VC Die Stadt, auf die alles zufliegt
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VC Die Stadt, auf die alles zufliegt
Politik FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG Politik DONNERSTAG, 7. APRIL 2016 · NR . 8 1 · S E I T E 7 Briefe an die Herausgeber Ohne die Türkei Es war nicht allein Genscher Zu Ihrer Berichterstattung über die Türke: Kann ein vernünftiger Deutscher oder Europäer sich wünschen, in die verworrenen Konflikte jener Regionen verwickelt zu werden? Mit einem Beitritt der Türkei zur Europäischen Union würde die Außengrenze der EU bis weit nach Asien vorgeschoben. Wir hätten dann 268 Kilometer Grenze mit Armenien, 252 Kilometer Grenze mit Georgien, 499 Kilometer Grenze mit Iran, 331 Kilometer Grenze mit dem Irak und eine 822 Kilometer lange Grenze mit Syrien. Die EU würde sogar einen neun Kilometer langen Streifen Aserbaidschans berühren. Damit wüchse die Gefahr, dass die EU in Konflikte und Kriege verwickelt würde, die nicht die ihren sind. Bis jetzt lehnt Angela Merkel einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ab. Bis jetzt! Nicht nur die Türkei, auch die Amerikaner werden alles versuchen, sie umzustimmen. Hoffentlich bleibt die Kanzlerin bei ihrem Nein. Man muss der F.A.Z. für ihre wohltuend sachliche und differenzierte Würdigung Hans-Dietrich Genschers in der Ausgabe vom 2. April 2016 dankbar sein, auch für „Genschman“ im Feuilleton. Sie unterscheidet sich deutlich von der Würdigung in den Nachrichtensendungen der ARDTagesschau, wo man den Eindruck gewinnen musste, Genscher sei allein Vater der deutschen Wiedervereinigung. Auch nicht mit einem Halbsatz wurde Helmut Kohl erwähnt. Man hat den Eindruck, dass die ARD-Redakteure davor zurückscheuen, ohne zwingende Not Kohl oder die CDU zu erwähnen. Als Delegierter auf Bundes- und Landesparteitagen kann ich versichern, dass ROLF LORENZ, GUMMERSBACH Versöhnungsliturgie Wovon Berlin nur träumen kann: Die Baustelle des neuen Istanbuler Flughafens, der in Rekordzeit errichtet wird Foto Rainer Hermann Die Stadt, auf die alles zufliegt Von Rainer Hermann ISTANBUL, im April ierzig Turmdrehkräne ragen in den wolkenverhangenen Himmel, und unten am Boden sind 13 000 Arbeiter im Einsatz. Bis im Februar 2018 das erste Terminal des künftigen weltgrößten Flughafens eröffnet wird, steigt die Zahl der Kräne auf sechzig, verdoppelt sich die der Arbeiter. Und Yusuf Akcayoglu, der CEO des Baukonsortiums IGA, hat einen weiteren Superlativ zu verkünden: Das Gelände des Flughafens im Norden Istanbuls, das direkt am Schwarzen Meer liegt, erstreckt sich auf 76,5 Millionen Quadratmetern. Damit ist er fast viermal so groß wie der Frankfurter Flughafen. Lange war Frankfurt Europas drittgrößter Flughafen. Bis ihn im vergangenen Jahr „Istanbul Atatürk“ überholt hat. Aber der bislang größte Flughafen Istanbuls platzt aus allen Nähten. Im vergangenen Jahr wurden 61 Millionen Passagiere abgefertigt, dabei war er im Jahr 2000 mit einer Kapazität für gerade einmal die Hälfte davon in Betrieb genommen worden. Der neue Flughafen soll Abhilfe schaffen. Dereinst soll er 160 Millionen Passagiere im Jahr befördern können, mit drei Terminals sowie sechs Start- und Landebahnen. „Selbst eine Kapazität von 200 Millionen Passagieren ist bei unserem Design möglich“, sagt Akcayoglu in seinem Büro auf einer kleinen Anhöhe, von wo aus er über ein weites Areal blickt, aus dem wie Stelzen die Fundamente des ersten Terminals wachsen. Ist das erste Terminal in Betrieb genommen, will Akcayoglu die Nachfrage beobachten und, falls erforderlich, umgehend mit dem Bau des zweiten Terminals sowie weiterer Start- und Landebahnen beginnen. Was verrückt klingt und größenwahnsinnig erscheint, ist gut durchdacht. „Istanbul war die Hauptstadt dreier Weltreiche,“ sagt Akcayoglu nicht ohne Stolz. „Ein Zufall kann es doch nicht gewesen sein, dass das hier geschehen ist.