Predigt zur Goldene Konfirmation Luk.14,16

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Predigt zur Goldene Konfirmation Luk.14,16
Predigt zur Goldene Konfirmation
Luk.14,16-24 (Großes Abendmahl)
16 Jesus sprach: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein.
17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt,
denn es ist alles bereit!
18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen
Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.
19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu
besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.
20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.
21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach
zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen,
Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.
22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.
23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige
sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch allen.
Liebe Mitkonfirmandinnen, liebe Mitkonfirmanden, liebe Gemeinde!
Im Konfirmandenunterricht haben wir viele Geschichten aus der Bibel gehört – und die sind uns
sicherlich mehr im Gedächtnis geblieben als alle dogmatischen Erklärungen.
Ich möchte Ihnen eine davon erzählen. Sie ist uns bekannt. Sie wurde vorhin als Evangelium verlesen.
Aber lassen Sie sie uns neu hören.
Ich bitte Sie, mich in Gedanken nach Palästina zu begleiten.
Wir setzen uns zu den Leuten an eine lehmverputzte Eingangstür eines einfachen, orientalischen
Hauses vor 1975 Jahren.
Es ist ein lauer Abend. Wir lauschen einem Geschichtenerzähler. Die Erzählung beginnt:
Einen Tag seines Lebens wird Jakob, der Händler aus Jericho, wohl nie vergessen: Es war, kurz
nachdem Zachäus, der oberste Steuerbeamte von Jericho, die Gewerbesteuer zum letzten Mal erhöht
hatte.
Jakob war unterwegs in Galiläa, im Norden von Palästina. Eine anstrengende Reise war es. Vor ein paar
Tagen noch hatte er einen größeren Posten Perlmutt in Bethlehem erstanden. In Samaria hatte er einen
Teil weiterverkauft; und nun war er auf dem Weg nach Damaskus, um für den Rest seiner Ware gutes
indisches Elfenbein einzutauschen ...
Wie würde seine Frau sich freuen, wenn er sagen wird: Du, das habe ich dir mitgebracht! Freust du
dich?
Es dämmerte bereits, als er in Magdala am See Genezareth eintraf. Ein milder Abend war es. Friedlich
sahen die zwei engen Gassen des Dorfes aus. Die Häuser waren frisch gekalkt.
Da war das Haus des Bürgermeisters. Es war als einziges nicht aus Lehm, sondern aus wohlgehauenen
Steinquadern erbaut. Wie oft war er da schon zu Gast! Und heute wollte Jakob wieder einmal dessen
Gastfreundschaft genießen.
Aber – es war so merkwürdig still im Dorf; wo doch sonst in der Abendkühle ein so fröhliches Treiben
herrschte.
Als Jakob am Dorfbrunnen angekommen war, traf er endlich einen Menschen: eine Magd, die Wasser
holen wollte.
"Was ist hier denn los?", fragte er sie- "alles so still?"
"Nichts ist hier los," antwortete die Alte schlurfenden Schrittes, "Der Großbauer hat mal wieder Grund
und Boden gekauft, und nun ist die ganze Familie draußen beim Ausmessen, Bodenprüfen und
Zäunesetzen."
"Und der Viehhändler?"
"Der ist noch nicht vom Viehmarkt in Kapernaum zurück. Der wollte gleich fünf Joch Ochsen einkaufen."
"Und der Fischer?"
"Der macht gerade Flitterwochen. Hat auf seine alten Tage doch noch die Liebe entdeckt. Eine von den
Beduinen, sagt man."
"Ja, und der Bürgermeister?", fragt Jakob verunsichert. - "Ach, der macht gerade ein großes Fest." - "Ein
großes Fest? - Wo doch keiner im Dorf ist?". - Geh` doch hin, und sieh dir`s an. Du wirst dich wundern!"
Jakob treibt seinen Lastesel wieder an und macht sich auf den Weg durch die stille Gasse zum Haus
des Bürgermeisters.
