Sucht-Jahresbericht-2015 - Caritas Iserlohn, Hemer, Menden
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Sucht-Jahresbericht-2015 - Caritas Iserlohn, Hemer, Menden
B Jahresbericht 2015 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung 2. Zielsetzung/Konzeption 3. Strukturdaten 4. Klientenstruktur/Statistische Daten und Auswertung 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 5. Kooperation und Vernetzung 5.1 5.2 5.3 6. CHAMÄLEON - Kinder aus sucht- und seelisch belasteten Familien Glücksspielsucht Online-Beratung Medienabhängigkeit / Internetsucht Cari-Point – Selbsthilfegruppe Qualitätssicherung 8.1 8.2 8.3 9. Fortbildungen Informationsveranstaltungen Schwerpunktthemen 2015 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 8. Intern / Caritas-Netzwerk Extern / Kooperationen Arbeitskreise Bildungsmaßnahmen/Öffentlichkeitsarbeit 6.1 6.2 7. Einmalkontakte Längerfristige Betreuungen Nationalität Vermittlung/Zugangswege Altersstruktur Familienstand Wohnsituation Schulabschluss/Erwerbsstatus/Arbeitslosigkeit Suchtproblematik bei Beginn der Betreuung Psychiatrische Zusatzdiagnosen Maßnahmen während der Betreuungen Betreuungsbeendigungen Qualitätssicherungssystem EFQM PATFAK Light / Computergestützte Dokumentation und Auswertung Unabhängige Beschwerdestelle im Märkischen Kreis Resümee/Ausblick 10. Dank Bild Vorderseite: Fotolia -2- 1. Einleitung „In den letzten 25 Jahren gehörte mein Glas Wein zum Feierabend einfach dazu, ich fand das völlig normal, bis es im Laufe der Jahre immer mehr wurde. Aus dem Glas wurden schließlich zwei Flaschen. Als ich eines Morgens mit Restalkohol meinen Führerschein verlor, wurde mir klar, dass ich ein Problem habe.“ Herr H. (54 Jahre) Nach aktuellen Schätzungen der Diözesan-Caritasverbände in NRW gibt es in Nordrhein-Westfalen etwa 550 000 behandlungsbedürftige Alkoholkranke und etwa 1,6 Millionen Mitbetroffene. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Medikamentenabhängigen liegt bei etwa 350 000 Menschen. Zu den ca. 40 000 Glücksspielabhängigen kommen Menschen hinzu, die von weiteren nichtstoffgebundenen Süchten abhängig sind, wie z.B. der Arbeits-, Internet-, Kaufsucht oder mit Essstörungen. Die Psychosoziale Suchtberatung des Caritasverbandes Iserlohn, Hemer, Menden, Balve e. V. ist Teil des Hilfesystems für Suchtkranke im Märkischen Kreis, das den individuellen somatischen, psychischen und sozialen Folgen der Abhängigkeitserkrankung mit ihren unterschiedlichen Indikationen und Problemstellungen angemessene Beratungsund Behandlungsmöglichkeiten entgegenstellt. Wie in den Vorjahren befand sich auch im letzten Jahr der durchschnittliche Suchtmittelkonsum in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau. Gemäß Drogen- und Suchtbericht 2015 stellt Alkohol bis heute ein Kernproblem in der deutschen Suchtpolitik dar. Etwa 9,5 Millionen Bundesbürger trinken Alkohol in gesundheitlich riskanter Menge. Etwa 1,77 Millionen gelten als alkoholabhängig, rund 74.000 sterben jedes Jahr an den Folgen. Rein statistisch trinkt jeder Deutsche im Schnitt 9,5 Liter Reinalkohol pro Jahr. Das entspricht einer Badewanne voll Bier, Wein und Spirituosen. Damit liegt Deutschland laut der Untersuchung beim Alkoholkonsum auf Platz 5 der 34 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Nur in Luxemburg, Frankreich, Österreich und Estland wird nach DHS-Angaben mehr getrunken. Obwohl in Deutschland der durchschnittliche tägliche Alkoholkonsum rückläufig ist –wächst gleichzeitig aber die Zahl der Abhängigen. Trotz dieser alarmierenden Zahlen wird die Gefährlichkeit von Alkohol nach Einschätzung der DHS bis heute unterschätzt und verharmlost. Auch im vergangenen Jahr fanden viele Hilfesuchende den Weg in unsere Suchtberatungsstelle, die mit einer hohen Anzahl an kurzfristigen Beratungen und längerfristigen Betreuungen wieder sehr gut ausgelastet war (Kap. 4.2). -3- 21. Mai 2015, 11:27 Uhr Drogenbericht 2015 Zehntausende Deutsche sterben durch Rauchen Der Konsum illegaler Drogen in Deutschland steigt - doch noch viel mehr Menschen geraten wegen Alkohol und Tabak in eine lebensbedrohliche Lage. Hoffnung macht eine positive Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen. Verhängnisvoller Genuß: Zweithäufigster Anlass für einen Klinikaufenthalt 2013 waren psychische Störungen durch Alkohol Zehntausende Tote durch Rauchen, Hunderttausende Klinikaufenthalte wegen Alkohol und mehr Missbrauch künstlicher illegaler Drogen - das sind Kernaussagen des neuen Drogen- und Suchtberichts 2015. Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) stellte die Ergebnisse am Donnerstag in Berlin vor. Der Bericht fasst die wesentlichen Trends zusammen und stellt zugleich die Drogenpolitik der Bundesregierung dar. Ein Kernproblem bleibt der Alkoholmissbrauch. Laut Darstellung des Statistischen Bundesamts vom Februar, die auch der Drogenbericht nennt, waren der zweithäufigste Anlass für einen Klinikaufenthalt 2013 psychische Störungen durch Alkohol (338.204 Fälle) inklusive akutem Alkoholmissbrauch. An erster Stelle lag die Herzinsuffizienz. Knapp jeder vierte erwachsene Deutsche (24,5 Prozent) greift regelmäßig zur Zigarette. Tabakkonsum bleibe deshalb laut Bundesregierung das "größte vermeidbare Gesundheitsrisiko", dem jährlich bis zu 110.000 Menschen zum Opfer fielen. Zumindest bei Kindern und Jugendlichen beobachtete die Bundesdrogenbeauftragte eine positive Entwicklung: "Erstmals lag 2014 die Raucherquote bei Kindern und Jugendlichen unter zehn Prozent und auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen aufgrund von Alkoholvergiftungen ging zurück", sagte Mortler. Allerdings habe sich der Trend zum Nichtrauchen bei Erwachsenen nicht in gleichem Maße fortgesetzt. Sorgen bereite Mortler eine wachsende Nachfrage nach E-Zigaretten. Fast jeder fünfte Jugendliche habe zudem schon E-Shishas probiert. Das angekündigte Verbot für Minderjährige komme 2016. "Joint nicht schönreden" Die Zahl der Drogentoten sei im Vorjahr moderat angestiegen, berichtete die Politikerin. Bei einigen illegalen Substanzen gebe es negative Entwicklungen. So nehme die Verbreitung von Crystal Meth zu. Auch der Konsum von Amphetaminen sei zuletzt wieder angestiegen. Bereits im April hatte eine vergleichbare offizielle Studie gezeigt, dass immer mehr Menschen in Deutschland zu hochgefährlichen künstlichen Drogen wie Crystal Meth oder Legal Highs greifen. Angesichts der Debatte um eine Cannabis-Freigabe warnte Mortler erneut davor, die Droge zu verharmlosen. Rund 600.000 vorwiegend junge Menschen haben laut dem Bericht Probleme mit Cannabis. Cannabiskonsum sei bei den unter 25-Jährigen der Hauptgrund für eine Suchtbehandlung. Mortler sagte, zwischen 2007 und 2013 sei die Zahl der Betroffenen um 31 Prozent gestiegen. "Cannabis ist eine ernsthafte Gesundheitsgefahr gerade für Jugendliche", mahnte sie, "deshalb müssen wir alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, es sei ein harmloses Genussmittel." Sie wandte sich gegen Forderungen wie jüngst von der FDP nach Freigabe von Cannabis jenseits medizinischer Zwecke. Die Nachfrage nach Beratung und Behandlung aufgrund von Cannabiskonsum steige. Zuletzt hatte der gemeinsame Vorstoß des CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer und des Grünen-Politikers Dieter Janecek für eine Cannabisfreigabe für Wirbel gesorgt. Mortler lehnt einen solchen Schritt entschieden ab. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor zunehmenden Legalisierungstendenzen in der Drogenpolitik. Der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow erklärte, es müsse "endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden". Eine Freigabe sogenannter weicher Drogen sei "das absolut falsche Signal". Gerade bei Jugendlichen könne der Konsum von Cannabis zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen. nik/dpa/AFP -4- Im Berichtsjahr konnten wir unser Gruppenangebot der Nachsorgebehandlung im Rahmen des Kooperationsverbundes „Ambulante Rehabilitation Sucht Märkischer Kreis“ (ARS-MK) fortführen. Im vergangenen Jahr nahm die Zahl unserer lebensälteren Klienten vergleichsweise stark zu (Kap. 4.5). Mit dem Thema Sucht im Alter beschäftigten wir uns auch im Rahmen der gleichnamigen kreisweiten Kampagne, zu der die Gesundheitskonferenz des Märkische Kreis aufgerufen hatte. Wir informierten in zwei Vortragsveranstaltungen die Pflegeschwestern unserer Sozialstationen und gingen dabei speziell auf die Problematik in der Krankenpflege ein (Kap. 6.2). Wie in den vergangenen Jahren konnte unser Kinderprojekt CHAMÄLEON -teilweise aus Spenden finanziert- fortgesetzt werden und sich auch in Hemer und Menden weiter etablieren (Kap. 7.1). Die Quote der Glücksspieler bei Automatenspielen und Sportwetten steigt seit Jahren stetig an. Einer Studie der Bunderegierung zufolge finden sich aber gerade unter dieser Gruppe besonders häufig sogenannte Problemspieler, die als spielsüchtig gelten müssen oder durch das regelmäßige Glücksspiel massive Schwierigkeiten im Alltag haben. Mittlerweile mehren sich Klienten, die Glücksspiel im Internet betreiben. Entsprechend wurde im Berichtsjahr auch dem Thema Glücksspielsucht in unserer Suchtberatung eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt (Kap. 7.2). -5- 2. Zielsetzung/Konzeption Seit 1993 leistet die Psychosoziale Suchtberatung des Caritasverbandes Iserlohn, Hemer, Menden, Balve e. V. im Verbund der Iserlohner Beratungsstellen ihren Dienst im Suchthilfesystem des Märkischen Kreises mit den Schwerpunkten Alkohol und Glücksspielsucht wie auch in der Beratung bei weiteren legalen stoffgebundenen (Medikamente) und nicht substanzbezogenen Süchten (z.B. pathologisches Kaufen) und komplettiert das Beratungsangebot Iserlohns. In den von uns erbrachten Dienstleistungen steht der Mensch mit seiner seelischen, sozialen, geistigen und körperlichen Gesundheit im Mittelpunkt. Die Angebote der Beratungsstelle richten sich an Konsumenten, Angehörige und Interessierte, die umfassende Beratung, Begleitung und Unterstützung suchen und eine Veränderung ihrer aktuellen Lebenssituation anstreben. Im Rahmen ihrer auf den individuellen Einzelfall ausgerichteten Tätigkeiten übernimmt die Suchtberatungsstelle folgende Aufgaben: Umfassende Information und Beratung Einbeziehung von Selbsthilfeaktivitäten und ihre Vermittlung Einbeziehung von Angehörigen und weiteren Bezugspersonen Begleitende Hilfen im sozialen Umfeld Vorbereitung und Vermittlung in Entgiftungs- und Entwöhnungsmaßnahmen Durchführung einer Nachsorgebehandlung Kriseninterventionen Prävention Das Thema Glücksspiel nimmt einen besonderen Schwerpunkt in unserer Arbeit ein. Das Angebot in diesem Bereich wird ergänzt durch eine angeleitete Gruppe für pathologische Glücksspieler und deren Angehörige (s. Kap. 7.2). Die Suchtberatung unterstützt die um Rat suchenden Menschen in ihrer Motivation zur möglichst abstinenten Lebensführung und fördert ihre Veränderungsbereitschaft. Unser Angebot trägt dazu bei, deren gesundheitliche, psychische und soziale Lebenssituation schrittweise zu stabilisieren und nachhaltig zu verbessern. In unserer Arbeit orientieren wir uns an der Rahmenkonzeption für ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen der Suchthilfe der Caritas und ihrer Fachverbände in NRW. Die chronische Krankheit Sucht erfolgreich zu behandeln bedeutet in der Regel, das manifeste Stadium der Sucht zu überwinden und den Widerausbruch zu verhindern. Dabei beraten wir vorrangig -6- nach dem integrativen und systemischen und verhaltenstherapeutischen Ansatz. Da eine sinnvolle Beratung und Betreuung nur Erfolg versprechend ist, wenn die Befriedigung der Grundbedürfnisse weitestgehend sichergestellt ist, berücksichtigen wir in unseren Gesprächen auch die Bereiche der allgemeinen Sozialberatung, wie Wohnen, Arbeit, soziale Beziehungen und die finanzielle Situation. Die Angebote der Beratungsstelle orientieren sich am individuellen Hilfebedarf und an den persönlichen Fähigkeiten und Ressourcen der Betroffenen, wobei der Blick nicht nur auf die suchtgefährdeten und suchtkranken Menschen, sondern auch auf die mit betroffenen Menschen im sozialen Umfeld gerichtet ist. Die jeweils konkreten Ziele werden zusammen mit dem Hilfesuchenden im Rahmen der Beratung erarbeitet. Diese Ziele können sehr unterschiedlich sein: Angefangen bei der Sicherung des Überlebens über die Reduzierung der Trinkmenge bis zur dauerhaften Abstinenz. Diese Ziele sind nicht statisch sondern in Absprache, entsprechend der jeweiligen Lebenssituation, veränderbar. -7- 3. Strukturdaten Die Suchtberatung arbeitet mit zwei Fachkräften und einer Verwaltungskraft und ist zuständig für die Versorgung der ca. 93.000 Iserlohner Bürger. Durch die Lage im innerstädtischen Bereich in unmittelbarer Nähe der Iserlohner Fußgängerzone ist eine verkehrsgünstige Erreichbarkeit, insbesondere mit dem öffentlichen Nahverkehr gegeben. Der Beratungsstelle stehen zwei Büros und ein Gruppenraum zur Verfügung. Sie ist mit einem Faxgerät und einer Telefonanlage mit Anrufbeantwortern ausgestattet. Während der Öffnungszeiten sind wir telefonisch erreichbar. In der Regel erfolgen Beratungsgespräche nach Terminvereinbarung. Für Berufstätige werden auch Termine nach 17.00 Uhr angeboten. Zeitliche Erreichbarkeit : montags und dienstags mittwochs donnerstags freitags 8:00 8:00 8:00 8:00 – – – – 16:30 18:30 17:00 14:00 Uhr Uhr Uhr Uhr Offene Angebote: Offene Sprechstunde montags (wöchentlich) 13:30 – 16:00 Uhr Außensprechstunde: Wohnungslosenhilfe Iserlohn dienstags (monatlich) 11:00 – 12:00 Uhr Außensprechstunde: Werkstatt im Hinterhof mittwochs (monatlich) 13:30 – 14:30 Uhr Gruppenangebot: Angeleitete Selbsthilfegruppe Glücksspiel mittwochs (zweiwöchentlich) 17:30 – 19:00 Uhr Nachsorgegruppe montags (wöchentlich) 17:30 – 19:30 Uhr Die Suchtberatung verfügt über zwei im Netzwerk verbundene Computerarbeitsplätze. Die Klientenerfassung und –verwaltung erfolgt mit dem Programm PATFAK Light (s. Kap. 8.2). -8- 4. Statistische Daten und Auswertung Im Jahr 2015 nahmen insgesamt 508 Hilfesuchende Kontakt zu unserer Beratungsstelle auf. In 318 Fällen handelte es sich dabei um Einmalkontakte, bei 190 Klienten kam es zu längerfristigen Betreuungen. 