futuristische Motorräder wieder desöfteren ans Licht geholt. Das Erscheinungsbild der Majestic ist so eigenständig und geschlossen, dass Fahrer und selbst die Sitzgelegenheit für diesen wie optische Störfaktoren wirken. 3.6.4 Leichtbau – Neue Materialien Abb. 32: Die Majestic von 1930 – Hier scheint der Name Programm zu sein. Abb. 33: Ein zeitgenössisches Werbeplakat für die Majestic Abb. 34: Die MGC von 1932. Komplexe Aluminumformkomponenten, die nur einem Zweck dienten, das Motorrad leichter zu machen. 22 Ebenfalls den 30er Jahren entspringt die MGC. Die Besonderheit dieses Motorrades ist der konsequente Einsatz von Aluminium, um auf der einen Seite Gewicht zu sparen und auf der anderen Seite möglichst viele Komponenten zu einem Stück zusammenzufassen. Der zentrale Motor wird von oben von einem einzigen Teil, bestehend aus Lenkkopflager, Tank und oberer Rahmenbrücke und von unten, mit einem Teil, das unter anderem den Öltank enthält, in die Zange genommen. Beide Trägerkomponenten werden wiederum mit Stahlstreben, die im Groben einem Fahrradrahmen nachempfunden sind, verbunden. Der Aluminiumguss – damals übrigens nur Sandguss und nicht Formdruckguss – für die komplexen Teile des Motorrades war äußerst schwierig zu beherrschen und musste in müheseliger Handarbeit zu funktionierenden Komponenten aufgearbeitet werden. Die MGC steht durch ihr Erscheinungsbild und die verwendeten Materialien absolut im Zeichen des Maschinenzeitalters im Sinne von Mies van der Rohe und Marcel Breuer als Vertreter der Moderne. 3.6.5 Reduziertheit Direkt der deutschen Nachkriegsgeschichte entspringt die Imme R100. Was auf den ersten Blick so aussieht, als ob etwas vergessen worden wäre, entpuppt sich bei diesem Leichtmotorrad durch näheres Hinsehen als Meisterleistung innovativer Sparsamkeit. Die Imme wurde nicht, wie die vielen Motorräder vor ihr, mit Trapezrahmen und beidseitigen Radaufhängungen ausgestattet. Der Motor ist, genauso wie das Hinterrad, über eine Einarmschwinge, die obendrein noch als Auspuff dient, mit dem Rahmen verbunden. Wenn das Hinterrad einfedert, federt der Motor einer Wippe gleich aus, was die Beanspruchung auf den Kettenantrieb minimal hält. Die Hinterradfederung übernimmt eine einzige, waagrechte Schraubenfeder unter dem Sitz, die durch einen Gummiblock im Inneren und einen zusätzlichen Reibungsdämpfer gedämpft wird. Die technischen Neuerungen der Imme, wie Einarmschwinge und Cantilever-Federung, wurden später von anderen Herstellern wieder aufgenommen. Im Export, sowie im innerländischen Absatz waren der Maschine leider nur geringe Stückzahlen beschert, was wohl größtenteils an der, oben bereits erwähnten, konservativen Einstellung der Kundschaft lag. Dieses Motorrad sah eben nicht wie ein gemeinhin bekanntes Motorrad aus und genau diese Tatsache wurde ihm und seinem Hersteller Norbert Riedel zum finanziellen Verhängnis. Abb. 35: Die Imme R100 von 1949 überzeugt durch die radikale Konsequenz der Sparsamkeit. 3.6.6. Dauerhaftigkeit Im April des Jahres 1946 ging das Modell V98 in Produktion. Von Anfang an war die Vespa erfolgreich. Ein absoluter Hit, der das Leben von Millionen Menschen in den harten Nachkriegsjahren praktisch über Nacht veränderte und weithin die europäische Jugendkultur nachhaltig beeinflusste. In der Presse wurde der Roller als Kleinauto auf zwei Rädern beschrieben, was zwar in Bezug auf Größe und Volumen nicht gerade zutraf, aber sicherlich auf die neugewonnene Mobilität seiner Besitzer. In den 1950er Jahren hatten die meisten Menschen die schlimmsten Nachwirkungen des Krieges hinter sich und das Leben verlief wieder in normalen Bahnen, auch wenn alles etwas anders war als vorher. Die Vespa trug auf jeden Fall als billiges Transportmittel dazu bei, was von Anfang an Piaggios Absicht war. Auch heute noch werden klassische Vespas unter Lizenz in vielen Ländern gebaut. Abb. 36: Die Vespa GrandSport in einem Modell von 1962 mit 146 ccm – begehrtes Transportmit tel vieler Generationen 23 4. Gebrauchskultureller Charakter des Motorrades im Wandel der Zeit Bis jetzt wurden nur Motorräder oder Roller der Serienfertigung erwähnt. Das Motorrad wurde aber auch immer als Ausdruck der Ansichten seines Fahrers verstanden. Dieser offene 'Haufen Blech und Gummi' war schon immer dankbarer Rezipient für Identifikation und Verwirklichung durch Umgestaltung. Es geht also um das Motorrad, um seinen Fahrer und den Gebrauch im soziokulturellen Kontext desselbigen. 4.1 Jugendkulturen – Subkulturen – Gegenkulturen Der Begriff der Subkultur wird in soziologischen Wörterbüchern gewöhnlich "als ein System von Werten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Lebensstilen einer sozialen Gruppe" verstanden, "das sich von der herrschenden Kultur einer Gesellschaft unterscheidet, aber auf diese bezogen ist".*1) Der Begriff der Gegenkultur wird teilweise synomym mit Subkultur gebraucht, teilweise aber auch herangezogen, um Gruppen zu beschreiben, die sich in ihren Wertorientierungen, Präferenzen und Lebensstilen in bewussten Gegensatz zur hegemonialen Kultur stellen. Die amerikanische Soziologie der 1950er und 60er Jahre zeigte ein starkes Interesse an "delinquenten", "devianten" bzw. "kriminellen" Subkulturen in den Großstädten. Ab den späten 1960er Jahren verlagerte sich das Forschungsinteresse. Nun gerieten vor allem die spektakulären Jugendkulturen in den Blick, 24 die sich einerseits aus dem Arbeitermilieu (Teds, Mods, Skins, Rocker) rekrutierten, sich andererseits aus den Mittelschichten (Hippies) und teilweise auch aus dem Kunsthochschulmilieu (Punks) herausbildeten.*2) Gruppen grenzen sich gegen den Einfluss der Elterngeneration ab oder sie definieren sich als eigenständige Kultur neben anderen Kulturen. Dazu werden bestimmte Zeichen verwendet. Werden sie im soziokulturellen Bereich benutzt, nennt man sie Distinktionszeichen. Diese sind meist chiffriert. Der Außenstehende hat insoweit keine Möglichkeit, sich Zugang zu verschaffen, da ihm der passende Kommunikations-Code fehlt. Die Abgrenzung gegen "Fremde" ist hiermit vollzogen. Als Beispiel seien hier die Badges bzw. Buttons der Punks genannt, oder die verschnörkelten Signaturen der Sprayer. Einige Gruppen haben die Zeichen ihrer Zugehörigkeit auf ihren fahrbaren Untersatz ausgeweitet. Deswegen möchte ich mich im Folgenden mIt einigen dieser Gruppen eingehender beschäftigen, da sich ihre Distinktionszeichen auch in den Ausdruck ihrer Mobilität und somit in die Wahl und die Umgestaltung ihrer Fortbewegungsmittel erstrecken. *1) The Penguin Dictionary of Sociology, 1988, S. 245 *2) Wuggenig "Kultur, Subkultur, Gegenkultur", S, 1-4 4.1.1 Bobber, Chopper, Teddy-Boys und Biker (Umbauten und Umnutzung – handgefertigte Individualisierung) "Die Bilder (...) fuhren dem anständigen, gottesfürchtigen Amerika ins Mark. Da war das Bild von seltsam gekleideten Barbaren auf der einen Seite der Hauptstraße des Ortes, während auf der anderen die braven, sauberen Kleinstädter zusammengedrängt standen. Zwischen beiden Gruppen standen nur ein paar nervös dreinblickende Polizisten. Ein anderes Foto zeigte einen großen Kerl, der zurückgelehnt auf seinem Motorrad lümmelte, starr in die Kamera glotzte und in jeder Hand eine Bierflasche hielt. Das war der Stoff, aus dem Alpträume entstehen; und viele gesetzestreue amerikanische Bürger zitterten in Gedanken, wenn sie sich vorstellten, dass eine solche barbarische Horde ihr Dörflein heimsuchen könnte." Ted Polhemus Gegen eine Welt, die aus angepassten, kleinbürgerlichen und konformen Individuuen besteht, artikulierte sich Mitte der 40er Jahre in Amerika, einige Jahre später auch in Europa und Australien eine motorisierte Gegenbewegung, die die Werte und Normen ihrer Väter radikal ablehnte. Die Ausschreitungen von 1947 in der kalifornischen Kleinstadt Hollister, die eine "Invasion von schmierigen, dreckigen Tieren" (Life-Magazin) ertragen musste, welche wild randalierend und zerstörend das bürgerliche Leben terrorisierte, waren Auftakt und Geburtsstunde einer Gegenkultur, die sich radikal vom gängigen Status Quo abwandte. Selbst die Mitglieder der American Motorcycle Association (AMA) verurteilten die Verantwortlichen