Dort angekommen, hört er den fröhlichen Lärm und riecht den Duft des Hammelbratens. Aber wie
erschrickt er, als die die Gegenstände bemerkt, die rechts und links neben der Tür an der Hauswand
aufgereiht sind: Holzkrücken entdeckt er, etliche Rucksäcke, wie sie normalerweise nur von
Tippelbrüdern und Landstreichern benutzt werden. Zwei Hunde sind am Pfosten festgebunden, Tiere,
die sonst nur zum Führen von Blinden geeignet sind.
Jakob schleicht sich an die Tür, um in den von Öllampen schwach erleuchteten Raum zu schielen:
Und da sitzen sie und liegen auf ihren Polstern und feiern und lachen. Und der Bürgermeister - sein
Freund - mittendrin in diesem Gesindel von Asozialen.
Atemlos läuft Jakob zurück zum Brunnen. Gottseidank - die Magd ist noch da. "Ja, er hat sie alle
eingeladen. Die anderen wollten ja nicht kommen." Sie nimmt ihre Wassersäcke und lässt ihn allein.
"Er hat sie alle eingeladen - ja, ist der denn nicht mehr ganz dicht?" - darüber muss er nachdenken,
während er mit seinem Esel über die inzwischen in der Dunkelheit kaum mehr erkennbare Landstraße
weiterzieht.
"Er hat sie alle eingeladen" - Wie kommt das nur, dass er dabei immer wieder an ein früheres Erlebnis
zurückdenken muss? Damals ist er auf einer anderen Geschäftsreise an einem weiten, brachliegenden
Feld vorbeigekommen. Eine große Menschenmenge lagerte sich dort, während ein Wanderprediger vom
Reich Gottes erzählte. Wie hieß doch der Mann? Da fiel es Jakob wieder ein: Jesus hat er geheißen.
Was hat er doch gesagt? "Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer.“ – und ähnliche Sätze.
Und dann sagte er noch zu diesen Leuten: "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken."
Jakob entlädt seinen Esel und macht sich fertig für die nächtliche Rast. "Wie kommt das nur: gerade
heute, nach diesem sonderbaren Erlebnis in Magdala, muss ich an diesen Jesus denken?"
"Er hat sie alle eingeladen", sagte die Frau am Brunnen über den Bürgermeister. Er denkt an das
Gesindel, das da in dessen Haus versammelt ist und feiert: Krüppel, Lahme, Ausgeflippte, Blinde,
Tippelbrüder. Und er hat sie alle eingeladen... Er denkt an die Leute, die damals auf dem Feld zu dem
Wanderprediger Jesus kamen: Das waren die Armen, die Dummen, die Tagelöhner, die am Rande der
Dörfer mit ihren Familien in Zelten und einfachen Hütten hausten; diejenigen, die Sorgen hatten und mit
denen die guten Bürger nichts zu tun haben wollten. "Kommt her zu mir alle", hat er sie eingeladen.
Warum nur muss ich gerade jetzt an diesen Jesus denken? Warum kommt mir dieser Satz der Alten am
Brunnen nicht aus dem Sinn: "Er hat sie alle eingeladen, der Bürgermeister."?
Da wird ihm plötzlich klar: Der Bürgermeister muss dabei gewesen sein, damals auf dem Feld. Der muss
gehört haben, wie dieser Jesus zu ihnen allen gesagt hat: "Kommt her zu mir..."
Ja, so war es: Der Bürgermeister hat verstanden, dass Jesus von Gott sprach, von dem Gott, der alle
Menschen in seine Nähe einlädt - gleich wie sie aussehen, wie sie leben und wie sie angesehen sind.
Und dann hat er bestimmt bei der Festrede zu seinen Gästen heute Abend gesagt: "So, wie ich euch
heute eingeladen haben, so lädt euch Gott immer ein. So, wie ich mich freue, dass ihr da seid, so freut
sich Gott über jeden, der seiner Einladung folgt. `Kommt, denn es ist alles bereit', das habe ich euch
heute ausrichten lassen durch meine Knechte. Denn Gott sagt das auch zu euch, immer!"