4.1 Einmalkontakte „Unser 24-jähriger Sohn ist seit ein paar Jahren glücksspielabhängiger Automatenspieler. Wir haben ihn vor einem Jahr aus unserem Haus geschmissen, weil er zum wiederholten Male Geld und Wertgegenstände geklaut hat. Wir fühlten uns in unserem eigenen Haus nicht sicher. Wir sind Selbstständig und arbeiten sehr hart für unser Geld. Unser Sohn hat erst Fachabitur gemacht und dann eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Bis vor 2 Jahren lief alles gut, dann veränderte sich unser Sohn zunehmend. Er log, betrog und stahl, seit einem Jahr hat er jetzt eine eigene Wohnung, die jetzt wegen Mietschulden gekündigt wurde. Jetzt wollte er zurück zu uns, eine Behandlung wegen seiner Spielsucht lehnt er kategorisch ab. Wir wollen nur wissen, ob es wirklich richtig ist, dass wir ihn jetzt nicht wieder zu Hause aufnehmen. Es fällt uns unendlich schwer, aber ohne Krankheitseinsicht sehen wir einfach keine Möglichkeit mehr, ihm zu helfen.“ Ehepaar U. (beide Anfang 50) Im Jahr 2015 fanden 318 Einmalkontakte statt (157 Männer und 161 Frauen). Dabei kam es jeweils zu einem telefonischen oder persönlichen Gesprächstermin im Berichtsjahr. Bei den Einmalkontakten hatten 189 Personen eine eigene Suchtproblematik, weitere 123 Personen kamen aus dem familiären Umfeld von suchterkrankten Personen und 6 aus dem sonstigen Umfeld. Einmalkontakte 6 Eigene Problematik 123 Personen im sozialen Umfeld Sonstige 189 Personen im sozialen Umfeld sind häufig professionelle Helfer aus dem ambulant betreuten Wohnen (ABW), aber auch Berufsbetreuer, Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen. Auffällig ist, dass überwiegend weibliche Angehörige um Hilfe im Umgang mit einem suchterkranken Angehörigen baten. -9- 4.2. Längerfristige Betreuungen Fallbeispiel: Herr A (35 Jahre): “Ich habe schon mein Leben lang mit dem Saufen zu tun. Mein Vater war auch Alkoholiker. Er war auf Montage und meistens nicht da. Wenn es Geld gab, versoff er es in der Kneipe und kam dann betrunken nach Hause. Häufig schlug er uns und meine Mutter. Nicht selten haben wir gehungert und es fehlte an den einfachsten Sachen, wie z. B. Klopapier. Später haben sich meine Eltern dann getrennt, von da an hatte ich gar keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. Ich weiß nur dass er irgendwann obdachlos gewesen sein soll und sich wohl tot gesoffen hat. Lügen und verheimlichen gehörte in meinem Alltag dazu. In der Schule durfte niemand etwas mitbekommen. Ich habe mir geschworen, niemals so zu werden wie mein Alter, aber irgendwie ist es dann doch anders gekommen. Mit 12 Jahren habe ich dann das erste Mal Alkohol probiert. Ich spürte die entspannende und auch euphorisierende Wirkung von Alkohol, von da an trank ich regelmäßig mit meinen Freunden. Mit 16 Jahren kam dann das Kiffen dazu und ich später zog ich sporadisch Amphetamine. Ich glaubte immer alles im Griff zu haben. Als ich dann mit 18 Jahren meine Freundin kennenlernte, schraubte ich meinen Konsum runter, illegale Drogen nahm ich überhaupt nicht mehr. Als sie mit 20 Jahren schwanger wurde, heirateten wir. Jetzt hatte ich eine eigene richtige kleine Familie! Ich bekam einen Job in einer Gießerei und konnte meine Familie ernähren. Das Feierabendbier gehörte selbstverständlich dazu, am Wochenende konsumierte ich mit ein paar Freunden auch mal mehr. Irgendwie lief in den nächsten Jahren alles gut, bis zu dem Tag, als ich meine Frau mit meinem besten Freund in unserem Ehebett erwischte. Da brach für mich eine Welt zusammen. Ich nahm ein paar Sachen, einen Schlafsack und kehrte nicht mehr nach Hause zurück. Ich betrank mich tagelang bis zur Besinnungslosigkeit. Ich hob soviel Geld von meinem Konto ab, wie ich bekommen konnte. Sollte sie doch sehen wo sie blieb. Mir war eigentlich alles egal. Ich verlor meinen Job, weil ich einfach nicht mehr hinging, wozu? Es war doch sowieso alles vorbei. Mein Leben war ein einziger Scherbenhaufen. Ich lebte bei wechselnden Saufkumpanen, war obdachlos, hatte keine Familie mehr und war völlig allein. Alkohol bestimmte mein Leben. Inzwischen benötigte ich schon morgens meinen Schnaps um meinen körperlichen Entzug kontrollieren zu können. Irgendwann trank ich mich ins Koma und wachte in der Hans-Prinzhorn-Klinik wieder auf. Ich hatte Glück und die behandelnde Ärztin führte ein Gespräch mit mir, sie wollte wissen, wie es zu meiner jetzigen Situation gekommen sei. Hier hörte mir zum ersten Mal jemand zu und ich merkte, dass es so nicht weiter gehen konnte. Sie bot mir eine qualifizierte Entgiftung für 3 Wochen an und eine Vermittlung in eine Langzeitentwöhnungsbehandlung. Da der Sozialdienst in der Hans-Prinzhorn-Klinik überlastet war, legte man mir einen Besuch in der Suchtberatung in Iserlohn nahe. Die dortige Mitarbeiterin Frau von Holten vermittelte mich dann in eine Langzeittherapie. Insgesamt durfte ich 5 Wochen in der Hans-Prinzhorn-Klinik bleiben, damit meine Therapie nahtlos beginnen konnte. Während der Therapie in Dortmund suchte ich mir eine neue Wohnung in Iserlohn und beantragte ALG II. Nach der Therapie vermittelte mich Frau von Holten noch ins ambulant betreute Wohnen und zeitgleich besuchte ich regelmäßig die Nachsorgegruppe der Suchtberatung. Ich bin jetzt seit einigen Monaten trocken. Rückblickend hätte ich nie gedacht, dass mir in meinem Leben so was passiert. Für mich waren Obdachlose immer Leute die selber Schuld waren an ihrer Misere, weil sie nicht arbeiten wollten. Dass ich selber da mal rein gerate hätte ich nicht gedacht. In der Therapie habe ich gelernt über Probleme zu reden, das möchte ich auch jetzt weiter machen. Aus der Zeit der Obdachlosigkeit habe ich noch viele Schulden und meine Ex-Frau verweigert mir zur Zeit noch den Kontakt zu meiner Tochter. Hier muss ich vermutlich einen Rechtsanwalt einschalten. Ein Job ist auch noch nicht in Aussicht, eine Lücke von zwei Jahren im Lebenslauf macht sich nicht so gut. Die Leute fragen halt, was man in dieser Zeit gemacht hat, wenn man dann ehrlich ist, hat man meistens sowieso keine Chance mehr. Trotz der vielen Probleme, hoffe ich trotzdem, dass ich abstinent bleibe. Deshalb ist mir der regelmäßige längerfristige Kontakt zur Suchtberatung wichtig.“ - 10 - Geschlechterverteilung männlich weiblich 128 62 In 190 Fällen kam es zu längerfristigen Betreuungen (128 Männer und 62 Frauen). Bei diesen Kontakten fanden jeweils mindestens zwei Gesprächstermine im Berichtsjahr statt. Die Aufteilung in 67% Männer- und 33% Frauenanteil ist im Vergleich zu den Vorjahren fast unverändert. - 11 - 4.3 Nationalität In 2015 waren 177 der langfristig betreuten Personen deutsche Staatsangehörige, 7 Personen hatten die polnische Staatsbürgerschaft. Bei 6 Personen lag eine andere Staatsbürgerschaft vor. Staatszugehörigkeit 177 26 7 1 Deutschland Migranten Frankreich Libanon Portugal Bosnien-Herzegowina USA Polen 12 1 1 Die Anzahl der Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit lag bei 26 Personen. Die Kommunikation mit fremdsprachigen Klienten verlief größtenteils zufrieden stellend, da diese über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten oder im Einzelfall in Begleitung von Personen waren, die übersetzten. - 12 - 4.4 Vermittlung / Zugangswege Die Motivation, unsere Beratungsstelle zu kontaktieren ging bei 70 Personen aus Eigeninitiative hervor, 25 kamen auf Anraten und Drängen von Familienangehörigen. 11 Personen wurden durch Angebote des ambulant betreuten Wohnens zu uns vermittelt. Die Zahl der vom Arbeitgeber vermittelten Klienten blieb im Jahr 2015 mit 5 Klienten nahezu gleich. Vermittlung durch ... 70 70 60 50 40 30 25 18 20 10 9 3 5 7 9 4 12 11 5 4 2 1 2 3 0 ohne Vermittlung Familie/Freunde Selbsthilfegruppe Arbeitgeber/Schule Agentur für Arbeit/Jobcenter Justizbehörde/Bewährungshilfe/JVA Kosten-/Leistungsträger Arzt/Psychotherapeut Krankenhaus stat. / teilstat. Suchteinrichtung andere Beratungsdienste Suchtberatung/Fachambulanz Betreute Wohnangebote stat. /teilstat. Einr. der Sozialtherapie niedrigschwellige Angebote Jugendamt/Jugendhilfe Sonstige Im Jahr 2015 wurden 9 Klienten betreut, die direkt von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter an uns übermittelt wurden (s. Kap. 4.8) Diese hatten jedoch zu Beginn der Beratung keine Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet. Somit handelte es sich hierbei um ein freiwillig wahrgenommenes Angebot ohne entsprechende Auflagen. - 13 - 4.5 Altersstruktur Altersstruktur 8 über 60 weiblich 5 männlich 20 51 - 60 25 18 41 - 50 11 31 - 40 50 25 4 21 - 30 17 1 unter 21 0 6 10 20 30 40 50 60 Der Hauptanteil der Ratsuchenden kam auch in diesem Jahr sowohl bei Männern (79) wie auch bei Frauen (41) aus der Altersgruppe der 41 - 60jährigen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist hier der Anteil der Männer und Frauen annähernd gleich geblieben. Die Zahl der Ratsuchenden im Alter von 31 - 40 Jahren blieb mit 36 Personen im Vergleich zu den Vorjahren ebenfalls gleich. Der Anteil der über 60-jährigen Klienten war mit 13 Personen im Vergleich zum Vorjahr vergleichsweise stark vertreten. In diesem Jahr haben erneut in dieser Altersgruppe mehr Frauen als Männer unser Hilfsangebot wahrgenommen. Der Anteil der über 63jährigen Klienten war mit 6 Personen im Vergleich zum Vorjahr gleich. Die Anzahl von 28 Personen in der Altersgruppe der bis 30-jährigen lässt sich unter anderem durch den hohen Anteil von Glücksspielabhängigen erklären, deren Suchtproblematik im Vergleich zum Alkohol in der Regel sehr viel früher auffällig wird (s. Kap. 7.2).Hier zeigen sich auch die ersten jungen Menschen mit ausgeprägten Problemen beim Computergebrauch (Spielen, Chatten und Surfen im Internet, s. Kap. 7.4). Aber auch die Klienten mit Alkoholproblemen werden mittlerweile beispielsweise durch wiederholte Straftaten oder Krankenhauseinlieferungen mit Alkoholvergiftungen früher auffällig und finden mittlerweile darüber den Weg in unsere Beratungsstelle. - 14 - 4.6 Familienstand Familienstand 40 10 ledig verheiratet verheiratet, getrennt lebend geschieden verwittwet 19 78 43 „Meine Kinder sind erwachsen und haben nach der Trennung von meiner Frau vor einigen Jahren den Kontakt zu mir abgebrochen. Ich lebe jetzt alleine in meinem Haus. Bis vor zwei Jahren habe ich 41 Jahre immer nur gearbeitet, durch Krankheit bin ich arbeitslos geworden. Ich habe keine Freunde und auch keine Hobbys. Wenn ich trinke, brauche ich die Stille und die Einsamkeit nicht mehr aushalten, dann vergehen die Tage schneller. “ Herr W. (57 Jahre) Im vergangenen Jahr gaben 59 betreute Personen als Familienstand geschieden oder getrennt lebend an. 78 Ratsuchende waren nicht verheiratet. Die Gruppe 43 Personen. der verheirateten Betroffenen bestand aus Auffällig ist, dass mit 52 % ein Großteil unserer Hilfesuchenden (98 Personen) allein lebend ist. In diesem Trend zeigt sich ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, immer weniger Betroffene verfügen über einen starken familiären Rückhalt, der sie in Krisensituationen auffangen kann. Einen Schwerpunkt in der Beratung nimmt demzufolge die Aufrechterhaltung und Schaffung von sozialen Netzwerken unserer Klienten ein. 48 % unserer Kunden (92 Personen) leben noch in einer festen Beziehung. In diesen Fällen wurde auch die eventuelle CoAbhängigkeit von den Angehörigen thematisiert und weiterführende Hilfe empfohlen und angeboten. - 15 - 4.7 Wohnsituation Von 190 Klienten wohnten 149 (95 männliche und 54 weibliche) Personen selbständig, allein oder mit Partner. 8 Personen gaben als Adresse Freunde oder Verwandte an, in einer ambulanten oder stationären betreuten Wohnform lebten 29 Personen. 3 Personen lebten in einem Wohnheim, 1 Person war zum Zeitpunkt der Beratung in einer Notunterkunft untergebracht. Wohnsituation 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 männlich 95 weiblich 54 22 7 selbständiges Wohnen 7 1 mit anderen Personen 3 0 Ambulant betreute Wohnformen - 16 - Wohnheim 1 0 Notunterkunft 4.8 Schulabschluss / Erwerbsstatus / Arbeitslosigkeit Ein hoher Anteil von 81 Personen hatte den Hauptschulabschluss, 13 den Sonderschulabschluss, 44 Personen den Realschulabschluss, 34 Abitur. 18 Betreute verließen die Schule ohne Abschluss. Höchster Schulabschluss 18 13 Hauptschulabschluss Realschulabschluss (Fach)Abitur 34 Sonderschulabschluss ohne Schulabschluss 81 44 Arbeitslosigkeit war wie in den Vorjahren ein zentrales Problem, von dem 44 % unserer Kunden (84) betroffen waren. In dieser Zahl sind EU-Rentner und Grundsicherungsempfänger (10 %) oder andere nicht erwerbstätige Personengruppen noch nicht berücksichtigt. Erwerbsstatus 67 70 60 54 50 40 30 10 17 18 20 5 6 6 6 2 0 - 17 - 8 Arbeiter/Angestellte/Beamte/in Selbständige/r Auszubildende/r Schüler/Student/in Hausfrau/mann Erwerbsunfähigkeitsrente Rentner/in Arbeitslos ALG II Arbeitslos ALG I Grundsicherung SGB XII Von den 84 arbeitslos gemeldeten Klienten bezogen 67 Personen ALG II. 17 Personen bezogen Arbeitslosengeld I. Der hohe Anteil der ALG-II-Empfänger in unserer Jahresstatistik zeigt deutlich, dass Sucht ein großes Vermittlungshemmnis darstellt und zu längerfristiger Arbeitslosigkeit führt. Trotz der wirtschaftlich stabilen Lage in 2015 erhöhte sich das Angebot an Arbeitsplätzen für unsere langzeitarbeitslosen Betreuten nicht. Die Zahl der arbeitslosen KlientInnen ist 2015 sogar leicht angestiegen. Leider kommen aber immer noch die meisten unserer Klienten nicht mehr aus der Armutsspirale heraus. Der Aufschwung kommt bei unseren ALG II-Empfängern nicht an. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten für über 25-jährige Suchtmittelabhängige und fast keine Umschulungsund Qualifizierungsmaßnahmen für unsere KlientInnen führen zu Perspektivlosigkeit und verschlechtern den psychischen Gesundheitszustand unserer Klienten nachhaltig. 26. Oktober 2015, 09:37 Uhr Teure Verwaltung Weniger arbeitslose Hartz-IV-Empfänger bekommen Weiterbildung Weil Geld für entsprechende Kurse fehlt, können laut einem Bericht immer weniger arbeitslose Hartz-IVEmpfänger Weiterbildungen absolvieren. Offenbar wird stattdessen in die Verwaltung der Jobcenter investiert. Die Regierung spart bei Weiterbildungskursen für Hartz-IV-Empfänger ohne Job. Die Zahl der Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen sei wegen Geldmangel in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen, berichtete die "Saarbrücker Zeitung". Sie beruft sich dabei auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Demnach ist die Zahl der arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger, die von staatlichen Qualifizierungsmaßnahmen profitieren, seit 2010 um rund 76.000 auf knapp 150.000 Personen zurückgegangen. Die Ausgaben der Jobcenter zur Förderung der beruflichen Weiterbildung seien zugleich von 923 Millionen auf 681 Millionen Euro gesunken. Die Arbeitsmarktexpertin der Linken, Sabine Zimmermann, sprach von einem "Kahlschlag" in der Arbeitsmarktpolitik. "Statt an der Zukunft der Erwerbslosen zu sparen, brauchen wir mehr Geld für gute Arbeitsförderung", sagte Zimmermann. Laut dem Bericht schrumpft das Budget der Jobcenter für Fortbildungsmaßnahmen vor allem deshalb, weil es vom Bund kein zusätzliches Geld gibt, zugleich aber die Verwaltungskosten einen immer größeren Teil der Etats verschlingen. Allein 2014 schichteten Jobcenter demnach 522 Millionen Euro aus dem Etat für Arbeitsmarktpolitik in den Verwaltungsetat um. mmq/dpa In diesem Zusammenhang weisen wir auf die Forderung der Freien Wohlfahrtspflege hin, einen „Dritten Arbeitsmarkt“ einzurichten um unseren langzeitarbeitslosen Klienten eine sinnvolle und stabilisierende Beschäftigungsmöglichkeit und damit eine Zukunftsperspektive vermitteln zu können. Wir halten diese Forderung für sinnvoll und möchten sie an dieser Stelle unbedingt unterstützen. - 18 - „Als ich vor einigen Jahren noch einen 1-€-Job in der Stadtreinigung hatte, war es für mich kein Problem, abstinent zu bleiben. Die Maßnahme wurde insgesamt vier Mal verlängert, so dass ich insgesamt zwei Jahre beschäftigt war. In dieser ganzen Zeit fühlte ich mich gebraucht und wertgeschätzt. Ich habe mich mit meinen Kollegen gut verstanden und hatte eine Tagesstruktur. Das war die beste Zeit in meinem Leben! Seither bin ich wieder auf der Arbeitssuche, aber mit 50 stellt einen sowieso keiner mehr ein. Das Jobcenter sagt mir, dass es so gut wie keine 1,50-€-Maßnahmen mehr gibt und wenn höchstens für 3 Monate. Das bringt ja dann für mich auch nichts mehr! Ich würde auch umsonst arbeiten, aber auch das geht wohl nicht, wegen der Versicherung. Seit einiger Zeit trinke ich wieder!“ Herr K. (51 Jahre) In den letzten Jahren fällt bei unseren Klienten ein immer stärker zunehmender Anteil erwerbsunfähiger Personen (26) auf, die Grundsicherung (8) nach dem SGB XII und / oder eine Erwerbsunfähigkeitsrente (16) erhalten. Hierbei handelt es sich um Menschen, welche längerfristig nicht mehr in der Lage sind, für mindestens 3 Stunden pro Tag einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ein Teil der langzeitarbeitslosen Menschen sind psychisch und physisch so schwer erkrankt, dass sie von dem medizinischen Dienst des Jobcenters in die Grundsicherung überführt werden. Leistungen nach dem SGB XII werden erst gezahlt, wenn der eigene Lebensunterhalt nicht aus einer ausreichenden Erwerbsunfähigkeitsrente bestritten werden kann, weil der Empfänger zu geringe Beiträge oder zu kurze Beitragszeiten bei der Deutschen Rentenversicherung vorweisen kann, oder weil ein Antrag auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente abgelehnt wurde. Die Grundsicherung und auch die Erwerbsunfähigkeitsrente werden in der Regel erst einmal für zwei Jahre gezahlt. Danach wird durch eine erneute medizinische Überprüfung festgestellt, ob sich der gesundheitliche Zustand wieder verbessert hat und der Betroffene wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen kann. In diesem Fall erhält er dann wieder Leistungen vom Jobcenter. - 19 - 20. Dezember 2015, 10:39 Uhr Jobmarkt Immer mehr Ältere sind auf Hartz IV angewiesen Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Doch viele Ältere haben davon selbst in Zeiten des Aufschwungs nichts. Immer mehr von ihnen sind auf Hartz IV angewiesen. Trotz deutlich gesunkener Arbeitslosigkeit sind immer mehr ältere Menschen ohne Arbeit auf Hartz IV angewiesen. So stieg die Zahl der 55-Jährigen und Älteren mit Hartz IV von rund 257.000 im Jahresdurchschnitt 2010 kontinuierlich um 24 Prozent auf 318.000 im vergangenen Jahr. Das geht aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine entsprechende Anfrage der stellvertretenden Linken-Fraktionsvize Sabine Zimmermann hervor. Im laufenden Jahr setzten sich die Entwicklung fort. Im November 2015 stieg die Zahl der älteren arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher im Vergleich zum Vorjahr von rund 315.000 auf 321.000. Nicht in den Zahlen enthalten sind rund 163.000 Hartz-IV-Bezieher über 58 Jahre, denen ein Jahr lang keine Arbeit angeboten wurde. Diese werden nicht mehr als arbeitslos gezählt. Insgesamt ging die Zahl der Erwerbslosen im Hartz-IV-Bereich seit 2010 um gut neun Prozent auf rund 1,97 Millionen im vergangenen Jahr zurück. Zimmermann sagte, ältere Erwerbslose und ältere Arbeitnehmer seien nach wie vor die großen Verlierer am Arbeitsmarkt. "Selbst in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs haben sich die Chancen für ältere Langzeiterwerbslose nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert", sagte die arbeitsmarktpolitische Fraktionssprecherin. Bei den Arbeitgebern habe kein Umdenken stattgefunden, auch Älteren verstärkt eine Chance zu geben. Der Bundesregierung warf Zimmermann vor, die Beschäftigungssituation von Älteren schönzureden. Programmiert sei eine deutliche Zunahme von Altersarmut. "Immer mehr der Älteren im Hartz-IV-Bezug konnten nämlich keine Rentenansprüche erwerben, die über dem Hartz-IV-Niveau liegen", erläuterte Zimmermann. Im Rentenalter seien die Betroffenen dann auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Zimmermann forderte, für ältere Erwerbslose mehr zu tun. Wer als Hartz-IV-Bezieher über 58 Jahren ein Jahr ohne jedes Jobangebot bleibe, dürfe nicht mehr aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen werden. Schluss sein müsse auch mit der Zwangsverrentung von Hartz-IV-Beziehern. Denn heute werden Hartz-IV-Beziehende ab 63 verpflichtet, einen Rentenantrag zu stellen. asc/dpa - 20 - 4.9 Suchtproblematik bei Beginn der Betreuung Von den 190 Personen, die sich 2015 längerfristig in unserer Betreuung befanden, lag bei 150 der deutliche Schwerpunkt in einer Alkoholproblematik, gefolgt von der Gruppe der Pathologischen Glücksspieler (s. Kap. 7.2) mit 23 Personen, 1 Person wandte sich mit der Diagnose Medikamentenabhängigkeit, 2 Personen mit einer Cannabisabhängigkeit und 2 Person mit Essstörungen an unsere Beratungsstelle. Mit 12 Personen ist die Zahl der zusätzlich betreuten Angehörigen im Vergleich zum Vorjahr gleichbleibend. Primärsymptome 150 Angehörige Alkohol Medikamente Essstörungen Glücksspiel Cannabis 12 2 1 2 23 Von den in 2015 Betreuten gaben 110 Personen an, täglich zu rauchen, somit wiesen 58 % unserer Klienten eine zusätzliche Tabakabhängigkeit auf. 11 Klienten konsumierten zusätzlich regelmäßig Cannabisprodukte. 5 Personen nahmen neben Alkohol auch episodisch oder regelmäßig andere Substanzen zu sich. Hilfesuchende, die ein Suchtproblem mit vorrangig illegalen Drogen hatten, verwiesen wir in der Regel an die Anonyme Drogenberatung e.V. in Iserlohn (DROBS). - 21 - 4.10 Psychiatrische Zusatzdiagnosen „Ich habe in meinem Leben viel erreicht. Ich war beruflich im oberen Management tätig, war international unterwegs, spreche 5 Sprachen fließend, darunter Chinesisch und in den letzten 20 Jahren war die Welt mein zu Hause. Doch dann starb meine 23-jährige Tochter bei einem Unfall, das hat mich völlig aus der Bahn gehauen. Meine Ehe zerbrach, unsere Immobilien wurden verkauft und mir wurde zunehmend alles egal. Wofür lohnte es sich jetzt noch 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Erst versuchte ich normal weiterzuarbeiten, zum Vergessen konsumierte ich am Abend Wein. Schnell wurden daraus 2 Flaschen pro Tag. Irgendwann ging dann auf der Arbeit gar nichts mehr und ich wurde gefeuert. Von da an lebte ich von meinem Ersparten und trank täglich bereits am Vormittag Wein. Eines Tages knüpfte ich mir einen Strick. Ich wollte nicht mehr leben. Zum Glück hielt dieser aber nicht, so dass ich mir bei dem Sturz einen Wirbel anbrach. Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich meinen Bruder anrief, er alarmierte den Krankenwagen, der mich in ein normales Krankenhaus einlieferte. Dort wurde mir die Suchtberatung empfohlen, die mich im Beratungsprozess dann schließlich in die HansPrinzhorn-Klinik vermittelte. Dort wurden die Diagnosen Depression und narzisstische Persönlichkeitsstörung gestellt. Seither bekomme ich Medikamente und bin regelmäßig in der Suchtberatung. Langfristig möchte ich noch eine ganztägig ambulante Langzeitentwöhnungsbehandlung beantragen und eine ambulante Psychotherapie machen, um den Tod meiner Tochter zu verarbeiten.“ Herr L. (53 Jahre) Bei unseren Betreuten werden seit einigen Jahren immer häufiger zusätzliche psychische Erkrankungen (Komorbiditäten) diagnostiziert, welche mit der Suchterkrankung zusätzlich deutlich werden und oftmals fachärztlich behandelt müssen. Der Anteil der Klienten mit mindestens einer weiteren psychischen Erkrankung lag 2015 bei 64 % und ist damit im Vergleich zum Vorjahr noch einmal angestiegen! Seit einigen Jahren spiegelt sich damit der Trend einer deutlichen Zunahme psychischer Erkrankungen in unserer Gesellschaft auch in unserer Beratungsstelle wieder. - 22 - Bei dem o. g. Personenkreis ist anzumerken, dass es sich hier um Menschen handelt, deren Heilungsweg im Vergleich zu suchtbelasteten Menschen ohne Zusatzdiagnosen häufig komplizierter ist. Klienten mit Zusatzdiagnosen benötigen eine besonders engmaschige und zeitaufwendigere Betreuung, ihre Behandlung erfordert eine gute Kooperation und Vernetzung mit dem Hilfesystem in Iserlohn (s. Kap. 5). Therapieerfolge können hier oftmals nur in längeren Zeitabschnitten erwartet werden. Doppeldiagnosen 2 5 7 Depressionen Schizophrenie Angststörungen Persönlichkeitsstörungen PTBS bipolare Störung Impulskontrollstörung Sonstige 9 5 12 2 89 Im Jahr 2015 litten 122 Klienten unter einer psychischen Erkrankung. Davon waren 89 Personen an Depressionen erkrankt. 12 Klienten litten unter Angststörungen und 9 Personen litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Weitere 2 Klienten hatten eine Schizophrenie entwickelt und 2 Personen litten unter einer bipolaren Störung. 5 Personen hatten eine Impulskontrollstörung. Bei 5 Personen lag im Jahr 2015 eine Persönlichkeitsstörung vor und bei 7 Personen wurden sonstige psychische Störungen diagnostiziert. „Von meinem alkoholabhängigen Vater und dessen Freunden wurde ich schon als Kind regelmäßig sexuell missbraucht. Mit 16 J. lernte ich meinen Ex-Partner kennen und wurde schwanger. Die Schwangerschaft war die Möglichkeit für mich, von zu Hause raus zu kommen und eine eigene Familie zu gründen. Doch mein Freund schlug mich schon während der Schwangerschaft. Nach der Geburt des Kindes setzte sich die Gewalt fort, auch sexuell. Ich entwickelte Schlaflosigkeit, Ängste, Depressionen und fand schließlich Zuflucht im Frauenhaus. Doch Aufgrund der psychischen Symptome fühlte ich mich mit meiner Tochter total überfordert, so dass ich schließlich einwilligte sie erst in eine Pflegefamilie zu geben und später zur Adoption frei zu geben. Um den Schmerz über den Verlust meiner Tochter und die Erinnerungen an meine traumatischen Erlebnisse zu betäuben, begann ich regelmäßig Alkohol zu trinken. Es folgten zahlreiche Aufenthalte in der Psychiatrie, einige Therapieversuche, doch immer wenn ich längerfristig abstinent bin, stellen sich Schlaflosigkeit, Ängste, Panikattacken und die Erinnerungen an die traumatischen Erlebnisse mit den dazugehörigen Gefühlen wieder ein. Ich halte das dann nicht mehr aus und trinke Alkohol oder beginne mich zu ritzen. Zusätzlich habe ich jetzt auch starke körperliche Schmerzen ohne erkennbare Ursache entwickelt, so dass ich vor kurzem als Erwerbsunfähig eingestuft wurde. Ich erhalte jetzt Grundsicherung, da ich - 23 - mich bisher noch nie in der Lage sah, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ich habe ein paar Mal einen 1,50-€-Job vom Arbeitsamt angefangen, musste ihn aber jedes Mal abbrechen, weil ich einfach durch meine Traumatisierung nicht leistungsfähig bin. Die Suchtberatung nutze ich, um entlastende Gespräche führen zu können.