Schmerz 2016 Cannabis in Gastroenterologie

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Schmerz 2016 Cannabis in Gastroenterologie
Schwerpunkt
Schmerz
DOI 10.1007/s00482-015-0087-0
© Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. Published
by Springer-Verlag Berlin Heidelberg - all rights
reserved 2016
M.S. Volz1 · B. Siegmund1 · W. Häuser2,3
1 Medizinische Klinik mit Schwerpunkten Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie,
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Deutschland
2 Innere Medizin I, Klinikum Saarbrücken gGmbH, Saarbrücken, Deutschland
3 Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Technische Universität München, München, Deutschland
Wirksamkeit, Verträglichkeit und
Sicherheit von Cannabinoiden
in der Gastroenterologie
Eine systematische Übersichtsarbeit
In bisher publizierten Übersichts­
arbeiten wurde der potenzielle Nutzen
von Cannabinoiden (Medizinalhanf oder
synthetisch hergestellte Substanzen aus
Cannabis) in der Gastroenterologie be­
tont [14, 25, 31]. Anatomische, physio­
logische und pharmakologische Studien
haben gezeigt, dass das Endocannabinoid­
system im Gastrointestinaltrakt nach­
weisbar ist [19]. Das Endocannabinoid­
system ist ein Teil des Nervensystems,
in dem bislang zwei Cannabinoid­
rezeptoren (CB1 und CB2) identifiziert
worden sind [20]. Es ist an der Regulation
der Nahrungsaufnahme, der gastralen
Sekretion und der intestinalen Motilität
und Sensitivität sowie an Entzündungs­
prozessen und Zellproliferation be­
teiligt [14, 19]. Daher wird ein möglicher
positiver Effekt von Cannabinoiden
(Wirkstoffe der Cannabispflanze) auf
gastrointestinale Symptome wie Übel­
keit, Erbrechen, Bauchschmerzen und
Durchfälle angenommen [14]. Zwar
wurde der analgetische Effekt von
Cannabinoiden in einer Vielzahl von
Studien bei chronischen Schmerzen auf­
grund von malignen Erkrankungen und
neuropathischen Schmerzen untersucht,
in denen sich insgesamt ein moderater
schmerzstillender Effekt zeigte [5, 21],
die vorhandene Datenlage zu chronischen
Schmerzen in der Gastroenterologie ist
aber limitiert.
In einem Tiermodell für Schmerz(ver­
meidungs)verhalten wurde ein CB2-
abhängiger analgetischer Mechanis­
mus festgestellt [34]. Zusätzlich wird
über den CB2-Rezeptor die antientzünd­
liche Wirkung von Cannabinoiden ver­
mittelt. Cannabinoide verschieben die
Balance von proinflammatorischen
Zytokinen und antiinflammatorischen
Zytokinen in Richtung eines T-HelferzellTyp-2-Profils. Weiterhin reduzieren
Cannabinoide die Produktion von pro­
inflammatorischen Zytokinen wie dem
Tumor-Nekrose-Faktor α (TNF-α), Inter­
feron-γ (IFN-γ) und Interleukin-1 (IL-1;
[3]). Bei andauerndem Cannabiskonsum
wurden Veränderungen an der zellulären
Immunität festgestellt [26, 29]. Daten aus
Tiermodellen liefern zusätzliche Evidenz,
dass Cannabinoide entzündliche Prozesse
in einem Kolitismodell [4, 34] und
ebenso in Zellisolaten von Patienten mit
chronischer Pankreatitis mildern können
[22].
In der Gastroenterologie werden mög­
liche Indikationen von Cannabinoiden
zur Symptomkontrolle von Übelkeit/
Erbrechen, viszeralen Schmerzen und
Durchfällen bei chronisch-entzünd­
lichen Darmerkrankungen (CED; [25]),
Reizdarmsyndrom (RDS; [32]) und
chronischer Pankreatitis diskutiert [14].
Der mögliche Nutzen und die Ge­
fahren von Cannabis zu medizinischen
Zwecken müssen jedoch auch kritisch
gesehen werden. Die unzureichende
Quantität und Qualität der Evidenz für
einen Nutzen bei medizinischen In­
dikationen wie auch die potenziellen
Risiken, z. B. neuropsychiatrische Neben­
wirkungen, wurden in Übersichtsarbeiten
hervorgehoben [9].
In Anbetracht der Diskussionen um
den Einsatz von Cannabisprodukten zu
medizinischen Zwecken ist das Ziel dieser
systematischen Übersichtsarbeit, die vor­
handene Evidenz für Nutzen, Verträg­
lichkeit und Sicherheit einer Therapie
mit Cannabinoiden im Vergleich zu
Placebo oder etablierten Therapien bei
erwachsenen Patienten mit CED, RDS
und chronischer Pankreatitis zusammen­
zufassen.
Methoden
Diese Übersichtsarbeit wurde gemäß dem
Preferred-Reporting-Items-for-SystematicReviews-and-Meta-Analyses(PRISMA)Statement [23] und nach den Empfehlungen
der Cochrane Collaboration [13] durch­
geführt.
Datenbanken und Suchstrategie
Es wurde eine systematische Suche
in den Datenbanken CENTRAL und
PubMed bis März 2015 durchgeführt.
Die Suchstrategie für PubMed ist in
. Infobox 1 dargestellt. Weiterhin wurde
in Clinicaltrials.gov nach noch nicht ver­
öffentlichten Studienergebnissen gesucht.
Die Treffer wurden mit der Literatur­
liste einer aktuellen deutschen Über­
Der Schmerz
1
Schwerpunkt
Infobox 1 Suchstrategie PubMed
((„Pancreatitis, Chronic“[Mesh]) OR
(„Inflammatory Bowel Diseases“[Mesh]
OR „Colitis, Ulcerative“[Mesh])
OR („Crohn Disease“[Mesh] OR
„Irritable Bowel Syndrome“[Mesh]))
AND ((„cannabis“[MeSH Terms] OR
„cannabis“[Tiab]) OR („Ganka“[Journal] OR
„ganka“[Tiab]) OR („marihuana“[Tiab]) OR
(„bhang“[Tiab]) OR („cannabinoid“[Tiab])
OR („dronabinol“[MeSH Terms] OR
(„dronabinol“[Tiab] OR „marinol“[Tiab])
(„nabilone“[Supplementary Concept] OR
„nabilone“[Tiab]) OR („cesamet“[Tiab]) OR
„HU 211“[Supplementary Concept] OR
„HU 211“[Tiab] OR „dexanabinol“[Tiab])
OR („tetrahydrocannabinol-cannabidiol
combination“[Supplementary
Concept] OR „sativex“[Tiab]) OR
„tetrahydrocannabinol“[Tiab]))
sichtsarbeit [9] sowie mit der Daten­
bank der International Association for
Cannabinoid Medicines (IACM; [12])
abgeglichen. Weiterhin wurden die
Literaturlisten der gefundenen Original­
arbeiten manuell überprüft.
