Leutnantsbuch
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Leutnantsbuch Leutnantsbuch 83. Offizieranwärterjahrgang des Heeres 1 Leutnantsbuch Herausgegeben im Auftrag des Inspekteurs des Heeres durch Kommando Heer 53123 Bonn Verantwortlich für den Inhalt: Oberst i.G. Peter Haupt 2 Leutnantsbuch Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 3 Grußwort des Inspekteurs des Heeres 7 Offizieranwärter Frank – Der Alarmposten 14 Offizieranwärter Frank – Die Landstreitkräfte und der Heeresoffizier: Was kommt auf mich zu? 20 Offizieranwärter Frank – Der Bierdeckel 25 Das Zeitspiel Zugführer in einem binationalen Verband Führungsverantwortung im Gefecht Die Vorstellung beim Kommandeur Das Grab Beförderungsappell zum Gefreiten Offizieranwärter Frank – Im Offizierkasino Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit Das Gefechtsschiessen Mut gegenüber Vorgesetzten Der erste Einsatz Der richtige Zeitpunkt für die Schwangerschaft Neuland Hölle Schneid!? Nur noch 100 Meter! 36 43 48 55 58 64 66 69 73 78 81 86 89 94 98 102 Offizieranwärter Frank – Der Abend 105 Offizieranwärter Frank – Selbstbestimmtheit 107 Offizieranwärter Frank – Im Restaurant 127 3 Leutnantsbuch Wasserwärts Marsch! Vorurteile Kameradschaft ISAF-ANSF: eine schwierige Beziehung Offizieranwärter Frank – An der Offizierschule Feldposten KHANABAD Jointness Der Brief Glauben hilft! Der Spind Die Truppenpsychologin Primus inter pares Reserve im Schwerpunkt 129 134 138 142 149 153 156 159 163 166 169 172 175 Offizieranwärter Frank – Erfolgsfaktoren 181 Offizieranwärter Frank – Ausbildungswochenende 192 Einsatz beim OMLT in AFGHANISTAN Medien im Einsatz Der kühle Kopf! Führen von irgendwo Haar- und Barterlass, Piercing und Tatoos Totengedenken Soldatin, Soldaten-Ehefrau und Mutter Beim Handgranatenwerfen Bergebereitschaft RC North – „Logistik in Nebenfunktion!“ „Psychokram“ Auf der Standortschießanlage Offizieranwärter Frank – Verabschiedung Offizierabend mal anders Soldaten muslimischen Glaubens in der Bw 4 195 199 202 207 209 214 217 222 225 230 235 238 243 247 Leutnantsbuch Erlebnisse im Stab PRT KUNDUZ Todesnachricht Das Offizierkasino Das Einführungsgespräch Der „robuste Soldat“ Der Suizid Die Gneisenaukaserne … lieber spät als nie! Der Anschlag Team „Hotel“ 24 Stunden als Zugführer in KUNDUZ Der NIJMEGEN-Marsch Zeitmanagement „Regen“ Die Veteranen Die neue Verwendung HALMAZAG Der Entsatz: Erfahrungen eines Forward Air Controllers im Gefecht Allein unter Grenadieren Unter Männern Ein Tag im Ausbildungsverband des Gefechtsübungszentrums Heer „Lernen als Springer“ Das offene Ohr Warum Offizier? Der Spieß fällt aus Als Seelsorger in AFGHANISTAN 249 254 260 264 267 269 272 277 279 281 284 289 296 301 306 308 312 317 321 325 331 334 339 342 346 350 Das Selbstverständnis des Heeres 361 Namenspatron 83. Offizieranwärterjahrgang 363 Namensliste 83. Offizieranwärterjahrgang 371 Wo finde ich mehr? 403 5 Leutnantsbuch Glossar 410 Eigene Notizen 414 6 Leutnantsbuch Grußwort des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf „D ie großen Herausforderungen liegen heute kaum noch in der Stärke, viel häufiger in der Schwäche anderer Staaten.“1 Wir leben in einer gefährlichen Welt aber nicht nur aufgrund dieser strategischen Unwägbarkeiten. Die Sicherheit Deutschlands ist heute nicht mehr geographisch zu begrenzen. Anders als früher sind die heutigen Veränderungsprozesse häufig weltumspannender Natur: Wirtschaftliche Umwälzungen wirken sich sehr rasch global aus – die seit einigen Jahren anhaltende globale Finanz- und Wirtschaftskrise ist ein Beispiel dafür. Soziale und ethnische Spannungen in einem bestimmten Raum werden sehr rasch zu einem die gesamte Region betreffenden Sicherheitsproblem. Global operierende Medien, enge wirtschaftliche Verflechtungen, Fernreisen, aber auch moderne Kommunikationsmittel wie das Internet sorgen dafür, dass sich das Wissen um diese Veränderungen und deren Auswirkungen in atemberaubender Geschwindigkeit weltweit verbreitet. Deutsche Sicherheitspolitik ist Politik gegen diese Unsicherheiten. 1 Volker Perthes, zit. nach BMVg, Rede des Bundesministers der Verteidigung am 18. Mai 2011, S. 6. 7 Leutnantsbuch Unser Dienst als Soldaten hat sich auf vielschichtige Weise verändert. Das gilt insbesondere für unsere Einsatzrealität: Begriffe wie „Gefecht“, „Kampf“, „Krieg“, „Gefallene“ und „Veteranen“, sind nicht nur in der Truppe, sondern auch im öffentlichen Raum in Deutschland angekommen. Es ist gelebte Wirklichkeit und Teil unseres Selbstverständnisses als Soldaten im Heer und der Landstreitkräfte, im Mittelpunkt der Einsätze zu stehen: im Kampf mit dem Gegner, in gemeinsamer Ausbildung und Operation mit Partnern, zum Schutz und im Dialog mit der Bevölkerung, im engen Zusammenwirken der Bundeswehr und im vernetzten Ansatz mit zahlreichen weiteren Organisationen und Institutionen. Als militärische Führer verlangt dies viel von uns ab: Professionelle Beherrschung unserer Einsatzgrundsätze und -verfahren, körperliche und psychische Belastbarkeit ebenso wie charakterliche Festigkeit, um in schwierigen, unübersichtlichen Lagen und in Gefahr bestehen zu können. Unsere Streitkräfte sind vielfältiger geworden: seit 2001 leisten immer mehr Frauen Dienst. Das ist eine gute Entwicklung. In unserem Heer sind mehr Religionen und Glaubensrichtungen vertreten als je zuvor. Einstellungen unserer jungen Soldaten sind anders als noch vor wenigen Jahrzehnten: individueller, vielfältiger, differenzierter als früher. Das Bildungsniveau ist hoch und der Grad der „Vernetzung“ untereinander nimmt zu – auch durch die Nutzung moderner Medien. Unsere jungen Soldaten tragen diese Erfahrungen in unser Heer hinein. Hinzu kommen ältere Soldatengenerationen: Lebenserfahrene, einsatzerfahrene Kameradinnen und Kameraden, die schon so manchen Wandel miterlebt haben den Kalten Krieg, die Überwindung der Teilung Deutschlands, die Anschläge des 11. September und deren 8 Leutnantsbuch weltweite Auswirkungen, die neuen Einsätze bis hin zum gemeinsamen Bestehen im Kampf. Was haben diese erfahrenen Kameradinnen und Kameraden wohl schon erlebt – auf welcher Grundlage haben sie ihre Entscheidungen getroffen? Wie war das, wenn sie große Verantwortung trugen – auch für die Gesundheit und das Leben anderer Menschen? Als junge Offiziere werden Sie zunächst die Führungsverantwortung für Teileinheiten übernehmen. Gerade die Züge und Einheiten bilden den Kern unseres Heeres – sie sind die Basis unseres Erfolges im Einsatz. Es ist daher unsere besondere Verantwortung, Sie, unsere angehenden Offiziere, bestmöglich auf Ihre kommenden Aufgaben als Offizier und Teileinheitsführer vorzubereiten. Wenn Sie anschließend selbst in der Ausbildung und im Einsatz vorn stehen, werden die Ihnen anvertrauten Frauen und Männer auf Sie schauen und darauf bauen, dass Sie als Leutnant Ihre Führungsaufgabe erfüllen. Man wird sich an Ihrem persönlichen Vorbild orientieren, um auch unter größter Belastung mit Ihnen gemeinsam zu bestehen und füreinander einzustehen. Unser Dienst zeichnet sich durch eine große Vielfalt unterschiedlicher Lagen aus, in denen es nicht allein auf gute Ausbildung ankommt – Situationen, in denen wir unsere Entscheidungen nicht auf unsere militärischen Kenntnisse und Fertigkeiten allein gründen können, sondern aus unserer Verwurzelung in Werte und Prinzipien heraus eigenständig handeln müssen. Auf welchen Grundwerten und Tugenden basiert letztlich unser Tun und Handeln? Welche Charaktermerkmale und Fähigkeiten sollten künftige Offiziere und militärische Führer besitzen? Was ist das Besondere an dem von uns gewählten Beruf? Dies sind Fragen, die uns alle verbinden – 9 Leutnantsbuch junge wie ältere Kameradinnen und Kameraden – im Heer wie in den Streitkräften insgesamt. Eigenes Erleben, Gespräche und Diskussionen mit Kameraden auch aus Partnerländern, meine Erfahrungen im Einsatz ebenso wie in der Führung des Heeres haben zu meiner Überzeugung beigetragen, dass unser Beruf stets zwei Erfordernisse miteinander verbinden muss. Zum einen müssen wir als Soldaten in der Lage sein, uns ständig auf die sich wandelnden Herausforderungen und konkreten Anforderungen der aktuellen und der zukünftigen Einsätze auszurichten. Wie sehr sich sogar das Gesicht eines laufenden Einsatzes wandeln kann, erfahren wir nicht zuletzt am Beispiel des Einsatzes in Afghanistan. Unsere Bereitschaft zum Wandel und diesen selbst zu gestalten, setzt die Fähigkeit voraus, Veränderungsbedarf zu erkennen, Veränderung voranzutreiben und dabei Kreativität und Überzeugungskraft zu entwickeln. Die Erziehung zu persönlicher Initiative und eigenständigem Denken, zu Rückgrat und geistiger Disziplin muss im Heer einen besonderen Stellenwert haben – Risiko muss belohnt werden und fördert zudem eigenständiges Handeln im Sinne des Prinzips „Führen mit Auftrag“. Wir brauchen keine „Absicherer“. Zum anderem muss unser Dienst als Soldat von Werten und festen Prinzipien geprägt sein. Werten wie Bescheidenheit, Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Menschen und Auffassungen, Aufgeschlossenheit für fremde Kulturen; Prinzipien wie Pünktlichkeit, Genauigkeit, Verlässlichkeit und Teamgeist – aber auch Selbstbewusstsein im Vertrauen auf das eigene militärische Können und den eigenen Führungswillen. Zivilcourage zähle ich dazu und den Mut, die eigene Meinung frei zu äußern – aber auch, einen Auftrag nach gefällter Entscheidung des Vorgesetzten loyal 10 Leutnantsbuch und mit ganzer Kraft umzusetzen. Achten Sie dabei vor allem auf die Menschen, die Sie führen dürfen. Führung kann nur dann gelingen, wenn im alltäglichen Umgang miteinander Vertrauen wächst: Vertrauen Ihrer Untergebenen in Ihre militärischen Fähigkeiten, aber auch in Ihre charakterliche Integrität als Vorgesetzte und Ihr Vertrauen in die Fähigkeiten und Verlässlichkeiten Ihrer Untergebenen. Seien Sie sich dabei der Tatsache bewusst, dass militärisches Führen und militärische Befehlsgewalt kein Privileg und Zeichen von Macht ist, sondern in erster Linie umfassende Verantwortung für die Ihnen anvertrauten Menschen bedeutet. Um Ihnen zu veranschaulichen, welchen Herausforderungen Sie sich als angehende Offiziere zukünftig stellen müssen, in welchen Situationen Sie möglicherweise Entscheidungen treffen müssen, haben einige Ihrer lebensälteren Kameraden eigene prägende Erlebnisse für Sie aufgeschrieben – zum Lesen und zum Nachdenken. Sie finden in diesem Buch authentische Beiträge, Gedanken und Erfahrungen aus dem alltäglichen Dienstbetrieb, aus unserer Lebenswirklichkeit in Deutschland, aus Ausbildung und Übung sowie aus dem gesamten Spektrum unserer Einsätze. Alle Beiträge wurden von Kameraden für Kameraden geschrieben. Daher ist dieses Buch auch keine Vorschrift, sondern eine Sammlung von Erlebnissen und Lebenserfahrung anderer – Lebenserfahrung die Ihnen helfen soll, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Die Beiträge spiegeln die Auffassung, Ausdrucksweise und Erfahrung der verschiedenen Verfasser wider. Sie deuten auch die Bandbreite der Erlebniswelten in unserem Heer an und sicherlich wird der eine oder andere zu anderen Bewertungen kommen. Das Leutnantsbuch bietet Ihnen keine Musterlösungen an. Es soll Sie vielmehr anregen, über 11 Leutnantsbuch Ihre eigene Position nachzudenken, sie mit neuen Erkenntnissen zu verbinden, sich also als Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Sie werden dabei entdecken, dass es einige grundlegende Leitideen gibt, in denen wir den Anspruch an uns selbst als Führer im Heer stellen – diese sind beispielsweise: 1. Wir wollen mitgestalten – als Führungspersonal wollen wir nicht verwalten, sondern gestalten. 2. Wir denken und handeln vom Einsatz her – denn der Einsatz ist der Maßstab für unser Können und Kerninhalt unserer Profession. 3. Wir achten die Würde der uns anvertrauten Menschen wie die anderer Kulturen – das gilt für Kameradinnen und Kameraden ebenso wie für die Menschen in den Ländern, in denen wir eingesetzt werden. 4. Wir sind gute und aufrichtige Kameraden – denn wir sind uns der Bedeutung eines festen Zusammenhalts bewusst. Wir im Heer stehen zur Gemeinschaft; denn nur gemeinsam haben wir Erfolg. 5. Wir sind bescheiden im Auftreten und zäh und unbeirrbar in der Auftragserfüllung – wir wissen was wir wollen und wir setzen es durch. 6. Wir haben Freude an der Verantwortung und am Führen von vorn – weil Führen bedeutet, ein Vorbild zu sein und ein Beispiel zu geben. 7. Wir stehen fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung – wir setzen die Werte und Normen des Grundgesetzes durch das Prinzip der Inneren Führung um und wenden dabei die Grundsätze der Auftragstaktik an. 12 Leutnantsbuch 8. Wir sind stolz auf die Leistungen der Bundeswehr – wir unterscheiden zwischen Tradition und Geschichte. Wir. Dienen. Deutschland. Wir tragen zur Handlungsfähigkeit der deutschen Sicherheitspolitik bei. Wir schützen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, wir verteidigen Recht und Freiheit – das ist unser Auftrag. Dieses Buch will Eindrücke und Erfahrungen vermitteln, wie wir diese Leitideen im täglichen Dienst mit Leben füllen – und es will Freude am Lesen bereiten. Sie werden erkennen, dass scheinbar Gegensätzliches vereinbar ist, dass fordernde und harte Ausbildung einerseits und die Achtung des Menschen andererseits einander bedingen; dass modernste Ausrüstung und Führungsverfahren und zeitlose Führungsprinzipien sehr wohl zusammengehen; dass moderne Menschenführung in immerwährenden Tugenden wie Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung wurzelt; dass eigene Meinungsäußerung und soldatischer Gehorsam sehr wohl zusammengehören – und dass es lohnenswert und ehrenvoll ist, in diesen Streitkräften für eine bessere, gerechtere, freiere und sichere Welt einzutreten. Im November 2013 Kasdorf Generalleutnant Inspekteur des Heeres 13 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Der Alarmposten K älte. Meine Füße gehören nicht mehr zu mir, sie scheinen neben mir zu liegen wie Eiswürfel. Das Schwarz der Stiefel ist längst dem Braun des Schlamms gewichen, die Füße schmerzen. Die ersten Blasen hatte ich schon vorgestern, nach dem 30-Kilometer-Marsch in der Nacht. Ich hatte sie aufgestochen und versorgt. Die Blasen, die ich danach bekommen habe, habe ich gar nicht mehr wahrgenommen. Dann haben sie sich mit Blut gefüllt, sind aufgeplatzt und tun inzwischen fast nicht mehr weh. Kälte. Wahrscheinlich spüre ich deshalb kaum noch etwas. Abgefroren. Hoffentlich nicht, denke ich. Durchhalten. Zum Sani soll ich gehen – wegen der Blasen. Noch wenige Stunden, und unsere Übung ist vorbei. Ich werde das schon schaffen. Auch ohne Sani. Jetzt nicht aufgeben. Ich bin Frank, Offizieranwärter (OA) in einem OA-Bataillon des Deutschen Heeres, seit fünf Monaten Soldat und liege im Schnee. „Minus fünf Grad“, hat der Gruppenführer gesagt. „Zieht euch warm an“, hat er gesagt, bevor er uns als Alarmposten eingeteilt hat. Es ist 03.45 Uhr und die Nacht nimmt kein Ende. Durchhalten. Was mache ich eigentlich hier? Schon wieder dieser Gedanke! Der lässt mich heute Nacht einfach nicht los. Noch fünfzehn Minuten, dann kommt Peter und löst mich ab. Auf ihn ist Verlass. Er wird schon nicht zu spät kommen. Ich werde dann zu den anderen ins Gruppennest gehen, noch ein paar Minuten ruhen – das brauche ich. Dann der Endspurt. Sachen packen, zurück in die Kaserne, eine heiße Dusche, Schlaf – mindestens 24 Stunden! 14 Leutnantsbuch Offizier werden wollte ich. Menschen führen. Technik beherrschen. Abwechslung im Beruf haben. Maschinenbau studieren. Und jetzt das. Kälte. Endlich kommt meine Ablösung und reißt mich aus meinen Gedanken. Auf dem Weg in das Gruppennest begegne ich noch Hauptmann Meier, unserem Kompaniechef. Ich finde das schon sehr beachtlich, dass er die ganze Übung mit uns draußen verbracht hat. Er ist ohnehin ein feiner Kerl. Ganz offen im Umgang mit uns, mit klaren Vorstellungen von seinem Beruf. Besonders gefällt mir seine Art, uns „Anfänger“ ernst zu nehmen und uns immer wieder aufzubauen. Unser Hauptmann ist seit kurzem Berufssoldat. Er ist Panzergrenadier und hat schon einige Verwendungen hinter sich. Studiert hat er an der Universität der Bundeswehr in München, Maschinenbau glaube ich. Genau weiß ich es eigentlich gar nicht. Bevor ich mich weiter auf den Weg in das Gruppennest mache, erkundigt er sich noch nach meinen Füßen und macht mir Mut, bis morgen früh durchzuhalten. Michael geht es noch schlechter als mir; Annette hält wacker mit und hofft wie alle anderen auf das Ende der Übung. Ich sitze jetzt schon zwei Stunden im Bus auf dem Weg in die Kaserne. Geschafft! Die Übung habe ich fast überstanden, ein wenig stolz bin ich jetzt schon. Ich glaube aber, dass mir erst in ein paar Tagen bewusst wird, was wir alles gemeinsam in dieser Übung überstanden haben. Zuerst einmal heißt es, Ausrüstung und Material wieder auf Vordermann zu bringen, dann uns selbst. Mit Peter und Marcel werde ich heute nach Dienstschluss essen gehen. Das haben wir uns verdient – und danach bekommen wir endlich unseren Schlaf. 15 Leutnantsbuch Vorhin habe ich mit Peter über meine Gedanken der letzten Nacht gesprochen, als ich mich wirklich mehrfach gefragt hatte, was ich eigentlich hier tue. Ihm ginge es manchmal ähnlich, hat er geantwortet. Er denke oft an die Zeit vor der Bundeswehr, an seine Freunde und an seine Familie – und natürlich auch an seine Freundin Denise. Letztes Wochenende habe er sich mit seinen „alten“ Schulkameraden getroffen. Ein paar von ihnen sind auch beim Bund, aber über die ganze Republik verteilt. Einige haben schon mit dem Studium begonnen und von ihren ersten Erfahrungen erzählt. Unglaublich, was die so erleben – auf vielen Partys und in langen Nächten. Ganz davon abgesehen, dass auch wir hier lange Nächte haben, kann man schon ein bisschen neidisch werden auf die. Die kämpfen nicht mit Blutblasen bei minus fünf Grad! Peter und ich waren uns aber einig, dass auch das vorbeigehen wird. Spätestens beim Chinesen heute Abend. Trotzdem kann man den Gedanken, dass wir als Offiziere schon etwas Anderes tun, etwas Herausfordernderes als andere in ihren Berufen, nicht ganz wegwischen. Wir haben auch schon häufig im Hörsaal über dieses Thema gesprochen. Kurz vor unserer Übung hatten wir erst einen Unterricht von Hauptmann Meier zu den Besonderheiten von Landstreitkräften. Ich erinnere mich noch, als er davon sprach, dass wir als Heeressoldaten im Einsatz immer „mitten drin“ sind, dass unsere Kampfdistanz der Blickkontakt ist und dass der Heeressoldat auf den sogenannten „letzten 100 Metern“ fast immer auf sich allein gestellt ist. Sicher sind das Besonderheiten, die es nicht in vielen anderen Berufen in dieser Ausprägung gibt. Das Gleiche gilt auch für die Führungsleistung, denke ich. Ein militärischer Führer entscheidet am Ende über Leben und Tod. Und zwar 16 Leutnantsbuch bewusst. Das gibt es bestimmt nur in sehr wenigen anderen Berufen. Gerade fahren wir durch das Kasernentor. Die Scheiben im Bus sind immer noch beschlagen, die Luft zum Schneiden dick. Kein Wunder, wenn 35 Soldaten mit Gepäck nach sechs Tagen Geländeleben „ausdünsten“. Draußen steht unser Kompaniechef Hauptmann Meier und nimmt uns in Empfang. Unser „Spieß“ hatte mal wieder eine gute Idee und für heißen Tee gesorgt. Das tut gut. Während wir noch Tee trinken, unterhalten wir uns in einer kleinen Gruppe über das, was hinter uns liegt. Alle sind ausgelaugt und stolz zugleich. Die Übung war schon ein Höhepunkt in unserer bisherigen Ausbildung. Wir kennen jetzt unsere Leistungsgrenzen und wissen, worauf es ankommt, wenn man durchhalten will. Die Unterhaltung löst sich langsam auf, Ausrüstung und Material müssen jetzt abgeladen werden und wir müssen uns zusammen darum kümmern, dass wieder alles dort hinkommt, wo es hingehört. Nach dem Waffenreinigen stellt sich Hauptmann Meier zu uns. Zuerst wird es ein wenig ruhiger. Das legt sich aber schnell wieder, und wir unterhalten uns weiter über unsere Erlebnisse. Er erzählt auch von sich und seiner Ausbildung, von seinen Erfahrungen und Vorstellungen. Wir hören gespannt zu und stellen schnell fest – viel verändert hat sich nicht. Ich habe den Eindruck, dass unser Hauptmann ein Mann ist, der genau weiß, was er will und was der Offizierberuf von ihm erwartet. Inzwischen sind ein paar Wochen vergangen und ich bin in einem Panzergrenadierbataillon gelandet. Hier mache ich mein Truppenkommando. Ich lerne etwas über die Truppengattung und sammle erste Erfahrungen als 17 Leutnantsbuch Hilfsausbilder. Annette und Peter sind auch dabei, dazu noch Markus, Jonas, Marcel, Michael und Cindy. Seit meiner Zeit im OA-Bataillon habe ich immer wieder an meine Erlebnisse gedacht. Aber ich frage mich immer noch: Was tue ich hier eigentlich? Zugegeben, mein Bild über meinen Beruf hat sich schon etwas gefestigt, ganz klar ist es mir aber immer noch nicht. Jeden Tag kommen neue Eindrücke dazu. Der Bataillonskommandeur hat uns schon am ersten Tag zu sich geholt. Er hat offen mit uns gesprochen und gesagt, was auf uns zukommt. Am Ende hat er uns Hauptmann Seidel vorgestellt. Er ist Kompaniechef der 3. Kompanie und wird uns für die Dauer des Truppenkommandos führen. Er wurde uns als Fähnrichoffizier zugeteilt. Macht einen strengen Eindruck, der Hauptmann. Standortschießanlage. G 36 Schießen. Allgemeine Grundausbildung. Ich bin heute als Hilfsausbilder in der Parallelausbildung eingesetzt und unterstütze Hauptfeldwebel Schmieder. In der Pause vorhin habe ich einen Entschluss gefasst. Ich werde Hauptmann Seidel ansprechen, ob er mir mehr von seinem Berufsverständnis erzählen kann. Es interessiert mich einfach. Vielleicht finde ich Antworten auf meine Frage, die ich mir während der Übung so oft gestellt habe. Ich glaube, Hauptmann Seidel kann man auch danach fragen. Also nehme ich meinen Mut zusammen und melde mich bei unserem Fähnrichoffizier. Ich frage ihn, ob er bereit wäre, mir einmal mehr über sein Verständnis vom Offizierberuf zu erzählen. Ich erkläre ihm, was mich derzeit beschäftigt. 18 Leutnantsbuch Geduldig hört er mir zu, lächelt. Dann überlegt er kurz und schlägt vor, dass wir, die jungen Offizieranwärter, doch einmal im Kasino mit ihm darüber sprechen könnten. Ja, er würde uns gerne erzählen, wie er so denke und welches berufliche Selbstverständnis er entwickelt habe. Ich freue mich darüber und sage den anderen Bescheid. 19 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Die Landstreitkräfte und der Heeresoffizier: Was kommt auf mich zu? D ienstagabend, Offizierkasino. Wir sind Hauptmann Seidels Einladung gefolgt und noch ein wenig unsicher, ob wir eintreten sollen oder nicht. Was, wenn Hauptmann Seidel schon auf uns wartet? Markus ergreift als erster die Initiative und schlägt vor: „Lasst uns einfach hineingehen – nur dann wissen wir, ob Hauptmann Seidel schon da ist oder nicht!“ Also betreten wir das Kasino und gehen zunächst zielstrebig auf den Barraum zu. Wir grüßen beim Eintreten mit einem Kopfnicken in die Runde und sehen Hauptmann Seidel am Tresen stehen, mit einer Ordonanz in ein Gespräch vertieft. „Ah, da sind Sie ja!“, sagt Hauptmann Seidel und winkt uns zu sich. „Ich habe gerade abgesprochen, dass wir uns in das Kaminzimmer zurückziehen können. Da haben wir etwas mehr Ruhe.“ Hauptmann Seidel begrüßt uns nacheinander und wir gehen gemeinsam in das Kaminzimmer um die Ecke. Es ist ein schön eingerichteter Raum mit vielen alten Büchern, aber ohne eine abgeschlossene Tür. Es gibt nur einen großen Durchgang in den Barraum, sodass man immer sieht, „was sonst noch so los ist“. Nachdem wir alle etwas zu trinken bestellt haben, beginnt Hauptmann Seidel mit einer Frage: „Was ist für Sie eigentlich das Besondere am Heer?“ Wir schauen uns etwas überrascht an, schließlich kennen wir die Unterschiede der Teilstreitkräfte und der anderen Organisationsbereiche! Aber er lässt nicht locker. 20 Leutnantsbuch Cindy bringt unsere Meinung auf den Punkt: „Es ist die besondere Herausforderung, die Heeressoldaten auf den sogenannten letzten einhundert Metern bewältigen müssen.“ Sie erklärt diese besondere Situation so, wie wir sie auch schon im OA-Bataillon einmal besprochen hatten. Wir alle stimmen zu. „Ganz richtig“, sagt Hauptmann Seidel. „Allerdings glaube ich, dass die Sache noch ein bisschen komplexer ist. Ich versuche Ihnen das einmal mit meinen Worten zu erklären.“ Und dann erzählt er uns, dass das Heer ein sehr differenziertes „Unternehmen“ ist. Neben der Führung der Divisionen des Heeres geht es darum, einsatzbereite und motivierte Soldaten für alle Einsatzoptionen verfügbar zu haben. Das ist ein Kernelement im „Unternehmen Heer“. Hier geht es um das Vorbereiten von Menschen auf gefährliche, ja zum Teil lebensgefährliche Aufgaben in ungewohnten, instabilen Regionen unserer Erde. „Natürlich gilt das für alle Soldaten der Bundeswehr. Eigentlich ist der wesentliche Punkt, dass wir Heeressoldaten bodengebunden unseren Auftrag erfüllen. Wir sind es, die in Landoperationen die „boots on the ground“ stellen. Damit ermöglichen wir letztlich erst, dass militärische Operationen langfristig erfolgreich sein können“, sagt Hauptmann Seidel. Er gibt uns zwar recht, dass damit verbunden die letzten 100 Meter, der Blickkontakt etwas Besonderes sind, weil wir am Ende auf uns allein gestellt sind, betont aber, dass auch andere Kräfte in dieser Situation stehen können. Das kann man besonders gut an den laufenden Stabilisierungsoperationen auf dem Balkan und in AFGHANISTAN sehen. Das sind Landoperationen. 21 Leutnantsbuch „Das Heer hat ja nun eine lange Tradition. Mit Landoperationen hat es die meiste Erfahrung – hier ist das Heer der Spezialist“, ergänzt er, „und wird unterstützt durch die Streitkräftebasis und den Zentralen Sanitätsdienst. In beiden Organisationsbereichen werden viele Soldaten des Heeres verwendet. Die Laufbahn eines Heeresoffiziers wird immer wieder geprägt sein durch einen Wechsel zwischen diesen Bereichen.“ Dann erläutert er weiter: „In Landoperationen fehlen meist sichere Planungsgrundlagen, das Umfeld ist komplex und dynamisch, die Lagen wechseln häufig und plötzlich. Das erfordert eine vertrauensvolle Führung, um den Führern Handlungsspielraum und die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung zu geben. Führer aller Ebenen müssen daher so ausgebildet und vorbereitet sein, dass sie auch in Situationen, in denen sie auf sich gestellt sind, handlungsfähig bleiben und im Sinne des Ganzen Entscheidungen treffen können. Das setzt das Wissen um die übergeordnete Absicht voraus und die Freiheit, den Weg zur Zielerreichung im vorgegebenen Rahmen selbst zu bestimmen.“ Hauptmann Seidel erklärt uns das an einem Beispiel: Als er im Einsatz bei ISAF war, musste er eine Patrouille zu Fuß in einem sehr belebten Viertel von KABUL führen. Nicht nur, dass er für seine Soldaten und die Erfüllung des Auftrages verantwortlich war, nein – auch der unmittelbare Kontakt zur Bevölkerung hat ihm damals „zu schaffen gemacht“. Da wurde man in der Menge geschoben, Kinder haben ihn angefasst, ältere Menschen angesprochen. Manchmal konnte auch der Übersetzer, der immer in seiner Nähe war, nicht weiterhelfen – einfach weil oft Informationen im Stimmengewirr untergingen. Da war er allein, er war auf 22 Leutnantsbuch sich gestellt. In diesem Moment, so erklärt er uns, wurde ihm klar, wie wichtig es ist, den Auftrag zu kennen und die nötige Handlungsfreiheit zu haben, ihn auch umzusetzen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Hierzu gehören auch die Verfügbarkeit von Material und eine entsprechend fundierte Ausbildung. „Das haben Sie sicher schon gehört“, erklärt er weiter, „dass das Führen mit Auftrag oberstes Führungsprinzip deutscher Streitkräfte ist. Es folgt nicht nur den Erfordernissen des Gefechtes, sondern betont eine Führungsphilosophie, die den ethisch bewussten, mitdenkenden und eigenverantwortlich handelnden Soldaten in den Mittelpunkt stellt. Nur so ist die Qualität, die Flexibilität und die Schnelligkeit in Operationen gewahrt“, sagt Hauptmann Seidel. „Das hört sich jetzt zwar etwas aufgesetzt an, aber denken Sie einmal darüber nach! Ich hatte in der Situation in KABUL die Verantwortung für meine Patrouille. Meine Soldaten haben mir vertraut und ich habe meinen Soldaten vertraut. Führen mit Auftrag beruht auf gegenseitigem Vertrauen. Führen mit Auftrag fordert Vorgesetzte und Untergebene. Führen mit Auftrag verlangt von jedem Soldaten den Willen, Ziele zu erreichen, die Bereitschaft zur Initiative, zur Zusammenarbeit und zu selbstständigem Handeln im Rahmen des Auftrags.“ Es entsteht eine Pause. Wir denken nach. „Aber ich wollte ja nicht über Führen und über Führungsphilosophie reden. Vielleicht kommen wir später hierauf noch einmal zurück. Ich wollte Ihnen ja mein Verständnis vom Besonderen des Heeres erklären“, sagt Hauptmann Seidel und fährt fort: 23 Leutnantsbuch Heeressoldaten werden für die Durchführung von Landoperationen ausgebildet. Diese verlangen eine besondere Expertise, weil sie in ihrem Wesen sehr spezifische Anforderungen an Soldaten stellen, die sich im wesentlichen durch ein unklares, schnell wechselndes Lagebild, die zeitliche und örtliche Gleichzeitigkeit von Kampf, Stabilisierung und humanitärer Hilfe und manchmal auch das Fehlen klarer Abgrenzungen von Gegner und eigener Truppe kennzeichnen lassen. Hinzu kommt für jeden Soldaten des Heeres die erlebbare und unmittelbare Konfrontation mit der Geographie und ihren Menschen, sei es im Kampfeinsatz mit dem zu bekämpfenden Gegner oder im Friedenseinsatz mit der Bevölkerung, deren Vertrauen es zu gewinnen gilt. „Erinnern Sie sich an die Bilder im KOSOVO, als unsere Soldaten mit den Panzern mittendrin waren in der Demonstration – oder an die Bilder aus AFGHANISTAN, als die Patrouille zu Fuß auf dem Marktplatz KUNDUZ Gesprächsaufklärung durchführte“, sagt Hauptmann Seidel. „Und genau deswegen“, ergänzt Hauptmann Seidel, „wenn wir als Heeressoldaten „im Feuer“ stehen, erleben wir die Auswirkungen unseres Handelns unmittelbar. Wir müssen auch Unwägbarkeiten mitberücksichtigen. Diese haben oft maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf der Operation. Dem eigenen Willen begegnet der unabhängige Wille von Gegnern, zivilen Akteuren wie internationalen, staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, der örtlichen Bevölkerung, Flüchtlingen und anderen Kräften.“ Wieder eine Pause. Schwere Kost. Markus, Peter und Annette tauschen fragende Blicke aus. Aber ich glaube, dass wir alle verstanden haben, worum es Hauptmann Seidel geht. 24 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Der Bierdeckel G ut“, sage ich. „Wie geht es aber jetzt weiter? Meine „ eigentliche Frage war doch, was das Besondere am Offizierberuf ist. Schließlich werden wir ja zu militärischen Führern ausgebildet, und das bedeutet doch eine Menge mehr, als zu wissen, was das Besondere an Landstreitkräften ist.“ „Es muss doch greifbare, verständliche Eigenschaften von Offizieren geben, die das Besondere dieses Berufes ausmachen“, ergänzt Cindy und schaut ein wenig hilfesuchend zu Frank und Jonas hinüber, die zustimmend nicken. Das war das Startzeichen. Hauptmann Seidel schaut in die Runde. Ich glaube, am liebsten hätte er die Ärmel hochgekrempelt und uns einen Vortrag zum Thema gehalten. Stattdessen steht er wortlos auf, holt sich aus dem Barraum ein paar Bierdeckel und setzt sich wieder zu uns. „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie werden zu militärischen Führern ausgebildet – das vergisst man manchmal im täglichen Betrieb, zwischen Märschen, Lehrgängen und Vorbereitung auf das Studium. Ich habe mir selbst erst ein Bild von dieser Besonderheit unseres Berufes gemacht, als ich Zugführer war. Aber denken Sie daran: Ausbildungsgänge verändern sich. Sie werden ständig den neuen Gegebenheiten und Anforderungen an den Soldaten, an den Offizier, angepasst. Mein Ausbildungsgang unterscheidet sich deutlich von 25 Leutnantsbuch Ihrem. Dies gilt allerdings nicht für die Werte, Tugenden und Prinzipien, die Grundlage und Leitgedanke unseres Berufes sind. Diese haben damals wie heute unverändert ihre Gültigkeit behalten. Hauptmann Seidel rückt Bierdeckel und Stift zurecht und fährt fort: „Wenn man führen will, dann muss man ein klares und einfaches Konzept von Führung im Kopf haben, an dem man sich zu Beginn seiner Führungsaufgabe orientieren kann. Ich habe mir so ein Bild – wie gesagt – erst recht spät gemacht. Das war übrigens mit ein Grund dafür, dass ich mich gefreut habe, als Sie mich neulich auf der Standortschießanlage angesprochen haben. Ich will Ihnen einmal meine Idee, meine Vorstellungen erklären. Sie werden sehen: Zu meinen Ideen gibt es bestimmt hunderte von Beispielen aus dem täglichen Leben in unserem Beruf.“ Plötzlich kommt aus der Kaminecke ein wohl etwas zu laut geratener Kommentar: „Das, was Hauptmann Seidel zu sagen hat, unterschreibe ich sofort …!!“ Ruckartig gehen die Köpfe in Richtung Kamin. Dort sitzt ein Major, der uns wohl zugehört hat. „Kommen Sie doch zu uns“, sagt Hauptmann Seidel und winkt den Major heran. Er stellt ihn als Major Setzinger vor, der zum Nachbarbataillon gehört. Major Setzinger sagt: „Entschuldigen Sie meinen Zwischenruf, aber ich habe mit Hauptmann Seidel schon öfter hier gesessen und mit ihm über sein Berufsbild diskutiert. Mit seinen Vorstellungen steht er nicht allein!“ „Also“, fährt Hauptmann Seidel fort, „was bedeutet Führen eigentlich für mich? Welche Erwartungen stelle ich damit an einen jungen Offizier? Vielleicht finde ich ein paar Hilfestellungen, die Sie zum Nachdenken anregen.“ 26 Leutnantsbuch „Ich sehe drei Kernbereiche“, sagt Hauptmann Seidel und beginnt mit dem Bleistift schwungvoll eine Skizze auf einem leeren Bierdeckel. „Die ersten beiden Bereiche nenne ich Selbstbestimmtheit und Erfolgsfaktoren. Keine Angst, ich erkläre noch, was ich damit meine. Der dritte Bereich, nämlich die Kunst, Menschen unter wechselnden Bedingungen erfolgreich führen zu können, baut auf den beiden ersten Bereichen auf. Diese bilden die Grundlage. Führen bedeutet dabei für mich, dass ich sowohl den Menschen als auch den Auftrag in den Mittelpunkt meines Denkens und Handelns stelle. Man könnte auch von einem werte- und auftragsorientierten Führen sprechen.“ Major Setzinger hat es sich inzwischen bequem gemacht. Wir sind alle gespannt, wie das jetzt weitergeht mit dem Seidelschen Konzept, mit seinem „Operationsplan“. „Selbstbestimmtheit und Erfolgsfaktoren sind wichtig, wenn ich mich einer Führungsaufgabe widme. Ich muss doch mein 27 Leutnantsbuch eigenes Potenzial und die zentralen Faktoren des Erfolges im Offizierberuf kennen, muss wissen, was und wie ich es am erfolgreichsten tun kann. Wenn ich nicht weiß, wie ich mein Potenzial einsetzen soll, bleibe ich mit Sicherheit erfolglos. Es sind wenige grundlegende Regeln, die aber wichtig sind“, sagt Hauptmann Seidel und fährt fort: „Die Kunst, Menschen zu führen – ich nenne das einmal generell Führungskunst – kann ich Ihnen mit drei einfachen Handlungslinien, sozusagen Anweisungen, erklären. An diesen drei Linien kann man sich, da bin ich überzeugt, gut orientieren.“ Zustimmendes Nicken von Major Setzinger. Schwungvolle Ergänzungen mit Bleistift folgen von Hauptmann Seidel auf einem weiteren Bierdeckel. 28 Leutnantsbuch So richtig kann ich allerdings noch nicht erkennen, was die Skizze am Ende darstellen soll. Einen Plan für den Angriff oder die Interpretation eines modernen Kunstwerks? Hauptmann Seidel fährt fort: „Die drei Linien sind: „Führe und gestalte!“, „Entscheide und verantworte!“ und „Sei beispielhaft!“ Alle drei Linien stehen gleichwertig nebeneinander – also nageln Sie mich bitte nicht auf eine Reihenfolge fest. Ich habe lange überlegt, wie ich diese drei Linien so erkläre, dass man auch etwas damit anfangen kann. Am einfachsten ist es, wenn man zu jeder Linie ein paar Fragen stellt. Das habe ich auch getan. Übrigens hat Major Setzinger mir dabei ein paar gute Anregungen gegeben.“ Jetzt schaltet sich Annette ein: „Herr Hauptmann, sind die Begriffe Selbstbestimmtheit und Erfolgsfaktoren nicht ein bisschen – na ja – sperrig? Ich meine, auf den ersten Blick kann ich damit nur schwer etwas anfangen. Mit dem Begriff Führungskunst, also der Kunst Menschen zu führen, geht es mir da schon besser. Das ist uns allen hier geläufiger – oder etwa nicht?“ Zustimmung von allen Seiten. „Ja, ja“ antwortet Hauptmann Seidel, „ich verstehe, was Sie meinen. Aber ich glaube, Sie werden sehen, wie die drei Bereiche zusammenhängen – das erklärt einiges.“ „Wo war ich stehen geblieben?“, fragt Hauptmann Seidel, spricht aber gleich weiter: „Genau! Die drei Handlungslinien der Führungskunst! Also, in der Linie „Führe und gestalte!“ kann ich mir zum Beispiel folgende Fragen vorstellen: - Kenne ich die Menschen, erkenne ich ihre Motivation und ihre Ziele, nehme ich die Menschen an, so wie sind? 29 Leutnantsbuch - Frage ich aus wirklichem Interesse am Menschen, höre ich ihnen zu, rede ich mit den Menschen, nehme ich mir ausreichend Zeit, entwickle und fördere ich eine offene Gesprächsatmosphäre? - Führe und gestalte ich wirklich aktiv, habe ich einen „Operationsplan“ entwickelt, beteilige ich andere, habe ich die Fähigkeit und die notwendige Handlungsfreiheit, meine Ziele umzusetzen? - Stimmt das Zusammenspiel und die Balance von dem, was ich erreichen will, was andere erreichen wollen, mit dem gemeinsamen Ziel überein, stimmt die Richtung, wo muss nachgesteuert werden? - Ermögliche ich Mitwissen, Mitentscheiden, Mitverantworten – zumindest immer dann, wenn dies möglich ist? - Fördere ich den Zusammenhalt und das Dazugehörigkeitsgefühl meiner Soldaten, besteht eine innere Struktur in der Gruppe, im Zug, in der Kompanie, welche verbindenden „Rituale“ und Symbole gibt es? - Gehe ich verantwortbare Risiken ein, wie treffe ich meine Entscheidungen? Hauptmann Seidel holt tief Luft. Die braucht er auch nach so vielen Fragen! Diesen Moment nutzt Major Setzinger. Er ergänzt: „Ich stelle mir auch immer die Frage, wie ich Führung praktiziere, ob ich loyal bin, ob ich Fürsorge nach unten und oben ausübe, ob ich konstruktiv mitwirke, zielgerichtet informiere und ob ich meine Verantwortung auch deutlich mache.“ Hauptmann Seidel ergänzt seine Skizze und macht ein paar Notizen. Dazu sagt er: „Wenn ich diese Fragen zu30 Leutnantsbuch sammenführe, dann komme ich auf fünf knappe Aufforderungen: - Höre zu! - Kommuniziere! - Bringe zusammen! - Setze Ziele! - Schaffe Ordnung! Das ist doch einfach, oder? Sie sollten sich ruhig die Fragen einmal durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht haben Sie auch noch Ergänzungen oder Anregungen für mich. Nehme ich gerne auf!“ Nachdem wir uns noch etwas zu trinken bestellt haben, sagt Hauptmann Seidel: „Ich weiß natürlich, dass mein Gedankengebäude, das ich Ihnen hier aufmale, ziemlich komplex ist. Merken können Sie sich ohnehin nicht alles, aber darum geht es auch nicht. Sie sollen einfach einmal ein Gefühl dafür bekommen, wie ich so an die Sache herangehe. Ihnen werden sicherlich im Laufe der Dienstzeit noch weitere Fragen einfallen, die Sie noch ergänzen können. Lassen Sie mich noch kurz die anderen beiden Linien skizzieren: In der Linie „Entscheide und verantworte!“ stelle ich mir folgende Fragen: - Gebe ich Antworten und kann ich den Sinn von Maßnahmen und Entscheidungen erklären, was ist sinnstiftend? - Unterscheide ich zwischen den unterschiedlichen Persönlichkeiten und der Art der Durchsetzung meiner Befehle? - Halte ich Maß, verliere ich das Wesentliche nicht aus den Augen, konzentriere ich mich bzw. meine Kräfte? - Erhalte ich mir meine Entscheidungsfreiheit durch Klarheit und Einfachheit? 31 Leutnantsbuch - Übernehme ich immer die volle Verantwortung für getroffene Maßnahmen und Entscheidungen? - Bewahre ich meine Soldaten vor Schäden und Nachteilen?“ Wieder ergänzt Hauptmann Seidel seine Skizze und gibt uns schlagwortartig eine verkürzte Version dieser Fragen. Er sagt: „Entscheiden und verantworten“ ist für mich besonderes wichtig. Wir als Offiziere müssen uns diesen Herausforderungen zu jeder Zeit stellen. Ich verkürze die wesentlichen Aussagen auf weitere fünf Forderungen: - Entscheide! - Unterscheide! - Übernimm Verantwortung! - Gib Antworten! - Halte Maß!“ 32 Leutnantsbuch „Und letztlich ist es wichtig, dass wir beispielhaft sind“, mischt sich Major Setzinger ein. „Genau“, gibt Hauptmann Seidel zurück. „Können Sie sich vorstellen, was damit gemeint ist?“, fragt er in die Runde. Peter sagt: „Ich muss mir die Frage stellen, ob ich mich selbst beispielhaft verhalte, ob ich ein Vorbild bin“, und Annette ergänzt: „Letztlich muss ich mich fragen, ob ich das vorlebe, was ich von meinen Soldaten verlange!“ „Völlig richtig“, sagt Hauptmann Seidel. Wir in der Runde fangen langsam an, uns „warm zu laufen“. Hauptmann Seidel hat uns richtig neugierig gemacht, und dass Major Setzinger noch dabei sitzt, zeigt auch, dass die Ideen kein Hirngespinst eines Hauptmanns sind. Hauptmann Seidel fährt fort: „Ich stelle mir zusätzlich noch folgende Fragen: - Bin ich Vorbild auch in der Erfüllung meiner Pflichten? - Lebe ich die Werte und Tugenden vor? - Gebe ich Orientierung und persönlichen Halt? - Stimme ich mit mir selbst überein?“ „So“, sagt Hauptmann Seidel, „bevor wir uns mal kurz die Beine vertreten, will ich Ihnen auch für die Linie „Sei beispielhaft!“ meine Empfehlungen mitgeben: - Sei stimmig! - Gib Orientierung! - Sei Vorbild!“ „Also ich für meinen Teil brauche jetzt einmal fünf Minuten, um frische Luft zu schnappen. Kommt jemand mit raus in den Garten?“, fragt Hauptmann Seidel. Die Runde erhebt sich, wir gönnen uns zehn Minuten Pause. Um neun Uhr soll 33 Leutnantsbuch es weitergehen, dann will Hauptmann Seidel uns ein paar Erlebnisse erzählen, die uns zurück in die Praxis holen sollen. Major Setzinger hat noch hinzugefügt, dass er auch die eine oder andere Geschichte aus seiner Chefzeit beitragen kann. Beim Aufstehen schaue ich noch einmal auf die Seidelsche Skizze. Doch kein abstraktes Kunstwerk! Also auf geht’s: Pause. Nach der Pause kommen wir alle wieder zusammen und stellen uns im Barraum zusammen. Hauptmann Seidel steht schon dort mit zwei anderen Offizieren und unterhält sich angeregt. Als wir Offizieranwärter hinzukommen, sagt er: „Darf ich Ihnen zwei Kameraden vorstellen. Major Waldmann und Hauptmann Ulrich. Wir sind damals 34 Leutnantsbuch zusammen in die Bundeswehr eingetreten. Ich habe beiden eben erzählt, warum wir uns heute Abend hier getroffen haben. Major Waldmann ist Kompaniechef. Ich habe ihm die Bierdeckel gezeigt und ihn gefragt, ob er Ihnen nicht ein paar Geschichten erzählen kann, die zu den einzelnen Themen passen.“ „Ja“, antwortet Major Waldmann, „ich habe gerade in meiner jetzigen Verwendung oft festgestellt, dass Ordnung das halbe Leben ist. Wenn man sich als Chef nicht optimal organisiert, dann kann einem alles schon mal über den Kopf wachsen. Ich hatte einen Kompanieoffizier, der war so ein Fall. Im Grunde eine ehrliche Haut und richtig fleißig. Ich erinnere mich noch gut an ihn.“ Hauptmann Ulrich mischt sich in die Unterhaltung ein und sagt: „Ich kenne auch einige gute Beispiele aus meiner Zugführerzeit. Wenn’s jemanden interessiert …?“ Cindy und Jonas ermuntern beide, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen. „Ich für meinen Teil“, sagt Jonas, „lerne gerne aus den Erfahrungen anderer. Schließlich muss man nicht gleich alle Fehler wiederholen, die andere schon einmal gemacht haben.“ „Herr Major, wie wäre es, wenn Sie uns Ihre Geschichte von Ihrem Kompanieoffizier erzählen?“, fragt Hauptmann Seidel. Major Waldmann nickt und bestellt sich noch eine Fassbrause. „Also, es war im letzten Jahr. Da ging es in meiner Kompanie ganz schön zur Sache – unsere Auftragsbücher waren voll.“ Er beginnt zu erzählen … 35 Leutnantsbuch Das Zeitspiel D a saß er. Mein Kompanieoffizier. Um 07.05 Uhr. Heute war Gefechtsdienst angesetzt. Er aber hatte Ringe unter den Augen. Übermüdet. Unkonzentriert. Nicht, weil wir gerade von einer Übung wiedergekommen waren. Nicht, weil er einen Dienst als Offizier vom Wachdienst hinter sich hatte. Nein. Einfacher Grundbetrieb. Was war los? Diese Frage stellte ich ihm. Er antwortete: „Wir – die Soldaten, die ich vom Fernmeldezug zugeteilt bekam für die Vorbereitung der Kommandeurtagung, und ich – waren gestern noch bis um halb eins im Offizierkasino und haben die Aufträge umgesetzt, die der G 3 letzte Woche erteilt hat. Sieht jetzt super aus! Und den Gefechtsdienst musste ich auch noch vorbereiten – meinen gedachten Verlauf und so. Da war es mal wieder drei Uhr. Ich bin ganz schön ausgepumpt. Chef, kann nicht der Leutnant mit seinem Fernmeldezug das Biwak übernächste Woche vorbereiten? Ich schaff´ es nicht mehr! Ich weiß noch nicht ’mal, wie ich heute den Gefechtsdiensttag überleben soll.“ Offene Worte. Eine Selbstoffenbarung. Die Überlastung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hatte ich ihn zu sehr ’ran genommen? Er hatte in diesem Monat das „Rules of Engagement (ROE)“-Schießen im Rahmen der EAKK-Ausbildung durchzuführen, die Vorbereitung des Tagungssaals im Offizierheim für die Kommandeurtagung als Projektoffizier zu überwachen und zu steuern und für den nächsten Monat das Biwak vorzubereiten. „Vielleicht hast Du das!“, sagte ich mir. Ein schlechtes Gewissen machte sich bei mir breit. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los und so ließ ich den Leutnant und Fernmeldezugführer – hier in der Kompanie der Mann für 36 Leutnantsbuch alle Fälle – kommen, und beauftragte ihn, den Kompanieoffizier bei der Vorbereitung des Biwaks zu unterstützen. Er, der lebens- und diensterfahrene Offizier des militärfachlichen Dienstes lächelte – eigentlich wie immer – und sagte: „ Klar, wir machen das schon! Aber eine Frage stelle ich mir bei unserem jungen Kompanieoffizier immer wieder: Hat er eigentlich schon etwas von Zeitmanagement gehört? Das Biwak müsste doch längst in trockenen Tüchern sein. Der Befehl dazu ist doch schon drei Monate alt!“ Er hatte Recht. Der Befehl zur Vorbereitung des ROESchießens lag meinem Kompanieoffizier seit drei Monaten vor, die Kommandeurtagung war ihm seit einem halben Jahr bekannt und das Biwak sowie seine Aufgabe als Projektoffizier, für die er sich mit Begeisterung angeboten hatte, um zu zeigen, was er alles drauf hat, war ihm bewusst seit Herausgabe des Jahresausbildungsbefehls. Zeitmanagement. Offensichtlich nicht jedermanns Sache. Aber ein Grundbaustein für den Offizierberuf. Zeitmanagement lässt sich erlernen. Auch ich erinnere mich an meine Schul- und die erste Uni-Zeit, als wir immer „kurz vorm Dicken“ anfingen zu lernen, den Stoff ins Kurzzeitgedächtnis hämmerten und diesen nach der Klausur einfach löschten. Aber schon während der weiteren Semester merkte ich, dass ich mich besser organisieren musste, um die Scheine alle rechtzeitig zu haben, mich zeitgerecht auf Prüfungen vorzubereiten und schließlich auch die Diplomarbeit rechtzeitig erfolgreich zu beenden. Also nahm ich mir die Zeit, um einmal mit meinem Kompanieoffizier über diese Dinge zu sprechen. Bei einer Tasse Kaffee in meinem Büro sprach ich ihn darauf an: 37 Leutnantsbuch „Organisieren. Was heißt das? Und was ist das, Zeitmanagement? Sicherlich gibt es unterschiedliche Definitionen und Auffassungen. Für mich kann ich aber Folgendes feststellen: Ebenso wie in der Truppenführung ist eine saubere Auswertung des Auftrags der Schlüssel zum Erfolg. Das Erfassen der Absicht dessen, der einen Auftrag erteilt hat, das Erkennen der wesentlichen eigenen Leistung und natürlich die Berücksichtigung etwaiger Auflagen – das ist nun mal das A und O, im Grundbetrieb nicht anders als im Einsatz. Und jetzt kommt das Zeitmanagement ins Spiel. Es hat zum Ziel, erhaltene Aufträge so über der Zeitachse zu strukturieren, dass eine zeitgerechte Auftragserfüllung überhaupt erst möglich wird. Wenn Sie erkennen, was zur Erfüllung der wesentlichen Leistung alles nötig ist, dann müssen Sie die notwendigen Tätigkeiten aufschlüsseln und auf einem Zeitstrahl fixieren. Der Endpunkt des Zeitstrahls beschreibt dabei einen Zeitpunkt vor dem eigentlichen Termin, um vorneweg einen Zeitpuffer zu haben. Dann zerlegen Sie die notwendigen Tätigkeiten in einzelne Arbeitsschritte und ordnen jedem Schritt ein Zeitpensum zu. Diese Zeiten können Sie berechnen (z.B. Anmarsch mit Kfz) oder Sie legen Ihre oder die Erfahrungswerte von Kameraden zugrunde. Planen Sie dabei Schritt für Schritt und setzen Sie die Tätigkeiten an den Anfang, die entweder mit dem meisten Aufwand verbunden sind oder von denen man weiß, dass sie von anderer Seite oder von anderen mitbearbeitet werden müssen (z.B. Übungsanmeldung). Wenn Sie jeden Schritt in logischer Abhängigkeit zueinander auf dem Zeitstrahl fixiert haben, haben Sie schon einen wesentlichen Schritt getan. 38 Leutnantsbuch Aber: Zeitmanagement verlangt von Ihnen Disziplin. Schieben Sie die Punkte nicht nach hinten. Organisieren Sie die Einzeltätigkeiten so, dass Sie gleichmäßig auf der Zeitachse zu tun haben. Sind Ihnen Kameraden zur Seite gestellt oder Soldaten unterstellt, delegieren Sie nach folgendem 5 – W – Schema: - Wer macht Was? Wann? Wie? und Warum? Machen Sie nicht alles selbst. Um die Übersicht nicht zu verlieren, ist es ratsamer, lieber weniger selbst zu erledigen, aber dafür die Fäden in der Hand und den Überblick zu behalten, denn Sie tragen die Verantwortung. Es ist und bleibt gleichwohl Ihr Auftrag! Die Arbeit, die ich Ihnen hier in groben Zügen dargestellt habe, werden Sie in großen Stäben bei Projekten wiederfinden: Den Plan für die Stabsarbeit. Sie mögen sich vielleicht fragen: „Wie soll ich mir denn Freiheit schaffen? Beim Bund ist mir doch alles vorgegeben!“ Grundsätzlich haben Sie mit dieser Aussage recht, wenngleich ich mit gewissen weiteren Prinzipien auch die mir erteilten Vorgaben dazu nutzen kann, mir Freiraum zu schaffen. Denken Sie daran: Als Offizier werden Sie stets vor die Herausforderung gestellt, zu planen und zu organisieren. Sie werden mit anderen zusammenarbeiten und auch delegieren. 39 Leutnantsbuch Arbeiten Sie an sich. Vielleicht befolgen Sie aber noch die weiteren Vorschläge und Tipps, die Sie für sich umsetzen können. 1. Schaffen Sie Schwerpunkte – Das Eisenhower-Prinzip Als Offizier werden Sie zunehmend mit administrativen Dingen zu tun haben. General Eisenhower – der spätere USPräsident – ging dabei folgendermaßen vor: Er sichtete und sortierte die Unterlagen/Aufträge wie folgt: a. Wichtig und dringlich b. Wichtig und nicht dringlich c. Nicht wichtig, aber dringlich d. Nicht wichtig und nicht dringlich. Die wichtigen und dringlichen Aufträge bearbeitete er selber. Die wichtigen und nicht dringlichen sowie die dringlichen aber nicht wichtigen Aufträge delegierte er. Die nicht wichtigen und nicht dringlichen Aufträge vernichtete er. Das soll natürlich nicht heißen, dass Sie jetzt alle Aufträge ignorieren können, die Sie selbst als unwichtig und nicht dringlich einstufen. Das ist stets eine Frage der jeweiligen Führungsebene. Und Eisenhower hatte sicherlich ganz andere Verantwortung und Schwerpunkte als Sie! Voraussetzung für solch eine Vorgehensweise ist vielmehr, dass Sie den Führungsprozess beherrschen und im Rahmen der Auswertung des jeweiligen Auftrages die wesentliche Leistung erkennen und richtig einzuordnen wissen. Hier muss man zunächst Erfahrung gewinnen. 2. Das Kieselprinzip Das Kieselprinzip beschäftigt sich intensiv mit dem Zeitmanagement. 40 Leutnantsbuch Stellen Sie sich Ihre Zeit als eine Flasche vor, die Sie mit einer vorgegebenen Anzahl von Kieselsteinen füllen sollen. Sie haben dazu große und kleine Steine. Alle zusammen füllen die Flasche komplett. Wie gehen Sie vor? Sicherlich werden Sie zuerst die großen, dann die kleinen und zuletzt die kleinsten Steine in die Flasche füllen, weil nur diese zwischen den größeren Steinen hindurchgleiten und so die kleinsten Lücken füllen. Und das ist schon das Geheimnis! Nehmen Sie die Vorgaben Ihrer übergeordneten Führung und füllen Sie sie als Steine in Ihre Flasche. Nehmen Sie sich aber auch für sich und Ihren unterstellten Bereich Zeiten als große Steine heraus. Werden Sie aktiv und warten Sie nicht, bis man Sie mit Aufträgen erdrückt und Sie gezwungen sind, „Ihren“ großen Stein zu zertrümmern, damit er noch in Ihre Flasche passt.“ Mein Kompanieoffizier hatte verstanden. Er wusste, er musste sich verändern, um Erfolg zu haben. Und er tat es auch. Mittlerweile ist er ein sehr erfolgreicher Kompaniechef und vermittelt „seinen“ Offizieranwärtern die Theorie des Zeitmanagements. HI Führe und gestalte! Der Kompaniechef erkennt, dass sein Kompanieoffizier Anleitung und Unterstützung braucht. Er hilft ihm, indem er ihm seine Sicht- und Vorgehensweise erläutert, ohne ihn dabei bloßzustellen. Schaffe Ordnung, setze Ziele und halte die wichtigen Fäden in der Hand! Wer andere führt, muss sich zuallererst auch 41 Leutnantsbuch selbst führen können. Das bedeutet, dass Ziele setzen und Ordnung schaffen nicht nur nach außen wichtig ist, sondern dass jeder zunächst bei sich selbst beginnen muss. 42 Leutnantsbuch Zugführer in einem binationalen Verband N ach meinem Studium in Hamburg sowie den anschließenden Lehrgängen, u.a. an der Offizierschule des Heeres und der Logistikschule der Bundeswehr, in denen ich das „Handwerkszeug“ eines Offiziers der Logistiktruppen lernte, wurde ich in das binationale Stabs-/ Unterstützungsbataillon des I. DEU/NLD Korps nach Münster versetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts von diesem Bataillon, das für die Realversorgung des Hauptquartiers des Korps sowohl am Standort als auch auf Übungen verantwortlich ist, gehört. Auch ältere Kameraden, die ich nach diesem Verband fragte, konnten mir keinerlei Auskunft geben. So trat ich mit sehr gemischten Gefühlen Anfang März die Reise nach Münster an. Gleich am ersten Tag meldete ich mich beim deutschen Bataillonskommandeur, dem ich mich einige Wochen zuvor mit einem Schreiben vorgestellt und angekündigt hatte. In diesem Gespräch wurde ich behutsam auf das, was mich in den kommenden Tagen und Wochen erwarten würde, vorbereitet. Der Kommandeur beendete das Gespräch mit den Worten: „ Lassen Sie sich überraschen, hier ist alles ein bisschen anders.“ Nach der Meldung bei meinem Kompaniechef, einem niederländischen Major, begann ich mit der Übernahme meines Zuges, eines Versorgungs- und Transportzuges. Dabei stellte ich sehr schnell fest, dass hier tatsächlich alles nicht nur ein bisschen anders ist. Ich hatte erwartet, dass innerhalb eines binationalen Bataillons die Kompanien oder zumindest die Züge rein national besetzt sind. So war ich sehr überrascht, dass in meinem Zug auch innerhalb der Gruppen deutsche und niederländische Soldaten gemeinsam ihren Dienst verrichteten. Eine erste große Frage war, wie 43 Leutnantsbuch ich diese niederländischen Soldaten führen sollte, da ich disziplinar keinen Zugriff auf sie hatte. Hoffnung vermittelte mir der Blick in das Gesicht meines stellvertretenden Zugführers, eines lebenserfahrenen und sehr aufgeschlossenen niederländischen Adjudant Onderofficier (etwa einem Oberstabsfeldwebel vergleichbar). Wir sprachen anfangs viel über meine Vorstellungen und Erwartungen an den Zug und an mich selbst als Zugführer. Das alles, glücklicherweise, auf Deutsch, denn die offizielle „Amtssprache“ im Bataillon ist Englisch. Befehle auf Deutsch bzw. Holländisch werden grundsätzlich nur für jeweils nationale Angelegenheiten erteilt. Bereits während unserer Gespräche machte mir mein niederländischer Stellvertreter klar, dass es aufgrund der Unterschiede zwischen den deutschen und niederländischen Streitkräften hier und da immer wieder zu „besonderen Herausforderungen“ kommen würde. Er lächelte dabei, freundlich wie ich annahm. Schnell sollte ich aber feststellen, dass er einfach nur wusste, was für „besondere Herausforderungen“ das sein könnten. Zugegebenermaßen etwas zu optimistisch ob der Annahme, dass doch jeder meiner sieben niederländischen Soldaten deutsch verstehen müsse, machte ich mich daran, einige Eckpfeiler für den Rahmendienstbetrieb festzulegen. In meinem Verständnis gehören Dinge wie das morgendliche und abendliche Antreten, regelmäßige Zugbesprechungen oder auch die Grußpflicht nicht nur zum guten Ton, sondern fördern die Kommunikation, schaffen Strukturen und stärken die Kohäsion innerhalb des Zuges. Da ich dies allerdings beim ersten Antreten lediglich auf Deutsch befohlen hatte, musste ich schon abends beim Abschlussantreten feststellen, dass von den Niederländern niemand da war. Im restlichen Zug hatte man das wohl auch 44 Leutnantsbuch schon so erwartet, das erkannte ich an den Blicken der Soldaten. Fieberhaft überlegte ich, was man nun tun könnte, schließlich konnte ich diese „Meuterei“ nicht ungesühnt lassen, die disziplinaren Mittel dazu hatte ich jedoch nicht. So bat ich meinen Stellvertreter, die niederländischen Kameraden für mich „in die Spur zu ziehen“. Am darauffolgenden Morgen sprach ich den Zug, ich hatte vorher noch ein klein wenig geübt, in Englisch an. Die niederländischen Kameraden hätten mich sicherlich auch auf Deutsch verstanden. Ein Befehl auf Deutsch, obendrein vom neuen Zugführer in bester „dann ist das eben so“- Manier vorgetragen, hätte meiner Meinung nach jedoch nur Widerstand erzeugt. In den niederländischen Streitkräften herrscht ein anderer und für deutsche Soldaten zunächst ungewöhnlich lockerer Umgangston. Man spricht dort auf allen Ebenen sehr viel kollegialer miteinander und die Vorgesetzten pflegen einen ausgesprochen kooperativen Führungsstil. Dies ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass die Niederländer seit langen Jahren eine im Vergleich zur Bundeswehr viel kleinere Berufsarmee haben. Auch haben die niederländischen Kameraden festgelegte Arbeitszeiten, auf deren Einhaltung sehr viel Wert gelegt wird und die im Routinedienst nur in Ausnahmefällen und aus besonderen Gründen überschritten werden dürfen. Dies gilt natürlich nicht für Übungen und Einsätze. So stand ich vor dem „Problem“, einerseits mehr „Druck, Drall und Geschwindigkeit“ in den Zug bringen zu wollen, andererseits aber nicht zu arg mit den niederländischen Besonderheiten in Konflikt zu geraten. Restriktive Befehle hätten sicherlich bei den deutschen Soldaten schnelle Wirkung gezeigt, hätten aber meiner Meinung nach zur Trennung von dem anderen Teil des binationalen Zuges 45 Leutnantsbuch geführt. Und das wollte ich auf keinen Fall, schließlich wollte ich „meinen“ Zug als ein großes Ganzes führen. Mein „Problem“ sollte sich im Verlauf der nächsten Wochen aber fast von selbst lösen. Meine niederländischen Soldaten, insbesondere mein Adjutant Onderofficier, und auch seine Kameraden im Rest des Bataillons, erwiesen sich als sehr offenherzig und kameradschaftlich. Schnell merkte ich, dass das persönliche Gespräch das wichtigste Mittel ist, um Verständnis füreinander zu erzeugen. Und eben das gestaltet sich mit den Kameraden der „Landmacht“ sehr unkompliziert. Es darf einem nur nicht befremdlich erscheinen, wenn man frank und frei geduzt wird, das ist halt einfach so üblich und kein Zeichen von Respektlosigkeit. Die niederländischen Soldaten sind meiner Meinung nach Profis. In den niederländischen Streitkräften steht, ebenso wie in der Bundeswehr, das Erreichen gesetzter Ziele absolut im Vordergrund. Wie diese Ziele letztendlich erreicht werden, ist dabei gar nicht so wichtig. Man muss sich als deutscher, an strenge Regeln gewöhnter Offizier, sicherlich ein wenig umstellen, gewinnt aber mehr, als man aufzugeben scheint. Bereits in der Erstverwendung kann es einem jungen Offizier passieren, dass er als Zugführer in einem binationalen Verband eingesetzt wird. Gute Englischkenntnisse, wie sie im Rahmen der Sprachausbildung vermittelt werden, sind dabei unabdingbare Vorraussetzung. Wichtig ist auch, das habe ich gelernt, die frühzeitige, eventuell auch informelle Verbindungsaufnahme mit dem Vorgänger auf dem Dienstposten, um so rechtzeitig alle notwendigen Informationen zu erhalten. Ich habe in den ersten Monaten festgestellt, dass klare Vorstellungen von dem, was man als junger Zugführer mit seinem Zug erreichen will, gut und auch notwendig sind. Diese müssen aber vor Ort an die 46 Leutnantsbuch jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst werden und man darf nicht immer gleich „mit der Tür ins Haus fallen“. Gerade im multinationalen Bereich muss man Rücksicht auf die kulturellen Besonderheiten, Eigenheiten und Befindlichkeiten der Kameraden aus anderen Nationen nehmen. Interkulturelle Kompetenz ist also nicht nur im Einsatz, sondern auch im täglichen Heimatdienst gefragt. Kommunikation, auch oder besonders auf Englisch, und die Einbindung der erfahrenen älteren Portepeeunteroffiziere sind unverzichtbare Vorraussetzung für das Erreichen gemeinsamer Ziele, auch wenn die Wege zu diesen Zielen manchmal sehr unterschiedlich sind. HI Interkulturelle Kompetenz sowie multinationale Zusammenarbeit sind Begrifflichkeiten, die einem Offizier geläufig sein müssen. Fremdsprachenkenntnisse, aber auch das nötige Feingefühl im Umgang mit anderen Nationalitäten fördern nicht nur den eigenen Horizont, sondern stärken auch das „Wir-Gefühl“ im Rahmen der gemeinsamen Zusammenarbeit. Wenn du unsicher bist, halte Dich an die Struktur und die Formalien, die du gelernt hast. Dies ist eine sichere Hilfe, bis Du Dich im aktuellen Umfeld orientieren kannst. 