“ Frau M. (48 Jahre) Von den 122 Klienten mit einer psychischen Erkrankung haben 62 Personen (51 %) noch eine zweite, dritte oder vierte Zusatzdiagnose erhalten (Mehrfachdiagnose). Davon wiesen 16 Personen neben ihrer Doppeldiagnose als weitere psychische Erkrankung die Diagnose Depression auf. 13 Patienten litten zusätzlich zu ihrer ersten Störung auch noch an einer Angststörung. 14 Personen wiesen als zweite Diagnose noch eine Persönlichkeitsstörung auf und 8 Personen litten weiter auch noch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). 1 Person wies zusätzlich noch eine Impulskontrollstörung auf, 10 Personen litten zusätzlich noch unter sonstigen Störungen. Mehrfachdiagnosen 6 16 8 Depressionen Angststörungen Persönlichkeitsstörungen PTBS Sonstige 13 14 “Einer Doppelproblematik geht insbesondere bei schweren Störungen meist eine langjährige und individuelle spezifische Entwicklung voraus, die sich anamnestisch wie aktuell durch das Auftreten von Symptomen mit wechselnder Ausprägung und chronischem Verlauf charakterisiert. In einem Behandlungszeitraum, der sich oft über mehrere Jahre und häufig auch stationäre Aufenthalte hinziehen wird, ist langfristig eher eine Stabilisierung des Zustandsbildes im Sinne einer Schadensbegrenzung als Heilung anzustreben. Als Erfolg einer über Krisenintervention hinausgehenden Erstbehandlung gilt bereits die Bereitschaft der PatientInnen, sich in einer weiterführenden Rehabilitationseinrichtung behandeln zu lassen. In der Literatur - 24 - wird hervorgehoben, dass DDP (Doppeldiagnosepatienten) ein niederschwelliger Zugang zu Behandlungseinrichtungen anzubieten sei. Nur unter konsequenter therapeutischer Behandlung der Doppelproblematik, insbesondere der Wechselwirkungen zwischen Sucht und der anderen psychischen Störung (z. B. Verringerung, evtl. Abstinenz von Cannabiskonsum, weil dieser psychotische Symptome fördert) wird eine Zustandsverbesserung erreicht. Therapeutische Ziele sind als vorläufig zu betrachten und den Erfordernissen wechselnder Psychopathologie sowie den individuellen Ressourcen und Bedürfnissen anzupassen“, erklärt in diesem Zusammenhang Prof. Dr. phil. Franz Moggi im Suchtmagazin 01/2013. Für unsere Arbeit in der Suchtberatung bedeutet das konkret nicht nur, dass mehr als jeder zweite Klient einen erhöhten Behandlungs- und Beratungsbedarf aufweist, sondern auch, dass sich der Umgang mit diesen schwer belasteten Menschen als schwieriger und komplizierter erweist. Im Fokus der Beratung steht in diesen Fällen daher nicht unbedingt die Suchtmittelabstinenz, sondern eher die Stabilisierung der gesamten Lebenssituation, wobei bereits kleine Veränderungen als Erfolge angesehen werden müssen. Bei dem Verdacht auf zusätzliche psychische Erkrankungen motivierten wir zur Aufnahme einer begleitenden psychologisch / psychiatrischen Behandlung, sofern diese nicht bereits schon vorher erfolgt war. Problematisch gestalten sich die Wartezeiten bei ortsansässigen Psychologen und bei den psychiatrischen Fachärzten. Wie im gesamten Märkischen Kreis sind auch in Iserlohn die Wartezeiten für eine psychologische Psychotherapie von 6 – 12 Monaten keine Seltenheit. Viele Praxen in Iserlohn führen nicht einmal mehr Wartelisten, weil selbst diese völlig überlaufen sind und die Psychologen die Wartezeiten ethisch nicht mehr vertreten können. Bei den psychiatrischen Fachärzten ist die Lage ähnlich dramatisch, auch hier sind Wartezeiten von 3 – 6 Monaten zu erwarten. Für Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen sind diese Wartezeiten aus unserer Sicht eine Zumutung. Leider ist dieses Phänomen kein Einzelfall, sondern bundesweit, insbesondere in den Ballungsgebieten, inzwischen trauriger Alltag. Um diese Wartezeiten nach einer erfolgten stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung zu überbrücken, haben wir in den letzten Jahren unsere Klienten motiviert, sich bereits vor Beginn einer Alkoholentwöhnungsbehandlung auf die Warteliste bei einem Facharzt und eventuell auch auf die Warteliste bei einem psychologischen Psychotherapeuten setzen zu lassen. - 25 - 27.10.2015 Krankenkassen-Report Psychische Erkrankungen nehmen rasant zu Seit 1997 hat sich die Anzahl von Fehltagen am Arbeitsplatz, die auf Diagnosen wie Depression zurückzuführen sind, verdreifacht. Das ist das Ergebnis des Psycho-Reports einer Krankenkasse. Warum Frauen fast doppelt so oft aufgrund psychischer Erkrankungen krankgeschrieben sind wie Männer, hat einen klaren Grund. Von Stefan Maas Im Ranking der häufigsten Leiden stehen psychische Erkrankungen mittlerweile auf Platz zwei - nach Rückenschmerzen. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte) Jeder 20. Arbeitnehmer war im vergangenen Jahr wegen eines psychischen Leidens krankgeschrieben, heißt es im Psychoreport, den die Krankenkasse DAK heute vorgestellt hat. Rechnet man die kasseneigenen Daten ihrer Versicherten auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hoch, so waren rund 1,9 Millionen Menschen betroffen. Seit 1997 habe sich die Anzahl von Fehltagen, die auf Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörungen zurückzuführen sind – also krankhafte Reaktionen auf belastende Erfahrungen – verdreifacht, sagt Susanne Hildebrandt vom IGES Institut, das die Studie erstellt hat. "Die psychischen Erkrankungen haben sich von Platz vier auf Platz zwei nach oben gearbeitet und gewinnen nach und nach immer mehr Bedeutung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen." Spitzenreiter sind nach wie vor Rückenschmerzen und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Depressionen waren - je 100 Versicherte - der Grund für 112 Fehltage, 42 Tage gingen auf das Konto von Anpassungsstörungen. Auffällig dabei, sagt Hildebrandt: "Diesen sehr starken Anstieg, den wir bei den AU-Zahlen sehen, den sehen wir beim Vorkommen der Erkrankung in der Bevölkerung eindeutig nicht. Es gibt kein entsprechendes Mehr an Erkrankungen in der Bevölkerung, wie wir das in den Arbeitsunfähigkeitszahlen sehen." Männer suchen bei psychischen Problemen seltener Hilfe als Frauen Frauen sind fast doppelt so oft aufgrund von psychischen Erkrankungen krankgeschrieben wie Männer. Der Grund, erläutert Hans-Peter Unger, Chefarzt am Zentrum für seelische Gesundheit der Asklepsios-Klinik in HamburgHarburg: "Dass Männer nach wie vor psychische Symptome oder Erkrankungen mehr als Schwäche erleben als Frauen und deshalb auch ein schlechteres Hilfesuchverhalten haben im Gesundheitssystem als Frauen." Der starke Anstieg der psychischen Erkrankungen als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit sei nicht allein mit veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt zu erklären, sagt Unger, auch wenn bestimmte Branchen wie etwa der medizinische Bereich oder die öffentliche Verwaltung besonders betroffen seien. Die Praxis zeige, dass das Private eine ebenso große Rolle spiele. Hinzu kommt, erklärt Susanne Hildebrant: "Eine größere Aufgeschlossenheit bei den Patienten, in der Bevölkerung und auch bei den Ärzten, so dass hier im Grund genommen inzwischen auch das teilweise auf dem Krankenschein steht, was da hätte vor Jahren auch schon draufstehen können." Oft hätten Ärzte früher eher die körperlichen Symptome diagnostiziert, die in der Folge psychischer Krankheiten entstanden seien. Stark rückläufig ist hingegen ein Phänomen, das in den vergangenen Jahren eine sehr prominente Rolle in der öffentlichen Debatte gespielt hat: Burn-out. Auf sein Konto gehen – pro 100 Versicherte – rund fünf Krankentage. Dass diese Diagnose zeitweise massiv angestiegen sei, gehe angesichts der niedrigen Fallzahlen auf einen statistischen Effekt zurück, erklärt Hildebrandt: "Da hat sich ein Spaßvogel erlaubt, mal den prozentualen Anstieg auszurechnen. Da kommen sie auf eine Steigerung von 1.000 Prozent. Das ist natürlich eine tolle Schlagzeile." Seit 2011 habe sich die Diagnose fast halbiert. Inzwischen sei Burn-out eher zur Beschreibung eines Risikozustandes geworden, erklärt Unger. Von chronischem Stress verursachte Krankheiten würden heute als Depression oder Anpassungsstörungen erkannt. Im Beratungs- und Vermittlungsprozess wählen wir gemeinsam mit den Hilfesuchenden eine passende Rehabilitationsklinik für Suchterkrankte aus, die den besonderen Bedürfnissen gerecht wird. Inzwischen haben sich eine Reihe von Kliniken auf die Behandlung von Doppeldiagnosen spezialisiert. - 26 - 4.11 Maßnahmen während der Betreuungen Wie bereits in Kap. 4.1 erwähnt, kam es in 2015 zu 190 längerfristigen Betreuungen (mindestens zwei Beratungskontakte). Auch im vergangenen Jahr war unser Bestreben, neben den Symptomträgern auch das soziale Umfeld in die Beratung mit ein zu beziehen. Die Entscheidung hierüber lag aber vorrangig bei den Auftrag gebenden Personen und orientierte sich am Beratungsverlauf. Weiterhin fanden 318 Einmalkontakte statt. In den Beratungen wurde schwerpunktmäßig auf suchtbezogene Anfragen eingegangen. Hier wurden zum Beispiel Auskünfte über die Modalitäten zur Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung erfragt. In vielen Fällen konnten wir Informationen über weitere Angebote im Suchthilfesystem der Stadt Iserlohn geben und erste Kontakte herstellen. Zur Ergänzung unserer Beratung erwiesen sich unsere Broschüren zu suchtbezogenen Themen als hilfreich. Im Jahr 2015 führten wir 1097 Einzelberatungen mit Betroffenen durch. Zusätzlich führten wir 146 Angehörigengespräche und in weiteren 112 Fällen kam es zu gemeinsamen Gesprächen mit dem Betroffenen und einer Bezugsperson (zumeist Lebenspartner). Bei 81 Beratungskontakten kamen Personen aus dem weiteren sozialen Umfeld der Betroffenen hinzu, zumeist professionelle Helfer von Anbietern des ambulant betreuten Wohnens (ABW). Zum weiteren sozialen Umfeld zählen auch Ärzte, Betreuer, Bewährungshelfer, Lehrer, Arbeitgeber, Mitarbeiter des Psychosozialen Fachdienstes, Vertreter anderer Behörden und Institutionen und Kollegen der stationären und teilstationären Therapie- sowie soziotherapeutischen Einrichtungen. Im Rahmen unseres angeleiteten Gruppenangebotes für pathologische Glücksspieler und Angehörige kam es im Berichtsjahr zu 158 Kontakten mit insgesamt 14 Personen (Näheres hierzu im Kapitel 7.2). Am Nachsorgeangebot im Rahmen der „ambulanten Rehabilitation Sucht im Märkischen Kreis“ nahmen 16 Personen teil, hier kam es zu 239 Kontakten. Die in Kap. 4.2 beschriebene gute Verknüpfung und Integration unserer Klienten im Suchthilfesystem wird durch die nachfolgenden Zahlen unterlegt: 55 Klientinnen und Klienten besuchten im Berichtsjahr eine Selbsthilfegruppe; 87 Personen konnten wir in Entgiftungen, Krankenhäuser und Kliniken, 74 Personen in stationäre Entwöhnungsbehandlungen und 23 Personen in ambulante - 27 - Rehabilitation vermitteln. betreutes Wohnen. 34 Personen erhielten ambulant Weitere Maßnahmen während der Betreuungen waren zum Beispiel Kriseninterventionen, sowie Hilfen und Unterstützungen in den Bereichen Arbeit und Ausbildung, Finanzen, Wohnen, Behörden. - 28 - 4.12 Betreuungsbeendigungen Im Jahr 2015 wurden 89 Betreuungen beendet. Davon konnte bei 22 Klienten die Betreuung planmäßig gemäß der Beratungsabsprachen zum Abschluss gebracht werden. 31 Betreuungen gingen über in Angebote von stationären (z.B. Entwöhnungseinrichtungen, Betreute Wohnformen) oder ambulanten Einrichtungen (z.B. ambulante Rehabilitation, Suchtambulanz der HansPrinzhorn-Klinik), andere Fachdienste oder Beratungs- bzw. Behandlungsangebote. In 33 Fällen kam es zum Betreuungsabbruch durch die Klienten, bei 1 Person wurde das Betreuungsverhältnis vorzeitig, aber im gegenseitigen Einverständnis, beendet, bei 1 Person beendeten wir die Betreuung disziplinarisch und 1 Person ist leider verstorben. Symptomatik bei Beendigung verschlechtert 11% unverändert 21% abstinent 46% gebessert 22% Bei Beendigung der Betreuung lebten 41 Personen abstinent, bei 19 hatte sich die Suchtproblematik deutlich verbessert, 19 wiesen bei Beendigung keine nennenswerten Veränderungen in ihrem Suchtverhalten auf und bei 10 Klienten kam es zu einer Verschlechterung der Problematik. Bei insgesamt 68 % der beendeten Fälle konnte somit eine positive Veränderung der Symptomatik verzeichnet werden. Dieses gute Ergebnis darf nicht darüber hinweg täuschen, dass unter anderem durch die in den Kapiteln 4.6, 4.7, 4.8 und 4.10 beschriebenen erschwerten sozialen und persönlichen Lebensumstände eine zufriedene abstinente Lebensführung für unsere Klienten immer mehr erschwert wird. - 29 - 5. Kooperation und Vernetzung Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) hebt die effiziente und hoch entwickelte Vernetzung innerhalb des suchtspezifischen Behandlungssystems als besonders wichtig hervor. Wir können sowohl auf unser internes gut ausgebautes Netz wie auch auf externe Hilfsangebote zurückgreifen. Wie bisher bestimmte die Individualität des Einzelfalls die Arbeit und somit die Kooperation mit diesen weiteren Bausteinen in der sozialpsychiatrischen und weitergehenden Versorgung Suchtkranker. 