Literatursuche
Die Literatursuche wurde von zwei
Autoren (MSV; WH) unabhängig durch­
geführt. Die Suchergebnisse wurden auf
der Grundlage von Titeln, Abstracts und
teilweise Volltextanalysen unter Ver­
wendung definierter Ein- und Ausschluss­
kriterien (Filter) für die Verwendbarkeit
für die Metaanalysen von randomisierten,
kontrollierten Studien (RCT) ana­
lysiert. Filter 1 schloss Suchergebnisse bei
folgenden Kriterien aus: Fragestellung
nicht untersucht; keine kontrollierte
Studie; Tierstudien; keine vollständige
Publikation (z. B. Abstract); Fallberichte;
Leserbriefe; Doppelpublikation. Die ver­
bleibenden Studien wurden im Volltext
bestellt. Filter 2 bedeutete den „Ein- und
Ausschluss aufgrund der Kriterien des
Filters 1 nach Lektüre der Volltexte“.
Ein- und Ausschlusskriterien
Die Ein- und Ausschlusskriterien glieder­
ten sich wie folgt:
2
Der Schmerz
Einschlusskriterien
55Randomisierte oder quasi­
randomisierte, kontrollierte Studien
mit therapeutischer Zielsetzung
55Studienveröffentlichung in einer Zeit­
schrift mit Peer-review-Verfahren
55Studien mit einem Parallel-, Crossover- und Enriched-enrolmentrandomized-withdrawal(EERW)Design
55Studien mit Cross-over-Design
wurden nur eingeschlossen, wenn
zzdie Daten der beiden Behandlungs­
perioden getrennt berichtet wurden
oder
zzstatistische Tests durchgeführt
wurden, die keinen Hinweis auf
einen signifikanten Carry-overEffekt zeigten, oder
zzstatistische Anpassungen im Falle
eines signifikanten Carry-overEffekts durchgeführt wurden.
55Studien, die mindestens eines der
unten aufgeführten Ergebnismaße für
Wirksamkeit und Risiken berichteten
55Studien, deren Dauer der Therapie­
phase ≥ 4 Wochen betrug (Auf­
dosierung und Erhaltungsphase bei
Parallel- und Cross-over-Design;
„double-blind withdrawal phase“ für
EERW-Design)
Bei der quantitativen Datensynthese
wurden Studien mit einem Parallelbzw. Cross-over-Design und Studien mit
einem EERW-Design getrennt analysiert,
da die Patientenpopulation der Doppel­
blindphase im EERW-Design sich auf­
grund der vorgenommenen Selektion von
der von Studien mit einem Parallel- oder
Cross-over-Design unterscheidet.
Ausschlusskriterien
1. Studien, die nur als Abstracts oder
Poster publiziert waren
2. Studien, deren primäres Ziel die
Überprüfung der Wirksamkeit
von Cannabinoiden als Bedarfs­
medikation war
Teilnehmer
Studienteilnehmer waren Patienten
(Frauen und Männer) aller Altersgruppen
und Ethnien mit CED [Morbus Crohn,
Colitis ulcerosa, Colitis indeterminata,
engl.: „inflammatory bowel disease“
( IBD)], RDS [engl.: „irritable bowel
syndrome“ (IBS)] oder chronischer
Pankreatitis. Die Diagnosen sollten nach
etablierten diagnostischen Kriterien ge­
stellt sein.
Interventionen
Wir schlossen Studien ein, in denen ge­
rauchter oder mit der Nahrung auf­
genommener pflanzlicher Cannabis/
Marihuana (sog. Medizinalhanf) oder
synthetisch hergestellte und oral oder
nasal zugeführte Cannabinoide (z. B.
Cannabidiol, Dronabinol, Nabilon,
Nabiximol) mit Placebo, einem anderen
aktiven Medikament oder keiner Therapie
verglichen wurden.
Erstellung von Metaanalysen
und Evidenztabellen
Folgende Ergebnismaße für Wirksamkeit
und Risiken wurden gewählt [10]:
Wirksamkeit („patient-reported
outcomes“)
1. Schmerzen: durchschnittliche Bauch­
schmerzintensität und/oder Anzahl
der Patienten mit einer ≥ 50 %igen
Schmerzreduktion
2. Globales Befinden: Anzahl der
Patienten mit einer starken bzw. sehr
starken Verbesserung des allgemeinen
Befindens
3.Durchfälle
4. Appetit/Appetitzunahme bzw. Ge­
wicht/Gewichtszunahme
5.Übelkeit
6. Gesundheitsbezogene Lebensqualität
7. Im Falle von CED: Anzahl der
Patienten in Remission (definiert
durch etablierte Aktivitätsindizes
und/oder histologische und/oder
endoskopische Parameter)
Verträglichkeit
1. Anzahl der Patienten, welche die
Studie wegen Nebenwirkungen ab­
brachen
Sicherheit und Nebenwirkungen
1. Anzahl der Patienten mit schwer­
wiegenden Nebenwirkungen inklusive
Anzahl der verstorbenen Patienten
Zusammenfassung · Abstract
Schmerz DOI 10.1007/s00482-015-0087-0
© Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg - all rights reserved 2016
M.S. Volz · B. Siegmund · W. Häuser
Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabinoiden in der
Gastroenterologie. Eine systematische Übersichtsarbeit
Zusammenfassung
Hintergrund. Der medizinische Gebrauch
von Cannabisprodukten in der Gastroenterologie wird für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), das Reizdarmsyndrom
(RDS) und die chronische Pankreatitis diskutiert.
Material und Methoden. Eine systematische
Literatursuche bis März 2015 wurde in den
Datenbanken Cochrane Central Register
of Controlled Trials (CENTRAL), PubMed,
www.cannabis-med.org und Clinicaltrials.
gov durchgeführt. Gesucht wurde nach
randomisierten, kontrollierten Studien (RCT)
mit einer Studiendauer von ≥ 4 Wochen und
einer Studienteilnehmerzahl von mindestens
n = 10 pro Studienarm mit Medizinalhanf
und/oder pharmazeutischen Cannabinoiden
bei CED, RDS und chronischer Pankreatitis.