“ Hier – in Istanbul, an der Nahtstelle von Europa, Asien und Afrika. Und das meiste Wachstum soll aus Asien und Afrika kommen, wenn sich in den nächsten zwei Jahrzehnten die Zahl der Passagiere in der zivilen Luftfahrt auf 7 Milliarden verdoppeln wird. Zwar ist Ankara und nicht Istanbul die Hauptstadt der Republik Türkei. Istanbul aber schickt sich an, Hauptstadt der zivilen Luftfahrt von morgen zu werden. „Istanbul ist der perfekte Hub“, sagt Temel Kotil, der CEO von Turkish Airlines, deren neuen Heimatflughafen Akcayoglu derzeit baut. Kotil, seit 2006 an der Spitze der am schnellsten wachsenden Fluggesellschaft, formuliert das Geschäftsmodell seines Unternehmens: Passagiere werden mit Großraumflugzeugen nach Istanbul geflogen; dort steigen sie in Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge um, die sie in Europa verteilen. Laut Kotil rechnet sich das: „Mit kleineren Flugzeugen, wie Airbus 320 und Boeing 737, können wir von Istanbul aus 1,5 Milliarden Menschen erreichen.“ Die Flugkosten dieser kleinen Maschinen liegen bei weniger als der Hälfte derjenigen großer Flugzeuge. Kurze Flüge dieser kleineren Maschinen sind wiederum pro Kilometer sehr teuer, optimiert sind die Kosten jedoch bei drei bis vier Stunden Flug – also der Flugzeit ab Istanbul. V Mit dieser Strategie wächst Turkish Airlines schneller als jede andere Fluggesellschaft. Die Zahl der beförderten Passagiere stieg von 10,4 Millionen im Jahr 2003 auf 61,2 Millionen im vergangenen Jahr; 2016 erwartet Kotil 72,4 Millionen, als Ziel nennt er 120 Millionen. 2003 war Turkish Airlines mit 65 Flugzeugen geflogen, 2015 waren es 299, und wenn im Jahr 2021 die bestellten Flugzeuge ausgeliefert sind, werden es 442 sein. Bereits heute fliegt keine andere Fluggesellschaft so viele Destinationen nonstop an wie Turkish Airlines. Trotz der Engpässe im alten Flughafen ist Turkish Airlines ungestüm gewachsen. „Jetzt brauchen wir aber diesen neuen Flughafen, um weiter zu wachsen“, sagt Kotil. Kotil legt eine Grafik des Flugzeugherstellers Airbus auf den Tisch und verweist auf einen weiteren Grund, der für Istanbul als Hub spricht. Die Karte zeigt, wie sich das Gravitationszentrum der zivilen Luftfahrt, also des Mittelpunkts aller Flugbewegungen, von West nach Ost verschiebt. Noch 1971 lag der Punkt in der Mitte des Atlantiks zwischen der Iberischen Halbinsel und New York. Heute befindet er sich zwischen Sizilien und Kreta – also südlich von Istanbul, aber mehrere Stunden von Dubai entfernt. Damit wird Istanbul der Transithub, auf den alles zufliegt, während das Wachstum einer neuen globalen Mittelklasse die Balance der Welt nach Asien verschiebt. Zumindest beim Wachstum haben indes die Flughäfen in der alten Welt der Luftfahrt das Nachsehen. Als sie gebaut und ausgebaut wurden, setzte sich die Welt der Luftfahrt noch aus Nordamerika und Europa zusammen. Damals, in den siebziger Jahren, gab es erst wenige Fluggesellschaften, nur wenige Städte wurden bedient. Hubs waren Heathrow, Paris und Frankfurt, Atlanta und Chicago. ann habe eine zweite Phase eingesetzt, doziert Kotil. Effizientere und kleinere Flugzeuge bedienten