5.1 Intern / Caritas - Netzwerk Die konstruktive Zusammenarbeit mit den Abteilungen Migrationsdienst und der Familienberatung konnten wir in 2015 fortsetzen. Weitervermittelt und –empfohlen haben wir auch die Beratung durch unsere Sozialstation/Ambulante Pflege. Bei Bedarf vermittelten wir Eltern an unser Familienzentrum Am Dördelweg 35 in Iserlohn. Die Angebote unserer CariTasche im Rahmen der Iserlohner Tafel und unserer Familien-Boutique CariChic wurden dankbar von unseren bedürftigen Klienten angenommen. Die Kooperation mit der Schuldnerberatung unseres Caritasverbandes ermöglichte im Jahr 2015 eine umfassende Hilfestellung bei zusätzlich belastenden und Sucht fördernden Faktoren im Bereich der Überschuldung. Dies führte zur Entlastung unserer Ratsuchenden und ermöglichte die Konzentration auf das Suchtproblem. In Zusammenarbeit mit der Familienberatung unseres Caritasverbandes begleiteten wir 2015 ein therapeutisches Gruppenangebot für Kinder aus suchtbelasteten Familien (s. Kap. 7.1). Im Februar 2014 startete das neue Projekt „QuartiersSozialarbeit/-Lotsenarbeit für Erwachsene in der Südlichen Innenstadt/Obere Mühle/Fritz-Kühn-Platz“. Träger des mittlerweile fest installierten Angebotes sind der Caritasverband und die DROBS (Anonyme Drogenberatung e. V.). Kooperationspartner ist die Stadt Iserlohn. Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit und freuen uns sehr, dass durch dieses Angebot nun dauerhaft Personen erreicht werden können, die bisher keinen adäquaten Zugang zu unseren Hilfsangeboten gefunden haben. - 30 - 5.2. Extern / Kooperationen Die bereits bestehende Zusammenarbeit mit anderen Hilfeanbietern im Bereich der Suchtkrankenhilfe des Raumes Iserlohn konnten wir im Jahr 2015 weiter aufrechterhalten. Im Jahr 2015 boten wir alle vier Wochen in der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Mark-Ruhr e. V. und in der Werkstatt im Hinterhof der AWO Hagen in Iserlohn eine offene Sprechstunde an. Die wohnungslosen und / oder sozial schwachen Kunden erhielten in den Sprechstunden die Möglichkeit, erst einmal unverbindlich Kontakt zu uns aufzunehmen. Eventueller Schwellenangst möchten wir so begegnen und auch Menschen erreichen, die sonst Aufgrund ihrer multiplen Probleme nicht in der Lage sind zu uns zu kommen. Seit Jahren findet mit beiden Einrichtungen eine besonders enge und erfolgreiche Zusammenarbeit statt, für die wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten. Hervorzuheben ist ebenfalls die Zusammenarbeit mit der Suchtambulanz und der Entgiftungsstation der Hans-Prinzhorn-Klinik (Hemer), dem Suchtbehandlungszentrum des Evangelischen Krankenhauses Elsey und dem Karl-Otto-Stoffer-Haus. Außerdem fand eine Kooperation mit der stationären Entwöhnungsstation (Dortmund) und der ganztägig ambulanten und ambulanten Entwöhnungsstation (Iserlohn) des LWL-Rehabilitationszentrums Ruhrgebiet - FörderTurm statt. Wir kooperierten mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Märkischen Kreises und den Sozialen Diensten der umliegenden Krankenhäuser, insbesondere dem St. Elisabeth Hospital, dem Evangelischen Krankenhaus Bethanien und dem Marienhospital. Gemeinsam betreute Kunden konnten beraten und begleitet werden. Eine weitergehende Versorgung unserer Kunden konnten wir weiterhin sicherstellen durch die Empfehlung von und Vermittlung in die Angebote des Psychosozialen Fachdienstes des Sozialamts und dem Sozialen Dienst der Stadt Iserlohn. Seit einigen Jahren sind wir Kooperationsmitglied im Therapieverbund (ARS-MK). Neben unserer bisherigen Beratungsarbeit bieten wir ein Angebot für die ambulante medizinische Rehabilitation von alkohol-, medikamenten- und drogenabhängigen Menschen im Märkischen Kreis an. Durch diese bisher einzigartige Kooperation ist eine Versorgungslücke für diejenigen suchterkrankten Patienten geschlossen worden, die auf ein stabileres soziales Umfeld zurückgreifen können und deren psychische Belastbarkeit die Teilnahme an einem Therapieangebot im ambulanten Rahmen zulässt. Durch den ambulanten Rahmen kann das vertraute Umfeld erhalten bleiben, eine Berufstätigkeit - 31 - fortgeführt werden und die Familie bei Bedarf umfassend in den Therapieprozess mit einbezogen werden. Nähere Informationen zu unserem Angebot erhalten Sie unter www.ars-mk.de. Für die enge Zusammenarbeit möchten wir uns bei allen Kooperationspartnern bedanken. Wie im vergangenen Jahr arbeiteten wir verstärkt mit Einrichtungen des ambulant betreuten Wohnens aus Iserlohn zusammen, wobei besonders das Netzwerk Diakonie und der LWL Wohnverbund Hemer und INTEGRA e. V. hervorzuheben ist. Zur Unterstützung und möglichst effektiven Hilfeplanerstellung nahmen im Bedarfsfall die Betreuer an den Gesprächen teil und es wurden gemeinsame Strategien mit und für den Betroffenen erarbeitet. Wie im letzten Jahr verlief auch die Zusammenarbeit mit der DROBS (Anonyme Drogenberatung e. V.) in Iserlohn sehr gut. Im Rahmen der gemeinsamen Durchführung der Iserlohner Nachsorgegruppe ARS-MK und der gemeinsamen Präsentation auf dem Iserlohner Gesundheitstag 2015 (s. Kap. 6.2) konnte sich auch im vergangenen Jahr die vorbildliche Vernetzung weiter festigen. - 32 - 5.3 Arbeitskreise Weitere wichtige Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten ergaben sich durch unsere Teilnahme an verschiedenen lokalen, regionalen und überregionalen Arbeitskreisen. Die Suchtberatungsstelle des Caritasverbandes Iserlohn e.V. ist in folgenden Arbeitskreisen vertreten: Verbund der Psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstellen der Erzdiözese Paderborn PSAG: Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft Nördlicher Märkischer Kreis Arbeitskreis Sucht Nördlicher Märkischer Kreis AK Glücksspielsucht, Ost-Westfalen-Lippe AK Frauen und Sucht (HA, WIT, UN, MK) Arbeitskreis „Männer und Sucht“ (LWL) Qualitätszirkel EFQM für NRW Teilnahme am Netzwerktreffen Frauen + Sucht NRW In diesen Kreisen und Gremien findet eine intensive Vernetzung der Suchtarbeit statt. Der gegenseitige Informations- und Erfahrungsaustausch führt zu einer Erweiterung der fachlichen Kompetenz der Mitarbeiter der Beratungsstelle. Hier besteht die Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf lokaler und regionaler Ebene und die Abstimmung der Angebote im Suchtsektor. Nicht abgedeckter Bedarf wird eruiert und gegebenenfalls ergänzt. - 33 - 6. Bildungsmaßnahmen/Öffentlichkeitsarbeit 6.1 Fort- und Weiterbildungen Die Mitarbeiter nahmen an Seminaren, Infoveranstaltungen, Fachtagungen und Fortbildungen zu folgenden Themen teil: Fachtagung „Persönlichkeitsstörung und Abhängigkeit – ihre therapeutischen Besonderheiten im Therapiealltag SGB II – Aufrechnung und Rückforderung Fachtagung „Tierliebe – Menschenliebe“ Motivational Interviewing bei pathologisch Glücksspielenden Rückfallprophylaxe und Rückfallmanagement mit pathologisch Glücksspielenden ETAPPE - Angehörigenarbeit bei einer Störung durch Glücksspielen Die Welt der Onlineglücksspiele Geschlechterrollen in Ehrenkulturen Die Suchtberatungsstelle verfügt über eine fundierte Sammlung von Fachliteratur, die fortlaufend auf den aktuellen Stand gebracht wird. - 34 - 6.2. Öffentlichkeitsarbeit/Informationsveranstaltungen Als Mitarbeiter der Suchtberatung des Caritasverbandes standen wir auch in 2015 bei Fragestellungen zu Suchterkrankungen und Auswirkungen in den entsprechenden Lebensbereichen den Kollegen der weiteren Fachbereiche unseres Verbandes zur Verfügung. In der lokalen Presse informierten wir über die Gefahren der Glücksspielsucht. Außerdem präsentierten wir uns gemeinsam mit der Drobs mit einem Informationsstand auf dem Iserlohner Gesundheitstag. - 35 - Im vergangenen Jahr nahm die Zahl unserer lebensälteren Klienten vergleichsweise stark zu (Kap. 4.5). Mit dem Thema Sucht im Alter beschäftigten wir uns auch im Rahmen der gleichnamigen kreisweiten Kampagne, zu der die Gesundheitskonferenz des Märkischen Kreises aufgerufen hatte. Wir informierten in zwei Vortragsveranstaltungen die Pflegeschwestern unserer Sozialstationen und gingen dabei speziell auf die Problematik in der Krankenpflege ein. Darüber hinaus stellten wir auch im Jahr 2015 in Gremien und Arbeitskreisen unsere Arbeit dar und berichteten über lokale und regionale suchtbezogene Veränderungen und Planungen. - 36 - Bei der Vorbereitung und Durchführung einer Informationsveranstaltung des Arbeitskreises Sucht Nördlicher Märkischer Kreis zum Thema Familie und Suchtbelastung Eine generationsübergreifende Betrachtung am 05.11.2015 im Rathaus Iserlohn Caritasverbandes Iserlohn e.V. im Sucht federführend mit. Der Selbsthilfegruppen, Beratungs- und nördlichen Märkischen Kreis. wirkte die Suchtberatung des Rahmen des Arbeitskreises Arbeitskreis Sucht vertritt Behandlungseinrichtungen im Als Vortragende konnte der Arbeitskreis Sucht Frau Annett Hagen von der Fachklinik Spielwigge für diesen Abend gewinnen. Sie ist Familientherapeutin und ist seit Jahren auf das Thema „Suchtbelastung in Familien“ spezialisiert. Knapp 60 interessierte Zuhörer verfolgten ihren lebendigen und praxisnahen Fachvortrag, bei dem es wie immer noch Raum für Fragen und ausgiebige Diskussionen gab. Die Sprecher des Arbeitskreises, Sylvia Schulte und Kurt Rothenpieler, waren mit dem Verlauf der Veranstaltung sehr zufrieden. Die Veranstaltung war mit einer breit gefächerten Zuhörerschaft aus Angehörigen und Betroffenen, Selbsthilfegruppen, professionellen Helfern und anderen Interessierten gut besucht. - 37 - 7. Schwerpunktthemen 2015 7.1 CHAMÄLEON - Kinder belasteten Familien aus sucht- und seelisch „Wenn Vati trank, wurde er jedes Mal zu einem anderen Menschen. Es spielten sich zu Hause Dinge ab, für die ich ihn regelmäßig hasste. Von meiner Mutti fühlte ich mich damals verlassen. Meine Mutti ließ ihren Frust und ihre Verzweiflung teilweise an mir und meiner Schwester aus, das belastete mich zusätzlich. Irgendwann habe ich mir aus Verzweiflung gewünscht, dass mein Vati einfach nicht mehr nach Hause kommt, dass er einen Unfall hat oder so… Darüber war ich total erschrocken, denn nüchtern war er der liebste Vati der Welt“ Kerstin, 17 Jahre Die Atmosphäre in sucht- und seelisch belasteten Familien ist oftmals geprägt von emotionaler Unsicherheit, Instabilität und Angst. Erfahrungen von massiver Aggression, Verwahrlosung, sexuellen Missbrauchs bis hin zur physischen Lebensbedrohung sind nicht selten Teil des Familienalltags. Die Kinder aus solchen Familien sind oft "auffällig unauffällig". Sie sind ihren Eltern loyal verbunden und finden sich im Zwiespalt zwischen der "familiären" und der "äußeren" Welt, den Bedürfnissen ihrer Eltern und ihren eigenen. Sie fühlen sich verantwortlich für die Familie. Gleichzeitig versuchen sie ihr Leid und ihre Belastungen so gut es geht zu verstecken. Nach außen hin müssen die Kinder die Problematik eines oder beider Elternteile als Familiengeheimnis wahren. Ein großer Teil der betroffenen Kinder leidet unter Ängsten, Depressionen und schizophrenen Störungen. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen werden zumeist erst später im Versuch einer selbständigen Lebensgestaltung offenbar. Die in diesen Familien aufwachsenden Kinder sind durch vielfältige soziale und psychische Probleme besonders belastet und haben ein besonders hohes Risiko, selbst sucht- oder seelisch krank zu werden. Kinder aus Sucht belasteten Familien weisen ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko auf, selbst suchtkrank zu werden (s. NRW-Landesprogramm gegen Sucht). Mehr als 30 % der Kinder aus suchtbelasteten Familien werden selbst suchtkrank – meistens sehr früh in ihrem Leben. Etwa 70 % der Menschen mit Suchtproblemen stammen aus suchtbelasteten Familien. Kinder aus seelisch belasteten Familien tragen ein Risiko von 40 bis 70 %, selbst psychisch zu erkranken. In Deutschland haben 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mindestens einen alkoholkranken Elternteil (DHS 2006). Heruntergerechnet auf die Zahlen des nördlichen Märkischen Kreises haben wir es mit einer potentiellen Zahl von ca. 6.500 Kindern zu tun. Es wird geschätzt, dass etwa 2 - 3 Millionen Kinder in psychisch belasteten Familien aufwachsen. Demnach sind in Iserlohn, Hemer, - 38 - Menden und Balve mehrere Tausend Kinder betroffen! Erfahrungsgemäß liegt die Dunkelziffer sicherlich viel höher. Seit 2007 besteht nun schon die Kindergruppe CHAMÄLEON. Dieses Angebot für Kinder aus suchtbelasteten Familien wurde gemeinsam mit der Suchtberatung und der Familien- und Erziehungsberatungsstelle unseres Caritasverbandes entwickelt und umgesetzt. Der Gruppenname CHAMÄLEON spiegelt in sehr passender Weise die Situation und Eigenschaften der Kinder aus suchtbelasteten Familien wider. Zum einen müssen sie sich oftmals den schwierigen und belastenden Situationen in ihrer Familie anpassen, sich manchmal vielleicht sogar unsichtbar machen, und zum anderen tragen diese Kinder viele wunderbare Fähigkeiten und Ressourcen in sich, von denen hoffentlich durch die Arbeit der Gruppe immer mehr zum Vorschein kommen werden. Aufbauend auf den Erfahrungen mit unserer CHAMÄLEON-Gruppe in Iserlohn für Kinder aus suchtbelasteten Familien und einer Gruppe in Hemer für Kinder, deren Eltern psychisch erkrankt sind, hatte der Caritasverband Iserlohn im September 2011 eine Kindergruppe in Menden ins Leben gerufen, die dort dieses Angebot in einer Gruppe zusammenfasst. Wie in Iserlohn und Hemer hat auch diese Gruppe das Chamäleon als Gruppensymbol. Die Gruppe ist mittlerweile gut in Menden etabliert. Primäres Ziel der CHAMÄLEON-Gruppen ist, die Kinder in ihrer Bedürftigkeit wahrzunehmen, sie in ihren Kompetenzen zu unterstützen und vorhandene Ressourcen zu aktivieren und den Kindern zu ermöglichen, diese anzuwenden. Weitere wichtige Ziele sind: o o o o Persönlichkeitsstärkung Ressourcenfindung und -aktivierung Entlastung der