47 Leutnantsbuch Führungsverantwortung im Gefecht W ir sind in KUNDUZ, AFGHANISTAN. Erst vor kurzem ist die Lage hier so eskaliert, dass der Kommandeur des Regionalkommandos Nord die Quick Reaction Force (QRF) geschickt hat. 300 Männer und Frauen – Jäger, Panzergrenadiere, Aufklärer und Sanitäter. Die Verantwortung für deren Einsatz und deren Leben liegt bei mir. Wir haben gewusst, dass es gefährlich werden würde. Ich habe den Soldaten schon seit Beginn der Ausbildung vor Monaten gesagt, dass wir ins Gefecht gehen würden. Aber „Fallen“? Jeder glaubt doch, dass es ihn nicht treffen wird. Und sind wir dem nahezu unsichtbaren Feind nicht überlegen? Drei Mal standen meine Soldaten zu diesem Zeitpunkt schon im Feuerkampf. Muss ich nicht gerade deshalb mit raus? Mit nach vorne? Ich möchte mit jedem Zug draußen gewesen sein, damit die Männer ihren Kommandeur sehen. Kann ich dort führen, wenn es darauf ankommt? Keiner möchte getroffen werden, keiner möchte sterben – auch ich nicht. Also doch lieber im Feldlager bleiben? Hier ist der Gefechtsstand. Objektiv betrachtet kann ich von hier besser führen. Oder doch nach draußen, aber weiter hinten, wo immer hinten ist? Die Frauen und Männer haben einen Anspruch darauf, dass ich sie so führe, dass sie möglichst unversehrt bleiben – an Körper und Seele – und gleichzeitig gilt es, den Auftrag zu erfüllen. Also muss ich mit raus. Und wenn ich wirklich getroffen werden sollte? Dann übernimmt der Stellvertreter, ich weiß, dass er das kann. Zwei Tage später stehen rund 100 meiner Soldaten bei BASOZ und SULJANI, keine 20 Kilometer westlich von KUNDUZ, fünf Stunden lang in einem schweren Gefecht. Auf Seiten der Aufständischen gibt es viele Tote und 48 Leutnantsbuch Verwundete. Wieder drei Tage später stehen andere Kräfte von uns erneut in einem mehrstündigen Gefecht bei GERDAN. Diesmal haben wir zwei Verwundete, der Hauptgefreite H. wird schwer verwundet und überlebt den Tag nur knapp. 15 Stunden später ist er in DEUTSCHLAND im Bundeswehrkrankenhaus in KOBLENZ. Die Bilanz nach sechseinhalb Monaten Einsatz: 14-mal standen Soldaten meines QRF-Bataillons im Gefecht. Es gab dabei fünf Verwundete und sieben psychisch Verwundete. Drei Ehrenkreuze für Tapferkeit, für beispielhafte Taten im Zuge der beiden genannten Gefechte, und 20 Ehrenkreuze in Gold in besonderer Ausführung wurden verliehen. Die Voraussetzungen für die Ende 2010 neu eingeführte „Einsatzmedaille Gefecht“ erfüllen weit über 200 Soldaten. Jeder militärische Führer weiß, dass sich seine Planung und seine Entscheidungen unmittelbar als konkrete Gefährdung der eigenen Soldatinnen und Soldaten niederschlagen. Auch wenn der militärische Führer und die ihm unterstellte Truppe alles richtig, ja perfekt machen könnten, kann es im Gefecht früher oder später zu Verwundeten oder sogar Gefallenen in den eigenen Reihen kommen. Und obwohl das Wissen darum in der Ausbildung vermittelt wird oder werden sollte, trifft die Erkenntnis, dass die eigene Entscheidung unausweichlich ein Risiko für Leben und Tod der eingesetzten Soldaten nach sich zieht, den militärischen Führer nach dem ersten Gefecht, spätestens nach den ersten eigenen Verlusten, mit unvorstellbarer Wucht. Das damit verbundene Dilemma, nämlich zur Erfüllung des Auftrages die eigenen Soldaten diesem Risiko für Leib und Leben aussetzen zu müssen, ist unauflöslich. Nur der militärische Führer, der sich diese Verantwortung immer wieder bewusst macht, wird daraus die richtigen Konsequenzen für sein Verhalten ziehen und verantwortlich handeln können. 49 Leutnantsbuch In der Vorbereitung des Einsatzes bedeutet verantwortliches Führen daher, frühzeitig aus einer Beurteilung der Lage heraus die Ausbildung auf die gefährlichsten Situationen, denen die eigene Truppe begegnen wird, auszurichten. Das Abarbeiten der Vorgaben höherer Führungsebenen reicht dabei nicht aus. Dazu gehört auch, den Soldaten des Verbandes und ihren Angehörigen ehrlich und klar zu sagen, was im Einsatz passieren kann, wie man dem begegnen möchte und die Gefahren nicht schönzureden. Solches Verhalten führt in der Einsatzvorbereitung zu Widerständen, aber die Soldaten danken es, wenn die Situation eingetreten ist. In unserem Fall habe ich den Schwerpunkt der Ausbildung auf die Abwehr und das Verhalten im Hinterhalt gelegt und den Soldaten immer wieder gesagt, dass das Bataillon ins Gefecht gehen wird. Im ersten Gefecht hat sich diese Hartnäckigkeit ausgezahlt und nicht nur das Überleben aller dort kämpfenden Soldaten, sondern auch den Erfolg über den angreifenden Feind ermöglicht. Im Einsatz bedeutet verantwortliches Führen, neben vorausschauender Planung und stetig weiterzuführender Ausbildung, neben dem Durchsetzen von Regeln und Sicherheitsbestimmungen, vor allem Fürsorge. Um die mit der Länge des Einsatzes ansteigende Routine und damit verbundene möglicherweise wachsende Sorglosigkeit in kontrollierte Bahnen zu lenken, sind häufig als unbequem empfundene Entscheidungen zu treffen sowie Regeln und Sicherheitsbestimmungen durchzusetzen. Dass auch dies eine Form von Fürsorge ist, wird von vielen Soldaten nur schwer eingesehen und bedarf daher immer wieder der Erklärung. Der militärische Führer ist hier auch gefordert, ein Klima der Überwachung und Kontrolle zu vermeiden. Früher oder später lassen Anspannung und Nervosität des Einsatzes nach und weichen dem Gefühl der Erfahrung, der 50 Leutnantsbuch unaufgeregten Vorbereitung der kommenden Aufträge, des Wissens um ein bevorstehendes Gefecht, in welchem die Soldaten glauben – wie bei den Gefechten zuvor – erfolgreich zu sein. Der Verband und mit ihm jeder Einzelne ist kampferfahren geworden. Besonders zu diesem Zeitpunkt kommt es für den militärischen Führer darauf an, Nachlässigkeiten zu unterbinden und Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen. Wichtig sind rechtzeitige Ruhephasen für die Einheiten und Teileinheiten des Verbandes. Es kommt daher besonders darauf an, dass die Führer und Unterführer sich um ihre Soldaten kümmern, Gespräche geführt werden und gegenseitig aufeinander geachtet wird. Gerade mit zunehmender Einsatzdauer sind Härten und Belastungen immer wieder zu erklären. Das Gefecht verläuft nach den Berichten der beteiligten Soldaten und meiner eigenen Erfahrung auf allen Führungsebenen zunächst wie in der Ausbildung. Meldungen, Entscheidungen, Befehle – alles wie auf dem Übungsplatz. Und doch lastet immenser Druck auf dem militärischen Führer, denn er weiß, dass es keine Übungsunterbrechung geben wird. Alles was passiert und gerade gemeldet wird ist real. Jede Entscheidung, die er jetzt trifft, kann das Leben der eigenen Soldaten gefährden. Keine Entscheidung zu treffen ist jedoch das Schlimmste, was dem Verband, der Kompanie oder dem Zug passieren kann und gefährdet das Leben der Soldaten noch weit mehr. Die persönliche Furcht vor Feindfeuer oder einem Sprengsatz, welcher das eigene Fahrzeug treffen kann, kommt hinzu, wird aber noch überlagert von der anhaltenden Befürchtung, dass im nächsten Moment die Meldung über eigene Verluste erfolgen kann. Noch mehr als im Alltag des Einsatzes gilt im Gefecht, dass die Soldaten ihre militärischen Führer erleben wollen. Zwar 51 Leutnantsbuch kann nicht jeder Soldat den Kommandeur sehen, aber viele Soldaten können ihn am Funk hören. Jetzt kommt es darauf an, wie in der Ausbildung zu handeln und vor allem am Funk ruhig zu bleiben. Die unterstellten Führer und alle Soldaten die den Funk mithören können, schöpfen Zuversicht, wenn jetzt so geführt wird, wie es geübt wurde und so wie sie ihren Kommandeur kennen. Von unschätzbarem Wert ist dabei der Erfolg im ersten Gefecht. Hier zeigt sich, ob das Richtige ausgebildet und geübt wurde und ob Führer und Geführte im Feuer bestehen können. Für den Führer entscheidet sich, ob die Soldaten ihm weiter zutrauen, sie erfolgreich im Gefecht zu führen. Wird das erste Gefecht nicht nur überstanden, sondern gewonnen und gelingt dies gar ohne eigene Verluste, dann schöpft die Truppe daraus unbeschreiblich viel Selbstvertrauen. Diese Faktoren entscheiden über die Bereitschaft, sich dem nächsten Gefecht zu stellen und die Zuversicht, es zu gewinnen. Dermaßen gestärkt steigen dann auch die Chancen der Truppe, im nächsten Gefecht wirklich wieder erfolgreich zu sein. Der Kommandeur muss deswegen noch mehr als sonst alles daran setzten, dass der Verband gerade im ersten Gefecht erfolgreich ist. Zu seiner eigenen Vorbereitung gehört, dass er das Handwerkszeug des Offiziers, nämlich Taktik, beherrscht. Zur Vorbereitung der eigenen Truppe gehört es, keinen Zweifel daran zu lassen, dass man ins Gefecht gehen und dass man es erfolgreich führen wird. In belastenden Situationen, insbesondere in der Nachbereitung von Gefechten, bedeutet verantwortliches Führen noch mehr als im Einsatzalltag Fürsorge, Gesprächsführung und Zuhören. Es kommt darauf an zuzuhören, was die Soldaten zu sagen haben. Soldaten, die im Kampf standen, wollen sich mitteilen, und dabei nicht nur die Bilder aus ihren Köpfen loswerden, sondern auch 52 Leutnantsbuch hören, dass sie richtig gehandelt haben. Und dies nicht nur vom Psychologen, Arzt oder Seelsorger, sondern vom Zugführer, Kompaniechef und Kommandeur. Die psychologische Nachbereitung durch die „Spezialisten“ darf darüber aber nicht vernachlässigt werden. Vielmehr bilden beide Nachbereitungsgespräche, das erste unmittelbar nach dem Gefecht mit den Vorgesetzten und das zweite in zeitlichem Zusammenhang danach mit einem Spezialisten, eine Einheit. „Mein Kommandeur hat während des Einsatzes mehrmals mit mir gesprochen, er hat sich meine Sorgen angehört.“ Erst nach dem Einsatz habe ich erfahren, dass die für mich selbstverständlichen kleinen Gespräche, besonders mit den Mannschaften, auf dem Weg zum Essen, vor dem Container oder in einer Betreuungseinrichtung und vor allem das Abgehen der Fahrzeuge unmittelbar vor Verlassen des Feldlagers, für meine Soldaten wichtig waren. Der Kommandeur muss sich Zeit nehmen, mit den Soldaten zu reden. Nach dem ersten Gefecht mit zwei Verwundeten habe ich daher den Verband antreten lassen und zu den Soldaten gesprochen. Die Truppe will hören, dass sie erfolgreich war und dass es notwendig war, das Risiko einzugehen. Hilfreich war dabei für uns, dass der Grund des Einsatzes an diesem Tag, nämlich der Entsatz eines in einen Hinterhalt geratenen Zuges des PRT KUNDUZ, jedem einleuchtete. Der Auftrag erfordert es auch, Risiken und Wagnisse einzugehen. Die Fähigkeiten des militärischen Führers entscheiden dabei wesentlich mit über den Ausgang des Gefechts. Er muss sich darauf einstellen, dass die eigenen Befehle dazu führen werden, dass Soldatinnen und Soldaten zu Schaden kommen können. Das Leben der eigenen Soldaten ist ein hohes Gut, welches man nicht leichtfertig riskieren darf. Wer aber unter allen Umständen Verluste 53 Leutnantsbuch vermeiden will, der zaudert und verpasst den richtigen Moment der Entscheidung. Letztlich setzt er dadurch seine Soldaten höheren Risiken aus und wird die Verluste, die er vermeiden wollte, umso bitterer erfahren. Nur wer dies für sich akzeptiert, auf Verluste eingestellt ist und gleichzeitig keinen Zweifel an der Entschlossenheit lässt, das Gefecht zu gewinnen, kann seine Truppe zum Erfolg führen. HI Train as you fight; Härten und Entbehrungen teilen; Führen von vorn; die beste Fürsorge ist eine harte Ausbildung und Drill; wer wagt, gewinnt! Dies sind Stichworte, die uns allen geläufig sind. In der Schilderung dieses Kommandeurs zeigt sich, wie sich diese einzelnen Elemente im Einsatz zu einer Einheit zusammensetzen und welche Bedeutung sie erlangen. Für den militärischen Führer – unabhängig auf welcher Ebene – muss es daher die vornehmste Pflicht sein, bereits im täglichen Dienst die Ausbildung so zu gestalten und auszurichten, dass die Soldaten den Führer erleben können und das erlernte Verhalten immer weiter gefestigt wird. 54 Leutnantsbuch Die Vorstellung beim Kommandeur N achdem ich die Wache der Oberpfalzkaserne passiert habe, stelle ich mein Auto zum ersten Mal an meinem neuen Standort ab. 590 km liegen nun zwischen mir und der vertrauten Panzertruppenschule, an der ich vergangenes Jahr meine Ausbildung zum Panzerzugführer beendet habe. In meiner Hand halte ich die kurze Antwortkarte des Kommandeurs meines neuen Verbandes, dem Panzerbataillon 104. Um 13 Uhr bin ich zusammen mit den anderen fünf Kameraden, mit denen ich meinen Lehrgang gemacht habe und nun in die Oberpfalz versetzt bin, zum persönlichen Gespräch eingeladen. Die Antwortkarte meines Kommandeurs ist handgeschrieben; es ist offensichtlich seine eigene Handschrift und nicht die seiner Schreibkraft. Es scheint ihm wichtig zu sein, die Anschreiben seiner neuen Offiziere persönlich zu beantworten. Ein kurzes Vorstellungsschreiben an den Kommandeur zu verfassen, ist ein gutes und etabliertes Ritual in der Bundeswehr. Jedoch ist es auch mehr als ein Ritual, zumindest dann, wenn man es versteht, den richtigen Ton zu treffen. Wir haben es im Kameradenkreis noch in Munster diskutiert. Was soll man schreiben und was nicht? Zu guter Letzt sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das Anschreiben an den Kommandeur mit dem Bewerbungsschreiben an ein Unternehmen vergleichbar ist. Immerhin stellt sich der Kommandeur dieselben Fragen wie ein potentieller Arbeitgeber. Welche Fähigkeiten hat mein Soldat? Was kann dieser Soldat besonders gut, was kein anderer kann? Was motiviert meinen Soldaten? War es sein Wunsch, in meinem Bataillon Dienst zu leisten oder hat er bei der letzten Versetzungsrunde einfach nur den Kürzeren gezogen? Gibt es private Umstände, von denen ich wissen sollte? Und welche Karriereziele hat er? 55 Leutnantsbuch Diese Fragen dienten als Leitlinien für unsere Anschreiben. Oberleutnant O. ist erst vor kurzem Vater geworden und ist mit seiner Frau in die Oberpfalz gezogen, um diese besser unterstützen zu können. Oberleutnant R. dagegen bringt Erfahrungen aus dem Aufklärungs- und Verbindungszug mit und würde gerne wieder in einem solchen Zug Dienst leisten. Ich will gerne in den Einsatz gehen. Über die Zeitschrift der Panzertruppe „Das schwarze Barett“ habe ich mir einen ersten Überblick verschafft, was alles dieses Jahr in meinem neuen Bataillon ansteht. In einem Telefonat mit der S1-Abteilung des Bataillons habe ich in Erfahrung bringen können, welche Posten auf der Stellenbesetzungsliste noch offen sind und für welche davon ich in Frage komme. Das Panzerbataillon 104 stellt dieses Jahr die deutsche Einsatzkompanie KFOR. Dafür wird noch ein Verbindungsoffizier gesucht, der die Zusammenarbeit mit den Partnernationen in die Hand nimmt. In einer deutschen Kompanie, untergebracht in einem französischen Feldlager, geführt von einem amerikanischen General, in einer multinationalen Battlegroup Seite an Seite mit Marokkanern, Ukrainern, Armeniern, Österreichern, Amerikanern und Franzosen, wären meine exzellenten Englisch- und guten Französischkenntnisse sicher von Vorteil. Also habe ich meinen Wunsch und meine Fähigkeiten in meinem Anschreiben genannt. Pünktlich um 13 Uhr melden wir uns beim Bataillonskommandeur. Wir, die sechs neuen Offiziere, und der Kommandeur sitzen um den runden Tisch seines Büros. Es wird Kaffee angeboten. Der Kommandeur nimmt sich Zeit. Er spricht ruhig und konzentriert, bittet jeden sich kurz vorzustellen und hört interessiert zu. Da nicht alle ein Namensschild am Dienstanzug tragen, ist es verständlich, dass er nicht jeden sofort mit dem richtigen Namen ansprechen kann. Dafür scheint er unsere Anschreiben umso 56 Leutnantsbuch genauer gelesen zu haben. Denn er kann jedem Namen den Inhalt eines Anschreibens zuordnen. Der Kommandeur versichert, dass er versucht habe, unseren Wünschen, den Anschreiben entsprechend, gerecht zu werden. Es ist ihm gelungen, Oberleutnant O. im Stab in der S3Abteilung einzusetzen. Er wird einen Monat in Elternzeit gehen und die Chance haben, seine Frau zu unterstützen. Oberleutnant R. wird Zugführer im Aufklärungs- und Verbindungszug und ich werde auf meine Aufgaben als Verbindungsoffizier in der deutschen Einsatzkompanie KFOR vorbereitet. Offensichtlich haben wir es mit den Anschreiben richtig gemacht. Denn als der Kommandeur uns für den Notfall seine Handy-Nummer gibt, sagt er dazu: „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden.“ HI Mit Initiative und einem gesunden Selbstbewusstsein ist es stets möglich, sich konstruktiv und gewinnbringend in den täglichen Dienst einzubringen und hierdurch seine Zukunft zur eigenen Zufriedenheit zu gestalten. Es zahlt sich aus, die eigenen Vorstellungen frühzeitig zu kommunizieren! 57 Leutnantsbuch Das Grab W o ist denn dieser Typ schon wieder?“ Das waren die „ ersten Worte meines Chefs, an einem sonnigen Montagmorgen. Wir wollten schnell unser Material aus der Waffenkammer holen, die „Böcke“ (unsere Kampfpanzer LEOPARD 2) aufrüsten und dann noch ein paar Grundlagen vertiefen, bevor wir in wenigen Tagen nach Bergen verlegen wollten. Der „Typ“ war unser Versorgungsdienstfeldwebel. Ein junger, dynamischer Stabsunteroffizier, der aber in letzter Zeit etwas andere Prioritäten in seinem Kopf hatte als den Dienst. Etwa einen Monat zuvor hatte er seinen Motorradführerschein erfolgreich bestanden und fast sein ganzes Erspartes in eine neue, grün lackierte Ninja gesteckt. Da er nun schon über 25 war, durfte er das Ding auch sofort „offen“ fahren. Ich muss ja gestehen, irgendwie war ich ganz schön neidisch. Unser Stabsunteroffizier war sichtlich stolz auf sein neues Spielzeug und hatte schon innerhalb weniger Tage mehrere hundert Kilometer auf dem Tacho. Immer wenn er Zeit hatte, ob in der Mittagspause oder kurz vor Dienstschluss, er war mal „kurz weg!“. Dass unter diesen Bedingungen natürlich auch seine Dienstpflichten litten, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nun war es an diesem Montagmorgen auch wieder so. Er hatte am Freitag als letzter den Waffenkammerschlüssel genutzt und sollte ihn eigentlich an der Wache abgeben. Jetzt, am Montag war er nicht da, aber sein Gehilfe durfte theoretisch auch den Schlüssel empfangen. Doch es gab nichts zu empfangen. Da der Chef langsam die Geduld verlor und unser Spieß schon mehrfach vergeblich auf dem Handy die Verbindungsaufnahme versucht hatte, wurde die ganze Lage immer angespannter. Gegen neun Uhr wurde es 58 Leutnantsbuch dem Chef zu bunt. Er ließ sich die Nummer der Familie unseres Versorgungsdienstfeldwebels geben und rief dort an. Selten verändern Telefonate ein Leben, aber oft verändern Informationen einen klar geplanten Ablauf. Schlimm wird es nur dann, wenn die Kombination aus beidem passiert. Der Chef ließ sein ganzes Führerkorps in den U-Raum einrücken. Ich habe schon einige Gesichtsregungen dieses Mannes kennengelernt, diese Mimik in Verbindung mit einer blassen Hautfarbe war aber auch für mich völlig neu. „Männer, ich muss Ihnen allen eine traurige Mitteilung machen. Unser Versorgungsdienstfeldwebel hatte am Samstag einen schweren Motorradunfall mit tödlichem Ausgang.“ Allein diese wenigen Worte ließen uns alle nur noch einander fassungslos anschauen. „Ich erwarte die Offiziere und Zugführer in fünf Minuten im Besprechungsraum, es verlässt zunächst keiner den Bereich. Wegtreten.“ Langsam ließ die Lähmung bei uns nach und eine verwirrende Leere entstand. Viele der Unteroffiziere kannten unseren Versorgungsdienstfeldwebel seit seiner Grundausbildung. In den drei Jahren Dienstzeit, die er in der Kompanie verrichtet hatte, vom Panzerschützen bis zum Stabsunteroffizier, war er ein fester Bestandteil des Gefüges geworden. Langsam bildeten sich kleine Gesprächsgruppen. „Weißt du noch damals, als er hier angefangen hat. Mann, den konnte man ja mit nur einem Blick einschüchtern, und was für ein toller Kerl er dann geworden ist. Ich glaub’ es einfach nicht.“ „Irgendwie war das doch klar – keine Erfahrung und dann so eine Maschine.“ Viele Stimmen erklangen in den folgenden Minuten und Stunden, aber das Fazit war: Keiner wollte und konnte es fassen. 59 Leutnantsbuch Der Chef hatte die Zugführer und Offiziere zusammengerufen, um weitere Schritte zu besprechen. „Meine Herren, ich kann es selber kaum glauben. Der Spieß und ich, wir werden heute Mittag zur Familie fahren. Wie Sie ja sicherlich alle wissen, kommt unser Versorgungsdienstfeldwebel – kam er – aus der Nähe. Ich werde die Familie fragen ob es einen militärischen Rahmen geben soll bei der Beerdigung oder ob überhaupt eine Teilnahme von uns erwünscht wird. Dazu machen Sie sich bitte schon mal Gedanken, wer sich bei Bedarf als Ehrengeleit zur Verfügung stellt.“ Da saßen wir nun und wussten nicht wirklich weiter. Einer meiner engeren Kameraden kannte unseren Versorgungsdienstfeldwebel seit der Grundausbildung, er war dort sein Hilfsausbilder gewesen. Seine erste Reaktion auf die Anfrage vom Chef war: „Klar, da gibt es keine zwei Meinungen, ich mach’ das jedenfalls.“ Aber irgendwie wurde mit der Zeit ein Bild in seinem Kopf klarer, was ihm sichtlich Schmerzen bereitete. „Sag’ mal, kannst Du nicht vielleicht. Na ja, ich hab’ zwar gesagt, aber irgendwie ...“ „Ich mach’ das, klar.“ Am Nachmittag nahm uns der Chef nochmals zusammen, um uns etwas genauer zu informieren. „Der Spieß und ich haben heute den wohl schwersten Dienst im Rahmen unserer Aufgaben verrichtet. Wir haben die Familie besucht. Wer es wirklich wissen will, kann gerne nachher mit mir oder dem Spieß über den genaueren Unfallhergang reden, ich will Sie aber nicht damit belasten. Die Familie war sofort einverstanden, als wir ihr einen militärischen Rahmen für die Beerdigung angeboten haben. Vor allem würde sie sich über eine rege Teilnahme der Kameraden freuen und geehrt 60 Leutnantsbuch fühlen. Ich glaube, dass er es sich so gewünscht hätte, waren die genauen Worte seiner Mutter.“ Ich habe mir dann den Unfallhergang schildern lassen. Nur so viel, es war weder unvermeidlich noch schnell vorbei gewesen. Aber er wurde unter anderem auch aus diesem Grund verbrannt und sollte mit einer Urne beigesetzt werden. Das militärische Zeremoniell sieht bei einer Beerdigung im Sarg sechs Soldaten als Ehrengeleit vor. Bei einer Urne ist die Besonderheit, dass das Ehrengeleit nur bei der Trauerfeier zugegen ist. Normalerweise wird jeder formale Akt vorgeübt. Nicht bei diesem Anlass. Die Totenwache wurde einmal eingewiesen und das war es. Keiner von uns fühlte sich auch nur in der Lage, eine Wiederholung mehr zu durchlaufen. Wir einigten uns darauf, dass wir am Tag der Beisetzung nochmals die wichtigsten Punkte, wie Weg und Platz klärten, mehr aber auch nicht. Freitag derselben Woche war dann die Beisetzung. Was ich mir nicht hatte vorstellen können war eingetreten: Fast einhundert Kameraden aus dem Bataillon nahmen in Uniform an der Trauerfeier teil. Als wir dort angekommen waren, erhielten die sechs Kameraden der Totenwache den Formaldiensthelm des Wachbataillons, der deutlich leichter und grau ist. Wir gingen nochmals den Weg ab und stellten uns dann in die kleine Kapelle, in der die Urne bereits aufgestellt war. Ich persönlich behaupte ja von mir, mit vielen Situationen klar zu kommen und eigentlich nur durch Weniges erschüttert zu werden. Die folgenden dreißig Minuten aber machten mich so betroffen, dass ich sie mein Leben lang nicht vergessen kann. 61 Leutnantsbuch Es war zwar Sommer, aber zum Anlass passend, war der Himmel recht wolkenverhangen. Dennoch waren die Seitenflügel der kleinen Kapelle geöffnet, so dass alle Anwesenden zumindest teilweise der Trauerzeremonie beiwohnen konnten. Nun standen wir sechs in Hab-Acht-Stellung um die Urne, ich hinten links, und warteten auf das Eintreffen der Familie und Freunde. Die Großmutter kam als Erste herein und fiel vor der Urne auf die Knie, wo ein Bild unseres Versorgungsdienstfeldwebels aufgestellt worden war. Dort weinte sie haltlos und wurde von ihrer Tochter, der Mutter unseres Kameraden, in den Arm genommen und zum Sitzplatz in der ersten Reihe geleitet. Auch der Vater ließ seiner Trauer freien Lauf. Doch erst die nächste Person, die die Kapelle betrat, riss mich aus meiner stoischen Haltung heraus. Es war der Bruder unseres Kameraden, aber keiner hatte mir gesagt, dass der Zwillingsbruder war. Ich glaube, erst in diesem Moment habe ich realisiert, was ich hier tat und wo ich stand. Ein Gefühl der Trauer und Leere breitete sich in mir aus, etwas, was ich noch nie vorher gekannt hatte. Ein Gefühl, das mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben wird. Nach der Trauerfeier wurde die Urne zur letzten Ruhestätte getragen, wo sich dann die Familie und die Freunde zuerst verabschiedeten. Dann kam das zweite unbekannte Gefühl in mir hoch, hemmungslose Trauer, wie ich sie vorher schon beim Vater gesehen hatte. Als unser Kommandeur vor dem Grab in Grundstellung ging und mit einem militärischen Gruß unserem verstorbenen Kameraden die letzte Ehre erwies und während ein Trompeter „Ich hatt’ einen Kameraden spielte“, flossen mir nur noch die Tränen die Wangen hinunter. Auch wenn ich in Hab-Acht-Stellung am 62 Leutnantsbuch Grab stand, weinte ich wie ein kleines Kind. Einhundert Soldaten standen auf dem Friedhof und jeder einzelne erwies die letzte Ehre. Der letzte, der dies tat, war ich. Auch heute noch, einige Jahre nachdem ich den Standort verlassen habe, denke ich jeden Jahrestag an meinen Kameraden. Wenn ich dann zu meinen Eltern fahre, komme ich auf dem Heimweg immer an dem Standort vorbei. Entweder auf dem Hinweg, aber meistens auf dem Rückweg, fahre ich dann zu dem Friedhof, auf dem „mein“ Versorgungsdienstfeldwebel begraben liegt und zünde eine Kerze an. Und bis jetzt war immer eine Kerze oder eine Blume am Grab und selbst das kleine Wappen unserer Kompanie ist dort noch erhalten geblieben. Ein guter Kamerad, den wir dort verloren haben, ist unersetzlich, aber die Erinnerung an ihn tragen wir immer im Herzen. HI 63 Leutnantsbuch Beförderungsappell zum Gefreiten A m 30. September war es endlich soweit. Nach all dem Stress, dem harten Geländedienst und dem Sport sowie der umfangreichen Vorbereitung für die Wehrrechtsklausur wurden wir endlich erlöst. Wir im Offizieranwärterbataillon (OA-Btl) sollten den ersten Teil unserer Offizierausbildung beenden und das Symbol dafür sollte unsere erste Beförderung sein. Die sogenannte „Schulterglatze“ sollte heute verschwinden und wir „Gefreite OA“ werden. Es war natürlich etwas ganz Besonderes, da die Masse von uns noch nie befördert wurde und wir nicht wirklich wussten, was uns erwartete. Auf dem Dienstplan stand Anzugkontrolle um 17.00 Uhr und danach um 17.30 Uhr Beförderungsappell. Und so lief das Ganze dann auch ab. Nachdem unsere Stiefel auf Hochglanz poliert und auch die letzten vergessenen Taschen geschlossen waren, warteten wir alle auf den Befehl zum Heraustreten. Mir war schon ziemlich mulmig zumute, weil ich nicht genau wusste, ob jeder einzeln vor die Front gerufen werden sollte oder ob es eine Gemeinschaftsbeförderung werden sollte. Irgendwer hatte nämlich das Gerücht gestreut, es könne passieren, dass jeder einzeln die Gefreitenklappen verliehen bekommt. Als es dann endlich soweit war und der Befehl zum Heraustreten kam, traten wir vor dem Gebäude, wie üblich, in Linie an. Das für uns schon als normal empfundene Ritual der Anzugkontrolle wurde natürlich auch nicht vergessen. Ganz im Gegenteil war es diesmal unser Zugführer persönlich, der den Anzug eines jeden Soldaten überprüfte. Dieses kleine aber dennoch wichtige Detail machte uns deutlich, dass ein ganz besonderes Ereignis vor uns lag. Dann erst marschierten wir zu dem Platz, an dem der Appell stattfinden sollte. Es regnete in Strömen und der Wind blies 64 Leutnantsbuch ziemlich kalt. Das war uns aber egal. Wir waren stolz, endlich befördert zu werden. Nach einer Ansprache unseres Kompaniechefs, der darüber sprach, was wir alles bereits geleistet hätten und was noch auf uns zukäme, wurden wir dann zugweise zum Gefreiten ernannt. Es war ein Festakt. Trotz des schlechten Wetters hatten wir bisher eine solche Zeremonie nur bei der Vereidigung erlebt. Danach ging unser Zugführer mit den Gruppenführern durch die Reihen und „schlug“ uns die Gefreitenklappen auf die Schultern. Man merkte schon, dass selbst die Ausbilder stolz waren, auf die Taten, die wir bis jetzt vollbracht hatten und das wir uns so gut geschlagen haben. Jeder wurde vom Zugführer und von allen Ausbildern beglückwünscht. Auch der Kompaniechef ging von Soldat zu Soldat und gratulierte persönlich. Er ließ es sich natürlich auch nicht nehmen, den Schlachtruf auszubringen. Ein würdiger Abschluss. HI Pflege Traditionen und militärische Rituale, insbesondere wenn eine Truppe zu einem guten Ausbildungsabschluss gekommen ist oder ein besonderes Ziel erreicht hat. Beförderungen, aber auch einfaches Lob „vor der Front“ oder in Appellform stärken die Motivation und Verbundenheit einer Gemeinschaft. . 65 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Im Offizierkasino D raußen hat es schon vor einiger Zeit begonnen, dunkel zu werden. Major Waldmann und Hauptmann Ulrich haben uns mit ihren Erzählungen gefesselt, von Müdigkeit kann keine Rede sein. „Es tut mir sehr leid“, sagt Major Waldmann, „aber leider muss ich Sie jetzt verlassen. Ich habe meiner Tochter versprochen, noch einmal über ihre Hausaufgaben zu sehen. Wenn ich jetzt nicht loskomme, dann hängt der Familiensegen schief!“ Major Waldmann erhebt sich, wünscht uns allen noch einen schönen Abend und sagt: „Das war eine nette Runde mit Ihnen! Vielleicht sehen wir uns ja noch einmal, und Sie haben bis dahin eigene Erlebnisse zu berichten!“ Hauptmann Ulrich schließt sich sogleich an und verabschiedet sich auch. Beim Hinausgehen sehe ich, wie Hauptmann Ulrich sich noch kurz mit zwei Oberstleutnanten unterhält. Hauptmann Seidel entschuldigt sich kurz und geht zu Hauptmann Ulrich und den zwei Stabsoffizieren. Währenddessen bestellen wir uns noch etwas zu trinken und unterhalten uns. „Sag’ mal Markus, was machst Du am Wochenende? Bleibst Du hier oder fährst du wieder nach Hause?“, fragt Annette. „Geburtstagsfeier“, antwortet er und fährt fort: „Mein Bruder hat Geburtstag. Wenn der feiert, dann ist immer ordentlich was los.“ „Und wie sieht es bei Euch aus?“, fragt Annette in die Runde. Schnell haben sie, Markus, Cindy und ich uns verabredet, am Freitagabend zusammen ins Kino zu gehen. 66 Leutnantsbuch Wir wissen zwar noch nicht, was gezeigt wird, aber wir sind uns sicher, dass wir einen Film finden, der unser aller Geschmack trifft. „Was haltet Ihr eigentlich von den Erzählungen eben?“ fragt Peter. „Ich meine – kommt das wirklich alles so auf uns zu? Da kann einem ja ganz anders werden.“ „Also ich kann mir schon vorstellen, dass wir noch viel in dieser Richtung selbst erleben werden. Ob natürlich immer alles so war, wie es uns erzählt wird …“, sagt Markus und wird von Cindy unterbrochen. „Ich glaube nicht, dass bei den Erzählungen irgendetwas Besonderes dazugedichtet wurde. Für mich hat sich das alles sehr realistisch angehört.“ Gerade als Jonas etwas erwidern will, kommt Hauptmann Seidel wieder aus dem Barraum zurück. Die beiden Oberstleutnante, die sich draußen mit Hauptmann Ulrich unterhalten hatten, folgen ihm. „Kameraden, ich stelle Ihnen Oberstleutnant Stokiwsky und Oberstleutnant Zander vor! Ich habe gerade mit beiden über unsere Runde hier gesprochen. Ich habe Ihnen gesagt, was wir hier tun. Und siehe da, beide haben gefragt, ob sie sich ein wenig zu uns setzen dürften. Als ich ihnen von den Geschichten von Major Waldmann und Hauptmann Ulrich erzählt habe, waren sie gleich begeistert.“ „Stimmt“, sagt Oberstleutnant Zander, „solche Geschichten bleiben bei fünfundzwanzig Dienstjahren nicht aus! Mir sind da spontan welche eingefallen!“ Oberstleutnant Stokiwsky nickt und deutet damit an, dass auch er mit dem einen oder anderen Erlebnis zu einem interessanten Abend beitragen kann. Er merkt noch an: „Auch wenn ich nicht alles selbst 67 Leutnantsbuch erlebt habe, einige Beispiele von Kameraden hätte ich auch noch zu bieten. Die passen auch sehr gut zu Ihrem Thema.“ Und dann folgt ein Erlebnis dem anderen … 68 Leutnantsbuch Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit I ch antwortete mit: „Ja, ich mach‘s“. Schon seit längerer Zeit drängten mich Kameraden zu der Entscheidung, mich für die Laufbahn als Offizier des Truppendienstes zu bewerben. Lange hatte ich mir als Unteroffizier mit Portepee nicht vorstellen können, Offizier zu werden. Ein Offizier, der nach Abschluss seiner mehrjährigen Ausbildung in die Einheit versetzte wurde, in der auch ich Dienst leistete, blieb mir besonders in Erinnerung: Er glänzte weit mehr mit seinem zur Schau getragenen akademischen Grad, als mit militärischen Fähigkeiten. Als erfahrener Kämpfer wollte er sich präsentierten, härter und zäher als jeder von uns, und natürlich in jeder Hinsicht überlegen. Wo glaubte er denn, diese Fähigkeiten erworben zu haben? Was war seine Rechtfertigung, sich über andere zu stellen und sich vor uns aufspielen zu können? Wollte er sich wirklich anmaßen, das „Rad neu erfinden“ zu können? War ihm das so beigebracht worden? Ich vermutete, dass dieser Offizier wohl bereits nach dem Studium an einer der Universitäten der Bundeswehr, dann mit dem Abschluss „Master of the Universe“, den ersten Abschnitt seiner Ausbildung zum vermeintlich „perfekten“ Vorgesetzten absolviert hatte. Möglicherweise hatte er dazu eine Art „Schule für extrem sicheres Auftreten“ absolviert, welche die notwendigen Fähigkeiten vermittelt hatte, um als Vorgesetzter ein tadelloses Verhalten an den Tag legen zu können. Dazu gehörten dann vermutlich auch Lerninhalte, wie das „Äußere Erscheinungsbild“, „Sicheres Auftreten“, „Affektierte Ausdrucksweise“ sowie „Snobistisches Verhalten“. Das äußere Erscheinungsbild jenes Offiziers war offenbar zugleich sein herausragendes Markenzeichen. Scheinbar nur aufgrund seiner akkuraten Körper- und Gesichtspflege, 69 Leutnantsbuch seines überkorrekten Tagesdienstanzugs, seiner mit Gel in Form gebrachten Haare, diversen Abzeichen und selbst beschafften Kommandoausrüstung, konnte er mit unerschütterlicher Selbstsicherheit seinen Dienst versehen. Mit möglichst häufigem Antreten, jedoch ohne wirklichen Informationsgehalt, unterstrich er die Wichtigkeit seiner Funktion. „Das ist so“ schien er bereits als hinreichende Argumentation und Begründung für das geforderte Verhalten seiner Untergebenen zu begreifen. In manchem Ausbildungsvorhaben redete er ununterbrochen und versuchte, uns sein erkennbar nicht vorhandenes Wissen zu vermitteln. Uns war schnell klar: Hier versuchte ein Vorgesetzter sich durch Spielen einer Rolle Respekt, Gefolgschaft und Anerkennung zu verdienen. Durch sicheres Auftreten sollten Hilflosigkeit, Überforderung und manches Mal auch völlige Ahnungslosigkeit verdeckt werden. „Ja, ich mach’s“, sagte ich nach einigem Überlegen. Ich wollte etwas bewirken. Ich wollte so vieles von dem verändern können, was ich bisher erlebt hatte. Ich wollte aber keinesfalls wie der oben beschriebene Offizier nur durch mein äußeres Erscheinungsbild, durch Überheblichkeit, durch das Spielen einer Rolle überzeugen. Ich wollte mit gutem Fachwissen, immer authentisch, und vor allem nie meine „Wurzeln als Unteroffizier mit Portepee“ vergessend, ein guter Vorgesetzter, ja in jeder Hinsicht auch ein Vorbild für die mir unterstellten Soldaten sein. Heute habe ich bereits einen guten Teil des Weges dorthin hinter mich gebracht. Auch ich habe ein Studium erfolgreich absolviert und bereite mich nun auf meine Verwendung als Zugführer vor. Ich fühle mich aber nicht als „Master of the Universe“ und habe auch noch keine „Schule für extrem sicheres Auftreten“ besucht. Ich weiß aber, dass auch ich die 70 Leutnantsbuch Chance eines guten ersten Eindruckes nutzen muss. Korrektes militärisches Auftreten wird dabei ganz sicher eine wichtige Bedeutung haben. Fachliches Wissen, militärisches Können, ein offenes Ohr für die mir dann unterstellten Soldaten, die Bereitschaft, auch von dienstgradniedrigeren Soldaten zu lernen und deren Erfahrungen für meine Entscheidungen zu nutzen, werden aber ganz sicher noch viel nachhaltiger darüber entscheiden, ob und in welchem Maß ich mir Respekt und Anerkennung verschaffen kann. Ich selbst erwarte von meinen Vorgesetzten, dass sie ihrer Führungsverantwortung gerecht werden und kluge Entscheidungen treffen, dass ich ihnen vertrauen und mir ihrer Fürsorge sicher sein kann. Ich erwarte, dass sie, selbst gut ausgebildet, auch mich optimal auf die vor mir liegenden Herausforderungen vorbereiten. Dabei ist mir bewusst, dass es extreme und sich schnell ändernde Situationen geben kann, in denen ich als Vorgesetzter, möglicherweise unter Belastung und unter Gefahr für Leib und Leben, entschlussfreudig richtige Entscheidungen treffen muss. Mir ist ebenso die große Verantwortung bewusst, die ich dann für mich und die mit mir eingesetzten Menschen tragen werde. Ich wünsche mir und allen, die schwierige Situationen zu bewältigen haben, dass wir deshalb erfolgreich unsere Aufträge erfüllen, weil wir eben nicht ahnungslos sind. Ich hoffe, dass wir zuvor jede uns gebotene Gelegenheit genutzt haben, um uns militärisch und fachlich bestmöglich vorzubereiten. Ich hoffe, dass uns die unterstellten Soldaten auch in diesen Lagen nicht bloß wegen des befohlenen Gehorsams folgen, und nicht glauben, dass wir den Offizier nur als Rolle „spielen“. Ich bin davon überzeugt, dass wir dann gute Offiziere sind, wenn wir authentisch, ehrlich und gut ausgebildet, handlungssicher auftreten, weil wir wissen, dass 71 Leutnantsbuch wir uns in einem von Kameradschaft geprägten Team bewegen. HI Hybris und die Einstellung zur Unfehlbarkeit sind negative Eigenschaften. Stärke zeichnet sich im Besonderen durch die Fähigkeit aus, sich zu eigenen Fehlern zu bekennen und Nichtwissen einzugestehen. Auch die Anwendung des partizipativen Führungsstils, um auf diese Weise auch die Stärken von Untergebenen zu berücksichtigen, ist beispielhaft und wird, von Vorgesetzten erwartet. Ein Offizier sollte immer ein Vorbild und zugleich auch nahbar sein. Angemessen und möglichst auf Augenhöhe mit seinen Kameraden zu handeln, hat sich bewährt und erhöht das Ansehen nicht nur in den eigenen Reihen. 72 Leutnantsbuch Das Gefechtsschiessen I ch war als junger Oberfähnrich im I. Spähzug einer Aufklärungskompanie eingesetzt. Anfang Juni war das lang ersehnte Ziel, die Beförderung zum Leutnant, nicht mehr fern und der Beginn des Studiums bereits in greifbare Nähe gerückt. Zuvor war jedoch noch ein Truppenübungsplatzaufenthalt zu absolvieren, der für die Dauer des Studiums der Letzte dieser Art für mich sein würde. Eine Woche vor dem geplanten Großvorhaben kam der Gruppenführer unserer leichten Spähgruppe Fennek auf mich zu und teilte mir mit, dass er kurzfristig auf einen Lehrgang kommandiert worden sei und der Kompaniechef entschieden habe, dass ich an seiner statt das Gefechtschießen der Gruppe führen solle. Bisher nur in den Genuss gekommen, Schulschießen leiten zu dürfen, freute ich mich besonders auf die übertragene Aufgabe, zumal ich mich vermeintlich nur um das Schießen zu kümmern hatte; alles Weitere war ja bereits angefordert und somit in trockenen Tüchern. Vor Ort erkundete ich die mir zugewiesene Schießbahn und traf die erforderlichen Absprachen mit dem Schießbahnwärter bezüglich des Zielaufbaus. Ich ließ mir alle technischen Möglichkeiten der Schießbahn aufzeigen und entschloss mich dazu, so viele wie nur möglich zu nutzen. Weiterhin nahm ich mir Schreiber und Munitionsausgeber beiseite und wies diese in ihre Tätigkeiten ein. Beide erfahrene Mannschaftsdienstgrade, hatten sie doch schon öfter die von mir vorgesehenen Funktionen ausgeübt, so dass ich mir sicher war, dass diesbezüglich alles „rund“ laufen würde. In der Annahme gut vorbereitet zu sein, erwartete ich voller Vorfreude den nächsten Tag. 73 Leutnantsbuch Der Übungstag begann. Absperrposten und Sicherheitsgehilfen waren in Auftrag und Position - die schießende Abteilung in die Schießbahn eingewiesen. Das erste Rennen übernahm sorgfältig die umfangreich zugewiesene Munition und der erste eingeteilte Gruppenführer, ein gewachsener Panzergrenadier und erst kürzlich in unsere Kompanie versetzt, wurde von mir nochmals auf die besondere Berücksichtigung der Grundsätze der Spähaufklärung hingewiesen. Er erhielt den Auftrag, sich mit seiner Gruppe einem eingestrichenen Weg zu nähern und diesen zu überwachen. Seinen in gedeckter Aufstellung befindlichen TPz konnte er nach eigener Maßgabe vorziehen, sofern es ihm taktisch sinnvoll erschien. Pünktlich zum geplanten Schießbeginn erhielt ich vom Absperrposten die Meldung, dass der Kompaniechef zur Dienstaufsicht vorgefahren sei. Nach seinem Eintreffen und meiner Meldung wies ich ihn in die Lage sowie das Vorhaben ein. Das erste Rennen konnte auf die Bahn. Die Gruppe ging wie gefordert gefechtsmäßig vor und näherte sich langsam entlang des seitlich der Schießbahn befindlichen Waldstückes dem Spähtruppziel an. Nachdem die ersten Schützenscheiben aufklappten und feindlicher Beschuss simuliert wurde, entschloss sich der Gruppenführer zum halbgruppenweisen Lösen vom Feind. Während ich eine Feindphase nach der anderen abrief, wirkten die neu aus der Grundausbildung hinzuversetzten Gefreiten überfordert. Sie wussten nicht, wie sie sich zu verhalten hatten. Die Vielzahl der Ziele und der anhaltende Feuerkampf überforderten sie so sehr, dass an einen gelenkten Feuerkampf nicht zu denken war. Lediglich die präzisen Befehle des Gruppenführers retteten die Situation. Nachdem die Gruppe in eine geeignete Stellung ausgewichen war, befahl der Gruppenführer seinen 74 Leutnantsbuch untergezogenen TPz nach vorne. Der TPz ging ostwärts der Gruppe in Stellung und hielt mit MG-Feuer den weiterhin angreifenden Feind nieder. Die Gruppe saß unter weiterem Feuer meiner Feindphasen auf, löste sich so vollständig und ich beendete schließlich den Durchgang. Nach der Abschlussbesprechung bat mich mein Kompaniechef, der sich das Schießen bis dahin kommentarlos angeschaut hatte, für einen kleinen Spaziergang zu sich. Mir war bewusst, dass ich mich nicht mit Ruhm „bekleckert“ hatte. Er fragte mich, ob ich eine Zielgruppenanalyse durchgeführt hätte. Ich verneinte. Anstatt mich zurechtzuweisen erklärte er mir anschließend ruhig und sachlich, dass ein Gefechtsschießen der Ausbildung dient. Es kommt dabei nicht darauf an, möglichst viele Ziele zu bekämpfen sondern vielmehr darauf, dass die Gruppe erlerntes, gefechtsmäßiges Verhalten übt und sich so am Ende ein Ausbildungserfolg einstellt. Um dieses Ziel zu erreichen ist es notwendig, die eingesetzten Soldaten ausbildungsstandadäquat einzusetzen, sie zu fordern ohne sie zu überfordern. Eine überambitionierte Lage lässt die jungen Gefreiten nichts lernen, sondern demotiviert aufgrund der ständigen Überforderung bereits nach kurzer Zeit. Stattdessen ist es sinnvoller, klein anzufangen und den Soldaten ein Erfolgserlebnis zu gestatten. Dies erreiche man durch einfache, dem Ausbildungsstand angepasste Lagen und dementsprechend übersichtliche Feindphasen. Er gab mir ein Lagebeispiel zur Orientierung: Ein Wolf hat eine Reifenpanne. Die Besatzung sitzt ab und wechselt unter Eigensicherung den defekten Reifen. Während des Reifenwechsels wird der Trupp durch feindliche Schützen beschossen und erwidert das Feuer. Nachdem der Feind bekämpft wurde, weicht die Besatzung samt instandgesetztem Wolf aus und das Rennen ist beendet. Ein 75 Leutnantsbuch solches Szenario wäre auch im Einsatz möglich, so dass ein Bezug hergestellt werden kann. Falls ich andere Anregungen suche, so solle ich mir nicht zu schade sein, die erfahrenen Unteroffiziere zu fragen. Diese könnten auf einen langjährigen Erfahrungsschatz auch aus dem Einsatz zurückgreifen. Ich nahm das gezeichnete Bild an und nahm mir das Gespräch mit meinem Kompaniechef zu Herzen. Für die Soldaten stellte sich fortan ein Ausbildungserfolg ein und am Ende der Woche war das Ausbildungsziel erreicht. Die ruhige, sachliche Art und Weise in der mein Kompaniechef mich auf meine Fehler hinwies, ist für mich heute noch in guter Erinnerung. Er erkannte, dass einem jungen Kameraden Bilder fehlten, begegnete mir auf Augenhöhe und teilte so seinen Erfahrungsschatz mit mir. HI Das Gefechtsschießen ist der Höhepunkt der Ausbildung auf Ebene Gruppe. Ausbildungshöhepunkte sind im Rahmen von Dienstbesprechungen nach Ausbildungszielen und Durchführung der Ausbildung zu besprechen und im Rahmen von Unteroffizierweiterbildungen als praktischer Dienst vorzubereiten. Eine zielgerichtete Vorbereitung des Schießens hätte den Ausbildungserfolg sichergestellt. Auch der häufig von Kurzfristigkeit und Schnelllebigkeit geprägte Alltag darf diese Grundlagen für eine erfolgreiche und zielgerichtete Ausbildung nicht vergessen lassen. Die helfende Dienstaufsicht hat das Ziel, die Ausführung von Aufträgen beratend, unterstützend sowie überwachend zu begleiten, das Arbeitsergebnis festzustellen, es abschließend an den Zielen zu messen und darüber mit den Soldatinnen/Soldaten zu sprechen. 76 Leutnantsbuch Dienstaufsicht als Kontrolle ist weder Ausdruck mangelnden Vertrauens noch Gängelung. Sie schließt die Selbstkontrolle der Vorgesetzten ein und bedient sich vorrangig des Gesprächs und praktischer Hilfestellungen. 77 Leutnantsbuch Mut gegenüber Vorgesetzten A ls ich meine Grundausbildung im OffizieranwärterBataillon begann, war ich mir im Großen und Ganzen durchaus über das Verhältnis zu militärischen Vorgesetzten bewusst. Meine Vorstellungen begründeten sich vorrangig auf in Film und Fernsehen dargestellte Szenarien. Es sollte jedoch anders ablaufen als ich dachte. Bereits in den ersten Wochen wurde man hinlänglich durch die Rechtslehrer über Vorgesetztenverordnung, Rechte und Pflichten des Soldaten sowie Befehl und Gehorsam unterrichtet. Befehle zu einem dienstlichen Zweck von einem Vorgesetzten an einen Untergebenen in schriftlicher oder anderer Form sind unmittelbar, nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Das hatte ich verstanden und so lief es auch in etwa im täglichen Dienstbetrieb ab. Zu Beginn war man noch sehr eingeschüchtert und bemühte sich darum, das einem Aufgetragene so gut wie möglich zu erledigen und keinesfalls negativ aufzufallen. Wurde man doch bereits von Anfang an immer wieder darauf hingewiesen, dass alles, was man mache in die am Ende des Lehrganges zu erstellenden Beurteilungsvermerke einfließen werde. Dieser Aspekt machte den meisten Offizieranwärtern von uns besonders zu schaffen. Da war der vergessene Bleistift bei der Anzugskontrolle, der einem die Schamesröte ins Gesicht trieb, wenn der Hauptfeldwebel das Fehlen bemerkte und kopfschüttelnd, mit gerümpfter Nase und krausen Lippen, seine Bemerkungen in sein kleines Büchlein eintrug. Da wir uns alle für längere Zeit verpflichtet hatten, wollte sich niemand bereits zu Beginn seiner militärischen Karriere Steine in den Weg legen. Mit dem Voranschreiten der Ausbildung, hatte man sich an das militärische Leben und die Umgangsformen gewöhnt. Zudem fühlte man sich handlungssicherer im Umgang mit 78 Leutnantsbuch den Vorgesetzten, da man diese inzwischen näher kennengelernt hatte und feststellte, dass sie auch nur mit Wasser kochen. Befehle führte man nach wie vor gewissenhaft aus, jedoch dachte man häufiger über deren Sinn und Richtigkeit nach. Man begann innerlich Befehle zu hinterfragen, aber sie auch mit Kameraden zu diskutieren, kam jedoch in letzter Konsequenz zu dem Entschluss, den Befehl so umzusetzen, wie er gefordert war, teilweise hauptsächlich in der Angst begründet, etwas negatives im Beurteilungsvermerk stehen zu haben. Lediglich mein Stubenkamerad, welcher bereits auf Vordienstzeit zurückblicken konnte, schien diese Angst fremd zu sein. Wie im Rechtsunterricht gelernt, schien er jeden Befehl durch die Prüfschleife laufen zu lassen und hinterfragte diesen auch bei den Vorgesetzten, wenn ihm etwas unrechtmäßig erschien. Zu unserer Verwunderung begründeten diese den Befehl entweder nochmals verständlicher oder passten diesen gemäß Vorschrift an. Er hatte schnell den Ruf, etwas aufmüpfig zu sein und wir waren alle davon überzeugt, dass sich dies in seiner Beurteilung widerspiegeln würde. Selbst er machte mit uns darüber Witze, aber er betonte auch immer wieder, dass ihm das egal wäre, denn wenn ihm der dienstliche Zweck eines Befehls unklar ist, dann würde er das immer mit dem nötigen Respekt gegenüber derjenigen Person ansprechen. Dieses Recht steht schließlich jedem Soldaten zu. Als wir am Ende des Lehrganges unsere Beurteilungsvermerke erhielten, waren wir alle gespannt, wie sich die für uns darstellende Aufmüpfigkeit gegenüber Vorgesetzten ausdrücken würde. Zu unserem Erstaunen fielen die folgenden Worte: „Loyalität, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit sind die Eckpfeiler seines Charakters.“ 79 Leutnantsbuch HI Auch Vorgesetzte machen Fehler und haben ein Recht darauf auch hingewiesen zu werden, denn nur so ist ein reflektieren möglich. Führen braucht Ehrlichkeit und Transparenz, denn sie bilden die Grundlage für die Kernkompetenz im Führungsverhalten: Vertrauen. Dieses erlaubt einen partnerschaftlichen und respektvollen Umgang miteinander. Trauen Sie sich und leben Sie die hierfür notwendige Courage in Wort und Tat als Teil des soldatischen Selbstverständnisses vor, man wird es Ihnen danken. 80 Leutnantsbuch Der erste Einsatz M eine Frau habe ich bereits ein Jahr vor meinem Dienstantritt bei der Bundeswehr in der Schule kennen gelernt. So erlebten sie und ich von Anfang an gemeinsam die Vorteile, aber auch die Belastungen, die der Beruf des Offiziers mit sich bringt. Ich bemühte mich von vornherein, sie an meinem militärischen Leben möglichst intensiv teilnehmen zu lassen. So nahm sie mit mir gemeinsam an fast allen Veranstaltungen vom öffentlichen Gelöbnis bis zum Offizierabend teil. Da ich innerhalb der ersten drei Jahre fünf Mal ausbildungsbedingt den Dienstort wechselte, erforderte das von ihr viel Organisation und auch das Zurückstellen von persönlichen Freundschaften. Das bestärkte mich in der Hoffnung, in ihr die Richtige fürs Leben gefunden zu haben. So nutzten wir dann meine Versetzung zum Studium, um auch endlich zusammenzuziehen. Es brachte einige kleinere Schwierigkeiten mit sich, nach knapp vier Jahren Wochenendbeziehung plötzlich ganztägig aufeinander zu sitzen. Nach einigen Wochen zeigten sich dann aber auch die Vorteile des Zusammenlebens. In diesen Zeitraum fiel auch die Entscheidung zu heiraten. Allerdings kam einer schnellen Hochzeit die Geburt unserer ersten Tochter „dazwischen“, so dass wir als „kleine“ Familie vor den Altar traten. Zu diesem Zeitpunkt, ungefähr fünf Jahre nach meinem Dienstantritt, glaubten wir beide, alle Schwierigkeiten des Soldatenlebens wie Wochenendbeziehungen, lange Abwesenheiten aufgrund von Lehrgängen und Übungsplatzaufenthalten zu kennen. Die wirkliche Belastung erfolgte aber erst mit dem ersten Einsatz. Nach dem Studium wurde ich in ein Bataillon, welches in Thüringen stationiert war, versetzt. Da meine Frau gerade 81 Leutnantsbuch mit unserer zweiten Tochter schwanger war, stand sofort fest, dass wir gemeinsam von HAMBURG nach Thüringen ziehen würden. Die Eingewöhnungszeit nach dem Studium war kurz. Es war anfänglich durchaus schwierig, sich an unregelmäßige Dienstzeiten und Nachtausbildungen zu gewöhnen. Plötzlich wurden die Trennungen bei Übungsplatzaufenthalten deutlich belastender, besonders dann, wenn Probleme mit den Kindern, wie Krankheiten oder Trennungsschmerz, aufkamen. Wir lernten im ersten Jahr vor allem die vorhandene Zeit intensiv zu nutzen. So war besonders der Sonntag grundsätzlich Familienausflugtag, selbst wenn das Wetter nicht mitspielte. Nach etwa einem Jahr wurde der Einsatz in AFGHANISTAN für das gesamte Bataillon Gewissheit. Da ich im Einsatz nicht auf einem truppengattungsspezifischen Dienstposten eingesetzt werden sollte, standen im Jahr vor dem Einsatz allein drei Monate an lehrgangsgebundener Ausbildung an. So wurde, wie zu Beginn der Offizierausbildung, wieder die Autobahn zur wichtigsten Verbindung zwischen mir und meiner Familie. Neben der fachlichen Ausbildung war die militärische enorm wichtig und schlug ebenfalls mit insgesamt sechs Abwesenheitswochen zu Buche. Damit war ich innerhalb des letzten Jahres vor dem Einsatz insgesamt viereinhalb Monaten nicht zu Hause. Das belastete meine Familie sehr stark, da auch der Dienst am Heimatstandort fordernd und zeitintensiv blieb. Je näher der Einsatz rückte, umso mehr traten Fragen über die Gefahr in den Vordergrund. Ich führte stundenlange Gespräche mit meiner Frau, um ihr die Risiken eines Einsatzes zu erläutern. Mir war stets bewusst, dass die Teilnahme an einem Auslandseinsatz nicht risikolos und ein fester Bestandteil meines Berufes ist. Dies ändert jedoch nichts an den Ängsten und Befürchtungen der Familie. Ich 82 Leutnantsbuch versuchte auch meiner mittlerweile vierjährigen Tochter die Notwendigkeit des Einsatzes näher zu bringen. Dies fiel mir sehr schwer, da sie häufig nach dem „Warum?“ und dem „Wieso?“ fragte und ich ihr sicherlich nicht immer klar und kindgerecht antworten konnte. Der Tag des Abfluges war schlimmer als gedacht. Bis zur Gepäckabgabe überspielten alle ihre Anspannung. Als es dann aber doch soweit war und besonders meinen Töchtern klar wurde, dass der Papa wirklich weggeht, brachen sprichwörtlich die Dämme und ich musste schnell gehen, um mich zu beruhigen. Die ersten 14 Tage im Einsatz waren für mich sehr einfach. Ständig erlebte ich Neues und war sehr stark abgelenkt. Das brachte ich auch während der Telefonate zum Ausdruck. Erst hinterher erzählte mir meine Frau, wie schwer ihr die ersten 14 Tage fielen. Die Erziehung der Kinder, die damals sehr sensibel auf meine Abwesenheit reagierten, fiel nun in die alleinige Verantwortung meiner Frau, wodurch ihre Freiräume zusätzlich eingeschränkt wurden. Gleichzeitig wollte sie mich aber nicht am Telefon mit ihren Sorgen belasten. Mit der Zeit gewöhnte man sich an die Trennung und das tägliche Telefonat ersetzte ein wenig das Zusammensein. Sehr schwer wurde es immer dann, wenn ich Bilder oder kurze Videos aus der Heimat erhielt. Das waren für mich sehr intime Momente, die mir mein Stubenkamerad zum Glück immer zugestand. Er war im Gegensatz zu mir schon fünfmal in AFGHANISTAN und damit deutlich routinierter. Ihm gebührt ein großer Anteil an meinem gut überstandenen Einsatz. Schwierig wurde es immer dann, wenn ich auf mehrtägigen Patrouillen war und schlechte Nachrichten in die Heimat gelangten. Das nächste Telefonat nach der Rückkehr ins Feldlager wirkte dann immer sehr angespannt. Es fällt einem als Soldat schwer zu verstehen, warum Nachrichten aus 83 Leutnantsbuch einer anderen Ecke AFGHANISTANS die Angehörigen zu Hause so belasten. Erst heute verstehe ich, dass die Hilflosigkeit und unzureichende Informationslage zu Hause, deutlich belastender sind, als der Einsatz selbst. Man kann die Lage realistischer einschätzen und damit auch entsprechend reagieren. Als sich der Einsatz nach sechs Monaten dem Ende näherte, wurde ich täglich aufgeregter. Es erinnerte mich ein bisschen an den Tag, als ich meine Frau damals das erste Mal angesprochen habe. Ich machte mir tausend Sorgen, ob mich meine Familie wieder so annimmt, wie es vorher der Fall war. Vom Flug bekam ich so gut wie nichts mit. Als ich dann in die Wartehalle des Flugplatzes kam, sah ich mich um, konnte jedoch meine Familie nicht finden. Das war schrecklich. Ich suchte nach meiner deutschen Sim-Karte und rief meine Frau an. Sie waren aufgrund einer Fehlinformation am falschen Flugfeld und brauchten noch einige Minuten. Ich erwartete sie auf dem Parkplatz. Das Wiedersehen war unbeschreiblich. Meine beiden Töchter waren so groß geworden! Und meine kleine Tochter, die beim Abflug gerade einmal „Papa“ sagen konnte, sprach in Sätzen mit mir. Meine Frau hatte sich zum Glück nicht verändert. Auf der stundenlangen Heimfahrt habe ich sechs Monate komprimiert am Stück wiedergegeben. Ich glaube, meine Familie wollte seit dieser Heimfahrt nichts mehr von mir wissen, da sie alles schon gehört hatten. Die schwierigste Zeit sollte uns jedoch erst in den nächsten Wochen bevorstehen. Ich hatte unmittelbar nach meiner Rückkehr noch nicht begriffen, dass das Leben auch ohne mich weitergegangen ist. Meine Frau hatte viel Stress durch die Kinder und ihren Beruf. Zum Glück hatten meine Eltern und Schwiegereltern sie tatkräftig unterstützt. Der Einsatz war manchmal gefährlich. Aber ich war gut ausgebildet, wusste was ich tat und die Kameradschaft half 84 Leutnantsbuch über viele schwere Momente hinweg. Gleichzeitig musste man sich um nichts kümmern. Das Essen wurde immer gekocht, die Wäsche gewaschen und selbst der obligatorische „Papierkram“ war überschaubar. Meine Frau musste aber demgegenüber all das bewältigen, was wir uns zuvor geteilt haben. Nicht nur ich brauchte nach dem Einsatz eine Auszeit, sondern auch meine Frau. Heute, mit einigem Abstand, ist mir das klar und ich werde es besonders für den nächsten Einsatz beherzigen. Meine Familie ist nunmehr wieder genauso glücklich wie vor dem Einsatz. Wir haben es alle gut überstanden. Ich halte Offenheit für den Schlüssel zum Erfolg. Ich habe mit meiner Frau über Gefahren des Einsatzes und die Folgen einer möglichen Verwundung oder gar meines Todes gesprochen. Das hat bestimmt die Situation für sie nicht sonderlich erleichtert, aber es machte den Einsatz insgesamt erträglicher. Ich bin meiner ganzen Familie und insbesondere meinen Eltern und Geschwistern dankbar für den engen Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe. Bei meiner Frau bin ich mir sicherer den je, die Richtige gewählt zu haben und ich versuche es ihr heute häufiger durch kleine Gesten zu verdeutlichen, als vor dem Einsatz. Egal wie wichtig der Dienst ist, für mich genießt meine Familie heute mit Abstand die höchste Priorität. Gerade das Wissen „Zu Hause läuft es!