Klinische Endpunkte der Analyse waren Wirksamkeit (Schmerz, Übelkeit, Appetit/Gewicht,
Durchfälle, gesundheitsbezogene Lebensqualität und bei CED Remissionsraten), Verträglichkeit (Abbruchrate wegen Neben-
wirkungen) und Sicherheit (schwerwiegende
Nebenwirkungen). Die methodische Qualität
der RCT wurde mit dem Cochrane Risk of Bias
Tool evaluiert.
Ergebnisse. Es wurde lediglich eine RCT
mit Medizinalhanf bei 21 Morbus-CrohnPatienten gefunden. Die Studie war zu klein,
um einen signifikanten Unterschied in der
Remissionsrate nachzuweisen, jedoch ergaben sich Hinweise darauf, dass der Konsum
von Medizinalhanf zur Reduktion von Bauchschmerzen und Besserung des Appetits
führte. Das methodische Risiko der Studie
war hoch. Die Ergebnisse von je einer RCT
mit pharmazeutischen Cannabisprodukten
bei CED bzw. chronischer Pankreatitis
waren noch nicht veröffentlicht. RCTs mit
therapeutischer Zielsetzung beim RDS
wurden nicht gefunden. Eine cannabisinduzierte akute Pankreatitis wurde in
mehreren Fallberichten beschrieben.
Schlussfolgerungen. Cannabinoide eignen
sich möglicherweise zur symptomatischen
Therapie von Morbus-Crohn-assoziierten
Beschwerden wie Schmerz, Übelkeit und
Appetitlosigkeit. Um den potenziellen
therapeutischen Nutzen sowie die Risiken
von Cannabisprodukten in der Gastroenterologie zu beurteilen, sind jedoch methodisch
hochwertige Studien mit ausreichender
Patientenzahl und Studiendauer notwendig.
Aktuell kann ein individueller Heilversuch mit
Tetrahydrocannabinol in der Gastroenterologie nur bei Morbus Crohn zur Symptomlinderung von Schmerzen und Appetitlosigkeit und nur nach Versagen aller etablierten
medikamentösen Therapieoptionen sowie
nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung
erwogen werden.
Schlüsselwörter
Cannabis · Chronisch-entzündliche
Darmerkrankungen · Chronische Pankreatitis ·
Reizdarmsyndrom · Randomisierte,
kontrollierte Studien
Efficacy, tolerability, and safety of cannabinoids in gastroenterology. A systematic review
Abstract
Background. The medical use of cannabis is
discussed in gastroenterology for inflammatory bowel diseases (IBD), irritable bowel syndrome (IBS), and chronic pancreatitis.
Materials and methods. A systematic literature search until March 2015 was performed
in the databases Cochrane Central Register of
Controlled Trials (CENTRAL), PubMed, www.
cannabis-med.org, and clinicaltrials.gov. Randomized controlled trials (RCT) investigating herbal cannabis and/or pharmaceutical
cannabinoids in IBD, IBS, or chronic pancreatitis with a study duration of ≥ 4 weeks and
a sample size of at least n = 10 per study arm
were identified. Clinical outcomes comprised
efficacy (pain, nausea, appetite/weight, diarrhea, health-related quality of life, and remission rates for IBD), tolerability (drop-out rate
Statistische Maße
Die quantitative Datensynthese erfolgte
mit der Software RevMan, wenn
≥ 2 Studien einen der o. g. Endpunkte be­
richteten. Als Effektmaße wurden ab­
solute Risikodifferenzen für dichotome
Variablen und standardisierte Mittel­
wertdifferenzen (SMD) für kontinuier­
due to side effects), and safety (severe side
effects). Methodology quality of RCTs was
evaluated with the Cochrane Risk of Bias Tool.
Results. Only one RCT treating 21 patients
with Crohn’s disease and herbal cannabis was
identified. The study revealed no significant
differences of remission rate because of low
statistical power. However, there was a clear
tendency for less abdominal pain and improved appetite with medical cannabis. The
methodological risk of the study was high.
Furthermore, results of two RCTs investigating synthetic cannabis in IBD and chronic
pancreatitis, respectively, have not yet been
released. No RCT for IBS was found. Several case reports described cannabis-induced
acute pancreatitis.
liche Variablen gewählt, die mittels eines
Random-effects-Modells (Methode der
inversen Varianz) berechnet wurden.
Die 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI)
für die Effektmaße wurden berechnet.
Der Grenzwert für einen relevanten
Nutzen bzw. Schaden wurde als eine
relative Risikoreduktion (RRR) bzw.
Conclusions. Cannabis may be useful for
symptom relief in Crohn’s disease such as
pain, nausea, and loss of appetite. However, studies with high methodological quality,
sufficient sample size, and study duration are
mandatory to determine potential therapeutic effects and risks of cannabis in gastroenterology. Currently, use of tetrahydrocannabinol to alleviate symptoms such as pain and
appetite loss in Crohn’s disease should only
be considered in individual patients after failure of established medical therapies and only
after careful risk–benefit assessment.
Keywords
Cannabis · Inflammatory bowel disease ·
Pancreatitis, chronic · Irritable bowel
syndrome · Randomized controlled trials
durch einen relativen Risikoanstieg (RRI)
≥ 25 % für dichotome Variablen gesetzt
[10]. Die Einteilung der Effektstärken
der SMD erfolgte nach Cohen: 0–0,2:
nicht substanziell; 0,2–0,5: gering; 0,5–
0,8: mäßig; > 0,8: stark [11]. Ein minimal
bedeutsamer Unterschied („minimal
important difference“) wurde bei einer
Der Schmerz
3
Identifikation
Schwerpunkt
Treffer Datenbanken
(n = 75)
CENTRAL (n = 8)
Clinicaltrials.gov (n=9)
PubMed (n=58)
Handsuche
(n = 0)
Eignung
Screening
Doppeltreffer ausgeschlossen
(n = 8)
Zusammenfassungen
geprüft (n = 67)
Volltexte geprüft
(n = 1)
Einschhluss
Volltexte berücksichtigt in
qualitativer Analyse
(n = 1)
Studien in quantitativer
Analyse
(n = 0)
Anzahl Studien (n = 1) nicht
ausreichend für
quantitative Analyse
Abb. 1 8 Ergebnisse der systematischen Literatursuche
SMD ≥ 0,2 angenommen [8]. Die Hetero­
genität der gepoolten Effektstärken wurde
anhand der I2-Statistik bestimmt; I2 > 50 %
wurde als substanzielle Heterogenität be­
wertet [13]. Wenn keine quantitative
Datenanalyse (< 2 RCT; ≥ 2 RCT, aber
heterogene, nicht zusammenfassbare Er­
gebnisvariablen) möglich war, wurden
die Ergebnisse qualitativ dargestellt. Die
Qualität der Evidenz wurde nach dem
Cochrane Risk of Bias Table bestimmt
(s. Anhang am Ende des Beitrags).