nun lange Strecken, sie flogen mehr und kleinere Destinationen an. Große Flughäfen waren nun nicht mehr so wichtig. Den Beginn der jüngsten Phase setzt Kotil dann mit dem Jahr 2011 an. Neue Märkte wie Asien/Pazifik und Afrika sind nun wichtig geworden. Sie müssen an neuen großen Hubs vernetzt werden. Seither gibt es einen neuen Schlüsselbegriff: Konnektivität, Anschlussfähigkeit. Die klassischen Flughäfen Europas sind in den siebziger bis neunziger Jahren gewachsen. Sie sind jedoch an ihre Grenzen gestoßen. Heute ergäbe der Bau eines Großflughafens in Deutschland keinen Sinn, da es ja mittelgroße Flughäfen wie Frankfurt und München gebe, sagt Kotil. Immer mehr zeichnet sich indes ein Wettbewerb unter neuen Großflughäfen ab, wie Istanbul, Dubai, Jakarta oder Schanghai. In Dubai wird ein Großflughafen für 150 Millionen Passagiere gebaut. Das versetzt Akcayoglu, der für den türki- D Neuer Flughafen Tayakadin im Bau Schwarzes Meer Akpinar TÜRKEI Istanbul Istanbul Europäischer Teil Asiatischer Teil Bosporus nach Ankara Anfang 2018 wird in Istanbul der weltgrößte Flughafen eröffnet. Die Betreiber rechnen damit, dass die Balance der Welt sich nach Asien verschiebt. Flughafen Atatürk Flughafen Sabiha-G Sabiha-Gökçen abiha-Gökçen ç Marmarameer 15 km Prinzeninseln F.A.Z.-Karte sie. schen Flughafenbetreiber TAV in Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Ausbau von Flughäfen beteiligt war, nicht in Unruhe. Auch Kotil bleibt gelassen: „Die Geographie macht den Unterschied.“ Dubai liege näher an China, Istanbul aber direkt an Europa. Selbstbewusst sagt er: „Istanbul wird nicht das neue Dubai, Istanbul wird mehr als Dubai.“ hancen rechnet sich der promovierte Luft- und Raumfahrttechniker auch in China aus. Er erwartet, dass die Passagiere aus der Region Asien/Pazifik dort leichter eingesammelt werden können als in Dubai. Kotil ist überzeugt: „Wenn die chinesischen Gesellschaften einen internationalen Hub suchen, entscheiden sie sich für Istanbul.“ Dubai liege zu nahe an China, und Istanbul biete mehr Destination in Europa: „Die Chinesen bringen die Passagiere, und ich befördere sie überallhin.“ Turkish Airlines werde 100 Millionen Passagiere zum neuen Flughafen beisteuern. Diese kritische Masse werde andere Fluggesellschaften anziehen. Turkish Airlines wächst ungestüm, in diesem Jahr bei den Passagierkilometern voraussichtlich um 21 Prozent, das sind vier Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Eigentlich müsste die Gesellschaft bei diesem Wachstum, wie viele Wettbewerber, unter Überkapazitäten leiden. Das Gegenteil ist der Fall, Kotil beklagt „Unterkapazitäten“. Er könnte mehr Tickets verkaufen, wäre der Flughafen größer und könnte Turkish Airlines ihren Heimatflughafen mit mehr Flugzeugen anfliegen. Statt der 1200 Flüge am Tag wären heute bereits 2000 möglich, sagt er. Für eine neue Destination entscheidet sich Kotil, wenn er von dieser am Tag hundert Passagiere nach Istanbul bringen kann. Von diesen könnten 20 in Istanbul bleiben, 80 sollen als Transitpassagiere weiterfliegen. Jene, die in Istanbul bleiben, werden dann mit einer neuen S-Bahn in 26 Minuten an den Stadtteil Sisli angebunden; soeben wurde die nahegelegene dritte Brücke über den Bosporus fertiggestellt. Beschleunigen wird der neue Flughafen die Verlagerung Istanbuls Richtung Norden. Dazu tragen auch ein neues Logistikzentrum und ein neuer Seehafen am Schwarzen Meer für den Frachtverkehr bei. Der neue Flughafen sprengt alle Dimensionen. Das Projekt ist auch das