“ gab mir die Möglichkeit, den Einsatz möglichst professionell anzugehen und die bestmögliche Leistung abzurufen. HI 85 Leutnantsbuch Der richtige Zeitpunkt für die Schwangerschaft E s mag in der heutigen Zeit für einige absurd erscheinen, jedoch gibt es immer noch Frauen und Ehepaare, die gerne eine Familie gründen möchten und dies, ohne die Altersgrenze von beispielsweise 35 Jahren oder älter erreicht zu haben. Anhand meiner Erfahrung als Soldatin kann ich nur bestätigen, dass auch bei der Bundeswehr sowohl geteilte Meinungen als auch unterschiedliche Reaktionen zum Thema Schwangerschaft existieren. Die Reaktionen zu meiner (gewollten!) Schwangerschaft reichten von „herzlichen Glückwunsch“ über „Sie können ja trotzdem weiterhin alles mitmachen - Sie sind ja nicht krank“ bis hin zu „das ist sicher ungewollt, oder?“. Mit der Frage nach der ungewollten Schwangerschaft wurde ich von Kameraden und Vorgesetzten im Übrigen des Öfteren konfrontiert. Außerdem wurde ich gefragt, warum ich nicht mit meinem Kinderwunsch hätte warten können, bis alle wichtigen Stationen der Ausbildung abgeschlossen seien. Es erscheint mir, dass man als schwangere Soldatin Fragen gegenübersteht, die zum Teil ziemlich privat und zugleich deutlich unangemessen sind. Ich frage mich, warum ich mich für meinen Kinderwunsch rechtfertigen sollte? Das Thema ‚Schwangerschaft in der Bundeswehr‘ hat aus meiner persönlichen Sicht nur zum Teil Einzug in die Truppe gehalten. Es gibt Kameraden oder Vorgesetzte, die ehrlich zugeben, mit dieser Thematik bisher wenig bis gar keine Berührungspunkte gehabt zu haben. Jedoch war dieser Informationsrückstand meist nach wenigen Tagen aufgeholt. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass vor allem Vorgesetzte im Umgang mit Schwangeren im Dienst besser informiert werden sollten. Auch von Bedeutung ist, dass sich jede schwangere Soldatin die erforderlichen Informationen rund um die Thematik Schwangerschaft beschaffen sollte, 86 Leutnantsbuch um so hinsichtlich ihrer weiteren Verwendung planen zu können. Dennoch möchte ich sagen, dass ich nicht nur mit negativen Reaktionen konfrontiert wurde und mir nicht nur Steine in den Weg gelegt wurden. Dabei ist zu erwähnen, dass die truppenärztliche Versorgung als positives Merkmal herauszustellen ist. Auch die Tatsache, dass eine schnelle heimatnahe Verwendung ermöglicht wurde, möchte ich hiermit besonders hervorheben. Ich werde von Kameraden, aber auch von Verwandten oft gefragt, wie es jetzt mit mir weitergehen soll und ob ich Familie und Dienst miteinander vereinbaren kann, wie es mit weiteren Lehrgängen aussieht, wie ich beispielsweise einen Truppenübungsplatzaufenthalt mit Nachwuchs bewältigen will und wie es mit einer Versetzung und dem Kindergartenplatz aussieht. Eine Antwort auf diese Fragen kann ich noch nicht geben. Für mich ist zunächst einmal ganz banal entscheidend, einen geeigneten Kindergartenplatz zu finden. Lange Wartelisten und dienstunfreundliche Öffnungszeiten sind dabei nur kleine Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Ich bin aber dennoch zuversichtlich und hoffe unter dem Tenor „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“ einer positiven Entwicklung meiner Zukunft entgegen sehen zu können. HI Der Dienst in den Streitkräften und der familiäre / partnerschaftliche Lebensbereich der Soldatinnen und Soldaten beeinflussen sich gegenseitig. Der private Lebensbereich wirkt als Kraftquelle der Soldatinnen und Soldaten zur Bewältigung der Herausforderungen des Dienstes. Der Entschluss, sich für Familie und Kind / Kinder zu entscheiden, ist durch die Lebenspartner individuell zu treffen, denn die Hauptlast (u.a. zeitliche Mehrbelastung, 87 Leutnantsbuch Hintanstellung persönlicher Interessen usw.) tragen bei der Verwirklichung dieser Lebensentscheidung weiterhin beide Elternteile. Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften, mit dem Ziel der Unterstützung der Familien, ist eine besondere Führungsaufgabe, der sich alle Vorgesetzten zu stellen haben und erfordern an die Lebenssituation angepasste Einzelfallentscheidungen. 88 Leutnantsbuch Neuland E s ist ein lauer Samstag im Herbst. Die Sonne scheint, es geht ein wenig Wind. Gerade führe ich meine Gruppe von jungen Rekruten vom Kompaniegebäude auf den Antreteplatz. Formaldienst steht auf dem Dienstplan. Der erste für die neuen Soldaten. Vor zwei Tagen haben sie erst ihren Dienst angetreten. Anhand der Uniform sehen sie zumindest schon mal aus wie Soldaten. Der eine mehr, der andere weniger. Das wird sich geben. Nun ist es für die kommenden drei Monate als Gruppenführer in der allgemeinen Grundausbildung meine Aufgabe, die neuen Kameraden nicht nur optisch an einen Soldaten erinnern zu lassen, sondern so viel wie nötig von dem Wissen und Können zu vermitteln, was ich selber in den bisherigen Lehrgängen der Offizieranwärterausbildung gelernt habe. Meine erste richtige Ausbildung mit echten Rekruten. „Denken Sie im Truppenpraktikum daran, dass Sie bei Ihren zukünftigen Ausbildungsvorhaben von nun an Soldaten mit unterschiedlichen Befähigungen und Bildungsabschlüssen vor sich haben.“, wie mein Hörsaalfeldwebel immer gesagt hat, sprudelt es gerade durch meinen Kopf. Und nicht nur das. Hab ich auch wirklich meinen Handzettel dabei, selbstverständlich mit 6B-Bleistift geschrieben? Ich überprüfe es ein drittes Mal. Man will ja nichts falsch machen. Schließlich habe ich als Fahnenjunker ja einen Oberfeldwebel an die Seite gestellt bekommen. Der soll nämlich erst mal überprüfen, was diese Zauberlehrlinge, so nennt man die OAs in der Panzergrenadiertruppe, können oder eben nicht. Gerade von letzterem geht man hier scheinbar aus. Anzugskontrolle habe ich ja schon im Gebäude gemacht, das heißt, ich muss jetzt dann gleich nur noch Thema, Sinn und Zweck, Ausbildungsziel und meine Quellen nennen und 89 Leutnantsbuch schon kann es los gehen. Gedankenverloren hätte ich fast vergessen, meine Gruppe rechtzeitig Rechtsschwenken zu lassen. Ich beginne mit der Ausbildung und denke mir, dass ich das schon gut erkläre und auch gut vormache. Bei vielen klappt das auch auf Anhieb und manche stellen sich schon etwas an. Ab und an blicke ich ganz kurz zum Oberfeldwebel. Wie reagiert er? Macht er ein zufriedenes Gesicht? Aber leider war aus ihm nichts herauszulesen. Nahezu starr stand er etwas abseits der Gruppe und sah sich das Spektakel an. Die 60 Minuten gingen dann auch schnell vorüber und am Ende muss ich sagen, dass ich die Ausbildung für einen Erfolg erachte. Ausbildungsziel erreicht, denke ich mir. Wenig später stellte der Oberfeldwebel mit etwas rauchiger Stimme fest, „die Ausbildung war soweit in Ordnung, aber Sie sollten zukünftig schneller zum Punkt kommen. Die Einleitung war zu lange. Nur Üben übt. Praxis ist das Zauberwort. Ich weiß, dass ist bei Ihnen als Abiturienten, noch nicht so ganz rübergekommen. Truppe ist eben nicht gleich Lehrgang. Aber das bekommen wir hin.“ Er sollte recht behalten. Truppe mit echten Auszubildenden ist schon etwas anderes als eine Lehrprobe auf dem Lehrgang. So rein formal, methodisch und didaktisch hat man uns auf dem Gruppenführerlehrgang schon alles beigebracht, aber auch bei uns jungen Ausbildern stimmt, dass nur Üben übt. Und soviel Zeit hatte man gar nicht, dass man sämtliche Ausbildungsthemen auf dem Lehrgang durchspielen oder erlernen konnte. Außerdem hatte man auf dem Lehrgang ja meist einen gewissen Heimvorteil. Die auszubildenden Soldaten waren allesamt Lehrgangsteilnehmer. Wenn man hier vergessen hatte, eine Kleinigkeit anzusprechen, wurde es einfach wie ein Automatismus durch die anderen umgesetzt. Also nahezu traumhafte Umstände. 90 Leutnantsbuch In der Truppe im Praktikum war also der richtige Moment gekommen, notwendige wichtige Erfahrungen zu sammeln. Und sich ohne Frage auch einmal auszuprobieren. Das sollte natürlich nie zu Lasten der Untergebenen passieren. Moderne Menschenführung, Verhalten als Vorgesetzter, Loyalität gegenüber seinen Vorgesetzten sind hier nur einzelne Schlagworte, mit denen man in dieser kurzen Zeit konfrontiert wird. Ich habe für mich mitgenommen, dass es immens wichtig ist, jederzeit den Blick über den Tellerrand zu suchen und sich nie mit dem zufrieden zu geben, was man hat. Etwas was teilweise gar nicht so leicht zu erkennen oder einzugestehen war, ist die Tatsache, dass man einfach nicht alles kann und vieles zum ersten Mal macht und somit jeden Tag aufs Neue gefordert wird. Das setzt sich im weiteren Verlauf der Ausbildung zum Offizier fort. Sie bringt mit sich, dass man in relativ kurzer Zeit ziemlich zügig aufsteigt. Der Dienstgrad auf der Schulter wird zwar höher, aber auch Verantwortung und Aufgaben werden damit zunehmend größer. Daher ist es auch immer besonders wichtig, von Erfahrungen anderer mit zu profitieren. Gerade dazu ist es wichtig, dass man sich einen guten Draht aufbaut. Wissen kann man sich schnell aus Büchern und Vorschriften aneignen, Erfahrung muss man mühsam und lange Sammeln. Somit liegt es nahe, dass man auch ehrlich zu sich selbst ist und sich mitunter die vermeintliche Blöße gibt, erfahrene Kameraden zu fragen, wenn man sich selbst unsicher ist. Warum sollte man etwas falsch machen, was anderen ebenfalls schon widerfahren ist? Das können einfach Dinge sein, wie der Einstieg in ein Ausbildungsthema oder die Wahl des Ausbildungsplatzes. Aber man muss sich auch immer selbst treu bleiben. Einfaches Kopieren oder Nachmachen ist nicht die Lösung. 91 Leutnantsbuch Man muss schon immer an sich selbst arbeiten und seinen eigenen Führungs- und auch Ausbildungsstil entwickeln. Ehe ich mich versah, waren die Offizieranwärterlehrgänge beendet und ich befand mich zurück in der Truppe. Nahezu alles wiederholte sich. Aber ich war gewappnet. Gewappnet mit den Erfahrungen und lehrreichen Schlüssen aus meiner Zeit aus dem Gruppenführerpraktikum. Dennoch war auch hier alles Neuland für mich. Ich befand mich nun in einer Kampfkompanie. In Kürze würde hier die Spezialgrundausbildung los gehen und danach die Vorbereitung auf den anstehenden Einsatz. Also Stress pur und Vorschriften wälzen ohne Ende waren vorprogrammiert. Fehler schlichen sich natürlich auch ein, aber durch die gute Kameradschaft mit älteren und erfahreneren Kameraden war sichergestellt, dass diese nicht wiederkehrten und mögliche Ursachen bei weiteren Vorhaben frühzeitig erkannt werden konnten. Ich muss aber betonen, dass mir diese Unterstützung nicht nachgetragen wurde. Man muss sie annehmen können und wollen. Mit der Ausbildung zum Offizier an den einschlägigen Ausbildungseinrichtungen wird ein wichtiger Grundstein gelegt. Mit der richtige Einstellung, Wille und Fleiß kann auf diesem Fundament weiter aufgebaut werden. Die Erfahrung wird wachsen, genauso wie die Verantwortung. Aber das ist nichts, vor dem man sich verstecken müsste. HI Wenn man sich selbst immer treu bleibt, Chancen erkennt und diese nutzt, wenn man bereit ist, etwas bewegen zu wollen und nicht nur Kritik üben, sondern auch aufnehmen und verwerten kann, braucht man sich keine Sorgen machen, einer fordernden Aufgabe nicht gewachsen zu sein. 92 Leutnantsbuch Das sprichwörtliche Neuland, in egal welcher Führungsebene oder Verwendung, betrifft jeden. Auch bis heute ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. 93 Leutnantsbuch Hölle E s war an einem der ersten Tage im neuen Jahr. Ich war als Seelsorger für die Soldaten im PRT KUNDUZ eingesetzt. Nachdem ich mich wie immer beim Mittagessen reichlich mit Salaten eingedeckt hatte, suchte ich nach einem Sitzplatz und ließ meinen Blick über die Tischreihen wandern. Ich entdeckte einen Oberleutnant, den ich aus meinem Heimatstandort kannte und länger nicht mehr gesehen hatte – auf ihn steuerte ich zu. Mampfend hielten wir ein kleines Pläuschchen darüber, wie wir die Feiertage verbracht haben und wie es so geht. Dabei kamen wir unvermeidlich auf einen Dauerbrenner, auf den ich immer wieder stieß: Die Frage der mangelhaften Ausstattung. Sommerklamotten im Winter... und andere Erlebnisse mit unverständlichen Entscheidungen der „übergeordneten Führung“, die einem das Leben im Einsatz nicht unbedingt erleichtern. Kopfschüttelnd hörte ich ihm zu. Als unser Gespräch langsam auslief, mischte sich von der Seite ein Hauptmann vom EOD (Explosive Ordnance Disposal) in unsere Unterhaltung. „Herr Pfarrer, kommt man eigentlich in die Hölle, wenn man etwas Unerlaubtes tut, um jemandem zu helfen?“ Weil ich normalerweise nicht gerade damit rechne, beim Mittagessen eine komplexe theologische Frage gestellt zu bekommen, musste ich erst einmal überlegen. Außerdem meinte ich aus dem breiten Grinsen der anderen Nachbarn schließen zu können, dass dies nicht ganz ernst gemeint zu sein schien. Also spielte ich den Ball zurück: „Woher wissen sie, dass es eine Hölle gibt?“ Nun war mein Nachbar erst mal „am Schalten“. Ich schob nach: „Ich müsste schon genauer wissen, um was es geht!“ Er druckste weiter herum, bis er dann mit dem Spruch kam: „Das ist so geheim; wenn ich es ihnen verraten würde, 94 Leutnantsbuch müsste ich Sie erschießen.“ „Verstehe“, sagte ich lachend und meinte zu ihm, dass er bestimmt keinen Fachvortrag über die Hölle als Ort der ewigen und zeitlichen Strafen des jüngsten Gericht hören wollte und fragte, ob er denn ein schlechtes Gewissen habe. Ausweichendes „hmtja“ und Schulterzucken. Ich sagte, dass ich wirklich weder wüsste, was die Wehrdisziplinarordnung oder das Strafgesetzbuch dazu sagen würden, noch was bei Gott auf die Verletzung seiner Gebote steht. Ich wüsste nur, dass Jesus seine Freunde immer aufgefordert hätte, sich für den Kameraden – in seiner Sprache: den Nächsten – einzusetzen. Und dass die Regeln für den Menschen da sind und nicht die Menschen für die Regeln. Ob ihn das zufrieden gestellt hat, weiß ich nicht, wir haben jedoch noch eine ganze Weile rumgefeixt. Ich hatte hinterher ein paar „Bekannte“ beim EOD und musste schmunzeln, was einem beim Mittagessen so alles begegnen kann. Knapp zwei Wochen später war ich im Stab unterwegs, um einem der Polizisten, der in unseren Gottesdiensten Gitarre spielt, meine Liedvorschläge vorbeizubringen. Doch die Tür war verschlossen. Ich schaute mich um, wer mir wohl einen Streifen Tesafilm geben könnte, damit ich meinen Zettel an seine Tür heften könne. Drei Türen weiter entdeckte ich ein offenes Büro. Einige Soldaten waren darin vor einem Bildschirm versammelt und in ein Gespräch vertieft. „Entschuldigen Sie die Störung ...“ fing ich an, da entdeckte ich den Hauptmann vom EOD unter den Anwesenden. Und während mir einer der belgischen Kameraden einen TesaRoller in die Hand drückte, raunte mir der Hauptmann zu: „Herr Pfarrer, ich war in der Hölle! In der IED-Hölle (Improvised Explosive Device)!“ In Sekundenbruchteilen fügten sich in meinem Kopf verschiedene Puzzle-Teile zusammen. Zwei Tage zuvor war die QRF (Quick Reaction Force) bei der Absicherung des 95 Leutnantsbuch Besuches des afghanischen Präsidenten in KUNDUZ eingesetzt. Sie mussten mitten im „Taliban-Gebiet“ Stellung beziehen. Beim Versuch die Straße nach IED, den selbstgebastelten Sprengsätzen, der Aufständischen abzusuchen, stieß man auf eine Minensperre und als man sich ans Werk machen wollte, um die ersten beiden Sprengfallen zu „räumen“, kamen schon die ersten RPG (Rocket Propelled Grenade) geflogen. Ich hatte bisher nur dürre Informationen aus der Abendlage, doch nun wurde mir klar: „Sie waren das auf der LOC Banana!?!“ Der Hauptmann nickte nur und erzählte mit wenigen Sätzen, dass er noch nie so viele „Sauereien“ auf einem Haufen gesehen hätte. 200 m Straße zugepflastert mit allem, was die Bombenbauerwerkstatt zu bieten hat. Auf einmal hatte „Hölle“ eine ganz andere Bedeutung: Kein Begriff für alte Schauermärchen, mit denen die Kirche den Menschen Jahrhunderte lang Angst machte und einen harten, strafenden Gott predigte, nicht irgendwas im Jenseits. Nein, ganz real und greifbar, ein Ort des Schreckens, der Qual und des Todes. Keine 20 km entfernt. Die Vorstellung davon, was hätte passieren können und was diese „Basteleien“ bewirken können, hatte gereicht, um diesem erfahrenen Soldaten unter die Haut zu gehen. Das konnte ich spüren. Ich war berührt davon, hier keinem harten Kämpfer begegnet zu sein, der mit einem lockeren, sarkastischen Spruch, Schulterklopfen und lautem Lachen die ganze Geschichte bei Seite wischte, sondern einem Mann, dem man abspüren konnte: Das hat mich nicht kalt gelassen. Während er sich wieder seiner Besprechung zuwendete, lief ich schnell in mein Büro und holte ihm ein kleines Zeichen: Einen Engel auf einer Bronzeplakette – ein sogenannter Handschmeichler. Den drückte ich dem Hauptmann in die Hand mit den Worten: „Hier, als Erinnerung, dass wir auch in der Hölle nicht allein sind und sie mit seiner Hilfe 96 Leutnantsbuch durchschreiten können!“ Das „Danke“ und die leuchtenden Augen zeigten mir: Botschaft angekommen. Wiederum einige Wochen später, als wir bei einer Tasse Kaffee in der Gottesburg saßen, fragte ich den Hauptmann noch einmal, wie er denn eigentlich mit diesen ganzen Belastungen umgeht. Ganz spontan sagte er: „Ich habe eine Art Log-Buch. Da schreibe ich alles rein, was passiert. Auch meine Gefühle. Und wenn ich das Gefühl habe, einer aus meinem Trupp ist nach einem Einsatz „durch den Wind“, dann sage ich ihm: Hier ist das Buch. Schreib!“ Diese Geschichte habe ich in mein Schatzkästchen für wertvolle Erfahrungen gepackt. Sie zeigt mir, wie Soldaten um ihr inneres Gleichgewicht ringen, und darum, Mensch zu bleiben – auch mit den Erfahrungen von Tod und Gewalt. Und sie zeigt, wie wichtig der offene Umgang mit Gefühlen ist und dass auch ein Führer gewinnen kann, wenn er mal schwach ist. Und ich habe aus ihr gelernt: Hölle ist nicht die Strafe Gottes im Jenseits für all den Mist, den wir anrichten. Hölle ist das, was Menschen sich einander antun. Zum Beispiel in AFGHANISTAN. Wie gut, wenn man jemanden hat, der mit einem geht. HI 97 Leutnantsbuch Schneid!? B evor ich mich zum Beruf des Offiziers entschieden habe, erlebte ich eine Sache, die mich maßgeblich beeinflusst hat. Ich war gerade Obergefreiter geworden und ersehnte das baldige Ende des Grundwehrdienstes jeden Tag stärker herbei. Da bekam meine Kompanie im Panzergrenadierbataillon einen neuen Kompaniechef. Es war ein junger Oberleutnant, der die Kompanie zunächst nur als Einsatzoffizier in Vertretung führte und schließlich komplett übernahm. Der alte Hauptmann war mir vorher nur selten aufgefallen und war während meiner Grundausbildung der einzige Offizier der Einheit gewesen. Wirklich geführt – so mein Eindruck – wurde die Kompanie von altgedienten Haupt‐ und Stabsfeldwebeln, die die Züge offenbar schon seit Jahren führten. Ich hatte in meinen ersten sechs Monaten also bestenfalls ein schwaches Bild von Offizieren vor Augen. Als wäre die Ausbildung von Rekruten nichts für sie. Da erschien dieser neue junge Oberleutnant und ein wiederholtes Augenrollen spielte sich in den Gesichtern der alten Portepee‐Unteroffiziere ein. Als Soldat der Kompanieführungsgruppe und Kraftfahrer des neuen Chefs hatte ich sowohl die Gelegenheit, den neuen Vorgesetzten persönlich etwas kennen zu lernen, als auch die allgemeine Skepsis zu beobachten, die diesem frisch von der Uni gekommenen „Grünschnabel“ entgegengebracht wurde. Heute, sieben Jahre später – wo ich selbst als Oberleutnant frisch von der Uni in die Truppe zurück komme – bin ich froh, zunächst erst einmal für ein Jahr weiter ausgebildet zu werden, statt gleich so in die Verantwortung geworfen zu werden. Der neue Chef hatte ganze zwei Wochen Zeit, sich einzugewöhnen und die Kompanie auf einen dreiwöchigen Übungsplatzaufenthalt vorzubereiten. Mir fiel sofort auf, wie 98 Leutnantsbuch in den Reihen der Unteroffiziere gespottet wurde, über den Übereifer des „neuen Alten“. Einen Hauptfeldwebel, Zugführer des ersten Zuges, hörte ich einmal sagen, der Oberleutnant habe „keinen Schneid“. Anders als zuvor hatten wir alle plötzlich viel öfter länger Dienst und wurden bezüglich Material und Einhaltung der Vorschriften häufiger beaufsichtigt. Im persönlichen Gespräch erlebte ich ihn als begeisterten Offizier, der diesen Beruf für den besten Beruf hielt, den er sich vorstellen könnte. „Sehen Sie, ich kann mir keinen besseren Beruf für einen jungen Mann vorstellen. Man übernimmt Verantwortung in einer Dimension, die sich andere Menschen in ihrem ganzen Leben nicht vorstellen können.“ Sicher reiner Idealismus, dachte ich mir. Was heißt schon Verantwortung!? Ich war ja erst 20 Jahre alt! Doch auf dem erwähnten Übungsplatzaufenthalt durfte ich etwas beobachten, das meine Einstellung zum Thema Verantwortung prägen sollte. Am letzten Abend nach der Übung war ein geselliger Abend angesetzt, den die Unteroffiziere gleichzeitig zum Anlass nehmen wollten, die frisch zu befördernden Unteroffizieranwärter in ihr Unteroffizierkorps aufzunehmen. Der Spieß spendierte ein Fass Bier und der Oberleutnant hielt sich demonstrativ kurz bei seiner Ansprache. Alle waren guter Laune und im Gespräch mit den alten Feldwebeln bemerkte ich, wie ihre Achtung des jungen Offiziers während des Übungsplatzaufenthaltes gewachsen war. Im Grunde waren wir alle der Meinung, dass alles gut gelaufen war. Der Oberleutnant hat wohl überzeugt. Die Stimmung wurde heiterer. Einige Unteroffiziere wurden mit der Zeit lauter und es begannen bald lautstarke Trinkspiele, in die die teilweise übermüdet aussehenden Unteroffizieranwärter vor allem eingebunden wurden. Als der erste ernsthaft betrunkene Anwärter sich übergeben musste, wollte der 99 Leutnantsbuch Spieß ihm das weitere Trinken mehrerer Schnäpse befehlen. Ich konnte nur noch sehen, wie der Oberleutnant und der Spieß daraufhin gemeinsam den Raum verließen. Als sie zurückkamen, mit ernster Miene, waren die Trinkspiele vorbei. Erst am Tag darauf realisierte ich, was geschehen war. Der Oberleutnant hat das entwürdigende Ritual gegen den Widerstand eines wesentlich dienstälteren Kompaniefeldwebels beendet. Und nicht nur das. Er hat den Spieß sogar gemaßregelt. In der Kompanie wurde in den kommenden Wochen viel darüber gesprochen. Einige hielten das Eingreifen des Oberleutnants für völlig überzogen. Einige rechtfertigten das Trinkspiel als Tradition, die es so schon immer gäbe. Jeder Unteroffizier müsse trinkfest sein. Und dem Spieß dabei Vorschriften machen zu wollen, gehöre sich auch für einen Oberleutnant nicht. Doch einige Andere ‐ darunter der Hauptfeldwebel Zugführer I – korrigierten ihre frühere Einstellung zum neuen Chef. Der Hauptfeldwebel sagte bei einer Gelegenheit: „Damit hat er Schneid bewiesen. Er soll ja nicht unser Kumpel sein, sondern unser Chef.“ HI Für militärische Führer ist es wichtig, zwischen offiziellen, halboffiziellen und inoffiziellen Ritualen zu unterscheiden. Offizielle Rituale helfen den Streitkräften ihr Organisationsziel zu erreichen, Sinnzusammenhänge darzustellen und zu vermitteln, sind also im Zusammenhang der Tradition und Traditionspflege zu sehen. Hingegen stehen inoffizielle Rituale häufig im Zusammenhang mit 100 Leutnantsbuch neuen Herausforderungen, denen sich die Soldatinnen und Soldaten gegenüber sehen und die sie im Gruppenerleben bewältigen wollen. In dem Maße, in dem die Organisation solche Rituale zur Kenntnis nimmt, werden sie zu halboffiziellen Ritualen. Umso wichtiger ist es gerade für angehende Führer, sich die Funktion von Ritualen zu vergegenwärtigen - die ist nämlich keineswegs nur negativ zu sehen - und sich Wissen und Fertigkeiten anzueignen, die Gruppenprozesse sensibel zu beobachten und zu steuern und das positive Potential der Rituale zu entfalten bzw. zu nutzen. Als Richtschnur für das, was bei Ritualen zulässig und akzeptabel ist, sind die WerteFestlegungen der ZDv 10/1 zu sehen, allen voran die Würde des Menschen und sein Recht auf Selbstbestimmung. Erkannte Mängel und Verstöße gegen die Grundsätze der Inneren Führung sind hierbei durch Vorgesetzte konsequent anzusprechen und nachhaltig abzustellen. 101 Leutnantsbuch Nur noch 100 Meter! S ommer 2005. Altenstadt im Schongau. 35 Grad im Schatten. Völlig erschöpft schleppe ich mich im Laufschritt mit den anderen Fahnenjunkern meiner Ausbildungsgruppe Richtung Unterkunft. „Gleich habe ich es geschafft!“, denke ich mir, schließlich kann ich das Fenster meiner Stube bereits sehen. Ich befinde mich auf dem Einzelkämpferlehrgang Teil 1, habe die 48-Stunden-Durchschlageübung fast hinter mir und gefühlte 100 km Gewaltmarsch in den Beinen. Ich bin an den Grenzen meiner körperlichen Leistungsfähigkeit angelangt und will eigentlich nur noch Ruhe haben. „Nur noch 100 Meter!“, brüllt uns der Ausbilder schon seit 15 Minuten hinterher und treibt uns so immer wieder an. Auch wenn diese Entfernungsangabe der tatsächlichen Distanz nicht einmal annähernd entsprach, half es doch ein wenig durchzuhalten. Als ich den Eingang der Ausbildungsinspektion dann endlich im Blick habe und ich mich schon auf eine heiße Dusche freue, reißt mich plötzlich der Befehl „Rechts schwenken“ aus meinen Tagträumen. Das kann doch nicht sein Ernst sein, fluche ich in mich hinein. Jedem war klar, was dieses „Rechts schwenken!“ bedeutete: Es ging noch einmal auf die Hindernisbahn! Ein Blick in die Augen meiner Kameraden verriet mir, dass sie genau wie ich am Ende ihrer Kräfte waren und nur noch aus Trotz durchhielten. Keiner von uns wollte sich die Blöße geben, so kurz vor dem Ziel noch aufzugeben und dem Ausbilder die Genugtuung zu verschaffen, uns „gebrochen“ zu haben. Viermal wurden wir noch im Gruppenrahmen mit vollem Gepäck über die Hindernisbahn geschickt, bevor der Ausbilder zufrieden mit unserer Zeit war. 102 Leutnantsbuch Nach einer kurzen Pause verlegten wir erneut im Laufschritt Richtung Unterkunftsbereich, diesmal jedoch ohne weitere Einlagen. Nachdem wir noch wie in Trance die Waffen gereinigt und die Ausrüstung nachbereitet hatten, bekamen wir endlich den langersehnten Dienstschluss und konnten unsere „Wunden lecken“. Ich habe nur noch kurz geduscht und bin dann erschöpft, aber glücklich ins Bett gefallen. Ich hatte den Lehrgang erfolgreich bestanden und am nächsten Tag würde mir das begehrte Abzeichen verliehen werden! Eine Auszeichnung, von der ich einige Monate zuvor noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Nachdem wir fast ein Jahr lang intensiv auf diesen Lehrgang vorbereitet worden waren, unzählige Orientierungsmärsche absolviert hatten und immer wieder mit Gepäck gelaufen waren, war mit dem morgigen Tag das Ziel erreicht. Nach all den Horrorgeschichten, die ich von den älteren Kameraden über diesen Lehrgang bereits gehört hatte, habe ich selbst kaum daran geglaubt, es schaffen zu können. Und nun war es vollbracht und so langsam realisierte ich an diesem Abend, was ich da geleistet hatte. Der nächste Tag war ein Kontrastprogramm zu den entbehrungsreichen Wochen zuvor mit einem gemütlichen Weißwurstfrühstück. Unsere Ausbilder waren natürlich auch dabei. Zuerst waren wir skeptisch, ob dies eine gute Idee war, schließlich hielten sich unsere Sympathien für sie in Grenzen, angesichts der Torturen, die wir dank ihnen in den letzten Wochen durchlitten hatten. Doch fernab von Ausbildung und Drill waren auf einmal alle durchaus nette Kameraden. HI 103 Leutnantsbuch Erst im Nachhinein wurde uns klar, warum uns die Ausbilder so hart rangenommen hatten. Ohne diese harte und fordernde Ausbildung wäre es nicht möglich gewesen, das eigentliche Lehrgangsziel, jeden an seine persönlichen Grenzen zu führen, zu erreichen. Ich musste mir eingestehen, dass ich meine Ausbilder zunächst falsch eingeschätzt und als „stumpfe Schleifer“ abgestempelt hatte. Während der vier Ausbildungswochen selbst empfand ich diesen Lehrgang als notwendiges Übel der Offizierausbildung und sah keinen Sinn darin, mich den teilweise an Schikane grenzenden Forderungen der Ausbilder auszusetzen. Heute denke ich jedoch gerne an diese Erfahrungen im Grenzbereich zurück und bin immer noch stolz darauf, nicht aufgegeben und den Lehrgang mit Erfolg abgeschlossen zu haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass mich diese vier Wochen nachhaltig geprägt und charakterlich gefestigt haben. Das auf diesem Lehrgang gelernte Durchhaltevermögen wird mir sicherlich auch in Zukunft noch behilflich sein, schwierige und stressige Situationen – insbesondere im Einsatz – erfolgreich zu bewältigen. 104 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Der Abend D ie Ordonanz betritt den Raum und plötzlich ist es ganz ruhig. In den letzten Stunden haben wir angeregt den Erzählungen zugehört, über sie diskutiert oder einfach auch nur geschmunzelt. Jetzt sagt die Ordonanz: „Meine Herren, darf ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen? Normalerweise schließen wir in 30 Minuten – aber wenn Sie noch länger bleiben möchten – kein Problem.“ Hauptmann Seidel blickt in die Runde. Wir schauen uns alle etwas ratlos an. „Also, wenn Sie mich fragen“, sagt Oberstleutnant Stokiwsky, „wird es Zeit, zu Bett zu gehen.“ Wieder verstohlene Blicke zwischen uns und fragende Blicke zwischen uns und Hauptmann Seidel, der dann sagt: „Ich glaube, wir haben alle ein paar Stunden Schlaf verdient! Ich nehme an, Sie sind einverstanden, wenn wir für heute Schluss machen. Wir können uns ja jederzeit noch einmal zusammensetzen.“ Wir sind einverstanden. „Aber eines möchte ich noch anfügen“, sagt Hauptmann Seidel. „Morgen Vormittag vor der Formalausbildung sind noch zwei Stunden Verfügungszeit für mich als Fähnrichoffizier angesetzt. Ich biete Ihnen an, das vorhin auf den Bierdeckeln Erläuterte noch ein wenig zu vertiefen. Ein paar Details hätte ich da noch – ohne Sie langweilen zu wollen.“ Ich antworte sofort: „Ja, ich würde da schon gerne noch ein paar Zusatzinformationen bekommen. Und keine Angst Herr 105 Leutnantsbuch Hauptmann, Sie langweilen uns bestimmt nicht! Oder seht Ihr das anders?“ Nachdem kein Widerspruch von den anderen kommt, sagt Hauptmann Seidel: „Gut, dann sehen wir uns morgen früh im Kompaniebesprechungsraum zu einer kurzen Runde.“ Wir stehen auf, verabschieden uns, zahlen unsere Rechnung und gehen gemeinsam zu unseren Unterkünften. Wir sind nachdenklich geworden. 106 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Selbstbestimmtheit G uten Morgen, Kameraden!“, sagte Hauptmann Seidel. „ „Guten Morgen, Herr Hauptmann!“, antworteten wir. Wir sitzen im Kompaniegebäude der 3. Kompanie im Kompaniebesprechungsraum. Eine völlig andere Atmosphäre als gestern Abend im Offizierheim. Es war ein schöner und interessanter Abend. Ich hatte mich gestern noch kurz mit Annette, Peter, Markus, Jonas, Marcel und Cindy unterhalten. Wir waren einer Meinung. Die verschiedenen Ausführungen und Erzählungen haben uns gefesselt. Manches war zwar „schwere Kost“, aber es hat sich gelohnt, mit den „Alten“ über das Berufsbild des Offiziers zu sprechen. Heute will Hauptmann Seidel uns noch ein paar Hintergrundinformationen zu den Begriffen Selbstbestimmtheit und Erfolgsfaktoren mitgeben. Wir sind gespannt. „Ich hatte Ihnen gestern ja schon „angedroht“, dass ich Ihnen heute noch einige meiner Überlegungen zu unserem Berufsbild mit auf den Weg geben möchte. Die Begriffe Selbstbestimmtheit und Erfolgsfaktoren kennen Sie ja schon. Ich reiche unseren Bierdeckel noch einmal herum – Sie erinnern sich. Beide Bereiche sind von zentraler Bedeutung für die Führungskunst.“ Der Bierdeckel macht seine Runde. Wir erinnern uns. Cindy flüstert: „Wir sollten uns das Modell abmalen. Können wir sicher noch einmal gut gebrauchen.“ 107 Leutnantsbuch „In zwei Stunden haben Sie Formalausbildung. Ich denke, Sie werden noch ein bisschen Zeit brauchen, um sich auf Ihre Funktion als Hilfsausbilder vorzubereiten. Deshalb fange ich gleich mit dem Begriff Selbstbestimmtheit an. Ich habe sechs Aufforderungen zusammengestellt, die den Begriff der Selbstbestimmtheit beschreiben. Sie ist einer der beiden Schlüssel zur Führungskunst. Gleichzeitig eröffnen die Anforderungen auch eine Möglichkeit zur Selbstreflexion und eigenen Positionsbestimmung. Für mich persönlich ist es sehr wichtig, über mich selbst nachzudenken, an mir zu arbeiten, um mich weiterzuentwickeln. Hier heißt meine Devise: Wer sich nicht verändert, wird stehen bleiben, steht in der Gefahr zu scheitern und wird letztendlich auch keine Zufriedenheit im Leben finden. Aber genau darum geht es im Leben. Doch dazu später mehr. 1. Gehöre Dir selbst! In der ersten Aufforderung geht es darum, sich bewusst zu werden, dass Sie selbst die Verantwortung für Ihr Leben tragen. Das bedeutet, nur derjenige, der sich selbst gehört und über sein Leben entscheidet, ist fähig andere zu führen. Für mich bringe ich das so auf den Punkt: Ich versuche, eine eigenständige, eigenverantwortliche und selbstbestimmte Persönlichkeit zu sein und nehme auf Inhalt, Form und Richtung meines Lebens Einfluss. Es wird aber auch deutlich, dass die Gestaltung des eigenen Lebens ein aktiver Prozess ist. Das ist nicht jedem Menschen bewusst und die meisten planen ihren Jahresurlaub besser als ihr eigenes Leben. Ich jedenfalls freue mich, wenn ich wieder eine Entscheidung für mein Leben bewusst gefällt oder ein Ziel erreicht habe. Dann spüre ich, dass ich wirklich lebe, mein Leben nutze und mir selbst gehöre. 108 Leutnantsbuch 2. Nimm Dich wahr! Nimm Dich so wahr, wie du wirklich bist. Wer dieser Aufforderung folgen will, braucht Mut, Ehrlichkeit, selbstkritische Distanz und den Willen zur Objektivität sich selbst gegenüber. Einzugestehen, dass man eine bestimmte Fähigkeit nicht hat oder in nicht ausreichendem Maße, fällt uns oft sehr schwer. Aber ich bin mir sicher, dass man an dieser Aufgabe wächst und ein Profil gewinnt. Gute Menschenführer sind authentisch, haben ein ausgeprägtes Profil, geben auch Schwächen und Fehler zu. Schwächen darf man haben, sie sollten nur das eigene Leben nicht bestimmen. Erfolgreiche Menschenführer haben aber auch klare Vorstellungen von den Dingen, die ihnen wichtig sind, setzen somit Schwerpunkte und besitzen ein Gespür für das, was richtig oder falsch ist. 3. Zeige Persönlichkeit! Ihre besondere Aufgabe als Vorgesetzter besteht darin, Führer, Erzieher und Ausbilder Ihrer Soldaten zu sein. Die Motivation des Soldaten, sich für eine Sache einzusetzen und zu begeistern, ja zu kämpfen und unter allen denkbaren Bedingungen des Einsatzes optimale Leistungen zu erbringen, hängt entscheidend davon ab, wie er behandelt wird, wie er sich selbst in der Gruppe erlebt, wie seine persönlichen Bindungen sind. Wichtig ist für ihn, in welchem Maße er den Vorgesetzten als Mensch und Vorbild erlebt und wie seine emotionalen und sozialen Bedürfnisse befriedigt werden. Wie er geachtet und respektiert wird. Die meisten Soldaten kämpfen im Krieg nicht in erster Linie für hehre Ideale, sondern für die kleine Kampfgemeinschaft und ihren nächsten Vorgesetzten! 109 Leutnantsbuch Es ist ganz offensichtlich, dass nicht jeder zum Vorgesetzten und militärischen Führer geeignet ist. Wodurch zeichnet sich ein vorbildlicher Vorgesetzter aus? Der Schlüssel zum Erfolg als Vorgesetzter und Führer liegt in Ihrer gereiften und gefestigten Persönlichkeit, in Ihrer menschlichen Stabilität und Unbescholtenheit. Beispielhafte Führerpersönlichkeiten schaffen ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens zu ihren Soldaten, indem sie das Gespräch mit ihnen pflegen, ihre Ideen und Auffassungen anerkennen und sie – wo möglich – in den militärischen Alltag mit einbeziehen. Sie berücksichtigen die Bedürfnisse und Gefühle ihrer Soldaten und fördern ihre Fähigkeit zur Selbstständigkeit, Mitwirkung und Mitverantwortung. Die besondere Ausstrahlung, das so genannte Charisma des militärischen Führers, das unmittelbar mit dem Kern seiner Persönlichkeit verknüpft ist, beruht stets auf überzeugendem fachlichen Können, Selbstbewusstsein, Charakterstärke, Intuition, Einstellungsfähigkeit auf schnell wechselnde Situationen, persönlicher Unabhängigkeit sowie auf Einfühlungsvermögen und einem ausgeprägten Normen- und Wertebewusstsein. Mit solchen Vorgesetzten identifizieren sich Untergebene bereitwillig, ihnen vertrauen sie, ihnen leisten sie Gefolgschaft. Für solche Vorgesetzte sind sie letztlich auch bereit zu kämpfen und ihr Leben einzusetzen. Übrigens ist mein Kommandeur nach meiner Meinung ein solcher Führer. Mit ihm würde ich jederzeit an jedem Ort in den Einsatz gehen. Weil von meiner Persönlichkeit viel abhängt, muss ich wissen, wer ich bin, welche Stärken und Schwächen ich habe und wie ich damit umgehe. Nichts gefährdet die 110 Leutnantsbuch Führung von Soldaten mehr als persönliche Unsicherheit, Entscheidungsschwäche oder Forderungen, die ich an andere stelle und selbst nicht erfüllen will oder kann. Lassen Sie mich die vier Persönlichkeitstypen kurz beschreiben, die mir bisher begegnet sind: - Entscheider haben ihre Ziele klar vor Augen und wissen genau, wie sie diese erreichen. Unentschlossen zu wirken, halten sie für eine Schwäche, gleiches gilt bei Zögern oder Zaudern. Sie entscheiden lieber falsch, als zu lange zu warten. Sie gehen mit anderen Menschen nicht gerade zimperlich um und nehmen auf Empfindlichkeiten wenig Rücksicht. Macher lieben Herausforderungen und setzen sich und anderen strenge Maßstäbe. Niemand sollte ihren Führungsanspruch in Frage stellen. - Stimmungsmacher sind eloquent und lieben es, unter vielen Menschen zu sein. Ein großer Bekanntenkreis ist ihnen wichtig, und sie kommen mit Fremden schnell ins Gespräch. Oftmals sind sie auch kreativ, lassen sich gerne von neuen Dingen anregen und haben selbst viele Ideen, setzen aber die wenigsten um. - Beständige sind Menschen, auf die man sich absolut verlassen kann. Sie sind vorsichtig, mit wem sie Freundschaft schließen. Nur wenn andere auch an echter Freundschaft interessiert sind, kommen sie zusammen. Daher haben sie einen kleinen Bekanntenkreis mit engen Freunden. Das Familienleben lieben sie. Sie sind die geborenen Teamplayer und können sich hervorragend auf andere einstellen, nehmen Rücksicht und sind bereit 111 Leutnantsbuch ihre eigenen Interessen unterzuordnen. Für alles, was sie tun, brauchen sie Zeit und Ruhe. - Analytiker nehmen sich viel Zeit. Sie durchdenken ein Problem bis ins letzte Detail und suchen die perfekte Lösung. An Kontakten mit anderen sind sie nicht sonderlich interessiert. Sie wirken sehr distanziert. Freundschaften halten aber bei ihnen ein Leben lang. Sie brauchen für alles einen Plan, eine Struktur und genügend Zeit. Spontaneität ist nicht ihre Sache. Grundsätzlich glaube ich, dass kein Persönlichkeitstyp in „Reinkultur“ vorkommt, sondern immer auch Eigenschaften anderer Typen in sich vereinigt. Wichtig ist es, diese unterschiedlichen Faktoren der Persönlichkeit in sich selbst und in den verschiedenen Lebenslagen zu erkennen sowie zu lernen, damit umzugehen. Nur dann kann man sein Potenzial angemessen entwickeln und wirkungsvoll nutzen. Jeder Mensch wird durch einen Persönlichkeitstyp besonders geprägt. Aber erst das Vorhandensein anderer Eigenschaften und deren bewusste und situationsgerechte Nutzung führen zu einer ausgeglichenen Persönlichkeit, der man gerne folgt. Ich habe lange über Werte nachgedacht. Gar nicht so einfach. Aber ein paar grundlegende Ideen habe ich schon entwickelt. Genauso wichtig wie das Erkennen der eigenen Persönlichkeit ist ein gemeinsames oder ähnliches Grundverständnis vom Zusammenleben und menschlichem Miteinander. In diesem Zusammenhang kommt den Werten, die man verinnerlicht hat und für die man „einsteht“, eine besondere Bedeutung zu. Hier liegt die Grundlage für ein – ich nenne es – werteorientiertes Führen. 112 Leutnantsbuch Was sind denn jetzt eigentlich Werte? Werte sind für mich Vorstellungen und Überzeugungen, die ein menschliches und zivilisiertes Zusammenleben beschreiben und allgemein oder zumindest von vielen in einer Gesellschaft als wertvoll und wünschenswert anerkannt sind. Ziel ist, dass ein menschliches Leben in Gemeinschaft glücken und gelingen kann. Werte sind somit Zielvorgaben, die es wert sind, verfolgt zu werden und für sie auch Risiken in Kauf zunehmen. Neben allgemein gültigen Werten gibt es noch individuelle Werte, die je nach Persönlichkeitstyp und Lebensalter unterschiedlich sind oder unterschiedliche Bedeutung oder Gewichtung haben. Es ist für mich als Offizier sehr wichtig, mich mit Werten auseinander zu setzen. Sie liefern mir Motivation und Fundament für meine Tätigkeit als Führer, Ausbilder und Erzieher meiner Soldaten und können mir helfen, schwierige Lagen im Einsatz besser zu bewältigen und in Extremsituationen oder Grenzfällen zu bestehen. Werte spielen im Selbstverständnis und Handeln des Soldaten eine herausgehobene Rolle. Auf der Grundlage von Werten, wie sie in der christlich abendländischen und humanistischen Kultur entwickelt wurden, rechtfertigt sich mein Einsatz als Soldat. Wir sind ihnen verpflichtet, wir treten für sie ein und richten unser Handeln nach ihnen aus. Das haben Sie sicher in dieser oder in einer ähnlichen Form schon einmal gehört. Ich will Sie auch nicht langweilen, denke aber, dass man sich immer wieder einmal bewusst machen muss, aus welchem Kulturkreis man kommt und wie sich dieser entwickelt hat. War von Ihnen schon einmal jemand im Museum der Deutschen Geschichte in Berlin?“, fragt Hauptmann Seidel. 113 Leutnantsbuch Aus unserem geistigen Höhenflug herausgerissen, schauen wir uns an. Offensichtlich war ich der einzige, der schon einmal dort war. „Ja, ich, Herr Hauptmann“, sage ich und ergänze: „Ein sehr interessantes Museum über die Deutsche Geschichte, aber man braucht viel Zeit. Wenn man erst ’mal „durch“ ist, bekommt man schon eine ganz gute Vorstellung von unserer Kultur – und wie wir hier in Europa in eine Jahrtausende alte Zivilisation eingebettet sind.“ Hauptmann Seidel pflichtet mir bei: „Sie sagen es! Ich kann nur empfehlen, dieses Museum zu besuchen, wenn Sie ’mal in Berlin sind. Aber noch einmal zurück zu den Werten. Ich habe für mich ganz persönlich einmal meine Werte zusammengefasst. Also wertvolle Dinge in meinem Leben, die erstrebenswerte Vorstellungen von einem friedlichen Zusammenleben und einem eigenen zufriedenen und erfüllten Leben beschreiben. Sie sind einerseits allgemeingültige, andererseits individuelle Werte. Die allgemeingültigen Werte Recht, Freiheit und Sicherheit bilden damit eine gesellschaftliche Norm. Die individuellen Werte werden von vielen Offizieren mitgetragen. Recht beinhaltet die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, Gewaltenteilung, Garantie der Grundrechte, den Rechtsschutz und die Unabhängigkeit der Gerichte. Freiheit umfasst die Grundrechte in einer Demokratie wie freie Entfaltung der Persönlichkeit, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Solidarität, 114 Leutnantsbuch Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl, um nur einige zu nennen. Sicherheit steht für Frieden und Schutz der physischen und psychischen Unversehrtheit des Menschen. Also auch für die unantastbare Würde eines jeden Menschen sowie die Summe der Grund- und Menschenrechte, auf die man selbst nicht verzichten kann. Dies bedeutet, nicht gewalttätig gegenüber sich selbst und anderen zu sein, keinem anderen Schaden zuzufügen, niemanden zur Gewalt zu verleiten und keine Gewalt zu verherrlichen. Balance im Leben zu halten, bedeutet, ein ausgewogenes Leben zwischen den beruflichen und privaten Tätigkeiten zu führen und auf die Bedürfnisse der Familie, das eigene Wohlbefinden und sein Selbst zu achten. Eine Balance besteht auch in einem regelmäßigen Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe sowie zwischen Alleinsein und Gesellschaft. Familie und soziale Kontakte innerhalb einer Gemeinschaft sind Keimzelle und Kernpunkte menschlichen und staatlichen Zusammenlebens. Nächstenliebe, soziales und kulturelles Engagement und ehrenamtliche Tätigkeiten halten eine Gesellschaft zusammen, machen sie lebenswert, stiften Sinn und festigen ein gemeinsames Wertgefüge. Wohlbefinden ist als Grundlage zur Bewältigung psychischer und physischer Belastungen erforderlich und macht das Leben lebenswert. 115 Leutnantsbuch Persönlichen Raum zu haben, bietet die Möglichkeit, frei zu atmen und sich wohl fühlen zu können. Genügend Zeit für sich selber zu finden ist lebensnotwendig. Stille, in die man sich zurückziehen kann, um die notwendige Distanz und Gelassenheit zu erhalten oder zurückgewinnen zu können. Naturverständnis und Umweltbewusstsein meint, die Schöpfung mit allen Sinnen zu erfahren und als Geschenk zu begreifen, das auch den künftigen Generationen als Lebensgrundlage erhalten bleiben muss. Geistiges Wachstum hilft schließlich, Sinnzusammenhänge zu erkennen, zu verdichten und auch anderen vermitteln zu können. Wenn wir über Werte sprechen, dann müssen wir auch über Tugenden sprechen. Tugenden helfen, die den Werten zugrunde liegenden Zielvorstellungen, zu verwirklichen. Sie sind so etwas wie eine ethische Wegbeschreibung und dienen gleichsam als „Handwerkszeug“, um der eigenen Verantwortung in den unterschiedlichen Anforderungen und Lebenssituationen gerecht werden zu können. Sie sind also charakterliche Fähigkeiten und innere Einstellungen, um sich gemäß den Werten richtig und gut zu verhalten. Tugenden geben damit dem menschlichen Miteinander eine Ordnung. Sie berücksichtigen dabei die universell geltende „Goldene Regel“: „Keinem anderen antun, was man selbst nicht erleiden möchte“. Dabei müssen Tugenden im Laufe des Lebens eingeübt und weiterentwickelt werden. Dies kann nur im Kontext von Erfahrungen und Erlebnissen geschehen. 116 Leutnantsbuch Es gibt eine Vielzahl von Tugenden und deren Kategorisierungen. Ich orientiere mich an den vier klassischen Kardinaltugenden, die für Menschen, denen Macht und Verantwortung anvertraut wurden, besonders wichtig sind, und an den soldatischen Tugenden der Bundeswehr. Zur weiteren Orientierung habe ich noch andere Tugenden ergänzt, die jeder nach seinem eigenen Bedürfnis verinnerlichen kann. Lassen Sie mich ein paar Worte zu den sogenannten klassischen Kardinaltugenden sagen, die uns bereits aus der Antike überliefert sind. Sie haben davon sicher schon einmal gehört. Diese vier Tugenden haben ihren Namen von dem lateinischen Wort ‘cardo’ erhalten. ‘Cardo’ bedeutet ‘Türangel’. Kardinaltugenden sind also gleichsam die Dreh- und Angelpunkte in einem Wertesystem. Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Mäßigung sind die Kardinaltugenden, an die sich weitere Tugenden anschließen. Die Gerechtigkeit steht an erster Stelle und bildet wiederum die Grundlage für die übrigen Kardinaltugenden. Sie meint einen nach moralischen Maßstäben angemessenen Ausgleich von Interessen und ist die anerkannte Norm menschlichen Zusammenlebens unter Verzicht auf Privilegien. Durch Fairness und verlässliche Partnerschaft gilt es, dem anderen, aber auch sich selbst, gerecht zu werden. Nach der realistischen Sicht der Dinge – damit ist eben die Klugheit gemeint – gilt es, die Situation gerecht zu interpretieren. - Der Gerechte fordert das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten. - Der Gerechte benachteiligt niemanden. - Der Gerechte richtet auf und ordnet. - Der Gerechte will es zum Guten richten. 117 Leutnantsbuch - Der Gerechte wurzelt in der Menschenwürde und den Menschenrechten. Der Gerechte fordert Chancengleichheit. Der Gerechte handelt fair und ist berechenbar. Der Gerechte scheut keine Rechenschaft. Der Gerechte fordert den Ausgleich zwischen Individualismus und Kollektivismus. Der Gerechte ist barmherzig. Die Klugheit ist die Fähigkeit zu angemessenem Handeln in einem konkreten Einzelfall, unter Berücksichtigung aller für die Situation relevanten Faktoren, individuellen Handlungsziele und sittlichen Einstellungen. Es gilt der Grundsatz: Zuerst denken, dann handeln. Durch Selbstreflexion werden das Urteilsvermögen und die Entscheidungskompetenz gestärkt, um so vernünftig und nicht zufällig zu handeln. Im Zusammenhang mit Klugheit wird seit Platon die Weisheit synonym genannt. Weisheit befähigt als „Frucht“ der Klugheit zum rechten Urteil und befähigt weiter, die Konsequenzen des Handelns zu erkennen und zu übernehmen. - Der Kluge entwickelt einen Sinn für die Realität. - Der Kluge ist scharfsinnig und stellt Fragen. - Der Kluge reflektiert und durchschaut Zusammenhänge. - Der Kluge bleibt bodenständig. - Der Kluge lernt aus Fehlern. - Der Kluge ist vorausschauend. - Der Klügere gibt nach, wenn es nicht wirklich um substantielle Dinge geht. 118 Leutnantsbuch Die Tapferkeit ist die menschliche Fähigkeit, einer schwierigen Situation mit der Überzeugung entgegen zu treten, etwas Gutes und Richtiges zu tun, ohne eine Garantie auf die eigene Unversehrtheit zu erhalten. Tapferkeit wird daher verstanden als Mut zum sittlich begründeten Standpunkt und zum höchsten persönlichen Einsatz unter Inkaufnahme von Risiken bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Tapferkeit stellt nach Aristoteles die ausgewogene Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit dar. Sie ist damit die konkrete und energische Umsetzung von Klugheit und Gerechtigkeit in die Tat. - Der Tapfere verteidigt das sittliche Gute. - Der Tapfere ist bereit, dafür Verwundung und sogar den eigenen Tod hinzunehmen. - Der Tapfere hält mehr stand, als dass er angreift. - Der Tapfere ist verlässlich und gibt seine Hoffnung nicht auf. Die Mäßigung, oft auch Besonnenheit genannt, als ein bewusstes Maßhalten zwischen einem ungesunden Übermaß und vollständigem Verzicht, wirkt jedem Extrem entgegen und lässt Spannungen gar nicht erst entstehen. Das Maß zwischen Müßiggang und Arbeitssucht ist Disziplin und Fleiß, das Maß zwischen Geiz und Verschwendung ist Großzügigkeit und zwischen blinder Gefolgschaft und Willkür ist es Loyalität. - Der Maßvolle sucht das richtige und „angemessene“ Mischungsverhältnis zwischen Zuviel und Zuwenig. - Der Maßvolle bestimmt stets das rechte Maß neu. - Der Maßvolle meidet jegliches Extrem. - Der Maßvolle kennt seine Grenzen. 119 Leutnantsbuch Weil der Philosoph Platon für diese hier dargestellten Zusammenhänge einmal das sehr treffende Bild von einem Wagenlenker und einem Pferdegespann verwendet hat, spricht man bei den Kardinaltugenden manchmal auch von dem 'Viergespann'. Das Christentum kennt aber auch die sogenannten drei christlichen Kardinaltugenden, die im 13. Kapitel des Ersten Korintherbriefes dargestellt werden, nämlich Glaube, Hoffnung und Liebe. Und an erster Stelle steht dabei die Liebe. Diese Tugenden werden oft als Kreuz, Anker und Herz dargestellt. Vielleicht lesen sie diesen schönen Text im Neuen Testament einmal nach – ich versichere Ihnen, es lohnt sich. Soviel zunächst einmal zu den sogenannten Kardinaltugenden.“ „Herr Hauptmann“, schaltet sich Annette aufgeregt ein, „jetzt weiß ich endlich auch, was Kreuz, Anker und Herz in diesem Zusammenhang bedeuten. Meine Oma hat mir nämlich ein goldenes Halskettchen vererbt, an denen diese drei Symbole als Anhänger aufgereiht sind. Meine Oma hat sich also sicher etwas dabei gedacht und ich habe das bis eben gar nicht gewusst! Aber ich hätte da gleich noch eine Frage. Sind diese Tugenden nicht, na ja, ein bisschen wenig? Mir fallen auch noch ganz andere Tugenden ein, die mir hier einfach fehlen. Ganz besonders natürlich typische Tugenden unseres Berufes. Ich meine aber auch, dass es noch viel mehr Tugenden gibt, die wohl auch in unterschiedlichen Berufen unterschiedlich „bewertet“ werden.“ 120 Leutnantsbuch „Ja, was ist zum Beispiel mit Respekt oder Pünktlichkeit?“, fragt Peter. „Recht haben Sie! Ich war ja auch noch nicht ganz fertig! Soldatische Tugenden sind für mich Kameradschaft, Treue und wiederum Tapferkeit. Kameradschaft ist die Pflicht jedes Soldaten, seinem Kameraden unter allen Umständen – auch unter Lebensgefahr – beizustehen. Das Besondere an der soldatischen Kameradschaft ist, dass sie nicht an persönliche Verbundenheit im Sinne von Freundschaft oder bloßer Kumpanei gebunden ist, sondern von jedem Soldaten als Dienstpflicht gefordert wird. Die Kameradschaft verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Die Pflicht zur Kameradschaft schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht, Fürsorge und Achtung fremder Anschauungen ein. Treue gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und damit Treue gegenüber unserer Werteordnung sowie dem Primat der Politik meint die Anerkennung und gewissenhafte Umsetzung von verbindlichen Weisungen der demokratisch legitimierten Bundesregierung. Neben der Umsetzung gehört zur Treue auch, alles, was die Auftragserfüllung beeinträchtigen würde, zu unterlassen. Treue zeigt sich in bestimmten Verhaltensweisen wie Einsatzbereitschaft, Zuverlässigkeit, Gehorsam und der gewissenhaften Erfüllung der soldatischen Pflichten. Die besondere Treuepflicht für Soldaten beinhaltet auch die Hinnahme von erhöhten Gefahren. Treue basiert auf Vertrauen und Loyalität. 121 Leutnantsbuch Tapferkeit habe ich ja bereits als Kardinaltugend dargestellt. Weil diese Tugend aber die klassische Soldatentugend darstellt, will ich sie noch etwas genauer ausführen. Sie gilt als fester Bestandteil der soldatischen Treuepflicht. Hier wird dem Soldaten verdeutlicht, dass er in Überwindung persönlicher Angst handeln soll und im äußersten Fall auch sein Leben für die durch ihn zu verteidigenden Güter einsetzen muss. Tapferkeit ist damit ein Ziel der Erziehung und Selbsterziehung des Soldaten, dessen Wille zur treuen Pflichterfüllung stärker als die Furcht ist. Die Verteidigung von Recht und Freiheit macht somit den Einsatz des ganzen Menschen notwendig. Die soldatischen Tugenden ergeben damit eine Norm für den Soldatenberuf mit Gesetzescharakter. Und es gibt selbstverständlich – wie Sie schon festgestellt haben – eine Menge weiterer Tugenden. Ich habe mir einmal ein paar aufgeschrieben, was mir dabei noch so in den Sinn gekommen ist. Und weil mir dazu eine Systematik schwer fällt, habe ich sie einfach alphabetisch geordnet.“ Hauptmann Seidel kramt in seiner Tasche, zieht einen Zettel heraus und liest vor: „Achtsamkeit, Anständigkeit, Aufgeschlossenheit, Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit, Ausdauer, Ausgeglichenheit, Barmherzigkeit, Beharrlichkeit, Bescheidenheit, Besonnenheit, Beständigkeit, Dankbarkeit, Demut, Disziplin, Durchsetzungswille, Echtheit, Ehrlichkeit, Entschlossenheit, Fairness, Flexibilität, Geradlinigkeit, Gelassenheit, Großmut, Güte, Hingabe, Höflichkeit, Kritikfähigkeit, Lernfähigkeit, Menschlichkeit, Mitgefühl, Mitleid, Mut, Objektivität, Offenheit, Opferbereitschaft, Ordnungssinn, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Rechtschaffenheit, Respekt, Sachlichkeit, Sauberkeit, 122 Leutnantsbuch Selbstbeherrschung, Selbstlosigkeit, Sparsamkeit, Solidarität, Taktgefühl, Tatkraft, Toleranz, Unbestechlichkeit, Unparteilichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Vernunft, Verschwiegenheit, Vertrauen, Wahrhaftigkeit, Zurückhaltung. Die Liste ist sicher nicht vollständig und Sie können sich ja selbst überlegen, welche Tugenden Ihnen noch fehlen. Wichtig ist: Mit der Beschreibung der eigenen Persönlichkeit, den Werten und Tugenden ist die eigene Wahrnehmung abgeschlossen. Lassen Sie mich noch einmal zu den Aufforderungen zurückkommen, die ich in Bezug auf die Selbstbestimmtheit genannt hatte. Ich habe da noch ein paar mehr. 4. Akzeptiere Dich! Nimm Dich so an, wie Du wirklich bist! Die Selbstwahrnehmung ist die eine Seite der Medaille, die aber nichts ist ohne die andere Seite, das Annehmen der eigenen Persönlichkeit mit ihren verinnerlichten Werten, Überzeugungen und Tugenden. Sich zu akzeptieren, wie man wirklich ist, bedeutet nicht, vor weniger ausgebauten Fähigkeiten oder gar Schwächen zu resignieren. Die Aufforderung zur Selbstakzeptanz meint, Stärken und Schwächen richtig einzuschätzen, das Entwicklungspotenzial der eigenen Persönlichkeit zu erkennen und auf angemessene und sinnvolle Weise damit umzugehen. Nur wenn ich mich selbst annehme, gewinne ich an Selbstvertrauen und kann auch andere mit ihren Stärken und Schwächen annehmen. Tue ich dies nicht, besteht in hohem Maße die Gefahr, an der Erfüllung meiner Aufträge zu scheitern. 123 Leutnantsbuch Oftmals stelle ich fest, dass man sich mit anderen Soldaten vergleicht. Der ist besser oder schlechter als ich. Mein Selbstwert oder auch meine innere Freiheit sollten aber nicht aus dem Vergleich mit anderen entstehen, sondern aus eigener realistischer Einschätzung dessen, was ich tatsächlich will und kann. Diese Art der Selbstbeurteilung ist schwer und erfordert intensives Nachdenken über die eigene Person und ihr Verhalten. Eine Portion Humor oder etwas Selbstironie können dabei hilfreich sein. Daher gilt: Sei echt und glaubwürdig, verstelle Dich nicht, sonst wirst Du unter Belastung und extremen Bedingungen scheitern, möglicherweise sogar Dein Leben und das anderer Menschen gefährden. 5. Genüge Dir selbst! Mit dieser Aufforderung will ich die Kardinaltugend der Mäßigung nochmals aufgreifen, da ich sie gerade in der heutigen Zeit, in der die Möglichkeiten scheinbar grenzenlos sind, für sehr gefährdet halte. Ich möchte deutlich machen, dass wir eine eigene ausbalancierte und gefestigte Position entwickeln müssen. Dies bedeutet immer auch, die Extreme zu meiden, sich zu mäßigen und nicht jedem Trend ungeprüft zu folgen. Maß halten ist dabei die Tugend, die alles in eine verantwortungsvolle Richtung lenkt. Für mich bedeutet „Genüge Dir selbst“ konkret Folgendes: - Die eigenen Bedürfnisse und Wünsche gut kennen, sie steuern und kontrollieren können. Ich muss nicht alles haben, nicht alles sofort haben, nicht jedem Trend oder jeder „Modetorheit“ folgen. - Entspannungsmomente bewusst nutzen, Zeit mit mir allein verbringen und so Abstand zu meinen Aufgaben gewinnen. Gelassenheit den Dingen gegenüber entwickeln, die nicht in meiner Hand sind. 124 Leutnantsbuch - Die eigene Leistungsfähigkeit und ihre Grenzen gut kennen, realistische Erwartungen haben und keine überzogenen Ansprüche stellen. 6. Behalte die Kontrolle! Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass das Nachdenken und die Kontrolle des eigenen Verhaltens für uns als Offiziere besonders wichtig sind. Damit meine ich, dass ich mein Verhalten ständig beobachten, Beweggründe erkennen und mein konkretes Handeln im Umgang mit Menschen analysieren muss. Nur auf diese Weise kann ich mich weiterentwickeln und den anvertrauten Soldaten gerecht werden. Dies bedeutet manchmal auch, Distanz gegenüber den Dingen zu besitzen und vorschnelle Reaktionen zu vermeiden. Zusammenfassend auf den Punkt gebracht kann man sagen: „Sei wie Du bist!“ – eine selbstbestimmte Persönlichkeit. Das ist der erste Schlüssel zur Führungskunst, ein steiniger lebenslanger Weg mit vielen Höhen und Tiefen, den man aber als Offizier mit Führungsverantwortung frühzeitig antreten muss. Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere Menschen führen. Und im Sinne der Inneren Führung möchte ich dazu noch ergänzen: Wer Menschen führen will, muss Menschen mögen.“ Hauptmann Seidel blickt uns nach diesen Ausführungen der Reihe nach an. Es herrscht eine fast feierliche Stille. Wir hören nur das Gekritzel von Cindy, die angefangen hat, sich einige Notizen zu machen. „Sie brauchen sich das nicht aufzuschreiben“, sagt Hauptmann Seidel. „Ich habe vor einigen Monaten ein paar Notizen dazu gemacht. Kein Vortrag oder so, einfach nur ein 125 Leutnantsbuch paar Stichworte. Das gebe ich Ihnen gerne mit, vielleicht können Sie ja mal einen kleinen Vortrag daraus entwickeln. So etwas kann man immer gut gebrauchen – besonders im Kameradenkreis. Schließlich sind Sie nicht alleine als Offizieranwärter!