der Eskalationen öffentlich und distanzierten sich von diesem geringen Prozentsatz "unwürdiger" Motorradfahrer. Dieses Vorgehen hatte einerseits zur Folge, dass sich alle vorher feindlich gesinnten Motorradgangs solidarisierten und sich andererseits nun alle Rowdies und Störenfriede offiziell unter dem Abzeichen "Ein Prozent" gruppierten, gemeinsam eine Front gegen die Polizei und die AMA zu bilden. Die Ausschreitungen waren Inspiration zu soziokulturell einflussreichen Filmen wie "The Wild One" von Laslo Benedek, der wiederum dazu beitrug, diesen bestimmten Motorradfahrertypus als "Outlaw" und (romantischen) Gesetzeslosen zu stilisieren. Bei all den sensationellen und reißerischen, kontemporären Berichten über diese neue innere Gefahr für Amerika, wurde allerdings meistens außer Acht gelassen, dass es sich bei den Störenfrieden nur zu oft um Veteranen des zweiten Weltkriegs handelte. Jene, die nach den erlebten Schrekken, Probleme damit hatten, sich wieder in die Zivilgesellschaft zu integrieren. Abb. 37: Konfrontation in der amerikanischen Kleinstadt Hollister am 6. Juli 1947 Abb. 38: Standfoto aus Laslo Benedeks "The Wild One" – Die Rocker in eifriger Diskussion mit der Staatsmacht 25 Abb. 39: Eine Indian Sport Scout von 1940 im klassischen Umbau zu einem "Bob-Job" – Vorweggenommen ist der hohe Lenker, der sog. Ape-Hanger, der Chopperentwicklung. Das Motorrad ist für die Outlaws mehr als ein Zeichen von Macht und uneingeschränkter Mobilität, mit der sie auch den entlegensten Punkt auf der Karte durch ihr unvermitteltes Auftauchen 'terrorisieren' und damit beherrschen können. Es ist ein Zeichen der Rebellion und ein Mittel die eigenen Werte und Normen als Gegenentwurf zur vorherrschenden Kultur zu kommunizieren. Das andauernde Unterwegssein steht dem fest installierten Heim mit Garten des Spießbürgers und Langeweilers diametral gegenüber. Dabei wird das Motorrad selbst zum Heim (zur Zeltstange und zur Schlafstätte). Der Biker gliecht einem Nomaden, der seine Zelte nach Belieben abbricht und weiterzieht. Das Motorrad avanciert zur Beziehung (die meisten Motorräder haben natürlich Frauenna26 men) und zur generellen Lebensaufgabe. Für viele dieser jungen Veteranen war ihr Beruf nur eine lästige Unterbrechung der kontinuierlichen Arbeit an ihrem Bike, ein Job, den man brauchte, um die AirbrushLackierung bezahlen zu können, die die eigene Maschine individuell und unverwechselbar machte.*1) *1) The Art of the Motorcycle, S. 198 Abb. 40: Windy Lindstrom um die Mitte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts auf seinem Werks-Hillclimber von Harley-Davidson Abb. 41: Standfoto aus Dennis Hoppers "Easy Rider" – Harley Davidson wollte nicht, dass man die Marke des Motorrades im Film erkennt, da man Imageverluste befürchtete. Geschwindigkeit war alles und ihr wurde auch unnötiger Zierrat an den Motorrädern geopfert. Die aus dem Krieg gewohnten Indians und Harley Davidsons wurden nach dem Vorbild der Hillclimbing-Maschinen aus den 30er Jahren umgebaut. Die Devise war: "leichter machen durch Weglassen". Schutzbleche wurden gekürzt ("gebobbt") und die dafür vorgesehenen Haltebügel hochgebogen. Aus ihnen entwickelte sich später, verlängert und verchromt, die sog. Sissy-Bar. Das ist die Mitfahrgelegenheit und Anlehnmöglichkeit für die Sozia. Die Erscheinung der heutigen Chopper (stark verchromte Maschinen mit einem flachen Lenkkopfwinkel für optimalen Geradeauslauf) geht auf die älteren Bob-Jobs zurück (to chop = abhacken) zurück. Bei diesen zählt jedoch Leistung und Aussehen gleichermaßen. Die puristischen, schnellen Maschinen also für die illegalen Straßenrennen und die Wettbewerbe auf den Salzseen, die verchromten für das repräsentative Cruisen auf den Boulevards. Der zynische und herablassende Spruch "if it doesn't work, chrome it!" ("wenn es nicht funktioniert, verchrome es!") geht wohl auf die erste Segregation innerhalb der gleichen Gruppe der Chopper zurück. Die Identifikation findet hier also durch das eigene Gestalten statt. Voraussetzung ist das technische Wissen um die Zusammenhänge in einem Motor und den Fahrwerkskomponenten. Zuweilen ist damit auch die regelrecht kultische Hingabe an das eigene Motorrad zu erklären. 27 4.1.2 We are the Mods , we are the Mods ... Montagabend, das bedeutet Tanzen gehen im Mekka, im Hammersmith Palais, im Purley Orchard oder im Stretham Locarno. Dienstag bedeutet Soho oder den Scene Club. Mittwoch, das ist der Abend im Marquee. Der Donnerstag ist dem rituellen Haarewaschen vorbehalten. Freitag, das heißt wieder in den Scene Club. Samstagnachmittag heißt, Kleider und Schallplatten einkaufen gehen. Samstagnacht geht's dann tanzen, und es endet selten vor 9 oder 10 Uhr am Sontagmorgen. Sonntagabend ist das Flamenco dran oder, falls einer Anzeichen von Schwäche zeigt, auch mal Ausschlafen. Reportage aus der Sunday Times von 1964*1) Die Mods-Bewegung (kurz für Modernists) hat ihren Ursprung in den frühen 1960ern in England. Die Mods waren eine Gegenbewegung zu den schlecht gekleidet und für primitiv befundenen Rockern der 50er Jahre. Feiner Anzug im Italooder Gangsterstil mitsamt entsprechender Krawatte, kurzer, nach vorne gekämmter French-Haarschnitt, dazu bisweilen ein Schieberhut oder Barret und eine möglichst dunkle Sonnenbrille. Das ist die repräsentative Grundausstattung eines Mods. Ferner dazu natürlich den obligatorischen, olivgrünen Parka bei Fahrten auf dem ebenso obligatorischen Italian-Scooter, der Vespa oder dem Lambret ta-Roller. Abb. 42: Outfitbewusstsein bei den Mods – dazu gehört auch... Abb. 43: ...eine möglichst dunkle Sonnenbrille, vor allem Nachts. 28 Doch darf dieser regelrechte OutfitFetischismus nicht als schicke, gesellschaftskonforme Anpassung verstanden werden. Im Gegenteil. Gerade in dieser extremen und von den Mods natürlich auch selbst reglementierten Kleider- und Verhaltensordnung steckt das Grundverständnis einer generellen Umfunktionierung von Zeichen. Dieser penible und hyper-akkurate Stil musste sich bei näherer Betrachtung "doch gerade in dem Maße als unverständlich und beängstigend erweisen, wie die Mods ihn selbst als ihren Style begriffen."*1) Die bevorzugte Musik ist Soul, Blues, Motown und Ska Music, zum Tanzen natürlich der Beat der Small Faces und von The Who. Oberste Devise ist es, ein face zu sein, was bedeutete möglichst cool und gelassen zu erscheinen und über den Dingen zu stehen. Dazu passt natürlich der schicke Anzug, der die nächste Party garantierende Scooter (so viele Clubs in der Stadt, das setzt Mobilität voraus), die Musik und die Drogen. Vornehmlich Amphetamine schaffen Energiereserven für diesen intensiven Lebens- wandel, wie ihn die Sunday Times wohl leicht überzeichnet darstellte. Pete Townshend, der Regisseur von dem Mod-Kultfilm "Quadrophenia" sagt dazu: "Diese Leute hatten was in sich, das sie sagen wollten, aber sie waren so voller Drogen, dass sie nicht sprechen konnten. Und sie hatten auch keine Worte dazu, weil ihre Schulbildung so schlecht war." Die Mods waren wohl auch die erste subkulturelle Bewegung, die mehr Energie darauf verwandte, sich von der anderen (RockerSubkultur) zu distanzieren als von der Elterngeneration. Dieses Phänomen innerpopkultureller Segregation können wir in der Geschichte der Subkulturen zu späteren Zeitpunkten immer wieder festmachen. Punks gegen Hippies, Popper gegen Metaller, Grunger gegen Raver et cetera. Die Rocker wurden von den Mods generell mit den Negativattributen schmierig und verstockt belegt, andersherum galten die Mods den Rockern als homosexuell und zu weich. Die Gegensätze gipfelten ab 1964 jährlich in den Unruhen an der Südküste Englands, wo sich Mods und Rocker gegenseitig ans Leder gingen. Sehr schön kann man diese Konfliktpunkte in dem 1979 erschienen Film "Quadrophenia" nachvollziehen. Zwei Jugendfreunde treffen sich und stellen an ihrem Outfit fest, dass der eine zum Rocker und der andere zum Mod geworden ist: Rocker: "Was'n damit los?" (mit dem Scooter) Mod: "Hat am Laufenden Meter Fehlzündungen" Rocker: "Ja?! Ah, ist die Zündkerze. Ich hab' Werkzeug mit. Wart' 'mal, bin gleich wieder da." Die beiden reden über ihre Maschinen, der Mod ist beeindruckt, wie schwer sich das Motorrad starten lässt. der Rocker erzählt dem Mod, wie schnell seine Maschine fährt. Rocker: "...'n bischen mehr Saft als dein Staubsauger da" M o d ( a u f g e b ra c h t ) : " J a ? ! " Rocker (bestimmt): "Ja!" Mod: "Aber das ist doch gar nicht die Sache. Ich mein', es geht doch nicht um die Maschine, weißt du?! Es geht um die Typen die draufhocken. Die Typen die auf den schweren Dingern fahren sind das Letzte. Die kann einfach keiner." Rocker: "Was soll'n das heißen?!" Mod: "Ich mein' die Rocker mit ihren fettigen Haaren und ihren dreckigen Klamotten, die kotzen mich an." Rocker: "Mir ist das ganze Gequatsche völlig egal von Mods und Rockern. Irgendwie sind wir doch alle dasselbe, oder?" Mod: "Nein, Kev, das isses ja gerade. Weißt Du, ich will eben nicht genau dasselbe sein, was alle anderen sind. Und darum bin ich eben Mod, verstehst Du?! Ich meine irgendjemand muss man doch sein, oder?!"