VC Die Stadt, auf die alles zufliegt

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VC Die Stadt, auf die alles zufliegt
Politik
FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG
Politik
DONNERSTAG, 7. APRIL 2016 · NR . 8 1 · S E I T E 7
Briefe an die Herausgeber
Ohne die Türkei
Es war nicht allein Genscher
Zu Ihrer Berichterstattung über die Türke: Kann ein vernünftiger Deutscher oder
Europäer sich wünschen, in die verworrenen Konflikte jener Regionen verwickelt
zu werden? Mit einem Beitritt der Türkei
zur Europäischen Union würde die Außengrenze der EU bis weit nach Asien vorgeschoben. Wir hätten dann 268 Kilometer Grenze mit Armenien, 252 Kilometer
Grenze mit Georgien, 499 Kilometer
Grenze mit Iran, 331 Kilometer Grenze
mit dem Irak und eine 822 Kilometer lange Grenze mit Syrien. Die EU würde sogar einen neun Kilometer langen Streifen
Aserbaidschans berühren. Damit wüchse
die Gefahr, dass die EU in Konflikte und
Kriege verwickelt würde, die nicht die ihren sind. Bis jetzt lehnt Angela Merkel einen Beitritt der Türkei zur Europäischen
Union ab. Bis jetzt! Nicht nur die Türkei,
auch die Amerikaner werden alles versuchen, sie umzustimmen. Hoffentlich
bleibt die Kanzlerin bei ihrem Nein.
Man muss der F.A.Z. für ihre wohltuend
sachliche und differenzierte Würdigung
Hans-Dietrich Genschers in der Ausgabe
vom 2. April 2016 dankbar sein, auch für
„Genschman“ im Feuilleton. Sie unterscheidet sich deutlich von der Würdigung
in den Nachrichtensendungen der ARDTagesschau, wo man den Eindruck gewinnen musste, Genscher sei allein Vater der
deutschen Wiedervereinigung. Auch
nicht mit einem Halbsatz wurde Helmut
Kohl erwähnt. Man hat den Eindruck,
dass die ARD-Redakteure davor zurückscheuen, ohne zwingende Not Kohl oder
die CDU zu erwähnen.
Als Delegierter auf Bundes- und Landesparteitagen kann ich versichern, dass
ROLF LORENZ, GUMMERSBACH
Versöhnungsliturgie
Wovon Berlin nur träumen kann: Die Baustelle des neuen Istanbuler Flughafens, der in Rekordzeit errichtet wird
Foto Rainer Hermann
Die Stadt, auf die alles zufliegt
Von Rainer Hermann
ISTANBUL, im April
ierzig Turmdrehkräne ragen in
den wolkenverhangenen Himmel,
und unten am Boden sind 13 000
Arbeiter im Einsatz. Bis im Februar 2018
das erste Terminal des künftigen weltgrößten Flughafens eröffnet wird, steigt
die Zahl der Kräne auf sechzig, verdoppelt sich die der Arbeiter. Und Yusuf
Akcayoglu, der CEO des Baukonsortiums IGA, hat einen weiteren Superlativ
zu verkünden: Das Gelände des Flughafens im Norden Istanbuls, das direkt am
Schwarzen Meer liegt, erstreckt sich auf
76,5 Millionen Quadratmetern. Damit
ist er fast viermal so groß wie der Frankfurter Flughafen.
Lange war Frankfurt Europas drittgrößter Flughafen. Bis ihn im vergangenen Jahr „Istanbul Atatürk“ überholt
hat. Aber der bislang größte Flughafen Istanbuls platzt aus allen Nähten. Im vergangenen Jahr wurden 61 Millionen Passagiere abgefertigt, dabei war er im Jahr
2000 mit einer Kapazität für gerade einmal die Hälfte davon in Betrieb genommen worden.
Der neue Flughafen soll Abhilfe schaffen. Dereinst soll er 160 Millionen Passagiere im Jahr befördern können, mit drei
Terminals sowie sechs Start- und Landebahnen. „Selbst eine Kapazität von 200
Millionen Passagieren ist bei unserem
Design möglich“, sagt Akcayoglu in seinem Büro auf einer kleinen Anhöhe, von
wo aus er über ein weites Areal blickt,
aus dem wie Stelzen die Fundamente des
ersten Terminals wachsen. Ist das erste
Terminal in Betrieb genommen, will Akcayoglu die Nachfrage beobachten und,
falls erforderlich, umgehend mit dem
Bau des zweiten Terminals sowie weiterer Start- und Landebahnen beginnen.