teuerste, das private türkische Unternehmen je in Angriff genommen haben. Die fünf beteiligten Unternehmen werden 10,3 Milliarden Euro ausgeben. Nach der Inbetriebnahme werden sie jedes Jahr eine Milliarde Euro als Pachtgebühr an den türkischen Staat zahlen, und das 25 Jahre lang. Danach geben sie den Flughafen an den Staat ab. Dieses Betreibermodell bot die Gewähr dafür, dass der Bau des Flughafens schnell vonstatten ging. „Weil Investor und Bauunternehmen in einer Hand sind“, sagt Akcayoglu. Ohne die langwierigen Verfahren vieler Industriestaaten, wo zunächst ein Design vorgelegt wird, das dritte Parteien prüfen, wo Simulationen gemacht werden, wo dann endlich der Bau ausgeschrieben und ein Unternehmen ausgesucht wird. Das dauert mehrere Jahre, in denen sich die Anforderungen verändern, so dass das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, den Auftrag bereits modifizieren muss. Nicht in Istanbul. Hier ist das Design noch nicht fertig, da wird schon gebaut. Und so will Akcayoglu im Februar 2018 nach einer Rekordzeit von 42 Monaten einen Flughafen eröffnen, der bereits in der ersten Phase dreimal so groß sein wird wie der unvollendete neue Berliner Flughafen. C Zum Artikel „Luthers katholische Zweitwohnung“ (F.A.Z. vom 26. März): Dass man die Reformation auch ohne Katholiken behandeln kann, ist nicht nur in Rom aufgefallen. Auch im Land der Reformation verfolgt man schon seit längerem die Einstellung des Vatikans zum Reformations„jubiläum“. Schon dieses Wort erregt Missfallen. Papst Benedikt hat anlässlich seines Besuches in Erfurt im Jahr 2011 den EKD-Amtsträgern deutlich gemacht, dass man mit einer Beteiligung von Offiziellen der katholischen Kirche nicht rechnen könne. Inzwischen ist Papst Franziskus im Amt. Von seinen Kardinälen Kaper und Koch gut beraten, hat er erkannt, dass nicht die EKD, sondern der Lutherische Weltbund mit dem Vatikan auf Augenhöhe steht. Und damit nicht genug, wählt der Papst die Geburtsstätte des Lutherischen Weltbundes, Lund in Schweden, als Ort des Auftaktes zum Lutherjahr 2017. Für diese Zeremonie haben der Vatikan und der Lutherische Weltbund eine Versöhnungsliturgie erarbeitet. Die katholische Kirche ist also am Reformationsgedenken aktiv und zielstrebig beteiligt, nicht aber die EKD, ein Bund evangelischer Kirchen, die zum Luthertum eine recht unterschiedliche Einstellung haben; die dürfen fehlen. DR. HANS CHRISTHARD MAHRENHOLZ, HILCHENBACH Deutsche Musik Zu „Sendeauftrag“ (F.A.Z. vom 22. März): Die Kritik am neuen Sendeauftrag von Radio Bremen greift zu kurz. Erstens gibt es bereits im bisherigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem nur eine bedingte inhaltliche Autonomie, da die Rundfunkräte, in denen nicht selten Politiker den Vorsitz bekleiden, neue Kanäle erst genehmigen müssen. Zweitens entspricht es nur einem Gebot der Fairness, dass man, nachdem man die Rechte der Sender gegenüber der Bevölkerung über die neue Haushaltsabgabe geregelt hat, im Gegenzug ebenfalls die Pflichten näher konkretisiert. Schließlich zeigen sich in der jüngeren Vergangenheit nicht wenige technokratische Fehlentwicklungen in den Funkhäusern, wie etwa, dass man etliche Hörfunkwellen zum Verdruss vieler insbesondere älterer Menschen von einem Schlager- in ein OldieFormat umgewandelt hat und sich nun als Reaktion darauf gezwungen sieht, zumindest im digitalen Bereich wieder eine Welle mit vornehmlich leichter deutscher Musik einzuführen. Deshalb bleibt der Ansatz der rot-grünen Regierung im kleinsten