*2) Abb. 44: Das ewige Feindbild der Mods – Die Rocker Abb. 45: Der Mod im Gespräch mit seinem ehemaligen Jugendfreund, dem Rocker *1) Johannes Ullmaier "Subkultur im Widerstreit – Mods gegen Rocker und gegen sich selbst", S.53ff aus "alles so schön bunt hier" - Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute, Hrsg. Peter Kemper, 1999 Reclam *2) Zitat aus dem Film Quadrophenia von Pete Townshend 29 Scooter wurden deshalb so schnell von den Mods als Teil ihres Lifestyles betrachtet, weil die Hersteller Piaggio und Innocenti mit ihren modern gestylten Modellen Vespa und Lambretta genau den Zeitgeist trafen. Sie stellten ein praktisches Transportmittel her, welches den Ansprüchen der Mods nach Unabhängigkeit und starker persönlicher Identität voll entsprach. Der Scooter wurde zur Ikone der Mods. Sie veränderten die Optik ihres Scooters, indem sie möglichst viele Chromstahl-Accessoires, Lampen, Hupen und Rückspiegel anbrachten und damit ihre Individualität zum Ausdruck zu bringen. Die beliebtesten Scooter dieser Zeit waren die Vespa Sportique 150 von 1961, die Vespa GS160 und die Lambretta TV 175 Slimstyle, sowie die ein Jahr später erschienene Lambretta TV 200.*3) Abb. 46: Die Fahrt überland nach Brighton Abb. 47: Der Mod und seine Angebetete Abb. 48: Auf dem Fahrradsektor, speziell bei den Stadtcruisern und Choppern erlebt die typische Mod-Ausstattung gerade ein kleines Revival. Das Zitat ist auch eine Form des Kompliments. Die Identifikation mit dem fahrbaren Untersatz ist nicht so drastisch oder innig ausgeprägt wie bei ihren Antagonisten. Das Motorrad ist für die Rocker zum zentralen (Lebens-)inhalt avanciert. Sie greifen umgestaltend in die Tiefe der Komponenten ein, frisieren gekonnt die Motoren, denn die Leistung zählt. Dafür hacken sie ab, was stört und bauen neu. Kurz und knapp: sie erfinden ihr Motorrad. Das Motorrad wird zum Zweck. Die Mods verwenden ihren Scooter zur Beförderung und zur Selbstdarstellung. Die Veränderungen sind oberflächlicher und kosmetischer Natur. Das erklärt den Griff ins Zubehörregal der Chromstahlaccesoires. Die "Mod"ifikationen sind wohl eher als Anbau zu beschreiben. Die Mods betrachten den Scooter als Mittel zum Zweck. Wie weit der Hang zur Selbstdarstellung geht, beschreibt Dick Hebdige in einer klaren Verhaltensregel zur korrekten Haltung auf dem Scooter während der Fahrt. Der Fahrer hält demnach die Beine locker nach vorne, im 45°-Winkel vom Körper abgespreizt, während der Beifahrer seine Hände unter der Sitzbank hält und sich lässig nach hinten lehnt. *3) www.scooterpoint.ch 30 4.2 Die Wandlung vom "Brot-und-Butter-Fahrzeug" zum "Abenteuerspielzeug" (was war Motorradfahren vor 50 Jahren – was ist es heute?) Das motorisierte Zweirad hat sich von einem Nutzfahrzeug vergangener Tage, das gezwungenermaßen auch in der Freizeit gefahren wurde, zu einem reinen Freizeitund Hobbyfahrzeug entwickelt, das u. a. auch im Alltag eingesetzt wird. Großvaters "Töff" war noch der Universal-Lastesel für den harten Alltag. In seiner Tätigkeit als – sagen wir – Dorfschmied transportierte er damit Werkzeug, um auch entlegene Baustellen zu erreichen. Es wurden im Beiwagen oder Lastenanhänger Möbel transportiert und am Wochenende nahm die gesamte vierköpfige Familie darauf Platz, um Verwandte zu besuchen oder einfach mal ins Grüne zu fahren. Der Anspruch an den fahrbaren Untersatz war klar: Transport! "So mobil wie möglich, so teuer wie nötig" war die Devise. Als Mitte der 50er Jahre allmählich der Volkswagen oder der "Bulli" attraktiver wird, gerät Großvaters Motorrad langsam ins Hintertreffen. Das Motorrad als Zweitfahrzeug kommt noch nicht in Frage und somit wird das ausgediente Stück in Zahlung gegen den langersehnten Wagen gegeben oder schlechterdings stillgelegt. Viele deutsche Motorradhersteller kranken bereits Mitte der 60er an sinkender Nachfrage und für viele steht das endgültige Aus kurz bevor. Die zweite große Krise sucht die Motorradhersteller in den 70er und 80er Jahren heim, als die mächtige, preisgünstige Konkurrenz aus Fernost auf den europäischen Markt drängt . Moderne Zwei- und Viertakter mit einem ungewöhnlichen Design und radikalen Motorkonzepten drängen auf den Markt und machen den wenigen übriggebliebenen Motorradherstellern den Rang streitig. Die 'neuen' Maschinen sind Sportler oder Tourer mit einem gänzlich anderen Markenimage als die heimischen, noch aus der Nachkriegszeit gewohnten Namen, deutscher Hersteller. EMW, Herkules, Rixe, Zündapp und noch einige andere Hersteller gehen letzendlich in Konkurs. Es bleiben bis heute lediglich BMW, Sachs und MZ. 31 In den 60er Jahren avanciert das Motorrad zum Lifestyle-Objekt. Halbstarke auf ihren Kreidlern oder NSUs gehören ebenso zum Straßenbild, wie die ganze Familie auf der großen BMW. Geschwindigkeit, die neu gewonnene Freiheit durch Mobilität, Sex-Appeal und Nutzwert des Motorrads befriedigen eine Gesellschaft inmitten einer Zeit extremen Wandels. Zu einem Bruch in der Gestaltung von Motorrädern kommt es in den 70er Jahren. Immer mehr Hersteller setzen die bewährte Renntechnik nun auch für den Bau von schnellen, mächtigen Sportmaschinen ein. Der Nützlichkeitsaspekt verschwindet zugunsten der Lust an der Leistung. Diese setzt sich in den 80ern fort. Das schnelle Motorrad wird zum Statussymbol der Macht. Hohe Geschwindigkeiten und ein rennsportliches Erscheinungsbild werden vor allem von den asiatischen Marken Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha verkörpert. Die 90er Jahre bedeuten eine Entdeckung von Nischenmärkten. Sie sind ebenfalls die Geburtsstunde der Naked-Bikes – Straßenrennmaschinen – die sämtlicher Verkleidung befreit sind. Zunächst individuell gestaltet, wird dieser Trend einige Zeit später durch die Industrie aufgegriffen. Abb. 49: Der Tricker ist ein reines Funsportgerät in Anlehnung an BMX-Bikes . 32 Das Motorrad ist heute seiner nützlichen Funktion des Transportes befreit. Das heißt allerdings nicht, dass ihm gänzlich keine Aufgabe mehr zukommt. Es dient als Spielzeug, Sportgerät, Fluchtmaschine, Herausforderung und natürlich als Zeichen dafür – mehr denn je. 5. Stand des Designs – aktuelle Tendenzen in der Motorradbranche 5.1 Motorraddesign heute: Superlativistisch – höher, schneller, weiter... "Das eklige, kleine Biest sah aus, als sei es schon mit 140 km/h unterwegs, wenn es noch regungslos in meiner Garage stand. Mit dem Gerät zu fahren, erwies sich jedoch als der reine Terrror." Hunter S. Thompson "Neue Bikes – Stark und schnell. Suzuki GSX-R 1000, 183 PS, 163 Kilo". So, oder so ähnlich, bewirbt gerade die Werbung in aktuellen Zeitschriften die Motorradmodelle für das Jahr 2005. Das Leistungsgewichtverhältnis moderner Motorräder nimmt mitunter bizarre Ausmaße an. 180 PS sind schon für einen gehobenen Mittelklassewagen eine ordentliche Leistung und allemal ausreichend. Ein Auto bringt allerdings auch gut und gerne eine Tonne Gewicht – hauptsächlich Stahl, Glas, Plastik und unzählige passive Sicherheitssysteme – mit sich. Der Trend in der Motorradbranche, ein Superbike aus der MotorGP für den Straßenverkehr zu adaptieren, man nennt dieses Fahrzeug dann Replika, hält ungebrochen an. Es kann von einer Phase der Konsolidierung ausgegangen werden. Gravierende Änderungen sind in nächster Zeit in diesem Segment nicht zu erwarten. Die Hersteller setzen auf die Optimierung bestehender sowie bekannter Konstruktionsprinzipien und durchbrechen damit die vormals theoretisch angenommenen Leistungsgrenzen für Motorräder ständig. Eine unglaubliche Typenvielfalt mit unendlich vielen Modifikationsformen, sowie ständig wechselnde Modellpalet ten sind die Folge . Abb. 50: Superlativ 1954 – Die Vincent Black Shadow Abb. 51: Superlativ 1969, das hieß vier Zylinder, 67 PS, 218 Kilogramm Gewicht vollgetankt und ca. 195 km/h. Honda CB750 33 Vor 35 Jahren war das Non-Plus-Ultra die Honda CB750 mit gerade einmal einem Drittel der Leistung moderner Supersportler. Schon damals riet Ernst "Klacks" Leverkus, seines Zeichens Motorradtester der ersten Nachkriegsjahre: "Das sollte man einmal sagen dürfen! Wer mit diesem Motorrad anbändeln will, sollte erst langsam Erfahrungen sammeln. Gerade deswegen, weil es so wunderbar handlich und leicht und die Maschine so fabelhaft kurvenfreudig und spurtreu ist, dass man meist schneller ist, als man denkt."