Was verrückt klingt und größenwahnsinnig erscheint, ist gut durchdacht. „Istanbul war die Hauptstadt dreier Weltreiche,“ sagt Akcayoglu nicht ohne Stolz.
„Ein Zufall kann es doch nicht gewesen
sein, dass das hier geschehen ist.“ Hier –
in Istanbul, an der Nahtstelle von Europa, Asien und Afrika. Und das meiste
Wachstum soll aus Asien und Afrika
kommen, wenn sich in den nächsten
zwei Jahrzehnten die Zahl der Passagiere in der zivilen Luftfahrt auf 7 Milliarden verdoppeln wird. Zwar ist Ankara
und nicht Istanbul die Hauptstadt der Republik Türkei. Istanbul aber schickt sich
an, Hauptstadt der zivilen Luftfahrt von
morgen zu werden.
„Istanbul ist der perfekte Hub“, sagt
Temel Kotil, der CEO von Turkish Airlines, deren neuen Heimatflughafen Akcayoglu derzeit baut. Kotil, seit 2006 an
der Spitze der am schnellsten wachsenden Fluggesellschaft, formuliert das Geschäftsmodell seines Unternehmens: Passagiere werden mit Großraumflugzeugen nach Istanbul geflogen; dort steigen
sie in Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge
um, die sie in Europa verteilen. Laut Kotil rechnet sich das: „Mit kleineren Flugzeugen, wie Airbus 320 und Boeing 737,
können wir von Istanbul aus 1,5 Milliarden Menschen erreichen.“ Die Flugkosten dieser kleinen Maschinen liegen bei
weniger als der Hälfte derjenigen großer
Flugzeuge. Kurze Flüge dieser kleineren
Maschinen sind wiederum pro Kilometer sehr teuer, optimiert sind die Kosten
jedoch bei drei bis vier Stunden Flug –
also der Flugzeit ab Istanbul.
V
Mit dieser Strategie wächst Turkish
Airlines schneller als jede andere Fluggesellschaft. Die Zahl der beförderten Passagiere stieg von 10,4 Millionen im Jahr
2003 auf 61,2 Millionen im vergangenen
Jahr; 2016 erwartet Kotil 72,4 Millionen,
als Ziel nennt er 120 Millionen. 2003
war Turkish Airlines mit 65 Flugzeugen
geflogen, 2015 waren es 299, und wenn
im Jahr 2021 die bestellten Flugzeuge
ausgeliefert sind, werden es 442 sein. Bereits heute fliegt keine andere Fluggesellschaft so viele Destinationen nonstop an
wie Turkish Airlines. Trotz der Engpässe
im alten Flughafen ist Turkish Airlines
ungestüm gewachsen. „Jetzt brauchen
wir aber diesen neuen Flughafen, um
weiter zu wachsen“, sagt Kotil.
Kotil legt eine Grafik des Flugzeugherstellers Airbus auf den Tisch und verweist auf einen weiteren Grund, der für
Istanbul als Hub spricht. Die Karte zeigt,
wie sich das Gravitationszentrum der zivilen Luftfahrt, also des Mittelpunkts aller Flugbewegungen, von West nach Ost
verschiebt. Noch 1971 lag der Punkt in
der Mitte des Atlantiks zwischen der Iberischen Halbinsel und New York. Heute
befindet er sich zwischen Sizilien und
Kreta – also südlich von Istanbul, aber
mehrere Stunden von Dubai entfernt.
Damit wird Istanbul der Transithub,
auf den alles zufliegt, während das
Wachstum einer neuen globalen Mittelklasse die Balance der Welt nach Asien
verschiebt. Zumindest beim Wachstum
haben indes die Flughäfen in der alten
Welt der Luftfahrt das Nachsehen. Als
sie gebaut und ausgebaut wurden, setzte
sich die Welt der Luftfahrt noch aus
Nordamerika und Europa zusammen.