Die Qualität der Evidenz wurde wie
folgt eingeteilt: hoch: geringes Risiko
einer Verzerrung in 6 oder 7 Kriterien;
mäßig: geringes Risiko einer Verzerrung
in 3–5 Kriterien; niedrig: geringes Risiko
einer Verzerrung in 0–2 Kriterien.
Ergebnisse
Die Literatursuche ergab 75 Treffer
(47 Treffer für CED, 26 für RDS und 2 für
4
Der Schmerz
chronische Pankreatitis). Eine israelische
RCT mit sublingualem Cannabidiol bei
CED (beendet September 2012; [27])
und eine niederländische RCT mit
Dronabinol als Add-on-Schmerzmittel
bei chronischen Schmerzen aufgrund
einer chronischen Pankreatitis [28], die
in der Datenbank Clinicaltrials.gov als
beendet gemeldet wurden, sind bisher
nicht veröffentlicht. Insgesamt wurde nur
eine vollständig veröffentlichte RCT mit
Cannabinoiden bei der Literatursuche ge­
funden: Eine israelische Studie berichtete
über die Behandlung von Patienten mit
Morbus Crohn mit 2 cannabishaltigen
Zigaretten pro Tag. Die Patienten hatten
auf eine Therapie mit Mesalazin, Kortiko­
steroiden, Methotrexat, Thiopurinen oder
TNF-α-Antikörpern nicht angesprochen
und einen Crohn’s Disease Activity Index
(CDAI) > 200 Punkte (. Abb. 1; . Tab. 1;
[25]).
Die Zigarette der Verumgruppe ent­
hielt eine standardisierte Menge Tetra­
hydrocannabinol (THC; 110 mg),
während die Kontrollgruppe Zigaretten
aus Cannabispflanzen rauchten, aus
denen THC extrahiert war. Die Autoren
begründen den inhalativen Einsatz von
Cannabis damit, dass durch das Rauchen
aktive freie Cannabinoide entstehen
und so rascher wirksame THC-Spiegel
im Blut erreicht werden als nach oraler
Aufnahme. Die Studiendauer betrug
10 Wochen (8 Wochen Therapiephase,
2 Wochen Auswaschphase). Das Risiko
einer Verzerrung (Bias) der Studie war
hoch (. Tab. 2).
Die Studie war zu klein (11 Patienten
in der Cannabis- und 10 Patienten in
der Placebogruppe), um einen signi­
fikanten Unterschied in der Remissions­
rate nachzuweisen. 5/11 Patienten in der
Cannabisgruppe und 1/10 in der Placebo­
gruppe erreichten eine Remission (CDAI
< 150 Punkte). In der Cannabisgruppe
konnten 3 Patienten Kortison und
2 Patienten Opioide, die sie zur Schmerz­
therapie erhielten, absetzen. Patienten in
der Cannabisgruppe gaben signifikant
weniger Bauchschmerzen und besseren
Appetit an. Da die Autoren keine
Standardabweichungen (SD) bei den
Studienendpunkten angaben, konnten
die angegebenen p-Werte nicht überprüft
werden.
Die postulierten entzündungshem­
menden Effekte von Cannabis konnten
nicht anhand laborchemischer Analysen
belegt werden: In beiden Gruppen waren
zu Beginn der Studie die Werte des C-re­
aktiven Proteins (CRP) nur gering erhöht.
Am Studienende fand sich kein signi­
fikanter CRP-Abfall oder Unterschied
zwischen den beiden Gruppen. Weitere
Laborparameter oder fäkale Entzündungs­
parameter (Blutsenkungsgeschwindigkeit,
Calprotectin) wurden nicht bestimmt. Es
fanden sich keine Unterschiede in der Ver­
träglichkeit. Schwere Nebenwirkungen wie
neuropsychiatrische Symptome und Ent­
zugserscheinungen nach dem Absetzen
des Cannabis wurden nicht beobachtet.
Mögliches Suchtverhalten wurde er­
fasst, jedoch von den Autoren nicht be­
richtet. Angaben zur Arbeitsfähigkeit der
Patienten während der Studie wurden
nicht gemacht.
Tab. 1 Charakteristika einer randomisierten, kontrollierten Studie mit Medizinalhanf bei Patienten mit Morbus Crohn [25]
Methoden
Teilnehmer
Interventionen
Endpunkte
Volle Remission (CDAI < 150 Punkte)
CDAI-Reduktion > 100 Punkte
Schmerzreduktion (NRS 1–7)
Globale Besserung
Appetitsteigerung (NRS 1–7)
Durchfälle
Übelkeit
Lebensqualität (SF-36 0–100)
Abbruchrate wegen Nebenwirkungen
Schwere Nebenwirkungen
Anmerkungen
Erkrankung: Morbus Crohn
Studienorte: 1 Zentrum in Israel
Studiendesign: Parallel
Studiendauer: 8 Wochen, 2 Wochen Auswaschphase
Einschlusskriterien: ≥ 20 Jahre, aktiver Morbus Crohn, mit CDAI-Score zwischen 200 und 450 Punkten. Alle Patienten hatten ein Versagen mindestens einer der folgenden Therapien: Mesalazin, Kortikosteroide, Methotrexat, Thiopurine oder TNF-α-Antikörper. Patienten, die Kortikosteroide erhielten, waren seit mindestens 1 Monat
unter einer stabilen Dosis, Patienten unter Thiopurintherapie seit mindestens 3 Monaten.