*1) Das Aufrüsten zieht sich also durch die Geschichte der Motorradentwicklung und ein Ende ist bislang nicht abzusehen. Einen gewissen Reiz hat die Sauserei aber schon. Wer selbst einmal auf einem Supersportler gesessen hat, weiß wovon ich rede. Leistung wird mit Lust gleichgesetzt und die hat ihren Preis. Die Vincent Black Shadow von 1954 vereinte in sich exzellente Höchstleistung und modernste Materialien zu einem ansehnlichen Preis. Kurvenfreudigkeit und Handlichkeit wurden hingegen eindeutig vernachlässigt, was wohl auch der Grund dafür ist, dass der Club der Black-Shadow-Fahrer nicht mehr allzuviele lebende Mitglieder zählt. Abb. 52: Superlativ 2004 – dieses Motorrad stellt wohl das Maximum dar, was an Leistung, geringem Gewicht und Fahrbarkeit, vor allem Beherrschbarkeit derzeit möglich ist. Dass ein modernes Superbike nicht gerade billig ist, versteht sich von selbst. Mitunter darf dafür ein ähnlicher Geldbetrag wie für den leistungsvergleichbaren Mittelklassewagen gelassen werden. *1) Motorrad, Ausgabe 15, 2004 34 5.2 Umdenken in der Motorradbranche Seit geraumer Zeit ist eine interessante Entwicklung im Bereich der Kleinstmotorräder, der Mopeds und der Mokicks auszumachen. Kleine, schicke und absolut puristische Stadtvehikel erobern den Markt und die Herzen der Käufer. Der Motor hat 50 Kubik, was es schon 16jährigen Jugendlichen ermöglicht, sie zu fahren. Und genau diese Klientel ist auch die Zielgruppe, denn die Vehikel kommen in einem äußerst spartanischen aber überaus sportlichen Erscheinungsbild daher. Der Honda Zoomer-Roller, welcher lediglich aus einem Sitz und einem Lenker auf zwei Rädern zu bestehen scheint, verbirgt eine Vielzahl interessanter Details. So bietet er unterhalb der Sitzbank vielfältige Transportmöglichkeiten. Ein Novum ist auch der 50-ccm-Motor des kleinen Flitzers. Der Viertaktmotor verfügt über eine elektronische Kraftstoffeinspritzung mit einem geregelten Katalysator. Der Rahmen liegt wie bei den großen Naked-Bikes, die als Vorbild dienten, offen. Bei der Sachs MadAss handelt es sich um ein stylistisch neu empfundenes Mokick-Konzept. Gestalterische Anlagen an die Honda Dax von 1974 sind augenfällig. Ein gerades, armdickes Rahmenrohr, welches auch gleichzeitig als Tank dient, verbindet, schräg nach hinten unten, Steuerkopf und Bananenschwinge. Die Spritzschützer sitzen knapp über den dicken Reifen. Vorn ist eine hydraulisch gedämpfte Teleskopgabel mit großer Scheibenbremse verbaut und hinten ein Gasdruckfederbein mit stufenloser Verstellbarkeit. Alles in allem also modernste Fahrwerkkomponenten. Bleibt zu hoffen, dass diese interessanten Fahrzeuge für die Fahrer mehr als eine Übergangslösung bis zum ersten Auto darstellen. Wenn schon motorisierte, innerstädtische Mobilität, dann doch diese Art der angepassteren. Ein attraktives Angebot für die weiterführende, zweirädrige Mobilität sind diese Vehikel allemal, wie ich finde. Abb. 53: Honda Zoomer, 2004 Abb. 54: Sachs MadAss, 2004 Abb. 55: Honda Dax,1974 35 5.3 Sicherheitsaspekte beim Motorradfahren Abb. 56: Typische Unfallsituation beim Frontalcrash mit Kopfaufprall: trotz aufrechter Sitzposition kann sich der Fahrer (hier glücklicherweise ein Dummy) nicht vom Motorrad lösen, da sich das Becken am Tank verhakt. Abb. 57: Die fahrende Sicherheitszelle – BMW C1 *1) Eberhard Faerber, Leiter der Fahrzeug-Crashanlage bei der Bundesanstalt für Straßenwesen, aus Motorrad 13, 2004 36 Obwohl nur 20% aller Motorradunfälle von Zweiradfahrern selbst verursacht werden, können wir gegenüber den Autofahrern ein acht mal höheres Unfallrisiko feststellen. Typischerweise werden Motorradfahrer bei Abbiege- und Kreuzungsmanövern schlichtweg übersehen. Als besonders problematisch stellen sich die immer höher werdenden Autokarosserien (z.B. Mercedes AKlasse) aber auch die Busse, Vans und Transporter heraus. Prallt bei einem Abbiegemanöver ein Motorradlenker im stumpfen Winkel in ein Fahrzeug mit steiler, hoher Front, so schlägt er unmittelbar mit Kopf und Oberkörper auf der Fahrzeugfront auf. Er hat keine Chance über die Motorhaube hinwegzugleiten. Steile, hohe Fahrzeugfronten behindern die Flugbahn des Zweiradlenkers und erhöhen deshalb dessen Verletzungsrisiko. Die Alternative, das Zweirad sicherer zu machen, existiert bisher nur ansatzweise. So stießen bisher die Versuche, Motorräder mit ABS auszustatten, auf wenig Resonanz. Ohnehin nur für große Maschinen angeboten, ist ABS vielen Kunden zu teuer oder mit einem irrationalen "Weichei-Image" behaftet. Einzig BMW verkauft seine Motorräder heute überwiegend mit ABS . BMW hat vor einiger Zeit mit dem Roller C1 einen weiteren Versuch gestartet, die Philosophie der passiven Sicherheit aus dem Automobilbereich in den Zweiradbereich zu übertragen. Der C1 verfügt über zwei Sicherheitsgurte und wird überwölbt von einem schmalen Dach zwischen zwei stabilen Überrollbügeln. Der Fahrer soll weitgehend vor dem direkten Kontakt mit Hindernissen und dem freien, unkontrollierten Flug bewahrt werden. Frontale oder seitliche Kollisionen mit einem Auto überlebten C1Fahrer in ihrer "Sicherheitszelle" mit leichten Verletzungen. Die Fahrer eines normalen Zweirades hätten sich auf jeden Fall von ihrem Motorrad getrennt und wären auf das Auto geprallt – mit entsprechend schweren oder gar fatalen Folgen. Dem Roller wird "in wichtigen, aber nicht allen Unfallsituationen eine Sicherheit" attestiert, "die etwa vergleichbar ist mit der eines Kleinwagens".*1) Leider hat der C1 – nicht nur unter Jugendlichen – ein Imageproblem. Er sieht eben auch aus wie eine Sicherheitszelle und erinnert nicht mehr an das coole Dahingleiten eines Easy Riders. Er ist ein vernünftiger Roller für vernünftige Anzugträger und zudem recht teuer: Der 16-Jährige Führerscheinneuling bekommt die gedrosselte Basisversion ab circa 5000 Euro. Für dieses Geld gibt es schon sehr gute, gebrauchte Kleinwagen, die noch ein Stück sicherer sind. Autos lassen sich zudem auch bei wiedrigem Wetter wie starkem Regen, Sturm und im kalten Winter noch fahren, wenn die meisten Biker ihr Freizeitmobil ohnehin abmelden. Eine andere Möglichkeit, den Fahrer im Falle eines Crashes zu schützen, ist dessen Anhebung über den besonders gefährlichen Bereich der Dachkante mittels unterschiedlicher Sitzkonstruktionen. Diese sind entweder rein mechanischer Natur wie bei der Viergelenk- oder der HebelRollsitzbank oder in Kombination mit einem Airbag realisiert . Die Trägheit der Masse wird bei ersteren genutzt um eine AufwärtsVorwärtsbewegung des Fahrers zu erreichen. Dieser hat dann zwar immer noch mit seiner Geschwindigkeit zu kämpfen – im besten Falle mit nur einigen Beckenblessuren im freien Flug über das Autodach – aber der fatale Kopfeinschlag in die Dachkante kann so zumindest vermieden werden. Nebenstehenden Zeichnungen sind die genauen Funktionsweisen zu entnehmen. Die größten Potentiale weist bisher das Konzept der HebelRollsitzbank auf. Eine weitere Möglichkeit der passiven Sicherheit ist mit der Ausführung der Vorderradgabel verbunden. Beim Beschleunigen steigt ein Fahrzeug vorne