Kinder von Schuld – und Schamgefühlen Entwicklung und Stärkung von Selbstwertgefühl Selbstbewusstsein - 39 - und o Erlernen von Wahrnehmung, Ausdruck und Annahme eigener Gefühle o Wahrnehmung und Formulierung eigener Bedürfnisse o Erleben von Zuverlässigkeit , Klarheit, Grenzen, Struktur und Sicherheit in der Gruppe und durch die Gruppenleitung o Über Familiensituationen reden lernen o Auflösung der Tabuthemen Sucht oder psychische Erkrankung o Suchtprävention „Mein Vater und ich sind morgens immer beide blau aus dem Haus gegangen. Ich, blaugeschlagen in die Schule, er blau zur Arbeit“ Stefan, 13 Jahre Auch im vergangenen Jahr wurde in den Gruppen inhaltlich hauptsächlich an akuten Themen der Kinder und ihrer Eltern gearbeitet. Weiterhin wurden in den Gruppen Aktionen und Gesprächsrunden zu folgenden Themen angeboten: Gefühle: Wahrnehmung der eigenen Emotionen, Fremdwahrnehmung und Lösungsmöglichkeiten bei unangenehmen Gefühlen, wie z.B. Wut. Kommunikation und Konflikte: Ausdrucksmöglichkeiten und Konfliktstrategien entwickeln, die ohne Gewalteinwirkung ablaufen können. Erstellung eines Notfallplans in kritischen, häuslichen Alltagssituationen. Neben diesen inhaltlichen Auseinandersetzungen benötigen die Kinder für eine gute Entwicklung vor allem schöne Erlebnisse als Gegengewicht zu den problematischen Familienverhältnissen. Dementsprechend liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit bei gemeinsamen Unternehmungen, die den Kindern Spaß machen. Hier fanden im vergangenen Jahr Malaktionen, Kinobesuche, Minigolf, regelmäßige Ausflüge in die Natur und ein Besuch im Sauerlandpark statt. Im Sommer stand auch einfach einmal ein gemeinsamer Besuch in der Eisdiele auf dem Programm. Daneben bildet nach wie vor die Begleitung und Unterstützung der Gruppenmitglieder bei der Integration in soziale Aktivitäten einen besonderen Schwerpunkt. Die Kinder und Jugendlichen sollen so einen Ausweg aus der sozialen Isolation bekommen. Ferner soll die Teilnahme an außerhäuslichen Aktivitäten den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, aktiv Freundschaften zu knüpfen und positive erlangte soziale Kompetenzen aus der Gruppe weiterzuführen und zu vertiefen. - 40 - (Rückmeldungen von Kindern aus der Chamäleon-Gruppe zu der Frage, was ihnen an der Gruppe gefällt) Für die Entwicklung und Festigung von tragfähigen Beziehungen zwischen den Gruppenleitern und jedem einzelnen Kind sowie zwischen den Kindern untereinander muss nach wie vor viel Zeit investiert werden. Leider musste Elke Huth nach vielen Jahren aus persönlichen Gründen im Sommer 2015 die Leitung der Iserlohner Gruppe aufgeben. Sie hatte die CHAMÄLEON-Gruppe von Beginn an aufgebaut, mitgeleitet und durch ihre souveräne und einfühlsame Art bereichert und geprägt. Wir danken ihr hier noch einmal recht herzlich für ihre Arbeit und ihr Engagement. Neben Nella Giordano, die der Gruppe weiterhin erhalten bleibt, konnten wir glücklicherweise Tim Schwarzpaul als zweiten Gruppenleiter gewinnen, der bereits seit zwei Jahren in der Mendener Gruppe Barbara Pollok zur Seite steht. Die CHAMÄLEON-Gruppen werden u. a. durch Spenden finanziert. Auch im vergangenen Jahr wurde unser Projekt erfreulicherweise durch große und kleine Spenden von Iserlohner Bürgern, Unternehmen und Vereinen gefördert. Auf diesem Wege möchten wir uns dafür noch einmal recht herzlich bedanken. - 41 - 7.2 Glücksspielsucht „Erst verspielte ich meine Ersparnisse, dann folgten Kredite und vor ungefähr 2 Jahren begann ich ein Krimineller zu werden. Ich begann bei meiner Arbeit Geld zu veruntreuen. Ich rannte weiter und weiter und weiter, je klarer es wurde, dass alles ein böses Ende nimmt umso exzessiver wurde mein Spiel …. Am Ende habe ich es nicht mal mehr richtig vertuscht und trotz des Wissens, ich fliege bald auf, ging es immer weiter. Mein echtes Leben stellte ich immer mehr ein, habe keine Kredite mehr bedient, keine Post mehr geöffnet. Eigentlich war alles nur noch quälend. Ich belog meine Freundin von vorne bis hinten, um meine finanzielle Situation zu vertuschen. Wollte mit ihr aufrichtig ein neues Leben beginnen und glaubte oder eher hoffte bis zum Ende, dass ich das irgendwie schaffe. Das der erlösende große Gewinn kommen würde. … Vergangenen Freitag ist alles aufgeflogen. Ich wurde von meinem Arbeitgeber zur Rede gestellt und habe alles gestanden. Habe meine Arbeit verloren und mir droht Gefängnis. Meine Freundin hat mich verlassen. Sie glaubt mir kein Wort mehr und bei den vielen Lügen ist das auch verständlich. Selbst als ich ihr komplett die Wahrheit sagen wollte, habe ich wieder gelogen. Das Lügen hat schon so lange eine Rolle gespielt, dass es zum Teil meiner selbst geworden ist. Ich will ab jetzt die Wahrheit sagen und mit das Schlimmste neben dem ganzen materiellen Schaden ist, dass ich die Menschen die ich am meisten Liebe so sehr verletzt habe.“ Herr P., 35 Jahre Glücksspielsucht ist eine schwerwiegende Suchterkrankung, die gravierende Folgen haben kann, wenn sie nicht frühzeitig behandelt wird. Nicht selten führt Glücksspielsucht zu massiven finanziellen Problemen der Betroffenen und belastet die Beziehungen zum Partner und zur Familie schwer. Selbst Jugendliche nehmen mehr und mehr an Glücksspielen teil. Experten gehen davon aus, dass in Nordrhein-Westfalen etwa 40.000 behandlungsbedürftige Glücksspieler leben. Unsere Suchtberatung bietet bereits seit Jahren Einzel-, Paar- und Familienberatungen für Iserlohner Bürger mit einer Glücksspielproblematik an. Im Jahr 2015 wurden 23 betroffene Personen intensiver durch unsere Beratungsstelle beraten und betreut (s. Kap. 4.8). Die angeleitete Selbsthilfegruppe Glücksspiel wurde im Berichtsjahr von insgesamt 14 Betroffenen und Angehörigen besucht. Dieses Angebot ist offen für Hilfesuchende aus dem gesamten nördlichen Märkischen Kreis. Auf dem Glücksspielmarkt lassen sich vier Spielarten unterscheiden: klassische Casinospiele, Spielautomaten, Lotterien und Wetten. Die Höhe der Gewinnauszahlungen kann stark variieren. Fernsehlotterien schütten nur etwa 30 Prozent der Spieleinsätze als Gewinne aus. Das Zahlenlotto "6 aus 49" des Deutschen Lotto- und Totoblocks etwa 50 Prozent, Online-Sportwettenanbieter über 90 Prozent. - 42 - Den größten Marktanteil haben die Spielautomaten, 2012 waren es 41 Prozent. Die Umsätze mit Spielautomaten sind in den vergangenen Jahren nochmals stark angestiegen. Gerade in diesem Glücksspielbereich befinden sich allerdings die meisten „Problemspieler“. Der Markt der Sportwetten wächst seit 2009 kontinuierlich und hat bereits einen Anteil von rund einer Milliarde Euro Brutto-Spielertrag (Gesamtmarkt 10,7). Mehr als 900 Millionen Euro davon wurden auf dem unregulierten Markt erwirtschaftet, von Sportwettenanbieter, die mit EU-Lizenzen in Deutschland Sportwetten offerieren (Zahlen: Quelle Goldmedia, lizensiert für stern TV). Rechtlich bewegen sich die Wettshops in einer Grauzone: Das Bundesverfassungsgericht hat das Sportwetten-monopol 2006 für verfassungswidrig erklärt. Seitdem gibt es Streit darüber, ob Sportwetten nur von den staatlichen Lotteriegesellschaften angeboten werden dürfen oder auch von privaten Unternehmen. Entsprechend sind die Wettshops mit EU-Lizenzen in Deutschland bis heute nur geduldet. Dass die Anzahl privater Wettbüros in Deutschland begrenzt werden soll, dient vor allem der Suchtprävention, die aus unserer Sicht unbedingt weiter ausgebaut werden muss. Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit einer kontrollierten Zulassung privater Sportwettunternehmer. Die Lizenzvergabe zieht sich jedoch hin. Die Vergabe sollte durch den Glücksspielstaatsvertrag geregelt werden. Sie wurde allerdings im Herbst 2015 durch das hessische Verwaltungsgericht für nichtig erklärt. Die Kasseler Richter haben in einem nicht anfechtbaren Urteil das Vergabeverfahren für Sportwettenanbieter endgültig gestoppt. Die Richter kritisieren: Die geplante Lizenzvergabe an nur 20 Anbieter sei fehlerhaft und intransparent. Das Gericht hatte zudem die Einrichtung des Glücksspielkollegiums als zentrale Instanz der Glücksspielregulierung in Deutschland bemängelt. Dessen weitreichende Befugnisse widersprächen der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes und seien weder verfassungskonform noch demokratisch legitimiert. Nun muss die Politik daraus Konsequenzen ziehen und nun erneut Wege für eine verfassungs- und europarechtskonforme Glücksspielregulierung suchen. Die Erfahrung aus den letzten Jahren zeigt, dass die gesetzlichen Regelungen auf dem Glücksspielmarkt meistens zu Gunsten der Glücksspielbranche novelliert wurden. So durften beispielsweise in der Vergangenheit immer mehr und schnellere Geldspielautomaten aufgestellt werden, was zu Folge hatte, dass Umsätze und Gewinne vor allem für die Betreiber in die Höhe schossen. Und durch die Vergnügungssteuer verdient der Staat entsprechend mit. Die Suchtgefahr nimmt mit diesen neuen und schnelleren Geräten und ihren erhöhten Gewinn- und Verlustchancen allerdings auch zu. - 43 - Diese Entwicklungen erwecken zusehends den Eindruck, dass es auch bei der Umsetzung des nun neu zu konzipierenden Glücksspielstaatsvertrages vorrangig um die finanzielle Bereicherung der Anbieter und des Staates und nicht um den Schutz der Spieler geht. Auch wenn durch die Veränderungen in der neuen Spielverordnung der Jugend- und Spielerschutz bei Geldspielgeräten insbesondere durch eine Begrenzung der Spielanreize und Verlustmöglichkeiten weiter verbessert werden soll, scheinen die Behörden bei der Überprüfung der Vorgaben vollkommen überfordert zu sein. So bewegen sich laut einer Feldstudie des Arbeitskreises gegen Spielsucht e. V. allein in NRW etwa 10.000 Glücksspieler permanent im illegalen oder grauen Glücksspielmarkt. Demnach kann in jeder fünften Spielstätte an illegalen Geräten gezockt werden. Darunter seien verbotene Online-Spielterminals oder aus Ost-Europa reimportierte, nicht zugelassene Casino-Automaten, die sehr hohe Gewinne versprechen. Aufgrund ihres hohen Gefährdungspotenzials sind solche Geräte in Deutschland verboten. Jürgen Trümper vom Arbeitskreis gegen Glücksspielsucht e. V. beklagt: "Die Gefährdungslage für Falschparker, ein Knöllchen an der Windschutzscheibe vorzufinden, scheint ungleich höher als die für Betriebe aufgrund ihrer rechtswidrigen Spielangebote zur Rechenschaft gezogen zu werden". Die wenigen OrdnungsamtMitarbeiter stünden dabei oft als Einzelkämpfer einer wachsenden Zahl verbotener Spielstätten gegenüber. Trümper problematisiert in seiner Untersuchung auch die bislang offene Rechtslage bei Sportwetten. Solange Sportwettenanbieter ohne Konzession auf dem Markt angesichts laufender Gerichtsverfahren geduldet werden, könne aus seiner Sicht ein grauer Markt blühen, in dem auch klar illegale Angebote nicht geahndet werden. Dazu gehörten etwa verbotene Live-Wetten auf Ereignisse wie gelbe Karten oder Fouls. Zudem seien bei vielen Sportwettenangeboten weitere Glücksspielangebote mit hohem Suchtpotenzial nur einen MausKlick entfernt, kritisierte Trümper. - 44 - Die Kommunen vor Ort haben scheinbar nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, gegen Spielhallen und Wettbüros vorzugehen. Die Stadt Hagen erhebt seit dem 1. August 2014 als erste Kommune in NRW eine Wettbüro-Steuer. 120 000 Euro, so die Hoffnung, soll die Sonderabgabe jährlich in die Stadtkasse spülen. Nebenher wolle man die zunehmende Spielsucht bekämpfen – so heißt es offiziell. Nach einem großen Aufbegehren der Gewerbetreibenden und Anwohner über die Ansiedlung überproportional vieler Wettbüros in der Friedrichstraße im Jahr 2012 wird schon seit längerem auch in Iserlohn über entsprechende regulierende Maßnahmen nachgedacht. So wurde beispielsweise im Jahr 2014 ein Steuerungskonzept „Vergnügungsstätten“ beschlossen. Endgültige Entscheidungen stehen bis heute allerdings noch aus. - 45 - 24.06.2015 Innenstadt Ende der Glückssträhne in Sicht Einigen Spielhallen in der Innenstadt droht wegen des sogenannten Glücksspielstaatsvertrages das Aus.Foto: Josef Wronski Der Glücksspielstaatsvertrag und ein Gerichtsurteil könnten bald für Änderungen in der „Zocker“-Landschaft sorgen. Dies dürfte auch für die Stadt Folgen haben Sie gelten manchen als die „Schmuddelkinder“ in den Fußgängerzonen, obgleich sie juristisch gesehen Gewerbebetriebe sind wie andere auch: Wettbüros und Spielhallen. Nun könnte bald Bewegung in die Iserlohner „Zocker“-Landschaft kommen. Grund sind die Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrages und ein aktuelles Gerichtsurteil vor dem Gelsenkirchener Verwaltungsgericht. Stadt Iserlohn will Wettbürosteuer prüfen Vor letzterem wurde jetzt die in vielen Städten im Ruhrgebiet erhobene Wettbürosteuer für rechtens erklärt. Vorausgegangen war eine Klage von 22 Wettbürobetreibern aus Dortmund und Herne gegen die Abgabe. Die Steuer betrifft allerdings nur jene Betriebe, in denen Sport live übertragen wird. Wie berichtet, wird auch in Hagen die Steuer erhoben – ein Urteil des zuständigen Verwaltungsgerichts Arnsberg steht hier allerdings noch aus. Da die Bewertung jedoch ähnlich ausfallen dürfte, will man in Iserlohn nun ebenfalls die Einführung der Steuer prüfen, wie Stadt-Pressesprecherin Christine Schulte-Hofmann auf Nachfrage der Heimatzeitung erklärte. Aktuell gibt es laut Angaben der Verwaltung nur fünf Wettbüros im Stadtgebiet. Mögliche Neuansiedlungen könnten mittels des 2014 beschlossenen Steuerungskonzepts „Vergnügungsstätten“ verhindert werden, Altbetriebe genießen Bestandsschutz. So sind größere Einnahmen hier durch die Steuer kaum zu erwarten. Anders ist es bei den 21 Iserlohner Spielhallen, die jährlich allein rund eine Million Euro an Vergnügungssteuer abführen. Hinzu kommen noch die Gewerbesteuerabgaben. Zumindest einigen dieser Betriebe dürfte bald das Aus drohen – oder zumindest ein Zwangsumzug. Grund ist der sogenannte Glückspielstaatsvertrag, der 2012 die Verbreitung von Spielhallen eindämmen sollte. Den Betrieben, die vor diesem Zeitpunkt bereits bestanden haben, wurde eine Übergangsfrist bis 2017 eingeräumt. Gemäß der Vorgaben dürften dann Spielhallen nur in einem Abstand von 350 Metern untereinander oder zu Schulen angesiedelt sein. In manchen Bereichen der Innenstadt – etwa der Friedrichstraße – könnte es also bald für einige der Spielhallen „Rien ne va plus“ heißen. Zahlreiche Städte und Kommunen haben bereits begonnen, die Betreiber schriftlich zu informieren – so auch Iserlohn. Maßgeblich dafür, wer den Standort räumen muss, könnte beispielsweise die Dauer des Bestandes einer Spielhalle sein – „genau weiß das aber keiner“, sagt Stefan Bartels, Justiziar der Stadt Iserlohn. Aktuell gibt es im Innenstadtbereich fünf Spielhallen, die den Mindestabstand von 350 Metern untereinander unterschreiten. „Denkbar ist auch, das alle weichen müssen.