TNF-α-Antikörper-Versagen wurde nach mindestens 4 Dosen angenommen
Ausschlusskriterien: Kurzdarmsyndrom, symptomatische Stenose, Abszess, abdominelle Operation in den letzten 3 Monaten, Schwangerschaft oder Schwangerschaftswunsch in den nächsten 6 Monaten, Vorgeschichte
mit seelischer Störung, Drogenmissbrauch, früherer Cannabiskonsum, ärztliche Einschätzung einer Vulnerabilität für Drogenabhängigkeit oder seelische Instabilität
Cannabis: n = 11; Durchschnittsalter: 46 Jahre; 54 % männlich
Placebo: n = 10; Durchschnittsalter: 37 Jahre; 60 % männlich
Zigarette mit 115 mg THC 2-mal täglich
Zigarette ohne THC 2-mal täglich
Antientzündliche Begleitmedikation angegeben; keine Angaben zu weiterer Medikation (z. B. Antidepressiva,
andere Analgetika)
Cannabis vs. Placebo
45 vs. 10 %; p = 0,43
90 vs. 40 %; p = 0,05, selbst berechnet
4 (keine SD) vs. 1 (keine SD); p = 0,001
Nicht erfasst
4 (keine SD) vs. 2 (keine SD); p = 0,008
Nicht erfasst
Nicht erfasst
86 (keine SD) vs. 79 (keine SD); p = 0,50
0 % vs. 0 %; keine signifikanten Unterschiede bezüglich Schläfrigkeit, Übelkeit, Konzentrationsstörungen und
Schwindel
Keine; keine Entzugserscheinungen nach Absetzen. Mögliche Symptome eines süchtigen Verhaltens wurden
erfasst, jedoch nicht bei den Ergebnissen berichtet.
Einer der Autoren ist Mitarbeiter der Firma, die den Cannabis und das Placebo für die Studie bereitstellte.
CDAI Crohn’s Disease Activity Index; NRS numerische Rating-Skala; SD Standardabweichung; THC Tetrahydrocannabinol; TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor α.
Diskussion
Zusammenfassung der
wichtigsten Ergebnisse
Bei einer systematischen Literatursuche
zu RCT zum medizinischen Gebrauch
von Cannabinoiden bei den gastroentero­
logischen Erkrankungen CED, RDS und
chronische Pankreatitis wurde nur eine
RCT bei Morbus Crohn mit Medizinal­
hanf gefunden. Die Studie hatte ein hohes
Risiko von Verzerrungen.
Vergleich mit der Literatur
Chronisch-entzündliche
Darmerkrankungen
Die Hinweise der RCT auf mög­
liche positive Effekte von Cannabis auf
Symptome bei CED werden durch 4 Be­
obachtungsstudien gestützt: In eine
prospektive israelische Beobachtungs­
studie wurden 13 Patienten (4 Frauen,
9 Männer; Alter: 28–62 Jahre) mit lang­
jähriger CED-Diagnose (5–35 Jahre) ein­
geschlossen, die bisher keinen Cannabis
konsumierten. Die Indikationen für
eine Cannabistherapie wurden nicht
detailliert aufgeführt. Cannabis für die
Studienpatienten wurde kostenlos von
einer Organisation, die vom israelischen
Gesundheitsministerium beaufsichtigt
wird, an die Patienten geliefert. Cannabis
wurde in einer Dosis von 50 g ge­
trockneter Hanfpflanze pro Monat an
die Patienten ausgeliefert. Die Menge
der aktiven Substanzen in dem aus­
gelieferten getrockneten Hanf war nicht
standardisiert. Die Patienten wurden
instruiert, bis zu 3 Inhalationen einer
Hanfzigarette zu sich zu nehmen, wenn
sie Schmerzen empfanden. Die Studien­
dauer betrug 3 Monate. Die Patienten
berichteten eine signifikante Linderung
der Schmerzen und eine Verbesserung
der Lebensqualität (Short Form Health
Survey). Der Harvey-Bradshaw Score
der 11 Patienten mit Morbus Crohn
reduzierte sich von 11,4 ± 3,2 auf 5,7 ± 2,7.
Die durchschnittliche Gewichtszunahme
lag bei 4,3 ± 2 kg. Fünf Patienten hatten
erhöhte CRP-Werte (1,2 ± 0,4 mg/dl vor
Beginn der Therapie). Die CRP-Werte
normalisierten sich (< 0,5 mg/dl) während
der Therapie. Nebenwirkungen wurden
von den Patienten nicht berichtet [17].
In einer retrospektiven Beobachtungs­
studie wurden Patienten mit Morbus
Crohn, die vom israelischen Ministerium
Der Schmerz
5
Schwerpunkt
Tab. 2 Methodische Qualität einer randomisierten, kontrollierten Studie mit Medizinalhanf bei Patienten mit Morbus Crohn [25]
Bias
Randomisierung (Selektionsbias)
Verdeckte Zuteilung (Selektionsbias)
Einschätzung der Autoren
Niedriges Risiko
Unklar
Verblindung von Teilnehmern und Personal (Interventionsbias)
Verblindung der Ergebnismessung (Messungsbias)
Unvollständige Ergebnisse (Verschleißbias)
Selektive Veröffentlichung von Daten (Publikationsbias)
Unklar
Selektionsbias
Hoch
Unklar
Unklar
Hoch
Gründe für die Einschätzung
Blockmethode
Keine Details zu der Angabe „Both patients and investigators were
blinded to the treatment group assignment“ berichtet
Keine Details zu der Angabe „Both patients and investigators were
blinded to the treatment group assignment“ berichtet
Keine Angaben
Intention-to-treat-Analyse, Methode nicht angegeben
Die Studie wurde auf Clinicaltrials.gov registriert (NCT01040910); die
primären und sekundären Endpunkte im Protokoll und in der Publikation stimmen nicht überein. Der primäre Endpunkt wurde geändert: CDAI-Reduktion 70 Punkte (Protokoll) auf 100 Punkte in Studie.
Die Veränderungen von IL-10. IL-2 und TGF-β wurden nicht berichtet.
Patienten in Studiengruppe waren älter.
CDAI Crohn’s Disease Activity Index; IL Interleukin; TGF-β „transforming growth factor β“.
eine Erlaubnis zum medizinischen Ge­
brauch von Cannabis erhalten hatten,
analysiert. Die Anzahl der kontaktierten
Patienten wurde nicht berichtet.
30 Patienten mit einem Durchschnittsalter
von 36 Jahren (Spannweite: 21–65 Jahre;
26 Männer) nahmen an der Studie
teil. Die Patienten wurden retrospektiv
nach ihrem Gesundheitsstatus vor dem
Konsum von Cannabis und nach ihrem
aktuellen Gesundheitsstatus gefragt. Als
Grund für den Cannabiskonsum gaben
21 Patienten ein mangelndes Ansprechen
auf die konventionelle Behandlung und
6 Patienten nichtbehandelbare Schmerzen
an. Vier Patienten rauchten Cannabis zur
„Erholung“ und setzten den Konsum
fort, als sie eine Besserung ihrer Darm­
beschwerden bemerkten. Die meisten
Patienten rauchten 1–3 Joints (etwa
0,5 − 1,5 g THC/Tag). Die durchschnitt­
liche Dauer des Cannabiskonsums lag bei
2,1 Jahren. Alle Patienten gaben an, dass
der Cannabiskonsum sich positiv auf ihre
Gesundheit ausgewirkt habe (von 3,1 auf
7,3 auf einer 11-stufigen visuellen Ana­
logskala). Die durchschnittliche Zahl
der Stühle habe von 8/24 auf 5/24 h ab­
genommen. Insgesamt gaben 22/26 der
Patienten ein Absetzen der Kortiko­
steroide an, bei Thiopurinen waren es
10/20, bei Methotrexat 6/6 und in Bezug
auf TNF-α-Antikörper 8/12. Angaben zu
Nebenwirkungen wurden nicht gemacht
[24].