an, beim Bremsen taucht es ab. Wird sehr stark gebremst, federt eine Teleskopgabel stark ein und damit sinkt auch das Kopfniveau des Fahrers. Anti-DiveSysteme sollen das Bremsnicken verhindern. Dabei würden Gaspatronen ein Auseinanderdrücken von Tauch- und Standrohr im Moment des Frontalanstoßes bewirken. Damit wäre sogar ein Anheben im vorderen Bereich möglich. Dies ist aber auch schon mit einer älteren Konstruktionvariante der Vorderrad- führung möglich. Die Vorderradschwinge erwirkt durch eine simple Umlenkung der Kräfte über ein Gelenk das genaue Gegenteil einer Teleskopgabel beim Bremsen. Außerdem ist damit ein spurgenaueres Fahrverhalten aufgrund der höheren Verwindungssteifigkeit und generell leichtere Lenkbarkeit wegen kürzerem Nachlauf verbunden. Abb. 58: Die Viergelenksitzbank – Ein vorn an der Sitzbank hochgezogener Bügel fängt den Fahrer ab und bewirkt dabei eine Vorwärts-Aufwärtsbewegung der mit vier Gelenkstreben befestigten Sitzbank. Kopf und Oberkörper werden über das gefährliche Dachkantenniveau gehoben. Die Wirksamkeit wurde durch praktische Versuche bestätigt. Abb. 59: Die Airbag-Hubsitzbank – Ein unter der Sitzbank befindlicher Airbag wird über Verzögerungssensoren im Crashfall gezündet – die Sitzbank schnellt nach oben. Die fatalen Folgen für den Motorradfahrer bei Fehlauslösung und die konstruktionsbedingte zusätzliche Erhöhung der kinetischen Energie durch Beschleunigen der Aufsassen infolge der Airbag-Zündung lassen einen praktischen Einsatz dieser Variante eher zweifelhaft erscheinen. Abb. 60: Die Hebel-Rollsitzbank – Beim Frontalcrash führen Sitz- und Aufsassenträgheit zum Lösen der Sitzarretierung und zu einer Relativbewegung gegenüber dem Motorrad. Die Vorwärts- und Aufwärtsbewegung der Sitzbank wird hier durch entsprechende Hebel und Schienen erreicht . Gegenüber der Viergelenksitzbank reicht hier der Gesäßreibschluss und Abdomenformschluss zur Sitzmitnahme aus . 37 5.4 "Ich habe einen Traum..." – Gedanken zum Baukastenprinzip Ro m a nt i ke r b e ra u s c h e n s i c h a m ä st h et i s c h e n E i n d r u c k . Klassiker, andererseits, interessieren sich mehr für die Kausalität, für Schrauben und Muttern. Nicht Eindruck zählt, sondern Analyse. Robert Pirsig Die Horrorvorstellung der Industrie: Entscheidung an den Kunden abgeben. Das bedeutet in erster Linie Information aber auch eine ausgereifte Produktpalette. Zeit, etwas zu fantasieren... Ich habe einen Traum: Es gibt da Firmen, die stellen Motorräder her. Ein stabiler, schlichter Rahmen, der diverse Anbauten erlaubt und eine größere Version, die stärkere Motoren und wahlweise einen Seitenwagen aufnehmen kann. Die Maschine besteht aus leicht zu wartender, mit Großserienteilen versehener Technik. Es sind weder Sollbruchstellen noch grobe Konstruktionsmängel "eingeplant". Ein extrem haltbares und wegen der konstruktiven Einfachheit bezahlbares Motorrad. Selbst Verschleißteile, wie Lager usw., sind großzügig dimensioniert. Das Geld verdienen die Firmen mit dem Zubehör, denn das Motorrad und seine Komponenten sind "frei skalierbar". Wer also Verkleidung, Einzelsitz und 120 PS braucht, der greift ins Zubehörregal. Gerne werden Motoren von anderen Herstellern konfektioniert. Dank großzügiger Freigabepraxis und durchdachtem Rahmen kein Problem. Also 38 ähnlich der BMW 3er-Reihe, die man vom 316 bis zum M3 in verschiedenen Ausbaustufen haben kann. Allerdings bei meinem Traummotorrard wesentlich konsequenter umgesetzt und vom durchschnittlich versierten Schrauber handhabbar. Wie läuft das ab? Gleich nach dem 16. Geburtstag kaufe ich mir so ein Teil mit 125ccm, 15 PS und Trommelbremse. Mit 18 kommt ein 350er mit 27 PS rein, dazu Scheibenbremse. Nach der Schule oder der Ausbildung gibt es den 600er. Als der hinübergeht – warum auch immer – kommt aus Geldgründen ein 400er rein, bis die Kassenlage den 660er hergibt. Später wechselt das Mopped teilweise den Besitzer, denn ich hole mir den stärkeren Rahmen. Der alte Gepäckträger passt natürlich weiterhin. Geplant ist der 800er Motor und die Doppelscheibenbremse. Der alte Rahmen geht an einen jüngeren Kollegen, Motor und Bremsanlage nimmt er auch mit. Der Einzelsitz wird gegen eine Sitzbank getauscht und nach reichlich neun Monaten muss ein PersonenBeiwagen an die Maschine . Aber wie das Leben so spielt, irgendwann transportiert der Personenbeiwagen wieder mehr Grillzeug als Windeln und wird schließlich gegen einen Lastenaufsatz getauscht. Ein Satz Solo-Räder machen auch kleinere Fahrten im Sommer möglich, während der Beiwagen so lange auf einem Berliner Multi-Tool™ steht. Mit 50 denkt man an vergangene Jugendträume und holt zusätzlich einen gebrauchten Rahmen, der mit dem 150er Motor, Rennhöcker und Alu-Tank ein herrlich unvernünftiges Midlife-Mopped abgibt. Die große Felgenbremse vorne, die Brülltüte hinten und die Stummellenker runden das Bild entsprechend ab. Wie sieht das dann aus? Die Standardausführung besteht aus einem offenen Zentralrohrrahmen, der diverse Motoren aufnehmen kann und einer schraubbaren Gespannbefestigung. Eine gekapselte Kette treibt das Hinterrad an, durch andere Schwingen sind Kardan oder Zahnriehmen realisierbar. Die Antriebsseite ist durch schlichtes Drehen der Schwinge, bzw. der Radaufnahme, frei wechselbar. Gegen zwei Stoßdämpfer spricht im Grunde nichts. Aufnahmen für Einzelfederbein o.ä. sind am Rahmen allerdings vorgesehen. Telegabel und Einfachbremsscheibe reichen erstmal aus. Ein Großserienmotor ohne böse Schwächen mit 600ccm und rund 50 PS reicht für alle Lebenslagen. Das ganze Ensemble darf ruhig etwas grobschlächtig und rustikal daherkommen, da bin ich konservativ. Bei Bedarf kaufe ich mir halt einen ultraleichten Alu-Rahmen aus dem Zubehör und hänge die Teile um. Der Standard-Rahmen besteht aus einem selber reparier- und weiterverarbeitbaren Material (Stahl) und wird ohne Änderungen über einen großen Zeitraum gebaut. Über Reifen, Schwingen und Gabel (-brücken) können diverse Einsatzbereiche abgedeckt werden. Natürlich passt auch ein 250er oder 800er Motor. Der Standardauspuff ist aus Edelstahl. Die Basis soll möglichst haltbar sein, denn verdient wird ja, wie gesagt am Zubehör und der Aufrüstung. Funktionierendes Besispiel ist PCHardware. Das Gehäuse ist billig, Geld kosten die "Innereien", wenn sie nicht nur Mittelmaß sein sollen. Die Kiste fährt gut 160, das reicht für die meisten Lebenslagen. Wer mehr will, kann tunen, wie er lustig ist, die Unterstützung kommt vom Werk. Abb. 61: Hans Brockhages Entwurf eines Schaukelwagens. Er selbst zum Entwurf: "In den Werkstätten der Hochschule arbeitete ich an einem gedrechselten Schaukelpferd, wie wir es von jeher kannten – Rumpf, Kopf, Beine und die Kufen. Als Mart Stam mir bei der Arbeit zusah, sagte er mit seinen Worten in gebrochenem Deutsch so ungefähr: 'Überlege – wenn gedrechseltes Pferd umfällt, ist Pferd tot. Du musst machen Pferd, das nicht tot ist, wenn fällt um.' Das war der eigentliche Impuls zum Entstehen dieses Spielgerätes." 39 6. Ausgangslage – Stand der Technik Wir können schon auf mittelfristige Sicht nicht mehr voraussetzen, dass die fossilen Energieträger, auf die unsere Energiewirtschaft aufgebaut ist, weiter zu den gleichen Bedingungen benutzt werden können. Dafür gibt es zwei Gründe. Die Vorräte sind begrenzt. Die theoretischen Reichweiten der Erdölvorräte liegen bei noch einigen Jahrzehnten, die für Erdgas bei einigen Jahrhunderten. Wegen des zunehmenden Förderaufwandes, bei fortschreitender Erschöpfung eines Förderfeldes, ist allerdings schon dann, am Anfang vom Ende, mit kräftigen Kosten- und Preissteigerungen zu rechnen. In Deutschland gibt es beispielsweise einige Vorkommen von Ölschiefer. Die Gewinnung von Rohöl aus diesem Edukt erweist sich als teuer und aufwändig, so dass diese Methode zwar auch zu Treibstoff führt, der Import aber um ein Vielfaches billiger ist. Wir können das, was wir haben, nicht einfach verheizen, weil wir mit der Freisetzung von (bisher dem Kreislauf entzogenem CO2) in das Gleichgewicht der Atmosphäre eingreifen. Wegen der komplexen Zusammenhänge im System Weltklima ist es schwer, die Folgen im einzelnen bzw. genau vorherzusagen. Fest steht aber, dass wir mit der globalen Erwärmung an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Wasserstoff, als Treibstoff der Zukunft, wurde in den letzten Jahren wieder zum großen Thema. Ist es doch das häufigste Element des Universums, theoretisch in unendlichen Mengen erzeugbar, verbrennt zu nichts als Wasser und könnte die schadstoffarme Mobilität der Zukunft bedeuten. 