Bundesland am Ende doch richtig, zumal gerade in Norddeutschland vom benachbarten NDR die für die Integration von Immigranten äußerst wichtigen Fremdsprachenprogramme durch die Verbannung von UKW-Frequenzen ins ziemliche Abseits befördert wurden. RASMUS PH. HELT, HAMBURG Giacomo Puccini Zum Beitrag von Rainer Stamm „Wir wollen die Futuristen übertreffen“ (F.A.Z. vom 8. März): Mit Vergnügen und Gewinn las ich den interessanten Artikel – Blickfang war dabei für mich die „Besucherin im Bullier“, die ich sofort als ein Bild von Jeanne Mammen erkannte, deren Zeichenkunst ich immer schon sehr bewundert habe. Am Schluss schreiben Sie, der „Bal Bullier“ habe sich durch die drei Malerinnen, deren Werke Sie vorstellen, „in die Kunstgeschichte eingeschrieben“. Diese Bemerkung möchte ich durch einen Hinweis ergänzen: Es war – was wenig bekannt ist – kein Geringerer als Giacomo Puccini, der dem „Bal Bullier“ in seiner heiteren Oper „La Rondine“ ein weiteres schönes Denkmal gesetzt hat! Der ganze zweite Akt des Stückes spielt dort – mehr als eine halbe Stunde beschwingter, wunderbarer Musik. Puccini begann mit der Komposition kurz vor dem Ersten Weltkrieg, also in einer Zeit, als der „Bal Bullier“ Ihrem Bericht zufolge in seiner schönsten Blüte stand – ob der weitgereiste Komponist das Tanzlokal womöglich sogar persönlich kannte, ob diese Kenntnis ihn beim Schreiben der Musik des zweiten „Rondine“-Aktes inspiriert hatte? Ein hübscher Gedanke, dem man nachgehen sollte. PETER SCHWEIZER, BERLIN wir ernsthaft an die Wiedervereinigung geglaubt haben. Von den Fortschrittlichen und SPD-Mitgliedern mussten wir uns anhören, wir seien die Ewiggestrigen und hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Noch 1985 habe ich nach einem Besuch mit der CDU-Ratsfraktion in Leipzig und Magdeburg in den „Kommunalpolitischen Blättern“ geschrieben, man müsse nicht den Eindruck haben, die deutsche Teilung sei das letzte Wort der Geschichte. Fünf Jahre später ging die Teilung zu Ende. Sicher auch wesentlich durch das Wirken von Hans-Dietrich Genscher, aber nicht durch seine Beiträge allein. HANS OCHMANN, BRAUNSCHWEIG Helikoptergeld und „verderbte Früchte“ Sarkastisch könnte man sagen: Gute Idee! Besser gutes Geld unter (meist) gute Leute werfen als mit (derzeit noch) gutem Geld schlechte (Staats-)Schuldner in ihrer Indolenz bestärken. An der Spitze der EZB sitzen jedoch Währungspolitiker, die der Stabilität des Geldwertes verpflichtet sind. Dort herrscht offenbar „Euro-Geistesverwirrung“ (F.A.Z. vom 24. März). Dagegen ist der Handlungsrahmen der EZB klar umgrenzt. Für die Lancierung von Helikoptergeld gewährt das Primärrecht der Währungsunion nur unter Missbrauch der Auslegungsregeln eine Ermächtigung. Dennoch spielt man am Main offenbar je länger, je lieber mit Grenzüberschreitungen – die nicht nachhaltig geahndet werden, auch nicht von einem klitzekleinen Vorbehalt des EuGH. Längst schon wildert die EZB in verbotenen Gärten der Fiskalpolitik – und wird aus Mario Draghis Garten „verderbte Früchte“ hinterlassen (F.A.Z. vom 23. März). Leider haben Bundesregierungen aller Couleur dabei als „Landschaftsarchitekten“ mitgewirkt. Deutschland trägt zwar mehr als ein Viertel des Kapitals der EZB – und alle daraus rührenden Risiken. In vorauseilender Beglückung hatte die Bundesrepublik allerdings hingenommen, dass in den Eurobeschlussgremien ein Rotationsverfahren gilt. Bundesbankpräsident Weidmann sitzt daher bisweilen ohne Stimme am Ratstisch. Schlimmer zählt die