“ Nach einer kurzen Pause kommen wir „geplättet“ in den Kompaniebesprechungsraum zurück. Hauptmann Seidel lächelt uns an und sagt: „Lassen Sie sich nicht entmutigen durch meinen theoretischen Vortrag! Denken Sie an die vielen Geschichten, die wir gestern ausgetauscht haben. Daran können Sie all das messen, was ich Ihnen eben zu erklären versucht habe. Außerdem geht das Leben weiter! In vierzig Minuten stehen Sie vor der Front auf dem Formalausbildungsplatz! Da müssen Sie konzentriert sein. Auf geht’s!“ Annette, Peter, Markus, Jonas, Marcel, Cindy und ich bedanken uns bei Hauptmann Seidel, auch wenn wir noch nicht alles verarbeitet haben. „Herr Hauptmann, Sie hatten angeboten, uns Ihre Notizen verfügbar zu machen. Wir sind ja nur noch kurze Zeit hier. Wäre es möglich, dass wir die Unterlagen noch in dieser Woche bekommen?“ „Kein Problem“, antwortet Hauptmann Seidel mit einem Blick auf seine Uhr. „Sie müssen los, sonst wird es eng für die Formalausbildung!“ Dann scheucht er uns aus dem Besprechungsraum. 126 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Im Restaurant H eute ist Donnerstag und Offizierweiterbildung stand auf dem Ausbildungsprogramm. Wir haben das Blüchermuseum in KAUB am RHEIN besucht und bei einer Geländebesprechung den Blücherschen Rheinübergang in der Neujahrsnacht 1814 nachvollzogen. Uns war gar nicht bewusst, dass die Befreiungskriege (1813–1815) eine der Traditionslinien der Bundeswehr sind. Annette, Peter, Markus, Jonas, Michael, Cindy und ich sitzen am Abend mit den Teilnehmern der Weiterbildung in der „Bachforelle“, einem kleinen und netten Restaurant in KAUB und lassen den Ausbildungstag ausklingen. Heute war viel von Tapferkeit die Rede gewesen und wir erinnern uns an den Vortrag von Hauptmann Seidel vor wenigen Tagen im Besprechungsraum der 3. Kompanie, als er von der Kardinaltugend „Tapferkeit“ sprach. „Ja, das stimmt“, ergänzt an dieser Stelle der Kommandeur, der sich zu uns an den Tisch gesetzt hat, „auch in unserer Bundeswehr haben wir genügend Beispiele, von denen wir etwas über Tapferkeit lernen können“. Dann fragt ein Hauptmann, der neu an den Tisch gekommen ist: „Wie kommen Sie denn auf den Begriff der Tapferkeit? Ich habe vorhin schon das ein oder andere Gespräch aufgenommen, das unsere jungen Offizieranwärter hier geführt haben.“ Hauptmann Seidel ergreift das Wort. „Wenn Sie erlauben, Herr Oberstleutnant“, wendet er sich an den Kommandeur und fährt fort: „Wir, das heißt diese Offizieranwärter hier 127 Leutnantsbuch und ich, haben schon einige Male zusammen gesessen und uns über das Besondere unseres Berufes unterhalten. Eigentlich fing alles ganz harmlos an, als sie mich fragten, was mein berufliches Selbstverständnis sei. Seitdem haben wir während verschiedener Gespräche mit anderen Offizieren immer wieder Erlebnisse ausgetauscht, die das Besondere am Offizierberuf ein wenig verdeutlichen. Und gerade heute, als Herr Schmidt, der Museumsführer, uns sehr bewegend von den Ereignissen während der Befreiungskriege erzählte, kamen wir auf den Begriff Tapferkeit zu sprechen.“ „Ach so“, antwortet der Hauptmann und legt seine Stirn ein wenig in Falten. „Aber Recht gebe ich Ihnen, Herr Oberstleutnant! Tapferkeit als soldatische Tugend erleben wir auch in unserer Bundeswehr – und das nicht nur in den Einsätzen!“ Der Kommandeur, der gerade sein Essen bestellt hat, ermuntert alle am Tisch, ein Erlebnis oder eine kleine selbst erlebte Geschichte zu erzählen. Er meint, das sei eine gute Gelegenheit, einmal über Tapferkeit nachzudenken. Fast hört sich das wie ein Auftrag an, entsprechend ruhig bleibt der Tisch. Der Kommandeur schaut in die Runde. Endlich meldet sich ein Oberleutnant zu Wort. „Ich weiß zwar nicht einhundertprozentig, ob der Begriff Tapferkeit passt, aber ein Erlebnis hatte ich, das ich gerne erzählen möchte.“ Und so beginnt erneut der Austausch eigener Erfahrungen. Erlebnisse werden erzählt, dazwischen wird kurz diskutiert. Meistens aber bleiben die kleinen Geschichten für sich im Raum stehen und wirken aus sich heraus. Dann folgt der erste Bericht … 128 Leutnantsbuch Wasserwärts Marsch! E nde Januar, minus achtzehn Grad, Schlauchbootausbildung auf der Donau. Zwei Schlauchboote liegen nebeneinander, die zugehörige Ausrüstung ist sauber daneben aufgereiht. Halte-, Bindeleinen, Paddel, Blasebälge und vieles mehr liegt in Reih und Glied vor uns. Wir Lehrgangsteilnehmer stehen im Gefechtsanzug um die Boote versammelt und blicken uns fragend an: Paddeln bei diesem Wetter? Als ich vorher aus der Feldflasche trinken will, ist diese gänzlich eingefroren. „Bei gutem Wetter kann ja jeder“, meint unser Hörsaalleiter, als hätte er unsere Gedanken gelesen. Das heißt für uns Boote aufrüsten und Schwimmwesten anlegen. Das Bootszubehör wird dabei an den vorgesehenen Plätzen verstaut und befestigt. Als Abschluss unserer Ausbildung am großen Schlauchboot ist ein Wettkampf zwischen zwei Schlauchbooten à neun Oberleutnante beziehungsweise Fahnenjunkern angesetzt. Das am Vortag Gelernte soll vertieft und selbstständig angewendet werden. Aufgabe ist es, das Schlauchboot zu Wasser zu bringen, die Donau zu queren, bis zur circa 400 Meter oberstrom gelegenen Brücke und retour zu paddeln. Die Mannschaft, die als erste ihr Boot wieder an Land abstellt hat gewonnen. Der Hörsaalleiter verteilt uns auf die beiden Boote, wobei ich eine Mannschaft führen darf. Es gibt zwar keinen Preis für die Gewinner, aber es geht um die Ehre. Umso mehr sind wir alle motiviert und heiß auf das Rennen. Die Vorbereitungen beginnen. Ich vergewissere mich nochmals kurz, dass die Abläufe und Kommandos noch von der Vorausbildung bekannt sind. In der Hoffnung, das Schlauchboot möge straffer im Wasser liegen, lasse ich mittels Blasebalg nochmals die Luftkammern nachfüllen. Die Kameraden verteilen sich der Größe nach an beiden 129 Leutnantsbuch Seiten. Die Stimmung ist gut. Alle warten auf das Startkommando. Doch dann kommt Gemurmel auf: „Der Einstieg ist vereist. Wir kommen überhaupt nicht ans Wasser“, meint ein Kamerad. Jetzt prüfe auch ich die Stelle genauer und tatsächlich, eine solide Eisplatte versperrt die Einsetzstelle. So können die Boote nicht gewassert werden. Ansonsten besteht das diesseitige Ufer nur aus bewachsener Böschung, zu steil zum Wassern. Heißt es nun Ersatzausbildung? Fällt der Wettkampf etwa im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser? Guter Rat ist jetzt teuer. Doch unser Hörsaalleiter meint nur lässig: „Männer, wir Pioniere machen keine Probleme, wir lösen Sie! Ich habe gerade eben telefoniert: In fünf Minuten ist ein Schaufelbagger hier.“ Und tatsächlich biegt nur wenig später ein gelber Radlader um die Ecke in den Hafen ein. Nach zehn Minuten Knacken und Knirschen ist der Einstieg eisfrei und die Ausbildung kann tatsächlich losgehen. Unser Hauptmann hatte die Situation schon früh erkannt und zeitgerecht gegengesteuert. Er war uns wieder einmal einen Schritt voraus. Sein unkonventionelles Handeln hat uns alle beeindruckt. „Trick siebzehn“, wie wir solche Aktionen nennen, hat wieder funktioniert. Wir nehmen erneut unsere Startposition ein und warten gespannt auf das Rennen. Endlich kommt das Kommando: „Auf die Plätze, fertig, los!“. Ich lasse das Schlauchboot auf die Schultern heben und gemeinsam heißt es: „Wasserwärts Marsch!“. Wir versuchen, im Gleichschritt zügig voranzukommen, denn trotz der guten Gewichtsverteilung merkt man doch die Masse des Bootes. „Leichtes Übergangsmittel“, keucht der Kamerad neben mir. Gleichauf mit der anderen Mannschaft erreichen wir die Donau. Am langen Arm schieben wir unser Boot ins Wasser. Ich rücke zuerst ein, der Anleger zuletzt. Mit einem kräftigen Ruck drückt dieser uns los. Wir paddeln an, geradewegs auf die Donau hinaus. Die Strömung erfasst das 130 Leutnantsbuch Boot und ich nehme sofort Gierstellung ein, um nicht unnötig Strecke zu verschenken. Beim Überqueren nimmt die Strömung zur Mitte des Flusses immer mehr zu und wir müssen das Boot mehr zur Stromlinie hin drehen. Fast zeitgleich mit der gegnerischen Mannschaft erreichen wir das jenseitige Ufer. Jetzt gilt es, Strecke zu machen. Dazu positioniere ich uns so nah wie möglich an der Uferlinie, um der Strömung zu entgehen. Die Kameraden im zweiten Boot legen sich direkt neben uns. Im Sandwich zwischen dem gegnerischen Boot backbord und dem Ufer steuerbord, paddeln wir voran. Jetzt macht sich die geringere Stromgeschwindigkeit bemerkbar und wir gewinnen langsam die Führung. Ich treibe meine Kameraden an. Auf mein Kommando “Eins“ holen die Männer ihr Paddel vor und mit einem „Zwo“ ziehen sie kräftig durch. So schaffen wir es mit kraftvollen Zügen, unseren Vorsprung auszubauen. Das „Eins-Zwo“ ist dabei weit zu hören. Es ist Motivation und Taktgeber zugleich. Das Rennen dauert schon eine Weile an, sodass die ersten Muskeln anfangen zu brennen. Die ersehnte Wendemarke ist aber noch weit. Vielleicht haben wir erst die Hälfte der Wegstrecke zur Brücke geschafft. Unglaublich, wie sehr doch die Strömung das Schlauchboot bremst und unsere Kraft aufzehrt. Unaufhörlich strömt das dunkle Wasser unter uns hindurch. Jetzt heißt es durchzuhalten. Die Mannschaft nimmt das Tempo zurück, damit die Männer ihre Kräfte schonen können. Wir müssen uns das Rennen einteilen. Trotz der minus achtzehn Grad schwitzt mittlerweile jeder an Bord. Die Kälte macht sich dennoch bemerkbar. Immer wieder müssen Paddel abgeklopft werden, weil das Wasser während des Vorholens auffriert. Erstaunt schaue ich mich um und auch am Steuerpaddel hat sich eine dicke Eisschicht gebildet. Wie schon gesagt, bei schönem Wetter kann ja jeder. 131 Leutnantsbuch Endlich erreichen wir die Brücke. Ich drehe das Boot und stelle es diesmal voll in die Strömung. Man merkt sofort, wie wir erfasst werden und an Geschwindigkeit zunehmen. Bei der Wende bemerken die Männer den Vorsprung und sind erleichtert. „Das waren die längsten vierhundert Meter meines Lebens“, ergänzt jemand treffend. Den Weg zurück müssen wir lediglich den Vorsprung halten. Ich prüfe regelmäßig den Abstand zum gegnerischen Boot. Tatsächlich setzt die gegnerische Mannschaft noch einmal zum Konter an und wir müssen ebenfalls nachlegen, wollen wir gewinnen. Ich treibe die Jungs ein letztes Mal an: „Männer, das sind die letzten Meter! Jetzt gilt’s!“ Nun macht es sich bezahlt, dass wir unsere Kräfte auf dem Rückweg geschont haben. Die Mannschaft nimmt den Takt an und steigert nochmals die Schlagzahl. Die Außentemperatur, das Eis am Paddel, all das ist vollkommen vergessen. Schließlich können wir mit unserem Schlusssprint den gegnerischen Konter doch noch parieren. Als Erste legen wir im Hafen an und nehmen das Boot aus dem Wasser. Als Gewinner stellen wir unser Boot im Ziel ab. Zurück trug sich das Boot merkwürdigerweise leichter. Wir beglückwünschen uns gegenseitig und ich zolle der Mannschaft für die erbrachte Leistung meinen Respekt. Unsere Fitness und Robustheit hat sich ausgezahlt. Da kommen auch meine Kameraden auf mich zu und klopfen mir auf die Schulter: „Gut gemacht!“ Auch unser Hörsaalleiter gratuliert. Zum Dank durften wir den Nachmittag beenden und in die Kaserne marschieren, während die Zweitplatzierten zurückbauen. Aber das gibt es bei uns nicht. Gemeinsam bereiten wir als Hörsaal nach und verlegen zurück. Eine anstrengende Ausbildung haben wir wieder im Team gemeistert. Ich bin stolz, durch meine Führerleistung überzeugt und meine Kameraden trotz 132 Leutnantsbuch widrigster Umstände motiviert zu haben. Deren Anerkennung ist für mich von besonderem Wert und lässt mich mit Freude auf zukünftige Führungsaufgaben blicken. Wir haben im Laufe unserer Offizierausbildung vieles erlebt und zusammen bewältigt. Und von diesen Erlebnissen sind es diejenigen, die einem Außerordentliches abverlangt haben, die uns in Erinnerung bleiben oder überhaupt erzählenswert sind. HI Gestalte erlebnisorientierte Ausbildung erfinderisch, sodass die Teilnehmer der Ausbildung immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt werden. Achte aber darauf, dass gerade in der Planung sowohl alle relevanten Befehle und Vorschriften, als auch alle vorhandenen und möglichen Ressourcen für diese Ausbildung berücksichtigt / genutzt werden. Schließlich ist dieser Prozess der Schlüssel zum Erfolg. Sind diese Punkte berücksichtigt, kannst du mit dieser Ausbildung psychische und physische Robustheit, Leistungsfähigkeit und Teamfähigkeit bei den Teilnehmern fördern. Diese Eigenschaften sind unverzichtbare Kernqualitäten unseres Berufes. 133 Leutnantsbuch Vorurteile H offentlich kommst Du nie in eine Situation, wo Du auf die angewiesen bist!“ „Das Einzige, was die verteidigen, ist ihr Leben.“ Es hagelte von allen Seiten auf mich ein, während ich mich in der Vorbereitung für meinen Einsatz im SUDAN befand. Die Kritik am Einsatzkontingent aus BANGLADESCH nahm kein Ende: Kein NATOStandard hier; keine professionelle Ausbildung; Englisch? Fehlanzeige. Ich war ernüchtert, sollte ich doch als unbewaffneter Militärbeobachter in diesem Kriegsgebiet auf professionelle Force Protection angewiesen sein. Ich beschloss, diesen Worten kein Gehör zu schenken und mir mein eigenes Urteil zu bilden. Der erste Kontakt mit den bengalischen Offizieren der Infanteriekompanie meiner Teamsite war freundlich, die Gastfreundschaft herzlich. Die Offiziere sprachen in feinstem britischen Englisch, sie waren weltoffen und gebildet, sie führten die Kompanie mit straffer Hand und in britischer Tradition. Aber Gastfreundschaft impliziert leider keine professionelle Arbeitsweise, Kampfgeist oder Tapferkeit. Unser Sektor-Hauptquartier hatte uns über die Weihnachtszeit sämtliche Patrouillentätigkeiten aufgrund der Sicherheitslage untersagt. Die Lord’s Resistance Army (LRA) zog mordend und plündernd durch den KONGO und den SÜDSUDAN. Obwohl die UNO-Truppen kein primäres Ziel waren, wollte unser Sector Commander sein Glück nicht herausfordern. Sein Vorgänger im Amt hatte Opfer unter seinen Soldaten zu beklagen und wir alle wussten, wozu die LRA mit ihren Kindersoldaten in der Lage war. Wir saßen im Feldlager und vertrieben uns die Zeit mit Nahbereichspatrouillen, Stabsarbeit, Volleyball und Cricket. Einen ersten Eindruck von der Professionalität unserer Schutzkompanie bekam ich während der nächsten Wochen. 134 Leutnantsbuch Da der Innendienst die Moral der Teamsite aufzufressen drohte, begannen wir Mitte Januar wieder mit Patrouillen in unserem Verantwortungsbereich. Nach dem klassischen Schema Befehlsausgabe – Patrouille – Debriefing absolvierte ich meine ersten Aufträge und erlebte hoch motivierte Soldaten und eine angenehme Arbeitsweise. Ich liege im Bürocontainer auf meinem Feldbett und kann nicht schlafen. Es ist kurz nach Mitternacht und ich bin Duty Officer der Teamsite. Dem Umstand geschuldet, dass Militärbeobachter sich im Einsatz selbst versorgen und einquartieren, sind in dieser Nacht lediglich zwei von uns im Feldlager einquartiert. Die Anderen sind in ihren Unterkünften außerhalb. Lediglich unsere Infanteriekompanie sichert das Feldlager. Es ist ruhig und das Summen der Klimaanlage lässt mich im Halbschlaf versinken. Plötzlich reist mich ein Funkspruch von David, unserem Automechaniker, aus dem Dämmerzustand. Ich bin plötzlich hellwach. Überfall auf ein Dorf, gerade zwei Kilometer von unserer Teamsite entfernt. Ich frage David, was da los ist. Er meldet, dass die LRA mit Macheten und Stöcken sein Dorf überfällt, wahllos tötet und Kinder entführt. Außerdem bewegen sich ca. 500 Menschen in Richtung unserer Teamsite, um möglicherweise Schutz bei uns zu suchen. Mein Puls rast. Ich springe zum Tactical Operation Center (TOC) und treffe auf einen der Zugführer. Ich schildere die Lage und er lässt die Quick Reaction Force (QRF) alarmieren, die Wachen verstärken und weckt seinen Kompaniechef. Über Funk rufe ich jeden einzelnen der Militärbeobachter, schildere die Lage und rate ihnen, ihre Unterkunft nicht zu verlassen. Dann wecke ich den Teamsite-Leader. Nach fünf Minuten rollen zwei SPz leise in ihre Alarmstellungen, die QRF steht bereit. Ruhig, ohne Hektik werden die Wachen verstärkt. Inzwischen ist der 135 Leutnantsbuch Kompaniechef geweckt worden und führt nun selbst. Die Zugführer lassen ihre Züge zur Befehlsausgabe sammeln, der Arzt bereitet sein Forward Medical Team vor. Im Briefing Room der Militärbeobachter sitzen nun unser Teamsite-Leader, der Kompaniechef und ein Zugführer, unser G 2 und ich. Wir beraten an der Karte die Lage. Die Evakuierungsrouten sind eingefahren. Innerhalb von fünf Minuten könnten wir anfangen unser Personal aus ihren Quartieren zu evakuieren. Wir warten ab. Die Wache am Main Gate meldet eine Gruppe von Menschen auf dem Weg zum Tor und weitere auf dem Weg in die Stadt. Wenn jetzt die Flüchtlinge ins Lager wollen, droht die Lage zu eskalieren. Unsere Teamsite ist zu klein, wir können keine Zivilisten aufnehmen. Außerdem könnten sich Rebellen unter die Flüchtlinge gemischt haben. Dem souveränen Auftreten der Wache zum Dank wenden sich die Flüchtlinge ab. Inzwischen sind seit der Alarmierung mehr als zwei Stunden vergangen. Wir haben Funkkontakt zu allen Teilen, die außerhalb des Feldlagers wohnen. Sie sind in relativer Sicherheit. Inzwischen, so erfahre ich von meinem deutschen Kameraden in unserem deutschen Quartier, sind Bürgerwehren mit Macheten, Pfeil und Bogen und Kalaschnikow unterwegs, um die Rebellen zu jagen. Von südsudanesischen Polizisten oder Armeeeinheiten sieht und hört man in dieser Nacht nichts. Unser Teamsite-Leader, der Kompaniechef und ich beschließen erst nach Sonnenaufgang auf Patrouille zu fahren. Mit stehender Kommunikation ist die Bedrohungslage für uns UN-Truppen überschaubarer geworden. Außerdem will keiner riskieren, bei Dunkelheit in die Schusslinie zu geraten oder ein zufälliges Opfer von Selbstjustiz zu werden. Die verstärkte Wache sichert unsere Teamsite und für den Fall einer Eskalation gibt der 136 Leutnantsbuch Zugführer den Vorbefehl zur Evakuierung. Die Nerven sind bei allen zum Zerreißen gespannt, aber alle behalten einen kühlen Kopf. Die Sonne steigt langsam über den Horizont und mit zunehmender Helligkeit sinkt die Gefahr, da die LRA sich ausschließlich im Schutz der Dunkelheit bewegt. Nach und nach treffen die Militärbeobachter in der Teamsite ein und wir bemannen die Patrouillen. Wir fahren los, um die Toten und Verwundeten zu zählen und die Flüchtlinge zu registrieren. Guten Morgen, Afrika. HI Lass’ Dich nicht von Vorurteilen vereinnahmen, sondern mache Dir Dein eigenes Bild. Vorurteile und Überheblichkeit beschränken Dich und die Zusammenarbeit mit fremden Kulturen. Sei offen im Umgang mit Deinen Verbündeten und nimm ihre Erfahrungen an. 137 Leutnantsbuch Kameradschaft R ückblende: KOSOVO – Feldlager PRIZREN – Sommer. Die Lage im KOSOVO stellte sich uns damals als überwiegend ruhig und übersichtlich dar, die Menschen waren zumeist freundlich und entgegenkommend. Auch wenn überall das aufrichtige Bemühen um Frieden und Normalität förmlich greifbar war, sollte das Land in diesem Sommer noch nicht zur Ruhe kommen, denn in MAZEDONIEN eskalierte die Lage, Auswirkungen vielfältiger Art beeinflussten auch das KOSOVO. Die Lage war „ruhig, aber nicht stabil“. Wir verfolgten die Ereignisse in MAZEDONIEN mit großer Sorge, denn ein Überschwappen der Gewalt war aufgrund der vielfältigen Verbindungen nicht auszuschließen wenn nicht sogar wahrscheinlich. So kam die zuweilen absurd anmutende Stimmung zustande, einerseits im Feldlager in relativem Frieden den Auftrag zu erfüllen, andererseits mit großer Sorge nach Süden zu blicken. Häufig war gerade diese widersprüchliche Situation Gegenstand von Gesprächen auch abends im Kameradenkreis. Den berühmten „freien Kopf“ sowie Ablenkung verschaffte mir der Sport und so lief ich nahezu jeden Morgen mit einem Kameraden, der ebenfalls aktiver Läufer war, noch vor dem Frühstück meine Runden im Feldlager, auch wenn dies sehr frühes Aufstehen von uns verlangte. Dafür hatten wir dann aber die Laufstrecke fast für uns alleine. An jenem Morgen regnete es in Strömen, die Sicht war schlecht und das Lager wirkte wie ausgestorben. Auf Höhe des geschotterten Kfz-Abstellplatzes, wo ein Teil der Strecke über einen flachen Wall führte, hörten wir einen Schuss brechen, aus dem Augenwinkel nahm ich eine 138 Leutnantsbuch Gestalt, offensichtlich einen unserer Soldaten wahr, der in Deckung ging, ca. 40–50 m entfernt. Auch wir gingen in Deckung, der Regen hatte einen Teil der Straße in einen kleinen Bach verwandelt. Beobachten war angesagt, aber wir konnten nichts Verdächtiges erkennen. Der Soldat lag noch immer vor uns, jedoch seltsam still und wie eingefroren. „Da stimmt was nicht“, sagte ich in der Annahme zu meinem Kameraden, der Soldat sei beschossen worden. Kurz blickten wir uns an und spurteten ohne vorherige Absprache gleichzeitig zu dem Soldaten. Sofort war klar, was hier geschehen war – er hatte sich selbst mit dem Gewehr in den Mund geschossen. Das war ein schrecklicher Anblick, wie er im strömenden Regen so vor uns lag. „Ich hole Hilfe“, sagte mein Kamerad. Ich selbst kümmerte mich um den Soldaten: Puls und Atmung überprüfen, danach stabile Seitenlage und ständiges Ansprechen. Schnell war jedoch klar, dass die Verletzungen wohl zu schwer waren. Da die Frühstückszeit näher kam, nahm auch der Personenverkehr zu, jedoch war die Masse ganz offensichtlich froh, dass sich schon jemand um den Soldaten kümmerte. Sein Atem wurde immer schwächer und unregelmäßiger, setzte schließlich ganz aus. Genau in diesem Moment kam der Rettungsarzt und übernahm sofort. Er konnte den Soldaten zwar wieder reanimieren, aber dennoch verstarb dieser dann einige Tage später in Deutschland. Insgesamt war ich wohl zehn Minuten alleine mit dem Kameraden, zehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Voller Blut wie ich war, ging ich in meine Unterkunft. Jeder, der mir begegnete, machte einen großen Bogen um mich. Doch in der Unterkunft warteten meine Kameraden auf mich, ich wurde nicht bedrängt, aber sie waren da. Nachmittags dann „der offizielle Part“, Vernehmungen, Zeugenaussagen, Skizze erstellen und vieles mehr. Dann 139 Leutnantsbuch folgten Gespräche mit dem Psychologen, dem Pfarrer und dem Kommandeur. Sie bemühten sich aufrichtig um mich, im Grunde genommen kannte ich sie aber kaum. Den Abend verbrachte ich dann wieder im engsten Kameradenkreis und ihnen konnte ich mich dann auch richtig öffnen. Schließlich kannte ich sie schon aus meinem Heimatverband. Bis in die Nacht sprachen wir die Ereignisse immer wieder durch, spät ging es zu Bett. Ich habe in dieser Nacht tief und fest geschlafen, auch in der Folge erlebte ich keine „Flashbacks“ oder andere Auffälligkeiten an mir. Rückblickend kann ich feststellen, dass mir das Verarbeiten der Geschehnisse im Kameradenkreis mehr gebracht hat als das Aufarbeiten durch Fachpersonal, so wichtig und zwingend erforderlich das ebenfalls ist. Der Zusammenhalt in der Gruppe, das persönliche Kennen, letztlich die Kameradschaft waren es, die mir Halt gaben. Daher kann ich feststellen: Kameradschaft gibt es auch heute noch und sie hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Der Führer, der angesichts der fortschreitenden Technisierung in allen Bereichen diese Erkenntnis nicht frühzeitig verinnerlicht und lebt, wird sich nach meiner festen Überzeugung im Extremfall schwer tun. 140 Leutnantsbuch HI Betreuung und Fürsorge, wie sie durch Vorgesetzte, Experten und Einrichtungen der Bundeswehr geleistet werden, sind wertvolle Beiträge, um vor allem im Einsatz Betroffenen Hilfe und Beistand zu leisten. Unabhängig davon ist es aber vor allem eine gelebte Kameradschaft, die in solchen Situationen verbindet und trägt. Den Zugang zu Menschen, die Extremes erlebt haben und dadurch starken Belastungen ausgesetzt wurden, findet jedoch meist nur, wer über Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen und Vertrauen verfügt. Der persönliche Kontakt und das vertrauensvolle Gespräch mit den Kameraden vermitteln Hilfe und Stärke. Sie sind durch nichts zu ersetzen. 141 Leutnantsbuch ISAF-ANSF: eine schwierige Beziehung M ein Spähzug ist eingesetzt im OP NORTH, AFGHANISTAN, als Teil der „Task Force Mazar-eSharif“ (TF MeS). Auf Grundlage der Berichte unserer Vorgänger, der Medien und den internen Meldungen aus dem Einsatz, haben wir uns auf das Schlimmste gefasst gemacht. Der Auftrag der Spähtrupps ist es, möglichst unauffällig Informationen für die übergeordnete Führung zu sammeln. Mein Zug ist einsatzerfahren und viele meiner Soldaten, besonders die Mannschaften, tragen bereits die Gefechtsmedaille aus dem Einsatz von 2009/2010. In unserer Ausbildung legten wir den Schwerpunkt auf das Bestehen in komplexen Lagen, beispielsweise bei Hinterhalten mit IEDs (improvised explosive devices; improvisierte Sprengfallen) und anschließendem Beschuss aus mehreren Richtungen. Wie zur Bestätigung wurden noch während unseres abschließenden Aufenthaltes im Gefechtsübungszentrum unsere Vorgänger im Einsatz auf der Straße angesprengt, die auch wir schon sehr bald befahren sollten. Die Soldaten kamen mit leichten Verwundungen davon. Für mich war schon in der Einsatzvorbereitung, spätestens aber mit Beginn des Einsatzes, klar, dass auch meine Soldaten und ich uns möglicherweise in solchen Situationen bewähren müssen und das hierbei die Möglichkeit der Verwundung oder Schlimmeres ein ständiger Begleiter sein wird. Beim Landmarsch von Mazar-e-Sharif (MeS) zum OP NORTH stieg mit jedem Kilometer die Anspannung und schließlich öffnete sich vor uns das Baghlantal. An den Hauptstraßen sah man ständig bewaffnete Soldaten, Polizisten und dazwischen auch einige bewaffnete Personen 142 Leutnantsbuch in Zivil. Sie sahen entspannt aus und änderten ihr Verhalten bei unserem Erscheinen nicht. Für mich ein Zeichen, dass sie hier häufig ISAF zu Gesicht bekamen; die zivil gekleideten Personen schienen zu Polizei und Armee zu gehören, hatten sich aber vermutlich aufgrund des Winters einfach zusätzliche Kleidung übergezogen. Die ersten Aufträge kamen. Kein Feind, keine Meldungen über Feind. Die alten Hasen rieten abzuwarten, im Frühjahr gehe es wieder los. Was soll man melden, wenn sich der Feind nicht zeigt und er nicht auf mich schießt? Taktische Gesprächsaufklärung mit meinem englischsprechenden Dolmetscher wurde schnell zur wichtigsten Informationsgewinnungsmethode. Nun galt es, die richtigen Gesprächspartner zu finden. Die Zivilbevölkerung war stets freundlich, aber auch unzuverlässig, da sie uns scheinbar nur das sagte, was wir hören wollten. Die hohen Würdenträger waren für andere Kräfte wie Feldnachrichtenkräfte und natürlich dem „Key Leader Engagement“ des Kommandeurs vorbehalten. Aber es gab dauerhaft im Raum stationierte afghanische Kräfte. Diese waren im ständigen Kontakt mit der Bevölkerung und wussten am ehesten über den Feind zu berichten. Von besonderer Bedeutung war stets der Zustand der Wege. Im Laufe des Frühjahrs gab es ständig Änderungen durch Unterspülungen, Erdrutsche, Überschwemmungen. Drohnen konnten oftmals nur die halbe Wahrheit erzählen – die tatsächliche Lage vor Ort konnte nur von Kräften am Boden verifiziert werden. Der Gegner machte sich bemerkbar. IED hieß nun wieder sein bevorzugtes Einsatzmittel, nachdem er erhebliche Verluste im Kampf gegen deutsche und internationale Einheiten erlitten hatte. Angeblich setzte er diese nur gegen die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF; Afghan National Security Forces) ein. Aber wie viel mehr hält ein Fennek im 143 Leutnantsbuch Vergleich zu einem Pick-Up aus? Schutz ist immer eine Frage der Größe des IED. In Baghlan wurde schon alles zerstört, vom Fennek bis eben zum SPz Marder unserer Vorgänger. Karten, auf denen verzeichnet war, wo überall IEDs in Baghlan eingesetzt waren, brachten keinen Erkenntnisgewinn, da die Karte komplett rot markiert war und wir fühlten uns mit den Störsendern (Jammern), nicht unbedingt sicherer, zumal die Kommandanten der Fenneks über Luke führten. Wo fängt Leichtsinn an, wo hört Mut und Tapferkeit auf? Die Infanterie schüttelte mit dem Kopf, als sie unseren Kräfteansatz sah. Es machte mich stolz, einen dieser kleinen Spähtrupps zu führen, aber Zweifel blieben. Es half nichts, die Aufträge führten uns immer tiefer in angebliche und vermutete Rückzugsräume der Insurgenten. Gesprächsaufklärung, stundenlanges Teetrinken ohne greifbare Ergebnisse, alles Dinge, von den ich vorher gelesen hatte, die aber in unserer Vorbereitung praktisch keine Rolle spielten. Sie wurden nun unsere Lebensversicherung. Die Erfahrungen unserer Vorgänger halfen nicht weiter und meine Unterführer hörten auf, jeden Satz mit: „Damals 2009…“ zu beginnen. Ich saß bei den Checkpointführern beim Tee, man lernte sich kennen und ich konnte entscheiden, ob ich das Wagnis eingehe, mit ihnen gemeinsam Patrouille zu fahren. Darunter waren nicht nur die afghanische Armee (ANA) und die afghanische Polizei (ANP), sondern auch ehemalige Insurgenten, die die Seite gewechselt hatten. Ich experimentierte, wie ich sie in den Spähtrupp integrierte. Sie wollten immer in die Mitte, ich wollte sie immer vorn einsetzen. Das erste Mal bewährt hat sich diese Vorgehensweise bei einem Erkundungsauftrag. Gerade als ich mit meinem Spähtrupp den befohlenen Wendepunkt gewonnen hatte und den 144 Leutnantsbuch Auftrag als erfüllt ansah, kam der aufgeregte Anruf des vor mir eingesetzten Polizeiführers. Er hatte ein IED gefunden. Eine Stelle, an der jeder CIED-Ausbilder (Counter-IED) gesagt hätte: eignet sich nicht. Aber der Führer der afghanischen Bereitschaftspolizei (ANCOP) (Afghan National Civil Order Police) kannte die Stelle. Nach seiner Aussage war es bereits die komplette Sprengfalle. Die ersten beiden wurden gefunden und das Dritte sei explodiert. Leider berichten die ANSF nicht über jedes gefundene IED in der Ausführlichkeit wie ISAF. Ohne Bericht kein Hinweis in den Datenbanken. Erfahrung sticht Technik. Das IED wurde durch meinen Spähtrupp dokumentiert und von ANCOP geräumt – künftig war dieser Anschlagspunkt bekannt. Das Operationsgebiet der Task Force MeS war nicht in Gänze durch die PzH 2000 abgedeckt und so wurde diese für besondere Operationen in einer vorgezogenen Stellung, angelehnt an eine Basis der ANA-Spezialkräfte (ANASF), eingesetzt. Zur Sicherung wurden immer wieder Kräfte meines Zuges herangezogen und so lernte ich den Kommandeur, den Koch und einzelne Special Forces Soldaten der Truppe kennen. Diese Soldaten waren anders als die bisherigen Bekanntschaften mit der ANSF. Sie kämpften teilweise seit 10 Jahren gegen die Insurgenten, konnten teilweise Englisch und hatten eine professionelle Dienstauffassung, ähnlich unserer eigenen. Während ich mich zunehmend in meiner Auftragserfüllung auf die ANSF abstützte, wuchs gleichzeitig in den Sicherheitsmeldungen eine neue Bedrohung auf. „Green on Blue“ oder besser: „Insider Threat“. Afghanische Einzeltäter, die zur Infiltration Uniformen der ANSF nutzen, um nah an die ANSF sowie ISAF zu kommen und Anschläge verüben zu können. Diese Bedrohung zielte sowohl auf unsere afghanischen Verbündeten als auch auf 145 Leutnantsbuch uns ab - mit häufig tödlichem Ausgang gerade auf afghanischer Seite. Ob dies nun geplante Aktionen des Feindes oder die Kurzschlussreaktionen Einzelner sind, die sich aufgrund kultureller Missverständnisse ergeben, bleibt im Nachgang meist unklar. Gerade am OP NORTH wurde uns dies jeden Tag bewusst. Hier steht das Ehrenmal für die drei gefallenen Panzergrenadiere, getötet durch einen Soldaten der ANA im Eingangsbereich des OP NORTH. Ich saß nun stundenlang ohne Schutzweste, ohne Nahsicherer, nur mit meinem Funkgerät, der Pistole und meinem Sprachmittler bei den afghanischen Spezialkräften. Ein anderes Auftreten wäre ein Affront gegenüber unseren Gastgebern gewesen. Es würde signalisieren, dass ich mich in ihrer Umgebung nicht sicher fühle. Nebenbei wäre es aufgrund der vorzüglichen Schießausbildung dieser Kräfte auch ein vergeblicher Versuch, sich zu schützen. Der Koch war von besonderem Interesse, da er durch die USSpezialkräfte einen unendlichen Vorrat an Sportgetränken besaß. Selten sah ich die Augen meiner Soldaten heller leuchten als an dem Tag, an dem ich mit einer Palette Gatorade zu ihnen zurückkam. Der Kommandeur ANASF gab mir ohne Nachfrage bei einem späteren Besuch Informationen über ein geräumtes IED, das bisher keinem bekannt gewesen war. Er sagte: „This bomb was for you and me“. Die investierte Zeit und das Teetrinken zahlten sich wieder aus. Beim Abtransport der PzH 2000 geschah, was nicht hätte passieren sollen. Die Straße war gesperrt und der ANASF-Kommandeur wurde in seinem zivilen PKW von deutschen Soldaten gestoppt. Was keiner wusste, war die Tatsache, dass sich ein toter ANA Soldat im Kofferraum befand und er ihn in Kunduz seiner Familie übergeben wollte. Der Kommandeur verlor die Geduld und befahl per Handy seinen Soldaten in der Basis, auf die deutschen Soldaten zu zielen. Die Lage eskalierte, der Sprachmittler 146 Leutnantsbuch war überfordert und rannte wild umher. Zum Glück waren einige US-Spezialkräfte vor Ort und diese stellten sich zwischen die afghanischen und deutschen Soldaten. Mein Auftrag war es, wenige Tage später wieder zu dieser Basis zu fahren und die Lage aufzuklären. Die Stimmung war eisig. Ich entschuldigte mich im Namen von ISAF für den Vorfall und er gab mir sein Versprechen, deutsche Kräfte dürften wieder bei seiner Basis eingesetzt werden. Wir sind Gäste und haben fremde Gepflogenheiten zu akzeptieren. Auch lange nach dem Vorfall behandelte er mich und meinen Spähtrupp stets zuvorkommender als andere Kräfte von ISAF. Die persönliche Beziehung zu dem Führer vor Ort war gewachsen und bestand diese Bewährungsprobe. Ich hatte für meinen Zug im Einsatz einen Weg gefunden, in einem veränderten Einsatzumfeld weiterhin Informationen für die übergeordnete Führung zu gewinnen. Meine Befürchtung, in Gefechte und Anschläge verwickelt zu werden, erfüllte sich nicht und dafür bin ich jeden Tag dankbar. Zum Ende des Einsatzes verabschiedete ich mich von so vielen Persönlichkeiten wie möglich und wünschte ihnen und ihrem Land eine friedliche Zukunft. Vom Nachfolgekontingent erfuhr ich wenige Monate später, dass der Kommandeur ANASF bei einem hinterhältigen Angriff durch einen Polizeichef mit einigen seiner Soldaten erschossen wurde. 147 Leutnantsbuch HI Die Zusammenarbeit mit einheimischen Sicherheitskräften gestaltet sich nicht immer einfach. Wir alle bekommen in der Vorausbildung viel zum Thema interkulturelle Kompetenz und die Besonderheiten im Umgang mit den Sicherheitskräften und der Bevölkerung beigebracht. Die realen Erfahrungen sowie das Miteinander sind durch nichts zu ersetzen. Akzeptiere andere – besonders auch religiöse – Einstellungen, gehe offen damit um. Versuche nicht, westliche Werte und Normen als Grundlage zu nehmen bzw. anderen aufzuzwingen. Miteinander und Verlässlichkeit schaffen Vertrauen. Letztlich ist man voneinander abhängig und kommt nur gemeinsam voran! 148 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank An der Offizierschule I nzwischen sind wir – die OA-Mannschaft – schon fast alte Hasen. Wir sind an der Offizierschule des Heeres (OSH) in Dresden, dem letzten Ausbildungsabschnitt vor Beginn unseres Studiums. Hauptmann Seidel haben wir seit unserem Truppenkommando nicht mehr gehört oder gesehen. Wahrscheinlich hat er genauso viel zu tun wie wir. Nur einmal, da haben wir über verschiedene Ecken erfahren, dass er wohl versetzt werden soll. Nach unserem Truppenkommando gingen wir gemeinsam in die Sprachausbildung nach IDAR-OBERSTEIN. Das war eine schöne Zeit – endlich einmal wieder mit Englisch beschäftigen. Nicht, dass ich kein Englisch könnte, aber die Praxis fehlt einfach. Und im Laufe der Zeit vergisst man natürlich auch das ein oder andere. Außerdem ist es ja wichtig für unser Studium, dass wir unsere Punkte für die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge zusammenbekommen – und da ist die Sprachausbildung ein wichtiger Bestandteil. Heute ist Donnerstag, wir sitzen im Hörsaal und warten auf unseren Hörsaalleiter. Er hat sehr kurzfristig erfahren, dass er versetzt wird – leider, wie wir meinen. Das „Pferd“ im laufenden Rennen zu wechseln, geht meistens nicht gut! Aber egal. Mit dem Neuen – da sind wir uns einig – werden wir uns schon arrangieren. Noch wissen wir nicht, wer es ist. „Achtung“, ruft der Hörsaalsprecher, als unser Hörsaalleiter den Raum betritt. Dann meldet er. Wir werden begrüßt, 149 Leutnantsbuch grüßen zurück. Der Hörsaalleiter erklärt, dass der „Neue“ gleich komme, er sei noch beim Inspektionschef. Plötzlich geht die Tür auf. Im Türrahmen – wir können es erst gar nicht glauben – steht Hauptmann Seidel. Getuschel unter unserer OA-Mannschaft. „Das kann doch nicht sein!“, flüstert mir Cindy in das linke Ohr. „Das ist doch nicht der Hauptmann!?“, ergänzt Markus, ebenfalls mit gedämpfter Stimme in das andere Ohr. „Doch, doch – das ist er, wie er leibt und lebt“, sage ich leise zu beiden, „aber mit einem Unterschied: Er ist Major!“ Na herzlichen Glückwunsch, denke ich, besser hätten wir es kaum treffen können. Mit Hauptmann, bzw. jetzt Major Seidel haben wir uns immer gut verstanden. Schnell legen sich meine Befürchtungen wegen des „Neuen“ und unser Hörsaalleiter stellt ihn uns vor. Major Seidel grinst uns ein wenig an. Ich denke, er wusste schon, dass wir in seinem Hörsaal sind. Bestimmt hat er die Liste der Lehrgangsteilnehmer gründlich studiert. Wenn ich so an die Zeit des Truppenkommandos zurückdenke, kommt es mir vor, als wären Jahre vergangen. Ich kann es kaum glauben, dass jetzt Major Seidel wieder vor uns steht. Das trifft sich gut, denke ich, denn im Truppenkommando hatte er uns versprochen, seine „Theorie“ weiter zu erläutern und uns seine „Schriften“ mitzugeben. Zu beidem ist es aber damals nicht gekommen, es war einfach zu viel los im Bataillon. Er hatte sich auch dafür entschuldigt und gesagt: Man sieht sich immer zweimal im Leben! 150 Leutnantsbuch Jetzt werden wir ihn festnageln, denke ich, und nicht locker lassen, bis wir alles wissen. Während der Sprachausbildung hatten wir noch ein paar Mal darüber gesprochen, dass es schön gewesen wäre, wenn unser Fähnrichoffizier die „Sache zum Abschluss“ gebracht hätte. Jetzt ist es soweit! In der Pause begrüßt uns Major Seidel herzlich, unsere Namen hat er jedenfalls nicht vergessen. Und er hat auch nicht vergessen, dass er uns noch „etwas schuldet“, spricht uns gleich darauf an. „Wenn Sie Lust haben, dann setzen wir uns am Montagabend wieder nett im Kasino zusammen“, sagt Major Seidel kurz vor Ende der Pause. „Ich habe zwei Freunde hier getroffen, mit denen ich mich verabredet habe. Die kennen unsere berühmten „Erlebnisabende“, habe ihnen davon erzählt. Ich wette, da kommt noch mehr zusammen.“ Wir sind begeistert, sagen zu und verabreden uns für neunzehn Uhr am kommenden Montag im Kasino. Dabei vergessen wir nicht, ihm zur Beförderung zu gratulieren. Später dann: „Major Steegemann“, stellt sich der Herr Major vor. Er ist einer von den beiden Freunden, die Major Seidel angekündigt hatte. Der andere heißt Major Krause. Wir sind im Kasino und freuen uns auf den Abend. Major Steegemann scheint erst kürzlich aus einem Einsatz zurückgekommen zu sein. Er hat schon angedeutet, dass er hiervon eine Menge zu berichten hat. Major Krause ist nur zufällig in Dresden. Er hat sich mit seiner Frau ein 151 Leutnantsbuch „kinderloses“ langes Wochenende gegönnt, und fährt erst morgen an seinen Standort zurück. „Major Seidel hat mir schon viel von Ihnen erzählt“, sagt Major Krause. „Ich kann Ihnen sagen, dass ich mir auch schon das ein oder andere Mal die Frage gestellt habe, was das Besondere an unserem Beruf ist. Am Anfang meiner Dienstzeit sogar ziemlich oft. Ich hätte damals gerne einen Ansprechpartner gehabt, mit dem ich einmal unser berufliches Selbstverständnis hätte besprechen können. Das war aber leider nicht so.“ Nach einer Weile, in der wir unsere Erlebnisse der zurückliegenden Wochen und Monate ausgetauscht haben, sagt Major Seidel: „Wie sieht es denn aus bei Ihnen, haben Sie noch ein offenes Ohr für ein paar Erlebnisse. Ich würde da gerne noch von einer Erfahrung berichten, die ich selbst gemacht habe und die gut in unsere Linie passt. Und Major Steegemann und Major Krause sicher auch.“ Peter sagt: „Natürlich Herr Major! Deswegen sitzen wir doch wieder zusammen! Allerdings muss ich gestehen, dass ich schon bald die vielen Erlebnisse nicht mehr auseinander halten kann. Wir haben schon soviel gehört …“ „Ja, das kann ich mir vorstellen“ sagt Major Seidel und ergänzt: „Ich habe sogar vor kurzem angefangen, einige meiner Erlebnisse aufzuschreiben – sozusagen ein persönliches Erlebnistagebuch. Mal sehen, was ich daraus noch mache.“ Dann beginnen die Anwesenden zu erzählen … 152 Leutnantsbuch Feldposten KHANABAD K napp zwei Wochen sind wir schon in diesem staubigen Feldposten, ein kleiner Lehmverschlag in der Nähe von KUNDUZ. Die Kompanie der afghanischen Nationalarmee (ANA, Afghan National Army), die wir als OMLT (Operational Mentoring and Liasion Team) begleiten, soll durch ihre Anwesenheit im Raum KHANABAD für Sicherheit sorgen. Täglich führen wir mit unseren Kameraden der ANA Überprüfungen durch den Einsatz von beweglichen Checkpoints auf der Verbindungsstraße nach KUNDUZ durch. Dazu kommen noch passive und aktive Sicherungsmaßnahmen bei Tag und Nacht. Fast immer um Mitternacht fängt der Beschuss auf der anderen Seite des Flusses an, wobei sich die Afghanen auf der anderen Seite gegenseitig beharken, angeblich kämpfen dort Taliban gegen Miliz. Die Lichtfinger der Leuchtspurgeschosse geben dabei Rückschluss auf die Abfeuerstelle und das Ziel. Obwohl die andere Flussseite nur 800 m entfernt ist, wird das Feuer nicht auf unsere Stellung eröffnet. Dabei wissen die gegnerischen Kräfte schon seit langem, dass wir hier liegen. Sie wissen aber auch um unsere Nachtkampffähigkeiten, genau wie mein Pendant, der afghanische Kompaniechef. Jeden Tag zieht er mehr Soldaten von der Nachtwache ab, weil er meint, dass wir Deutschen das eh viel besser könnten. Ich denke darüber nach, ihm in einem Vier-Augen-Gespräch zu sagen, dass es so nicht weiter geht. Wir sind hier, um ihn zu unterstützen und nicht um seine Arbeit zu machen. Die hygienischen Zustände sind miserabel, das Essen eintönig, die latente Gefahr allgegenwärtig. Irgendwie ist es zu ruhig, ich werde ein komisches Gefühl nicht los. Plötzlich ein langer Feuerstoß aus dem vorderen Bereich des Feldpostens. Auf afghanischer Seite helle Aufregung, ich alarmiere meine Jungs. Sofort werden alle Alarmstellungen 153 Leutnantsbuch besetzt, meine für diesen Auftrag unterstellte deutsche Verstärkung aus dem Provincial Reconstruction Team (PRT) KUNDUZ bezieht blitzschnell aus den Feldbetten heraus die Alarmstellungen, während die Mentoren ihre Pendants auf der afghanischen Seite suchen. Unter Sicherung des ständig besetzten Alarmpostens werden die übrigen Fahrzeuge mit Rumpfbesatzungen und die abgesetzten Schwerpunktwaffen besetzt sowie Verbindungsaufnahmen durchgeführt. Absprachen zwischen den einzelnen Kampfständen und Fahrzeugen finden statt, erste Meldungen gehen über den Funk. Der Mörser-Mentor meldet Einsatzbereitschaft der afghanischen 82-mm-Mörser. Da ich in diesem Fall nicht nur Kompaniementor, sondern auch verantwortlicher Führer vor Ort bin, habe ich doppelt zu tun. Plötzlich meldet meine rechte Sicherung eine Gruppe von etwa sechs Personen mit Handfeuerwaffen in 300 m Entfernung, Bewegungsrichtung auf den Feldposten. Es ist stockdunkel. Die Gruppe wurde durch die Wärmebildgeräte aufgeklärt, die stationär in den Fahrzeugen und in kleineren Versionen abgesessen bei der Infanterie genutzt werden. Die fertiggeladenen Signalpistolen werden aus den vorbereiteten Halterungen gehoben. Die deutschen Soldaten verfügen zwar über Nachtsichtgeräte und sind somit nachtkampffähig, unsere afghanischen Kameraden, die bei dieser Dunkelheit so gut wie „blind“ sind, verfügen aber über eine Feuerkraft, auf die ich nicht verzichten will. Die Situation spitzt sich zu, die Personen kommen immer näher. Ich befehle Feuervorbehalt. 200 m vor eigener Stellung habe ich wie jeden Abend in der Dämmerung noch Bodenleuchtkörper verlegen lassen. Der Verbrauch ist recht hoch, da streunende Hunde gerne mal durch die Verdrahtung laufen, aber dennoch sind sie ein hervorragendes Mittel, um tote Räume und Annäherungswege des Gegners zu überwachen. Gleichzeitig ergeben sie eine zweckmäßige 154 Leutnantsbuch Feuereröffnungslinie, sobald eine Identifizierung durchgeführt werden konnte. Allen deutschen Soldaten ist die Lage der Bodenleuchtkörper bekannt. Aufgrund einer durchgeführten Geländetaufe sprechen wir alle eine Sprache. Dann die Meldung: Aufgeklärte Personen haben Helme auf. Sofort setze ich meinen Stellvertreter ein und nehme Verbindung mit dem afghanischen Kompaniechef auf. Endlich finde ich den ANA-Chef. Er steht auf der LOC, flankiert von mindestens acht Soldaten und schaut unglücklich die Straße hinunter. Ich frage ihn unter Zuhilfenahme meines Sprachmittlers, ob sich eigene Kräfte in unserer Flanke vor dem Feldposten befinden. Er verneint; er habe sechs Soldaten entlang dieser Straße geschickt, um einen gegnerischen Spähtrupp, nicht aber in unsere rechte Flanke aufzuklären. Ich gebe diese Information per Funk an unsere Sicherung weiter, befehle Feuerverbot und lasse den ANA-Chef seine Männer wieder „einsammeln“, welche in der stockdunklen Nacht die Orientierung verloren hatten. Ob es je einen feindlichen Spähtrupp gab, wird nie geklärt werden. Der ANA-Posten hatte etwas gesehen und das Feuer eröffnet … HI Alles was Du in im Rahmen Deiner Ausbildung gelernt hast, solltest Du auch im Einsatz beherzigen. Die Grundsätze haben unverändert Gültigkeit, allein wie Du sie anwendest, bleibt Dir überlassen und steht in Abhängigkeit zur jeweiligen Situation. Stell’ Dich im Einsatz auf die verschiedensten Aufträge und Lageentwicklungen ein. Sei immer geistig flexibel, eine „Bedienungsanleitung“ für jede Lage gibt es nicht. Beurteile die Lage stets umfassend, wäge ab; handle schnell, aber nicht übereilt. 155 Leutnantsbuch Jointness W ie wäre es denn mit DIEZ an der LAHN? Da finde „ ich auf jeden Fall einen Dienstposten für Sie“, so mein Personalführer während des Einplanungsgesprächs an der Universität der Bundeswehr MÜNCHEN. Auf mein fragendes Gesicht hin zückte er schnell seine Deutschlandkarte. „Zwischen FRANKFURT AM MAIN und KÖLN, direkt an der A 3 und auch nicht weit weg von Ihrer Heimat.“ „Das hört sich doch gut an“, schoss es mir durch den Kopf, also willigte ich in die aufgezeigte Verwendungsplanung ein. Wenige Monate später meldete ich mich beim Personaloffizier des Regiments, ein sogenannter Heeresuniformträger mit schwarzer Litze. Ein Pionier also, daneben gab es noch zahlreiche Logistiker, doch etwa die Hälfte des Offizierkorps war, wie ich, in der Luftwaffe groß geworden. Meinen Platz fand ich erst einmal im S 3-Bereich. Anhand einiger Präsentationen lernte ich das Regiment kennen. Neben Auftrag und Gliederung des Stabes gaben mir vor allem die unterstellten Verbände Rätsel auf: ein Versorgungs- und Ausbildungszentrum, ein Spezialpionierbataillon und zwei Logistikbataillone. Der S 3-Offizier erklärte mir den Auftrag der Bataillone, er war ausgebildeter Nachschuboffizier und hatte somit fundierte Kenntnisse über das Regiment, das zur Streitkräftebasis gehört. Am Nachmittag des zweiten Tages gab es die erste Besprechung. Anlass war die Zusage der Bundesregierung, die Bundeswehr im Rahmen der Humanitären Hilfe in Südostasien einzusetzen. Dort hatte wenige Tage zuvor ein verheerender Tsunami gewütet, dem insgesamt mindestens 180.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. 156 Leutnantsbuch Während der Besprechung hieß es dann: „Zur Koordination der Unterstützungsleistungen wird ein Lagezentrum eingerichtet. Leutnant M., der in dieser Minute davon erfährt, wird mit unserem wehrübenden Major dort eingesetzt.“ Da musste ich erst mal schlucken. Am nächsten Morgen ging es gleich los, zunächst das Büro einrichten, Computer besorgen und anschließen, Dokumente lesen und Verbindungen zu den Verantwortlichen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr, dem Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst, der Flugbereitschaft in KÖLN-WAHN und den unterstellten Bataillonen knüpfen. Das Telefon klingelte. „Hier Oberstleutnant S. aus BANDA ACEH. Schicken Sie mir mal die IATA per E-Mail.“ „Ja, ...“, dann riss die eh’ schon schlechte Verbindung ab. Der Rückruf hatte keinen Erfolg. Das Mobilfunknetz der indonesischen Insel war aufgrund der vielen Helfer überlastet. Ich hatte keine Ahnung, was IATA bedeutet und wo ich danach suchen sollte. Also begab ich mich auf die Suche nach jemandem, der mir weiterhelfen konnte. Im Bereich Materialbewirtschaftung traf ich auf einen Hauptmann, den ich danach fragte. „IATA ist die „International Air Transport Association“. Deren Bestimmungen sind für den weltweiten Flugverkehr verbindlich. Fragen Sie mal bei Verkehr und Transport nach“, so seine Antwort. Zwei Büros weiter der nächste Versuch: „Oberstleutnant S. hat mich gerade angerufen, er benötigt die Transportbestimmungen der IATA. Können Sie mir da weiterhelfen?“ „Klar hab ich die Bestimmungen, ich sende sie gleich an den Oberstleutnant.“ Nach nur zwanzig Minuten war die Vorschrift via Internet auf dem Weg um die halbe Welt nach INDONESIEN. 157 Leutnantsbuch Jeder Soldat hat sich bewusst für eine Teilstreitkraft oder eine Truppengattung entschieden, entweder weil er dort seiner Traumverwendung nachgehen kann oder von den Fahrzeugen, Schiffen oder Flugzeugen fasziniert ist. Jeder hat einen gewissen „Waffenstolz“ entwickelt und macht Witze über andere Bereiche. Jointness steht im Allgemeinen militärischen Sprachgebrauch für das Zusammenwirken der Teilstreitkräfte und militärischen Organisationsbereiche in einer Operation. Für die Streitkräftebasis bedeutet Jointness die Zusammenarbeit aller in der Streitkräftebasis eingesetzten Soldaten, gleichgültig ob Sie ursprünglich aus dem Heer, der Luftwaffe oder der Marine kommen. Es geht nicht darum, seine militärische Identität zu verlieren oder zu verleugnen, sondern sein Wissen an der richtigen Stelle einzubringen, alle davon profitieren zu lassen und gemeinsam Herausforderungen zu bewältigen. Nur so ist ein derart vielfältiges und facettenreiches Arbeitsfeld, wie die Logistik, zu bewältigen. HI Die Streitkräftebasis ist der zentrale militärische Organisationsbereich zur Unterstützung der Bundeswehr im Einsatz und im Grundbetrieb. Sie unterstützt die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine sowie den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr durch die Wahrnehmung von Aufgaben, die streitkräftegemeinsam effektiver und effizienter erbracht werden können. Durch diese Konzentration werden die Teilstreitkräfte entlastet, Synergieeffekte genutzt und das Leistungsvermögen der Streitkräfte insgesamt gesteigert. Die Erfahrung, einer gemeinsamen Sache zu dienen und mit anderen zusammenzuarbeiten, stärken das Gemeinschaftsgefühl und die soldatische Identität. 158 Leutnantsbuch Der Brief D ie Telefonzellen waren wieder einmal alle belegt – bis auf die zwei, die schon seit einiger Zeit defekt waren. Niemand schien sich darum zu kümmern. Im Einsatz ist das besonders ärgerlich, weil die Verbindung nach Hause eine Bedeutung bekommt, die nur versteht, wer selber schon einmal für ein paar Monate im Einsatz war. Aus einer der Zellen kam Oberfeldwebel M. heraus und stapfte mit verdrießlicher Miene an mir vorbei. „Na, junger Kamerad“, sprach ich ihn an, „wie geht’s?“ Er schaute mich unsicher an und antwortete: „Wenn Sie’s wirklich wissen wollen – mir geht’s heute total beschissen. Und Sie können mir auch nicht helfen. Das ist was Privates.“ Es war bereits „Rec-time“, wie man heute im Einsatz zum Dienstschluss sagt. Daher lud ich Oberfeldwebel M., mit dem ich bereits in der Transall auf dem Herflug ins Gespräch gekommen war, zu einem Getränk in die OASE ein. Er willigte nach kurzem Zögern ein – sein Abend war offensichtlich eh’ schon verdorben und konnte nicht mehr schlechter werden. Auf dem Weg zur OASE kamen wir langsam ins Gespräch. Sein Anruf zu Hause war voll in die Binsen gegangen. Er hatte sich so auf die Unterhaltung mit seiner Frau gefreut und auf die Stimme seines kleinen Sohnes, der am Ende immer noch etwas ins Telefon plappern durfte. Stattdessen hatte sich der Junge eine schwere Erkältung zugezogen und hustete erbärmlich. Und die Frau war von Anfang an gereizt gewesen. Sie hatte wegen der Erkrankung des Kindes die ganze Nacht nicht geschlafen und schließlich am Telefon geweint, weil sie sich überfordert und alleingelassen fühlte. Sie war wohl mit ihren Nerven ziemlich am Ende und dann hatte irgendwie ein Wort das 159 Leutnantsbuch andere gegeben. Nach wechselseitigen Vorwürfen hatte sie einfach aufgelegt – ohne ein Abschiedswort. Kein Wunder, dass Oberfeldwebel M. jetzt so griesgrämig war. Als wir in der OASE vor unserem Getränk saßen, fragte ich vorsichtig: „Haben Sie Ihrer Frau eigentlich schon mal einen Brief geschrieben?“ – „Ja, damals, ganz am Anfang, als wir uns kennen lernten. Es war sogar ein Liebesbrief. Ich glaube, sie hat ihn heute noch in ihrer Schmuckkassette versteckt.“ – „Und seitdem haben Sie ihr nie wieder etwas geschrieben?“ – „Nein, wozu auch – es gibt doch Handys und Telefon. Schreiben ist so umständlich und hier im Einsatz dauert die Post doch ewig.“ Ich prostete dem Schreibmuffel zu und erzählte ihm, wie ich das mit meiner Verbindung nach Hause hielt. Dabei hielt ich ihm ganz bewusst einen kleinen Vortrag und er hörte mir geduldig zu: „Selbstverständlich rufe ich auch so oft wie möglich an. Aber ich schreibe meiner Frau auch jede Woche einen Brief, meistens am Samstag, wenn ich dafür mehr Zeit habe. Das Briefeschreiben ist natürlich gerade anfangs etwas ungewohnt und anstrengend. Aber Sie werden sehen – bald macht es Ihnen keine Mühe mehr. Und Ihrer Frau machen Sie damit eine richtige Freude. Denn jedes Telefongespräch hier ist schneller zu Ende als einem lieb ist. Ihren Brief aber kann sich Ihre Frau auf das Nachtkästchen legen. Da liegt dann sozusagen ein Stück von Ihnen neben ihr. Das ist vielleicht sogar besser als ein Bild, weil so ein Brief Ihre Gedanken ausdrückt, Ihre Gefühle, Ihre Wünsche und Ihre Hoffnungen, aber auch Ihre Sorgen und Ihre Befürchtungen. Das liegt ganz an Ihnen und wie gut Sie das formulieren können. Aber Übung macht den Meister. Dann ist so ein Brief nicht nur ein beschriebenes Stück Papier, sondern ein 160 Leutnantsbuch Ausdruck meiner Persönlichkeit und vielleicht sogar ein Stück meiner eigenen Geschichte, die ich damit nicht nur weitergebe, sondern auch bewahre.“ Oberfeldwebel M. schaute mich mit großen Augen an: „So habe ich das noch gar nicht gesehen. Eigentlich haben Sie ja recht. Vielleicht sollte ich meiner Frau einfach ’mal wieder einen Brief schreiben.“ „Ja“, bestärkte ich ihn, „tun Sie das am besten noch heute Abend. Dann können Sie gleich Ihren missglückten Anruf aufarbeiten. Oder glauben Sie, dass Sie in Ihrem Brief alle diese Vorwürfe noch einmal aufwärmen werden, die Sie sich heute gegenseitig an den Kopf geworfen haben?“ – „Nein, natürlich nicht. Mir tut es doch jetzt schon leid, was ich da wieder alles von mir gegeben habe!“ „Sehen Sie“, sagte ich, „genau das ist der große Vorteil beim Briefeschreiben. Man kann in aller Ruhe überlegen, was man wirklich loswerden will. Was einmal ausgesprochen ist, bleibt ausgesprochen. Und wenn es der größte Unsinn war. Einen missglückten Brief kann ich in den Papierkorb werfen und noch mal anfangen. Dann muss mir hinterher auch nichts leid tun. Und wenn’s am Anfang wirklich schwer fällt, dann setzen Sie doch einfach einen Entwurf auf und schreiben ihn dann ins Reine. Ich sage Ihnen jetzt schon, Ihre Frau wird den Brief gar nicht mehr aus der Hand geben. Vielleicht schreibt Sie Ihnen dann auch zurück. Wäre doch schön, wenn man ab und zu ’mal so ein leicht parfümiertes, buntes Kuvert öffnen könnte. Und jetzt sage ich Ihnen noch ein Letztes. Wenn Sie sich beide regelmäßig schreiben, haben Sie am Ende ein kleines gemeinsames Einsatztagebuch in Briefform. So eine gemeinsame Erinnerung ist dann schöner und wertvoller als jedes Kontingentbuch. Und übrigens: unsere Feldpost ist ganz schön fix!“ 161 Leutnantsbuch Als ich Oberfeldwebel M. einige Tage später wieder an den Telefonzellen traf, strahlte er über das ganze Gesicht: „Meine Frau hat gestern meinen Brief bekommen. Und meinem Junior geht es auch wieder besser. Ich glaube, sie hat sich über meinen Brief mehr gefreut als über meinen Liebesbrief damals. Er war aber auch mindestens doppelt so lang, wenn nicht sogar länger! Ich habe schon wieder geschrieben. – Aber Telefonieren finde ich trotzdem schöner!“ HI Im Einsatz gewinnen Betreuungsleistungen wie zum Beispiel private Fernmeldeverbindungen ins Heimatland eine besondere Bedeutung. Die gewohnten Heimatstandards können aber nicht immer gewährleistet werden. Dann kommt es darauf an, sich auf eine alte Tugend zurückzubesinnen – das Briefeschreiben. Die Feldpostämter in den Einsatzländern sind sehr leistungsfähig und zuhause freuen sich alle auf einen Feldpostbrief. Früher war das oft monatelang das einzige Lebenszeichen. Heute ist der persönliche Brief eine Möglichkeit, einen Einsatz für die Angehörigen im wörtlichen Sinn „begreifbarer“ und damit transparenter zu machen. Auch das schafft Verständnis und Vertrauen. 162 Leutnantsbuch Glauben hilft! M eine Mutter war streng katholisch und so wurde ich auch erzogen. Als kleiner Bub schon war ich in kirchlichen Jugendgruppen und Ministrant. Mit der Pubertät kam dann der Bruch. Ich ging auf Tauchstation und hatte mit Kirche nicht mehr viel am Hut. Ich wurde sozusagen „U-Boot-Christ“ und tauchte nur noch gelegentlich in der Kirche auf. Doch dann kam mein erster Auslandseinsatz. Die Monotonie der 7-Tage-Woche, unterbrochen nur durch den freien Sonntag-Vormittag, der gewöhnlich zum Containerputzen oder zum Kirchgang genutzt wurde. Wir hatten zwei Militärseelsorger, die sich mit dem Sonntagsgottesdienst abwechselten. Ich hatte mir vorgenommen, sowohl den katholischen als auch den evangelischen Militärpfarrer zumindest einmal in ihrem Kirchenzelt zum Gottesdienst zu besuchen. Ich war von beiden angenehm überrascht. Ihre Predigten hatten ganz realen Bezug zu unserem Einsatz, zu Dingen die uns beschäftigten. So ging ich über Monate wieder regelmäßig in die Kirche und kam beim Kirchenkaffee, dem anschließenden Kaffeetrinken, mit anderen Gottesdienstbesuchern ins Gespräch. Das Wort Gespräch wähle ich bewusst; denn es war mehr als Diskussion, Debatte oder Meinungsaustausch. Es waren persönliche Gespräche, in denen man ein Stück seiner Gefühle, seines Glaubens und seiner Zweifel preis gab und sich ein gutes Stück weit offenbarte, wie ich es außerhalb der Familie oder dem engsten Freundeskreis nicht für möglich gehalten hätte. Nach dem Einsatz suchte ich dann den Kontakt zu meinem Standortpfarrer, und siehe da, auch er ist ein ganz vernünftiger Mensch. 