“ Man warte in dieser Sache auf eine klärende Handreichung vom zuständigen NRW-Innenministerium. Sicher sei nur der politische Willen, Spielhallen möglichst aus den Innenstädten zu verbannen. Drei Spielhallenbetreibern seien in dieser Sache bereits Verfügungen zugestellt worden. Ein Inhaber hat seinen Betrieb bereits geschlossen, zwei haben vor dem Verwaltungsgericht geklagt – Ausgang offen. Stefan Bartels rechnet mit weiteren Verfahren: „Schließlich wird mit diesen Betrieben eine Menge Geld verdient.“ Tim Gelewski Erschreckend sind die Ergebnisse des Drogen- und Suchtberichtes aus dem Jahr 2012, nach denen immer mehr Jugendliche dem Geldautomatenspiel verfallen und sich so der Gefahr der Glücksspielsucht ausliefern. Demnach haben rund 25 Prozent aller 16- und 17-jährigen in 2012 an einem Geldspielautomaten gespielt. 2009 waren es noch 15 Prozent der Jugendlichen in dieser - 46 - Altersgruppe, die wir bisher noch viel zu wenig erreichen. Eine weitere Gefahr droht Jugendlichen durch die oben genannten privaten Wettbüros, in denen Alterskontrollen oftmals sehr locker oder überhaupt nicht durchgeführt werden. Der Leiter des Arbeitsbereichs „Glücksspiele“ der Universität Hamburg, Ingo Fiedler, berichtet in der Sendung STERN TV vom 06. November 2013, dass die Teilnahmequote an Sportwetten unter Jugendlichen doppelt so hoch ist, wie unter Erwachsenen. Er sagt: "Wenn junge Leute schon mit 13, 14 oder 15 Jahren an Glücksspiele herankommen und auch noch Erfolgserlebnisse erzielen, dann ist die Gefährdung für eine spätere Problementwicklung groß." Vor diesem Hintergrund sind auch die Werbemaßnahmen der Geldspielautomatenwirtschaft sehr kritisch zu betrachten, die dem Konsumenten scheinbaren Schutz, Sicherheit und Legalität Ihres Angebotes vorgaukeln. Nach der jüngsten Gesetzgebung mit der neuen Spielverordnung und dem neu zu überarbeitenden Glücksspielstaatsvertrag bleibt abzuwarten, wie sich der immer stärker ausbreitende Glücksspielmarkt, mit einer stetigen Zunahme der Angebote auf dem Wett- und Glücksspielautomatenmarkt und entsprechender Angebote im Internet, entwickeln wird. Wir sehen der Zukunft mit großer Sorge entgegen und teilen die Einschätzung renommierter Einrichtungen, wie dem Fachverband Glücksspielsucht e. V. und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS), die generell vor einer Ausweitung des Glücksspielangebotes warnen und sich für einen kleinen, regulierten Glücksspielmarkt aussprechen. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass bis heute ein Beschluss des Rates der Stadt Iserlohn aussteht, aufgrund der vermehrten Vergnügungssteuereinnahmen eine halben Stelle zur Bekämpfung der Glücksspielsucht einzurichten. Der Beschluss wurde vom Sozialausschuss im Mai 2009 aufgrund der finanziell angespannten Situation vertagt. - 47 - 7.3 Online-Beratung Seit einigen Jahren bieten wir mit Unterstützung des Deutschen Caritasverbandes unseren Kunden in Iserlohn die Möglichkeit der Online-Beratung. Die Online-Beratung ist anonym, kostenlos und vertraulich gestaltet. Die Interessenten melden sich unter einem frei erfundenen Namen an, wählen ein Passwort und gelangen automatisch in das eigene Postfach. Von dort aus können Anfragen an die Suchtberatung gesendet werden. Der Kunde entscheidet, ob und wann die Beratung beendet wird und ob der Zugang gelöscht wird. In der Regel wird jede Anfrage innerhalb von 48 Stunden bearbeitet. Sollte diese einmal nicht möglich sein, etwa weil der zuständige Berater krankheitsbedingt fehlt, erhalten die Kunden eine entsprechende Benachrichtigung. Ziel der Online-Beratung ist es, den ersten Schritt zur Kontaktaufnahme mit dem Suchthilfesystem zu erleichtern. Im Vordergrund steht zunächst einmal der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Klient und Berater. Wenn sich herausstellt, dass eine Online-Beratung nicht ausreichend ist, schlagen wir den Klienten die Fortsetzung der Beratung im direkten Gespräch in unserer Suchtberatungsstelle vor. - 48 - 7.4 Medienabhängigkeit / Internetsucht Laut Drogen- und Suchtbericht 2015 des Bundesgesundheitsministeriums leben in Deutschland rund 560.000 Menschen, die vom Internet abhängig sind. Die Betroffenen sind im Durchschnitt täglich 6,5 Stunden im Internet. Ca. 3 Mio. Menschen zwischen 14 und 64 Jahren zeigen laut Studie eine „problematische Internetnutzung“, sie sind täglich bis zu 3 Stunden im Internet. Auffällig ist, dass vor allem junge Leute internetsüchtig sind, in der Gruppe der 14- bis 16-Jährigen sind das laut Bericht 4 Prozent. Erhebliche Unterschiede gibt es, wenn es allein um die Spiele geht, die online oder offline genutzt werden: Hier sind mit deutlicher Mehrheit die Jungen von Abhängigkeit betroffen. Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen weisen von rund 11.000 befragten Neuntklässlern im Durchschnittsalter von 15 Jahren rund zwei Prozent der Jungen Symptome von Abhängigkeit auf und nur 0,3 Prozent der Mädchen. Der Anteil der Jungen an den Betroffenen beträgt damit etwa 90 Prozent. Dabei spielt offenbar das Bildungsniveau der Jugendlichen eine entscheidende Rolle. So sind Hauptschüler am stärksten gefährdet: Unter ihnen finden sich der Studie zufolge 2,6 Prozent Computerspiel-Abhängige. Bei den Realschülern sind es mit 1,3 Prozent Abhängigen nur halb so viele – und unter Gymnasiasten beträgt der Anteil der Betroffenen rund 0,6 Prozent. Ob die Jugendlichen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte stammen oder nicht, spielt eher eine untergeordnete Rolle. - 49 - Unserer Erfahrung nach vernachlässigen süchtige Internet-Nutzer ihre realen sozialen Kontakte, gehen nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit und verwahrlosen auch körperlich, da das Körpergefühl und somit auch das Hunger- und Durstgefühl ausgeschaltet wird. In der Regel verschiebt sich auch der Tag- und Nachtrhythmus, da auch das Schlafbedürfnis zugunsten der Internet-Nutzung nicht mehr von Bedeutung ist. Online-Süchtige leben in einer virtuellen Welt, in der sie Anerkennung finden, die ihnen im echten Leben häufig verwehrt wird. Sie verlieren die Kontrolle über die Zeit am PC und leiden unter Entzugserscheinungen, wie erhöhter Reizbarkeit, schlechter Laune, Angstzuständen, feuchten Händen und innerer Unruhe. Manchmal treten auch aggressive Handlungen gegen sich selber oder gegenüber der Umwelt auf, welche bis hin zum Suizid reichen können. Die Folgen ähneln einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Bis heute liegt noch keine international gültige Krankheitsdefinition vor, ab wann jemand Online-süchtig ist, allerdings scheint unter den bisher an der Erforschung beteiligten Wissenschaftlern weitgehende Einigkeit darin zu bestehen, dass die Kriterien für stoffungebundene Abhängigkeit, die sich ihrerseits an den Kriterien für stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen orientieren, auch auf die Internetabhängigkeit anwendbar sind. Somit müssen zur Diagnosestellung die ersten fünf Kriterien, die sich ausschließlich auf die primäre Symptomatik des übermäßigen Internetkonsums beziehen, allesamt erfüllt sein, zusätzlich mindestens eines der letzten drei Kriterien, die eher sekundäre negative Folgen der Nutzung beschreiben (Young (1996) modifiziert von Beard (2001)): 1. 2. 3. 4. 5. Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Internet Gedanken an vorherige Online-Aktivitäten oder Antizipation (Vorwegnahme oder Erwartung eines zukünftigen Verhaltens und Erlebens) zukünftiger Online-Aktivitäten Zwangsläufige Ausdehnung der im Internet verbrachten Zeiträume, um noch eine Befriedigung zu erlangen. Erfolglose Versuche, den Internetgebrauch zu kontrollieren, einzuschränken oder zu stoppen. Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit, Depressivität oder Reizbarkeit, wenn versucht wird, den Internetgebrauch zu reduzieren oder zu stoppen. Längere Aufenthaltszeiten im Internet als ursprünglich beabsichtigt. - 50 - Zumindest eines der folgenden Kriterien (6-8) muss zusätzlich vorliegen: 6. 7. 8. Aufs Spiel Setzen oder Riskieren einer engen Beziehung, einer Arbeitsstelle oder eines beruflichen Angebots wegen des Internets. Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen, um das Ausmaß und die Verstrickung mit dem Internet zu verbergen. Internetgebrauch als ein Weg, Problemen auszuweichen oder dysphorische Stimmungen zu erleichtern (wie Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst, Depression). Um die Kostenträger, wie Krankenkassen und Rentenversicherungsträger, zu einer Finanzierung der Behandlung zu verpflichten und die Grundlage für zukünftige therapeutische Einrichtungen und einheitliche Behandlungsrichtlinien zu schaffen, fordern wir die internationale Anerkennung der Diagnose „pathologische Internet- und Mediennutzung“ im DSM IV und im ICD-10. Die Frage der Mediengefährdung und Mediensucht ist ein deutliches Schnittstellenthema von Kinder- und Jugendhilfe einerseits und Suchthilfe / Suchtprävention andererseits. Nach Aussage der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben weder die Beratungsstellen der Suchthilfe noch die der Jugendhilfe bislang einen expliziten landespolitischen Auftrag, sich dieser neuen Klientengruppe zu öffnen. Zunehmende Fallzahlen und bestehende begrenzte Personalressourcen in der Sucht- und Jugendhilfe erlauben keine Ausweitung der Klientengruppen ohne vernünftige und realistische Erweiterung der personellen Besetzung. Um ein fachliches und hilfreiches Angebot für betroffene Klienten schaffen zu können ist es demnach notwendig, dass die Suchthilfeträger und Jugendhilfeträger vor Ort in kooperativer Weise die Hilfsangebote entwickeln und aufeinander abstimmen. Wir erhielten auch 2015 Anfragen von besorgten Eltern und Lehrern, die mit jungen Menschen konfrontiert waren, welche zum Teil exzessive „Internetnutzung“ betrieben und haben diese Hilfesuchenden im Rahmen unserer derzeit bestehenden Möglichkeiten beraten und begleitet. In der Regel ging es um junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren, welche abhängig OnlineSpiele konsumierten, noch zu Hause bei den Eltern lebten und zum Teil auch noch schulpflichtig waren. Die Beratung der Angehörigen gestaltet sich durch die oftmals fehlende Krankheitseinsicht der Betroffenen schwierig. In diesen Fällen können wir die Eltern dann nur über ihr eigenes co-abhängiges Verhalten aufklären und sie ermutigen, negative Konsequenzen von dem Süchtigen nicht fern - 51 - zu halten und ihm die Verantwortung für sein süchtiges Verhalten zu übertragen. Notfalls kann dieses auch bedeuten, den jungen Erwachsenen „vor die Tür“ zu setzen oder bei minderjährigen das Jugendamt einzuschalten und eine „Familienhilfe“ zu beantragen. Ein weiteres Problem stellen die fehlenden, auf Internetsucht spezialisierten, stationären und ambulanten Behandlungsangebote dar. Bei Minderjährigen gibt es zwar für die Eltern theoretisch die Möglichkeit, den Süchtigen gegen seinen Willen in eine psychiatrische Fachklinik einweisen zu lassen, aber praktisch lehnen die Kinder- und Jugendpsychiatrien die Behandlung der jungen Menschen ab, da sie keine Möglichkeit sehen, ohne Krankheitseinsicht des Süchtigen eine erfolgreiche Therapie durchzuführen. Oftmals halten sie auch keine spezialisierten Angebote vor. Durch die fehlende Anerkennung der Diagnose im ICD-10 sind die Krankenkassen nicht verpflichtet die Kosten für eine solche Behandlung zu übernehmen und die Kliniken können entsprechende Therapieangebote nicht abrechnen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten bemühen wir uns, mit Einrichtungen der Jugendhilfe zu kooperieren. Aufgrund der umfangreichen und speziellen Anforderungen, die durch die Internetsucht an das bestehende Suchthilfesystem gestellt werden, müssen jedoch zusätzliche Lösungen und Angebote geschaffen werden, die nur im gemeinsamen Zusammenspiel und der Vernetzung von Sucht- und Jugendhilfe greifen können. Vor diesem Hintergrund haben wir bereits vor einigen Jahren vor Ort begonnen, uns mit der Familien- und Erziehungsberatung in unserem Hause zu vernetzen. Es fanden gemeinsame Teams statt um Informationen auszutauschen und neue Ideen im Umgang mit medienabhängigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu entwickeln. Die Treffen erwiesen sich als fruchtbar und hilfreich und werden