Jakob, der reiche und vornehme Handelskaufmann, springt auf, sattelt seinen Esel und geht zurück
nach Magdala. Ich bin auch eingeladen - das weiß er nun genau. Ich gehöre auch zu denen, die der
Bürgermeister bei sich haben will.
Als er vor dem Haus des Bürgermeisters steht, ist er erleichtert: Es ist noch nicht zu spät. Das Fest ist
noch in vollem Gange. Die Krücken, die Rucksäcke und die beiden Hunde sind noch vor dem Haus.
Beim Eintreten begrüßt ihn der Gastgeber: "Jakob, komm rein; es ist alles bereit. Wir feiern ein Fest. Wir
feiern, weil Gott uns eingeladen hat."
Liebe Gemeinde, die Geschichte von Jakob ist nun zu Ende. Aber die ganze Geschichte ist noch nicht
vorbei!
Wir sitzen hier zusammen und feiern Goldene Konfirmation. Er, unser Herr, hat uns alle eingeladen, und
die St. Jacobi-Gemeinde zu Göttingen hat uns diese Einladung überbracht. Wir denken daran, wie wir
damals, vor 50 und 51 (und vor 57) Jahren, nach der Einsegnung aufstanden und zum Empfang des
Heiligen Abendmahls zum Altar gingen - so, wie wir das nachher auch tun werden, die wir aus vielen
Orten zwischen München und Hamburg zusammengekommen sind und hier Brot und Wein empfangen
werden, nachdem uns Pastor Storz eingeladen hat mit den Worten: „Kommt denn es ist alles bereit“.
Und nun stelle ich mir vor, da könnte jetzt einer von dahinten uns beobachten, einer, der nicht nur in der
Lage ist, nach unserem äußeren, festlich gewandeten Augenschein zu urteilen, sondern einer, der auch
in uns hinein blicken kann:
Und da steht er nun und wundert sich, der Beobachter, dass solche Leute von Gott eingeladen sind, und
dass sie auch zum Gottesdienst zu kommen wagen. Da haben doch alle seit ihrer Konfirmation nicht
gerade mit frommen Supereinstellungen zu prahlen; da sind doch alle irgendwie nicht würdig, von dem,
der sich im Abendmahl schenkt, eingeladen zu werden. Da sind manche, die – was die Nächstenliebe
angeht - gelähmt zu sein scheinen.
Und dann sitzen neben den sicherlich vielen ehrenwerten Leuten, die gar nicht dem Gesindel in dem
Haus des Bürgermeisters entsprechen, vielleicht tatsächlich welche, die innerlich etwas verkrüppelt sind,
weil sie nur gestützt auf ihre äußerlichen Erfolge zu existieren vermögen. Jemand anderes ist – stellt der
Beobachter an der Tür fest – lahm geworden, weil er nicht mehr in der Lage ist, zum Mitmenschen, zum
Ehepartner oder zum Freud, der ihn enttäuscht hat, zu gehen und ihm die Hand der Versöhnung
entgegen zu strecken. Wieder einer ist taub, weil er nicht mehr hört, wie der Mitmensch am Telefon
immer wieder anklopft und sagen will: Du, ich brauche dich!
Ja – jeder und jede entspricht auf irgendeine Weise nicht dem Bild, was man herkömmlicher Weise für
die Begegnung mit Gott dem Herrn für „würdig“ erachtet.