6.1 Die Nutzung von Wasserstoff als Energiespeicher zum Antrieb "Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern." aus der sog. Reformierung von Erdgas oder Methanol, durch Elektrolyse von Wasser (Wasserspaltung in Wasserstoff und Sauerstoff durch das Zuführen von Strom) oder durch Bakterien und Algen, welche mit Hilfe von Sonnenlicht und Abfällen aus der Zuckerrübenver wertung Wasserstof f produzieren. * 1 ) Jules Verne Wasserstoff kann eine Rolle übernehmen, die der von Erdöl und Erdgas sehr ähnlich ist. Auch diese sind eigentlich Speicher- und Transportmittel für Sonnenenergie der Vergangenheit. Nur sind sie leider nicht unbegrenzt vorhanden, und ihr Verbrauch ist auf die Dauer und im heutigen Maß nicht umweltverträglich. Wasserstoff ist das häufigste Element im Weltall, er stellt über 90% aller Atome und rund 3/4 der gesamten Masse. Auf der Erde ist der größte Teil des Wasserstoffs in Wasser gebunden, daher das chemische Symbol H für Hydrogenium. Wasserstoff kommt aufgrund seiner Flüchtigkeit nicht natürlich auf der Erde vor, er muss hergestellt werden. Gewonnen wird Wasserstoff entweder auf dem Weg über die fossilen Energieträger, 40 Der große Vorteil von Wasserstoff ist seine hohe Energiedichte und die Eignung zum Speicher- und Transportmedium für Energie. Wasserstoff hat schon eine längere Geschichte in der Beförderung (dazu später etwas mehr) aber seit circa 20 Jahren wird am Einsatz des Wasserstoffes für die terrestrische Mobilität gearbeitet und fast alle namhaften Automobilhersteller haben mittlerweile einen fahrbaren Prototypen vorzuweisen. Die Strategien sind allerdings äußerst unterschiedlicher Natur. Während beispielsweise Mercedes, Ford oder Opel auf die Brennstoffzelle zur Speisung von Elektromotoren setzen, konzentriert sich BMW auf den Betrieb herkömmlicher Verbrennungsmotoren mit Wasserstoff.*2) Dabei wird der Wasserstoff, wie das Benzin-Luft Gemisch, direkt in den Brennraum eingespritzt und entzündet. BMW will die letzte Modellreihe der 7er, gegen Ende 2005 mit diesem Hybridantrieb ausgestattet haben. *1) http://techni.chemie.uni-leipzig.de *2) Tobias Nagel, Brennstoffzelle und Mobilität, HKD Halle 6.2 Möglichkeiten der Speicherung Um Wasserstoff als Brenngas für BrennstoffzellenAnwendungen und als industrielles Ausgangsprodukt zur Verfügung zu stellen, muss er nach seiner Erzeugung zwischengespeichert werden. Bei der Speicherung von Wasserstoff wird zwischen der Speicherung im flüssigen, gasförmigen oder chemisch gebundenen Zustand unterschieden. Abb. 62: Modell eines Flüssigwasserstoffspeichers der Firma Linde Innenbehälter Superisolation Außenbehälter Standsonde Füllrohr Innenbehälterabstützung Gasentnahme Flüssigentnahme Flüssigwasserstoff (-253°C) Befüllstutzen Sicherheitsventil gasförmiger Wasserstoff (+20°C bis +80°C) Hauptabsperrventil elektrischer Heizer Trocknerwärmetauscher Kühlwasserwärmetauscher 41 6.2.1 Die Flüssigspeicherung in vakuumisolierten Behältern In Bezug auf eine zukünftige Wasserstoff-Infrastruktur wird die Speicherung des Wasserstoffes in flüssiger Form als besonders attraktiv betrachtet. Bei einer Temperatur von –253 ° Celsius beansprucht flüssiger Wasserstoff nur noch etwa ein Fünftel des Volumens vom gasförmigen, hoch komprimierten Zustand. Somit hat flüssiger Wasserstoff einen wesentlich höheren Energiegehalt pro Menge als komprimiertes Gas. Die Speicherung und der Transport von großen Mengen erscheinen dadurch besonders wirtschaftlich. Die Speicherung des Wasserstoffes im flüssigen Zustand ist ,vor allem beim Einsatz in mobilen Anwendungen, sehr vorteilhaft. Nachteilig ist, dass die Verflüssigung von Wasserstoff einen mehrstufigen Abkühlungsprozess erfordert, der sehr energieaufwändig ist. Außerdem werden sehr hohe Anforderungen an das Speichermedium bezüglich der Isolation gestellt, um eine Umwandlung in den gasförmigen Zustand und eine Verflüchtigung des Wasserstoffes zu verhindern. Um akzeptable Reichweiten zu erlangen, scheint das Projekt von BMW mit Flüssigspeichern am sinnvollsten. Die Tanks sind doppelwandig ausgeführt. Dazwischen befinden sich in einem Vakuum etwa 50 Lagen aluminiumbeschichteter Kunststofffolien. Die Tankisolierung ist so gut, dass bei hohen Außentemperaturen zwischen 2 und 3 Tagen kein Treibstoff verloren geht. Erst wenn der Druck im Tank durch die langsame Erwärmung über 5 bar ansteigt, werden täglich ca. 3% des Volumens über ein Abblasventil ausgestossen. Der Druck wird somit konstant gehalten. 6.2.2 Die gasförmige Wasserstoffspeicherung in Druckbehältern Abb. 63: Prototyp eines neuartigen Druckbehälters für Wasserstoff Abb. 64: Innere Struktur des Druckbehälters 42 Gasförmiger Wasserstoff wird mit einem deutlich höheren Druck als flüssiger Wasserstoff in Druckbehältern gespeichert . Je höher der Druck im Behälter, desto größer ist auch die Speicherdichte. Derzeit wird gasförmiger Wasserstoff bei einem Druck zwischen 200 und 350 bar in einem zylinderförmigen Behälter, mit annähernd halbkugelförmigen Endkappen gespeichert. Traditionell sind diese Behälter aus Stahl gefertigt oder sie bestehen aus einer, mit Karbonfasern umwikkelten, Aluminumflasche. Druckgasspeicher werden überall dort eingesetzt, wo genügend Platz für die Unterbringung vorhanden ist, also beispielsweise auf dem Dach oder im Unterboden von Bussen. Die große Herausforderung besteht derzeit darin, die Speichermedien für den mobilen Einsatz so leicht wie möglich zu halten, auf der anderen Seite aber den Füllgrad drastisch zu erhöhen. Speichermedien, die für einen Druck von ca. 700 bar geeignet sind, befinden sich im Entwicklungs- und Prototypenstadium. Sie sollen annähernd genausoviel Wasserstoff aufnehmen können, wie ein im Volumen vergleichbarer Flüssigwasserstoffspeicher. Durch eine axiale Verstärkung, die als Kohlefasernetz durch den Speicherkörper hindurch geführt wird, lässt sich eine nahezu 100%ige Ausnutzung der Materialeigenschaften (Zugbeanspruchung) für die Festigkeitsstruktur der Druckbehälter erreichen. Man kann also gespannt sein, bis zu welchem Füllungsgrad und Druck diese Fertigungsmethode ausreifen wird. 6.2.3 Die Speicherung im chemisch gebundenen Zustand Der Metallhydridspeicher Einige metallische Elemente, intermetallische Verbindungen und mehrphasige Legierungen, können Wasserstof f , ähnlich einem Schwamm, aufsaugen. Das ermöglicht eine wesentlich höhere Speicherdichte als im flüssigen Zustand. Beispiele hierfür sind Aluminium, Magnesium und Palladium, LaNi5 und TiNi-Ti2Ni.*1) Die Wasserstoffatome bilden dabei im Kristallgitter dieser Metalle Einlagerungs- oder Zwischengitteratome und werden chemisch gebunden. Die Anlagerung des gasförmigen Wasserstoffes erfolgt bei einem Druck von 0 bis 60 bar. Die Erhöhung des Drukkes hat eine steigende Wasserstoffkonzentration im Kristallgitter zur Folge. Wird der Sättigungsgehalt von Wasserstoff erreicht, zerfällt das ursprüngliche Metall in feines Pulver. Bei der Einlagerung des Wasserstoffes entsteht Reaktionswärme. Diese muss abgeführt werden, um die Reaktion und somit die weitere Anlagerung des Wasserstoffes zu gewährleisten. Um den Wasserstoff bei Bedarf entnehmen zu können, muss diese Wärmeenergie wieder zugeführt werden. Die Reaktionswärme ist abhängig vom eingesetzten Metall und vom zugeführten Druck. Deshalb muss, je nach Einsatzgebiet, eine geeignete Variante gewählt werden.*1 Der Wasserstoff erreicht bei dieser Methode gegenüber dem flüssig komprimierten eine Dichte von mehr als dem Doppelten. Deutlicher Nachteil derartiger Speicher ist ihr großes Gewicht. Ihr besonderer Vorteil besteht jedoch in ihrer außerordentlichen Sicherheit. Auch beim Erhitzen lecker Speicher tritt Wasserstoff nur langsam aus . Die Graphit-NanofaserSpeicherung Bei der Graphit-Nanofaser-Speicherung kommt ein Werkstoff auf Kohlenstoffbasis zum Einsatz. Diese Art der Speicherung wird schon jetzt als die revolutionäre Speichertechnologie für Wasserstoff bezeichnet.