163 Leutnantsbuch Er brachte mich mit anderen Soldaten zusammen, die sich mit ähnlichen Fragen der vermeintlichen Widersprüche zwischen Soldat- und Christ-Sein beschäftigten und gab mir Schriften der GKS zu lesen. Diese Gemeinschaft Katholischer Soldaten ist mir mittlerweile zur geistigen Heimat geworden. Das christliche Menschenbild und die abendländischen Werte, die im Kern ja christliche sind, habe ich als das Fundament meines soldatischen Dienens erkannt. Im SFOR-Einsatz, wo wir einer geschundenen Bevölkerung die Chance auf ein Leben ohne Willkür und Gewalt, auf einen friedlichen Wiederaufbau und eine Aussöhnung der Ethnien ermöglicht haben, war alles ganz einfach. Als Offizier, der noch in Zeiten des Kalten Krieges zur Bundeswehr gekommen war, war ich stolz: Ich war vom „Kriegsverhinderer“ zum Friedensgestalter geworden. Doch später im ISAF-Einsatz, als es um Schusswechsel mit Aufständischen, um getötete Kameraden und Taliban ging, die Raketen auf unser Lager schossen und mit Sprengfallen und „Suicide-Bombern“ unsere Konvois angriffen, wurde es schwieriger. Doch genau hier bewahrt mich mein christliches Menschenbild vor Rache und Überheblichkeit. Ich erkenne in der afghanischen Bevölkerung ebenso das Ebenbild Gottes wie in den Europäern. Ich begegne ihr mit Respekt und bin in ihrem Land, um ihr zu helfen. Dennoch kann ich den Feind aber genauso konsequent bekämpfen, ja notfalls sogar töten, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, ihn von seinen Kampfhandlungen abzubringen. Natürlich braucht man nicht zwingend ein christliches Wertefundament, um die Regeln des Kriegsvölkerrechtes einzuhalten. Aber die Erfahrungen anderer Streitkräfte zeigen, dass dort, wo die Angst vor Strafverfolgung und ein prägendes Wertefundament fehlen, die Hemmschwellen sinken. 164 Leutnantsbuch Als Offizier, der einen so unmittelbaren Bezug zu Verwundung und Tod, zum Töten und getötet werden hat, und dies nicht nur für sich selbst, sondern auch die Verantwortung trägt, ist mir eines klar: Der christliche Glaube gibt mir einen inneren Wertekanon, der auch dann noch wirkt, wenn in einer Ausnahmesituation jede äußere Aufsicht fehlt. Dann meldet sich die innere Stimme mit ihrem klaren: „Das tut man nicht!“ HI Kritische Entscheidungs- und Gefechtssituationen erfordern ein reflektiertes ethisches Wertefundament. Daher müssen die ethischen Dimensionen des Dienens im Frieden und Einsatz notwendiger Bestandteil soldatischer Ausbildung sein. Der christliche Glaube und das christliche Wertefundament können hier, im Sinne eines Kompasses, Wegweiser und Handlungsmaxime sein. Andere Religionen können das auch. 165 Leutnantsbuch Der Spind N ach dem Offizieranwärterlehrgang wurde ich mit zwei anderen Kameraden zum ersten Truppenpraktikum kommandiert. „In der Truppe weht ein rauher Wind”, sagte einmal einer unserer Gruppenführer. Mit einem Mal wurden wir in die Welt der Allgemeinen Grundausbildung geworfen. Immer genauestens die Befehle und Zeiten einhalten, immer ein korrekter Anzug – das soldatische Vorbild beginnt eben schon in grundlegenden Dingen. Die Feldwebel, allesamt mit Einsatzerfahrung, achten sehr genau darauf. Da fragt man sich natürlich, was der Auslandseinsatz, das dortige Gefecht und dessen Ausgang mit einem korrekten Anzug gemein haben? Die ersten Tage der Grundausbildung sind vergangen, die neuen Rekruten hatten die Arzttermine sowie die Einkleidung hinter sich. Heute erhielten wir den Befehl, den Spindbau unserer Soldaten genauestens zu prüfen. „Und wenn da eben was nicht zu 100 Prozent passt, dann Sachen raus, zeigen und nochmal machen lassen”, so unser Zugführer zuvor. Nur wenn den Rekruten von Anfang an die korrekten Dinge beigebracht werden, würden sie zu disziplinierten Verhalten, Ordnung und Sauberkeit erzogen und somit dafür sensibilisiert werden. So betrete ich eine Stube meiner Gruppe. Sofort wird mir gemeldet, wie es den Soldaten beigebracht wurde. Bei der Spindkontrolle fallen drei Soldaten auf, deren Unterhemden nicht ordentlich gefaltet sind. Ich spreche das an, ziehe sie heraus und zeige wie es richtig geht, jetzt müssen die Rekruten selbst neu falten. Einem will es nicht gelingen, seine Faltweise unterscheidet sich deutlich von denen der Kameraden. Ich weise ihn darauf hin, dass er dies weiterhin 166 Leutnantsbuch intensiv üben soll. Der Erfolg wird sich dann von ganz alleine einstellen. Soldatisches Verhalten fängt schon bei einfachen Dingen wie dem Spindbau an. Und auf die Frage eines Rekruten, warum wir denn so penibel seien, antwortete ich mit genau diesem Satz. Durch korrektes Verhalten entsteht Verhaltenssicherheit, im Extremfall kann dadurch ein Menschenleben gerettet werden. Nach zwei Monaten kam ein neuer Oberfeldwebel – ein Reservist – in den Zug. Einer vom „alten Schlag”, wurde uns von den Feldwebeln gesagt. Seine Körperhaltung macht vom ersten Moment deutlich, dass er sein Auftreten als militärischer Führer sehr ernst nimmt und dies konsequent umsetzt – Oberkörper raus, Bauch rein, aufrechtes Stehen und direkter Blickkontankt zum jeweiligen Gesprächspartner. Natürlich waren wir geschockt, als der Oberfeldwebel unsere Stube kontrollieren wollte. Gerade durch den Zeitaufwand für die Ausbildungen hatten wir die eigene Stube ziemlich vernachlässigt: Hier ein paar Klamotten, da ein ungemachtes Bett und dort in der Ecke ungereinigte Ausrüstung. Es reicht genau einmal, dass er mit ruhiger, jedoch bestimmender Stimme sagt, dass er diesen „Zustand” nie wieder haben wolle. Nachdem er die Stube verlassen hatte, waren wir immer noch ziemlich perplex. „Wozu denn die Bude hier saubermachen?” oder „Das Ding hatte ich doch genug gereinigt!” gehören zu den Standardsprüchen. Moment mal! Sind wir nicht Offizieranwärter und Vorgesetzte, die jetzt und natürlich auch künftig selbst ein Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung sein wollen? 167 Leutnantsbuch HI Damals ging uns allen auf einmal ein Licht auf. Selbst wenn die Rekruten niemals unsere Stube betreten würden, haben wir trotzdem eine Vorbildfunktion. Als Führer muss ich, selbst wenn es mir schwer fällt, den „eigenen Schweinehund” überwinden. Gerade wenn man durch den langen und anstrengenden Dienst viel zu wenig Zeit und Schlaf bekommt, kommt es darauf an, nicht nachzulassen. Jede Tat oder Unterlassung ist Ausdruck unseres Selbstverständnisses als künftiger Offizier – die Maxime heißt: Führen durch Vorbild. 168 Leutnantsbuch Die Truppenpsychologin II. Zug stillgestanden! – Zur Meldung – Augen rechts!“. „ Oberleutnant H. freut sich an diesem Morgen besonders auf seine Männer und Frauen, da er in dieser Woche die erste „scharfe“ Patrouille führen wird. Für das zweite Fahrzeug hat er Feldwebel F. ausgewählt, der bereits seinen zweiten Auslandseinsatz absolviert und seinem Zugführer durch ruhige und verlässliche Auftragserfüllung und kameradschaftliche Fürsorge seiner Gruppe gegenüber aufgefallen war. Auch der Kompaniechef hat Feldwebel F. als „sichere Bank“ für diffizile Aufträge beurteilt. Am nächsten Morgen bemerkt Oberleutnant H. bei der Befehlsausgabe ein leichtes Zucken im Gesicht unter der Helmkante bei Feldwebel F., das sich auf dem Weg zu den Fahrzeugen verstärkt und beim Öffnen der Fahrertür zu einem hektischen Zittern wird. Die Beruhigungsversuche durch gutes Zureden und einen freundschaftlichen Armdruck bringen kaum Besserung, vielmehr wirkt Feldwebel F. zunehmend gestresst. Der Zugführer entschließt sich kurzfristig Oberfeldwebel M. mitzunehmen und beantragt beim Spieß für Feldwebel F. eine Belegart 90/5 zur ärztlichen Begutachtung erstellen zu lassen. Die truppenärztliche Untersuchung bescheinigt ihm eine gute körperliche Fitness und keinerlei medizinische Einschränkung, sodass alle und allen voran Feldwebel F. das „Ereignis“ für eine kurzzeitige Schwäche halten. (Kameraden vermuten Ärger zu Hause, zu wenig Schlaf und etwas zuviel Alkohol). Feldwebel F. versichert seinem Zugführer, dass er sich nunmehr im Griff habe und voll einsatzfähig sei. 169 Leutnantsbuch Der II. Zug rückt am nächsten Morgen mit Feldwebel F. zu den Fahrzeugen ab und sitzt auf. Oberleutnant H. kontrolliert seine Teams persönlich und bemerkt bei Feldwebel F. nun eine Blässe im Gesicht, durchsetzt von kleinen und großen roten Flecken. Oberleutnant H. nimmt Feldwebel F. vom Fahrzeug und gibt ihm den Auftrag, mit dem S 6-Feldwebel des Bataillons Fernmelde-Gerät auf Vollzähligkeit und Funktionalität zu überprüfen. Am Abend nimmt er ihn beiseite und führt ein persönliches Gespräch mit ihm, um dessen Situation besser einschätzen zu können. Neben privaten Sorgen mit der Verlobten erfährt er dabei auch von der unmittelbaren Nähe seines Gruppenführers zu einem Anschlag während seines ersten Auslandseinsatzes. Bei der weiteren, genauen Abklärung dazu verhält sich F. reserviert und wird zunehmend einsilbig. Er scheint auch weniger ansprechbar zu sein. Oberleutnant H. erinnert sich an einen Unterricht zur psychologischen Einsatzvorbereitung in Hammelburg und regt an, dass sein Feldwebel mal bei der Truppenpsychologin, Oberstleutnant S., vorbeischauen könnte. Feldwebel F. ist entsetzt und verteidigt sich spontan: „Ich bin doch nicht meschugge und lasse mir vom Seelenklempner die Karriere versauen!" Andererseits bemerkt er wohl, dass sich sein Verhalten in einer Weise verändert hat, die er sich nicht mehr selbst erklären kann, und ganz besonders sein nervöses Zittern und das Herzpochen, wenn er zur Patrouille aufsitzen soll, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Durch seine Feldwebelkameraden, von denen einer ähnliche Stressfolgen nach einem schweren Verkehrsunfall schildert, lässt er sich doch zu einem Besuch bei der Truppenpsychologin bewegen und vereinbart gleich am nächsten Tag einen Termin. Im Gespräch mit Frau Oberstleutnant S. ist ihm dann aber zunächst einmal mulmig und er stottert anfänglich unsicher, was ihm aber durch die 170 Leutnantsbuch freundliche Akzeptanz und sichere Gesprächsführung schnell genommen wird. Es wird ihm bewusst, dass es Situationen, auch im Soldatenleben, gibt, die einen unvermittelt mit aller Wucht treffen können und damit unsere sonst auf Konsequenz getrimmten Sinne in der Schreckenslage auseinander driften und ganz erhebliche „Speicherfehler“ im Gehirn produzieren. Erinnern ist danach nur teilweise, zum Beispiel an ein unbestimmtes Gefühl des Unbehagens und der Angst, möglich, ohne zu wissen, wozu dieses in der eigenen Erfahrung gehört! Stück für Stück kann so in diesem ersten Gespräch mit der Truppenpsychologin eine Verbindung zwischen einem rotgrünen Aufkleber am Handschuhfach seines Fahrzeugs (als „Auslöser“ seiner Erregung) und irgendwie, wenn auch sehr diffus, mit dem Anschlag aus dem ersten Auslandseinsatz aufgezeigt werden. Auf diese Weise findet Feldwebel F. nach und nach die Versatzstücke seiner Erinnerung und kann diese so zusammenbauen, dass das problematische Geschehen geortet werden kann (eine kleine afghanische Flagge, die er kurz vor der Detonation der Bombe in einem vorbeifahrenden Fahrzeug gesehen hatte und die entsetzlichen Schreie der Kameraden aus dem Fahrzeug vor ihm, denen er nicht helfen konnte). Im weiteren Verlauf der Gespräche merkt Feldwebel F., wie beim Aufarbeiten dieser Erkenntnis eine große Last von seiner Seele fällt, er sein altes Selbstvertrauen wiederfinden und mit Zuversicht seine weitere Karriere planen kann. Oberleutnant H. ist froh, seinen leistungsfähigen Feldwebel wieder einsetzten zu können. Wie gut es doch war, sich an diesen Unterricht aus der Einsatzvorbereitung im richtigen Moment erinnert zu haben. 171 Leutnantsbuch Primus inter pares I ch hatte noch nie solche Schmerzen. Dennoch überrascht es mich wieder, zu welchen Höchstleistungen der menschliche Körper imstande ist. Es ist Mittwochnacht und seit Montagmorgen bin ich zwischen 90 und 100 km marschiert, ich weiß es gerade nicht so genau. Eben haben wir einen weiteren Durchlaufpunkt und damit 10 Minuten Pause erreicht. Als ich meinen Rucksack quasi fallen lasse, fühle ich mich im ersten Augenblick wie eine Feder. Die letzten Tage sind an Schultern, Rücken und Beinen beileibe nicht spurlos vorüber gegangen. Immerhin trägt jeder von uns 30 kg Gepäck, inklusive Koppel und Gewehr. Ich werfe mir schnell meinen Kälteschutz über, lehne mich mit dem Rücken an den Oberfeldwebel der hinter mir sitzt, und lasse die letzten Tage und Wochen Revue passieren. Es ist Februar und ich bin mitten im Vorbereitungsprogramm für die Eignungsfeststellung zum Kommandosoldaten. Am Montagmorgen, vor zwei Tagen gegen 1 Uhr früh, sind wir zu einem 150 km Trainingsmarsch aufgebrochen. Wir sind die ersten 75 km bis zu unserem Biwak-Raum marschiert, den wir in der Nacht erreicht haben. Gestern und heute Vormittag hatten wir Seil- und Kletterausbildung, aber auch ein Grillabend am offenen Feuer durfte nicht fehlen. Und seit ein paar Stunden sind wir wieder auf dem Rückmarsch, die zweiten 75 km. Im Ganzen war der Lehrgang eine „neue“ Situation für mich, immerhin war ich vor vier Jahren als Zugführer zuletzt im Gefechtsdienst. Freilich war die Vorbereitung hierfür auch körperlich anstrengend, aber nach einer so langen Zeit im Studium und in einer folgenden Ämterverwendung ist es erst einmal ungewohnt, wieder als Teil einer Gruppe im Feld ausgebildet zu werden. Hinzu kommt nicht nur, dass ich zu 172 Leutnantsbuch den älteren Teilnehmern gehöre, sondern auch, dass ich als einziger Hauptmann der Dienstgradhöchste bin. Es gibt eine handvoll Offiziere. Der Großteil der Teilnehmer ist Feldwebel oder Stabsunteroffizier und bis zu acht Jahre jünger als ich. Aber wir haben uns alle der gleichen Herausforderung gestellt, und das ist es was hier zählt. Doch so einfach war es am Anfang nicht, als „der Hauptmann“ einfach mit dazu zugehören. Viele Jüngere kennen Soldaten dieses Dienstgrades nur als Kompaniechef, und das führt zu Zurückhaltung. Wie ist der so? Packt der mit an? Kann man mit dem überhaupt normal reden? Erwartet der eine Sonderbehandlung, oder kann der „einer von uns“ sein? Diese Bedenken muss man kennen. Ich glaube, hier hätte mir Arroganz genauso wenig weiter geholfen wie übertriebene „Kumpelhaftigkeit“. Wer sich, als Gleicher unter Vielen, nicht einbringen kann, der wird hier scheitern. Wer aber vergisst, dass er Offizier ist, wird es auch nicht leicht haben, denn die Kameraden vergessen es nicht. Es wird immer wieder von den Offizieren ein Quäntchen mehr als von anderen Soldaten erwartet, mit gutem Beispiel voranzugehen, auch hier. Der Offizier verliert nicht den Überblick, und er ist gewiss nicht der erste, der irgendwo aufgibt, auch hier nicht. Er muss immer ein bisschen der Führer bleiben, auch wenn er es gerade nicht ist. Dazu fällt mir eine Geschichte von gestern Abend ein. Als ich mich mit einem der Stabsunteroffiziere unterhalte, geraten wir über irgendeine Kleinigkeit in Streit, den wir dann auch mit einer etwas derberen Wortwahl ausfechten. Daraufhin gesellt sich ein Feldwebel dazu und meint, dass der Stabsunteroffizier so nicht mit mir reden könne, immerhin wäre ich ein Hauptmann und könnte irgendwann wieder sein Vorgesetzter sein. Er hat recht. Genau um diesen Spagat geht es hier, den rechten Mittelweg zwischen „Kumpel“ und Dienstgradhöherem zu schaffen. Das macht 173 Leutnantsbuch schließlich die Kameradschaft aus, oder? Und die funktioniert hier. Es ist egal, welche Dienstgrade hier nachts im Zelt zusammenrücken, weil sie vor Kälte nicht schlafen können. Es ist egal, wer in der Pause aufsteht und die Wasserflaschen der anderen einsammelt und mit auffüllt, damit die restliche Gruppe sitzenbleiben kann. Es ist auch egal, ob der Ausbildungsleiter im Dienstgrad unter oder über einem steht. Seine Erfahrung und Motivation wird gerne angenommen, für einen herablassenden Blick von oben ist hier kein Platz. Ich werde wachgerüttelt. Meine „Lehne“, der Oberfeldwebel hinter mir, ist aufgestanden. Ich bin wohl doch eingedöst, und das Aufstehen und Aufsetzen des Rucksacks kommen mir unendlich lang und quälend vor. Ich weiß nicht, ob ich die restliche Nacht durchhalte. Viele von unserer Gruppe mussten bereits aufgeben. Aber ich habe ein gutes Gefühl, weil ich von Kameraden umgeben bin, auf die ich mich, unabhängig ihres Dienstgrades, verlassen kann, und die sich auf mich. Also weiter. Einen Fuß vor den anderen. Was hat der Oberstabsfeldwebel, der Zugführer, am Sonntag noch gesagt? Alles hat ein Ende, man muss es nur erreichen … HI Kameradschaft ist ein Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls unserer Streitkräfte. Gerade in belastenden Situationen hilft Kameradschaft, diese besser durchzustehen – gemeinsam als Team. Sie gilt auch über Dienstgradgruppen hinweg. Als Offiziere sind wir besonders verpflichtet, Kameradschaft zu fördern, ohne dabei in kumpelhaftes Verhalten zu verfallen. Unter Belastung stehen wir als Offiziere besonders im Fokus und sind oftmals mehr gefordert als andere. 174 Leutnantsbuch Reserve im Schwerpunkt N ach erfolgreichem Abschluss des Studiums sollte ich im schönen Thüringen das fordernde Handwerkszeug eines Zugführers meiner Truppengattung mit Personal- und Materialverantwortung auffrischen. Bereits nach kurzer Zeit kam es zur Versetzung auf den Dienstposten des Batterieeinsatzoffiziers und der damit verbundenen Aufgabe, die einsatzvorbereitende Ausbildung der Batterie, welche in ihrer Zweitrolle als Kompanie im Rahmen des deutschösterreichischen Operational Reserve Force Bataillon (ORFBtl) eingesetzt werden sollte, planerisch auszugestalten. Dieser fordernden Aufgabe nahm ich mich voller Tatendrang an. Ich stellte sehr bald fest, dass die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Einsatzes des ORFBtl im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina allgemein als sehr gering erachtet wurde. Dennoch und gerade wegen der Verantwortung gegenüber den anvertrauten Soldatinnen und Soldaten nahm ich die Aufgabe sehr ernst und plante die Ausbildung umfassend und detailliert aus. Die Vorbereitung zielte im Schwerpunkt auf die Zertifizierung des ORF-Btl im Gefechtsübungszentrum ab. Hier konnte die Truppe vom Mannschaftssoldaten bis zum Einheitsführer die an sie gestellten Anforderungen erfüllen und alle Weichen für einen erfolgreichen Einsatz stellen. Am 27.06.2011 begann für das ORF-Btl I/2011 die Bereitschaftsphase. Vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr konnte jederzeit zur Verstärkung der dort eingesetzten Kräfte der Auftrag zur Verlegung auf den Balkan kommen. Die Lage im Kosovo war ruhig, genauso wie in Bosnien-Herzegowina. Die Einheit wurde dennoch mehrfach belehrt, dass im Falle der Aktivierung, alle Soldaten unverzüglich in den Standort zurückkehren müssten; Auslandsurlaub war in der Urlaubsphase im Juli daher nicht möglich. Wie der Urlaub 175 Leutnantsbuch für jeden Einzelnen verlief, kann ich nicht bewerten, wie er jedoch endete sehr wohl. Als StvBttrChef bekam ich Ende Juli an einem Samstag einen Anruf mit den Worten: „Herr Oberleutnant, aufgrund Lageverschärfung im Kosovo wird das ORF-Btl von jetzt an in Rufbereitschaft versetzt.“ Ich setzte diesen Befehl unverzüglich um, so dass ich bereits sonntags gegen 12:00 Uhr dem Batteriechef Vollzug melden konnte. In den unzähligen Telefongesprächen merkte man den Soldaten die Unsicherheit deutlich an. Fragen wie „Herr Oberleutnant, verlegen wir wirklich in den Kosovo, meine Familie möchte gerne Gewissheit“ oder „Hätten Sie als Vorgesetzter diese Lageverschärfung im Kosovo für möglich gehalten?“, waren nahezu immer gegenwärtig. Für den Vorgesetzten ist das eine schwierige Situation. Es gilt Ruhe auszustrahlen, einen kühlen Kopf und die Kontrolle über die Situation und die eigene Wortwahl zu bewahren. Am 1. August war die gesamte Einheit wieder im Dienst und wartete gespannt auf Meldungen aus dem Kosovo. Ich selbst war als OffzFü beauftragt, im Falle einer Alarmierung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Als solcher bekam ich am 01.08.2011 um 21:00 einen Anruf vom OvWa: „Das Einsatzführungskommando hat angerufen. Der Einsatzbefehl der NATO für das ORF-Btl ist offiziell. Die ersten Teile fliegen am 03.08.2011 in den Kosovo.“ Und so flogen wir in den nicht für möglich gehaltenen Einsatz. Die Dauer war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, doch am Ende sollten wir bis zwei Tage vor Heiligabend im Einsatz verbleiben. Unser Einsatzraum lag im Raum NOVO SELO im Norden des Kosovos. Dieser ist überwiegend von Kosovo-Serben bewohnt und die Bezeichnung Hot Spot trifft hier besonders zu. Unsere neue Heimat, das Field Camp (FC) NOVO SELO, befand sich unter französischer Führung; die Aufnahme war herzlich und uns wurde alles Wichtige zur Verfügung gestellt. Zu Beginn wiesen uns portugiesische 176 Leutnantsbuch und ungarische Soldaten des KFOR Tactical Reserve Maneuver Battalion (KTM) in Raum und Lage ein. Durch die hervorragende Vorbereitung verlief diese Erkundung trotz vorhandener Sprachhindernisse sehr erfolgreich, so dass wir sechs Tage nach dem Eintreffen unserer Hauptkräfte im Kosovo die Raumverantwortung von der KTM übernahmen. Am 28.11.2011 hatte das ORF-Btl den Auftrag, eine Kreuzung im Norden des Kosovo bei der Ortschaft ZUPCE, zu nehmen. Die 2./ORF als Reserve eingesetzt, befand sich im FC NOVO SELO. Kurz nach dem Beginn der Operation wurde die Reserve alarmiert. Mein Auftrag war es, die Kompanie im Straßenmarsch in den Einsatzraum zu führen. Unter Zuhilfenahme von Hupe und Blinker gelang es, die Herausforderungen und Risiken dieses Unternehmens mit 20 Fahrzeugen durch geschlossenes und einsatzbereites Eintreffen im Einsatzraum zu bewältigen. Die Zugführer formierten ihre Züge, ließen die Schutzausrüstung anlegen und waren bald im rückwärtigen Raum einsatzbereit. Bereits kurze Zeit später kam der Befehl zum Verstärken und, wenn möglich, Herauslösen eigener Kräfte. Diese befanden sich seit 09:00 Uhr im Crowd and Riot Control-Einsatz (CRC) und standen dabei bis zu 500 gewaltbereiten Demonstranten gegenüber. Wir traten gegen 10:00 Uhr genau in dem Moment an, als Schüsse fielen. Ein Soldat wurde an der Wade getroffen und sofort ärztlich behandelt. Über Funk erhielten wir die Nachricht, dass auch unser Kommandeur durch einen Schuss verwundet wurde. Dieser eskalierende Gewaltausbruch der Gegenseite begann und endete völlig überraschend. In der Zeit von 10:15 Uhr bis 16:00 Uhr griffen die Demonstranten immer wieder mit Steinen, Stöcken, Holzbänken und mitunter Holzäxten an. Glücklicherweise wurden nur wenige Kameraden ernsthaft verletzt. Für defensive und offensive Aktionen nutzten die 177 Leutnantsbuch Soldaten ihre CRC-Ausstattung sowie die Munition für die Granatpistole. Die Impulsmunition konnte die gewünschte Wirkung besser entfalten als die CS-Munition, denn die Demonstranten erwiesen sich mit ABC-Masken gut ausgestattet. Gegen 16:00 Uhr war die Kreuzung unter Kontrolle. Der Bereich wurde durch Stacheldraht verstärkt und durch deutsche und österreichische Soldaten gesichert. Im Norden der Kreuzung war die Anzahl der Demonstranten nicht größer als im südlichen oder westlichen Bereich. Dort stammten sie jedoch mit Masse aus MITROVICA und unterschieden sich qualitativ in Ausrüstung und Gewaltbereitschaft. Bei Einbruch der Dunkelheit griffen sie mit Molotow-Cocktails, Reizgas und einem Sprengsatz völlig überraschend erneut an. Die verheerende Wirkung blieb nicht aus. Soldaten erlitten starke Verbrennungen, wurden durch Splitter verletzt und durch Reizgas stark beeinträchtigt. Durch das unverzügliche Einleiten von Gegenmaßnahmen und umsetzen der Rettungskette konnte die Situation schnell in den Griff gebracht werden. Die Flammen wurden gelöscht, die verletzten Soldaten ärztlicher Hilfe zugeführt und die zu diesem Zeitpunkt eingesetzten Soldaten aus ihrem Auftrag herausgelöst. Weitere Zusammenstöße zwischen Kräften KFOR/ORF-Btl und den serbischen Demonstranten verliefen in der Folge ohne besondere Vorkommnisse. Dieser Tag wird jedem beteiligten Soldaten in Erinnerung bleiben und hat gezeigt, dass auch im Kosovo die Gefahr ein ständiger Begleiter ist. Der stellvertretende BtlKdr fasste den Erfolg der Operation mit den Worten zusammen: “Es ist bis jetzt für uns taktisch gesehen ein voller Erfolg. Es ist genau das eingetreten, was wir uns vorgenommen haben. […] Negativ ist natürlich, äußerst negativ, dass wir Verletzte haben, Verwundete, teilweise schwer Verwundete. Aber das ist vor allem der hohen Gewaltbereitschaft der Gegenseite geschuldet.“ 178 Leutnantsbuch Tatsächlich wurde ich als Vorgesetzter in Verantwortung, insbesondere für die mir anvertrauten Soldaten, mit Situationen konfrontiert, die man nur bedingt im vorhinein lernen oder einüben kann. Die zweckmäßige Entscheidung zur richtigen Zeit ist gefragt. Das ist schwer genug und größte Herausforderung an den militärischen Führer und Offizier - aber unser Auftrag. Ende Dezember, kurz vor Weihnachten, war meine Batterie wieder vollzählig in Deutschland angekommen. Zwei Tage später verließ der BtlKdr als letzter Soldat des ORF-Btl I/2011 den Kosovo. Die Erfahrungen aus dem Einsatz sind bereits im Gefechtsübungszentrum ausgewertet und in die Ausbildung aufgenommen worden. Diese Erkenntnis einer lernfähigen Armee motiviert für die kommenden Herausforderungen und wird den erwarteten Erfolg im Umgang mit speziellen Situationen, wie beispielsweise der beschriebenen Ende November 2011 im Kosovo, bewirken. HI „Unverhofft kommt oft“, dieses Sprichwort beschreibt die Ereignisse in 2011 im KOSOVO. Die Probleme im KOSOVO und der Einsatz KFOR fanden kaum mehr Beachtung. Da der Balkan aber schon seit dem 19. Jahrhundert ein Pulverfass ist und zukünftig wohl auch bleiben wird, gewann der Einsatz im KOSOVO schnell wieder an Brisanz. Das „worst case“-Denken hat im Militär noch immer seine Berechtigung und hat an Wichtigkeit nicht verloren: jederzeit bereit für Unvorhergesehenes, Flexibilität und Entschlossenheit sind weiterhin Tugenden, die jeder militärische Führer zeigen muss. Das ORF-Btl ist ein Infanterie-Btl. In unserem Fall stellten Raketenartilleristen die Kräfte. Dies zeigt, dass wir in erster 179 Leutnantsbuch Linie Soldaten sind und unabhängig von der fachlichen Aufgabe nahezu jede Truppengattung vorübergehend in einer Zweitrollenfähigkeit für Schutzund Sicherungsaufgaben im Einsatz eingesetzt werden kann bzw. muss. Hier ist in erster Linie Flexibilität und Willen gefordert, um Neues zu erlernen bzw. bisher ungewohnte Aufträge übernehmen zu wollen. Gründliche Ausbildung und Vorbereitung zahlen sich hierbei aus, auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes zunächst gering erscheint. 180 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Erfolgsfaktoren N eben der Auseinandersetzung mit der eigenen „ Persönlichkeit ist die Auseinandersetzung mit dem Beruf von grundlegender Bedeutung. Wer nicht aus tiefster Überzeugung hinter dem Beruf des Offiziers steht, wird keinen Erfolg haben, gefährdet letztendlich sich selbst und seine ihm anvertrauten Soldaten“, sagt Major Seidel. Wir sitzen im Biergarten des Kasinos der Offizierschule des Heeres in Dresden, die Sonne scheint und es geht uns gut. Major Seidel hatte sich richtig gefreut, uns wieder zu sehen. Deshalb sind wir seinem Angebot sofort gefolgt, uns noch einmal zusammenzusetzen. Obwohl wir im Moment ein wenig „unter Druck“ stehen, kommt uns eine Abwechslung gerade recht. „Erinnern Sie sich noch an Ihr Truppenkommando? Damals im Hörsaal – kurz vor der Formalausbildung – als ich Ihnen meine Gedanken zur Selbstbestimmtheit erklärt habe?“, fragt Major Seidel. Natürlich erinnern wir uns noch, wenn inzwischen auch etwas Zeit vergangen ist! „Und an die Bierdeckel, die ich während unseres ersten Treffens künstlerisch gestaltet hatte?“, ergänzt Major Seidel. „Ich habe sie sogar noch“, erwähnt er fast beiläufig, kramt in seiner Aktentasche und zieht sie mit einem Lächeln heraus. Triumphierend hält er die Bierdeckel hoch, legt sie dann auf den Tisch und sagt: „Ich hatte neben dem Begriff Selbstbestimmtheit auch den Begriff Erfolgsfaktoren erwähnt. Um die Sache für Sie „rund“ zu machen, möchte ich Ihnen auch hierzu noch ein paar Erläuterungen geben. Allerdings bin ich heute ein wenig unter Zeitdruck, weil heute Abend noch eine Vortragsveranstaltung im 181 Leutnantsbuch Militärhistorischen Museum ist, gleich hier um die Ecke. Ich nehme an, das kennen Sie.“ Ich nutze die Zeit, die Major Seidel braucht um die Bierdeckel auf dem Tisch zu sortieren und bestelle einen Latte Macchiato. Nachdem auch die anderen bestellt haben, fährt Major Seidel fort: „Betrachten wir zunächst noch kurz die Unterschiedlichkeit der Menschen. Dabei stellt man fest, dass die Menschen bei gleichen Startbedingungen, z.B. bei einem Lehrgang, mit gleichen Ressourcen auskommen müssen, die gleichen Hindernisse nehmen müssen, trotzdem unterschiedlich erfolgreich sind und die Ergebnisse teilweise erheblich voneinander abweichen. Aber nicht nur das, erfolgreiche Menschen kommen nicht nur schneller am Ziel an und stehen vorne, sondern sie kommen zu diesem Ergebnis auch noch auf andere Art und Weise. Oftmals mit einer gewissen Leichtigkeit. Woran liegt das? Es liegt vor allem am unterschiedlichen Begabungs- und Fähigkeitspotenzial der Menschen, ihrer jeweiligen lebensgeschichtlichen Entwicklung und ihrer Fähigkeit zu lernen. Aber das ist nicht alles. Sie kennen, bewusst oder unbewusst, die grundlegend notwendigen Faktoren, der zweite Schlüssel zur Führungskunst, die einen im Beruf erfolgreich werden lassen. Ohne diese ist eine erfolgreiche Führung von Menschen ebenfalls nicht möglich. Schnell wird man die freiwillige Gefolgschaft verlieren. Für den Begriff Erfolgsfaktoren habe ich mir auch ein paar Merksätze zurechtgelegt. 182 Leutnantsbuch Finde Deine Motivation! Allgemein ist eine Handlung nur sinnvoll, wenn es einen Zusammenhang zwischen Weg und Ziel gibt. Zusammenhänge müssen also erkennbar sein, Zusammenhanglosigkeit ist demzufolge Sinnlosigkeit. Dieser Sinnzusammenhang ist die Grundlage der eigenen Lebens- bzw. Berufsmotivation. Er definiert, worum es im eigenen Leben und im Beruf überhaupt geht. Die schlüssige und überzeugende Beantwortung der Frage, warum man den Beruf des Offiziers gewählt hat, vermittelt Sinn und stellt damit die eigentliche Motivationsquelle dar. Wie kann man sonst die physischen und psychischen Entbehrungen, mit denen man als Offizier und Heeressoldat konfrontiert wird, ertragen? Um sich der Beantwortung zu nähern, erscheinen in einem ersten Schritt folgende Lebensfragen nachdenkenswert: - Wofür möchte ich mein Leben nutzen? - Welche Lebenswünsche, z.B. berufliche, finanzielle, private, will ich mir erfüllen? - Welche Lebensweise, z.B. Gestaltung, Ablauf, Rhythmus, Themen, Einsatz der Ressourcen, familiäre Situation, räumliches Umfeld, Gesundheit, möchte ich verwirklichen? - Welche Leistungen, z.B. Ergebnisse, „Werke“, Anerkennung, Befähigung, möchte ich erreichen? - Welche meiner Anlagen, Begabungen und Stärken möchte ich weiterentwickeln und ausschöpfen? - Welchen zentralen Verantwortungen möchte und soll ich in meinem Leben gerecht werden? - Worauf kommt es an, damit ich meine Lebensfreude und Lebenszufriedenheit auf Dauer erhalten kann? Durch die Beantwortung erkennt man seine eigenen Zielvorstellungen. Damit kann ein Teil der Sinnzusammenhänge beantwortet werden. Das ist etwas sehr Wertvolles, 183 Leutnantsbuch denn ohne Ziel stimmen jede Richtung und jeder Weg. Der Beruf ist einer der Lebensbereiche, um diesen Vorstellungen näher kommen zu können. Ob und wie weit man den Weg des Heeresoffiziers gehen will, hängt meiner Meinung nach auch von der Beantwortung folgender Fragen ab: - Kann ich mich mit den aufgezeigten allgemeingültigen Werten und Normen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den besonderen soldatischen Tugenden, die teilweise sogar gesetzliche Pflichten darstellen, identifizieren? - Kann ich mit den Einschränkungen meiner Grundrechte durch die militärischen Erfordernisse leben? - Kann ich mich mit den aufgezeigten Besonderheiten von Landstreitkräften identifizieren? - Kann ich mit den physischen und psychischen Herausforderungen des Soldatenberufes zurechtkommen? Die Sicherung und Förderung der eigenen positiven Stimmung ist von besonderer Bedeutung im Leben insgesamt. Dabei spielen Glück und Zufriedenheit eine wesentliche Rolle. Ich habe mich immer wieder gefragt, was Glück und Zufriedenheit eigentlich bedeuten. Ich habe darauf ein paar Antworten gefunden. Dabei bedeutet Glück für mich: - eine positive Situation zu erleben, in der mir etwas Unerwartetes und auch Unverdientes gleichsam in den Schoß fällt, 184 Leutnantsbuch - einen Augenblick zu erleben, in dem ich mich auf eine positive und angenehme Erfahrung freuen kann oder diese Erfahrung machen darf. Somit ist Glück eine Sache der Gegenwart und der eigenen Wahrnehmung. Daher ist es sinnvoll, sich im Beruf solche glücklichen Momente bewusst zu vergegenwärtigen. Ebenso wichtig ist es jedoch, sich seine negativen Gedanken bewusst zu machen, da diese das Glücksempfinden massiv beeinträchtigen. Nur wer Macht über seine Gedanken besitzt, kann verhindern, dass sie zur schlechten Gewohnheit werden. Zufriedenheit hingegen entsteht für mich in der Rückschau und der Gesamtbetrachtung aller Erfahrungen, die sich zwischen den Gegensätzen z.B. Gelingen und Misslingen, Gesundheit und Krankheit, Fröhlichsein und Traurigsein abgespielt haben. Ich bin zufrieden, wenn ich insgesamt eine positive Bilanz aus meinen Erfahrungen gezogen habe und meine „wertvollen Zustände“ – meine Werte – erreichen, erfahren und vermitteln konnte. Dabei helfen mir negative Erfahrungen, die positiven zu erkennen und wertzuschätzen. Glückliche Momente dienen dabei mit zum Ausbalancieren der Gegensätze. Somit gehören Glück und Zufriedenheit zusammen. Es gilt noch zwei entscheidende Fragen zur Berufsmotivation zu beantworten: - Wann erfahre ich glückliche Momente, auch wenn sie noch so klein sind, im täglichen beruflichen Leben als Soldat? - Zeigt sich im täglichen Rückblick, ob ich meine mir wertvollen Dinge, auch wenn diese noch so klein sind, 185 Leutnantsbuch erreichen, erfahren oder vermitteln konnte und somit Zufriedenheit erlange? Wertvolle Dinge sind dabei für mich erstrebenswerte Zustände. Mit der Beantwortung dieser Fragen wird der eigene Weg zum Ziel ständig reflektiert. Entsteht kein Sinnzusammenhang mehr, ist das Ziel also nicht erreichbar, muss ich die Konsequenzen ziehen. Unmotivierte Menschenführer sind nicht verantwortbar. Wenn man seine berufsspezifischen Motive kennt und verinnerlicht, dann hat man eine gute Startgrundlage. Jetzt kommt es noch darauf an, die Motivation in die richtigen Bahnen zu lenken. Um diese Bahnen herauszufinden, ist ein Denken in größeren Zusammenhängen notwendig, bevor man konkrete Ziele formuliert und dann entsprechend handelt. Denke in größeren Zusammenhängen! Es ist notwendig, Ziele zu formulieren, die sich aus den Gegebenheiten und Vorstellungen der über oder unter einem stehenden Ebene logisch ableiten bzw. in den Gesamtzusammenhang stellen lassen. Das hat Aussicht auf Erfolg. Daher ist die Absicht der übergeordneten Führung Ausgangspunkt aller Überlegungen. Dieser Ansatz verhindert nicht ein kreatives Denken und Handeln. Um dieses Denken in Zusammenhängen zu fördern, sind Verwendungen auf unterschiedlichen Führungsebenen und Ausbildungen auf der jeweils nächsthöheren Ebene bestimmendes Merkmal des Offizierberufs. Damit aber nicht genug. Von einem Offizier wird erwartet, dass er sich selbst um Informationen bemüht, um Zusammenhänge zu erkennen, diese zu vermitteln, also 186 Leutnantsbuch sinnstiftend wirkt. Sei es durch die aufmerksame Verfolgung der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, die Beobachtung gesellschaftlicher, geistiger und kultureller Strömungen, das Studium der Militärgeschichte oder die Auseinandersetzung mit neuen Technologien. All das hat Auswirkungen auf den täglichen Dienst und ist in eigenen Entscheidungsprozessen mit zu berücksichtigen. Setze Dir Ziele! Ziele sind notwendige Bezugspunkte für menschliche Aktivitäten. Sie dienen uns als wesentliches Mittel, das eigene Handeln zu strukturieren und in definierten Bahnen zielgerichtet zu leiten. Ziele sollten immer sowohl lang- als auch mittel- sowie kurzfristig angelegt und erreichbar sein. Dabei muss man ein paar wenige Grundregeln beachten: - Ein Ziel soll konkret, eindeutig und präzise formuliert sein. - Ein Ziel und ein Erreichungsgrad müssen überprüft werden können, also messbar sein. - Ein Ziel soll Ansatzpunkte für positive Veränderungen aufzeigen. - Ein Ziel soll zwar hoch gesteckt, aber immer noch erreichbar sein. - Ein Ziel soll einen ausreichenden zeitlichen Bezug mit einem festen End(zeit)punkt haben. Dieses Ziel wird in eine Planung umgesetzt, ausgebildet und überwacht. Neben dem Fachwissen gehören ebenfalls bestimmte Fähigkeiten wie Projektplanungsmethoden, Gesprächs- und Moderationstechniken, Zeitmanagement, Konfliktmanagementwissen und andere Kompetenzen dazu, die man sich aneignen muss. 187 Leutnantsbuch Schaffe Dir Freiheit! Schon bei der Bestimmung und planmäßigen Umsetzung von Zielen wird deutlich, dass dies nur möglich ist, wenn Spielräume und Freiheiten gesichert und gefördert werden. Persönliche Freiheit muss mit Freiräumen korrespondieren, die ich den Soldaten, die ich führe, einräume. Dazu ist es wichtig, - Entscheidungen rechtzeitig zu treffen und nicht auf die „lange Bank“ zu schieben, - Optimismus und Zuversicht zu vermitteln, - Maß zu halten, - eine „klare Linie zu fahren“ und berechenbar zu sein, - Übersicht zu bewahren, - zu vereinfachen, wo es möglich und zweckmäßig ist; denn „nur das Einfache hat Erfolg“, - ehrlich zu sein. Die Beschränkung von Sachverhalten auf das Wesentliche gibt Spielräume und Entfaltungsmöglichkeiten für unser Handeln als militärische Führer. Mache das Beste aus einer Lage! Diese Aussage zielt auf eine bestimmte innere Einstellung, ohne die man keinen Erfolg hat. Die persönliche Motivation und die Bestimmung von Zielen, Methoden und Mitteln ist die eine Sache, das konkrete, situationsbezogene Handeln eine andere. Man kann nicht erwarten, dass nur durch Zielvorgabe und Projektplan oder Operationsplan alles gleich planmäßig läuft. Oftmals treten schon beim ersten Schritt Widerstände oder andere Hindernisse auf. 188 Leutnantsbuch Daher sind das Können und die innere Einstellung, - das Beste aus einer bestimmten Ausgangslage zu machen, - unter ungünstigen und schwierigen Bedingungen handlungsbereit und handlungsfähig zu bleiben und dabei auch hart gegen sich selbst sein zu können, - Chancen zu erkennen und Gestaltungsmöglichkeiten zu finden und zu nutzen, von entscheidender Bedeutung. Die geleistete Vorarbeit, wie das Verständnis der Zusammenhänge, die Definition von Zielen und die Gedanken zur Planung, leiten dann das eigene Handeln. Das führt letztendlich zum Erfolg. Ziele zu setzen, Chancen zu nutzen und sie zu verwirklichen gehören zusammen. Entwickle Dich weiter! Erfolg hat man nur, wenn man die innere Bereitschaft und den Willen hat, an sich selbst zu arbeiten, sich selbst weiterzuentwickeln, also lebenslang zu lernen. Sei es in der Persönlichkeitsentwicklung oder beim Erwerb neuer Fähigkeiten. Immer gilt: „Wer meint, fertig zu sein, bleibt stehen“ bzw. „Wer sich nicht verändert, der wird verändert“. Hierbei spielt die eigene Handlungsfreiheit und wie ich sie für mich zu nutzen verstehe, eine bedeutende Rolle. Halte Dich fit! Die Forderung nach körperlicher Fitness und Robustheit ist für den Offizier unerlässlich. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. Um Ziele in die Tat umsetzen zu können, braucht man Energie und Schaffenskraft. Wenn aber die körperliche 189 Leutnantsbuch Leistungsfähigkeit nachlässt, wird das Erfolgreichsein schwieriger. Gerade dann muss man verstärkt auf seinen Körper achten und die vorhandenen Kräfte effektiv einsetzen. Im Zusammenhang mit unserer körperlichen Leistungsfähigkeit ist auch die Beachtung des „biologischen“ Rhythmus’ notwendiger denn je. Es ist nicht gut, immer unter „Volllast“ zu fahren. Dies gilt für uns selbst, aber auch für die Menschen, die wir führen. Nur der Wechsel zwischen Aktivität und Entspannung bringt den Erfolg. Die Fehlerhäufigkeit nimmt ab, der klare Blick bleibt bestehen, die Gesamtübersicht und die persönliche Motivation bleiben erhalten oder nehmen sogar zu. Dies ist eine Art von Fürsorge sich selbst und anderen gegenüber.“ Major Seidel holt tief Luft. Unsere Getränke sind längst leer, und ein bisschen haben wir den Eindruck, dass Major Seidel unter Zeitdruck steht. Es ist sieben Uhr, um acht geht seine Veranstaltung los. Deshalb sage ich: „Herr Major, ich glaube, das müssen wir erst einmal verarbeiten. Sie hatten uns doch angeboten, uns Ihre Notizen mitzugeben. Steht das Angebot noch?“ „Keine Frage, natürlich!“, antwortet er. „Allerdings muss ich jetzt bald los, sonst komme ich zu spät. Wir werden ja sicher noch Zeit haben, weiter über unser Projekt zu sprechen. Ich habe da so eine Idee … mehr verrate ich Ihnen aber nicht. In zwei Wochen ist unser Ausbildungswochenende. Dann haben wir freitags Sportfest und abends werden wir grillen. Wie wäre es, wenn wird uns dann noch einmal zusammensetzen? Ich will versuchen, noch den ein oder anderen zu gewinnen, der uns aus seinem Soldatenleben erzählt. Kann ja nicht schaden, oder?“ 190 Leutnantsbuch „Das ist eine gute Idee“, antwortet Cindy und wir bestätigen dies durch Kopfnicken. Dann verabschieden wir uns, Major Seidel geht direkt los und wir bleiben noch ein wenig sitzen. Jetzt schmeckt auch schon ein Weizenbier. 191 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Das Ausbildungswochenende W eitsprung, 5.000-Meter-Lauf, Kugelstoßen und Schwimmen habe ich schon absolviert, der Rest sollte kein Problem sein. Dann habe ich das Sportabzeichen für dieses Jahr auch erledigt. Ich halte es für wichtig, die Bedingungen möglichst früh im Jahr abzulegen. Dann kommt man am Ende nicht in Zeitnot. Außerdem macht es auch mehr Spaß, dies gemeinsam zu tun. Ich sage das auch immer den anderen, dass man hier nicht nachlässig sein darf. Unser Sportfest im Rahmen des Ausbildungswochenendes hier an der Offizierschule des Heeres steht unter einem guten Stern, das Wetter wird auch weiterhin mitspielen – strahlend blauer Himmel! Bevor wir Offizieranwärter uns nachher mit Major Seidel treffen, werden wir aber noch an ein paar Spaßvorhaben im großen Rahmen teilnehmen. Ich habe mich für Sackhüpfen entschieden, Markus für den Eierhindernislauf. Annette und Cindy sind in der Damenmannschaft beim Tauziehen gemeldet und Jonas ist freiwillig als Schiedsrichter dabei. Von Major Seidel habe ich bis jetzt noch nichts gesehen, aber wir hatten uns ja auch erst für den gemütlichen Ausklang verabredet. Grill- und Lagerfeuerromantik. Allerdings hatte ich vorhin ganz kurz ein Gespräch mit Major Steegemann, den ich ja noch aus dem Gespräch im Kasino kenne. Er sagte, dass er auch zu uns kommen würde und noch den ein oder anderen Interessierten mitbrächte. Das kann wieder ein schöner Abend werden, denke ich. 192 Leutnantsbuch Auf dem Weg zu den Duschen treffe ich Jonas. Die sportlichen Aktivitäten haben wir hinter uns, jetzt heißt es, sich fein machen für den geselligen Teil. Jonas sagt: „Wir sollten Major Seidel noch einmal auf die schriftlichen Erlebnisberichte ansprechen. Ich fände das eigentlich ganz gut, wenn man die einzelnen Erzählungen sammelt bevor man sie irgendwann wieder vergisst.“ „Ja“, antworte ich, „das hatte ich mir auch schon überlegt. Wir werden ihn darauf ansprechen. Übrigens: Ich habe am Wochenende auch schon angefangen, mein Erlebnis im Offizieranwärterbataillon aufzuschreiben. Damals, als ich während der Übung so oft darüber nachgedacht habe, was ich eigentlich da gerade tue.“ Nach dem Duschen schlendern Jonas und ich zurück zum Sportplatz, wo es schon nach Gegrilltem riecht. Nach kurzer Zeit sehen wir die anderen, und dann auch Major Seidel, Major Steegemann und einen weiteren Stabsoffizier, den wir nicht kennen. Wir treffen uns auf halbem Weg, begrüßen uns, und vereinbaren, zuerst einmal für das leibliche Wohl zu sorgen. „In einer halben Stunde am Lagerfeuer“, sagt Major Seidel, und wir stimmen zu. Als wir gemütlich in einer kleinen Runde um das Feuer sitzen, beginnt Major Seidel: „Bevor wir uns anhören, was Major Steegemann und Major Schmidthuber zu erzählen haben, möchte ich mit Ihnen noch eine Idee besprechen, die ich letztens auf der Fahrt nach Hause hatte. Ich hatte Ihnen ja versprochen, weitere Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln – nach Möglichkeit 193 Leutnantsbuch in niedergeschriebener Form. Ein paar Beiträge habe ich auch schon zusammen. Ich glaube fest daran, dass Sie nicht die einzigen Offizieranwärter oder Offiziere im Heer oder in der Bundeswehr sind, die sich die Frage nach dem Besonderen an unserem Beruf gestellt haben. Wie wäre es, wenn wir unsere Ideen und Erlebnisse einfach einmal zusammenschreiben. Bestimmt gibt es andere, die eine solche „Sammlung“ als Anregung aufnehmen und auch – so wie wir – gemeinsam über die Inhalte sprechen.“ „Genau das haben Frank und ich heute auch gedacht“, pflichtet Jonas bei. „Wir fänden das richtig gut – auch für uns. Bestimmt kommt wieder eine Zeit, in der wir uns eine solche Sammlung noch einmal vornehmen – als Bettlektüre, oder einfach so, wenn einmal Zeit dafür ist.“ „Als Arbeitsbegriff für unsere Sammlung“, fährt Major Seidel fort, könnten wir „Das Leutnantsleben“ oder „Das Leutnantsbuch“ wählen. Aber das können wir ja noch einmal später besprechen.“ „Herr Schmidthuber“, sagt Major Steegemann, „Sie hatten doch neulich auch so ein tolles Erlebnis. Vielleicht beginnen Sie einfach mal mit Ihrer Geschichte, ich bin sicher, dann fallen uns noch weitere ein!“ Alle nicken und Major Schmidthuber beginnt zu erzählen. Das wird sicher ein langer Abend, hier am Lagerfeuer … mit Muskelkater und großer Zufriedenheit – insbesondere für Markus, der seinen Eierhindernislauf gewonnen hat. 194 Leutnantsbuch Einsatz beim Operational Mentoring and Liaison Team (OMLT) in AFGHANISTAN F ast drei Monate beim Einsatzunterstützungsverband KABUL waren bereits vergangen, als mich der Kommandeur in meinem Dienstzimmer aufsuchte. Er meinte, dass wir mal im Schatten des Kompanieblockes „eine rauchen gehen“ sollten. Das war in der Zeit unserer Zusammenarbeit – mittlerweile fast eineinhalb Jahre – bisher noch nicht vorgekommen, zumal ich Nichtraucher bin. Mir war also klar, dass irgendetwas vorgefallen sein musste. Sofort dachte ich an die Kräfte meiner Kompanie, die in KABUL bei angespannter Sicherheitslage unterwegs waren. Doch der Wind wehte aus einer komplett anderen Richtung. Der Kommandeur eröffnete mir, dass die Bundeswehr kurzfristig einen weiteren Ausbildungsauftrag für die Afghanische Armee (ANA) bekommen hat und dazu sei ab sofort qualifiziertes Personal abzustellen – Personal, das sich bereits im Einsatz befindet. Für diese Kameraden würde sich der Einsatz also um weitere Monate verlängern. Aufgrund meiner im Vorjahr gesammelten Erfahrungen sollte ich den Dienstposten des Senior Mentors übernehmen und damit ein OMLT führen. Dabei wird dem Schlüsselpersonal eines afghanischen Bataillons jeweils ein deutscher Soldat zugeordnet, der dann im laufenden Dienstgeschäft als Mentor fungiert. Die Arbeit im OMLT stellt aus vielerlei Sicht eine besondere Herausforderung dar. Die OMLT wirken immer mit anderen Nationen, welche benachbarten, übergeordneten oder unterstellten Verbänden der ANA beratend zur Seite stehen, zusammen. Damit die Zusammenarbeit möglichst friktionslos verläuft, ist hier zwingend interkulturelle Kompetenz und ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit gefordert, da durch die hohe Anzahl an Nationen und Schnittstellen mit unterschied195 Leutnantsbuch lichem Sprachniveau und verschiedenen Akzenten auch das eigene Englisch nicht immer verstanden wird. Außerdem müssen aufgrund der hohen Dienstgraddichte im OMLT alle anfallenden Tätigkeiten, wie Versorgungsfahrten, Technischer Dienst, Stuben- bzw. Containerreinigung im Team erledigt werden. Auch wenn man als Führer der oft zitierte „primus inter pares“, der Erste unter Gleichen ist, an den besondere Anforderungen gestellt werden, muss alles im gemeinschaftlichen Rahmen bewältigt werden. Die größte Herausforderung liegt aber im eigentlichen Auftrag selbst. Für Ausbildung und Beratung werden meist Sprachmittler benötigt. Hierbei kommt es immer zu einem unvermeidlichen Zeitverzug und einer gewissen Unsicherheit, ob das Gesagte auch so verstanden wurde oder mir die Absicht der afghanischen Kameraden auch richtig übermittelt wurde. Neben diesen Rahmenbedingungen, die an sich schon eine gewisse Gelassenheit und diplomatisches Geschick verlangen, befindet sich die ANA in einem rasant verlaufenden Entwicklungsprozess, der fast täglich Überraschungen mit sich bringt. Die Führer der ANA lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Die mit Ausbildung im russisch geprägten System, die mit westlich orientiertem Ausbildungsgang und die ehemaligen Mudschaheddin, die aufgrund ihrer Stellung in der afghanischen Gesellschaft sehr einflussreich sind. Allen ist aber die afghanische Gelassenheit gemein: z.B. Teetrinken und lange Diskussionen während des täglichen Dienstes. Aufgabe der internationalen Mentoren ist es, die afghanischen Führer zu beraten und ihnen Standardverfahren aufzuzeigen, damit der tägliche Routinedienst, der Ausbildungs- und Gefechtsdienst organisiert und planbar abläuft. Vieles aus dem uns vertrauten Dienstbetrieb der Bundeswehr ist bei 196 Leutnantsbuch einer Armee in der Aufstellung noch nicht vorhanden, sodass wirkliche Pionierarbeit geleistet werden muss. Wenn beispielsweise ein afghanischer Soldat Urlaub nehmen wollte, benötigte er die Unterschriften des Gruppenführers, des Zugführers, des Kompaniechefs, des Spießes, des Rechnungsführers, dann die des stellvertretenden Kommandeurs und letztendlich die des Bataillonskommandeurs selbst. Jeder einzelne Führer will immer an jedem Vorgang beteiligt werden und versucht Einfluss zu nehmen. Dadurch dauerte es entsprechend lange, bis dann bspw. der Urlaub genehmigt ist. Der beantragte Zeitraum ist dann oft schon verstrichen. Nur mit intensiver Überzeugungsarbeit, dass man dem unterstellten Bereich vertrauen kann und dadurch den Kopf für die wichtigen Führungsaufgaben frei hat, konnten wir eine Vereinfachung herbeiführen. So waren am Ende nur noch die Unterschriften des Zugführers, des Spießes und des Kompaniechefs erforderlich. Allerdings ließ sich der Kommandeur noch melden, wer wann im Urlaub war. Die Vereinfachung bewirkte auch, dass die Soldaten meist zur beantragten Zeit frei bekamen, was deren Motivation natürlich deutlich steigerte. Wenn man dann noch erfährt, dass der afghanische Kommandeur dieses Verfahren stolz bei der Kommandeurbesprechung als Fortschritt schildert und damit deutlich wird, dass die afghanischen Kameraden aus Überzeugung und nicht nur aus Höflichkeit einen Rat befolgen, dann wird man für sein eigenes weiteres Handeln motiviert. HI Der Offizierberuf fordert u.a. ein hohes Maß an Offenheit, Flexibilität sowie Kommunikations- und Belastungsfähigkeit – sowohl im Grundbetrieb als auch im Einsatz. Die Einsätze 197 Leutnantsbuch der Bundeswehr finden grundsätzlich im multinationalen Umfeld und in fremden Kulturkreisen statt. Deshalb ist gerade hier bei den Soldaten – auf der Basis des im Grundgesetz verankerten Menschenbildes – kulturadäquates Verhalten, d.h. der offene, sensitive, tolerante und respektvolle Umgang mit fremden Kulturen, Sitten und Gebräuchen unerlässlich. Um darüber hinaus angemessen auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können, kommt es darauf an, auf die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die hochwertige Ausbildung sowie auf das Können der Soldaten zu vertrauen, um einen Auftrag – und erscheint dieser zu Beginn noch so schwierig – erfolgreich erfüllen zu können. 198 Leutnantsbuch Medien im Einsatz I n Vorbereitung auf den Einsatz als Quick Reaction Force (QRF) des Regional Command North ISAF informierte uns unser Bataillonskommandeur und designierter Commander QRF während einer Teileinheitsführerbesprechung auf dem Truppenübungsplatz in Bergen, dass Medienvertreter ab jetzt unsere ständigen Begleiter sein würden. Er führte weiter aus, dass den Journalisten offen zu begegnen sei. Sie seien dafür verantwortlich, dass über unsere gute Leistung vor und während des Einsatzes in den Medien berichtet werde. Damit, so der Kommandeur, trage jeder Einzelne von uns zum Erfolg des Einsatzes bei! Im Anschluss an diese Besprechung wurde wenig über die Worte des Kommandeurs geredet. Medienpräsenz war als Randnotiz aufgenommen worden. Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, welche Ausmaße diese Präsenz noch annehmen sollte. In den kommenden Wochen nahm das Medieninteresse an unserer Arbeit jedoch rasant zu. Medientage, Interviews einzelner Soldaten und die Begleitung unserer Züge in der Ausbildung durch Journalisten waren bald an der Tagesordnung. Ständig erschienen Berichte über die „Hightechkrieger des Heeres“ und „… unsere Ausbildung zum Jagen der Taliban …“. Die meisten Berichte freuten uns, viele sorgten aufgrund der unmilitärischen Ausdrucksweise für Erheiterung und sehr wenige erregten unseren Unmut. Die Haltung der Medien war bei allen Begegnungen offen und fair. Nie habe ich erlebt, dass Journalisten uns gegenüber unangemessen oder aufdringlich aufgetreten wären. Auch wurde niemand zu Grundsatzfragen, wie etwa über den Sinn einer Mandatserweiterung, interviewt. Die Fragen der Journalisten waren ebenengerecht und es wurde akzeptiert, wenn jemand keine Antwort geben konnte oder wollte. Bald schon 199 Leutnantsbuch waren wir im Umgang mit den Medien routiniert. Diese bereits vor dem Einsatz gewonnene Routine half im Einsatz. Mit Beginn unserer Verlegung nach AFGHANISTAN nahm das Interesse weiter zu. So gab es schon zu Beginn einen Medientag in MAZAR-E-SHARIF. Hierbei konnten sich etwa 70 Medienvertreter einen Eindruck davon verschaffen, wie die QRF in verschiedenen Szenarien vorgeht. Es folgten Besuche von Fernsehteams, Delegationen der „Hauptstadtpresse“ und bundeswehrinterner Medien. Medienvertreter folgten uns nach POL-EKHOMRI, auf Patrouille in SAMANGAN und in die Gegend um KUNDUZ. Ein Fernsehteam stand neben uns im Checkpoint bei AYBAK. Manche waren einige Stunden bei uns und hatten offensichtlich relativ feste Fragenkataloge abzuarbeiten. Andere blieben für eine Woche und begleiteten unseren I. Zug in die Region um FEYZABAD. Dabei konnten sie die QRF hautnah erleben. Wir haben uns nicht verstellt und keine Fassaden aufgebaut. Wir haben den Medien als Stellvertreter einer interessierten Öffentlichkeit gezeigt, was wir machen und welche Probleme uns beschäftigen. Die Journalisten haben mit uns geschwitzt, Staub geschluckt und gelacht. Sie waren für uns so etwas wie Gäste und die anfängliche Scheu war gewichen. Auch nach dem Einsatz zeigten die Medien weiterhin großes Interesse an uns. Interviews am Rande des Heimkehrerappells, Besuche von Rundfunk und Fernsehen im Standort sowie etliche Berichte über die Einsatznachbereitung sind hierfür Zeugnis. Ich selbst habe beim Umgang mit den Medien stets gute Erfahrungen gemacht. Den Wunsch, einen Soldaten bei der Ankunft in Deutschland zu interviewen und mit ihm den Heimweg anzutreten, mussten wir ablehnen. 200 Leutnantsbuch Die ersten Stunden zu Hause gehören unseren Liebsten und keiner noch so interessierten Öffentlichkeit. HI Die Pressearbeit, d.h. die Zusammenarbeit mit den Medien, ist ein wesentlicher Bestandteil der Informationsarbeit der Bundeswehr. Sie wendet sich insbesondere an Journalistinnen und Journalisten aller Medien im In- und Ausland. Der Umgang mit den Medien ist grundsätzlich freiwillig. Wir betrachten die Journalistinnen und Journalisten als unsere Partnerinnen und Partner und gehen offen und ehrlich mit ihnen um. Als Soldaten hinterlegen wir die Visitenkarte unserer Einheit, des deutschen Heeres und der Bundeswehr. Die Berichterstattung in den Medien über die Aufgaben des Heeres, ihre Einsätze und den Alltag der Soldatinnen und Soldaten informiert die breite Öffentlichkeit unserer Bevölkerung, erzielt gesellschaftlichen Rückhalt und fördert das Vertrauen in die Bundeswehr. Sie trägt damit zum erfolgreichen Bestehen in den Einsätzen bei. 201 Leutnantsbuch Der kühle Kopf! I m Spätherbst erhielt meine Einheit den Auftrag im Einsatzkontingent KFOR eine Sicherungskompanie einer Task Force zu stellen. Kein außergewöhnlicher oder besonderer Auftrag, auch nicht für eine Flugabwehrbatterie. Bei der Erkundung im Dezember wurde aber die Brisanz dieses Auftrages deutlich. Grenzüberwachung an der Grenze zu MAZEDONIEN bedeutet Einsatz im Hochgebirge. Die Ausbildung in allen Teilbereichen begann und schnell stellten sich die besonderen Herausforderungen an Mensch und Material heraus. Im Einsatz angekommen, übernahmen wir die Aufgaben und lebten uns schnell ein. Wenig Zeit, eine große Fülle an Aufträgen und Zusatzaufträgen hielten die Einheit auf Trab. Schnell vergingen die ersten Wochen und die Sicherheit im Handeln nahm zu. Die Leistungsfähigkeit der Soldaten nötigte mir als Einheitsführer Respekt ab, und es wurde schnell deutlich, wie motiviert die Soldaten waren. Leutnant V. war als Zugführer eines Sicherungszuges eingesetzt und stellte bereits in der Anfangsphase des Einsatzes seine Umsicht und Besonnenheit im Umgang mit seinen Soldaten unter Beweis. Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Untergebenen waren seine Markenzeichen. So war es auch kein Wunder, dass ein weiterer Zusatzauftrag zunächst an Leutnant V. erteilt wurde. Die Kompanie hatte den Auftrag, im Süden des KOSOVO einen Bereich der Grenzsicherung zu ALBANIEN und MAZEDONIEN von der türkischen Task Force zu übernehmen. Aufgrund der Ausstattung und Ausrüstung kam für diesen Auftrag nur unsere Kompanie in Frage. Dieser Einsatz erforderte es, ein 202 Leutnantsbuch Höhenlager nahe dem Einsatzgebiet einzurichten, und so wurde Leutnant V. für einige Wochen zum Kommandanten dieses Höhenlagers. Unwegsame Straßen und das überwiegend alpine Gelände forderten den Einsatz von vorgeschobenen Außenposten im Gebirge. Diese wurden in Zeitabständen von zwei bis drei Tagen aus dem Höhenlager versorgt. Zunehmend wurden die Wetterbedingungen in den Außenposten schlechter und immer öfter zogen Nebel und eisige Luft in den Beobachtungsbereich, die die Auftragserfüllung erschwerten. Leutnant V. hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, den Personalwechsel auf den Observation Posts selbst durchzuführen und begleitete somit den Transport von Personal und Material zu den Außenposten. So konnte er sich ein Bild der aktuellen Lage verschaffen und das nachfolgende Personal selbst einweisen. Die Soldaten des Zuges schätzten die Nähe des Vorgesetzten, machte er ihnen doch so die Wichtigkeit ihres Einsatzes in diesem unwirtlichen Gelände deutlich. Wechsel und Transport konnten nur mit dem Überschneefahrzeug Häglund HUSKY durchgeführt werden, alle anderen Fahrzeuge versagten hier ihren Dienst. An einem kalten Morgen im Herbst nahm nun das Schicksal seinen Lauf. Wie so oft startete der HUSKY zum Wechsel des Personals zu den Außenposten. Beladen mit neun Soldaten und Verpflegung für drei Tage, war das Höhenlager schnell verlassen. Eine dichte Wolkendecke hing über dem Kosovo und der HUSKY gewann schnell an Höhe. Oberhalb von 2000 m hatte der erste Frost einen weißen „Zuckerguss“ auf dem spärlichen Bewuchs hinterlassen. 