In einer kanadischen Studie wurden
konsekutiv 313 Patienten, die sich von
Juli 2008 bis März 2009 in der Klinik
für Gastroenterologie der Universität
6
Der Schmerz
Calgary vorstellten, mit einem anonymen
Fragebogen untersucht. 17,6 % der
Patienten (50 % Männer; Durchschnitts­
alter: 37 Jahre) gaben den Gebrauch von
Cannabis aufgrund einer CED an. 96 %
rauchten Cannabis, davon gaben 57 % den
Konsum von Cannabis für > 12 Monate
an. Folgende Gründe wurden für den Ge­
brauch von Cannabis genannt: 46 % gaben
an, dass sie gehört hätten, dass Cannabis
ihnen helfen könnte; 41 % gaben an, dass
sie wegen ihrer Krankheit frustriert ge­
wesen seien; 38 % wollten eine alternative
Therapie versuchen und 27 % gaben
an, dass die verschriebenen Medika­
mente nicht geholfen hätten. Nur 39 %
der Patienten informierten ihren be­
handelnden Arzt über den Gebrauch von
Cannabis. 84 % der Cannabisnutzer be­
richteten eine Besserung der abdominellen
Schmerzen, 77 % der abdominellen
Krämpfe, 48 % der Gelenkschmerzen und
29 % der Durchfälle. 20 % berichteten,
dass sie die Dosis der konventionellen
CED-Medikamente reduzieren konnten,
und 13 %, dass sie die konventionellen
CED-Medikamente komplett absetzen
konnten. Über 75 % berichteten über
Nebenwirkungen wie Angst, vermehrten
Appetit, einen trockenen Mund, Be­
nommenheit und ein High-Gefühl. Die
Schwere der Nebenwirkungen wurde von
den meisten Cannabisnutzern als leicht
eingestuft. 20 % der Patienten räumten ein,
das High-Gefühl zur Symptomkontrolle
zu benötigen. Patienten mit Morbus
Crohn und einem Cannabisdauerkonsum
(≥ 6 Monate) berichteten über mehr
CED-bedingte Operationen in der Ver­
gangenheit (Odds-Ratio: 5,03; 95 %-KI:
1,45–17,46) nach Adjustierung für demo­
grafische Variablen, Tabakkonsum, die
Zeit seit der CED-Diagnose und den Ge­
brauch von Biologika [33].
In einer US-amerikanischen Studie
füllten 292 konsekutiv behandelte
Patienten eines CED-Zentrums (Antwort­
rate: 94 %) einen Fragebogen aus. 12 %
waren aktive, 39 % frühere und 49 % keine
Cannabiskonsumenten. Nur 16 % der
aktuellen und früheren Cannabiskonsum­
enten gaben an, Cannabis wegen ihrer
CED zu nutzen bzw. genutzt zu haben.
Das Durchschnittsalter der aktuellen
Cannabisnutzer lag bei 31 Jahren. 80 %
der aktuellen bzw. früheren Cannabis­
konsumenten gaben eine deutliche
Besserung der Übelkeit, 89 % eine deut­
liche Appetitsteigerung, 74 % eine deut­
liche Reduktion der Bauchschmerzen und
50 % eine deutliche Besserung der Durch­
fälle an. Fragen zu Nebenwirkungen
wurden nicht gestellt [30].
Aufgrund der retrospektiven Daten­
erhebung (in Bezug auf die Sympto­
matik), möglicher Selektionseffekte sowie
eines möglichen „reporting bias“ (Über­
schätzung positiver und Unterschätzung
negativer Effekte von Cannabis) sind
die Aussagen der oben vorgestellten Be­
obachtungsstudien nicht generalisierbar.
Der Anteil unspezifischer Wirkfaktoren
(sog. Placeboeffekte) ist ohne Kontroll­
gruppe nicht abschätzbar. Weiterhin
wurden alle Studien zu Cannabis bei CED
in Ländern durchgeführt (Israel, Kanada,
mehrere Bundesstaaten der USA), in
denen der Konsum von Cannabis zu
medizinischen Zwecken legalisiert ist.
Beim Konsum von Joints wird Cannabis
häufig mit Tabak gemischt. Negative
Effekte des Tabakrauchens auf den Verlauf
des Morbus Crohn sind gesichert [15]. Ein
Rauchstopp bei Morbus Crohn wird von
den meisten internationalen Leitlinien als
therapeutische Maßnahme empfohlen
[11]. Weiterhin wurde in den referierten
Beobachtungsstudien unzureichend auf
Nebenwirkungen des Cannabiskonsums
wie neuropsychiatrische Erkrankungen
eingegangen, sodass die potenzielle
Symptomlinderung den Risiken nicht
objektiv gegenübergestellt wird.
Reizdarmsyndrom
Bisher wurden 3 experimentelle Studien
veröffentlicht. In einer Studie wurde die
Gabe von THC 2-mal/Tag (Dronabinol
2,5 mg oder 5 mg oder Placebo; Studien­
dauer: 2 Tage) bei 36 Patienten mit
diarrhödominanter Form des RDS unter­
sucht. Dronabinol hatte im Vergleich zu
Placebo keinen Einfluss auf die Kolon­
transitzeit [37]. Die 1-malige Gabe von
5 mg Dronabinol 1-mal/Tag bei ins­
gesamt 75 Patienten mit verschiedenen
Formen des RDS reduzierte im Vergleich
zu Placebo die Nüchternkolonmotili­
tät von Patienten mit diarrhödominanter
und gemischter Form des RDS [36]. Die
1-malige Gabe von THC 1-mal/Tag hatte
bei 11 RDS-Patienten keinen Einfluss auf
die viszerale Sensitivität nach rektaler
Luftinsufflation [16]. Die drei Studien
liefern keine überzeugende pathophysio­
logische Rationale für den Einsatz von
Cannabinoiden beim RDS.
Chronische Pankreatitis
Ein Bericht der Controlled Substances and
Tobacco Directorate at Health Canada
stellte fest, dass die wenigen Studien zur
Wirkung von Cannabinoiden in Tier­
modellen der akuten und chronischen
Pankreatitis widersprüchlich sind [6].