Aber sie sind alle gekommen zum Gottesdienst, stellt der Beobachter fest. Allerdings: Er sollte nicht
mehr beobachten, sondern sich dazu setzen! Gottes Gegenwart kann man nicht erfahren, wenn man nur
beobachtet. Man muss sie erbitten und man darf von ihr beschenkt werden. Die hier sitzen, wissen: Gott
hat uns alle eingeladen, gleich, wie wir aussehen, was wir denken, fühlen und tun, egal, wie treu wir uns
seit der Konfirmation zum Glauben gehalten haben. Was uns aber alle verbindet, ist die Dankbarkeit für
die vergangenen 50 und mehr Jahre nach unserer Konfirmation. Und: dass wir feststellen dürfen:
Unsere Kirche, in der wir konfirmiert worden sind, hat sich innen total verändert – so wie wir selbst. Aber
der Altar ist derselbe geblieben – obwohl er so unterschiedliche Betrachtungsweisen eröffnet, wie wir
gestern so eindrücklich von Pastor Storz erklärt bekamen. Die Botschaft von Gottes Nähe ist gleich
geblieben – obwohl sie uns auf so unterschiedliche Weise von so unterschiedlichen Pastoren nahe
gebracht wurde: Da gab es ja den gütigen Pastor Heller, es gab den ostpreußisch freundlichen Pastor
Moderegger, und es gab den gestrengen Superintendenten Meyer. Und für manchen von uns war der
Unterricht nicht immer eine Einladung zum Glauben. Ich denke da an den Beichtgottesdienst vor der
Konfirmation meiner Gruppe, wo wir da vor unseren Stühlen knieten und nur an die unverdiente Gnade
denken mussten, dass er uns sündhaften Jugendlichen im Pubertätsalter alle bösen Gedanken und
Taten vergibt, und nicht an die herzliche Freude unseres Gottes, dass wir unser Leben ihm, dem
liebenden Gott anvertrauen dürfen.
Und dennoch: Heute – aus der Rückschau auf die mehr als 50 Jahre nach unserer Konfirmation –
können wir nur dankbar sein für ein begnadetes Leben unter der Obhut dieses liebenden Gottes.
Zum Beispiel:
Über 50 Jahre Frieden – das gab es seit Generationen nicht mehr in unserem Land - niemals seit dem
Bau der Jakobikirche im 14. Jahrhundert. Diejenigen, die in dem Jahr, in dem wir konfirmiert worden
sind, ihre eigene Goldene Konfirmation feierten, also 1957 und 1958, hatten – wenn sie noch lebten – 2
Weltkriege, eine totale Verarmung der Massen während der Inflation 1922 und der unermesslichen
Arbeitslosigkeit Anfang der 30ger Jahre und eine menschenverachtende Diktatur des Mannes, der sich
selbst wie ein Gott verehren ließ, hinter sich.
Neben dem uns geschenkten Frieden spielte sich unser Leben in einem nie gekannten Wohlstand, in
sozialer und medizinischer Vor- und Fürsorge ab, wie sie damals niemand vorhersehen konnte.
Und wenn auf diesem Hintergrund wir eingestehen, dass wir Gott zu wenig gedankt, die Mitmenschen zu
wenig geliebt und uns selbst zu oft vom Glauben entfernt haben, dann kann die Dankbarkeit nicht groß
genug sein, dass er uns bei sich haben will, so wie wir sind, nämlich unvollkommen und dennoch
unendlich dankbar, in seiner Gemeinschaft geborgen zu sein.
Gott will nämlich keine Sündlosen – die gibt es nicht, sondern Sünder, die Sehnsucht haben, von ihm
geliebt zu werden.
Liebe Freunde, das ist es also, was uns das bekannt Gleichnis vom großen Festmahl sagen will: Es ist
etwas besonderes, dass Gott uns einlädt, ohne dass er von uns die Eintrittskarte erfüllter Vorschriften
verlangt. Unser Äußeres ist Gott sowieso gleichgültig. Aber auch, wie es innerlich in uns aussieht, wie
fromm wir sind, oder wie fröhlich oder traurig wir sind, das ist ebenso gleichgültig wie damals bei dem,
was Jakob im Haus des Bürgermeisters erlebt hat: Wir dürfen kommen, auch - oder gerade, wenn wir
innerlich ungewaschen, verkrüppelt, blind lahm oder heimatlos sind. Wir dürfen immer kommen. Jedem
gilt das Wort: "Kommt, denn es ist alles bereit!". Hauptsache, wir kehren um von unseren gedanklichen
und menschlichen Hecken und Zäunen.
Jakob, der Händler aus Jericho, hat das verstanden. Aber das war ja schon vor 2000 Jahren. Ob wir, die
wir aufgeklärt und so viel klüger geworden sind, das auch verstehen und öfter mal wieder in den
Gottesdienst gehen?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus
Jesus, unserem Herrn. Amen
Erhard Knauer