fortgesetzt. - 52 - 7.5 Cari-Point Selbsthilfegruppe In diesem Jahr konnte Cari-Point ihr fünf-jähriges Bestehen feiern! Auf Initiative eines weiteren Gründungsmitgliedes erhielt der Mitbegründer Peter Wolf von der Diözese in Paderborn eine Ehrenurkunde für seine engagierte ehrenamtliche Tätigkeit als Gruppenleiter! Die Auszeichnung wurde vom Geschäftsführer des Caritasverbandes Herrn Ebbing überreicht. Im Jahr 2015 traf sich Cari-Point regelmäßig am Mittwochabend in den Räumen der Caritas. Teilnehmen kann jeder, der selbst von einer Suchterkrankung betroffen ist, oder einen suchtkranken Angehörigen hat. In der Gruppe treffen sich Menschen mit verschiedenen Suchterkrankungen (Alkohol, Medikamente, Drogen) Die Teilnahme kann anonym erfolgen und ist kostenlos. Selbstverständlich gilt in der Gruppe eine gegenseitige Schweigepflicht, wonach keine Informationen von Teilnehmern aus der Gruppe an andere Personen weitergegeben werden dürfen. Geredet werden kann über „alles“, aber keiner „muss“ etwas sagen. Jeder ist willkommen erst einmal nur zuzuhören. Mit dem Schildern eines Problems – ob in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, mit der Arbeitsagentur, mit Tod und Trauer – gibt jeder Mensch nicht nur ein Stück davon ab, zumeist erfährt er auch, dass es anderen Süchtigen und Angehörigen ganz ähnlich ging oder geht, und dass sie diese Phasen auch durchgemacht - 53 - haben. So profitiert jeder vom Austausch, selbst wenn er nur zuhört. Cari-Point ist bereits offiziell als Selbsthilfegruppe eingetragen und anerkannt. Das wiederum sichert die finanzielle Unterstützung durch die Krankenkassen. Auch die Aufnahme in den Selbsthilfegruppen-Führer für den Märkischen Kreis ist erfolgt. Die Gruppe trifft sich mittwochs in der Zeit von 17:30 – 19:15 Uhr im Tagungsraum des Caritasverbandes. Wir freuen uns sehr über diese seit Bestehen unserer Suchtberatung einmalige Entwicklung, danken für das uns entgegen gebrachte Vertrauen und stehen der Gruppe Cari-Point natürlich gern auch in Zukunft mit Rat und Tat zur Seite. - 54 - 8. Qualitätssicherung 8.1 Qualitätsmanagementsystem (EFQM) Unsere Beratungsstelle hat sich für die Einführung des EFQMModells (European Foundation for Quality Management) entschieden. EFQM ist besonders für kleinere Beratungsstellen ein sinnvoller Weg, um mit begrenzten personellen und zeitlichen Ressourcen den Einstieg in einen Qualitätsmanagementprozess zu gewährleisten. Es ermöglicht die erfolgreiche Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der eigenen Arbeit und stellt ein vom Land anerkanntes System dar. Das Herzstück des EFQM-Modells besteht aus einer Selbstbewertung der Einrichtung, die alle zwei Jahre durchgeführt wird. Anhand der späteren gemeinsamen Auswertung werden die Bereiche deutlich, in denen die Einrichtung bereits jetzt schon eine gute Arbeit leistet oder wo zukünftig etwas verändert oder ergänzt werden sollte. Gemeinsam mit der Suchtkrankenhilfe Menden fanden bisher wiederholt Selbstbewertungen statt. Neben der Überprüfung der bereits erreichten Ziele aus der ersten Selbstbewertung wurden wichtige Veränderungsprojekte und -prozesse für die nächsten Jahre entwickelt und in 2015 kontinuierlich vorangetrieben. Für 2016 ist die weitere gemeinsame Entwicklung und Verschriftlichung von Prozessabläufen in den Suchtberatungen geplant. Im Rahmen des Qualitätsmanagements unserer Suchtberatung beteiligen wir uns seit 2010 an einer externen und unabhängigen Beschwerdestelle, welche eine sehr sinnvolle und hilfreiche Ergänzung unseres Beschwerdemanagements darstellt (s. Kap. 8.3). Insgesamt hat sich der Prozess des Qualitätsmanagement als eine gute Möglichkeit herausgestellt unseren bereits vorhandenen hohen Qualitätsstandard in der Beratung abzubilden, zu bestätigen und durch sinnvolle Veränderungen weiterzuentwickeln. - 55 - 8.2 PATFAK Light / Computergestützte Dokumentation und Auswertung Um Qualitätsstandards zu installieren und zu messen, haben wir zum Beginn des Jahres 2009 auf das Programmsystem PATFAK light von der Firma Redline Data umgestellt. Mit diesem Programm ist es uns möglich, den bereits 2007 eingeführten „neuen deutschen Kerndatensatz“ (KDS) für die Landessuchthilfestatistik NRW zu erfassen und entsprechende neue Anforderungen zu erfüllen, die an die in den Suchtberatungsstellen genutzten Dokumentationsprogramme gestellt werden. Mittlerweile hat sich das System sehr gut bewährt. Es bietet für die erweiterte Dokumentation und die neu strukturierten statistischen Auswertungen vielfältige Möglichkeiten, um Vergleiche zu ziehen und Tendenzen und Entwicklungen zu erkennen. Das Programm ermöglicht uns die Teilnahme an der Jahresauswertung der Deutschen Suchthilfestatistik des Instituts für Therapieforschung in München (IFT) und an der Landessuchthilfestatistik Nordrhein-Westfalen. Es bildet außerdem die Grundlage der jährlichen statistischen Auswertungen für das Land, den Märkischen Kreis und die Stadt Iserlohn. An dieser Stelle möchten wir noch einmal darauf hinweisen, wie zufrieden wir mit PATFAK light und seinen vielfältigen Möglichkeiten sind und unsere tägliche Dokumentation damit erleichtert wird. - 56 - 8.3 Unabhängige Beschwerdestelle des Märkischen Kreises Unsere Suchtberatung beteiligt sich im Rahmen ihres Qualitätsmanagements (s. Kap. 8.1) an der unabhängigen Beschwerdestelle für Menschen mit seelischen Störungen und Suchterkrankungen im Märkischen Kreis. Die Beschwerdestelle ist eine der ersten in NRW, in der betroffene Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt mit professionellen Helfern Beschwerden bearbeiten. Bei den Kunden handelt es sich z. B. um Bewohner des ambulant und stationär betreuten Wohnens, um Patienten der Kliniken, um Teilnehmer an Freizeit- und Kontaktangeboten, Ratsuchende beim Sozialpsychiatrischen Dienst oder den Suchtberatungsstellen sowie Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit psychischen Behinderungen. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich mit einer Beschwerde gleich welcher Art - bei Schwierigkeiten mit den kooperierenden Einrichtungen an die Beschwerdestelle wenden. Dieses ist telefonisch, per Post, per E-Mail sowie persönlich in den wöchentlichen Sprechstunden möglich. Die jeweils zuständigen Mitglieder der Beschwerdestelle nehmen zunächst Kontakt zum Beschwerdeführer auf und klären weitere Details. Danach wird das Gespräch mit der Einrichtung gesucht, in der die Probleme auftreten. Die weitere Vorgehensweise richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Ziel ist es, die Beschwerde zu klären und zwischen Kunden und psychosozialer Einrichtung zu vermitteln. Sollten sich gleichlautende Beschwerden häufen, ist es im Sinne des Qualitätsmanagements wichtig, die betroffene Einrichtung bei einer grundsätzlichen Klärung zu unterstützen und für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Die Beschwerdestelle arbeitet kostenlos. Die Mitglieder der Beschwerdestelle unterliegen der Schweigepflicht. - 57 - 9. Résumé/Ausblick Das Angebot der Suchtberatungsstelle des Caritasverbandes Iserlohn, Hemer, Menden, Balve e. V. ist ein wichtiges Element in der Kette der Hilfsanbieter im Bereich der Suchtkrankenhilfe. Als fest integrierter Bestandteil wurde es auch im Jahr 2015 vielfach von den Bürgern der Stadt Iserlohn wahrgenommen. Mit einer positiven Veränderung der Symptomatik in 68 % der beendeten Betreuungen können wir auch in 2015 auf ein erfolgreiches Berichtsjahr zurückblicken. Bedingt durch die fortschreitend hohen Klientenzahlen und Beratungskontakte gelangt unsere Suchtberatungsstelle seit Jahren an die Grenzen ihrer zeitlichen und persönlichen Ressourcen und Möglichkeiten. Um den vielen Klienten und Anfragen gerecht werden zu können, werden wir auch weiterhin unsere offene Sprechstunde anbieten. Sie ermöglicht es uns auch in Zukunft, trotz hoher Nachfrage für unsere Kunden zeitnahe Hilfe und eine regelmäßige Erreichbarkeit sicher zu stellen. Wie in den letzten Jahren sticht bei der Auswertung unserer Daten besonders die hohe Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfänger mit einer Suchtproblematik ins Auge. Dies ist zum einen auf die schwierige Arbeitsmarktlage speziell für langzeitarbeitslose Menschen zurückzuführen, zum anderen muss allerdings mit Besorgnis betrachtet werden, dass sich das Fehlen von Arbeit, Beschäftigung und Tagesstruktur als Sucht fördernde Komponente herausstellt. Im Rahmen unserer Hilfe wird die Beschäftigung mit der entstehenden Armut durch die Folgen der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der letzten Jahre leider auch in den folgenden Jahren weiterhin ein zentrales Thema bleiben. Um den betroffenen Menschen eine Zukunftsperspektive vermitteln zu können, wünschen wir uns unter Anderem die Einrichtung eines „Dritten Arbeitsmarktes“, der auch von der Freien Wohlfahrtspflege als sinnvoll und notwendig erachtet wird und erhoffen uns für die Zukunft entsprechende politische Weichenstellungen. Die Begleitung und Beratung der hohen Anzahl von Patienten mit Doppel- oder Mehrfachdiagnosen wird auch in Zukunft eine enorme Herausforderung für uns darstellen und einen großen Anteil unserer Arbeit ausmachen. Viel zu wenig ambulante Psychotherapieplätze, zu wenig psychiatrische Fachärzte und fehlende integrative Behandlungsprogramme im ambulanten Rahmen werden unsere Arbeit auch in Zukunft zusätzlich erschweren. Wir fordern daher die Einrichtung von ausreichenden ambulanten Psychotherapieplätzen, insbesondere für die Gruppe der Patienten mit Doppel- und Mehrfachdiagnosen! - 58 - In unserer Arbeit hat sich sowohl die interne Kooperation mit dem gut ausgebauten Netz unseres Caritasverbandes als auch die externe Zusammenarbeit mit den Hilfsangeboten in Iserlohn und Umgebung bewährt. Die besorgniserregende Entwicklung auf dem Glücksspielmarkt und die vergleichsweise hohe Nachfrage unseres Beratungsangebotes für Glücksspieler bestätigt uns in der Schwerpunktsetzung unseres Angebotes und bestärkt uns darin, auch in Zukunft die angeleitete Selbsthilfegruppe für Glücksspieler weiter anzubieten. Auch die therapeutisch geleitete Nachsorgebehandlung in Kooperation mit dem Therapieverbund ARS-MK werden wir 2016 in Iserlohn fortführen. Wir freuen uns, auch weiterhin die Selbsthilfegruppe Cari-Point in unserem Haus beheimatet zu wissen und wünschen ihr auch für das kommende Jahr regen Zulauf und eine gute und erfolgreiche Arbeit. Unsere CHAMÄLEON-Gruppenangebote können erfreulicherweise sowohl in Menden und Hemer als auch in Iserlohn weiter fortgeführt werden. Um den Fortbestand dieser wichtigen therapeutischen Angebote für Kinder aus sucht- und seelisch belasteten Familien sicher stellen zu können, werden wir allerdings auch in Zukunft auf zahlreiche große und kleine Spenden angewiesen sein. Hinsichtlich der pathologischen Internet- und Mediennutzung müssen in Zukunft neue Zugangswege und Hilfsangebote für die jungen Menschen gefunden und installiert werden. Dies wird leider nicht im Rahmen unseres bisherigen Angebotes finanzierbar und durchführbar sein können. Um auf dem aktuellen Stand der Entwicklung zu bleiben, werden auch im Jahr 2016 weitere Informations- und Kooperationstreffen mit der Familien- und Erziehungsberatung in unserem Hause stattfinden, damit wir die betroffenen Eltern und Kindern in Iserlohn zumindest im für uns durchführbaren Rahmen unterstützen können. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise werden aus unserer Sicht in naher Zukunft neue Herausforderungen auf das deutsche Suchthilfesystem zukommen. Bereits im Oktober 2015 berichtet Frau Renée Buck, Abteilungsleiterin des Kieler Gesundheitsministeriums, in einem Interview mit DIE WELT über den zunehmenden Alkoholkonsum von Flüchtlingen in Deutschland und prognostiziert „Alkohol wird bei den Flüchtlingen eine Rolle spielen“. - 59 - Um adäquat auf die bevorstehenden Probleme reagieren zu können, halten wir einen regelmäßigen Austausch mit den beteiligten Institutionen in Iserlohn und ein abgestimmtes Vorgehen für unbedingt notwendig. Die Teilnahme an Arbeitskreisen und Gremien ist auch weiterhin notwendig und vorgesehen, um die wichtigen Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene nutzen zu können. Auch für das Jahr 2016 haben wir uns vorgenommen, die bereits hohen Qualitätsstandards unserer Beratungsstelle zu halten und mit Hilfe des bestehenden Qualitätsmanagementsystems weiter auszubauen. - 60 - 10. Dank An dieser Stelle bedanken wir uns bei allen, die uns bei unserer Arbeit in der Beratung von Hilfe suchenden Abhängigkeitskranken und deren Angehörigen unterstützt haben: den mit uns in Kontakt stehenden Einrichtungen, Institutionen, Ämtern, Krankenhäusern, Therapieeinrichtungen, Beratungsstellen, und (Selbsthilfe-) Gruppen den Kooperationspartnern des ARS-MK den Kollegen und Mitarbeitern des Caritasverbandes Iserlohn e.V. Wir wünschen uns weiterhin eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit, so dass wir auch weiterhin die Menschen, die uns um Hilfe bitten, kompetent beraten und begleiten können und damit unseren gesellschaftlichen Auftrag nach besten Wissen und Gewissen erfüllen können. Iserlohn, Februar 2016 Uta von Holten Thomas Kreklau Dipl. Soz. arb / Dipl. Soz. päd. Suchttherapeutin (VDR) Systemische Familientherapeutin (DGSF) Dipl. Soz. arb. Suchttherapeut - 61 - Psychosoziale Suchtberatung Karlstr. 15 58636 Iserlohn Telefon 02371/8186 20 02371/8186 19 Telefax 02371/8186 81 [email protected] [email protected] www.caritas-iserlohn.de www.suchtberatung-iserlohn.de www.caritas-chamäleon.de - 62 -