Daher ist die Veröffentlichung der
niederländischen Studie zum Einsatz von
Cannabis zur symptomatischen Schmerz­
therapie bei chronischer Pankreatitis
von großem Interesse [28]. Wie bei der
CED bestehen Bedenken bezüglich des
Konsums von Cannabiszigaretten, in
denen Tabak mit Marihuana gemischt
wird, da Tabakrauchen einen negativen
Einfluss auf die Entstehung und den Ver­
lauf einer chronischen Pankreatitis hat
und ein Rauchstopp als therapeutische
Maßnahme empfohlen wird [2]. Weiter­
hin sind mindestens 11 Fallberichte bzw.
Fallserien veröffentlicht worden, die eine
cannabisinduzierte akute Pankreatitis be­
schreiben [18, 35]. Um das symptom­
orientierte Potenzial von Cannabis
bei chronischer Pankreatitis zu über­
prüfen, sind RCT erforderlich. Es sollte
ein Studiendesign mit synthetischen
Cannabinoiden angestrebt werden.
Cannabis in der deutschen
Gastroenterologie
Daten (z. B. Beobachtungsstudien) zur
Häufigkeit des medizinischen Gebrauchs
von Cannabis durch deutsche Patienten
mit (nichtonkologischen) gastroentero­
logischen Erkrankungen sind den Autoren
nicht bekannt. Einige CED-Patienten, die
bei den Autoren in Behandlung sind,
rauchen bzw. konsumieren Cannabis
zur Linderung von Bauchschmerzen,
Appetitlosigkeit und Durchfällen. Die
etablierten medikamentösen Therapie­
optionen zur Symptomlinderung werden
bei Patienten nach Ansicht der Autoren
häufig nicht ausgeschöpft. Die Grenze
zum „Freizeitgebrauch“ von Cannabis ist
bei den meist jungen Patienten schwer zu
ziehen.
Ob unter den 740 Patienten, die seit
2005 eine Ausnahmeerlaubnis für die Ver­
wendung von Cannabis zu medizinischen
Zwecken beim Bundesinstitut für Arznei­
mittel und Medizinprodukte (BfArM) be­
antragt haben (bei 449 Genehmigungen),
auch Patienten mit gastroenterologischen
Erkrankungen sind, ist uns nicht bekannt.
Laut den Aussagen der parlamentarischen
Staatssekretärin des Bundesgesundheits­
ministeriums wurden die meisten Anträge
von Patienten mit chronischen Schmerzen
gestellt. Weitere Anträge wurden auf­
grund einer Spastik bei multipler Sklerose,
eines Tourette-Syndroms, depressiver
Störungen und einer Aufmerksamkeits­
defizit-Hyperaktivitäts-Störung gestellt.
Gastrointestinale Erkrankungen wurden
nicht genannt [7].
Fazit für die Praxis
55Insgesamt müssen für eine valide
Empfehlung von Cannabinoiden für
bestimmte gastroenterologische Erkrankungen mehr RCT mit einer ausreichenden Patientenzahl angestrebt
werden.
55Auf der Basis der aktuellen Datenlage
kann ein individueller Heilversuch
mit synthetischen Cannabinoiden bei
gastroenterologischen Erkrankungen
bislang nur beim Morbus Crohn zur
krankheitsspezifischen Symptommilderung und nur nach Versagen
aller etablierten medikamentösen
Therapien erwogen werden.
55Da die neuropsychiatrischen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen eines
regelmäßigen Cannabiskonsums
bei medizinischen Indikationen
nicht abgeschätzt werden können
(da keine validen Daten hierzu vorliegen), ist die Indikationsstellung
eines individuellen Heilversuchs in
jedem Falle kritisch und unter einer
individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung zu diskutieren.
55In Israel ist die Verordnung von
Medizinalhanf für Patienten mit
CED möglich, die auf eine immunsuppressive Therapie inklusive TNFα-Antikörper nicht angesprochen
haben und bei denen chirurgisch behebbare Ursachen der Beschwerden
ausgeschlossen wurden. Kontraindikationen sind Herzinsuffizienz,
frühere oder aktuelle Psychosen,
Angststörungen, erstgradige Verwandte mit psychischen Störungen
und eine Vorgeschichte von Drogenabhängigkeit [1].
55Ob diese Indikationen und Kontraindikationen auch auf Deutschland
anwendbar sind, bedarf weiterer
Diskussionen und der Konsensbildung der medizinischen Fachgesellschaften.
Korrespondenzadresse
PD Dr. W. Häuser
Innere Medizin I,
Klinikum Saarbrücken gGmbH
Winterberg 1, 66119 Saarbrücken
[email protected]
Der Schmerz
7
Schwerpunkt
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. M.S. Volz erhielt 2014 eine
Forschungsförderung für „Patientenorientierte
Forschung bei CED 2014“ der Deutschen Morbus
Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e. V. (DCCV).
B. Siegmund erhielt Vortragshonorare von AbbVie,
Ferring, Falk, MSD, Merck und Takeda sowie Beratungshonorare von AbbVie, Falk, Hospira, Janssen,
Merck, MSD, Mundipharma und Takeda. W. Häuser
erhielt Vortragshonorare von Abbott, Grünenthal,
Janssen-Cilag, MSD Sharp & Dohme und Pfizer sowie
ein Beratungshonorar von Daiichi Sankyo.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen
oder Tieren.
Anhang
Kriterien der methodischen Quali­
tät der analysierten randomisierten,
kontrollierten Studien (RCT; [10, 13])
1. Randomisierung (systematischer
Selektionsfehler)
Ein niedriges Risiko für einen syste­
matischen Selektionsfehler besteht, wenn
die Untersucher die Methode der zu­
fälligen Verteilung der Patienten auf eine
Therapie- und eine Kontrollgruppe durch
folgende Methoden beschreiben: Tafel mit
zufällig angeordneten Zahlen, computer­
generierte Zufallszahlen, Münze werfen,
Karten oder Umschläge mischen, würfeln,
Lose ziehen. Es besteht ein hohes Risiko
für einen systematischen Selektionsfehler,
wenn die Verteilung nach geraden oder
ungeraden Zahlen des Geburtsdatums,
dem Aufnahmedatum ins Krankenhaus
oder der Krankenhausnummer bzw. nach
der Entscheidung des Arztes, Wunsch des
Patienten, einem Labortest oder der Ver­
fügbarkeit der Intervention erfolgte.