Damals, in den siebziger Jahren, gab es
erst wenige Fluggesellschaften, nur wenige Städte wurden bedient. Hubs waren
Heathrow, Paris und Frankfurt, Atlanta
und Chicago.
ann habe eine zweite Phase eingesetzt, doziert Kotil. Effizientere
und kleinere Flugzeuge bedienten nun lange Strecken, sie flogen mehr
und kleinere Destinationen an. Große
Flughäfen waren nun nicht mehr so wichtig. Den Beginn der jüngsten Phase setzt
Kotil dann mit dem Jahr 2011 an. Neue
Märkte wie Asien/Pazifik und Afrika
sind nun wichtig geworden. Sie müssen
an neuen großen Hubs vernetzt werden.
Seither gibt es einen neuen Schlüsselbegriff: Konnektivität, Anschlussfähigkeit.
Die klassischen Flughäfen Europas
sind in den siebziger bis neunziger Jahren gewachsen. Sie sind jedoch an ihre
Grenzen gestoßen. Heute ergäbe der
Bau eines Großflughafens in Deutschland keinen Sinn, da es ja mittelgroße
Flughäfen wie Frankfurt und München
gebe, sagt Kotil. Immer mehr zeichnet
sich indes ein Wettbewerb unter neuen
Großflughäfen ab, wie Istanbul, Dubai,
Jakarta oder Schanghai.
In Dubai wird ein Großflughafen für
150 Millionen Passagiere gebaut. Das
versetzt Akcayoglu, der für den türki-
D
Neuer Flughafen
Tayakadin
im Bau
Schwarzes Meer
Akpinar
TÜRKEI
Istanbul
Istanbul
Europäischer Teil
Asiatischer Teil
Bosporus
nach Ankara
Anfang 2018 wird in Istanbul
der weltgrößte Flughafen
eröffnet. Die Betreiber
rechnen damit, dass die
Balance der Welt sich nach
Asien verschiebt.
Flughafen
Atatürk
Flughafen
Sabiha-G
Sabiha-Gökçen
abiha-Gökçen
ç
Marmarameer
15 km
Prinzeninseln
F.A.Z.-Karte sie.
schen Flughafenbetreiber TAV in Qatar
und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Ausbau von Flughäfen beteiligt
war, nicht in Unruhe. Auch Kotil bleibt
gelassen: „Die Geographie macht den
Unterschied.“ Dubai liege näher an China, Istanbul aber direkt an Europa.
Selbstbewusst sagt er: „Istanbul wird
nicht das neue Dubai, Istanbul wird
mehr als Dubai.“
hancen rechnet sich der promovierte Luft- und Raumfahrttechniker auch in China aus. Er erwartet, dass die Passagiere aus der Region
Asien/Pazifik dort leichter eingesammelt
werden können als in Dubai. Kotil ist
überzeugt: „Wenn die chinesischen Gesellschaften einen internationalen Hub
suchen, entscheiden sie sich für Istanbul.“ Dubai liege zu nahe an China, und
Istanbul biete mehr Destination in Europa: „Die Chinesen bringen die Passagiere, und ich befördere sie überallhin.“ Turkish Airlines werde 100 Millionen Passagiere zum neuen Flughafen beisteuern.
Diese kritische Masse werde andere Fluggesellschaften anziehen.
Turkish Airlines wächst ungestüm, in
diesem Jahr bei den Passagierkilometern
voraussichtlich um 21 Prozent, das sind
vier Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Eigentlich müsste die Gesellschaft bei diesem Wachstum, wie viele Wettbewerber,
unter Überkapazitäten leiden. Das Gegenteil ist der Fall, Kotil beklagt „Unterkapazitäten“. Er könnte mehr Tickets
verkaufen, wäre der Flughafen größer
und könnte Turkish Airlines ihren Heimatflughafen mit mehr Flugzeugen anfliegen. Statt der 1200 Flüge am Tag wären heute bereits 2000 möglich, sagt er.
Für eine neue Destination entscheidet
sich Kotil, wenn er von dieser am Tag
hundert Passagiere nach Istanbul bringen kann. Von diesen könnten 20 in Istanbul bleiben, 80 sollen als Transitpassagiere weiterfliegen. Jene, die in Istanbul bleiben, werden dann mit einer neuen S-Bahn in 26 Minuten an den Stadtteil Sisli angebunden; soeben wurde die
nahegelegene dritte Brücke über den
Bosporus fertiggestellt. Beschleunigen
wird der neue Flughafen die Verlagerung
Istanbuls Richtung Norden. Dazu tragen
auch ein neues Logistikzentrum und ein
neuer Seehafen am Schwarzen Meer für
den Frachtverkehr bei.