unterlassene Hilfeleistung aus Berlin gegenüber personifizierten Stabilitätsankern im System der Europäischen Zentralbank. Im Direktorium der EZB wurde Herr Starke von der Bundesregierung jedenfalls in der Öffentlichkeit alleingelassen. Gleiches gilt für den vorigen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Weber, der als Präsident der EZB designiert war und dafür gute Chancen hatte. Beide haben „hingeschmissen“. Für die Politik der EZB hatte das fatale Folgen. Statt Weber folgte an deren Spitze Draghi. Statt Starke sitzt nun ein Chefökonom im Direktorium, der jedenfalls bei Konflikten um die Wahrung der Stabilitätspolitik nicht nachhaltig öffentlich in Erscheinung getreten ist. Um öffentliche Standfestigkeit und Wahrnehmung geht es in der Währungspolitik, noch mehr aber um deren vernehmbare Unterstützung (Interview mit Christoph Lindner, F.A.Z. vom 21. März): Niemand gebietet der deutschen Politik, Äußerungen zur Währungspolitik zu unterlassen. Verboten sind Weisungen. Natürlich gibt es sensible Grenzen. Aber stetig die „Unabhängigkeit“ der EZB wie eine Monstranz vor sich herzutragen wird als „Davonschleichen“ verstanden. Da setzen andere – insbesondere südliche – Mitgliedstaaten ganz andere Zeichen und Maßstäbe. Wenigstens die Öffentlichkeit versteht die Brisanz der Währungspolitik für das gesamte Wirtschafts- und Sozialgefüge unseres Landes sehr gut. Man schätzt sehr wohl den Geldwert und das Geld als Maßstab für die Lebensgrundlage – bis hin zu Tarifverhandlungen und den Voraussetzungen einer sicheren Altersversorgung. Schon Denkspiele zu „Helikoptergeld“ aus den oberen Etagen der EZB schädigen dieses Vertrauen. Vertrauen macht sich vielmehr fest an der Haltung des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, der für seine stabilitätsorientierte Geldpolitik wirbt und dafür auch im EZB-Rat Anhänger zu gewinnen hofft. Er darf sich eines hohen Ansehens in der Bevölkerung, in der Wirtschaft und in sozialen Verbänden erfreuen und ist – Unterstützung aus Berlin hin oder her – Garant für die Stimme der Stabilität in einem gefährlich erodierenden Umfeld der Währungspolitik. PROFESSOR DR. HEINZ CHRISTIAN HAFKE, FRANKFURT AM MAIN Wo der Till mit dem Nasreddin heckt Für Ihr Titelbild der F.A.Z. vom 30. März wählten Sie trefflich Nasreddin Hodscha, den „muslimischen Till Eulenspiegel“. Präsident Erdogan sollte einmal Mölln im Lauenburgischen besuchen. Vor vier Jahren haben wir dort mit großem Erfolg das deutsch-türkische Projektjahr „Der Till heckt mit dem Nasreddin“ begangen. Künstlerinnen und Künstler des Lauenburgischen Kunstvereins haben sich schöpferisch mit Till Eulenspiegel und seinem „Bruder“ Nasreddin Hodscha auseinandergesetzt und eine hervorragende Wanderausstellung ins Leben gerufen. Die Ausstellung ist nur eines von vielen Projekten, die der Verein „Miteinander leben e. V.“ gemeinsam mit der Stadt Mölln, dem Moscheeverein der Fatih-Sultan-Moschee, den christlichen Kirchen und vielen weiteren Organisatoren 2012 in Mölln rea- lisiert hat – zwanzig Jahre nach den entsetzlichen Brandanschlägen, die am 23. November 1992 ganz Deutschland erschüttert hatten. Das deutsch-türkische Projektjahr hat ganz im Sinne der beiden schalkhaft-witzigen Narren viele Akteure der Region respektvoll zusammengeführt und wurde beispielgebend. Erstmals in der viele Hunderte Jahre alten Geschichte der Möllner Nikolaikirche feierten wir zum jährlichen Gedenken der Opfer der Brandanschläge einen muslimisch-christlichen Gottesdienst. Und im altehrwürdigen