*1) Der Wasserstoff lagert sich zwischen einzelnen Schichten aus Graphitfasern mit Querschnitten von 5 bis 100 Nanometern und Längen von 5 bis 100 Mikrometern ein. Dabei ergibt jedes Gramm Kohlenstoff etwa 30 Liter Wasserstoff. Graphit-Nanofasern sind also in der Lage, 75% des eigenen Gewichtes in Wasserstoff zu speichern. Die Betankung des Speichers erfolgt mit einem Druck von ca. 136 bar und nimmt etwa 4 bis 24 Stunden in Anspruch. Der Speicherinnendruck beträgt 40 bis 50 bar. Bei einer Druckreduzierung entweicht der Wasserstoff bis zu 95%. Der Einsatz dieser Speichertechnologie in einem PKW mit Brennstoffzellenantrieb bedeutet, dass eine Reich- weite von ca. 6000 km erzielt werden kann.*1) Für ein Fahrzeug im innerstädtischen Einsatz heisst das, dass der "Tank" lediglich alle ein bis zwei Jahre nachgefüllt werden muss. Eine andere Möglichkeit wäre, den leeren Wasserstoffspeicher gegen einen Vollen in einer Art Rücknahme- oder Pfandsystem zu tauschen. Nachteil dieser Speichermethode ist die begrenzte Wiederholbarkeit des Tankvorganges. Dieser kann nämlich nur vier bis fünf mal erfolgen. *1) http://www.wbzu.de 43 6.3 Zur Geschichte der Brennstoffzelle "Haben wir ein galvanisches Element, welches aus Kohle und dem Sauerstoff der Luft unmittelbar elektrische Energie liefert ...,dann stehen wir vor einer technischen Umwälzung, gegen welche die bei der Erfindung der Dampfmaschine verschwinden muss. Denken wir nur, wie ... sich das Aussehen unserer Industrieorte ändern wird! Kein Rauch, kein Ruß, keine Dampfmaschine, ja kein Feuer mehr." Wilhelm Ostwald 1839 beschrieb der Physiker William Robert Grove eine galvanische Gasbatterie. Durch die sog. kalte Verbrennung von Wasserstoff mit Sauerstoff sollte sie – mit einen Wirkungsgrad von nahezu 100 Prozent – elektrischen Strom liefern. Einer der ersten Wissenschaftler, der die Bedeutung dieser Entdekkung erahnte, war wohl Wilhelm Ostwald, welcher seit 1887 Direktor des ersten Lehrstuhls für physikalische Chemie in Leipzig war. Im Jahre 1894 beschreibt Ostwald seine visionären Ideen über die "wissenschaftliche Elektrochemie der Gegenwart und ... der Zukunft" (wie oben erwähnt).*1) Gleichzeitig räumte er aber bereits ein, dass es noch ein weiter Weg von dieser Idee bis zu einer technisch funktionierenden Maschine 44 ist: " ...denn bis diese Aufgabe einmal ernst in Angriff genommen wird, wird noch einige Zeit vergehen. Aber dass es sich hier nicht um eine unpraktische Gelehrtenidee handelt, glaube ich allerdings annehmen zu dürfen."*1) Wie recht Ostwald mit seinen Vorhersagen hatte, lässt sich an der langwierigen Entwicklung der Brennstoffzelle ersehen. Die ersten brauchbaren Brennstoffzellen wurden nämlich erst in den 50er Jahren entwickelt, um sie zur Stromversorgung an Bord der Satelliten des amerikanischen Raumfahrtprogramms zu verwenden. Hier spielt sowohl der "astronomische" Preis dieser Geräte, als auch die extremen Reinheitsanforderungen an die verwendeten Gase keine Rolle. Später macht das Militär von der Brennstoffzelle Gebrauch und nutzt sie u.a. für den emissionslosen und geräuschfreien Antrieb von Elektromotoren in U-Booten. Diese haben den Vorteil, dass sie durch das feindliche Sonar nicht mehr zu orten sind. Auf der Suche nach neuen, von fossilen Kohlenwasserstoffen unabhängigen, Energiequellen und mit gestiegenen Umweltbewusstsein wird gegen Ende der 80er Jahre erstmals ein breites Interesse an der Brennstoffzelle geweckt. Die Forschungsanstrengungen zu deren Realisierung werden deutlich verstärkt. Insbesondere der Aspekt, dass die Brennstoffzelle eine Möglichkeit zur kohlendioxidfreien Erzeugung von Strom darstellt, macht sie sowohl für die stationäre als auch für die mobile Nutzungen äußerst attraktiv. *1) http://techni.chemie.uni-leipzig.de 6.4 Zur Funktionsweise der Brennstoffzelle Aus der Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff entstehen Wasser und Strom. Der Wasserstoff wird hierbei nicht verbrannt wie in der Direkteinspritzung in einem Verbrennungsmotor – der Wasserstoff reagiert kalt. Die gängiste Variante ist die PEM-Brennstoffzelle (Proton Exchange Membran). Kern dieser Brennstoffzelle ist eine protonleitende Kunststofffolie. Sie trennt die Reaktionsgase, Sauerstoff und Wasserstoff, voneinander. Die Folie ist nur Zehntelmillimeter dick und trägt auf beiden Seiten eine hauchdünne Platinschicht als Katalysator. Diese zerlegt den Wasserstoff in positive Protonen und negativ geladene Elektronen. Die Protonen wandern durch die Folie zum Sauerstoff, mit dem sie sich zu Wasser verbinden und zum Auspuff entweichen. Für die Elektronen ist die Membran dicht. Sie bleiben zurück und nehmen den Umweg über den Verbraucher. Durch den Elektronenüberschuss auf der Wasserstoffseite und den Elektronenmangel auf der Sauerstoffseite bilden sich Plus- und Minuspol. Verbindet man die beiden Seiten der Trennfolie miteinander, fließt elektrischer Strom. Abb. 65: Die Protonen leitende Kunststofffolie trennt Wasser- und Sauerstoff voneinander. Eine Platinschicht zerlegt den Wasserstoff in negativ geladene Elektronen und positive Protonen. Die Protonen wandern durch die Folie zum Sauerstoff. Die Elektronen nehmen den Umweg durch den E-Motor, der durch diesen elektrischen Strom angetrieben wird. Abb. 66: Zusammensetzung eines Brennstoffzellenstacks Abb. 67: Eine Brennstoffzelle in Funktion In einem Brennstoffzellenstack (stack = Stapel) sind viele dieser Komponenten sandwichartig hintereinander gekoppelt, um die gewünschte Spannung. Die Bezeichnung "Brennstoffzelle" kann jedoch etwas irreführen, da die "Verbrennung" bei relativ moderaten Temperaturen von 60-80°C stattfindet. Noch ist die Herstellung einer Brennstoffzelle verhältnismässig teuer, da für den Platinkatalysator das teuerste und rarste Edelmetall der Erdkruste Verwendung finden muss. Um marktfähige BrennstoffzellenAntriebe bauen zu können, wird die Industrie demnach vor allem eines erreichen müssen: den Herstellungspreis drastisch senken. Die Herausforderung an Chemiker weltweit heißt also, Ersatzstof fe zu finden. 45 6.5 Der Einsatz von Brennstoffzellen in der mobilen Anwendung Der heutige Bedarf an Mobilität führt zu einer immensen Verkehrsbelastung und damit zu extremen Emissionen im Straßenverkehr. Elektrofahrzeuge haben am Fahrzeug selbst keine Emissionen, besitzen aber mit Batteriespeicher eine relativ geringe Reichweite und einen schlechten Wirkungsgrad bei langen Ladezeiten. Etwa 70% aller Fahrten erfolgen im Stadtverkehr. Da die Brennstoffzelle einen hohen Wirkungsgrad bei einer Teillastbeanspruchung, wie es in der Stadt oft der Fall ist, hat, könnte man dort die Emissionen deutlich reduzieren. Abb. 68 u. 69: Studie von Peugeot für ein emissionsfreies Freizeitmobil, das eine Reichweite von max. 130 Kilometern hat – Die Besonderheit dieses zweisitzigen, offenen Vierraders ist eine Brennstoffzelle, die Energie für die vier in den Radnaben platzierten Motoren liefert. Abb. 70: Der Einsatz in der Mobilität. Drehzahlmesser gibt es nicht mehr, denn der wird durch einen kW -Meter ersetzt . 46 Seit 1994 hat DaimlerChrysler mit bisher 10 Prototypen gezeigt, dass die Brennstoffzellentechnologie fahrzeugtauglich ist. Beim NECAR 1 ("New Electric Car") von 1994 nahmen die 800 Kilogramm schweren Komponenten noch die gesamte Ladekapazität eines MercedesBenz Transporters in Anspruch. Der Nachfolger, NECAR 2, eine Mercedes-Benz V -Klasse, war dagegen zwei Jahre später bereits mit sechs Sitzplätzen und 100 km/h ein voll nutzbares Fahrzeug. Mit dem ersten Bus NEBUS verließ 1997 die Brennstoffzellentechnologie endgültig das Laborstadium. Mit einer einzigen Wasserstoff-Tankfüllung hat der NEBUS eine Reichweite von 250 Kilometern und bewältigt so leicht das für einen Linienbus typische Tagespensum von 140 bis 170 Kilometern. Ebenfalls 1997 wurde der NECAR 3, eine Mercedes-Benz A- Klasse, vorgestellt. An Bord des Fahrzeugs wird der Wasserstoff aus Methanol erzeugt wird. Damals brauchte das gesamte ReformerSystem noch so viel Platz, dass im Testauto nur zwei Fahrgäste Platz fanden. NECAR 4, ebenfalls eine AKlasse von 1999, fährt mit Wasserstoff und bietet fünf Personen plus Gepäck ausreichend Platz. Mit dem NECAR 5 gelang es im Jahr 2000, den gesamten Antrieb mit Methanol-Reformer-System im SandwichBoden der A-Klasse unterzubringen. Im Jeep Commander 2, der 2000 erstmals präsentiert wurde, liefert ein Brennstoffzellensystem zusammen mit einer Batterie den notwendigen Strom für den Elektroantrieb. Als Kraftstoff wird Methanol eingesetzt, welches dann wiederum an Bord in Wasserstoff reformiert wird. 2003 werden 30 Stadtbusse an 10 europäische Städte ausgeliefert, die dort ihren Beitrag zu einem emissionsfreien und geräuscharmen öffentlichen Nahverkehr leisten. 