203 Leutnantsbuch Bei der direkten Anfahrt auf den Außenposten 2, auf einer Höhe von 2114 m geschah das, was im Untersuchungsbericht später als Verkettung unglücklicher Umstände beschrieben wurde. Der steile, mit Berggras bewachsene Weg war noch feucht vom Frost der Nacht, der HUSKY bewegte sich langsam auf den Scheitelpunkt des Anstieges zu. Da der HUSKY über ein automatisches Wandlergetriebe verfügt, schaltet dieses ab einer bestimmten Drehzahl in eine höhere Gangstufe. Und genau das tat das Getriebe jetzt. Der HUSKY, kurz vor dem Scheitelpunkt, hatte nun keine Leistung mehr zur Verfügung, um sich weiterhin der Schwerkraft entgegen zu stemmen. Das Fahrzeug begann rückwärts zu rutschen und geriet in Schieflage. Nach wenigen Metern kippte der Wagen und begann sich zu überschlagen. Durch mindestens vier Überschläge wurde die Karosserie zertrümmert, die Insassen und die Ausrüstung in ein Geröllfeld geschleudert. Die Bodengruppe des HUSKY blieb mit den Ketten nach oben ebenfalls in diesem Geröllfeld liegen. Die Soldaten waren alle verletzt, zwei Soldaten davon schwer. Obwohl selbst verletzt, begann Leutnant V. sofort, die leichter verletzten Soldaten einzuteilen. Einen vom Außenposten herbeigeeilten Soldaten beauftragte er damit, einen Notruf abzusetzen. Er selbst und zwei weitere Soldaten begannen mit der Versorgung der Verletzten. Später erzählte er mir, dass er in diesen Minuten wie in Trance handelte. Ob nun wie in Trance oder bei vollem Bewusstsein, die Erstversorgung wurde später vom eingetroffenen Notarzt als vorbildlich eingestuft und war 204 Leutnantsbuch verantwortlich dafür, dass den Verletzten kein bleibender Schaden entstanden ist. Erst nach dieser Erstversorgung und nach der Betreuung des unter Schock stehenden Kraftfahrers gestattete Leutnant V. einem Soldaten, dass dieser ihm auch seine Verletzungen versorgte. Über die OPZ der Task Force wurde ein Notruf abgesetzt, schnell war der für diese Zwecke vorbereitete Hubschrauber CH 53 in der Luft. Allerdings war der Pilot nicht in der Lage, die Maschine in der Nähe des Außenpostens zu landen. Nebel und schlechte Sicht machten eine Landung unmöglich. Nach einer ersten notfallmedizinischen Versorgung wurden die Verletzten mit dem inzwischen eingetroffenen Beweglichen Arzttrupp (BAT) zum nächsten möglichen Landeplatz des Hubschraubers transportiert und in das Feldlazarett nach PRIZREN geflogen. Noch am gleichen Abend wurden zwei Soldaten von der Luftwaffe nach KÖLN ausgeflogen und dort in ein Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert. Nach einhelliger Meinung aller Beteiligten ist es dem umsichtigen und besonnenen Verhalten von Leutnant V. zu verdanken, dass bei den verletzten Soldaten keinerlei bleibende Schäden an Leib und Seele entstanden sind. Alle Soldaten dieser Fahrt wurden im Anschluss an die medizinische Versorgung durch den Truppenpsychologen betreut und waren nach wenigen Tagen erneut einsatzbereit. Lange Gespräche mit dem Kraftfahrer nahmen ihm die Schuldgefühle und auch dieser Soldat war nach einigen Tagen bereit, sich erneut hinter das Steuer zu setzten. Der Einsatz ging ohne weitere tragische Vorfälle zu Ende und seitdem habe ich Leutnant V. etwas aus den Augen verloren. 205 Leutnantsbuch Vor einigen Wochen erhielt ich jedoch die Nachricht, dass er mittlerweile zum Hauptmann befördert wurde und in die Laufbahn der Berufsoffiziere übernommen wurde. Über diese Entscheidung freue ich mich außerordentlich, traf sie doch den Richtigen, einen vorbildlichen Kameraden und Vorgesetzten. HI Vorbild sein, auch in Notlagen! Der Leutnant schuf dadurch eine verlässliche Vertrauensbasis, dass er sich unablässig um seine Männer und Frauen kümmerte – im besten Sinne des Wortes. Er zeigt Interesse für deren Aufgabenerfüllung, teilt Belastungen mit ihnen und führt von vorn! Er zeigt fachliche Kompetenz, auch als Ersthelfer am Unfallort! Trotz eigener Verletzung bewahrt er die Übersicht, koordiniert die ersten sanitätsdienstlichen Maßnahmen und aktiviert die Rettungskette. Die Geschichte zeigt auch: Unsere Rettungskette funktioniert – und dies nicht nur in diesem Fall! Besonnen und kompetent handelnde Führer, eine funktionierende Rettungskette und eine offene Fehler- und Gesprächskultur nach dem Unfall schaffen Vertrauen und die Grundlage für ein rasches Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft! 206 Leutnantsbuch Führen von irgendwo I ch befinde mich seit zwei Tagen auf dem Truppenübungsplatz WILDFLECKEN und nehme mit meinen Kameraden an der einsatzvorbereitenden Ausbildung teil. Unsere Gruppe besteht aus einem Oberst, mehreren weiteren Stabsoffizieren und den Männern aus der „Truppe“. Vorbereitung für AFGHANISTAN, ein sehr gefährliches Land – im Süden. Im Norden, so hofften wir damals, im Bereich des durch die Bundeswehr geführten Regional Command, würde es hoffentlich etwas anders aussehen. Dort möge man die Deutschen und freue sich über die zielstrebige Hilfe und die Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes. Dennoch muss sich jeder Soldat, der die Heimat Richtung AFGHANISTAN verlässt, auf Gefangenschaft und Geiselhaft vorbereiten. Aus diesem Grund nehmen wir an der Ausbildungsstation „Geiselhaft“ teil. 10.00 Uhr: Wir fahren in einem Bus über den Übungsplatz, als plötzlich vermummte und bewaffnete Milizionäre auf der Straße stehen. Aus neun Uhr eine MG-Garbe, die den Bus zum Stehen bringt. Wie es ausgebildet wurde, verhalten wir uns ruhig und machen keine Anstalten, uns zu wehren. Ohne Waffen können wir sowieso nichts ändern – Hilflosigkeit! Der Führer der Geiselnehmer betritt den Bus und schreit mit ausländischem Akzent: „Wer ist der Chef im Bus?“ Niemand antwortet – alle warten, Totenstille! Einer der Milizionäre kommt auf mich zu, nimmt mich am Arm, zerrt mich aus dem Bus und sagt: „Du Chef!“. Ich denke: „Mist!“. Widersprechen will ich nicht, denn das zieht Sanktionen nach sich. Es folgen mehrere Stunden Geiselhaft, eine sehr realistische Ausbildung. Dann ist endlich Schluss! 14.00 Uhr: Einrücken in den U-Raum, um die Schlussbesprechung durchzuführen. Die ganze Gruppe sitzt müde auf den Stühlen und trotzdem herrscht ein wenig Unruhe. 207 Leutnantsbuch Ich kann mich vor Spannung kaum auf dem Stuhl halten, denn mir brennt eine Frage unter den Nägeln. Doch der Ausbilder ist schneller und direkter, als ich es in dieser Situation jemals gewesen wäre und stellt dem Oberst, ohne Umschweife eine mutige Frage: „Zu Beginn der Geiselhaftausbildung fragte der Anführer der Miliz nach dem „Führer der Gruppe“. Warum haben Sie sich nicht gemeldet? Es folgte eine Antwort, die jeder Soldat aus seiner Grundausbildung kennt: „Mich hat niemand zum Führer des Busses eingeteilt!“ HI 208 Leutnantsbuch Haar- und Barterlass, Piercing und Tatoos D ienstagmorgen, 08.30 Uhr: Seit knapp sechs Monaten bin ich Zugführer in der 4. Kompanie, habe mich nach anfänglichen Höhen und Tiefen ganz gut bei uns eingewöhnt, die innere tägliche Anspannung ist schon ein bisschen der Routine gewichen, und ich kenne auch schon die meisten Offiziere im Bataillon. Heute um 10.00 Uhr ist Offizierweiterbildung mit allen zusammen im Offizierheim. Der Rechtsberater (RB) der Division kommt, die Spieße sind ebenfalls dabei. Ein Kamerad sagte mir, das geschähe eher selten. Im Schwerpunkt soll es wohl um das Disziplinarrecht gehen. Na ja, Wehrrecht war an der Offizierschule des Heeres (OSH) nie meine besondere Stärke, im UZwGBw fühle ich mich auch heute noch nicht ganz sicher. Ich werde in Deckung bleiben, keine Fragen stellen und mich hoffentlich vor dem Kommandeur und den anderen Offizieren nicht blamieren, wenn sich jemand an mich wendet. 10.15 Uhr Nach der Meldung an den Kommandeur durch den Stellvertreter und einleitenden Worten erklärt der Kommandeur, wichtig sei ihm die Teilnahme der jüngeren Offiziere, da auch sie gelegentlich in der Situation seien, den Chef zu vertreten ... Toll, das wird ja heiter: Tests für die Oberleutnante und die Einsatzoffiziere ... Der Rechtsberater – man nennt ihn RB, ein etwas kühl wirkender Mensch, Jackett, Krawatte, ausgebeulte Hose, alte Lederaktentasche, kein großer Sympathieträger – trägt vor, weniger über einfache Disziplinarmaßnahmen, vielmehr über den Haar- und Barterlass. Immer wieder gebe es 209 Leutnantsbuch Beschwerden über diesen Erlass des BMVg, sei es, dass er vermeintlich zu stark in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen eingreife, sei es, dass er die Frauen und Männer ungleich behandle. Da dieser Erlass des BMVg als einer der ganz wenigen unmittelbaren Befehlscharakter habe, musste sich der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts schon mit ihm beschäftigen. Über den Minister kann man sich nur dort beschweren. Na die haben Sorgen. Zum Glück hatte ich damit noch keinen Ärger. Meine Jungs haben fast alle ganz kurze, einige auch gar keine Haare auf dem Kopf und die drei Frauen tragen ausschließlich Zopf im Dienst. Mit kurzen Haaren möchte ich sie mir gar nicht vorstellen. Jetzt, nach einigen Minuten, hat sich die Atmosphäre etwas gelockert und der „kühle Mensch“ aus dem Divisionsstab zieht mich durch teilweise heitere Beispiele und präzise Formulierungen schon fast in seinen Bann. Blicke nach links und rechts bestätigen mir: Den anderen geht es ebenso. Mir reicht es, wenn ich mir merkte, dass die Pflicht für Soldaten, sich kurze Haare schneiden zu lassen, nicht unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte eingreife und zu dulden sei. Zu der ungleichen Behandlung von Soldatinnen und Soldaten hat der RB einen Kernsatz gesagt, der mir einleuchtet: „Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln“. Prima. 10.45 Uhr Nach einer kurzen Pause, ich bin überrascht, wie viele doch noch rauchen, geht es weiter. Hauptmann L., Chef 2. Kompanie, geradlinig, dabei jugendlich, unverheiratet, spricht manchmal etwas zu laut, hat vorhin das Thema Piercing und Tatoos angerissen und der Kommandeur bat den RB, darauf einzugehen. 210 Leutnantsbuch Achtung, aufgepasst, Oberfeldwebel L. und Feldwebel S. haben beide Tatoos auf den Oberarmen und Stabsunteroffizier F. habe ich in Zivil schon mit einem Ohrring gesehen; ich mochte diese Kameraden jedoch noch nicht darauf ansprechen. Nun würde es etwas komplizierter werden, ruft der RB freudig, doch er fängt beim Einfachen an. Piercing sei eine Art von Schmuck, Tatoos ebenfalls. Die Innendienstvorschrift bestimme, dass männliche Soldaten zur Uniform keinen Schmuck tragen dürften, ausgenommen zwei Ringe, Krawattenspange und Manschettenknöpfe. Wer trägt so was schon ...? OK. Klare Regelung. Frauen dagegen dürfen, außer im Einsatz, „dezenten“ Schmuck tragen. Ausnahmen kann der Chef aus Sicherheitsgründen, z.B. Sport, befehlen. Aber was ist schon dezent? Zur Freude aller zeigt der RB einige Fotos „gepiercter Ungetüme“ und sagt unmissverständlich: Lippen- und Nasenpiercing sind sicher keine dezenten (Duden: „vornehm-zurückhaltend, unaufdringlich“) Schmuckstücke. Sie dürfen während des Dienstes nicht getragen werden. Gut so. Klare Regelung. Aber was ist mit den auffälligen Ohrsteckern in Form des Cannabisblattes? Meine Gedanken spricht für mich Chef 1. Kompanie aus. Jetzt windet sich nach meinem Geschmack der RB und sagt, hier müsse jeder Einzelfall betrachtet werden. Dies sei schließlich die königliche Aufgabe des Disziplinarvorgesetzten. Na toll, das hilft mir kein bisschen weiter, doch nach einigen Minuten der offenen Diskussion sehe ich ein, dass hier schlecht ein Katalog des Zulässigen und des Verbotenen erstellt werden kann. Der RB fährt fort: 211 Leutnantsbuch Gleichzeitig sei zu unterscheiden zwischen Schmuck, der einfach an- und abzulegen sei und demjenigen, der nur operativ entfernbar sei. Ein Befehl, sich z.B. das Piercing operativ entfernen zu lassen, ist unzulässig, da der Soldat oder die Soldatin einen derartigen Eingriff nach § 17 Abs. 4 SG nicht erdulden muss. In der Realität ist dann das Abkleben mit einem Pflaster die richtige und sinnvollste Maßnahme. Auch wichtig für die Beurteilung des Sachverhaltes und das Durchsetzen des Verbotes ist die Frage, ob das Piercing vor dem Wehrdienst eingesetzt wurde oder erst nach Dienstantritt – in Kenntnis des Verbotes – gestochen wurde. Bei Letzterem läge z.B. eine Dienstpflichtverletzung vor. Na hoffentlich haben wir bei uns nicht mal so einen Fall ...! „Und wie verhält es sich mit dem Tatoo, die Schlange von der Schulter über den Hals bis hin zum Ohr“, fragt der Spieß der 3. Kompanie. Er hat bestimmt einen konkreten Fall in der Kompanie im Auge. Tatoos, oder landläufig Tätowierungen, seien sozusagen „Permanentschmuck“, und unterlägen denselben Bestimmungen wie Piercings. Gibt es dezente Tatoos? Sie seien durch Pflaster abzudecken, denn der Befehl, sie wegoperieren zu lassen, sei schlicht nicht durchsetzbar. Aber wie bei Piercings sei das Stechen von sichtbaren Tatoos während des Wehrdienstverhältnisses wieder eine Dienstpflichtverletzung. Auf die Frage, wo man dies alles nachlesen könne, musste der RB passen. Es gäbe hierzu, neben den Aussagen zu Schmuck in der Anzugsvorschrift ZDv 37/10, keine ergänzenden Erlasse. Plötzlich wird er „bissig“ und merkte noch an, dass man auch in Deutschland nicht das ganze reale Leben in Erlasse und Vorschriften pressen könne. Schweigen im Raum. 212 Leutnantsbuch Mit einer persönlichen Anmerkung des Kommandeurs zu seiner 15-jährigen Tochter entschärfte dieser die Situation und wollte zum nächsten Thema „Der Vollzug“ überleiten. Der RB bat noch um einen Satz zum alten Thema: Durchaus wieder vertrauensvoll riet er uns, ihn bei solchen Fragen einfach anzurufen, auch dafür sei er schließlich da und werde ordentlich bezahlt. OK! Das war ein guter Schlussstrich und insgesamt überzeugend. HI Sei Vorbild! Halte Maß! Es gibt Grenzen der Toleranz. Die Achtung der Persönlichkeit ist wesentliches Merkmal und zugleich Forderung unseres Gemeinwesens. Sie findet jedoch u.a. dort ihre Grenze, wo die Freiheit Anderer beeinträchtigt wird oder wo zulässige Einschränkungen auf Angehörige staatlicher Institutionen wirken. Gesellschaftliche Erwartungshaltungen hinsichtlich der Haartracht und dem Tragen von Schmuck sind bei der Bundeswehr in maßvollen Erlassen niedergelegt. Es ist die Pflicht des Vorgesetzten, diese Bestimmungen durchzusetzen. 213 Leutnantsbuch Totengedenken V or wenigen Tagen bin ich als Militärseelsorger hier im PRT (Provincial Reconstruction Team) KUNDUZ eingetroffen, es ist mein zweiter Auslandseinsatz, das zweite Mal AFGHANISTAN, aber das erste Mal KUNDUZ. Die Kisten meines Vorgängers sind bereits gepackt, in zwei Tagen ist sein OUT. Wir sind mitten in der Übergabe. Er erklärt mir, wer hier für was zuständig ist, wie die Abläufe sind, was sich bewährt hat und was nicht. Wir prüfen Listen und unterschreiben Belege. Dann kommt der Kalender: feste Termine, welcher Pfarrer wann das Wort zur Woche für Radio Andernach spricht, und so weiter. Dann wird mein Kollege plötzlich ungewohnt ernst: „Da sind noch ein paar ganz besondere Termine. Wir haben hier in unserem Kontingent eine Tradition eingeführt und ich würde mich freuen, wenn Du sie weiterführst. Du warst ja schon am Ehrenhain und hast die Namenstafeln für die hier in KUNDUZ gefallenen Kameraden gesehen. Wir halten hier immer am Jahrestag eines Gefallenen am Abend bei Sonnenuntergang am Ehrenhain eine kurze Gedenkfeier; nichts Großes, zwei Musikstücke, ein Text, ein Gebet. Das dauert knapp eine viertel Stunde, aber es ist uns allen hier sehr wichtig geworden. Es wird keiner dorthin befohlen, der Pfarrer lädt in Absprache mit dem Kommandeur des PRT dazu ein. Nächsten Monat ist wieder so ein Gedenktermin.“ Das war vor knapp drei Wochen. Jetzt sitze ich hier am Schreibtisch in der „Gottesburg“, dem Gebäude der Militärseelsorge und bereite das Gedenken vor. Musik auswählen, Absprachen mit der Stabskompanie wegen Lautsprecher und Mikrofon. Das Technische ist schnell erledigt, aber was soll ich morgen Abend sagen? Natürlich kurz eine Vita des gefallenen Kameraden, aber dann? Macht das eigentlich Sinn, diese Gedenken? Ich kenne das 214 Leutnantsbuch Totengedenken ja aus der Kaserne in Deutschland am Volkstrauertag. Aber das ist anders, anonymer, eine jährlich wiederkehrende Zeremonie. Und von den Kameraden, die mit ihm hier im Einsatz waren, ist ja gar keiner da. Vermutlich kennt ihn heute hier gar keiner persönlich. Auf der anderen Seite war er ein Kamerad, der hier in KUNDUZ seinen Auftrag erfüllt und dabei durch einen heimtückischen Anschlag sein Leben verloren hat. Sein Name steht am Ehrenhain, das ist wichtig und damit bleibt er in unserer Mitte und mit uns heute hier, die wir jetzt unseren Auftrag in KUNDUZ erfüllen, verbunden. Vielleicht ist so ein Gedenken auch ein Akt der Kameradschaft und der Wertschätzung über den Tod hinaus. Kurz vor 18.00 Uhr; die Sonne verschwindet gerade hinter den Bergen, langsam füllt sich der Platz am Ehrenhain. Es kommen immer mehr, mit so vielen hatte ich nicht gerechnet. Anscheinend jeder, der es möglich machen konnte ist gekommen. Auch die belgischen Kameraden, die hier mit uns im PRT sind, habe eine Abordnung geschickt. Die Spieße stehen mit brennenden Fackeln am Ehrenhain. Der Kommandeur des PRT, der Vertreter des Auswärtigen Amtes, die Kompaniechefs, alle sind da. Die Musik fängt an. Für mich gibt es in diesem Augenblick keinen Zweifel mehr: Es ist richtig und wichtig, was wir hier heute Abend tun. Dieses Gedenken sind wir den gefallenen Kameraden schuldig, aber wir gedenken dabei nicht nur ihrer, sondern erinnern uns auch an unseren eigenen Auftrag und versichern uns unseres Rückhalts bei den Kameraden. Gemeinsames Gedenken verbindet. In drei Monaten werde ich meinen Nachfolger einweisen. Dann werde ich ihm dieses Gedenken ans Herz legen, so wie es mein Vorgänger bei mir getan hat. Es ist unendlich wichtig und wertvoll. 215 Leutnantsbuch HI Den verstorbenen Kameraden ein ehrendes Angedenken zu bewahren, ist ein Akt der Kameradschaft, auch über den Tod hinaus. 216 Leutnantsbuch Soldatin, Soldaten-Ehefrau und Mutter I ch bin Frau Hauptmann, Berufssoldatin, eingesetzt als Einsatzoffizier und ständiger Vertreter des Kompaniechefs in einer selbständigen Einheit. Mein Mann ist ebenfalls Hauptmann und trotz des gemeinsamen Lebensmittelpunktes etwa 80 Tage im Jahr dienstlich bedingt unterwegs und an jedem Feiertag und möglichen Brückentag im Dienst. Sein Urlaub ist auf feste Urlaubsblöcke determiniert. Jederzeit sind kurzfristige Lehrgänge oder Meetings im Ausland möglich. Im Jahr 2010 änderte sich mein Leben um 180 Grad, da ich neu an den Standort versetzt wurde und zwei Monate später unsere gemeinsame Tochter in einem mir unbekannten Umfeld ohne soziales Netzwerk zur Welt kam. Es war die achte Versetzung innerhalb von neun Dienstjahren. Verantwortung zu tragen ist als Soldat und Offizier selbstverständlich. Dazu gehört es auch, über die Rahmendienstzeit hinaus, den Sorgen, Nöten und Belangen der unterstellten Soldaten gerecht zu werden. Als meine Tochter 2010 auf die Welt kam, änderten sich die Prioritäten für mich gravierend. Ab diesem Zeitpunkt wurde mein Tagesablauf durch die Bedürfnisse meiner Tochter bestimmt und nicht mehr ausschließlich durch die des Dienstherren. Ich stellte schnell fest, dass ein Kind 24 Stunden pro Tag und 365 Tage im Jahr nicht mit einer klaren Linie zu planen, zu führen oder geschweige denn zu koordinieren ist. In der fast einjährigen Elternzeit befürchtete ich, die Herausforderungen im täglichen Dienstbetrieb oder auf einem Lehrgang mit dem neuen Schwerpunkt „Kind“ nicht mehr vereinbaren zu können. Die körperliche Belastung und sportliche Leistung waren dabei mein geringstes Problem. Die Einstellungen einer Mutter und einer Soldatin waren aus meiner Sicht nicht mehr 217 Leutnantsbuch deckungsgleich. Die Fürsorge für das eigene Kind ist die erste Priorität und oberste Pflicht aller Eltern und nicht umsonst im Grundgesetz verankert. Als „Offizier-Ehepaar“ ohne familiäre Unterstützung vor Ort, der Versetzung in einen neuen Standort ohne soziales Netzwerk sind 24Stundendienste, Übungen, Tagungen, Dienstaufsicht, Lehrgänge oder ein Einsatz scheinbar fast unmöglich und benötigen ein hohes Maß an Koordination. Bei ständiger Lageänderung sind Notfallpläne, im Privaten wie auch im Dienstlichen, für alle Beteiligten ein Muss, da mein Mann und ich exponierte Dienststellungen wahrnehmen. Ich liebe meine Tochter, aber auch meinen Beruf. Die Entscheidung „Berufssoldat für beide Elternteile?“ hat meinen Mann und mich viele schlaflose Nächte und unzählige Diskussionen gekostet. Es gibt kein entscheidendes Argument aus unserer Sicht, den Dienst und die Familie nicht zu vereinbaren. Man muss es in dem Wissen wagen, dass es nicht immer einfach sein wird, den eigenen Erwartungen und Vorstellungen aber auch den dienstlichen Erfordernissen gerecht zu werden. Mein normaler Tagesablauf gestaltet sich wie folgt: 05:10 Uhr Aufstehen, Kind wecken, Waschen, Anziehen, Haushalt, 06:00 Uhr mit Kind und Hund zur Kindertagesstätte gehen, 06:30 Uhr Kind abgeben, 06:40 Uhr Hund nach Hause bringen, 06:50 Uhr in die Kaserne fahren, 07:00 – 15:00 Uhr Dienst, 15:00 Uhr nach Hause fahren, Umziehen, Hund anleinen, 15:20 Uhr Kind abholen, 15:30 – 17:00 Uhr Spaziergang, Spielplatzbesuch, Einkaufen, Arztbesuche, etc., 17:30 Uhr Abendessen, Kind nachbereiten, Waschen und den nächsten Tag vorbereiten, 19:00 Uhr Kind zu Bett bringen, danach auch mal selbst etwas essen und nebenbei den Haushalt machen, 20:00 Uhr erstes Mal Zeit haben und müde sein. 218 Leutnantsbuch Auf uns und unsere Tochter wird im schulfähigen Alter die Problematik der unterschiedlichen Schulsysteme und Lehrpläne in den verschiedenen Bundesländern zukommen, wie es auch bei anderen Familien möglich ist. Zudem könnten wir im weiteren Verlauf unser Dienstzeit an einem Punkt kommen, an dem mein Mann oder ich zu Gunsten unserer Tochter die dienstliche Karriere hinten anzustellen haben. Andere, scheinbar unüberwindbare Herausforderungen, wie ein Auslandeinsatz, die räumliche Trennung der Familie an zwei verschiedenen Standorten oder der dreimonatige Stabsoffizierlehrgang in Hamburg, an dem wir beide in der nächsten Zeit teilnehmen werden, gilt es zu lösen. Der Lehrgang ist sehr anspruchsvoll und findet in über 600 km Entfernung zu unserer derzeitigen Heimat statt. Da ist wöchentliches Pendeln aufgrund der Kosten und der Zeit nicht in Betracht zu ziehen. Uns ist bewusst, dass wir als Familie und Soldaten die doppelte Last tragen, da beide Elternteile verpflichtet sind, über den allgemeinen Dienst hinaus an Lehrgängen und am Einsatz teilzunehmen. Durch eine Wochenendbeziehung entsteht eine maximale Belastung für die Familie und die Dienststelle des kinderbetreuenden Partners, da er/sie aufgrund der Kinderbetreuung nur bedingt verfügbar ist. Einer von uns hat sich deshalb teilweise dem verständnislosen Kind und den dienstlichen Obliegenheiten zu stellen. Zeit für eigene Sorgen, Nöte und Belange gibt es dadurch äußerst selten. Heute ist unsere Tochter zwei Jahre alt und wir sind beide Berufssoldaten in verschiedenen, spezialisierten Einheiten – aber an einem Standort. Das erste Dienstjahr nach der Elternzeit ist vorbei und alle möglichen Ängste haben sich derzeit nicht bewahrheitet. Dies ist zu einem großen Teil unseren Disziplinarvorgesetzten zu verdanken. Mit den Worten: „Ihre Tochter gibt das Tempo vor…“, hat mein Kompanie219 Leutnantsbuch chef sein Wort gehalten. Alle dienstlichen Belange richten sich an der Verfügbarkeit eines Erziehungs-berechtigten für unsere Tochter aus. Es war von Anfang an kein Problem, dass ich meine Dienstzeit den Öffnungszeiten der Kinderbetreuung anpasste. Ich wurde nie dazu angehalten „kleinkariert“ auf unzähligen Formularen zu protokollieren, wann ich was und wielange mache, sondern mein Disziplinarvorgesetzter vertraute mir. Im Gegenzug ist es für mich Freude und Motivation zugleich, zu dienen, die mir gegebenen Chancen zu nutzen und Aufträge zu erfüllen. Es ist für mich selbstverständlich, im Dienst auch Kameradschaft zu pflegen, aber nur in einem für mich vertretbaren zeitlichen Rahmen. Ich habe das Glück, nach dem Prinzip „Führen mit Auftrag“ geleitet zu werden. Auf meinem derzeitigen Dienstposten als Einsatzoffizier einer selbständigen Einheit habe ich die Möglichkeit erhalten, auf die Verwendung als Kompaniechef vorbereitet zu werden. HI Die Familie ist ein besonders schützenwertes Gut. Eine Familie mit Kindern zu gründen, ist eine absolut persönliche Angelegenheit derjenigen, die sich dafür entscheiden, und sehr begrüßenswert. Handelt es sich dabei um Lebenspartner / Eheleute, die beide berufstätig sind und wie vorliegend in den Streitkräften dienen, ergeben sich daraus naturgemäß ganz besondere, teilweise konkurrierende Herausforderungen mit einerseits den Blick auf die Familie und andererseits dem Blick auf den Dienst. Stets wird es darum gehen, Lösungen und Wege zu finden, die beiden Bereichen gerecht werden. Eine Vielzahl von Regelungen / Maßnahmen des Dienstherrn zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften hilft dabei. 220 Leutnantsbuch Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften ist eine wichtige Führungsaufgabe, der sich alle Vorgesetzten stellen müssen! 221 Leutnantsbuch Beim Handgranatenwerfen E s ist Februar, der vorletzte Tag eines Truppenübungsplatzaufenthalts in BERGEN. Ich bin Oberleutnant in einer Panzerpionierkompanie und eingeteilt als Leitender beim Handgranatenwerfen. Alles läuft reibungslos. Für viele der jungen Kameraden ist es das erste Mal, dass sie eine Gefechtshandgranate in der Hand halten. Ich versuche durch erneutes Erläutern des Ablaufs und vor allem durch das Ausstrahlen von Ruhe, den Kameraden die Nervosität zu nehmen. Im letzten Rennen ist ein Gefreiter, der zuvor als Absperrposten eingeteilt war. Wie die Kameraden vor ihm, weise ich ihn nochmals in den Ablauf ein, gebe ihm ein Hilfsziel und fange an, die Kommandos zu geben: „Fertig machen zum Handgranatenwurf!“. Die Granate fest an den Oberschenkel gepresst, löst er den Ring aus der Arretierung und schaut mich an. Für mich das Zeichen, dass er bereit ist. Auf mein Kommando „Wurf!“ schaut er mich wiederum an, wirft aber nicht. „Sie können jetzt werfen!“, war meine Reaktion. Und das tat er dann auch. Nur eine kleine, aber entscheidende Sache hat er dabei vergessen – den Splint zu ziehen. Ich sehe den Splint an der Granate in der Sonne blitzen, ziehe den Gefreiten aber dennoch an seiner Splitterschutzweste runter, denn sicher ist sicher. Erwartungsgemäß bleibt der Detonationsknall aus und wir beide hocken in der Werferstellung. „Fünf Minuten die Köpfe unten halten!“, höre ich meinen Sicherheitsoffizier (SO), einen erfahrenen Hauptfeldwebel aus dem Bunker brüllen. „Der Feuerwerker wird gerade informiert!“. „Meine Fresse!“, denke ich, „Warum muss so etwas denn immer kurz vor Toresschluss passieren?“ Innerer Gram steigt in mir auf und ich frage den Gefreiten, der wie ein Häufchen Elend mir direkt gegenüber kauert: „Was war 222 Leutnantsbuch das denn jetzt?“ „Ich weiß auch nicht.“, kam nur zurück. Schweigend verbrachten wir die restlichen vier Minuten. Wieder zurück im Bunker, warteten wir auf den Feuerwerker. Derweil unterhielt ich mich mit meinem SO und legte ihm immer noch leicht angesäuert dar, dass ich den Gefreiten nicht mehr werfen lassen wolle. Darauf meinte der Hauptfeldwebel: „Hören Sie. Der Junge ist jetzt total am Boden. Wenn er nicht mehr werfen darf, ist das sicherlich alles andere als gut für sein eh schon angekratztes Selbstbewusstsein. Ich würde ihm sein Erfolgserlebnis geben.“ Der Feuerwerker traf erfreulicherweise kurz darauf ein. Ich schilderte ihm das Geschehene und wies ihn ein. Nachdem er die Granate gefunden und kurz in Augenschein genommen hatte, nahm er sie auf und kam wieder zurück zum Bunker. „Hier ist das gute Stück.“ Der Feuerwerker fuhr mit seinem WOLF wieder aus dem Gefahrenbereich und ich hatte mir in der Zwischenzeit die Worte des Hauptfeldwebels noch mal durch den Kopf gehen lassen. „Gefreiter H., zu mir! Gehörschutz rein, Helm auf und mitkommen.“ In der Werferstellung wies ich den Kameraden nochmals explizit in die Übung ein und merkte, wie seine Anspannung nach meinen „besonders“ beruhigenden Worten nachließ. Man konnte förmlich sehen, wie der Gefreite das Gesagte in seinem Kopf noch einmal für sich durchging. Beim Werfen der insgesamt drei Handgranaten gab es dann auch keine weiteren Mängel. Im Nachhinein bin ich froh darüber, dass der Hauptfeldwebel mich umgestimmt hat, da eine Ausbildung ohne Erfolgserlebnis wenig Nährwert hat. Die letzten Tage unseres Truppenübungsplatzaufenthalts konnte man den besagten Gefreiten mit einem breiten Lächeln auf den Lippen herumlaufen sehen. 223 Leutnantsbuch HI Höre auf erfahrene Kameraden. Gerade ältere Unteroffiziere mit Portepee haben meist mehr Diensterfahrung. Die Autorität eines Vorgesetzten wird durch das Annehmen eines guten Rates nicht geschmälert. Die selbstständige Unterstützung älterer Kameraden gegenüber einem jungen Offizier kann sogar Ausdruck von Vertrauen und Anerkennung sein. 224 Leutnantsbuch Bergebereitschaft RC North – „Logistik in Nebenfunktion!“ N eben meiner originären Tätigkeit als Offizier des Stabes im Logistikunterstützungsbataillon (LogUstgBtl) in MAZAR-E-SHARIF war ich gleichzeitig Führer der Bergebereitschaft. Der Auftrag war es, liegengebliebene, verunfallte oder zerstörte Fahrzeuge im gesamten Verantwortungsbereich des Regional Command (RC) North zu bergen oder behelfsmäßig instandzusetzen und wieder in die entsprechenden Feldlager zu verbringen. Diese eigentliche Nebenaufgabe sollte letztendlich jedoch die Einsatzvorbereitung und den Einsatz dominieren. Bereits unmittelbar nachdem mein Kommandeur mir diese Aufgabe übertrug, war für mich eines klar: Ich fahre nur mit Männern und Frauen, die ich selbst auswähle, mit denen ich übe und denen ich ohne jede Einschränkung vertraue. Das zahlte sich im Einsatz mehr als einmal aus. Von besonderer Bedeutung war es für mich, eine Personalrotation so weit wie möglich zu vermeiden, um von Anfang an mit der gleichen Mannschaft zu arbeiten. Jeder sollte den anderen kennen lernen, sich auf die Besonderheiten des einzelnen einstellen und im Team wachsen. Dies gelang Dank vieler Übungsvorhaben über mehrere Wochen und einer frühzeitigen Schwerpunktsetzung durch das Bataillon. Vor keinem meiner Einsätze fühlte ich mich so gut vorbereitet wie vor diesem. Nichts wurde in der Vorausbildung ausgelassen. Die durch die umfangreiche und umfassende einsatzvorbereitende Ausbildung erzeugte gedankliche Sicherheit machte dann jedoch der Tod von drei Kameraden in KUNDUZ unmittelbar vor dem Abflug ins Einsatzland teilweise zunichte. Plötzlich fragte man sich, ob man ausreichend vorbereitet sei, und ob man in gefährlichen 225 Leutnantsbuch Situationen stets die richtigen Entscheidungen trifft. Was ist, wenn es einen meiner Soldaten oder mich trifft? Die ersten Tage in MAZAR-E-SHARIF verliefen wie in den letzten Einsätzen auch. Eine Flut von Vorträgen, Einweisungen und zusätzlichen Ausbildungen. Schlimm war in den ersten Tagen die unerträgliche Hitze. Manchmal hatte man das Gefühl, es würde einem ein Heißluftföhn direkt ins Gesicht blasen. So extrem hatte ich es bei weitem nicht in Erinnerung. Es waren letztendlich doch fast zwei Wochen, die der Körper brauchte, um sich zu akklimatisieren. Gleichzeitig übernahm ich mit meinem Personal die Bergebereitschaft für den Bereich des RC North. Das hieß zwei Wochen 60-Minuten-Bereitschaft, dann Wechsel mit dem anderen Zug. Gleich der erste Einsatz verlangte alles ab, was in der Vorausbildung ausgebildet und verinnerlicht wurde. Als ich in der Operationszentrale des Bataillons eingewiesen wurde, fragte ich zweimal nach der Koordinate, weil ich nicht glauben konnte, dass so weit abseits eigene Truppe ist. In diesem Fall hatte sich ein beweglicher Arzttrupp, der einem deutschen Operational Mentoring and Liaison Team (OMLT) und einem Bataillon der afghanischen Nationalarmee (ANA) angegliedert war, in einem Flussbett festgefahren. Eine Verbindung zur Truppe, die über 200 Kilometer entfernt vom CAMP MARMAL operierte, bestand nur einmal am Tag über Satellit. So verlief die gesamte Einweisung in den Einsatz über Dritte ohne direkte Verbindung zur Bergestelle. Eine Lagemeldung folgte der nächsten. So bildeten wir uns grundsätzlich erst ein klares Lagebild, bevor die Truppe marschierte. Ein Vorgehen, das sich aufs Beste bewährte. Auch wenn in mancher Situation der Zeitfaktor eine Rolle spielte, wurde ohne alle notwendigen Informationen über die Lage keine Bergeoperation begonnen. So kam es durchaus vor, dass 226 Leutnantsbuch durch gezieltes Nachfragen aus einem Transportpanzer FUCHS schnell ein DURO wurde oder umgekehrt. Beim Abmarsch gehen einem hunderte Gedanken durch den Kopf: „Erkenne ich ein mögliches Improvised Explosive Device (IED)? Finde ich den richtigen Weg? Wie reagiere ich bei Feindkontakt? Werden die afghanischen Kräfte am Kopplungspunkt sein?“ Der Marsch zum Ausfallort ist immer geprägt durch eine ständige Anspannung. Man ist pausenlos dabei sich zu orientieren, die Verbindung innerhalb und außerhalb zu halten und die Umgebung zu beobachten. Manchmal erinnert man sich an die Vorausbildung, wo eine einzelne Person mit Handy am Straßenrand stand, die dann als „Spotter“ identifiziert werden musste. Hier haben so viele ein Handy! Der Weg zur Bergestelle erwies sich im Weiteren als Herausforderung. Angefangen bei der Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften, denn noch vor der Begrüßung kam sofort die Frage nach Betriebsstoffen. Durch die OMLT waren wir jedoch darauf vorbereitet worden und hatten immer eine Reserve dabei. Nach Verlassen der Ring Road zeigte sich uns dann ein anderes AFGHANISTAN: Straßen oder Wege sind nicht mehr existent. Man fährt auf Trecks in einer schnelleren Schrittgeschwindigkeit durch eine Einöde, die unendlich und vollkommen unbewohnt scheint. Was teilweise sehr überraschte waren grüne, gut bestellte Felder, die plötzlich im Nichts auftauchten. Auch ein kompletter Rundumblick brachte keine Rückschlüsse auf mögliche Besitzer oder Bauern. Die Führung durch Kräfte der ANA war keinesfalls reibungslos. Neben dem Verständigungsproblem gab es ständig Orientierungsprobleme. Nachdem man das dritte Mal umgekehrt ist, obwohl man auf der Karte und auf dem FAUST-System genau seine Position nachverfolgte, 227 Leutnantsbuch kommen langsam die Zweifel. Nach weiteren Orientierungshalten und Diskussionen über den richtigen Weg traf ich die Entscheidung, die Führung selbst zu übernehmen. Erstaunlich war, dass selbst so weit abseits der größeren Verkehrswege die Karte mit dem Gelände vollkommen übereinstimmte. Selbst kleine Pfade waren genau wiedergegeben. Die Karte ist und bleibt das zentrale Orientierungs- und Führungsmittel. Nach einem insgesamt zehn Stunden dauernden Marsch erreichten wir die Bergestelle. Hier zeigte sich, dass sich die Vorausbildung und Übungen als geschlossenes Team bewährt hatten. Kurze Befehlsgebung, schnelle Erkundung, Einsatz der Sicherung. Alles funktionierte automatisch. Jeder kennt seinen Platz und weiß um die Tätigkeiten des anderen. Die Bergung des ausgefallenen DURO zog sich aufgrund der schwierigen Ausfallstelle über mehrere Stunden hin. Zwei Winden mussten eingesetzt werden, um das Fahrzeug zu stabilisieren und rückwärts aus dem Flussbett herausziehen. Aber am Ende hat das Zusammenspiel mit der Truppe vor Ort und meiner Bergemannschaft gut funktioniert. Ohne die reichhaltige Erfahrung und das Improvisationstalent meines Bergefeldwebels wäre das Fahrzeug fast gekippt und womöglich nicht mehr fahrfähig gewesen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Beurteilung des Geländes und die Ausbildung unserer Kraftfahrer eminent wichtig sind, um den Einsatz von Bergemitteln nach Möglichkeit von vornherein zu vermeiden. HI 228 Leutnantsbuch Die Beurteilung der Geländes spielt im Rahmen des Führungsprozesses ein gewichtige Rolle. Gerade bei dem Einsatz von Bergemitteln kommt es bei Berücksichtigung der Geländebedingungen darauf an, dass die Kraftfahrer erfahren und umfassend ausgebildet sind und es sich um ein bereits vor dem Einsatz eingespieltes „Team“ handelt. Dabei muss der militärische Führer auch in schwierigen und unübersichtlichen Lagen den Überblick behalten, Entschlossenheit zum Handeln zeigen sowie Mut zu unkonventionellen und pragmatischen Lösungen haben. 229 Leutnantsbuch “Psychokram“ S eit vielen Jahren werden in der Bundeswehr Peers ausgebildet, die in der Aufarbeitung von Extremsituationen Truppenpsychologen und Ärzte im Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung unterstützen. Welche Hilfe das im militärischen Alltag sein kann, wird vielen erst nach einem eigenen Erlebnis bewusst. Ich hatte mich entschieden, ein dreimonatiges Truppenpraktikum als Gruppenführer zu absolvieren. Nach langer, theoretischer Ausbildung, freute ich mich, in die Truppe zu kommen und endlich mit dem „richtigen Leben“ konfrontiert zu werden. Am Standort angekommen, erhielt ich eine Einweisung in die Kompanie. Unter anderem wurde ich darüber informiert, dass mehrere Kameraden zurzeit in Koblenz am Zentrum Innere Führung wären, um sich als Peer ausbilden zu lassen. „Was sind Peers und wozu brauchen wir die?“. Auf die entsprechende Erklärung erwiderte ich nur: „Aha, Psychokram“. Ungefähr nach der Hälfte des Praktikums stand für meinen Zug Schießen auf dem Dienstplan. Die Soldaten empfingen ihre Waffen, verlegten zur Standortschießanlage und das Schießen begann. Ab 11:30 Uhr wurde verpflegt. Die Soldaten marschierten zum Verpflegungspunkt. Einer blieb als Sicherung bei der Munition. Er würde später die Möglichkeit haben zu essen. Plötzlich knallte es. Ein Schuss? Wer sollte denn jetzt geschossen haben? Es waren doch alle bei der Verpflegung. Alle, bis auf den Soldaten, der als Sicherung auf der Schießbahn geblieben war. Der Zugführer und ein Gruppenführer rannten zum Schießstand, um nachzuschauen, was passiert war. Der Soldat lag mit einer blutenden Kopfwunde am Boden, die Waffe neben sich. Zug- und Gruppenführer spulten automatisch das Programm für dieses Szenario ab. Der Gruppenführer 230 Leutnantsbuch leistete Selbst- und Kameradenhilfe, während der Zugführer zurück zum Verpflegungspunkt lief, um den Notruf abzusetzen, dem Gruppenführer Unterstützung zu schicken sowie die Kameraden zu informieren. Innerhalb sehr kurzer Zeit war der Kamerad erstversorgt und vom Krankenwagen ins nächste Krankenhaus verbracht worden. Über seinen Zustand erfuhren die Soldaten zunächst nichts. Nachdem sich die Situation langsam entspannte, legte sich eine seltsame Stille über die Teileinheit. Die Soldaten kamen wieder zur Ruhe, die Eindrücke „sackten“ und keiner hatte große Lust zu reden. Der Zugführer war noch mit der Weitergabe der Informationen an den Chef und der weiteren Planung beschäftigt. An eine Fortführung des Schießens war nicht mehr zu denken. Also wurde nach Abschluss aller Maßnahmen die Verlegung zurück in den Standort befohlen. Immer noch geschockt, kamen die Soldaten in der Kompanie an. Sofort nach Ankunft ließen Chef und Spieß alle Kameraden der Kompanie in den Unterrichtsraum einrücken. „Männer“, begann der Chef, „ich habe eine traurige Nachricht zu verkünden. Am heutigen Tag hat einer unserer Kameraden versucht, sich das Leben zu nehmen. Über den Zustand des Kameraden wissen wir bisher nur, dass er am Leben ist.“ Er erklärte weiter die nächsten Schritte und entließ dann alle Soldaten, ausgenommen die Kameraden meines Zuges. „Männer, was Sie heute erlebt haben, ist nicht nur schrecklich und unfassbar für jeden von uns, sondern kann den einen oder anderen aus der Bahn werfen“. „Oh nein“, dachte ich, „Psycho-Kram?“. „Ich werde daher“, fuhr der Chef fort, „Verbindung mit der Truppenpsychologin der Brigade aufnehmen. Alles Weitere werde ich Ihnen später mitteilen.“ Noch vor Dienstschluss kam die Information, dass die Truppenpsychologin an diesem Tag nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Sie schlug vor, erste Maßnahmen unmittelbar durch die Peers 231 Leutnantsbuch nach ihrer telefonischen Anleitung durchführen zu lassen. Der Chef ging auf die Empfehlung ein und gab ihre telefonische Erreichbarkeit an die Peers weiter. Der Verlauf des Abends gestaltete sich für mich eigentlich wie immer. Außer einer gewissen Unruhe und einer für mich völlig untypischen Appetitlosigkeit schien alles normal. Wie immer ging ich gegen 22:00 Uhr zu Bett. Ich konnte lange nicht einschlafen, war aufgewühlt und wälzte mich hin und her. Kurze Schlafphasen waren geprägt von beunruhigenden Träumen, aus denen ich unruhig erwachte. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, fühlte ich mich zerschlagen und erschöpft, ohne jedoch Gründe für meine Schlaflosigkeit finden zu können. Wie geplant, rückte mein Zug um 10:00 Uhr in den Unterrichtsraum ein, um an einer psychologischen Nachbereitung teilzunehmen. Statt der Truppenpsychologin erschien der Chef und verkündete, dass diese kurzfristig verhindert sei, jedoch geraten hätte, die Nachbereitung durch Peers der Kompanie durchführen zu lassen. Unter Leitung eines zum Peer ausgebildeten Hauptfeldwebels wurde der Zug in zwei Gruppen eingeteilt. Als Merkmal für die Gruppeneinteilung wählte dieser den Grad der Betroffenheit der Männer, den er vorher erfragt hatte. „Wer kannte den Kameraden näher? Wer hatte auch privat mit ihm Kontakt? Wer war mit ihm auf Stube? Wer hatte erste Hilfe geleistet?“. Die beiden Gruppen gingen in unterschiedliche Räume. Während der zweite Peer, ein Oberstabsgefreiter, die Soldaten nachbereitete, die nicht ganz so belastet schienen, da sie weder persönlich mit dem Soldaten befreundet noch an der sanitätsdienstlichen Versorgung beteiligt waren, übernahm der Hauptfeldwebel die Kameraden, die sowohl näheren Kontakt hatten als auch an der Versorgung des Hauptgefreiten beteiligt waren. Ich hatte die Nacht noch in den Knochen und beschloss, mich 232 Leutnantsbuch nicht aktiv an der Nachbereitung zu beteiligen. So etwas brauchte ich nicht. Einen Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom Vortag und der folgenden Nacht sah ich nicht. Der Hauptfeldwebel begann die Gesprächsrunde mit der Frage „Was ist passiert?“. Der Reihe nach erzählten die Kameraden von ihren Eindrücken. So wurde für jeden mosaikartig das Lagebild vervollständigt und die Erinnerungslücken wurden geschlossen. Ich war einsilbig und ablehnend. Auch die Frage nach besonderen Reaktionen auf das Ereignis ging durch die Runde. Ich beteiligte mich nur wortkarg an der Diskussion. Jedoch zeigten mir die Reaktionen der anderen Kameraden, dass meine eigene Nacht, die Träume, die Bilder, weder unnormal noch die Ausnahme waren. Beinahe jeder aus der Gruppe berichtete von Reaktionen, die nicht alltäglich und zum Teil erschreckend waren. Nach und nach gewann ich Vertrauen und begann zaghaft, von meiner Schlaflosigkeit zu berichten. Vollkommen unerwartet für mich wurde ich weder ausgelacht noch schräg angeschaut. Im Gegenteil, in den Gesichtern der Kameraden stand Verständnis! Im Anschluss folgte noch eine kurze Informationsrunde durch den Peer. Er schilderte mögliche Reaktionen auf extreme Situationen und zog die Grenze zwischen vorübergehenden Phänomenen und krankhaften Ausprägungen. Nach dem Gruppengespräch bat ich den Hauptfeldwebel um ein persönliches Gespräch. Ich bedankte mich für die vertrauensvolle Atmosphäre, welche während des Gesprächs herrschte. Ich hätte meine Meinung über psychische Reaktionen völlig geändert und sähe die Funktion des Peers nun mit ganz anderen Augen. Seine Fähigkeit, den Männern das Gefühl einer vertrauensvollen Umgebung zu vermitteln, in der sie über Gefühle und Schwächen sprechen konnten, habe mir sehr geholfen und es mir ermöglicht, eigene Reaktionen einzuschätzen. 233 Leutnantsbuch HI Der Peer ist ein soldatischer, über eine spezielle Zusatzausbildung psychologisch geschulter, (Erst-) Helfer. Als Mitglied eines sogenannten Kriseninterventionsteams arbeitet er nach Anweisung bzw. Anleitung einer psychosozialen Fachkraft (Arzt oder Psychologe) im Rahmen der psychologischen Notfallversorgung nach traumatischen, kritischen Ereignissen. Er wird eingesetzt als Gleicher unter Gleichen, d.h. er sollte möglichst demselben oder einem ähnlichen Verwendungsbereich wie die zu betreuende Person kommen. Das trifft auch für das Lebensalter zu. Hinsichtlich des Dienstgrades sollte ein nicht zu großes Gefälle bestehen. Unter diesen Bedingungen können Peers besser beraten, Verständnis zeigen und Empfehlungen zur Stressbewältigung geben. 234 Leutnantsbuch Auf der Standortschießanlage E s ist ein sonniger, warmer Tag. Ich sitze hier während der Mittagspause als Teilnehmer eines Übungsschießens auf der Standortschießanlage abseits auf einem erhöhten Punkt. Unter mir sehe ich Soldaten mit Essgeschirr bei der Verpflegungsausgabe durch den Spieß. Hinter mir ändert das Funktionspersonal den Zielbau für eine neue Schießübung nach dem Mittagessen. Viele Sachen gehen mir beim Anblick der anwesenden Soldaten durch den Kopf. Dort die Soldaten, die sich als Schützen auf das Schießen konzentrieren können und nun in der Mittagspause entspannen wollen. Hier das Funktionspersonal, das für den reibungslosen Ablauf und damit für den Ausbildungserfolg zu sorgen hat. Bei längerem Betrachten bemerke ich, wie das ein oder andere Lächeln über mein Gesicht huscht. Meine Gedanken schweifen zurück in das Jahr 1996. Es ist ein heißer Sommer und ich sitze ebenfalls mit meiner Mittagsverpflegung auf der Standortschießanlage und sehe links und rechts neben mir 50 Rekruten, die hastig und verschwitzt ihr Essen einnehmen. Ich, Panzerschütze, denke an nichts und wünsche mir nur, diese dicke, warme olive Uniform mit dem schweren Stahlhelm endlich ablegen zu können, um alle Viere von mir strecken zu können. Da kommt auch schon mein Zugführer, Leutnant Sch., und teilt uns in diesem immer wiederkehrenden, Disziplin verlangendem Ton mit, „Antreten in 5 Mike“. Unsere Essbewegungen werden schneller, da uns bewusst ist, es gibt nur einen Wasserhahn für 50 Soldaten, das Essgeschirr muss noch verpackt und der Anzug gerichtet werden. Nach fünf Minuten sind wir im befohlenen Anzug angetreten und wundern uns wieder, wie und wann der Leutnant den Zielbau hat umbauen lassen, sein Funktions235 Leutnantsbuch personal eingewiesen und selbst Verpflegung eingenommen hat, um nun im gleichen Anzug wie wir vor uns zu stehen. Es bleibt nicht nur bei der Schießübung. Die von uns allen mit Frust erwartete Parallelausbildung „ABC-Abwehr“ findet auch noch statt. Leutnant Sch. ist an diesem Tag wie gewohnt ruhig und fordernd. Er hat seinen Schießtag voll im Griff und wir jungen Rekruten bemerken keinen einzigen Fehler des jungen Offiziers. Seine Ausbildungen haben ohnehin stets Hand und Fuß. Seine Art der Menschenführung haben wir in den letzten sechs Wochen sehr zu schätzen gelernt. „Jede Gruppe ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“ Ein Satz, den wir immer und immer wieder hören, der sich eingeprägt hat. Er verlangt keine außergewöhnlichen Sachen von uns und steht selbst immer vorne. Bei jeder Ausbildung geht unser Zugführer im gleichen Anzug voran, zeigt uns an allen Stationen persönlich, was er von uns und von den Gruppenführern verlangt. Wir zollen ihm größten Respekt. Nun stehe ich vor ihm und melde mich mit nervösen Knien mit drei Kameraden zur Schießübung. Er lässt uns rühren, die Schießbücher abgeben und Munition empfangen. Ich stehe auf meiner Schießbahn und will mich bei der Aufsicht melden, als ich den Schrei des Leutnants durch meinen Gehörschutz wahrnehme. Er kommt direkt auf mich zu und fragt mich, ob er mich anfassen dürfe. Ich nicke und bemerke dabei, wie mir der Stahlhelm ins Gesicht rutscht. Der Kinnriemen, wie konnte ich vergessen, ihn nach der ABC Parallelausbildung wieder korrekt einzustellen. Er „friemelt“ ein paar Momente an meinem Helm herum und stellt ihn für mich passend ein. Dies war der erste Augenblick während meiner bis dahin kurzen Dienstzeit, dass sich ein Offizier persönlich um mich kümmerte. Mir war es sehr peinlich doch auch hilfreich zu gleich. Nie werde 236 Leutnantsbuch ich diesen Augenausdruck und das bestimmende Verhalten vergessen. Das Schießen verlief mit sehr gutem Erfolg und wir verließen abends in einer müden Verfassung die Schießbahn. Nach Ende der AGA wurde Leutnant Sch. versetzt und ich verlor dadurch die Verbindung zu einem Vorgesetzten, den ich sehr geschätzt und bewundert habe. Im Jahr 2003 stand in meiner Kompanie der Chefwechsel vor der Tür. Unser Spieß informierte das Unteroffizierkorps über den Nachfolger. Ein gewisser Hptm Sch. sollte in den nächsten zwei Wochen die Kompanie übernehmen. Das Wiedersehen verlief für beide Seiten sehr erfreulich. Wir waren doch beide sichtlich erleichtert, ein bekanntes Gesicht wieder zu sehen und Informationen und Erfahrungen auszutauschen. Die Führung der Kompanie in den folgenden beiden Jahren verlief genau so, wie ich es mir von ihm erwartet hatte. Seine straffe Art der militärischen Führung und seine Persönlichkeit wurden von jedem respektiert. Jeder war sichtlich froh und hoch motiviert, unter diesem Offizier dienen zu dürfen. Mit meiner Übernahme in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes wurde ich versetzt und unsere Wege trennten sich erneut. Geprägt von einem charakterlich anständigen Offizier und der Erfahrung aus neun Jahren Mannschafts-, Unteroffiziers- und Feldwebeldienstgraden durchlief ich die Offz-MilFD-Ausbildung. Da wir in den letzten Jahren immer wieder in Verbindung standen und ein nahezu freundschaftliches Verhältnis aufgebaut haben, wusste ich stets um den weiteren Werdegang meines Kameraden. Er durchlief die Generalstabsausbildung. Er hat sich nie verändert und ist immer derselbe Mensch geblieben, der er auch schon als Leutnant war. 237 Leutnantsbuch Offizieranwärter Frank Verabschiedung M orgen geht’s los! Endlich Studium – den anderen „draußen“ nachziehen: Fachbereichsfeste, Vorlesungen, Scheine machen – Surfschein steht ganz oben auf meiner Liste! „Wenn Sie sich da mal nicht täuschen“, sagt Major Seidel als ich ihm davon berichte. „Halten Sie sich ran, verschwenden Sie keine Zeit und bleiben Sie am Ball! Der Zug im Studium fährt schnell ab, verpassen Sie den Anschluss nicht“, hat er gesagt. Naja, meine Anmerkung war ja auch nicht ganz ernst gemeint. Wir OA sind auf dem Weg zum großen Abschiedsabend in der Reithalle der Offizierschule in Dresden. Danach werden sich unsere Wege wieder trennen. Ich werde mit Peter und Cindy nach MÜNCHEN, der Rest nach HAMBURG fahren. Wir sind alle sehr gespannt, was auf uns zukommt. Als wir uns der Reithalle nähern, geht von dort eine eigenartige Stimmung aus. Wir wissen, dass sich ab hier unsere Wege für mehrere Jahre trennen. Bachelor und Master sind Begriffe, die uns jetzt beschäftigen werden. „Jetzt wollen wir erst einmal sehen, was das Festkomitee aus der Halle gemacht hat“, sagt Cindy, und ich habe den Eindruck, dass sie etwas schneller wird. Annette schließt sich an und wir sind alle sehr gespannt auf die kommenden Stunden. Dann betreten wir die Reithalle. 238 Leutnantsbuch Wir wurden nicht enttäuscht! Ein sehr festlicher Rahmen – ja, trotz der Ansprachen! Jetzt sitzen wir an unserem Tisch, Major Seidel ist mit von der Partie. Er wollte ja noch andere Offiziere und Offizieranwärter fragen, ob sie nicht auch einige Erlebnisse aufschreiben wollen. Die Idee, die Major Seidel entwickelt hat, finden wir alle sehr gut. Wir haben so viele interessante Geschichten gehört – die darf man einfach nicht vergessen. Und deshalb hat er stolz verkündet, dass er schon eine Menge Erlebnisse gesammelt hat für das Projekt „Leutnantsbuch“. „Denken Sie daran: Nehmen Sie kein Blatt vor den Mund – aber bleiben Sie bitte sachlich“, gibt uns Major Seidel im Flüsterton mit. Der Inspektionschef hatte sich inzwischen von Tisch zu Tisch begeben und Major Seidel hatte gesagt: „Sicher wird er Sie fragen, wie Ihnen Ihre Zeit vor dem Studium als Offizieranwärter gefallen hat, was Sie besonders beeindruckt hat – und was nicht.“ Kurze Zeit später sind wir in das Gespräch mit dem Inspektionschef vertieft. Ja, er hat alle Fragen gestellt, die Major Seidel sozusagen angekündigt hatte. Dann kommt er plötzlich auf die Idee, von Major Seidel zu sprechen. „Wenn das klappt, dass Major Seidel viele Erlebnisse von Soldaten für Soldaten zusammenbekommt, dann wird das Leutnantsbuch sicher ein Riesenerfolg. Ich werde auf jeden Fall meinen Teil beitragen, und auch aus meiner Zeit im Einsatz ein Erlebnis aufschreiben. Major Seidel, wie sieht es denn aus mit Ihrer Idee?“ Major Seidel antwortet: „Sehr gut, Herr Oberstleutnant! Ich habe nicht nur in meinem alten Bataillon nachgefragt, sondern auch in anderen Bereichen, in denen ich noch einige Kameraden kenne. Ich habe schon wunderbare Erlebnisse 239 Leutnantsbuch zugeschickt bekommen! Das hätte ich nie gedacht! Wenn Sie einverstanden sind, dann werde ich das Projekt Leutnantsbuch weiterverfolgen. Wenn ich dann genug Erlebnisse zusammen habe, dann könnten wir diese an die zukünftigen Offizieranwärter verteilen. Ich könnte mir vorstellen, dass andere – vielleicht sogar die Offizieranwärterbataillone – auch ein großes Interesse an so einer Sammlung haben.“ „Da bin ich mir ziemlich sicher“, antwortet der Inspektionschef. „Ich habe auch schon ein bisschen herumtelefoniert. Dabei bin ich auf sehr positive Resonanz gestoßen. Aber jetzt sagen Sie mal, wie viele Geschichten konnten Sie denn schon sammeln?“ „Genau weiß ich es nicht, Herr Oberstleutnant, habe noch nicht gezählt. Aber ich habe für unsere Offizieranwärter hier jeweils Kopien zusammenstellen lassen. Vielleicht als „Beruhigungslektüre“ für die ersten Tage an der Uni!“, sagt Major Seidel mit einem Schmunzeln. „Dazu habe ich Ihnen – ich hatte es ja versprochen – meine eigenen Ideen zum beruflichen Selbstverständnis dazugelegt. Inklusive Bierdeckelkopien!“ Er beugt sich unter den Tisch, unter dem er offensichtlich etwas abgestellt hat. Dann überreicht er uns einen Papierpacken, der uns erst kurz aufstöhnen lässt. Dabei fügt er hinzu: „Ich würde mich freuen, wenn Sie sich einmal melden, wenn Sie die eine oder andere Geschichte gelesen haben. Insbesondere interessiert mich Ihre Meinung, ob sie geeignet sind, Ihren Nachfolgern das Bild des Offizierberufes anschaulich darzustellen. Ich habe meine 240 Leutnantsbuch Visitenkarte dazugeheftet, scheuen Sie sich nicht, sie zu nutzen! Und wenn Sie Interesse haben, ein bisschen weiter am Leutnantsbuch zu arbeiten, dann machen Sie ordentlich Werbung an der Uni. Da gibt es bestimmt viele interessante Erlebnisse, die ich gut brauchen kann!“ „Na, na Herr Major“, sagt der Inspektionschef, „vergessen Sie vor lauter Eifer nicht Ihre Hauptaufgabe! Der nächste Hörsaal kommt bestimmt!“ Der Abend verlief weiter in einer sehr angenehmen Atmosphäre und wir alle hatten noch viel Spaß. Am nächsten Morgen dann endgültige Verabschiedung. Wir haben die Papiere von Major Seidel in den Autos verstaut, uns noch einmal für die hervorragende Betreuung und das Interesse, das uns entgegengebracht wurde, bedankt und machen uns auf den Weg zu unseren schwer bepackten Autos. Cindy wird mich zum Bahnhof fahren – ich habe die Masse meiner Sachen schon bei einem Freund in MÜNCHEN „eingelagert“ und kann so gemütlich mit dem Zug in Richtung Süden rattern. Studium. MÜNCHEN. Biergarten. Surfseen. Berge. Ski fahren. So ganz kann ich die angenehmen Gedanken an die Zeit, die vor mir liegt, nicht verdrängen. Sollte ich wohl auch nicht, auch das gehört dazu! Auf dem Weg nach MÜNCHEN denke ich noch viel an die anderen. Wir haben uns vorgenommen, uns regelmäßig zu treffen. Auch wenn die Entfernung zwischen MÜNCHEN 241 Leutnantsbuch und HAMBURG nicht gerade dazu einlädt. Und außerdem haben wir uns verabredet, tatsächlich eng in Verbindung zu bleiben, um dem Projekt Leutnantsbuch, soweit es geht, noch „ein bisschen unter die Arme zu greifen.“ Ich nehme die schwere Mappe in die Hand, die Major Seidel uns gegeben hat. Viele Geschichten scheinen es zu sein – mindestens ein Kilo! Als ich die Mappe aufschlage, finde ich die Visitenkarte von Major Seidel mit einer persönlichen Widmung und dem Wunsch nach viel Erfolg im Studium. Dann beginne ich, die erste Geschichte zu lesen … 242 Leutnantsbuch Offizierabend mal anders I ch hatte die Zugführerausbildung erfolgreich durchlaufen und das Offizierpatent an der Offizierschule des Heeres in Dresden erworben. Nun war es Zeit, sich im Truppenalltag auszuprobieren und das Gelernte in einem Truppenpraktikum gewinnbringend anzuwenden. Ich wurde als Zugführer in der Allgemeinen Grundausbildung eingesetzt und hatte mich bereits gut eingelebt. Zu Beginn war ich natürlich aufgeregt. Anfängliche Bedenken, ob man ausreichend auf seine Aufgaben vorbereitet wurde oder ob das Erlernte ausreichen würde, um in der Truppe zu bestehen, konnten jedoch schnell beiseite geschoben werden. Der heutige Tag verlief ruhig. Ich kam gerade von der Ausbildung zurück, als ich von einem Kameraden an den heutigen Offizierabend erinnert wurde. Für mich war es die erste Veranstaltung dieser Art. An der Offizierschule hatten wir jeden Monat einen „Stil und Formen“ Abend. Wie bereits im Offizierlehrgang waren auch heute Abend Dienstanzug mit weißem Hemd oder alternativ der Gesellschaftsanzug erwünscht. Laut Aussagen von Kameraden behielt sich der Bataillonskommandeur einen Termin im Quartal für einen feierlichen Offizierabend vor. In Dresden hatten wir gelernt, dass solche Veranstaltungen geselliger Art zur Stärkung des Korpsgeistes der Offiziere, zum Informationsaustausch, aber auch zur Weiterbildung genutzt würden. Ich erinnerte mich und hatte wenig Lust auf den heutigen Abend. Auf dem Offizierlehrgang nannten wir diese Art von Veranstaltungen immer „Gabelformale“ oder „Synchronpicken“. Folgendes Bild hatte ich aufgrund meiner – zugegebenermaßen noch recht geringen – Erfahrungen in meinem Kopf: fein eingedeckte Tafel; 243 Leutnantsbuch zwanzig Soldaten stocksteif in hochgeschlossenem Anzug sitzend und keiner traut sich ein Wort zu sagen. Lustlos bügelte ich mein Hemd, zwängte mich in meinen Anzug, drapierte ordentlich die Fliege und machte mich auf den Weg. Der Weg zum Gebäude, erbaut zu Kaisers Zeiten, war gesäumt von brennenden Fackeln. Das Bild, welches sich mir bot, hätte auch ein Gemälde sein können. Ich dachte mir, dass dies eigentlich ein stimmungsvolles Ambiente sei, wenn doch nur die Veranstaltungen nicht immer so stocksteif wären. Der mit der Vorbereitung betraute Projektoffizier empfing die eintreffenden Gäste. Bei einem Stehempfang standen bereits Kameraden und tranken genüsslich ihren Aperitif, zu meiner Überraschung einen Cocktail. Wie es sich gehört, drehte ich eine Runde und begrüßte alle Anwesenden. Nachdem die Runde vollzählig war, bat der Projektoffizier um Aufmerksamkeit und wies in den Ablauf des Abends ein. Im Anschluss daran rief er ins Gedächtnis, dass solche Veranstaltungen auch dazu dienen sollten, den Horizont zu erweitern, weshalb er sich ein geschichtliches Thema herausgesucht habe und nun darüber referieren wolle. Ich machte mich gefasst auf einen einstündigen Monolog über die Gefechtsführung vergangener Zeiten. Doch Ausgangspunkt des gewählten Themas war eine Unstimmigkeit während des Frühstücks über die richtige Bezeichnung eines Gegenstandes aus der militärhistorischen Lehrsammlung des Standortes. Am Tag zuvor hatte der Fähnrichoffizier eine militärhistorische Weiterbildung durchgeführt. In der Lehrsammlung stand der Führernachwuchs vor dem Exponat eines Soldaten in Paradeuniform. Der Fähnrichoffizier erläuterte, dass es sich dabei um einen Infanterieoffizier mit dem dazugehörigen Spieß in der Hand handle – eine Art Lanze, welche zur Paradeuniform getragen und auch zum Kampf eingesetzt 244 Leutnantsbuch wurde. Der Verantwortliche der Lehrsammlung verbesserte ihn daraufhin, dass dies kein Spieß sei, sondern es sich hierbei um einen Sponton handle. Auch am Frühstückstisch war man sich nicht einig, was denn nun richtig sei. Die Bezeichnung rührte offenbar aus dem Französischen. Deshalb zog man den französischen Verbindungsoffizier zu Rate und fragte, was sich hinter einem Sponton verberge. Dieser lächelte und sagte, dass es einfach nur der französische Ausdruck für einen Spieß bzw. eine Lanze sei. Ein Raunen ging durch die Runde der Offizierveranstaltung. Es wurde noch kurz auf die Verwendung des Sponton eingegangen. Man beschränkte die Weiterbildung jedoch auf diese kleine Anekdote. Der Kommandeur bedankte sich für diesen informativen Rückblick in die Historie, verlor ein paar Worte zur Begrüßung und stellte neu zuversetzte Soldaten vor. Anschließend erhob man das Glas und prostete auf einen schönen Abend mit interessanten Gesprächen. Es wurde der Raum mit der eingedeckten Tafel betreten, Tischkärtchen verwiesen auf die Sitzordnung. Obwohl keiner neben einem Kameraden der eigenen Kompanie saß, setzten umgehend munter die Gespräche ein. Die Chefs und Zugführer flachsten untereinander. Die Ordonanzen betraten den Raum, servierten Vorspeise und Salat und bauten parallel das Buffet auf. Anschließend gab der Kommandeur das Buffet frei und ermunterte jeden sich ungezwungen zu bedienen. Nach dem ersten Gang lehnte man sich gut gesättigt zurück. In einem Moment der Ruhe bat der Kommandeur nochmals um Aufmerksamkeit, um Kameraden zu verabschieden. Ein kurzer Rückblick auf die bisherige Laufbahn und Ausblicke auf den zukünftigen Posten brachten Erkenntnisse über die betreffenden Soldaten zum Vorschein, welche selbst langjährigen Mitstreitern bisher unbekannt waren. Und auch 245 Leutnantsbuch die Betreffenden selbst fragten sich, woher der Vorgesetzte diese Informationen wohl eingeholt hatte. Man prostete auf deren zukünftigen Erfolg. Der Kommandeur verwies auf das nun bereitstehende Dessert am Buffet und bat an die vorbereitete Cocktailbar in einem Nebenraum. Dieser war im Stil einer Lounge eingerichtet, an der Wand ein großes Lichtelement, im Hintergrund lief angenehme, moderne Musik. Die Sitzordnung löste sich zügig auf, die Teilnehmer der Gesprächsrunden wechselten regelmäßig die Tische bzw. den Standort. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte 00:30 Uhr. Die Zeit verging wie im Flug und noch immer waren die Soldaten in Unterhaltungen vertieft. Erst gegen 03:00 Uhr lag ich auf meiner Stube. Ich ließ noch einmal den Abend Revue passieren und kam zu dem Ergebnis: stocksteif ist anders. Ich freute mich schon auf die nächste Quartalsveranstaltung … HI 246 Leutnantsbuch Soldaten muslimischen Glaubens in der Bundeswehr V or ein paar Jahren begann ich als Offizieranwärter in einem Transportbataillon meinen Werdegang bei der Bundeswehr. Bereits am ersten Tag meldete ich meinem Gruppenführer, dass ich Muslim sei und deshalb kein Schweinefleisch essen würde. Der Fahnenjunker runzelte ein wenig die Stirn, lächelte aber zugleich und verwies mich an den Spieß. Nichts ahnend wer oder was der Spieß sei, suchte ich das von meinem Gruppenführer besagte Dienstzimmer auf. Nachdem ich dem Spieß mein Anliegen vorgetragen hatte, war dieser verwundert und sagte, dass er so einen Fall noch nie hatte und fragte, warum ich denn kein Schweinefleisch essen würde. Ich erläuterte ihm die Situation und er versicherte mir, dass er das mit der Küche klären und ich bei der Verpflegung berücksichtigt werden würde. Während der Allgemeinen Grundausbildung konnte meine Konfession und die damit verbundenen Essensgebote jedoch nicht immer berücksichtigt werden. Aber, wenn es beim Essen in der Truppenküche nur ein Gericht mit Schweinefleisch gab und ich mich als Muslim zu Erkennen gab, wurde mir kurzer Hand etwas anderes zubereitet. An Geländetagen oder Übungen gab es für mich häufig einen „Salatteller“ als Ersatz. Jedoch konnte ich immer den Schweineanteil aus dem Lunchpaket oder EPA mit Kameraden tauschen, die mir dafür Käse oder Ähnliches gaben. Auf dem Einzelkämpferlehrgang in Hammelburg war Verpflegung auch kein Problem. Es gab sowieso nichts bzw. nur sehr wenig. An ein bestimmtes Ereignis kann ich mich aber sehr gut erinnern. Wir waren gerade in der Abschlussübung und hatten nur noch einen Tag vor uns. Nach einem langen Nachtmarsch kam unsere Gruppe völlig erschöpft 247 Leutnantsbuch morgens früh an den Platz, wo wir verpflegen und ruhen sollten. Dabei bekamen wir von unserem Ausbilder den Auftrag, alles Essbare aus dem Wald zu sammeln. Wir sammelten Pilze, Kräuter, Beeren usw. Pro Gramm unseres gesammelten Gutes bekamen wir dann den Anteil in Fleisch getauscht und konnten uns somit für den „letzten Tag“ der Abschlussübung stärken. Leider war es Schweinefleisch und ich war der Einzige in der Gruppe, der davon nichts essen konnte. Die Gruppe erkannte die Situation und stellte sich kameradschaftlich hinter mich und beschloss, auch nichts von dem Fleisch zu essen. Von dieser Kameradschaft war ich überwältigt, da wir alle ausgehungert waren. Ich versicherte meinen Kameraden, dass ich die Übung auch so noch durchziehen werde und sie das Fleisch ruhig essen sollten. Unsere Gruppe beschloss daraufhin, mich für die Ruhephase aus allen anderen Aufträgen (Sicherung usw.) herauszunehmen. Einige Zeit später, ich war übermüdet eingeschlafen, weckte mich unser Hörsaalleiter sehr unsanft und sagte: „Ich habe gehört, sie konnten nichts essen! Kommen Sie raus aus dem Zelt, ich hab ein wenig Putenfleisch für sie besorgt. Aber teilen sie es mit den Kameraden!“ Tatsächlich hatte der Hauptmann etwas Putenfleisch für mich besorgt. Diesen fürsorglichen und kameradschaftlichen Zug meines Hörsaalleiters und meiner Kameraden werde ich nie vergessen. HI Kameradschaft und interkulturelle Kompetenz sind nicht nur leere Worthülsen. Gehe auf Kameraden mit anderen religiösen Überzeugungen ein und respektiere sie. Nur durch praktisch vorgelebte Beispiele wird ein unterstellter Bereich erkennen, dass Kameradschaft und der damit verbundene notwendige Respekt vor zunächst als fremdartig Empfundenem nicht Halt macht. 248 Leutnantsbuch Erlebnisse im Stab PRT KUNDUZ K napp ein Jahr nachdem ich mit bestandenem Studium in die Truppe, d.h. in ein Panzerbataillon, zurückgekehrt war, saß ich im Flieger nach AFGHANISTAN. Mein Bataillon war der Leitverband für das Provinzial Reconstruction Team (PRT) KUNDUZ und so hatte auch ich mich als noch relativ unerfahrener Offizier auf der Stellenbesetzungsliste für den Auslandseinsatz in der Funktion eines Lageoffiziers in der Operationszentrale (OPZ) des PRT-Stabes wiedergefunden. Der Beginn unseres Einsatzkontingents in KUNDUZ lag in einer Phase, in welcher die Aktivitäten des Feindes mit Beschuss des Lagers und Sprengstoffanschlägen bereits ein für die Truppe belastendes Ausmaß angenommen hatten. Schon während der ersten Tage, in denen wir noch durch unsere Vorgänger in unseren Aufgabenbereich eingearbeitet wurden, erlebte ich diese Bedrohung im weitesten Sinne „hautnah“ mit, was der Kommandeur mit den Worten „Feuertaufe“ kommentierte. Mit insgesamt zwei Lageoffizieren und zwei Lagefeldwebeln war unsere OPZ für einen durchhaltefähigen Schichtbetrieb rund um die Uhr kaum ausreichend besetzt. Für die Tagschicht konnte maximal einer aus der „Lage“ entbunden werden, der dann jeweils Führer der Nachtschicht wurde, die sich außerdem aus einem Offizier und einem Feldwebel einer anderen Stabsabteilung zusammensetzte. Die Nachtschicht konnte grundsätzlich mit weniger Personal auskommen, da nachts meist weniger Kräfte im Raum operierten als tagsüber. Allerdings ereigneten sich Feindaktivitäten in der Regel erst nach Einbruch der Dunkelheit, sodass der Schichtführer in Abwesenheit des Führungspersonals immer darauf eingestellt sein musste, in kritischen Situationen zunächst 249 Leutnantsbuch allein wichtige Entscheidungen zu treffen. Unter diesen skizzierten Rahmenbedingungen hatte ich mein intensivstes Erlebnis, als ich erstmalig als verantwortlicher Schichtführer der Nachtschicht Dienst tat. Ich war an jenem Abend noch mit der Einweisung in die Bedienung der Funkgeräte und Führungsmittel beschäftigt, es war zwischen 19:00 und 20:00 Uhr, als der Funkspruch einer Fallschirmjägerpatrouille einging: „… Eigenes Fahrzeug angesprengt! Verwundete! ...“ Ein Wiederholen des Funkspruchs zum Abgleich verschafft mir ein paar Sekunden Zeit zum Überlegen. Was ist als erstes zu tun? Zunächst Lagekarte und Logbuch aktualisieren … Welche anderen Kräfte sind in der Nähe der angesprengten Patrouille? … Einen Mann ans Telefon, den anderen ans Funkgerät einteilen … Wer ist jetzt zu alarmieren, zu informieren? Das Lager selbst ist in diesem Fall nicht gefährdet, also keine Alarmierung mit Sirene über Lautsprecher … Ich gebe über Funk eine Lageorientierung an alle Kräfte draußen im Raum. Eine weiter entfernte Patrouille antwortet nicht, vermutlich keine Verbindung, also über Satellitentelefon anrufen lassen. Währenddessen alarmiere ich den Führer der Eingreifreserve des PRT, einen Zugführer der Schutzkompanie, und befehle ihm, welche Kräfte Marschbereitschaft herstellen sollen: Sprengstoffanschlag, d.h. zusätzlich zu seinen eigenen Fahrzeugen und dem Beweglichen Arzttrupp (BAT) noch Kampfmittelbeseitiger, Erheber/Ermittler der Feldjäger und Störer der EloKa. Dann das Stammpersonal der OPZ und die PRT-Führung alarmieren. Zum Glück ist es noch früh am Abend, da werden alle schnell hier sein. Dann noch die Kompaniegefechtstände alarmieren. Mein Soldat am Telefon arbeitet zwischenzeitlich eine Liste von zu informierenden Stellen ab, darunter zivile Hilfsorganisationen in KUNDUZ und verbündete US-Amerikaner. Ich weise den J 3 an der 250 Leutnantsbuch Karte in die aktuelle Lage ein und melde die bisher veranlassten Maßnahmen. Sehr rasch ist die OPZ voller Menschen, es wird unübersichtlich. Der Kontingentwechsel liegt erst wenige Tage zurück, deswegen sind die Abläufe im Alarmfall noch nicht hinreichend eingespielt. Der Kommandeur, sein Stellvertreter, der Chef des Stabes, Stabsabteilungsleiter, Kompaniechefs; viele stehen mehr im Weg, als dass sie jetzt vor der Lagekarte nützlich sind. Wir müssen uns auch selbst organisieren, vom Stammpersonal nimmt jeder seinen originären Arbeitsplatz ein, auch ich an Funkgerät und Logbuch. Dem Planungsoffizier stecke ich noch schnell den Meldeblockzettel mit der Erstmeldung der angesprengten Patrouille zu, die er gleich für die Abwicklung des nationalen (Einsatzführungskommando der Bundeswehr in POTSDAM) und internationalen (übergeordnetes Regionalkommando Nord in MAZAR-ESHARIF) Meldewesens benötigt. Dann erst einmal durchatmen. Der Kommandeur berät sich mit den anderen Stabsoffizieren, der Kompaniechef der Fallschirmjäger meldet seinerseits getroffene Maßnahmen und stellt Anträge. Die zuvor von mir alarmierte Eingreifreserve erhält ihren Marschbefehl. Aufklärungsmittel werden luft- und bodengestützt zur weiträumigen Überwachung angesetzt. Wie zu erwarten, sind keine Feindkräfte im Umfeld der Anschlagstelle mehr zu erkennen. Die Eingreifreserve bringt die – zum Glück nur leicht – Verwundeten ins Lager. Die betroffene Patrouille wird abgelöst. Die Untersuchung an der Anschlagstelle soll erst bei Helligkeit fortgesetzt werden. Die abgesetzten Meldungen werden noch mal mit den Eintragungen im Logbuch abgeglichen, die übergeordneten Stellen haben wie üblich Rückfragen. Nachdem alle Maßnahmen getroffen worden sind, wurde unsere Nachtschicht von der Tagschicht wieder alleine gelassen. 251 Leutnantsbuch Es ist kurz nach 22:00 Uhr, ich will gerade einen meiner zwei Soldaten zum Ruhen schicken, da meldet sich ein Spähtrupp der Aufklärungskompanie, der noch nördlich der vorherigen Anschlagstelle operiert, am Funk: „… Stehe im Feuerkampf! Ein FENNEK von RPG getroffen! Ein Verwundeter! ...“ Das darf doch nicht war sein, denke ich mir, und der Ablauf beginnt von neuem: Funkspruch quittieren und versuchen, den Spähtruppführer zu beruhigen, dann Lageorientierung an alle im Raum. Lagekarte, Logbuch, Funkgerät und Telefon besetzen, Alarmierung … Zu fortgeschrittener Stunde dauert es diesmal länger, bis alle da sind. Mit der Zeit habe ich alle wichtigen Decknamen und Rufnummern im Kopf. Allgemein funktionieren sämtliche Abläufe diesmal schon besser; schnell weiß jeder, was zu tun ist. Der Spähtrupp weicht aus, die Aufträge an die übrigen Kräfte im Raum werden angepasst, die Reserve umgegliedert. Nach seiner Ankunft im Lager berichtet der Spähtruppführer dem Kommandeur zunächst unter vier Augen vom Feuergefecht. Kurz nach Mitternacht hat sich die Lage abermals beruhigt und alle außer der Nachtschicht haben die OPZ wieder verlassen, sodass ich die Ereignisse in Ruhe Revue passieren lassen kann. Was für ein Tag, denke ich mir. Letztlich scheinen wir doch alles richtig gemacht zu haben und ich bin mit mir und meiner Nachtschicht zufrieden. Es sollte in den folgenden Monaten noch viele gefährliche Operationen, zahlreiche Raketenangriffe, Sprengstoffanschläge, Schusswechsel und Unfälle mit umfangreichen Alarmierungen geben, die jeweils unser entschlossenes Handeln in der OPZ erforderten. Insgesamt war ich auf die Leistungen unserer OPZ stolz, weil ich glaube, dass wir trotz ungünstiger Rahmenbedingungen einen wertvollen Beitrag zum Erfolg unseres Kontingentes geleistet hatten. Ich selbst hatte im 252 Leutnantsbuch Einsatz gelernt, dass es in Zeiten, in denen sich die deutschen Streitkräfte in einem historischen Umbruch befanden, vor allem als Offizier in der Lage sein muss, geistig flexibel, vielseitig, psychisch belastbar, zupackend, Initiative zeigend und entschlussfreudig seinen Auftrag professionell angehen muss. Nur so war dieser Einsatz auf der Grundlage erlernter taktischer Einsatzgrundsätze in Verbindung mit gepflegter Kameradschaft, dies auch und gerade im internationalen Umfeld unter Rückgriff auf solide Fremdsprachenkenntnisse, zu bestehen. HI Zum Gelingen eines Auftrags ist jeder Soldat auf seinem Posten bzw. in seinem Aufgabenbereich wichtig. Nicht nur die Kräfte, die ihren Auftrag außerhalb des Feldlagers wahrnehmen, sind alleine für den Erfolg einer Operation verantwortlich. Jeder trägt mit seinen Fähigkeiten zur gesamten Auftragserfüllung bei. Vielseitigkeit, Flexibilität, Belastbarkeit und Initiative zeigen ist auf allen Führungsebenen und in allen Verwendungsbereichen zwingend notwendig. Dabei kommt es insbesondere darauf an, auch in hektischen Situationen den Überblick zu bewahren und – im Sinne der übergeordneten Führung – Entscheidungen vorzubereiten bzw. zu treffen. 253 Leutnantsbuch Todesnachricht I ch habe bereits zwei Einsätze hinter mir. Ich habe im Feuergefecht gestanden, bin zweimal selbst fast „draufgegangen“. Die Erfahrungen in den Auslandseinsätzen haben mich ohne Frage geprägt. Das intensivste und bewegendste Erlebnis, das mit dem Auslandseinsatz der Bundeswehr im Zusammenhang stand, fand für mich jedoch im Heimatland statt. An einem Dienstag klingelte das Telefon. Ich sah die Nummer meines Bataillonskommandeurs auf dem Display und hob nichts Böses ahnend den Hörer ab. Die Stimme meines Kommandeurs klang gepresst. „Wir haben einen Soldaten verloren. Der Stabsgefreite M. ist heute in AFGHANISTAN in einem Feuergefecht gefallen. Die Angehörigen sind noch nicht informiert.“ Ich konnte das, was mein Kommandeur gerade gesagt hatte, kaum begreifen. Einer meiner Soldaten ist tot? Im Gefecht gefallen? Ich war schockiert. „Ich lasse in den Unterlagen prüfen, wer die Angehörigen sind, die verständigt werden müssen“, antwortete ich. Mir drehte sich schier der Magen um. In den Unterlagen waren die Eltern als zu verständigende Angehörigen angegeben. Sie wohnten in einer Kleinstadt am anderen Ende Deutschlands – mindestens acht Stunden Autofahrt. Wenn ich die Eltern persönlich über den Tod ihres Sohnes informieren wollte, bevor sie aus den Medien von den Ereignissen in Afghanistan erführen, würden noch weitere Stunden vergehen. Verschärft würde diese Situation dadurch, dass mit dem Stabsgefreiten M. zwei weitere deutsche Soldaten gefallen sind. Würden die Medien die Meldungen so lange zurückhalten? Um die Angehörigen schnellstmöglich zu informieren, wurde entschieden, dies durch einen Vertreter des zuständigen Landeskommandos durchführen zu lassen. 254 Leutnantsbuch Dieser stellte jedoch fest, dass sich die Eltern im Auslandsurlaub befanden und dort nicht erreichbar waren. Inzwischen liefen die ersten Tickermeldungen bei den Nachrichtensendern. Im Videotext war schon von unserem Standort zu lesen. Was für ein makaberer Wettlauf! Schließlich gelang es die Verbindung zum Bruder des Stabsgefreiten M. herzustellen, der in der Nähe seines Elternhauses lebte. Wie er mir später erzählte, hatte er aus den Medien bereits vom Tod dreier deutscher Soldaten erfahren und aus den Standortangaben die richtigen Rückschlüsse gezogen. Als die Kameraden vom Landeskommando am Abend bei ihm eintrafen, war das für ihn die schreckliche Bestätigung seiner Befürchtungen. Er rief seine Eltern an, die daraufhin ihren Urlaub abbrachen und mit Unterstützung der deutschen Botschaft am nächsten Morgen unmittelbar nach Deutschland zurückkehrten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aufgrund der großen Entfernungen bereits meinen Einsatzoffizier in den Heimatort vom Stabsgefreiten M. in Marsch gesetzt. Nachdem die Familie M. wieder angekommen war, wurde mein Einsatzoffizier von den Kameraden des Landeskommandos kurz als Ansprechpartner der Stammeinheit vorgestellt. Er hinterließ seine Erreichbarkeit, um als direkter Ansprechpartner vor Ort in allen Fragen sofort unterstützende Maßnahmen einleiten zu können. Auch wenn diese Maßnahme nicht gerade schulbuchmäßig war, so hat sie sich in den folgenden Tagen bei den vielen traurigen Dingen, die für die Familie M. zu klären waren, bewährt. Am nächsten Tag verlegte ich zu den Eltern, um ihnen das Beileid der Kameraden zu übermitteln. Unterstützt wurde ich dabei von der Truppenpsychologin unserer Brigade, die mir auf der langen Autofahrt dabei half, mich auf den schweren Besuch einzustellen. Was sollte ich den Eltern vom Stabsgefreiten M. eigentlich sagen? Alle Worte, die mir 255 Leutnantsbuch einfielen, schienen Phrasen zu sein. Ungeeignet, die Trauer, den Schock und das Entsetzen auszudrücken, das ich empfand, das wir alle empfanden. Wie konnte ich diese Empfindungen in Worte fassen, ohne unangemessen aufzutreten? Unsere Psychologin riet mir, mir für den Beginn des Besuchs einige Sätze zurecht zu legen, um einen Einstieg in ein Gespräch zu finden. Mir stellte sich außerdem die bohrende Frage, wie die Eltern und der Bruder wohl auf uns reagieren würden. Würden sie auf uns wütend sein, uns Vorwürfe machen, ablehnend oder gar aggressiv reagieren? Ich hätte dafür Verständnis gehabt. Die Psychologin widersprach mir in diesen Befürchtungen und schilderte mir, wie der Besuch ihrer Meinung nach ablaufen würde – mit ihrer Prognose lag sie richtig. Und noch eine Sache beschäftigte mich intensiv. Der Stabsgefreite M. war mit einer Einheit einer anderen Division im Einsatz, wir hatten ihn als Kraftfahrer dorthin abgestellt. Ich selbst hatte meine Kompanie erst vor kurzem übernommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Stabsgefreite M. bereits zur einsatzvorbereitenden Ausbildung in seinen Einsatztruppenteil kommandiert worden. Ich hatte ihn also niemals persönlich kennen gelernt. Konnte ich den Eltern gegenüber glaubwürdig sein? Die Psychologin versicherte mir, dass man eigentlich gar nichts falsch machen könne, wenn man sein Mitleid, seine Trauer, seine Verzweiflung aufrichtig zum Ausdruck brachte und nicht gestelzt oder besonders getragen auftrat – sie hat auch damit recht behalten. Ich bin unserer Psychologin heute noch sehr dankbar für ihre Unterstützung in dieser Situation, denn ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrungen im Umgang mit trauernden Angehörigen. Schließlich waren wir im Heimatort vom Stabsgefreiten M. Wir koppelten mit meinem Einsatzoffizier und einem örtlichen Vertreter des Bundeswehrsozialdienstes, der 256 Leutnantsbuch gemeinsam mit uns den Besuch durchführen wollte. Die Familie M. nahm uns traurig, aber freundlich in Empfang. Der Schock und die Ohnmacht über den Verlust ihres Sohnes und Bruders waren allgegenwärtig. Ich sprach mit wenigen Sätzen unser Beileid und Mitgefühl aus. In dem Gespräch, das sich in der Folge entwickelte, erzählte uns die Familie viel über das Leben des Stabsgefreiten M., wie er war und was ihn ausmachte. Viele gemeinsame Erlebnisse der Familie kamen zur Sprache, Fotos wurden gezeigt. Ich bemühte mich, die Fragen zum Hergang der Ereignisse soweit wie möglich zu beantworten. Was mich bei diesem Besuch jedoch am meisten berührt hat war, dass die Familie trotz des höchsten Opfers ihres Sohnes und Bruders den Sinn seines Auslandseinsatzes zu keinem Zeitpunkt in Frage stellte. Der Vater sagte uns sinngemäß, dass sein Sohn zu 100 Prozent Soldat gewesen sei, er sich über die Risiken des Einsatzes im Klaren war und er sich als Soldat bewusst für die Teilnahme am Einsatz entschieden hatte. Die Familie respektierte und unterstützte jederzeit die Entscheidung ihres Sohnes und Bruders. Bei aller Trauer, bei aller Verzweiflung, dürfe man das nicht vergessen. Diese ausgewogene und reflektierte Geisteshaltung hat mich sehr beeindruckt. Bewährt hat sich auch, den Besuch bei den Angehörigen mit mehreren Personen durchzuführen. Ich selbst fand schnell persönlichen Zugang zum Vater des Stabsgefreiten M., was vermutlich an meiner Rolle als Kompaniechef lag. Mein Einsatzoffizier stand altersmäßig dem Bruder näher als ich und konnte auf dieser Ebene persönlichen Zugang finden, der Vertreter des Bundeswehrsozialwerkes zur Mutter. Die Psychologin hielt sich im Hintergrund, griff aber in Phasen, in denen die Gesprächspausen zu lang wurden, helfend in das Gespräch ein. 257 Leutnantsbuch Nach etwa zwei sehr emotionalen und intensiven Stunden war unser Besuch beendet. Wir kamen mit der Familie überein, am nächsten Tag zwei weitere Besuche durchzuführen. Zum einen sollte es darum gehen, drängende Fragen und Maßnahmen zu klären. Zum anderen wollten am Abend des Folgetages Freunde des Stabsgefreiten M. die Familie besuchen und wir wurden gebeten, dazu zu kommen. Zum Treffen am nächsten Abend nahm ich neben meinem Einsatzoffizier und der Truppenpsychologin auch meinen Kraftfahrer mit. Er kannte den Stabsgefreiten M. persönlich gut und war etwa in seinem Alter. Die Freunde nahmen uns abwartend, aber nicht unfreundlich auf. Viele, teilweise auch kritische, Fragen waren durch uns zu beantworten. Insgesamt war aber die Erinnerung an den Stabsgefreiten M., gemeinsame Erlebnisse im Freundeskreis, sein Leben als Mensch und Soldat das zentrale Thema des Abends. Hier bewährte es sich wiederum, Vertreter verschiedener Ebenen und Bereiche einzusetzen. Während die Psychologin und ich im Verlaufe des Abends mehr und mehr mit den Eltern sprachen, entwickelte sich zwischen meinem Einsatzoffizier und meinem Kraftfahrer ein gutes Gespräch mit den Freunden. In den folgenden Tagen galt es, traurige Termine wahrzunehmen. Mit vielen Soldaten meiner Einheit nahmen wir gemeinsam mit den Kameraden aus der Einheit der anderen beiden getöteten Soldaten in einer bewegenden Zeremonie die Särge mit den Leichnamen in Empfang. Etwa eine Woche später wurde der Stabsgefreite M. in seinem Heimatort beigesetzt. Am nachhaltigsten erinnere ich mich jedoch an die zentrale Trauerfeier in der Garnison der Einheit, mit der der Stabsgefreite M. im Einsatz war. Ich saß während der Gedenkzeremonie in der Kirche neben der Familie M., 258 Leutnantsbuch inmitten der Angehörigen aller drei getöteten Soldaten und war tief betroffen und bewegt. Noch nie habe ich soviel Leid erlebt, noch nie so sehr fast greifbare Ohnmacht und Verzweiflung gespürt, noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, Dinge ungeschehen machen zu können wie an diesem Tag. Und doch war alles, was ich tun konnte, was wir alle tun konnten, den Angehörigen beizustehen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und ihnen eine stützende Hand zu reichen. HI Der militärische Führer sollte sich darüber im Klaren sein, dass auch er selbst in solchen Lagen schwerwiegenden Belastungen ausgesetzt ist. Er muss für sich persönlich Wege finden, damit vernünftig umzugehen. In der Situation selbst hat er zu funktionieren und anderen Menschen Halt zu geben. Dazu sollte er versuchen, persönliche Belastungen für sich selbst weitestgehend auszublenden. Zu gegebener Zeit jedoch muss der militärische Führer erlebte Belastungen aktiv verarbeiten, um handlungsfähig zu bleiben und Spätfolgen für sich selbst zu vermeiden. Gespräche mit Freunden und Kameraden, ein paar Tage Urlaub oder Sport sind daher gute Möglichkeiten. 259 Leutnantsbuch Das Offizierkasino S o meine Herren, hier befindet sich also die „ Eingangshalle oder das Foyer unseres Offizierkasinos. Grundsätzlich, wenn Sie im Rahmen einer dienstlichen Veranstaltung geselliger Art hierher befohlen werden, sammeln wir uns erst einmal hier. Dazu folgende Grundregeln! Im Offizierkasino ist die Grußpflicht in Form des militärischen Grußes aufgehoben. Wer kann sich vorstellen warum? Keiner? Nicht nur, weil Sie dann die ganze Zeit grüßen würden, sondern weil man das Gefühl des Gemeinsamen hier bewahren möchte, wo Offiziere unter sich sind. Dennoch erweisen Sie den Anwesenden in einem Raum beim Betreten Ihren Gruß, indem Sie in Grundstellung gehen und eine leichte Verbeugung vollziehen. Sammeln Sie sich im Foyer, gehen Sie ebenfalls kurz in Grundstellung, wünschen die Tageszeit und beginnen bei der Person, die Ihnen am nächsten steht, mit der persönlichen Begrüßung. Danach suchen Sie sich einen Platz in der Runde und warten.“ So fing meine erste Einweisung in das Offizierkasino an. Das Kasino an meinem Standort war eines der wenigen, das noch außerhalb des geschlossenen Kasernenkomplexes lag. Als junger Offizieranwärter (OA) hatte ich nur selten das Vergnügen, diese Räumlichkeiten aufzusuchen. Aber ehrlich: Ich habe mich auch nicht wirklich darum gerissen. Irgendwie erschien mir das Ganze angestaubt und leblos. Ich weiß heute noch, wie ungern wir ins Kasino gegangen sind, irgendwie war es eine Verpflichtung, der keiner von uns die richtige Bedeutung beimessen konnte. 260 Leutnantsbuch Neben verschiedenen Vorträgen und der Ausbildung „Stil und Form“ war das Kasino immer der Ort, an dem einmal im Monat der Kommandeur „seine“ OA’s zum gemeinsamen Mittagessen empfing. Im Gegensatz zu den traditionellen gemeinsamen Essen mit den Offizieren des Bataillons, waren unsere immer mit einem Kurzvortrag durch ein oder zwei Kameraden zu vorgegebenen Themen verbunden. Diese Aufgaben führten nicht wirklich dazu, diesen Ort, zu dem wir uns eigentlich hingezogen fühlen sollten, zu mögen oder in unserer Freizeit aufzusuchen. Dies, obwohl uns jeder Offizierkamerad einen Besuch ans Herz legte. So verstrichen die ersten Monate der Ausbildung zum Offizier und es kam zur Versetzung an die Truppenschule. Auch hier wurde wieder auf Stil und Form sowie Vorträge in den Räumlichkeiten des Kasinos Wert gelegt. Im Gegensatz zu meinem alten Standort gab es hier ein „zentrales“ Offizierlager. Hier sollten alle Offiziere des Standortes untergebracht werden. Auch einige meiner Kameraden aus anderen Hörsälen wohnten vom ersten Tag an im Offizierlager. Ich hatte das Glück, die 18 Monate, die ich zur Truppenschule kommandiert war, nicht nur im selben Block und in der selben Stube verbringen zu dürfen, sondern auch genau gegenüber dem Unteroffizierheim zu wohnen, in dem man ja ab dem Dienstgrad Fahnenjunker willkommen war. Also mied ich wiederum die Atmosphäre und Gastlichkeit eines Offizierkasinos. An der Offizierschule gab es zwar ein Kasino, aber aufgrund des Lehrgangs, der Umgebung und der angebotenen Pizzadienste wurde auch dieses nur selten besucht. Dennoch wurde es neben den üblichen Vorträgen auch hin und wieder zum Mittagsessen aufgesucht, meist, wenn es nur 261 Leutnantsbuch Germknödel oder Eintopf in der Truppenküche gab. Hier entwickelte sich so etwas wie ein „Wir-Gefühl“. Ich ging immer mit meinen Kameraden dort hin, und irgendwie fühlte man sich „unter sich“. Als ich dann im Dienstgrad Oberfähnrich zurück in mein altes Bataillon kam, wurde ich in eine Stube im Dachgeschoss des Offizierheims einquartiert. Hier lernte ich zum ersten Mal die Vorzüge einer solchen Einrichtung kennen. Die Ordonnanzen kümmerten sich fast schon aufopferungsvoll um uns: Ob bei den Essen à la carte oder aber während der gemütlichen Abende mit Kameraden im Kaminzimmer, die Aufenthalte in „meinem“ Kasino waren einfach unbeschreiblich schön. Gespräche und Feiern, die in diesem mir noch vor wenigen Monaten so verstaubt wirkenden Objekt stattfanden, waren wohl die Schönsten die ich bis dahin während meiner Dienstzeit erlebt habe. Aber nicht nur die Feiern, sondern vor allem die Gespräche und der Austausch von Erfahrungen mit älteren Kameraden dienten meiner Horizonterweiterung. Heute bin ich nun Oberleutnant und führe einen Zug. Wenn es mir die Zeit erlaubt, besuche ich gerne mit meinem Chef oder meinen Zugführerkameraden unser Offizierkasino und genieße dessen Atmosphäre. HI Sei engagiert! Es muss uns gelingen, auch in der heutigen Zeit unsere Offizierheime – ob noch eigenständig als Verein geführt oder aber in privatwirtschaftlicher Leitung – als Orte des 262 Leutnantsbuch außerdienstlichen und dienstlichen Gemeinschaftslebens zu erhalten und weiterzuentwickeln. Diese Einrichtungen bieten eine erstklassige Möglichkeit, sich im Kreise Gleichgesinnter auszutauschen, sie bieten Rückzugsräume und die Möglichkeit zur Entspannung. Dies gilt im Grundbetrieb, aber auch in den Einsätzen. Dort müssen sich die Betreuungseinrichtungen jedoch den örtlichen Gegebenheiten lageabhängig anpassen. Was bleibt, ist die Forderung an den Offizier, sich in diesen Betreuungseinrichtungen persönlich aktiv zu engagieren. Wir dürfen unsere Kasinos nicht als „outgesourcte“ Gastwirtschaften verkümmern lassen. Sie sind unsere Einrichtungen, hier wächst das Offizierkorps zusammen. Hier besteht die Möglichkeit zur aktiven Gestaltung von Gemeinschaft und gelebter Kameradschaft. Im Offizierheim lernen sich alle Offiziere und Offizieranwärter auf gleicher Augenhöhe persönlich kennen. Gespräche gehen idealer Weise über das rein Dienstliche hinaus. Hier sollten ein ausgewogenes menschliches Miteinander und ein von Offenheit und Ehrlichkeit geprägtes Klima des Vertrauens herrschen. Die älteren Kameraden leben dieses Miteinander vor. Was im Kasino im Kameradenkreis besprochen wird, dringt im Regelfall nicht nach draußen. Kritische und von Vertrauen geprägte Diskussion ist notwendig. Zu falsch verstandener Kameraderie darf dies allerdings nicht führen. Dieses gelebte Miteinander ist die Grundlage für eine gefestigte Kameradschaft. Das am Standort gewachsene persönliche Vertrauensverhältnis trägt auch unter Belastungssituationen und im Einsatz. Umso wichtiger ist es, dass bereits der junge Offizieranwärter von Beginn seiner Dienstzeit an in diese Einrichtungen eingeführt wird und sie als „sein“ Kasino erlebt. Je früher er sein Kasino erlebt und sich hier aktiv engagiert, desto besser. 263 Leutnantsbuch Das Einführungsgespräch W ie sagte noch unser Hörsaalleiter an der Offizierschule des Heeres (OSH)? „Wenn Sie Ihren Zug übernommen haben, suchen Sie innerhalb der ersten Wochen das Gespräch mit Ihren Unteroffizieren. Stellen Sie sich Ihnen persönlich vor und beantworten Sie sich die Frage: Was weiß ich eigentlich von meinen Untergebenen?“ Für mich rückte zum damaligen Zeitpunkt das Thema in den Hintergrund. So sitze ich an einem Mittwochabend in meinem Zugführerzimmer und überlege mir, was ich eigentlich über meine Unteroffiziere wissen will. Und, was ich ihnen von mir erzählen soll! Natürlich habe ich beim Zugantreten kurz erzählt, wer ich bin und was ich bereits in der Bundeswehr erlebt habe – eigentlich waren es bisher nur das Studium und viele Lehrgänge, also wenig spannende Erlebnisse. Über mich und mein Privatleben habe ich nur wenig erzählt, will das eigentlich jemand wissen? Am nächsten Tag geht es los. Ich habe für jeden Unteroffizier fünfzehn Minuten eingeplant. Hoffentlich reicht das aus. Ich beginne mein erstes Gespräch mit Oberfeldwebel W. Um das Eis zu brechen, erzähle ich zunächst von mir: „Geburtsort Mönchengladbach, dort die ganze Jugend verlebt, ... Hobbys Inlineskates, Skifahren und Fußball, aber nicht in der Bundesliga, ... meine Lebenspartnerin habe ich in Hamburg beim Studium kennen gelernt, sie fährt wie ich auch gerne Ski und Inlineskates, ... zur Zeit wohne ich hier am Standort, bin aber Wochenendpendler, da meine Partnerin in Hamburg berufstätig ist ...“ Oberfeldwebel W. strahlt mich an: „Da gibt es ja einige Gemeinsamkeiten. Ich fahre auch gerne 264 Leutnantsbuch Inlineskates, bin Gladbach-Fan und ebenfalls Wochenendpendler.“ Und dann berichtet er mir von seinen Interessen, aber auch von einigen Problemen mit seiner Partnerin. Diese seien wohl auf die Wochenendbeziehung zurückzuführen. Dann noch der Einsatz und die vielen Übungen, er sei froh, dass jetzt bald sein Sommerurlaub anstünde und er sich dann wieder mehr seiner Partnerin widmen könne. Aber auch dienstlich gibt es eine Menge interessanter Erfahrungen, die Oberfeldwebel W. zu berichten hat. Er war bereits zweimal im Einsatz, im KOSOVO und in AFGHANISTAN, und kannte eigentlich alle Truppenübungsplätze in Norddeutschland. Seine Feldwebellehrgänge hatte er als Lehrgangsbester bestanden und schließlich weihte er mich in seine Absicht ein, Berufssoldat zu werden. Das Gespräch dauert länger als geplant, nach dreißig Minuten sind wir erst fertig. Aber es hat sich gelohnt, jetzt wissen wir beide, dass hinter unserer Uniform mehr steckt als nur Dienstgrad und militärischer Werdegang. Ich mache mir einige Notizen und nehme diese zu meiner Handakte. Einige Tage später: Ich bin auf dem Standortübungsplatz, mein Zug übt das Einfließen in den Verfügungsraum. Nachdem ich den Befehl für die Sicherung gegeben habe, gehe ich den Raum ab. Am Feldposten 1 treffe ich Oberfeldwebel W., er meldet und trägt mir zur Lage vor. Im anschließenden Gespräch frage ich ihn: „Na, wie hat Gladbach gespielt?“ – „Eins zu Null! Ist eben unser Verein, Herr Oberleutnant“, antwortet er breit grinsend. Wir sind mitten im Pausengespräch ... 265 Leutnantsbuch HI Suchen Sie das offene Gespräch mit Ihren Mitarbeitern. Fragen Sie nach familiärem Hintergrund, Interessen und Hobbys. Interessieren Sie sich ehrlich für den Menschen der in der Uniform steckt. Machen Sie sich vorher Gedanken, was Sie wissen wollen, und strukturieren Sie das Gespräch. Seien auch Sie offen und berichten von sich selbst. Sagen Sie aber auch, was Sie von Ihren Mitarbeitern erwarten, was Sie erreichen wollen und was Sie auf keinen Fall dulden. Diese Gespräche sind häufig der Schlüssel, um Pausengespräche oder Unterhaltungen bei Gemeinschaftsveranstaltungen mit interessanten Themen zu beginnen, die nicht nur vom Dienstalltag handeln. 266 Leutnantsbuch Der „robuste Soldat“ A ls ich nach meinem Schulabschluss in die Bundeswehr einrückte, war ich ein durchschnittlich sportlicher Abiturient. Die Ausbilder forderten insbesondere von uns Offizieranwärtern viel, und ich musste rasch feststellen, dass ich sportlichen Nachholbedarf hatte. Klar, ich wollte Gruppenführer werden und musste dafür natürlich körperlich leistungsfähig sein. Außerdem sollte ich im Anschluss an meinen Gruppenführerlehrgang nach HAMMELBURG gehen und den Einzelkämpferlehrgang absolvieren. Dieses Ziel vor Augen zog ich voll mit, konnte meine Leistungsfähigkeit, aber auch mein Selbstbewusstsein deutlich steigern. Einzelkämpferlehrgang und Gruppenführerlehrgang in einer Grundausbildungsinspektion liefen dann ausgesprochen gut. Anschließend wurde ich auf den Zugführerlehrgang kommandiert und irgendwie schienen sich die Anforderungen zu wandeln. Sport und körperliche Leistungsfähigkeit waren zwar ein Bestandteil des Lehrgangs, im Mittelpunkt standen aber Fähigkeiten eher schulischer Natur: Klausuren und Wehrrecht, Taktik und Logistik, Unterrichte und Vorträge. Wenn ich dann am Ende eines Ausbildungstages auf meine Stube kam, war ich geschafft. Meistens hielt ich ein kleines Nickerchen und wollte anschließend die Vor- und Nachbereitung der Ausbildung erledigen. Aber irgendwie fühlte ich mich matt und ohne Elan. Ich konnte meine Lehrgangskameraden nicht verstehen – die machten unmittelbar nach dem Dienst Sport, befassten sich mit Vor- und Nachbereitung der Lehrgänge und konnten sogar abends noch in die Stadt gehen – dazu hatte ich keine Kraft. 267 Leutnantsbuch Zum Glück gelang es meinen Kameraden, mich trotz meiner Skepsis zu aktivieren und mit ihnen nach Dienst laufen zu gehen. Dies verbesserte nicht nur meine Fitness, sondern steigerte meine gesamte Leistungsfähigkeit – körperlich und geistig. Das Lernen für Klausuren ging mir plötzlich viel leichter von der Hand. Mein Selbstbewusstsein stieg und mich konnte nichts mehr so leicht aus der Bahn werfen. Den Zugführerlehrgang konnte ich so erfolgreich abschließen. In meinen folgenden Spezialausbildungen – nämlich der Hubschrauberpilotenausbildung in den USA und meinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in MÜNCHEN – behielt ich diese Angewohnheit konsequent bei und bin damit immer gut vorangekommen. Mittlerweile bilde ich selbst junge Feldwebel- und Offizieranwärter aus und kann ihnen an meinem Beispiel recht schnell klar machen, dass sich der körperlich leistungsfähige, der „robuste Soldat“ auf dem Weg zum Spezialisten nicht nur leichter tut, sondern dass das ganz selbstverständlich dazu gehört. Kürzlich traf ich einen Jahrgangskameraden, der bereits den Stabsoffizierlehrgang in HAMBURG absolviert hatte – übrigens mit einem glänzenden Ergebnis – und von seinem persönlichen Erfolgsrezept berichtete: „Nach dem Dienst erstmal einen Stunde laufen gehen, damit der Kopf wieder frei wird. Dann kann man befreit weiterarbeiten.“ HI Halte Dich fit! Mens sana in corpore sano – nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder Geist wohnen! Es ist nicht gut, immer unter „Volllast“ zu fahren. Dies gilt für uns selbst, aber auch für die Menschen, die wir führen. 268 Leutnantsbuch Der Suizid E s war vor ziemlich genau einem Jahr. An einem ganz normalen Morgen. Wie immer nahm der Kompaniechef routiniert seinen Dienst auf. Zunächst nur beiläufig wurde registriert, dass der Kommandeur an diesem Morgen nicht da war. Irgendwann im Laufe des Vormittages wurde dann eine Entscheidung des Kommandeurs benötigt. Frage an sein Vorzimmer: „Wo ist der Kommandeur?“ – „Weiß ich nicht.“ – „Gibt’s einen Vertreter?“ – „Keine Ahnung, ich glaube nicht.“ Enttäuscht zog der Chef wieder ab. Nachdem im Laufe des Vormittags der Kommandeur nirgendwo gesichtet wurde, wählte das Vorzimmer die Privatnummer des Kommandeurs an. Kurz darauf wurde die Tür des Dienstzimmers des Kompaniechefs unsanft von außen geöffnet. Der S 3Feldwebel aus dem Vorzimmer trat unaufgefordert herein. Noch bevor der Chef etwas sagen konnte, kam ihm der Feldwebel mit zittriger Stimme zuvor: „Der Kommandeur ist tot.“ – „Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“ – „Der Kommandeur hat sich heute Nacht das Leben genommen.“ Für einen Moment herrschte eine entsetzliche Leere und Stille. Dann fingen im Kopf des Chefs die Bilder an zu laufen, immer mehr und schneller: - Bilder vom Kommandeur vor der Front, - Bilder von guten Gesprächen mit ihm, - Bilder von seiner untadeligen Dienstauffassung, - Bilder von seiner strengen und fordernden Dienstaufsicht, - ... und so weiter. Und am Ende stand über allem die eine zentrale Frage nach dem „Warum“. 269 Leutnantsbuch Wenige Tage später stand der Chef als Totenwache am Grab. Wieder fingen die gleichen Bilder im Kopf an zu laufen. Aber die unbeantworteten Fragen nach dem „Warum“ wurden nicht weniger, sondern mehr. Auf den ersten Blick lief doch alles hervorragend. Der Kommandeur hatte seinen Verantwortungsbereich umfassend im Griff, er stand glänzend da. Seine Karriere schien ungebrochen, eine förderliche Anschlussverwendung stand kurz bevor. - Warum trotzdem diese Entscheidung? - Hätte man es im Voraus erkennen können? - Hätte man ihm helfen können? - Warum hat er sich nicht Kameraden offenbart? An der letzten Frage blieb der Chef hängen. Hat ein Kommandeur überhaupt Kameraden? Wo findet er zwischen den nie nachlassenden Anforderungen seines Vorgesetzten einerseits und seiner Führungsverantwortung nach unten andererseits kameradschaftliche Unterstützung? Führungsverantwortung macht bekanntlich einsam. Der § 12 Soldatengesetz fordert von allen Soldaten, Kameraden in Not und Gefahr beizustehen. Wie groß muss die Not eines Kameraden sein, dass er freiwillig seinem Leben ein Ende setzt. Und keiner hat die Not erkannt! Hätte der untergebene Chef dem Kommandeur mehr Kamerad sein müssen? Hätte der Vorgesetzte des Kommandeurs diesem mehr Kamerad sein müssen? Wo beginnt Kameradschaft und wie lebt man sie? Die Frage nach der Kameradschaft beschäftigte den Chef lange Zeit. Auch höhere Vorgesetzter haben Anspruch auf Kameradschaft, auf Kameraden, die gegebenenfalls in der Not helfen. 270 Leutnantsbuch Der Chef jedenfalls hatte sich vorgenommen, zukünftig nicht nur für seinen Bereich, sondern auch „nach oben“ mehr Kamerad zu sein. Und heute, ein Jahr danach? Die Bilder vom alten Kommandeur kommen nur noch selten. Der neue Kommandeur hatte sich schnell eingearbeitet und steht glänzend da. Alles ist wie immer, jeden Tag nimmt man routiniert seinen Dienst auf. „Weiß jemand, wo heute Morgen der Kommandeur ist?“ HI Höre zu! Was wissen Führer eigentlich von ihren Kameraden? Wie weit öffnet man sich selbst gegenüber anderen? Hören wir auch unseren Vorgesetzten zu? Erkennen wir Zwischentöne? Versuchen wir, auch die Nöte und Sorgen von anvertrauten Soldaten und von Vorgesetzten zu erkennen? Kameradschaft als soldatische Tugend endet nicht bei Gleichgestellten! 271 Leutnantsbuch Die Gneisenaukaserne Geschichte und Tradition im Pausengespräch G rundausbildung in der „Gneisenaukaserne“. Der junge Leutnant kommt während der Ausbildungspause mit einigen Rekruten seines Zuges ins Gespräch. Unvermittelt fragt ihn ein Soldat, was es eigentlich mit dem Namen der Kaserne auf sich habe. Gneisenau – das sagt ihm irgendwie etwas. War das nicht ein Schlachtschiff? Aber wir sind doch beim Heer! Dem Leutnant fällt hierzu spontan ein, wie sein Militärgeschichtslehrer an der Offizierschule mit Leidenschaft über die Schlacht bei WATERLOO erzählte. Da spielte doch Neidhardt von Gneisenau ein wichtige Rolle. Genau! In der Schlacht bei LIGNY im Juni 1815, einem Vorgefecht von WATERLOO, hatte die preußische Armee eine Niederlage gegen Napoleon einstecken müssen. Feldmarschall Blücher, der bekannte „Marschall Vorwärts“, war in den Abendstunden auf dem Schlachtfeld verschollen. In der sinkenden Dämmerung, bei peitschendem Regen und Wind, versuchten seine Offiziere, ihre verstreuten und demoralisierten Truppen wieder zu sammeln. Chaos. Rückzug. Abseits an einer Windmühle steht schweigend Gneisenau, der Generalstabschef der preußischen Armee. Allmählich sammeln sich die höheren Kommandeure im Halbkreis um ihn. Befehlsausgabe. Erstmals ist Gneisenau allein in der Verantwortung. Er spürt die Einsamkeit des Kommandos. Vor sich hat er die erschöpfte Armee, im Rücken die Straße, die nach Osten zur MAAS führt, in die Heimat. Im Norden sind irgendwo die verbündeten Briten unter Wellington. Sie sind aber nur über die verschlammten Wege unter großen Strapazen zu erreichen. Gneisenau sieht die zweifelnden Blicke seiner Offiziere. Gerade er, der 272 Leutnantsbuch Intellektuelle, denken sie, der „Schreibtischstratege“ – ausgerechnet er soll nun einen großen Entschluss fassen! Gneisenau richtet sich im Sattel auf und weist mit dem Arm den Weg: „Die Armee geht nach Norden, nach WAVRE!“ Die Offiziere glauben, nicht recht zu hören. Haben diese Quälerei und dieser Krieg denn nie ein Ende? Doch Stunden später sind sie auf dem Marsch. Was sie noch nicht wissen: In wenigen Tagen werden sie bei WATERLOO Weltgeschichte schreiben. Und Gneisenau – er wird später als einer der bekannten »Preußischen Reformer« gelten. Die von ihm gemeinsam mit Gerhard von Scharnhorst, Hermann von Boyen und Carl von Clausewitz angestoßenen Veränderungen im preußischen Heer sind so modern, dass sie bis in unsere heutige Zeit hinein Gültigkeit besitzen. Wir denken vor allem an das Leistungsprinzip, die Auftragstaktik, die höheren Anforderungen an den Bildungsstand des Offiziers, die Pflicht zur menschenwürdigen Behandlung Untergebener und natürlich – an die Wehrpflicht! Spannende Geschichte, denkt der Rekrut. Der Zugführer hat echt Ahnung! Auch die anderen aus der Gruppe haben zugehört. Wie lange ist eigentlich noch Pause? Der Leutnant ist jetzt in seinem Element, er erzählt weiter. Die jungen Soldaten erfahren, dass sich die Bundeswehr neben den preußischen Militärreformen noch auf zwei weitere Traditionslinien stützt. Tradition ist – so lernen sie nebenbei – nicht dasselbe wie Geschichte, sondern eine wertebezogene Auswahl aus derselben. Aber bitte nicht zuviel Theorie! Dass Oberst Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler mit einer Bombe zu töten, ein Nachfahre Gneisenaus war, klingt interessanter. Und damit ist ja auch schon eine Brücke geschlagen zum militärischen Widerstand gegen Hitler. Namen wie Henning von Tresckow, Werner von Haeften oder Friedrich Olbricht sind 273 Leutnantsbuch einigen der Rekruten aus Fernsehdokumentationen bekannt. Ihr Zugführer macht ihnen nochmals deutlich, dass die meisten Attentäter des 20. Juli eine feste Bindung an Heimat, Familie, Tradition und christlichen Glauben besaßen – die Früchte einer konservativen Erziehung. Ihr Motiv lautete vor allem, dem Staate und dem Volke verantwortungsvoll zu dienen. „Unbedingter Gehorsam“ war ihnen fremd. Durch die Verbrechen der Nationalsozialisten und die immer fanatischere Führung des Krieges sahen sich zahlreiche Offiziere moralisch herausgefordert. Hier denkt manch einer der Rekruten zurück an die Rede des Bataillonskommandeurs, letzte Woche beim Gelöbnis. Da ging es auch um dieses Thema. Sprach er nicht auch von den Gewissenskonflikten der Männer des 20. Juli? Auch der Leutnant erzählt von den schweren inneren Kämpfen, welche diese Offiziere ausgetragen haben. Kürzlich hat er dazu im Internet einen Satz Stauffenbergs gelesen, er kann ihn sinngemäß wiedergeben: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“ Was ist Gewissen? Ein schlechtes Gewissen hat wohl jeder der jungen Soldaten schon einmal gehabt, bemerkt der Leutnant nebenbei, also ist auch keiner von ihnen »gewissen-los«. Der 20. Juli 1944, so fährt er fort, zeigt aber, dass eine Gewissensentscheidung nicht nur bedeuten kann, einmal gegen den Strom schwimmen zu müssen und sich der Anfechtung auszusetzen. Für die Männer um Graf Stauffenberg ging es um Leben und Tod. General von Tresckow sagte dazu: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, 274 Leutnantsbuch für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben“. Die Rekruten hören, dass die Lehren des Widerstandes gegen Hitler nach über 60 Jahren darin bestehen, dass weder ein Staat noch eine menschliche Autorität das Recht besitzen, einen Menschen total zu fordern, sondern allenfalls einen »mündigen« Gehorsam erwarten dürfen. Es darf nicht Ziel des Soldaten sein, blind zu gehorchen, sondern gewissenhaft – also dem Gewissen treu zu sein. Und letztlich soll der Soldat eben nicht nur Kämpfer sein, sondern auch für die Durchsetzung und Erhaltung von Grundwerten einstehen. Viele Rekruten sind nachdenklich geworden. Das war sicher keine einfache Situation für die Offiziere um Stauffenberg. So mutig ist bestimmt nicht jeder. Ein Rekrut fragt schließlich, ob die Bundeswehr denn auch solche berühmten Soldaten vorzuweisen habe? Sicher, antwortet der Leutnant, wenn auch nicht so bekannte wie die bisher genannten. Die meisten der jungen Soldaten hören nun die Namen Wolf Graf von Baudissin, Ulrich de Maizière und Johann Adolf Graf von Kielmansegg. Sie erfahren, dass diese Personen weniger durch herausragende Taten im Krieg bekannt geworden sind – die Existenz der Bundeswehr hat nämlich entscheidend dazu beigetragen, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Frieden auf deutschem Boden zu bewahren. Wahrlich eine Erfolgsgeschichte! Die Verdienste der sogenannten „Gründerväter“ der Bundeswehr liegen in anderen Bereichen: Die von ihnen entwickelte Konzeption der „Inneren Führung“ ermöglicht es, dass die jungen Rekruten der „Gneisenaukaserne“, die heute viele Fragen haben, als „Staatsbürger in Uniform“ entsprechend einem zeitgemäßen Menschenbild und einer modernen Werteordnung ausgebildet, geführt und erzogen 275 Leutnantsbuch werden. Sie sollen wissen, wofür sie ihren Dienst leisten. Nicht zuletzt dazu dienen Pausengespräche ... HI 276 Leutnantsbuch ... lieber spät als nie! A llgemein wird mir viel Erfahrung nachgesagt. Ich bin ausgebildeter Flugsicherheitsoffizier (FSO) und verfüge über 6000 Flugstunden, davon einen Großteil als Fluglehrer. Also ein richtig zuverlässiger Pilot. Dennoch gibt es Erlebnisse, die eigentlich nicht passieren dürften. Ein normaler Ausbildungstag mit einem Flugschüler auf der alten ALOUETTE II, den ich schon seit Wochen betreute, führte uns zum Außenlandeplatz, an dem wir Autorotationen üben sollten. Zunächst verlief alles planmäßig, der Schüler machte gute Fortschritte und ich steigerte den Schwierigkeitsgrad. Leider unterlief mir in der Folge der Fehler, zu spät einzugreifen. Wir hatten einen zu großen Anstellwinkel in der Schlussphase und berührten nicht mit den Kufen, sondern mit dem Hecksporn sehr hart den Boden. An sich kann so etwas vorkommen. Man stellt die Maschine ab, informiert die Technik und wartet auf die Befundung. Im besten Fall fliegt man dann wieder weiter, im schlechtesten wird die Maschine überführt. Ich dagegen entschied mich gegen alle Vernunft, zurück zu fliegen, stellte die Maschine auf dem Hallenvorfeld ab, absolvierte mein Debriefing und machte mich auf den Weg nach Hause. Mit Verlassen der Kaserne wurde mir urplötzlich die Dimension meines Verhaltens bewusst. Ich drehte um, fuhr zur Technik, sperrte per Eintrag den Hubschrauber, meldete den Vorfall der Einsatzsteuerung und informierte den Flugsicherheitsoffizier. Am nächsten Tag meldete ich vor Dienstbeginn dem Kommandeur den Vorfall. Mir war klar, dass ich mich mehr als unprofessionell verhalten hatte. Daher war für mich auch eine disziplinare Ahndung nachvollziehbar. 277 Leutnantsbuch Entsprechend unserer Verbandskultur schilderte ich auch im Rahmen des morgendlichen Briefings mein Fehlverhalten, um auch darauf hinzuweisen, dass es in der Fliegerischen Ausbildung immer zu Zwischenfällen führen kann, die man meldet, um zukünftig vor möglichen Gefahren zu warnen. Auch bin ich froh, den Mut gefunden zu haben, mich unverzüglich nachträglich gemeldet zu haben, um weiteren Schaden zu vermeiden. HI Übernimm Verantwortung! Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein gehören zu den Grundtugenden des Offiziers. Dies auch im Verband oder in der Einheit zu fördern, ist Aufgabe des militärischen Führers. Eine gute Verbandskultur stellt sich gegen eine „Null-Fehler-Mentalität“. 278 Leutnantsbuch Der Anschlag I m Mai wurde ich, Oberfeldwebel S., Opfer eines Selbstmordattentats in KUNDUZ, AFGHANISTAN, bei dem drei meiner Kameraden ums Leben kamen, sowie zwei andere Soldaten, darunter ich selbst, schwer verletzt wurden. Meine Frau, die in DEUTSCHLAND durch die Familienbetreuungsstelle benachrichtigt wurde, war ab diesem Moment absolut überfordert und nach einem Nervenzusammenbruch nicht dazu in der Lage, aus eigener Kraft ins Krankenhaus nach KOBLENZ zu kommen und alle anderen anfallenden Angelegenheiten zu klären. Ein Hauptmann, der vor Jahren als Leutnant mein Zugführer war, ist mittlerweile in IDAR-OBERSTEIN stationiert, wo ich mit meiner Familie lebe. Als er durch einen Zufall von diesem Unglück sowie von der Tatsache, dass ich ein Betroffener bin, erfuhr, begab er sich direkt mit den Soldaten, welche die Nachricht überbrachten, zu meiner Frau. Von diesem Moment an stand er mit Rat, Tat und Trost an der Seite meiner Frau und half ihr bei „allen“ anfallenden Angelegenheiten in der schweren Zeit. Darunter fällt unter anderem, dass er sich um die unzähligen Telefonate mit Freunden, Verwandten und Behörden und darüber hinaus um unseren achtjährigen Sohn kümmerte, Einkäufe erledigte und über drei Wochen hinweg täglich meine Frau von IDAR-OBERSTEIN nach KOBLENZ ins Krankenhaus fuhr. Dort war er rund um die Uhr die Stütze für meine Frau. Es ist erwähnenswert, dass der Hauptmann über die ganze Zeit hinweg, obwohl durch die Sache emotional selbst angegriffen, seinen Dienst weiterhin verrichtete – wenn auch 279 Leutnantsbuch nur halbtags unter Einsatz von Freistellungen. Auch andere Vorgesetzte haben sich hierbei verdient gemacht. Es ist für mich mit Worten unheimlich schwierig zu erklären und für Außenstehende, die nicht betroffen sind, eventuell schwer zu verstehen, welch’ unbezahlbare Hilfe und unglaublich große Leistung dieser Offizier für meine Frau und letztendlich auch für mich in dieser Zeit vollbracht hat. Diese Leistung und dieses Verhalten sind meiner Meinung nach mustergültig, unübertroffen und werden der Vorbildund Fürsorgefunktion eines Offiziers mehr als gerecht. HI Zeige Persönlichkeit! Sei Vorbild! Stelle den Mensch in den Mittelpunkt! Die Wirkung von eigenem Führungsverhalten auf andere muss stets reflektiert werden. Kameradschaft ist losgelöst von hierarchischen Strukturen und stellt den Mensch in den Mittelpunkt! Deshalb sind Empathie und Fürsorge wichtige Eigenschaften eines Offiziers. Darüber hinaus ist es in derart schwierigen Situationen auch wichtig, professionelle Hilfe anzubieten und auch anzunehmen. Es gibt inzwischen psychosoziale Netzwerke (PSN), die auf breiter Fläche diese Hilfe anbieten. Informieren Sie sich und Ihre Untergebenen über die bestehenden Möglichkeiten. 280 Leutnantsbuch Team „Hotel“ N ach meiner bisher wohl schönsten Zeit in der Bundeswehr – dem Studium der Betriebswirtschaft an der Universität der Bundeswehr in HAMBURG – wurde ich mit bestandenem Diplom in ein Panzerbataillon versetzt. Einerseits war ich froh, nach der langen Zeit des Lernens und der vielen Klausuren und Prüfungen nun wieder in die Truppe zu kommen, andererseits war HAMBURG für mich eine zweite Heimat geworden. Ich wurde also von dieser pulsierenden Metropole in eine Provinzstadt versetzt. Die Bataillonsführung des Panzerbataillons befand sich zum Zeitpunkt meiner Versetzung im Auslandseinsatz in FEYZABAD, AFGHANISTAN. Der technische Stabsoffizier führte das Bataillon und setze mich zunächst als Einsatzoffizier der vierten Kompanie ein. Die „Vierte“ wurde zu diesem Zeitpunkt durch zwei Oberleutnante der Reserve geführt, die nach meiner Einschätzung sehr gute Arbeit leisteten. In den kommenden Wochen entwickelte sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns und so fiel es nicht schwer, die Herausforderungen einer Grundausbildung mit 90 Rekruten, sei es im Bereich der Führung, der Ausbildung oder auch im disziplinaren Bereich, zu bewältigen. Kurze Zeit später endeten jedoch die Wehrübungen beider Reservisten. Bei der sich nun stellenden Frage, wer die Kompanie die nächsten Monate führen sollte, fiel die Wahl auf mich. Eine wahre Herausforderung nach der langen Zeit der „Abstinenz“ von der Truppe. Auf meinen Schultern lastete nun die Verantwortung für eine neue Allgemeine Grundausbildung mit über 150 Soldaten – vom Rekruten bis zum altgedienten Hauptfeldwebel. 281 Leutnantsbuch Das Führerkorps der „Vierten“ war trotz Abwesenheit des Kompaniechefs und des originären Kompaniefeldwebels eine hocherfahrene und zusammengeschweißte Einheit. Dieser Umstand erleichterte mir zwar die Arbeit, es entstand aber auch eine hohe Erwartungshaltung hinsichtlich meiner Leistungen. Ich hatte die Befürchtung, dass es mir als jungem, relativ unerfahrenem Oberleutnant schwerfallen würde, das Vertrauen und die Anerkennung meines unterstellten Bereichs als Kompanieführer zu erlangen. Glücklicherweise gelang es mir nach meiner Einschätzung relativ schnell, auch von den älteren erfahrenen Portepeeunteroffizieren akzeptiert zu werden. Rückwirkend betrachtet lag das wohl daran, dass ich mich an die Tipps und Hinweise meines damaligen Hörsaalleiters an der Panzertruppenschule erinnerte und diese umsetzte. Ich bin mir sicher, dass die „Vierte“ zum damaligen Zeitpunkt von mir nicht das Können und die Erfahrung eines originären Kompaniechefs erwartete, sehr wohl jedoch einen Offizier, der sich mit vollem persönlichen Einsatz um die Belange der Kompanie kümmert. In den folgenden zweieinhalb Monaten durfte ich neben dem normalen Dienstgeschäft den Besuch des Divisionskommandeurs, diverse Stationen beim Tag der offenen Tür und einige Besuche bei der Patengemeinde der Kompanie vorbereiten und durchführen. Die Zeit als Kompanieführer direkt nach dem Studium war eine herausfordernde, aber auch hoch interessante und schöne Zeit. Kaum ein anderer Beruf ist so abwechslungsreich und spannend wie der unsrige. HI 282 Leutnantsbuch Wesentlich waren die folgenden fünf Regeln: - - Gehe mit Deinem unterstellten Bereich vernünftig um und suche das offene Wort. Hab’ keine Angst vor neuen Herausforderungen. Lass’ Dich vor Deinen Entscheidungen umfangreich beraten und schöpfe damit das Erfahrungspotenzial Deiner Untergebenen aus. Setze Dich mit all Deiner Kraft und vollem persönlichen Einsatz für Deinen unterstellten Bereich ein. Häufig fordert Dich diese ungeteilte Verantwortung über die Regeldienstzeit hinaus. Nimm die Sorgen, Probleme und Nöte Deines unterstellten Bereichs ernst. 283 Leutnantsbuch 24 Stunden als Zugführer in KUNDUZ 1 7.00 Uhr: Von Patrouille zurückgekehrt - jetzt die nächste vorbereiten. Der erste Weg führt zur All Source Intelligence Cell (ASIC), dort werden alle relevanten Informationen gesammelt. Ich schwitze - es sind immer noch 40° C und die Luft ist staubig. Mein Auftrag für den nächsten Tag: Sicherung (Force Protection) für den Kommandeur des PRT (COM PRT). Er hat einen Termin beim HQ der afghanischen Polizei (Police Headquarters – PHQ) in AQ TAPPEH. In der ASIC besprechen wir den Marschweg, mögliche Gefahrenpunkte, die Einstellung der Bevölkerung vor Ort und viele andere wichtige Details. Nach ca. 25 Minuten habe ich (hoffentlich) alle notwendigen Informationen. Kurze Detaileinweisung meines Kompaniechefs, dann schon über TETRAPOLHandfunkgerät die notwendigen Absprachen mit dem CLOSE PROTECTION TEAM (CPT) des COM PRT treffen und die Befehlsausgabe vorbereiten. Ich schwitze immer noch, das Abendessen habe ich verpasst. 18.00 Uhr: Ich spreche mit meinem Stellvertreter über den nächsten Auftrag, damit er frühzeitig in die Planung eingebunden wird und ich eine zweite Perspektive erhalte. Die Einsätze werden befohlen. Detaillierte Vorgaben aus der Operationszentrale (OpZ), muss man aber nicht immer als unumstößlich hinnehmen. Dort führt man nach taktischen Grundsätzen aus einem geschützten Raum mit der Absicht, die Truppe bestmöglich zu unterstützen. Der Zugführer ist jedoch der Führer vor Ort und kann daher oft besser beurteilen, was machbar ist und was nicht. Das Prinzip „Führen mit Auftrag“ ist zweckmäßig. Es überlässt Detailfragen dem eingesetzten Führer vor Ort. Manchmal ist es harter Kampf, seine Überzeugungen und Positionen 284 Leutnantsbuch vorher durchzusetzen, aber letztlich eröffnet der Diskurs Perspektiven und lohnt den zeitlichen Einsatz. 18.10 Uhr: Nach dem Gespräch mit dem Stellvertreter - 5 Minuten Zeit nur für mich. Im Kopf die Beurteilung der Lage noch mal durchgehen; die Absicht erneut auf den Prüfstand stellen. Draußen muss es laufen - von alleine. 18.20 Uhr: Vorbereitung der Befehlsausgabe. Die Mannschaften aktualisieren die Übersichten und verteilen die Satellitenaufnahmen. Ich schreibe Karteikarten, damit ich auch ja nichts vergesse. 