2. Geheimhaltung der
Behandlungszuordnung
(systematischer
Selektionsfehler)
Ein niedriges Risiko eines systematischen
Selektionsfehlers besteht, wenn Teil­
nehmer und Untersucher die Be­
handlungszuordnung nicht vorher­
sehen konnten, weil eine der folgenden
oder vergleichbare Methoden ge­
wählt wurde, um die Behandlungs­
zuordnung geheim zu halten: zentrale
Behandlungszuordnung (z. B. Telefon,
internet- oder apothekenkontrollierte
8
Der Schmerz
zufällige Behandlungszuordnung);
sequenziell nummerierte Behältnisse für
Medikamente gleichen Aussehens oder
sequenziell nummerierte blickdichte
und verschlossene Umschläge. Ein hohes
Risiko eines systematischen Selektions­
fehlers besteht, wenn Teilnehmer und
Untersucher die Behandlungszuordnung
vorhersehen konnten, z. B. durch den
Gebrauch eines offen zugänglichen Be­
handlungsplans (z. B. eine Liste mit nach
Zufallsprinzip generierten Nummern);
Verwendung von Umschlägen ohne aus­
reichende Sicherheitsvorkehrungen (z. B.
Umschläge, die unverschlossen, durch­
sichtig oder nicht sequenziell nummeriert
waren); alternierende oder rotierende Be­
handlungszuordnung; Geburtsdatum;
Fallnummer oder andere explizit nicht
versteckte Behandlungszuordnungen.
3. Verblindung der Teilnehmer
und des Personals/
Behandler (systematischer
Durchführungsfehler)
Es besteht ein niedriges Risiko eines
Durchführungsfehlers, wenn die
Verblindung der Teilnehmer gewähr­
leistet war und es unwahrscheinlich
war, dass keine oder eine unvollständige
Verblindung stattfand; oder wenn die
Autoren der Übersichtsarbeit im Falle
einer fehlenden oder unvollständigen
Verblindung zur Einschätzung kommen,
dass das Ergebnis nicht durch fehlende
Verblindung beeinflusst wurde. Es be­
steht ein niedriges Risiko eines Durch­
führungsfehlers, wenn die Verblindung
des Personals gewährleistet war und es
unwahrscheinlich war, dass keine oder
eine unvollständige Verblindung statt­
fand; oder wenn die Autoren der Über­
sichtsarbeit im Falle einer fehlenden oder
unvollständigen Verblindung zur Ein­
schätzung kommen, dass das Ergebnis
nicht durch fehlende Verblindung beein­
flusst wurde.
4. Verblindung der
Auswerter (systematischer
Erkennungsfehler)
Es besteht ein niedriges Risiko eines
systematischen Erkennungsfehlers, wenn
der Auswerter von patientenberichteten
Ergebnissen nicht der klinische Unter­
sucher, sondern ein Statistiker ist, der
nicht an der Behandlung der Patienten
beteiligt war. Es besteht ein unklares
Risiko eines systematischen Erkennungs­
fehlers, wenn keine Einzelheiten darüber
berichtet wurden, wer der Auswerter
war. Es besteht ein hohes Risiko eines
systematischen Erkennungsfehlers, wenn
der Auswerter an der Behandlung der
Patienten beteiligt war.
5. Unvollständige Ergebnisdaten
(systematischer Fehler aufgrund
des Verlusts von Teilnehmern)
Es besteht ein niedriges Risiko für
einen systematischen Fehler, wenn alle
randomisierten Patienten berichtet oder
in der Gruppe analysiert wurden, der sie
zufällig zugeordnet wurden, und Studien­
abbrecher nach der Methode der Baselineobservation-carried-forward(BOCF)Methode (Einsetzen des Werts der Aus­
gangsmessung für die Datenanalyse)
ausgewertet wurden. Es besteht ein un­
klares Risiko für einen systematischen
Fehler, wenn alle randomisierten
Patienten berichtet oder in der Gruppe
analysiert wurden, der sie zufällig zu­
geordnet wurden, und Studienabbrecher
nach der Last-observation-carriedforward(LOCF)-Methode (Einsetzen des
letzten Werts vor Studienabbruch) ana­
lysiert wurden. Es besteht ein hohes Risiko
für einen systematischen Fehler, wenn
keine Intention-to-treat-Analyse [Ana­
lysetechnik, bei der die Patienten nach
ihrer ursprünglichen Gruppenzuteilung
analysiert werden, unabhängig davon,
ob sie die zugeordnete (intendierte)
Therapieform vollständig, partiell oder
gar nicht erhalten haben] durchgeführt
wurde oder nur die Teilnehmer aus­
gewertet wurden, welche die Studien be­
endeten.
6. Selektive Ergebnisdarstellung
(systematischer Berichtsfehler)
Es besteht ein niedriges Risiko eines Be­
richtsfehlers, wenn ein Studienprotokoll
verfügbar ist und alle vorher festgelegten
primären und sekundären Endpunkte,
die für die Übersichtsarbeit von Interesse
sind, in einer vorher festgelegten Weise
berichtet wurden; oder wenn es im Falle,
dass kein Studienprotokoll verfügbar ist,
eindeutig ist, dass alle erwarteten Ergeb­
nisse berichtet wurden einschließlich der
vorher festgelegten Ergebnisse (ein über­
zeugender Text dieser Art ist wahrschein­
lich selten). Es besteht ein hohes Risiko
eines systematischen Berichtsfehlers,
wenn nicht alle vorher festgelegten Ergeb­
nisse berichtet wurden; ein oder mehrere
primäre Ergebnisse mit Mess- oder Aus­
wertungsmethoden berichtet wurden,
die nicht vorab festgelegt waren; ein oder
mehrere primäre Ergebnisse berichtet
wurden, die vorab nicht festgelegt waren
(unabhängig davon, ob eine Begründung
für ihre Verwendung wie ein unvorher­
gesehenes Ereignis angegeben wurde);
eines oder mehrere Ergebnisse, die für
die Übersichtsarbeit von Interesse sind,
unvollständig berichtet wurden, sodass sie
nicht in die Metaanalyse eingeschlossen
werden konnten; die Studie keine Werte
für einen zentralen Endpunkt berichtet,
den man in einer solchen Studie erwarten
würde.
7. Gleichheit der Gruppen
bei der Ausgangsmessung
der Studie (systematischer
Selektionsfehler)
Es besteht ein niedriges Risiko für einen
systematischen Selektionsfehler, wenn
die Gruppen bei der Ausgangsmessung
in Bezug auf demografische Daten,
Werte der Hauptergebnisse und wichtige
prognostische Faktoren gleich waren.
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9