Der neue Flughafen sprengt alle Dimensionen. Das Projekt ist auch das teuerste, das private türkische Unternehmen je in Angriff genommen haben. Die
fünf beteiligten Unternehmen werden
10,3 Milliarden Euro ausgeben. Nach der
Inbetriebnahme werden sie jedes Jahr
eine Milliarde Euro als Pachtgebühr an
den türkischen Staat zahlen, und das 25
Jahre lang. Danach geben sie den Flughafen an den Staat ab.
Dieses Betreibermodell bot die Gewähr dafür, dass der Bau des Flughafens
schnell vonstatten ging. „Weil Investor
und Bauunternehmen in einer Hand
sind“, sagt Akcayoglu. Ohne die langwierigen Verfahren vieler Industriestaaten,
wo zunächst ein Design vorgelegt wird,
das dritte Parteien prüfen, wo Simulationen gemacht werden, wo dann endlich
der Bau ausgeschrieben und ein Unternehmen ausgesucht wird. Das dauert
mehrere Jahre, in denen sich die Anforderungen verändern, so dass das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat,
den Auftrag bereits modifizieren muss.
Nicht in Istanbul. Hier ist das Design
noch nicht fertig, da wird schon gebaut.
Und so will Akcayoglu im Februar 2018
nach einer Rekordzeit von 42 Monaten
einen Flughafen eröffnen, der bereits in
der ersten Phase dreimal so groß sein
wird wie der unvollendete neue Berliner
Flughafen.
C
Zum Artikel „Luthers katholische Zweitwohnung“ (F.A.Z. vom 26. März): Dass
man die Reformation auch ohne Katholiken behandeln kann, ist nicht nur in Rom
aufgefallen. Auch im Land der Reformation verfolgt man schon seit längerem die
Einstellung des Vatikans zum Reformations„jubiläum“. Schon dieses Wort erregt
Missfallen. Papst Benedikt hat anlässlich
seines Besuches in Erfurt im Jahr 2011
den EKD-Amtsträgern deutlich gemacht,
dass man mit einer Beteiligung von Offiziellen der katholischen Kirche nicht rechnen könne.
Inzwischen ist Papst Franziskus im
Amt. Von seinen Kardinälen Kaper und
Koch gut beraten, hat er erkannt, dass
nicht die EKD, sondern der Lutherische
Weltbund mit dem Vatikan auf Augenhöhe steht. Und damit nicht genug, wählt
der Papst die Geburtsstätte des Lutherischen Weltbundes, Lund in Schweden, als
Ort des Auftaktes zum Lutherjahr 2017.
Für diese Zeremonie haben der Vatikan
und der Lutherische Weltbund eine Versöhnungsliturgie erarbeitet. Die katholische Kirche ist also am Reformationsgedenken aktiv und zielstrebig beteiligt,
nicht aber die EKD, ein Bund evangelischer Kirchen, die zum Luthertum eine
recht unterschiedliche Einstellung haben;
die dürfen fehlen.
DR. HANS CHRISTHARD MAHRENHOLZ,
HILCHENBACH
Deutsche Musik
Zu „Sendeauftrag“ (F.A.Z. vom 22. März):
Die Kritik am neuen Sendeauftrag von Radio Bremen greift zu kurz. Erstens gibt es
bereits im bisherigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem nur eine bedingte
inhaltliche Autonomie, da die Rundfunkräte, in denen nicht selten Politiker den
Vorsitz bekleiden, neue Kanäle erst genehmigen müssen.
Zweitens entspricht es nur einem Gebot der Fairness, dass man, nachdem man
die Rechte der Sender gegenüber der Bevölkerung über die neue Haushaltsabgabe
geregelt hat, im Gegenzug ebenfalls die
Pflichten näher konkretisiert. Schließlich
zeigen sich in der jüngeren Vergangenheit
nicht wenige technokratische Fehlentwicklungen in den Funkhäusern, wie etwa,
dass man etliche Hörfunkwellen zum Verdruss vieler insbesondere älterer Menschen von einem Schlager- in ein OldieFormat umgewandelt hat und sich nun als
Reaktion darauf gezwungen sieht, zumindest im digitalen Bereich wieder eine Welle mit vornehmlich leichter deutscher Musik einzuführen. Deshalb bleibt der Ansatz der rot-grünen Regierung im kleinsten Bundesland am Ende doch richtig, zumal gerade in Norddeutschland vom benachbarten NDR die für die Integration
von Immigranten äußerst wichtigen
Fremdsprachenprogramme durch die Verbannung von UKW-Frequenzen ins ziemliche Abseits befördert wurden.