2004 werden die ersten Pkw in begrenzten Stückzahlen ausgeliefert. Es ist geplant, Ende des Jahrzehnts mit größeren Stückzahlen auf den Markt zu kommen.*1) Noch im Forschungsstadium befindet sich bei DaimlerChrysler die Direktmethanol-Brennstoffzelle. Ihr werden große Entwicklungspotentiale und Zukunftschancen eingeräumt. Mit einem Go-Kart wurde die Machbarkeit dieser Technologie bereits unter Beweis gestellt . Betrachtet man nun diese Brennstoffzellenfahrzeuge unter gestalterischen Aspekten, muss man feststellen, dass sich seit den ersten rollenden Großraum-Laboratorien nicht viel verändert hat. Zwar wurde Größe und Schwere der Aggregate zur Wandlung von Wasserstoff erheblich reduziert und mittlerweile findet die neue Technologie unter der Motorhaube von Serienfahrzeugen Platz, doch sind diese Fahrzeuge für den Einsatz von Verbrennungsmotoren konzipiert worden. Dabei erschließen sich gerade hier für die Gestaltung völlig neue Horizonte. Die Brennstoffzelle kann an beliebiger Stelle untergebracht werden, ebenso die dazugehörige Technik. Die Antriebseinheit – der Elektromotor ist völlig anders strukturiert als der herkömmliche Verbrennungsmotor – muss nicht zwingend eine zentrale Einheit sein, sondern es sind auch viele, auf die Räder verteilt, denkbar. Somit ergibt sich ein vollkommen differentes Komponenten-Layout und damit kann über völlig neue Nutzungshintergründe und Funktionen nachgedacht werden. Abb. 71: Go-Kart mit Hochdrucktank und Brennstoffzellenantrieb von der Fachhochschule Wiesbaden Abb. 72: Die wichtigsten Komponenten der Brennstoffzellentechnologie zum Antrieb eines Zweirades *1) Manfred Ronzheimer, ScieCon, www.berlinews.de 47 6.6 Betankung eines Flüssigwasserstoffspeichers Bevor es losgehen kann, stellt sich aber noch eine andere Frage: Wie kommt der Wasserstofftiger überhaupt in den Tank? Wer würde schon gerne mit einem -253°C kalten Tankarm herumhantieren? Für dieses Problem wurde eine gute Lösung entwickelt: die vollautomatische Tankstelle. Dieser Prototyp befindet sich am Münchner Flughafen und erfüllt seine Arbeit täglich. Die Tankstelle ist ein Gemeinschaftsprojekt von vielen namenhaften Firmen wie MAN , BMW, ARAL, Linde und Siemens. Fährt man in die Tankstelle hinein, steckt man lediglich noch seine Abb. 73: Automatisiertes Betanken von Wass e r sto f f d u r c h e i n e n Ta n k ro b ot e r Abb. 74: Projekt einer H2-Tankstelle am Flughafen München Nachdem eine Portion Helium die Restluft herausgespült hat, beginnt die Betankung mit dem flüssigen Wasserstoff. Nach knapp drei Minuten hat man die Tankstelle wieder verlassen und einen gefüllten Tank. Da es erst zwei dieser Wasserstofftankstellen in Deutschland gibt, ist es noch unmöglich, auf einen weiteren eingebauten Benzintank zu verzichten. Nachdem der Wasserstoff verbraucht ist, kann auf Benzinverbrauch umgeschaltet werden. 6.7 Gefahren und Probleme von Wasserstoff Molekularer Wasserstoff ist ein leicht brennbares Gas. Beim Mischen mit Luft zu einem Volumengehalt von 4% bis 76% Wasserstoff entsteht Knallgas, das bereits durch einen wenig energiereichen Funken zur Explosion gebracht werden kann. Weiterhin reagiert es heftig mit Chlor und Fluor. D 2 O, auch schweres Wasser genannt, ist giftig für viele Lebewesen. Allerdings ist die für Menschen gefährliche Menge recht groß. Wird molekularer Wasserstoff in einfachen Metalltanks gelagert, so kommt es wegen der geringen Molekülgröße zu Diffusion, d.h. Gas 48 Chipkarte mit dem Guthaben in eine Konsole. Inzwischen sucht und öffnet der Tankarm schon den Tankdeckel und dockt an. tritt langsam aus. Dies ist insbesondere für mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge problematisch, wenn diese lange an einem abgeschlossenen Platz (Garage, Tiefgarage) stehen. Flüssiger Wasserstoff in Metalltanks neigt bei Beschädigungen oder Lecks zur Selbstentzündung. Bei kleinen Lecks in Flüssigwasserstoff- oder Hydridspeichern ist das Phänomen des Selbstverschließens durch den austretenden, gefrierenden Wasserstoff zu beobachten. Oberste Prämisse ist es, den Sicherheitsaspekt in der Gestaltung zu berücksichtigen. 7. Forderungskatalog an den gestalterischen Teil – Synthese – Konzeptansatz Der Brennstoffzellenantrieb braucht ein Image: Ein funktionierendes Vehikel, welches die Verwendbarkeit und Zukunftsfähigkeit von Wasserstoff als Antrieb zuverlässig demonstriert. Einige dieser Fahrzeuge bewegen sich gerade auf Rekordfahrt (in puncto Durchführbarkeit oder niedriger Verbrauch) quer durch Europa. Sie sind um die Popularisierung der Brennstoffzellen-Technologie bemüht. Meine Konzeption eines brennstoffzellenbetriebenen Fortbewegungsmittels möchte über die reine Durchführbarkeit einer solchen Etappe hinausgehen. Sie ist in den nächsten fünf bis zehn Jahren anzusiedeln. Das einwandfreie Funktionieren des Antriebes wird, bei voll ausgeschöpftem Entwicklungspotential, gewährleistet sein. Die Kommunikation der Antriebstechnologie wird über das Erscheinungsbild und Zusatzfunktionen stattfinden. Die Verfügbarkeit von elektrischem Strom unterwegs ist beispielsweise ein Aspekt, der näherer Betrachtung wert ist. Ebenfalls ist dem Transport von Beifahrern oder von Gütern, im Kontext einer immer stärker wachsenden Verkehrsdichte in den Städten, Beachtung zu schenken. Ein wichtiger Gesichtspunkt der Gestaltung ist ebenfalls das Geräusch der Elektromotoren. Im innerstädtischen Verkehr kann ein leiser Antrieb leicht überhört werden. Deswegen ist es evtl. sinnvoll, sich mit Warnsystemen oder Lautgebern auseinanderzusetzen ("Loud pipes save lives"). Kurz und knapp: die Usability des Fahrzeuges steht im Vordergrund. Identifikationsangebote an den Nutzer sollen, neben der Gewissheit eine saubere Technologie zu verwenden, durch die Möglichkeit des Selbst-Gestaltens geschaffen werden. Einsatzbereich Nische: z.B. "Reise um die Welt" Zusatznutzen Schutz Brennstoffzelle, Tank & passive Sicherheissysteme (Lautgeber) Verfügbarkeit von Elektrizität Beifahrer, Gepäck etc. Nutzung Anbauen & Umbauen Transportmöglichkeiten Fahrer Fahrzeug E-MotorenDirektantrieb für verschiede Einsatzzwecke Kartuschensystem chemische Speicherung = kein Tanken dezentral in der Radnabe Kommunikation Präsenz & Funktion der Brennstoffzelle 49 Bildverzeichnis 01, 02 Foto eines meiner Kellerprojekte 03 www.biol.rug.nl/miniatuurfietsen 04,11,21 Foto Technische Sammlungen, Dresden 05, 06 Preisliste für Fahrräder 1904 07 Canyon Bikes, www.canyon.de 08 Automobility 09 www.goldengala.it 10 www.motoforum.pl 12 www.mazda.de 13, 23, 26, 28-37, 39, 4, 50The Art of the Motorcycle 14 www.tu-clausthal.de 15 www.audi100-online 16 www.der-wankelmotor.de 17 www.fen-net.de-joachim.fritz-hercules 18 www.in.gr/auto 19 www.bimbo.fjfi.cvut.cz 20 www.theautomobile.ndirect.co.uk 24, 25, 63, 66, 67, 71 Hannover-Messe 2004 27 www.moto.it 38 www.gonemovies.com 40 www.oaklandmc.org 42-47 Standbilder aus Pete Townshends Film Quadrophenia 48 www.thechopperdome.nl 51 www.home.planet.nl/~motors-20th---century 52 www.uni-mainz.de/~lackmann 53, 56 www.motorrad.de 54 Katalog von Sachs zur Markteinführung der MadAss 55 www.ebay.de 57 www.bmw.it 58-60 Diplomarbeit Stefan Lerm 61 Heinz Hirdina, "Gestalten für die Serie" – Design in der DDR, S. 32 62 www.wbzu.de 64 www.wti-mv.de 65, 70 www.autobild.de 68, 69 www.spiegel.de 73, 74 Diplomarbeit Tobias Nagel Erklärung Hiermit erkläre ich, Stefan Oßwald, dass die Arbeit von mir selbst und ohne fremde Hilfe angefertigt wurde. 50