Ratzeburger Dom beteten am 29. August 2010 zum Abschluss einer BarlachKollwitz-Ausstellung Vertreter aller großen Weltreligionen nacheinander unter Barlachs „Engel“ um Versöhnung und Frieden. PFARRER FELIX EVERS, NEUBRANDENBURG Für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie In „Natur und Wissenschaft“ der F.A.Z. vom 8. März erschien „Kein Freibrief für den ,Medizinalhanf‘“ – ein Artikel zur Verwendung von Cannabis in der Medizin. Bisher ist nur ein einziges Fertigarzneimittel zugelassen worden. Es kann in der Behandlung der multiplen Sklerose eingesetzt werden. Für uns Pharmazeuten steht an erster Stelle die Sicherheit in der Arzneimitteltherapie. Dazu gehört unter anderem, dass die eingesetzten Präparate eine gleichbleibende Qualität aufweisen. Gerade bei pflanzlichen Arzneimitteln, wie sie auch die Cannabisblüten darstellen, stellt dies eine große Herausforderung dar. Die Unterstellung unter das Betäubungsmittelgesetz unterstreicht, dass Cannabis besonders stark wirksam ist und zusätzliche Risiken für den Anwender birgt. Umso wichtiger ist die gleichbleibende Qualität. Die Verantwortung für die Herstellung des anwendungsfertigen Arzneimittels in die Hand des Patienten zu legen, indem er einen Teeaufguss oder ein Inhalat selbst herstellt, ist nicht mit dem Gedanken der Arzneimitteltherapiesicherheit vereinbar. Die Verwendung als Joint zusammen mit Tabak oder gar als Lebensmittel in Form von Butter, Öl, Milch oder Ähnlichem führt alle Bemühungen, die Sicherheit von Arzneimitteln zu gewährleisten, ad absurdum. Deswegen setzen wir Apotheker uns dafür ein, dass Cannabis nur qualitätsgesichert an den Patienten abgegeben werden darf. Dazu gibt es auch einen Beschluss des letztjährigen Deutschen Apothekertags, den die Landesapothekerkammer Hessen eingebracht hat. Wir haben in Deutschland ein Arzneimittelgesetz, das vor dem Hintergrund der Contergan-Katastrophe geschaffen und immer wieder verschärft wurde und das den Gedanken der Patientensicherheit in den Mittelpunkt stellt. Dort ist geregelt, dass ein Arzneimittel erst dann am Menschen angewendet werden darf, wenn in umfangreichen Untersuchungen seine Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit nachgewiesen wurde. Es erstaunt, dass ausgerechnet bei einer Pflanze mit hochwirksamen Inhaltsstoffen, deren Risiko sich in der Unterstellung unter das Betäubungsmittelgesetz widerspiegelt, genau dieser Sicherungsmechanismus umgangen werden soll. Vielmehr sollen Patienten, die Cannabis erhalten, als Forschungsobjekte dienen und nur bei Teilnahme an der Begleitforschung die Kosten für ihre Therapie erstattet bekommen – ein absolutes Novum, das dem Gedanken der Patientensicherheit nicht dient, sondern vielmehr entgegenläuft. Wir stehen mit qualitätsgesicherten Arzneimitteln für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie ein. Deshalb muss auch die Therapie mit Cannabis diesen Anforderungen genügen, und das gelingt nicht auf dem zurzeit vorgesehenen Weg, Cannabisextrakt oder Cannabisblüten ohne weitere Qualitätsvorgaben für die Anwendung durch den Patienten freizugeben! CLAUDIA WEGENER, APOTHEKERIN, BAUNATAL Und die Kugel Eis? Ich halte es für unmöglich, das Bargeld abzuschaffen, insbesondere wenn es um kleine Beträge geht. Wie sollen zum Beispiel Kinder die Kugel Eis am Eiswagen bezahlen? Aber an solche Sachen denkt offensichtlich niemand. Es gibt auch viele Geschäfte, Buden und so weiter, wo man ohne Bargeld nicht zurechtkommt. ERNST WILLENBROCK, SANKT AUGUSTIN