RASMUS PH. HELT, HAMBURG
Giacomo Puccini
Zum Beitrag von Rainer Stamm „Wir wollen die Futuristen übertreffen“ (F.A.Z.
vom 8. März): Mit Vergnügen und Gewinn
las ich den interessanten Artikel – Blickfang war dabei für mich die „Besucherin
im Bullier“, die ich sofort als ein Bild von
Jeanne Mammen erkannte, deren Zeichenkunst ich immer schon sehr bewundert
habe. Am Schluss schreiben Sie, der „Bal
Bullier“ habe sich durch die drei Malerinnen, deren Werke Sie vorstellen, „in die
Kunstgeschichte eingeschrieben“. Diese
Bemerkung möchte ich durch einen Hinweis ergänzen:
Es war – was wenig bekannt ist – kein
Geringerer als Giacomo Puccini, der dem
„Bal Bullier“ in seiner heiteren Oper „La
Rondine“ ein weiteres schönes Denkmal
gesetzt hat! Der ganze zweite Akt des Stückes spielt dort – mehr als eine halbe Stunde beschwingter, wunderbarer Musik.
Puccini begann mit der Komposition
kurz vor dem Ersten Weltkrieg, also in einer Zeit, als der „Bal Bullier“ Ihrem Bericht zufolge in seiner schönsten Blüte
stand – ob der weitgereiste Komponist das
Tanzlokal womöglich sogar persönlich
kannte, ob diese Kenntnis ihn beim Schreiben der Musik des zweiten „Rondine“-Aktes inspiriert hatte? Ein hübscher Gedanke, dem man nachgehen sollte.
PETER SCHWEIZER, BERLIN
wir ernsthaft an die Wiedervereinigung geglaubt haben. Von den Fortschrittlichen
und SPD-Mitgliedern mussten wir uns anhören, wir seien die Ewiggestrigen und
hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Noch 1985 habe ich nach einem Besuch mit der CDU-Ratsfraktion in Leipzig und Magdeburg in den „Kommunalpolitischen Blättern“ geschrieben, man
müsse nicht den Eindruck haben, die
deutsche Teilung sei das letzte Wort der
Geschichte. Fünf Jahre später ging die
Teilung zu Ende. Sicher auch wesentlich
durch das Wirken von Hans-Dietrich
Genscher, aber nicht durch seine Beiträge allein.
HANS OCHMANN, BRAUNSCHWEIG
Helikoptergeld und „verderbte Früchte“
Sarkastisch könnte man sagen: Gute Idee!
Besser gutes Geld unter (meist) gute Leute werfen als mit (derzeit noch) gutem
Geld schlechte (Staats-)Schuldner in ihrer
Indolenz bestärken. An der Spitze der
EZB sitzen jedoch Währungspolitiker, die
der Stabilität des Geldwertes verpflichtet
sind. Dort herrscht offenbar „Euro-Geistesverwirrung“ (F.A.Z. vom 24. März). Dagegen ist der Handlungsrahmen der EZB
klar umgrenzt. Für die Lancierung von Helikoptergeld gewährt das Primärrecht der
Währungsunion nur unter Missbrauch der
Auslegungsregeln eine Ermächtigung.
Dennoch spielt man am Main offenbar je
länger, je lieber mit Grenzüberschreitungen – die nicht nachhaltig geahndet werden, auch nicht von einem klitzekleinen
Vorbehalt des EuGH. Längst schon wildert die EZB in verbotenen Gärten der Fiskalpolitik – und wird aus Mario Draghis
Garten „verderbte Früchte“ hinterlassen
(F.A.Z. vom 23. März). Leider haben Bundesregierungen aller Couleur dabei als
„Landschaftsarchitekten“ mitgewirkt.
Deutschland trägt zwar mehr als ein
Viertel des Kapitals der EZB – und alle
daraus rührenden Risiken. In vorauseilender Beglückung hatte die Bundesrepublik
allerdings hingenommen, dass in den Eurobeschlussgremien ein Rotationsverfahren gilt. Bundesbankpräsident Weidmann
sitzt daher bisweilen ohne Stimme am
Ratstisch. Schlimmer zählt die unterlassene Hilfeleistung aus Berlin gegenüber personifizierten Stabilitätsankern im System
der Europäischen Zentralbank. Im Direktorium der EZB wurde Herr Starke von
der Bundesregierung jedenfalls in der Öffentlichkeit alleingelassen. Gleiches gilt
für den vorigen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Weber, der als Präsident der EZB designiert war und dafür
gute Chancen hatte. Beide haben „hingeschmissen“.
Für die Politik der EZB hatte das fatale
Folgen. Statt Weber folgte an deren Spitze
Draghi. Statt Starke sitzt nun ein Chefökonom im Direktorium, der jedenfalls bei
Konflikten um die Wahrung der Stabilitätspolitik nicht nachhaltig öffentlich in
Erscheinung getreten ist. Um öffentliche
Standfestigkeit und Wahrnehmung geht
es in der Währungspolitik, noch mehr
aber um deren vernehmbare Unterstützung (Interview mit Christoph Lindner,
F.A.Z. vom 21. März): Niemand gebietet
der deutschen Politik, Äußerungen zur
Währungspolitik zu unterlassen. Verboten
sind Weisungen. Natürlich gibt es sensible
Grenzen. Aber stetig die „Unabhängigkeit“ der EZB wie eine Monstranz vor sich
herzutragen wird als „Davonschleichen“
verstanden. Da setzen andere – insbesondere südliche – Mitgliedstaaten ganz andere Zeichen und Maßstäbe.
Wenigstens die Öffentlichkeit versteht
die Brisanz der Währungspolitik für das
gesamte Wirtschafts- und Sozialgefüge unseres Landes sehr gut. Man schätzt sehr
wohl den Geldwert und das Geld als Maßstab für die Lebensgrundlage – bis hin zu
Tarifverhandlungen und den Voraussetzungen einer sicheren Altersversorgung.
Schon Denkspiele zu „Helikoptergeld“ aus
den oberen Etagen der EZB schädigen dieses Vertrauen. Vertrauen macht sich vielmehr fest an der Haltung des Präsidenten
der Deutschen Bundesbank, der für seine
stabilitätsorientierte Geldpolitik wirbt
und dafür auch im EZB-Rat Anhänger zu
gewinnen hofft. Er darf sich eines hohen
Ansehens in der Bevölkerung, in der Wirtschaft und in sozialen Verbänden erfreuen
und ist – Unterstützung aus Berlin hin
oder her – Garant für die Stimme der Stabilität in einem gefährlich erodierenden Umfeld der Währungspolitik.
PROFESSOR DR. HEINZ CHRISTIAN HAFKE,
FRANKFURT AM MAIN
Wo der Till mit dem Nasreddin heckt
Für Ihr Titelbild der F.A.Z. vom 30. März
wählten Sie trefflich Nasreddin Hodscha,
den „muslimischen Till Eulenspiegel“. Präsident Erdogan sollte einmal Mölln im
Lauenburgischen besuchen. Vor vier Jahren haben wir dort mit großem Erfolg das
deutsch-türkische Projektjahr „Der Till
heckt mit dem Nasreddin“ begangen.
Künstlerinnen und Künstler des Lauenburgischen Kunstvereins haben sich schöpferisch mit Till Eulenspiegel und seinem
„Bruder“ Nasreddin Hodscha auseinandergesetzt und eine hervorragende Wanderausstellung ins Leben gerufen.
Die Ausstellung ist nur eines von vielen
Projekten, die der Verein „Miteinander leben e. V.“ gemeinsam mit der Stadt Mölln,
dem Moscheeverein der Fatih-Sultan-Moschee, den christlichen Kirchen und vielen
weiteren Organisatoren 2012 in Mölln rea-
lisiert hat – zwanzig Jahre nach den entsetzlichen Brandanschlägen, die am 23.
November 1992 ganz Deutschland erschüttert hatten. Das deutsch-türkische Projektjahr hat ganz im Sinne der beiden schalkhaft-witzigen Narren viele Akteure der Region respektvoll zusammengeführt und
wurde beispielgebend. Erstmals in der viele Hunderte Jahre alten Geschichte der
Möllner Nikolaikirche feierten wir zum
jährlichen Gedenken der Opfer der
Brandanschläge einen muslimisch-christlichen Gottesdienst. Und im altehrwürdigen Ratzeburger Dom beteten am 29. August 2010 zum Abschluss einer BarlachKollwitz-Ausstellung Vertreter aller großen Weltreligionen nacheinander unter
Barlachs „Engel“ um Versöhnung und
Frieden.
PFARRER FELIX EVERS, NEUBRANDENBURG
Für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie
In „Natur und Wissenschaft“ der F.A.Z.
vom 8. März erschien „Kein Freibrief für
den ,Medizinalhanf‘“ – ein Artikel zur Verwendung von Cannabis in der Medizin.
Bisher ist nur ein einziges Fertigarzneimittel zugelassen worden. Es kann in der Behandlung der multiplen Sklerose eingesetzt werden. Für uns Pharmazeuten steht
an erster Stelle die Sicherheit in der Arzneimitteltherapie. Dazu gehört unter anderem, dass die eingesetzten Präparate eine
gleichbleibende Qualität aufweisen. Gerade bei pflanzlichen Arzneimitteln, wie sie
auch die Cannabisblüten darstellen, stellt
dies eine große Herausforderung dar. Die
Unterstellung unter das Betäubungsmittelgesetz unterstreicht, dass Cannabis besonders stark wirksam ist und zusätzliche Risiken für den Anwender birgt. Umso wichtiger ist die gleichbleibende Qualität. Die
Verantwortung für die Herstellung des anwendungsfertigen Arzneimittels in die
Hand des Patienten zu legen, indem er einen Teeaufguss oder ein Inhalat selbst herstellt, ist nicht mit dem Gedanken der Arzneimitteltherapiesicherheit vereinbar. Die
Verwendung als Joint zusammen mit Tabak oder gar als Lebensmittel in Form von
Butter, Öl, Milch oder Ähnlichem führt
alle Bemühungen, die Sicherheit von Arzneimitteln zu gewährleisten, ad absurdum.
Deswegen setzen wir Apotheker uns dafür ein, dass Cannabis nur qualitätsgesichert an den Patienten abgegeben werden
darf. Dazu gibt es auch einen Beschluss
des letztjährigen Deutschen Apothekertags, den die Landesapothekerkammer
Hessen eingebracht hat. Wir haben in
Deutschland ein Arzneimittelgesetz, das
vor dem Hintergrund der Contergan-Katastrophe geschaffen und immer wieder verschärft wurde und das den Gedanken der
Patientensicherheit in den Mittelpunkt
stellt. Dort ist geregelt, dass ein Arzneimittel erst dann am Menschen angewendet
werden darf, wenn in umfangreichen Untersuchungen seine Wirksamkeit, Qualität
und Unbedenklichkeit nachgewiesen wurde. Es erstaunt, dass ausgerechnet bei einer Pflanze mit hochwirksamen Inhaltsstoffen, deren Risiko sich in der Unterstellung unter das Betäubungsmittelgesetz widerspiegelt, genau dieser Sicherungsmechanismus umgangen werden soll. Vielmehr sollen Patienten, die Cannabis erhalten, als Forschungsobjekte dienen und nur
bei Teilnahme an der Begleitforschung die
Kosten für ihre Therapie erstattet bekommen – ein absolutes Novum, das dem Gedanken der Patientensicherheit nicht
dient, sondern vielmehr entgegenläuft.
Wir stehen mit qualitätsgesicherten Arzneimitteln für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie ein. Deshalb muss auch die
Therapie mit Cannabis diesen Anforderungen genügen, und das gelingt nicht auf
dem zurzeit vorgesehenen Weg, Cannabisextrakt oder Cannabisblüten ohne weitere
Qualitätsvorgaben für die Anwendung
durch den Patienten freizugeben!
CLAUDIA WEGENER, APOTHEKERIN, BAUNATAL
Und die Kugel Eis?
Ich halte es für unmöglich, das Bargeld abzuschaffen, insbesondere wenn es um kleine Beträge geht. Wie sollen zum Beispiel
Kinder die Kugel Eis am Eiswagen bezahlen? Aber an solche Sachen denkt offensichtlich niemand. Es gibt auch viele Geschäfte, Buden und so weiter, wo man
ohne Bargeld nicht zurechtkommt.
ERNST WILLENBROCK, SANKT AUGUSTIN