19.00 Uhr: Alle Teile sind in den Raum für die Befehlsausgabe eingerückt. Innerhalb der nächsten halben Stunde befehle ich meine Absicht für den nächsten Tag. Nach der Befehlsausgabe habe ich es fast geschafft, dachte ich. Ich gebe kurz die Punkte aus der Teileinheitsführerbesprechung weiter, dann kann der gemütliche Teil des Tages kommen. Doch zwischen einem Truppführer und seinem Fahrzeugkommandanten gibt es Streit. Unterschiedliche Führungsstile, Ansichten und Einschätzungen der Lage vor Ort auf Patrouille lassen die beiden aneinandergeraten. Inzwischen so oft, dass sie eine weitere Zusammenarbeit ablehnen. Streit schlichten, Besatzung trennen und den Truppführer mit seinem Schützentrupp auf einem anderen Fahrzeug einsetzen. Situation gelöst. 10 Unteroffiziere und 32 Mannschaften auf 6 Fahrzeugen, da gibt es jeden Tag ein neues Problem. Die Freundin hat Schluss gemacht, der Stubenkamerad wäscht sich nicht, der andere sei immer aggressiv oder man kann halt einfach nicht mehr. Nicht jedes Problem landet bei mir aber viele, für die am Ende von den Betroffenen keine Lösung gefunden wird. Am Ende des Tages bleiben immer noch welche über, nämlich meine. Anspruch auf Fürsorge und Kameradschaft haben alle Soldaten, unabhängig von 285 Leutnantsbuch Laufbahn oder Dienstgrad, im Schwerpunkt bleibt es aber Aufgabe Vorgesetzter gegenüber Untergebenen. 21.00 Uhr: Nach dem Dienstabschlussbier in der Betreuungseinrichtung ist der Tag endlich zu Ende. Noch ein kurzes Gespräch mit den Lieben daheim und dann geht es ins Bett. Nachtruhe. 05.00 Uhr: Aufstehen, Waschen, Rasieren, Frühstück - der Morgen hat begonnen. Nach dem Frühstück Operationszentrale und ASIC; aktuelles Lagebild abgreifen. Gab es in der Nacht sicherheitsrelevante Vorfälle? Wer ist im Raum? Was machen die Verbündeten? Und schließlich: „Welchen Einfluss hat das auf mich und meine Durchführung des Auftrags?“ 06.00 Uhr: Ehrenhain Kunduz. An dem Platz, an dem die Gedenktafeln für die gefallenen Kameraden hängt, fährt jede Patrouille bevor sie das Feldlager verlässt ihre Fahrzeuge in Marschformation auf. Die goldenen Tafeln erinnern jedes Mal aufs Neue, dass jeder Fehler oder einfach nur Pech über den Ausgang des Tages bestimmen kann. Planung minimiert das Risiko, doch absolute Sicherheit gibt es draußen nie. Ich begrüße alle Soldaten meines Zuges und gebe die letzen Lageentwicklungen an meine Fahrzeugkommandanten weiter. 06.30 Uhr: 15 Fahrzeuge, davon 3 vom CPT, fahren unter meiner Führung Richtung Norden, hinein ins Ungewisse. Als Zugführer trage ich die Verantwortung für alle, mich selbst eingeschlossen. 09.00 Uhr: Wir erreichen das PHQ in AQ TAPPEH ohne Zwischenfälle. Geplant ist, die nächsten 3 Stunden hier zu verbleiben und gegen 13 Uhr den Rückmarsch anzutreten. Nachdem die Sicherung befohlen ist, heißt es abwarten. Ich schwitze - es sind schon 55° C in der Sonne. 11.30 Uhr: Lageänderung. Der Polizeichef und der COM PRT wollen eine Schule südlich der Ortschaft besichtigen. 286 Leutnantsbuch Innerhalb von fünf Minuten sind ein Halbzug und das CPT abmarschbereit. Bevor es losgeht noch die Absprache mit der afghanischen Polizei (Afghan National Police – ANP) über Marschstrecke und Marschreihenfolge. Ich bestehe darauf, dass die Polizei vorausfährt. Ich habe am Abend vorher die Information bekommen, dass die Einheimischen den Teil der Straße der zur Schule führt, meiden. Da werden sicherlich weder ich noch einer meiner Soldaten als erstes darüber fahren. Die Fahrt verläuft jedoch glücklicherweise ohne Vorkommnisse oder Zwischenfälle. Nach zweieinhalb Stunden verlassen wir die Schule, gliedern die Reserve des Zuges am PHQ wieder ein und der Rückmarsch bleibt dann zum Glück genauso ereignislos wie der Hinmarsch. 15.30 Uhr: Zurück am Ehrenhain. Der Zug sammelt sich und wir gehen in die Nachbesprechung. Mein Stellvertreter übernimmt die Nachbereitung, während ich noch im Gefechtsanzug zur OpZ gehe, um mich und meine Teileinheit zurückzumelden und Informationen über Zustand der Straße und Verhalten der Zivilbevölkerung an die OpZ und die ASIC zu melden. Jeder Soldat außerhalb des Feldlagers ist Sensor. 16.00 Uhr: Gleich noch die Informationen für den nächsten Tag im Stab beschaffen und ein paar organisatorische Dinge für meine Männer regeln. Danach zum Essen. Erstaunlich früh heute - wir waren rechtzeitig zurück. Ein Luxus, den man nicht immer hat und den ich deshalb ausnutzen will. 17.00 Uhr: Kompaniegefechtsstand, Patrouillenbericht schreiben. Den Tag samt Auftrag Revue passieren lassen, was war gut, was war schlecht, was können wir besser machen? Dann geht es von vorne los. Ich schwitze und die Luft ist staubig. Nach zwei Monaten mit Tagen wie diesem fühlte ich mich geistig leer und war eigentlich bereit, nach Hause in die 287 Leutnantsbuch Heimat zu fliegen. Eines Morgens kam mein Stellvertreter auf meine Unterkunft, schloss die Tür und sagte zu mir: „Oberleutnant, die nächsten Touren solltest du drin bleiben“. Im ersten Moment betroffen, unterdrückte ich den Zwang, etwas zu erwidern und hörte mir an, was er zu sagen hatte. Nach der Aussprache bedankte ich mich für die offenen Worte. Hier lag keine „Meuterei“ vor oder die Absicht, die Führungsorganisation des Zuges aktiv zu ändern. Ihn bewegte Fürsorge - in diesem Fall die gegenüber Vorgesetzten. Ab diesem Zeitpunkt teilten wir beide mehr Aufgaben auf. Im Ergebnis kam das nicht nur mir, sondern dem gesamten Zug zugute. HI Der Vorgesetzte kennt seine Soldaten, führt von vorn und trägt die Verantwortung für ihr und sein Handeln. Er steht für seine Soldaten ein und stellt sein eigenes Wohl hinten an. Gleichwohl muß der Vorgesetzte mit seinen Kräften haushalten, um in den entscheidenden Phasen auch führungsfähig zu sein. Er muss somit in der Lage sein, eigene Fehler und Schwächen einzugestehen, sein Leistungsvermögen richtig einzuschätzen. Zu viel Ehrgeiz und Wille kann trotz bester Absichten zu eigener Überforderung führen und sich negativ auf die Auftragserfüllung und die anvertrauten Soldaten auswirken. Der Vorgesetzte fühlt sich häufig allein mit seiner Verantwortung, und den daraus resultierenden Belastungen und den getroffenen Entscheidungen. Umso wichtiger ist es, angebotene Unterstützung zu erkennen, sie anzunehmen und für den Erhalt der eigenen Leistungsfähigkeit zu nutzen. 288 Leutnantsbuch Der NIJMEGEN-Marsch E s ist Dienstag, noch vor Sonnenaufgang, 02.00 Uhr in der Früh. Ich liege wach auf meinem Feldbett im Camp HEUMENSOORD. Als Führer einer NIJMEGENMarschgruppe bin ich nervös und freue mich, dass es endlich los geht. Der erste von vier Marschtagen. Wir sind 25 Fernmelder, die sich der Herausforderung, in Formation an vier aufeinander folgenden Tagen 40 Kilometer mit zehn Kilogramm Gepäck zu marschieren, stellen. War unsere Vorbereitung ausreichend, werden alle Soldaten am Ende den verdienten Orden erhalten? Vor acht Wochen hatte mich der Kommandeur gefragt, ob ich bereit sei, eine offizielle NIJMEGEN-Marschgruppe aufzustellen, zu trainieren und natürlich auch in NIJMEGEN zu führen. Obwohl für meine Kompanie einige Vorhaben geplant waren, die nicht abgesagt werden sollten, sagte ich nach kurzer Bedenkzeit und Beratung mit meinem Vertreter, dem Spieß sowie dem Kompanietruppführer zu. Im Anschluss lief die Planung und Organisation auf Hochtouren. Es wurden zehn unterschiedlich lange Marschstrecken erkundet, Verpflegungspunkte festgelegt, ein wehrübender Masseur einberufen, der Truppenpsychologe des Kreiswehrersatzamtes mit einbezogen, für die Gesangsausbildung das Heeresmusikkorps angesprochen sowie ein Ausgleichs- und Rahmenprogramm zur Entspannung ausgeplant. Wir hatten an alles gedacht. Die gedankliche Vorbereitung war jedoch der bedeutend leichtere Teil der Aufgabe. Parallel dazu musste ich Marschierer für dieses Projekt „gewinnen“. Mir war klar, dass mit dem Befehl zur Teilnahme die Motivation der Soldaten nicht gleichzeitig gegeben war. Ich setzte ausschließlich auf Freiwillige. Da es sich bei diesem Auftrag um eine Herausforderung für das gesamte Regiment 289 Leutnantsbuch handelte, führte ich mehrere Informationsveranstaltungen durch. Ich stellte die Absicht und den Ablauf der Vorbereitung vor. Ich machte deutlich, dass vor der Ordensverleihung mehr als 600 Kilometer zu absolvieren seien, diese Herausforderung kein „Spaziergang“ würde, aber dass die Begeisterung der Bevölkerung und das besondere Erlebnis des Marsches für viele Strapazen entschädigen würden. Tatsächlich gelang es mir, das Interesse von etwa 30 Soldaten aller Dienstgradgruppen aus vier Kompanien des Regimentes zu wecken. Sogar die Einweisung in der Grundausbildungskompanie hatte Meldungen zur Folge. Ich fragte mich aber, ob die jungen Rekruten nach ihrer Allgemeinen Grundausbildung (AGA), nachdem sie erst wenige Monate Kampfstiefel trugen und lediglich kürzere Eingewöhnungsmärsche absolviert hatten, diesen Belastungen wirklich würden standhalten können? Was folgte, waren vier Wochen intensiver Vorbereitung am Standort. Die ersten zwei Wochen waren die schwierigsten. Die Füße reagieren auf eine solch’ immense Belastung, sie verändern sich, schwellen an, werden größer. Die Folge sind Blasen, Blasen, Blasen. Aber Blasen bringen niemanden um. Auch mit Blasen zu marschieren ist möglich. Fast jeder Teilnehmer musste diese Erfahrung machen. Jede Blase hat zu dem eine Ursache: die Stiefel oder die Socken, zu groß oder zu klein. Diese Ursachen wurden in den folgenden Tagen immer erfolgreicher abgestellt. Die ersten Märsche gingen auch an mir nicht spurlos vorüber. Meine Soldaten erkannten, dass auch ich nicht mit „Lederhaut“ an den Füßen marschierte. Trotz Blasen stand ich am nächsten Tag aber wieder vor meiner Gruppe und befahl „Stiefel – an, Rucksack – auf, vorwärts – marsch! Keinen Tag überließ ich die Führung der Gruppe meinem Stellvertreter. 290 Leutnantsbuch Nach den Tagesmärschen begann erst mein eigentlicher Dienst. Ich bearbeitete die Post, schrieb Beurteilungen, nahm an Besprechungen teil und führte Dienstaufsicht bei der Ausbildung meiner Kompanie. Die Tage waren manchmal sehr lang und abends war ich richtig kaputt. Am Ende der zweiten Woche wollten die Marschierer wissen, wie ich denn nur so gute Laune haben könne, obwohl doch jeder wüßte, dass auch ich mindestens drei Blasen hätte, das Marschieren nun nicht immer Spaß machte, der Gesang die Schmerzen nicht vertreiben könne und auch nach den Märschen keine Zeit für mich sei, mir Ruhe zu gönnen. Meine Antwort war einfach: „Ich habe ein Ziel: Alle Soldaten dieser Marschgruppe, die in NIJMEGEN an den Start gehen, werden den verdienten Orden erhalten. Ich weiß, dass wir alle, wenn wir nur wollen, dieses Ziel erreichen werden. Nach diesen ersten zwei Wochen weiß ich, was Sie alle zu leisten im Stande sind, und das macht mich zuversichtlich. Jetzt müssen nur noch Sie an sich selbst glauben.“ Das Training am und um den Standort hat die Soldaten zusammen geschweißt. Dennoch mussten fünf Soldaten lehrgangsbedingt oder wegen persönlicher Gründe das Marschieren aufgeben. Weitere zwei Wochen Vorbereitung mit allen offiziellen Marschgruppen der Bundeswehrdelegation auf dem Truppenübungsplatz EHRA-LESSIEN folgten. Obwohl Marschieren kein Wettkampf ist und es beim NijmegenMarsch nicht auf die Zeit ankommt, wollte meine Marschgruppe immer die erste sein, die die Tagesetappe absolviert hatte. Nicht ich war dabei die treibende Kraft, sondern die Gruppe wollte es. Meinen Soldaten gab das schnelle Marschieren, das schneller Sein als andere, einen 291 Leutnantsbuch ernormen Schub, ohne dass der Einzelne überfordert war. Wir waren einfach gut vorbereitet. Nach zehn Tagen auf dem Truppenübungsplatz meldete mir unser Sanitäter, dass Hauptgefreiter S. nicht mehr weiter machen könne, sein Knie sei als Folge des Marschierens seit mehreren Wochen geschwollen. Ich suchte das Gespräch mit dem Hauptgefreiten S.. Er war am Boden zerstört. Nach fast 400 Trainingskilometern machte sein Körper nicht mehr mit. Er bat mich, mit der Bahn nach Hause fahren zu können. Ich lehnte zunächst ab. Noch waren fünf Tage Zeit, bevor es in NIJMEGEN richtig losgehen sollte. Nach Rücksprache mit dem Delegationsarzt und dem Delegationschef wurde vereinbart, den Hauptgefreiten S. aus dem Training herauszunehmen, ihn zu schonen. Sein Knie sollte eine Pause erhalten. Das Thema wurde während der nächsten Trainingsmärsche intensiv diskutiert. Sollen wir in NIJMEGEN mit dem Hauptgefreiten S. an den Start gehen. Sollen wir das Risiko, dass sein Knie wieder anschwillt, eingehen? Am Abend vor der Verlegung in die NIEDERLANDE wendete ich mich an die gesamte Marschgruppe: „Wir sind eine Gruppe. Wir 25 haben über sechs Wochen hart trainiert und wollen jetzt gemeinsam die Ernte einfahren, die vier Tage in NIJMEGEN genießen. Als Gruppe sind wir stark genug, um einem Einzelnen weiterzuhelfen. Wir können das Tempo reduzieren, die Pausen verlängern, das Gepäck reihum verteilen. Der Arzt hat zugestimmt, dass Hauptgefreiter S. wieder marschieren kann, aus medizinischer Sicht gibt es keine Einwände. Er gehört selbstverständlich zur Mannschaft dazu.“ Endlich! Die Vorbereitung ist abgeschlossen. Hier und heute zählt es. Im Camp HEUMENSOORD geht es gleich los. Die Anspannung ist überall zu spüren. Nach dem Frühstück 292 Leutnantsbuch schwört der Delegationschef alle Gruppen und Marschierer noch einmal ein. Unmittelbar vor dem Ausmarsch aus dem Camp wird die Nationalhymne gespielt und von allen laut mitgesungen. Ein Gänsehautgefühl macht sich breit. Stiefel – an, Rucksack – auf, vorwärts – marsch! Die Eindrücke auf der Strecke übertreffen unsere kühnsten Erwartungen, die Begeisterung der Bevölkerung kennt keine Grenzen, die ersten drei Tage vergehen wie im Flug. Die gute Vorbereitung macht sich bezahlt, es gibt nahezu keine Probleme. Auch der Hauptgefreite S. hat sich vollständig erholt, das Tempo ist wie gewohnt hoch, und die Fernmelder erreichen stets als erste Deutsche Mannschaft das Ziel. Das erste Bier nach Ankunft geht natürlich auf meine Kosten. Ich bin stolz auf die Männer. Der vierte und letzte Tag soll der krönende Abschluss sein. Doch schon nach dem Wecken meldet sich Unteroffizier K., es gehe ihm nicht gut, er habe sich die Nacht über mehrfach übergeben müssen. Offensichtlich war eine Magenverstimmung die Ursache. Er wolle der Gruppe nicht zur Last fallen und lieber im San-Bereich verbleiben. Vor einer Entscheidung schicke ich ihn zum Arzt. Nach seiner Behandlung und der Einwilligung des Doktors informiere ich alle. Unteroffizier K. tritt in die erste Rotte ein und gibt das Tempo vor. Es soll verhindert werden, dass er überfordert wird. Durch ständigen Gesang zur Ablenkung und weitere Pausen zwischen den offiziellen Rastplätzen wird die Belastung deutlich reduziert. Die immer heißer strahlende Sonne um die Mittagszeit, ist dann jedoch nicht mehr auszugleichen. Nach Kilometer 24, vier Kilometer nach dem letzten Rastplatz mit ärztlicher Versorgung ist Unteroffizier K. mit seinen Kräften am Ende. Ich befehle sofort eine Pause, übergebe nach 15 Minuten das Kommando für die Pause an meinen Stellvertreter, bevor ich mit Unteroffizier K. 293 Leutnantsbuch gemeinsam die vier Kilometer zum letzten Rastplatz zurück marschiere. Etwa eine Stunde nach dem Zwischenfall treffen wir am Rastplatz ein. Wir gehen direkt zum Delegationsarzt, unterrichten ihn über die Situation. Der Doktor versorgt Unteroffizier K. sofort, behält ihn für eine weitere Stunde zur Beobachtung vor Ort und gibt dann grünes Licht für die Fortsetzung des Marsches. Parallel unterrichte ich meinen Stellvertreter ständig über den Stand der Dinge, den dieser an die Soldaten weiter gibt. Drei Stunden nachdem die unfreiwillige Pause begonnen hatte, sind wir zurück und werden mit großem Hallo begrüßt. Unteroffizier K. tritt wieder in der ersten Rotte ein, sein Gepäck wird alle zwei Kilometer übergeben. Natürlich sind wir an diesem Tag nicht die Schnellsten, aber wir haben ohne Ausfall auch den letzten Tag erfolgreich absolviert. Alle Marschierer erhalten den verdienten NIJMEGENMarschorden aus den Händen ihres Divisionskommandeurs. Der NIJMEGEN-Marsch ist anstrengend, nein, er ist sehr anstrengend und einzigartig zugleich. Er ist eine Strapaze und eine Einladung. Er macht jeden Marschierer leer, bis er während des Marschierens das Denken einstellt und baut ihn anschließend wieder auf. Er nimmt alle Kraft und gibt sie dreifach zurück. Im Kopf ist vieles zu steuern. Der Wille, etwas zu leisten, ist entscheidend. Jeder Einzelne meiner Marschierer hatte sich bewährt, war in seiner Persönlichkeit um eine wichtige Erfahrung reicher, war gereift. Jeder hat seine Grenzen erfahren und erlebt, was Kameradschaft bedeutet. Als Marschgruppenführer habe ich dieses Gefühl noch intensiver erlebt. Ich war verantwortlich und konnte durch mein persönliches Beispiel, mit den richtigen Entscheidungen und mit meinem Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der gesamten Gruppe das Ziel, alle 294 Leutnantsbuch Marschierer bei der Ordensverleihung vorzustellen, erreichen. Stiefel – an, Rucksack – auf, vorwärts – marsch! Mit diesen Worten wurde jeder Marschtag begonnen, aber auch die Zeit nach den vier „Daagsen“, hat dieser Schlachtruf überdauert. Er passt zum Soldatenleben. Ein Leben in dem es Dinge gibt, die getan werden müssen, über die man nicht spricht. Man versucht nicht, sie zu rechtfertigen. Man kann sie nicht erklären, man kann sie nicht rechtfertigen. Man tut sie einfach. Zehn Jahre später trete ich meinen neuen Dienstposten als Bataillonskommandeur an. Im Rahmen der Übergabe bespreche ich auch das Personal mit meinem Vorgänger. Sechs Soldaten, die damals mit mir marschiert sind, bilden heute wichtige Stützen dieses Bataillons. Aus den Marschierern sind gute, sehr gute, einsatzbereite und besonders leistungswillige Soldaten mit der richtigen Einstellung zum Beruf geworden. Zwei Wochen nach der Übergabe kommt einer der Soldaten auf mich zu und fragt: Herr Oberstleutnant, stellen wir wieder eine NIJMEGEN-Marschgruppe? Ich bin dabei. HI 295 Leutnantsbuch Zeitmanagement D as Thema Zeitmanagement hat in meinen bisherigen Dienst- und Ausbildungsphasen immer eine Rolle gespielt. Ob als Grundwehrdienstleistender, Freiwillig Wehrdienst Leistender, in der Feldwebel- oder in der Offizierlaufbahn - jede Phase hatte eine unterschiedliche Intensität, aber alle Abschnitte hatten ein gemeinsames Element: Der Erfahrungsschatz wuchs stetig! Die schwierigste, aber auch lehrreichste Erfahrung zum Thema Zeitmanagement erlebte ich während meiner Studienzeit. Zum einen hat der technische Studiengang seinen Teil dazu beigetragen, zum anderen kollidierten private und dienstliche Lebenssituationen miteinander. In dem uns so vertrauten militärischen System wurde und hatte man geführt. Man befand sich nie an der Spitze der Führungshierarchie. Aufträge erhielt man von den übergeordneten Stellen und setzte sie ebenengerecht um. Somit war man immer inmitten eines Systems verortet. Während des Studiums war das komplette Gegenteil vorzufinden. Hier gab es keinen bindenden Dienstplan, der die eigenen Abläufe regelt oder konkrete Durchführungsbefehle für anstehende Vorhaben. In dieser Situation war man nahezu auf sich alleine gestellt. Um diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, auch unter der Prämisse, Herr über die Informationsflut zu werden, musste man seine Fähigkeiten im Bereich „Zeitmanagement“ stärker als bisher ausbauen. Man hatte auch keine andere Wahl, denn sonst wäre das Ziel „Studium bestehen“ nie erreichbar gewesen. Schließlich war es ein Merkmal des Studiums, dass der Stoff und somit auch die Anzahl der zu bestehenden Prüfungen im zeitlichen Verlauf stetig zunahmen. Wenn man diese Schwierigkeit unterschätzte oder auch diese nicht zu meistern vermochte, 296 Leutnantsbuch bestand die Gefahr, überlaufen zu werden. Als Beispiel: Schafft man drei von fünf Prüfungen nicht und das nachfolgende Trimester beinhaltet weitere fünf Prüfungen, so hat man in der Summe eine Belastung von acht Prüfungen im laufenden Trimester zu bewältigen. Dieses gefürchtete Phänomen wurde an den Universitäten der Bundeswehr auch als „Bugwelle aufbauen“ bezeichnet. Das bedeutete für den einzelnen Studenten zusätzlichen Stress und noch weniger Zeit, obwohl diese zum Teil schon recht knapp bemessen war. Eine solche psychische und zeitliche Belastung zwang so manchen Kameraden sprichwörtlich in die Knie. Mit der Umstellung des akademischen Abschlusses von Diplom auf Bachelor und Master wurde der Schwierigkeitsgrad zudem zusätzlich erhöht. Auch hier sei ein illustrierendes Beispiel erwähnt: Im Diplomstudiengang wurde noch mit sogenannten „Scheinen“ gearbeitet. Hierbei brauchte man bestimmte Prüfungen lediglich mit der Note 4,0 zu bestehen. Des Weiteren wurde im Regelfall nach dem Vordiplom, bis auf wenige Noten, die vorläufige Note „genullt“. Beim Bachelor- und Masterstudiengang hingegen zählt jede einzelne Note ab Beginn des Studiums für die Gesamtabschlussnote, was eine Erschwernis für die Studierenden darstellt. Während meines vierjährigen Studiums habe ich zwei Offiziere kennengelernt, die dieser Belastung nicht standhalten konnten, was somit zum Nichtbestehen bzw. zum Abbruch des Studiums führte. Der eine Kamerad hatte beispielsweise aufgrund seiner Vorbildung eine ausgezeichnete Voraussetzung für das Bestehen des ingenieurwissenschaftlichen Studiums. In der ersten Studienwoche wurde zum Teil noch der Lernstoff aus dem Abitur behandelt, so dass sich der Kamerad nach dem zweiten Besuch der Vorlesung dazu entschied, vorerst nicht mehr zu dieser Vorlesung zu gehen, da ihm die Inhalte 297 Leutnantsbuch vertraut erschienen. Jedoch barg dieses Vorgehen ein Risiko, denn das Tempo der Wiederholung war recht hoch und man konnte den Übergang zum neuen Lehrstoff schnell verpassen. Zur Verdeutlichung nenne ich ein Beispiel aus der Mathematikvorlesung: Der Professor schrieb mit Kreide die erste von drei hintereinander gestaffelten Tafeln voll, wechselte dann auf die zweite und später auf die letzte Tafel. Der Wechsel der einzelnen Tafelelemente vollzog sich jedoch von hinten nach vorne, sodass die letzte Tafel immer durch die aktuelle Tafel verdeckt war. Nachdem alle Tafeln voll beschrieben waren, wurde die erstbeschriebene abgewischt und der Dozent setzte entsprechend fort. Nicht nur das Tempo zum Mitschreiben stellte eine Herausforderung dar, sondern auch das Verstehen des geschriebenen Lehrstoffs. Hierbei konnte man nur allzu leicht den Anschluss verlieren. So erging es auch dem genannten Kommilitonen. Leider versäumte er mehrere Vorlesungen, wodurch das Aufholen des Stoffes nicht mehr möglich war und somit zum Nichtbestehen des Studiums führte. Bei dem anderen Kameraden lief es ebenso unglücklich ab, was auch auf ein mangelhaftes Zeitmanagement zurückzuführen war. Die bei diesem im Mittelpunkt stehende Freizeitbeschäftigung und das geringe Engagement bzgl. des Lehrstoffes sorgten für eine denkbar schlechte Ausgangssituation. So ergab es sich, dass der Kamerad fünf von sieben Prüfungen eines großen Prüfungsblocks nicht bestand. Dadurch hatte er gleich zu Studienbeginn die oben bereits erwähnte Bugwelle aufgebaut. Das Resultat war ernüchternd: Nun hatte der Kamerad im nächsten Prüfungszeitraum überwältigende 13 Klausuren zu bestehen. Zwar bestand der Offizier die Nachprüfungen, jedoch nicht die Prüfungen aus dem aktuellen Trimester. Als Ergebnis baute sich diese Welle langsam weiter auf und zog sich über 298 Leutnantsbuch mehrere Trimester hin, bis es ebenfalls zum Abbruch des Studiums kam. Diese Beispiele zeigen die Wichtigkeit des Zeitmanagements. Um nicht ähnliche Fehler zu begehen, habe ich versucht, mit Hilfe eines Kalenders einen gut strukturierten Zeitplan zu erstellen. Hierzu ordnete ich die Fächer nach einer gewählten Priorität und plante dann die Lernphase rückwärts. Dies ermöglichte mir, eine maximale Lernzeit zu erzielen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich in dem intensivsten Trimester 13 Prüfungen in 14 Tagen zu schreiben hatte. Hierbei stellte ich mir mit meiner Lerngruppe, die sich in den ersten beiden Trimestern gebildet hatte, einen Lernplan zusammen. Dieser Lernplan beinhaltete eine zweckmäßige Zeit-Ressourcen-Einteilung und sorgte dafür, dass meine Lerngruppe und ich diesen herausfordernden Studienabschnitt auch bestehen konnten. Dieses exemplarische Vorgehen kann nicht als Patentlösung gesehen werden, hat aber in meinem Fall geholfen. Allgemein gefasst lässt sich jedoch sagen, dass sich besonders zu diesem Zeitpunkt zeigte, wie wichtig ein geregeltes Zeitmanagement ist und dieses maßgeblich den Erfolg oder Misserfolg des eigenen Tuns bestimmt. Dieser Erfahrungsbericht soll keinen Kameraden abschrecken, sondern nur auf die Herausforderungen hinweisen, die es am Beispiel des Studiums mit Blick auf das eigene Zeitmanagement zu bewältigen gilt. Hierbei gibt es kein allgemeingültiges Rezept für erfolgreiches Zeitmanagement; ausgehend von persönlichen Veranlagungen und Vorlieben muss jeder seinen eigenen Weg finden. Es ist nur natürlich, dass in diesem Prozess eines sich Ausprobierens auch Fehler entstehen können. An diesen gilt es nicht festzuhalten oder gar daran zu verzweifeln, sondern entsprechende Konsequenzen zu ziehen und diese Fehler im zukünftigen 299 Leutnantsbuch Zeitmanagement zu vermeiden und durch andere Strategien zu ersetzen. HI Es ist stets wichtig, in der eigenen Planung und Arbeit festzulegen, was bis wann erreicht werden soll bzw. muss und wo ggf. die Schwerpunkte liegen. Der Faktor Zeit spielt in diesem Zusammenhang, immer eine entscheidende Rolle. Eine gute Selbstorganisation und eine unzweifelhaft erforderliche Selbstdisziplin sind unabdingbare Voraussetzungen auf dem Weg zum angestrebten Erfolg. 300 Leutnantsbuch „Regen“ D er Transportzug war mit acht LKW MULTI und drei TPz FUCHS auf dem bekannten, staubigen Rückweg von BAGRAM nach KABUL. Ein Blick nach hinten auf den Konvoi zeigte das beruhigende Bild einer konzentrierten Rundumsicherung an den Maschinengewehren und die üblichen vermummten Gesichter der Soldaten. Soweit war alles gut gelaufen, die Straße war frei, und bei konstanter Marschgeschwindigkeit konnte sich jeder ausrechnen, dass ausnahmsweise alle pünktlich in die Dienstunterbrechung gehen würden. Doch dann zog von Süden her eine dunkelbraune Wolkenwand rasch auf und zu. Innerhalb von zehn Minuten wurde der gesamte Konvoi von einer riesigen Staubwolke verschluckt und die Sichtweite reduzierte sich, trotz Beleuchtungsstufe 2, auf maximal zehn Meter. Ich befahl die Weiterfahrt in Schrittgeschwindigkeit und während der Umriss des hinter mir fahrenden Lkw gerade noch erkennbar war, drückte sich der Staub in alle sich ihm bietenden Öffnungen. Nach ein paar Minuten waren Staub und Sand noch schneller wieder verschwunden als sie gekommen waren. Dafür begann es, wie aus Eimern zu schütten und jeder, der aus den Luken heraus sicherte, war sofort durchnässt. Doch auch dieser Spuk war nach kürzester Zeit vorbei und schon wenige Kilometer später begannen die stechende Sonne und der Fahrtwind schon damit, uns wieder zu trocknen. Kaum waren wir leicht angetrocknet, als sich uns auch schon das nächste Hindernis in den Weg stellte. Wo sich auf der Hinfahrt noch ein nur an dem leicht braungrünen Bewuchs erkennbares Rinnsal befunden hatte, ergoss sich nun ein 20 Meter breiter, flacher Fluss quer über die Straße. Dieser hatte den linken Teil der Straße unterspült und einen 301 Leutnantsbuch Kleintransporter etwa 100 Meter mit sich gerissen. Der lag auf der Seite in einem flachen, braunen See und war offensichtlich leer. Dafür hatte sich jenseits des Flusses, in etwa 300 Meter Entfernung direkt neben der Straße eine etwa siebzigköpfige Menschengruppe gesammelt. Eine Menschengruppe an dieser Stelle der Straße war absolut ungewöhnlich und darüber hinaus war zu erkennen, dass in der Mitte der Gruppe mindestens ein Feuer entzündet worden war. Da wir ausschließlich mit voll beladenen 15 Tonnen MULTI unterwegs waren, entschied ich sofort, dass eine Durchquerung des „Flusses“ ungefährlich war und befahl über Funk langsam und mit erhöhter Aufmerksamkeit weiterzufahren. Als der Konvoi langsam an der Menschengruppe vorbeifuhr, begannen diese zu winken und auf das Feuer in ihrer Mitte zu zeigen. Direkt neben dem Feuer standen drei Männer, die jeweils ein nasses, scheinbar lebloses Kind über das Feuer hielten. Absurderweise schoss mir sofort der Gedanke „Jetzt kommt die Verwundeteneinlage“ durch den Kopf. Dann war die Entscheidung zu treffen: „Anhalten und helfen“ oder „Weiterfahren und melden“. Ein kurzer Rundumblick in das in jede Richtung mindestens einen Kilometer offene und ebene Gelände ließ den Ort denkbar ungünstig für einen Hinterhalt erscheinen und ich hatte einen TPz San dabei. Also schneller Befehl per Funk: „100 m weiter rechts ran fahren, Maschinengewehre sichern rundum, Beifahrer und Sanitäter zu mir.“ Absitzen, Verkehrsposten einteilen und dann gingen wir mit circa zehn Mann auf die Afghanen zu. Mir war ganz schön mulmig zumute, wie würden die Afghanen reagieren, hoffentlich machst Du alles richtig. Als wir auf die Afghanen zugingen, teilte sich die Menge und 302 Leutnantsbuch man ließ uns unbehelligt zu dem Feuer gehen. Als die Sanitäter und ich den drei Afghanen, welche die Kinder trugen, bedeuteten, uns zu folgen, taten sie das anstandslos und ruhig. Wir führten die drei mit den Kindern hinter den TPz San, und ich befahl dem Sanitätsfeldwebel, die Kinder zu untersuchen und dem Funker unsere Position und den Halt an die Operationszenrale zu melden. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie die Menschenmenge langsam und ruhig auf uns zukam. Noch während mir die Gedanken im Kopf herumrasten, was ich am besten befehlen sollte, gingen meine Soldaten schon freundlich, aber bestimmt auf die Afghanen zu und bedeuteten ihnen mit Gesten zurückzubleiben. Diese gehorchten sofort, und ich musste nur noch etwas Ordnung in die „lockere Postenkette“ bringen. Schließlich meldete mir der Sanitäter, dass wir einen Arzt benötigten. Wir forderten aus dem nur etwa zehn Kilometer entfernten Camp einen Beweglichen Arzttrupp (BAT) an, der zugesagt wurde. Es verging eine knappe Stunde. Die Afghanen verhielten sich ruhig, nur ich wurde innerlich immer nervöser – wo bleiben die denn. Als der BAT schließlich kam, waren wir schon etwa 90 Minuten vor Ort. Der Arzt übernahm die Behandlung, die allerdings nicht wirklich reibungslos verlief. Die Kinder begannen zu „krampfen“ und bis der Arzt alles unter Kontrolle hatte, waren weitere 90 Minuten vergangen. Außerdem teilte mir der Arzt mit, dass die Kinder unbedingt ins Krankenhaus müssten, er sie aber nicht mit zurück ins Lager nehmen könne. Er schlug eine Verlegung in das Indira Krankenhaus in der Innenstadt vor. Dies konnte einer unserer Kameraden, der einige Brocken Arabisch sprach, den Afghanen auch klarmachen. Ich entschied mich, den Konvoi zu teilen. Etwa vier Kilometer vor dem Lager bogen die MULTI in dessen Richtung ab und ich verlegte mit vier 303 Leutnantsbuch TPz in die Innenstadt. Wir kamen ohne Probleme bis zu dem Krankenhaus und der Arzt verschwand mit unserem „Dolmetscher“ im Gebäude, um alles zu regeln. Wir warteten und warteten und es begann langsam dunkel zu werden. Als die beiden endlich wieder erschienen, konnten die Kinder ins Krankenhaus gebracht werden. Unser Arzt hatte, wie er andeutete, bei den richtigen Leuten das entsprechende Geld dafür bezahlt. Wieder verschwanden Arzt und „Dolmetscher“, diesmal mit den Kindern, im Gebäude. Mittlerweile war es etwa 21.00 Uhr und stockdunkel. Alle vier Maschinengewehre waren zwar in die Luft gerichtet, aber ständig besetzt. Ich konnte die Erleichterung aller Soldaten spüren, als die beiden schließlich wieder aus dem Gebäude traten und mir meldeten, dass alles erledigt wäre. Ich ließ sofort aufsitzen und wir fuhren durch die nächtlichen Straßen Kabuls zurück ins Camp. Nachdem mein Oberfeldwebel, der im Zuggefechtsstand auf mich gewartet hatte, mir meldete, dass er mit den MULTI gut angekommen war, ging ich zu meinem Kompaniechef, um mich zurückzumelden. Laut Aussage des behandelnden Arztes war durch unser Eingreifen die Genesung der Kinder innerhalb der nächsten Tage sichergestellt. Hätten wir hingegen nicht reagiert, wäre ihr Schicksal höchst ungewiss gewesen. HI Kein Befehl kann alle Eventualitäten vorab berücksichtigen und regeln. Hier schlägt die Stunde der Auftragstaktik. Kenne Deinen Auftrag und, wichtiger noch, die Absicht des übergeordneten Führers. Nutze in diesem Rahmen Deine Spielräume. Entscheide und verantworte. Häufig erfordern außergewöhnliche Lagen ebenso außergewöhnliche Ent304 Leutnantsbuch scheidungen und Maßnahmen. Wäge sorgfältig, auch wenn nur wenig Zeit bleibt, und räume der Eigensicherung hohe Priorität ein. Dann fasse Deinen Entschluss und setze ihn um. Nicht immer wird sich der Erfolg so einstellen wie in dieser Geschichte. Unabhängig davon wird man aber in der Rückschau oft zu der Bewertung gelangen: Einen Versuch war es wert! 305 Leutnantsbuch Die Veteranen A nlässlich eines Kommandeurwechsels bei unserem französischen Patenverband, dem 40e Régiment de Transmissions in THIONVILLE, war ich als Ehrenzugführer eingeteilt. Nach dem Appell auf einem großen innerstädtischen Platz folgte ein Vorbeimarsch der gesamten Formation, bestehend aus dem französischen Regiment, meinem deutschen und einem amerikanischen Ehrenzug, an der Tribüne der Ehrengäste entlang. Wie in FRANKREICH üblich, befanden sich die Vertreter diverser Veteranenverbände mit ihren Fahnen direkt neben dieser Tribüne. Den Vorbeimarsch mit Blickwendung hatten wir im Heimatstandort fleißig geübt, eine kleine Herausforderung bestand noch in der Anpassung an das Tempo der französischen Marschmusik. Während ich an der Spitze meiner Formation, direkt gefolgt von unserer Regimentsfahne, an der Tribüne vorbeimarschierte und den zweiten Richtungsposten sowie dahinter folgend die Veteranen in den Blick bekam, entschied ich mich spontan, die Ehrung per Blickwendung auch den kriegsgedienten ehemaligen Soldaten zukommen zu lassen. Ich hätte es als stillos empfunden, ausgerechnet diese Menschen keines Blickes zu würdigen. Die Geste war denkbar klein (das Kommando „Augengeradeaus“ erfolgte eben nur ein paar Sekunden später als vom Protokoll gewollt), der Effekt jedoch durchschlagend, wie ich beim anschließenden Empfang im Offizierheim an den Mienen der alten Kameraden und den zahlreichen Gesprächen bemerkte. Zum Hintergrund sei noch angemerkt, dass THIONVILLE in Lothringen liegt und die Bewohner im 20. Jahrhundert mehrmals ihre Loyalität zwischen FRANKREICH und DEUTSCHLAND wechseln mussten. 306 Leutnantsbuch Meine Schlussfolgerungen daraus waren und sind zum Einen, dass die Blickwendungen in unserer Formaldienstvorschrift eine tiefsinnige deutsche Besonderheit und keineswegs hohler Selbstzweck sind: Beim Ansehen der Person werden Botschaften ohne Worte ausgetauscht, die von unersetzlichem Wert sind (hier: „Wir respektieren Eure Opferbereitschaft“, bei allgemeinen Antreten: „Ich vertraue Euch – Wir sind da“ und Ähnliches). Zum Andern, dass einige zentrale geschichtliche und aktuelle Hintergrundkenntnisse als Vorbereitung für solche Auftritte unerlässlich sind. HI 307 Leutnantsbuch Die neue Verwendung M ein Studium näherte sich unaufhaltsam dem Ende und mit diesem und meiner Versetzung endete zugleich auch die Zeit in meiner bisherigen Truppengattung. Im Zuge der Neuausrichtung des Heeres wurde meine bisherige Truppengattung aufgelöst und die betroffenen Soldaten in neue Verwendungen überführt. Schon einmal stand ich vor einem Truppengattungswechsel innerhalb des Heeres und hatte diesen vor dem Studium im Zuge meiner Offizierausbildung abschließen können, so dass die Situation der Veränderung für mich bereits bekannt gewesen war. Ich war mir sicher, wieder vor einer großen Herausforderung zu stehen. Die Situation der Veränderung ist immer mit einer Vielzahl von Fragen verbunden. Fragen, mit denen ich mich sehr lange auseinandergesetzt habe: - Was bedeutet der Truppengattungswechsel für mich? - Welche Aufgaben werden dort in Zukunft auf mich warten? - Welche Schwierigkeiten wird die Verwendung in der „fremden“ Truppengattung mit sich bringen? - Wie werden mich, den „Fremden“, die neuen Kameraden aufnehmen? Alle diese Fragen sorgten dafür, dass ich mit sehr gemischten Gefühlen in meine neue militärische Heimat fuhr. Am Kasernentor machte sich bei mir Aufregung breit. Ich betrat die Kaserne mit offenen Augen für alles, was vertraut erschien, was aber nach vier Jahren Studium doch so fremd war. Die militärische Wache, die Ausweiskontrolle, die ausgestellten Fahrzeuge aus vergangenen Tagen und die neugierigen Blicke der Soldaten waren da nur die ersten Dinge, die mir sofort ins Auge stachen. Nachdem ich mich in meiner neuen Einheit zum Dienst gemeldet hatte, wurde ich von einem 308 Leutnantsbuch Offizierkameraden durch das Bataillon geführt und bekam alles gezeigt: die Sportanlagen, den Technischen Bereich, die sanitätsdienstlichen Einrichtungen und den Stab. Somit konnte ich mir ein erstes Gesamtbild über die Liegenschaften machen, was mir sehr entgegenkam und die notwendigen Gänge in die einzelnen Abteilungen des Stabes erledigen. Immer wieder wurden wir bei diesem Rundgang in Augenschein genommen und ich konnte mir vorstellen, was in den Köpfen der Kameraden vor sich ging. Fragen wie „Wer ist der neue Oberleutnant?“ oder „Wo der wohl eingesetzt wird?“ waren sicherlich bei den Überlegungen dabei. Mit dem Rundgang und den angesprochenen administrativen Dingen war dann der erste Tag in meiner neuen militärischen Heimat vorbei und ich konnte auf meiner Stube die Eindrücke noch einmal Revue passieren lassen. Es waren sehr viele neue aber auch vertraute Dinge, die eine spannende Mischung an Empfindungen ergaben. Die weiteren Tage und Wochen in der neuen Truppengattung erwiesen sich im Stil des ersten Tages, denn mein weiterer Weg wurde erst einmal von Lehrgängen bestimmt, da ich ja „der Neue“ war. Dass ich mit dem Schritt in eine neue Verwendung einen weiten und auch teils schwierigen Weg vor mir hatte, war mir bewusst. Der Kommandeur verdeutlichte mir dies in einem einführenden Gespräch ebenfalls. Er zeigte sich freundlich und verständnisvoll für meine Situation und unterstrich, dass es im Kreise der Offiziere im Bataillon viele gute Ansprechpartner gäbe, die mir, wann immer notwendig, unter die Arme greifen können. Weiterhin ergab sich in dem Gespräch, dass eine zeitnahe Einsatzverwendung für meine Person sehr wahrscheinlich sei, da sich der Verband im folgenden Kalenderjahr im Einsatz befinden wird. 309 Leutnantsbuch Mit den guten Wünschen und den Erwartungen meines Kommandeurs im Gepäck und einem Auslandseinsatz in Ausblick, war ich umso mehr motiviert, meine vor mir liegenden Ausbildungsabschnitte direkt in Angriff zu nehmen, um so schnell wie möglich als voll einsatzfähiger Offizier meinen Teil zum militärischen Dienst und zum Kameradenkreis des Verbandes beitragen zu können. Ich wurde sehr zeitnah auf meinen ersten Lehrgang geschickt und absolvierte meine ersten Schritte als angehender Spähoffizier. Ein wichtiger Punkt, den ich mir selbst auferlegt hatte, war, dass ich zwar bereits als Offizier ausgebildet war, mich aber dennoch nicht darauf ausruhen durfte, denn ich war „der Neue“ im Verband und für viele immer noch „der aus der anderen Truppengattung“. Also hieß es anzupacken und sich nicht auf dem Dienstgrad auszuruhen. Auch den darauf folgenden Lehrgang ging ich in dem Sinne an und bestand ihn, so dass ein Rüstzeug an Wissen für die neue Truppengattung vorhanden war, auf dem ich weiter aufbauen konnte. Noch während ich mich auf Lehrgang befand, erhielt ich bereits die Nachricht, dass ich in weniger als einem halben Jahr in den Einsatz verlegen werde. Meine weitere Ausbildung bezog sich fortan im Schwerpunkt darauf. Es ging ab diesem Zeitpunkt alles sehr schnell, und es wird weiterhin schnell weitergehen. Der Einsatz rückt unaufhaltsam näher, und die Verwendung im Einsatzgebiet wird sicherlich sehr fordernd und zugleich interessant. Ein Truppengattungswechsel allein bringt bereits eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich, wenn man dann aber in einen Verband wechselt, der sich kurz vor einem Einsatz befindet und in diesen dann noch integriert wird, benötigt man neben der Eigenleistung auf Lehrgängen und im Selbststudium auch ein hohes Maß an zwischenmenschlicher Kompetenz. Kameraden sind in 310 Leutnantsbuch jedem Fall ein wichtiger Faktor in allen militärischen Belangen, vor allem dann, wenn eine Einzelperson, egal welchen Ranges oder welcher Verwendung, vor einer solch großen Herausforderung steht. HI Veränderung ist täglicher Begleiter in vielen Situationen. In Rahmen von Veränderungen müssen sich Soldaten auf neue Bedingungen schnell und sicher einstellen können. Habe in diesen Situationen Vertrauen in das Erlernte und Dein Können. Denke positiv, mit dem Blick nach vorn. Habe aber auch Vertrauen in Dein Umfeld, Deine Kameraden und Deine Vorgesetzten. Verstehe die mit Veränderungen verbundenen Herausforderungen als Ansporn für Dein Handeln und sei Dir der Notwendigkeit selbstreflektierenden Denkens bewusst. 311 Leutnantsbuch HALMAZAG E s ist Ende Oktober, in einer Nacht, gegen 02:00 Uhr: Der G-Zug und die restlichen Teile der 2./Task Force KUNDUZ marschieren in Richtung Höhe 432 im südlichen CHAHAR DARREH. So beginnt die Operation HALMAZAG, die erste große Joint and Combined Operation des neu aufgestellten Ausbildungs- und Schutzbataillons (AusbSchtzBtl) KUNDUZ. Ziel ist es, einen Combat Outpost (COP) nahe der Ortschaft QUAT LIAM zu errichten und ein Key Leader Engagement (KLE) mit den lokalen Führern durchzuführen. Mein Zug marschiert als Spitzenzug bis zum KfzSammelraum bei der Höhe 432. Nachdem wir diesen erreicht haben, heißt es für uns erst einmal warten: Warten auf die AFGHAN NATIONAL ARMY (ANA), die AFGHAN NATIONAL POLICE (ANP), eine Kompanie der amerikanischen 10th Mountains Division sowie auf die Kameraden des belgischen Operational Mentoring and Liasion Teams (OMLT). Wir nutzen die Zeit, um unsere Ausrüstung zu überprüfen und letzte Maßnahmen zu treffen. Wir sollen für 24 Stunden durchhaltefähig sein, da anschließend die Fahrzeuge auf unsere Stellung nachgezogen werden sollen. Also ist nur das Nötigste dabei: Wasser, Munition, Verpflegung, ein paar Sachen zum Wechseln und was man so für die Nacht braucht. Kurz nach Sonnenaufgang setze ich mich mit meinen Zug westlich der Line Of Communication (LOC) LITTLE PLUTO Richtung Süden mit Ziel ISA KHEL in Marsch, rechts von mir die ANA und links die Amerikaner. Überraschenderweise bleibt es während der Annäherung auf die Ortschaft ruhig. Wir erreichen unser Ziel, eine Schonung am Südrand der Ortschaft und beziehen eilig Stellung, um uns rundum zu 312 Leutnantsbuch sichern und Verbindung zu unseren Nachbarn herzustellen. Die anderen Kräfte gewinnen ebenfalls ihre Angriffsziele. Plötzlich setzt der Beschuss mit Raketen vom Typ RPG 7 und Handfeuerwaffen aus Osten (nahe der Ortschaft ISA KHEL) und aus Süden ein. Aufgrund unserer gut gewählten Stellungen gelingt es uns, den Angriff abzuwehren. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erfolgt ein erneuter Angriff auf unsere Stellungen, diesmal aus Südwesten. Es scheint fast so, als ob die Aufständischen, die so genannten Insurgents (INS), dieses Vorgehen gewählt haben, um sich ein Lagebild über unsere Stellungen zu verschaffen. Ich ordne den Zug in U-Form an, damit wir flankierend vor unseren linken und rechten Nachbarn wirken können. Dann gebe ich den Befehl für die Verteidigung, da es sich allmählich abzeichnet, dass wir noch etwas länger in der Stellung verbleiben werden. Ohne Murren werden meine Befehle umgesetzt. Meine Soldaten standen bereits in zahlreichen Gefechten, haben sich bewährt und sind zu einer eingeschworenen Kampfgemeinschaft zusammen gewachsen. Die erste Nacht bleibt ruhig, trotzdem ist eine gewisse Anspannung allgegenwärtig. Ich mache nicht wirklich ein Auge zu und rechne jederzeit mit weiteren Angriffen, obwohl die INS nachts bisher nicht agiert haben. Ab und zu werde ich aus meinem Halbschlaf gerissen, da die Artillerie schießt und das Gelände vor unseren Stellungen hell erleuchtet wird. Der zweite Tag beginnt ruhig. Der Geruch von EPA-Kaffee macht sich breit. Doch plötzlich setzt wieder Beschuss ein. Heftiger und präziser als gestern, doch auch diesmal wehren wir den Angriff ohne Ausfälle erfolgreich ab. Im Laufe des Tages versucht der Gegner es erneut, jedoch scheint dies eher ein Störangriff zu sein, um uns einfach zu beschäftigen. Er weiß natürlich auch, dass dies Kräfte bindet und sowohl physisch als auch psychisch anstrengend ist. Die unklare 313 Leutnantsbuch Lage über Absicht und Stärke des Feindes führt außerdem dazu, dass wir unsere Fahrzeuge nicht nachführen können. Ich hätte natürlich Soldaten nach hinten schicken können, um Material von ihnen zu holen, aber die Gefahr, die Kräfte in unseren Stellungen zu sehr auszudünnen, halte ich für nicht zweckmäßig. Daher muss das „Daybag“ zunächst weiter ausreichen. Am dritten Tag setzen die INS erneut an. Es scheint, als ob sie die Schwachstelle der Verteidigungslinie – unsere Stellung – ausgemacht haben. Diesmal fliegt wirklich alles in unsere Richtung: RPG, AK-47 und MG-Feuer. Es werden sogar Mörser eingesetzt, um Kräfte am COP zu binden, die uns unterstützen könnten. Eine der RPG schlägt kurz über unseren Köpfen in den Bäumen ein. Glück gehabt, keiner verwundet. „Geh’ hier bloß nicht drauf, nicht hier, im afghanischen Niemandsland und bring deine Jungs heil zurück“, das sind Gedanken, die mir durch den Kopf schießen und mein Handeln beeinflussen. Ich springe zwischen den Gruppen hin und her, leite den Feuerkampf und fordere Feuerunterstützung an. Meine Soldaten arbeiten mir gut zu und unterstützen mich so gut sie können. Nach viereinhalb Monaten im Einsatz sind wir alle ein eingespieltes Team. Mit Hilfe der SPz MARDER, einer amerikanischen F-15 und unserer Artillerie gelingt es uns, den Angriff zurückzuschlagen. Schon beeindruckend, welche Wirkung die 20 mm Kanone des „Eisenschweins“ hat. Die nächsten Tage verlaufen beinahe alle nach dem gleichen Muster: Die Stellungen weiter ausbauen, die Zivilbevölkerung informieren, Verbindungen zu den Nachbarn und der übergeordneten Führung halten und die gegnerischen Angriffe abwehren. Der „Dienst in der Stellung“ zehrt an den Kräften der Soldaten, aber sie nehmen die Entbehrungen in Kauf und 314 Leutnantsbuch erfüllen ihren Auftrag ohne zu klagen. Mittlerweile hat selbst der Letzte erkannt, dass es hier um alles geht und der kleinste Fehler zu Verwundung oder Tod führen kann. Hinzu kommt, dass die Männer merken, dass wir diesmal hartnäckig und standhaft bleiben. Das motiviert und zeigt, dass wir unser Handwerk beherrschen. Am fünften Tag erfolgen plötzlich keine Angriffe mehr. Die Lage hat sich beruhigt und laut Lageinformation meines Kompaniechefs sind die INS aus dem Raum ausgewichen. Afghanische Kräfte rücken in die umliegenden Ortschaften ein, um mit uns zusammen für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Die Arbeiten am COP sind mittlerweile fast abgeschlossen und das KLE wurde ebenfalls erfolgreich durchgeführt. Nach fünf Tagen im Gefecht werden wir durch die TF MES in der Stellung abgelöst. HI Der Erfolg einer Operation wird maßgeblich durch das Beherrschen des militärischen Handwerks der Soldaten bestimmt. Die Grundlagen hierfür werden durch eine fundierte Ausbildung gelegt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, dass die Soldaten diese Ausbildung frühzeitig – nach dem Grundsatz „train and organize as you fight“ – gemeinsam absolvieren. Gerade die derzeitige und künftige Einsatzrealität zeigt, dass das Beherrschen der allgemeinen Ausbildungsthemen wie Alarmposten, Stellungsbau und Koordination von Feuer und Bewegung genauso wichtig ist wie die Anwendung der taktischen Grundsätze der Operationsarten. Darüber hinaus ist notwendig, dass insbesondere die Führer die Einsatzgrundsätze, Verfahren und Leistungsparameter der im Einsatz relevanten Systeme und Kräfte kennen. 315 Leutnantsbuch Ferner sind gute englische Sprachkenntnisse unserer Führer und Unterführer für eine professionelle Zusammenarbeit mit anderen Nationen und damit für das erfolgreiche Bestehen im Einsatz imminent wichtig. 316 Leutnantsbuch Der Entsatz: Erfahrungen eines Forward Air Controllers im Gefecht W ir befinden uns in der Polizeistation CHARRAH DARREH bei KUNDUZ in Nord-AFGHANISTAN. Am Abend zuvor wurden wir alarmiert, um eine Operation durchzuführen. Diese wurde aufgrund eines Sandsturmes verschoben. Nach einer unruhigen Nacht sind wir nun mit zwei Infanteriezügen, einem Joint Fire Support Team und einem Führungselement als Reserve für eine Operation des Provincial Reconstruction Team (PRT) KUNDUZ eingesetzt. 45 Grad Celsius im Schatten, die Posten auf den Türmen können sich nur schwer konzentrieren. Der Rest spielt Karten, redet, döst, lässt seinen Gedanken freien Lauf. Wir sind schon recht lange zur Unterstützung in KUNDUZ und wissen, dass der heutige Ansatz des ALPHA-Zuges des PRT im Raum HAJI AMANULLAH vermutlich nicht gut ausgehen wird. Warten – alle freuen sich schon wieder auf eine Dusche im PRT, auf normale Toiletten. Heute Nachmittag sollen wir wieder in das PRT verlegen. Entfernt hört man ein Funkgespräch. Bei dem Führungsfahrzeug der Task Unit wird es hektisch. Wir wissen: Es geht los! Schutzweste anziehen, Smock, Weste, Waffen, alles wird kontrolliert. Vorbefehle an den Trupp: Marschbereitschaft herstellen. Dann Sammeln der Führer. Wir bekommen die Lageinformation, dass der ALPHA-Zug des PRT angesprengt wurde und nun auf der LOC LITTLE PLUTO im Feuerkampf steht. Möglicherweise wieder ein groß angelegter Hinterhalt mit dem Ziel, die DEU Kräfte zu vernichten. Alles geht sehr schnell. Marschreihenfolge und viele Details sind schon befohlen. Wir rollen los. Der Helm wird noch einmal festgezogen, die Waffe ist nicht in der Halterung, sondern liegt schon fest in den Händen. Wir schweigen. Ich gebe von Zeit zu Zeit Lageinformationen an 317 Leutnantsbuch meinen Trupp: „Noch 5.000 – Noch 4.000 … Noch 500.“ Wir halten bei mehreren Lehmhütten, es sieht hier aus wie in einer kleinen Marktstraße, absitzen. Wie sind ca. 300 m nördlich des letzten Fahrzeugs vom ALPHA-Zug. Vorne hört man den Feuerkampf. Wir gehen zum Führer der Task Unit und schlagen vor, nach vorne zum Zug zu springen, um dort zu unterstützen. Wir bekommen eine Deckungsgruppe, der Rest sichert rundum. Ein Zug soll die gegnerischen Kräfte rechts umfassend angreifen. Ich wechsle auf den Zugkreis des ALPHA-Zuges. Die Straße vor uns ist landestypisch geschottert, rechts ein abgemähtes Kornfeld, links leicht abfallendes Gelände. Vor uns können wir einen TPz FUCHS sehen, das letzte Fahrzeug vom ALPHA-Zug. Die Deckungsgruppe ist in Stellung. Ich gehe mit meinem zweiten Forward Air Controller (FAC) und dem Vorgeschobenen Beobachter (VB) Mörser links im Zuge der Straße vor. Die Flugzeuge sind schon seit Beginn des Feindkontakts – im Einsatz sagt man nur noch TIC (Troops in Contact) – angefordert. Sporadisch rufe ich über Funk: „Any callsign, KRAUT 2.0 how do you read?” Keine Antwort. Wir sind ca. 30 m vorgekommen. Es zischt in unserer rechten Flanke. Der zweite FAC und ich gucken uns an. Man spürt das Adrenalin in den Körper strömen. Ein komisches Gefühl, aber für uns nichts Neues. Das Blickfeld wird enger, alles läuft in Zeitlupe ab. Die zweite RPG kann man schon ganz langsam fliegen sehen, sie verfehlt uns nur knapp. Man nimmt das metallische Klacken der Kalaschnikows viel deutlicher wahr. Auf der Straße spritzt Dreck auf: „Beschuss von rechts“, höre ich uns rufen. Wir können den Rauch der zuletzt abgeschossenen RPG noch deutlich in der Luft stehen sehen. Im Zuge einer Schilfreihe klären wir feindliche Kräfte auf, die sich verschieben, um dann das Feuer auf uns wieder aufzunehmen. Wir erwidern das Feuer. Das erste 318 Leutnantsbuch Magazin ist zur Beruhigung, sehr schnelles Einzelfeuer, danach gezielter. Wir müssen schnellstmöglich die örtliche Feuerüberlegenheit schaffen; es darf keine Zweifel an unserer Entschlossenheit geben. Unser Feuer verfehlt seine Wirkung im Ziel nicht, langsam wird es auf der anderen Seite beim Gegner ruhiger... Unterschiedliche Möglichkeiten eigenen Handelns schießen mir durch den Kopf: Vor zu ALPHA – zu weit. Hier bleiben – keine Option. Immer noch keine Flieger – ausweichen! Das eigene Deckungsfeuer liegt gut im Ziel und wir weichen aus. Kurzes Sammeln, neuer Entschluss: Wir folgen den rechts angreifenden Kräften. Ich wechsle erneut den Funkkreis: „Zwei Verwundete“ klingt es über den Äther. Einer der beiden kommt uns gestützt von einem Kameraden entgegen. Schulterdurchschuss. Wir erreichen die Stellung der Gruppe. Der zweite Verwundete liegt am Boden, wimmert, wird erstversorgt und schließlich geborgen. Bauchdurchschuss direkt unterhalb der ballistischen Schutzweste. Dem Umstand, dass wir einen beweglichen Arzttrupp und einen Sanitätstrupp bei uns haben, verdanken die beiden Kameraden ihr Leben. Sie werden stabilisiert, eine Infanteriegruppe sitzt mit auf. Beide Fahrzeuge verlegen zum PRT. Die Lageinfo, dass beide überleben werden, erreicht uns noch vor Ort. Ein gutes Gefühl. „KRAUT 2.0, HAWG 53 how do you read?“ Endlich höre ich den mit starkem texanischen Akzent sprechenden Piloten der US-Streitkräfte. Zwei A-10, Standardbewaffnung für 60 Minuten. Ich gebe ein Lageupdate, markiere die eigene Position mit Rauch, MG-4 Leuchtspur und 40 mm Spreng werden zum Markieren der gegnerischen Stellungen und Kräfte genutzt. Der Pilot hat beides im Blick, sucht nach den Gegnern. Nichts – entweder sind sie ausgewichen oder wurden im vorherigen Feuerkampf vernichtet. Wir 319 Leutnantsbuch entschließen uns zu einem Tiefflug. Ich überwache den gesamten Bereich mit den A-10. Kein Schuss bricht mehr. Ich bin ärgerlich und glücklich zugleich. Die Verwundeten sind bereits im PRT und die Bergung des angesprengten DINGO läuft langsam, aber sicher an. Abends sind alle wieder im PRT. Endlich duschen. Der Entsatz des A-Zuges des PRT war erfolgreich, die erste Entsatzoperation der Quick Reaction Force (QRF) erfolgreich. Am nächsten Morgen spüren wir den Muskelkater, die Nachbereitung des Materials und des Personals beginnt. Auswertung, Gespräche, Sport, Ruhe bis morgen. Wir verlegen wieder in den Raum … HI Ein Einsatz birgt sehr hohe Belastungen in sich. Gefechtssituationen im Einsatz fordern jeden Soldaten zusätzlich. Besonders bei Vorgesetzten zeigt sich hier jenseits seiner Ausbildung der Stand seiner körperlichen und geistigen Fitness und vor allem seine Charakterfestigkeit. Nimmt man es mit militärischen Grundsätzen und seiner Selbstdisziplin im Grundbetrieb nicht so genau, werden Mängel im Einsatz schnell offensichtlich und für jeden erkennbar. Bereite Dich nicht erst kurz vor dem oder im Einsatz darauf vor, sondern arbeite ständig an Deiner Professionalität. Im Ernstfall kann das Leben Deiner Soldaten und Dein Eigenes davon abhängen. 320 Leutnantsbuch Allein unter Grenadieren A nfang März war es mal wieder soweit: Ich sollte „meine“ Panzergrenadierkompanie auf einem zweiwöchigen Truppenübungsplatzaufenthalt in meiner Funktion als Artilleriebeobachter (AB) artilleristisch beraten und unterstützen. Geübt werden sollte der Kampf um Gewässer; in diesem Fall das abgesessene Angreifen in Sturmbooten über die Elbe sowie das Einrichten und Halten eines Brückenkopfes auf der anderen Seite des Ufers. Schon auf dem Papier keine einfache Aufgabe. Ich hatte die Soldaten der Panzergrenadierkompanie schon bei früheren Übungsplatzaufenthalten als gleichermaßen fähigen wie auch verschworenen „Haufen“ kennen gelernt. Die Führer sind gut ausgebildet, professionell im Auftreten und fordernd, aber zugleich fürsorglich zu den ihnen unterstellten Soldaten. Auch der Kompaniechef – als „Nordlicht“ typischerweise eher ruhig und ernst im Auftreten – entsprach voll meinem Bild des Infanterieoffiziers. Stets forderte er das Maximum an Leistung und Engagement, ohne dabei das Wohl und die Bedürfnisse der ihm anvertrauten Soldaten aus den Augen zu verlieren. Nach mehreren Tagen der Ausbildung an HAVEL und ELBE waren wir schließlich soweit: Sehr oft hatten wir drillmäßig das zu Wasser bringen der Sturmboote geübt, das Einrücken der Besatzung und das Übersetzen unter dem Deckungsfeuer der Maschinengewehre im Bug – ich als AB immer mit in der ersten Welle dabei. Dann das Signal zum Ausrücken: Man springt ans Ufer und dann durch offenes Gelände bis in die erste Deckung. Das plötzlich einsetzende Abwehrfeuer des Feindes und die gebrüllten Kommandos der Zug- und Gruppenführer hallen einem in den Ohren. Endlich die Deckung erreicht. 321 Leutnantsbuch Ein kurzer Blick durch die Reihen. Wie viele haben es geschafft, wer fehlt? Glück gehabt: Es gab kaum Ausfälle, die wenigen nach Schiedsrichtereinlagen eingeteilten „Gefallenen“ oder „Verwundeten“ liegen ein paar Meter hinter uns im Sand. Laut und eindringlich schallt der Ruf nach dem Sanitäter über die Uferzone, sodass sich einem trotz der Übungssituation die Nackenhaare aufstellen. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, wie es wohl gewesen wäre, wenn hier ein echter Gegner verteidigen würde, der nicht mit Laserstrahlen schießen würde. Der Feind weicht wie erwartet aus, wir setzen nach. Den Handapparat in der linken Hand, die Rechte am Griffstück folge ich dem Angriff in der „rechten Seitentasche“ des Kompaniechefs. Unaufhörlich treffen die Lage- und Feindmeldungen der Zugführer auf dem Kompaniekreis ein. Binnen Sekunden muss er sie alle aufnehmen, beurteilen und einen Entschluss fassen. Ein Zögern oder Zaudern kann es da nicht geben – eine zweite Chance jedoch genauso wenig. Da, plötzlich: Eine Meldung von dem vorn angreifenden Zug. Feindliche Baum- und Bausperre aufgeklärt, die das Nachziehen der Schützenpanzer zum Ausweiten und Halten des Brückenkopfes unmöglich macht. Sofort der Entschluss des Kompaniechefs: Der vorn eingesetzte Zug greift unter flankierendem Deckungsfeuer des Nachbarzuges weiter über die Sperre an, wirft die Sicherung und sichert anschließend den Bereich hinter der Sperre, um so die Voraussetzungen zum Einsatz von Pionieren zu schaffen. Das Gelände ist denkbar ungünstig, nur ein schmaler Durchlass verbleibt als Einbruchsstelle für den weiteren Angriff hinter die Sperre. Geschickt hat der Feind seine Kräfte so in Stellung gehen lassen, dass unser Angriff sehr lange verzögert wird. Das Deckungsfeuer des Nachbarzuges setzt ein; der Angriff beginnt und wird durch das von mir angeforderte Feuer der Artillerie unterstützt. Sofort bleiben die ersten Teile im 322 Leutnantsbuch schweren Abwehrfeuer des Feindes liegen. Der Rest der Soldaten geht in Deckung. Der Angriff beginnt ins Stocken zu geraten, sein Schwung, und somit der Erfolg des Angriffs, sind gefährdet. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und vor Anstrengung schwer atmend, versuche ich, mir in dieser unübersichtlichen Lage einen Überblick zu verschaffen. Mein Kopf fliegt nach rechts und ich sehe den Kompaniechef mehr oder weniger offen auf dem Boden kniend, den Handapparat am Ohr, während sein Funker neben ihm den Feuerkampf führt. „Wie dämlich“, schießt es mir in einer ersten Reaktion durch den Kopf, „warum sucht der sich denn keine Deckung? Wenn er jetzt getroffen wird, dann steht der Angriff.“ Doch der denkt gar nicht daran: Scheinbar verärgert wirft er seinem Funker den Handapparat hin, steht auf, läuft zu einem nahegelegenen Schützentrupp und fängt an, laut auf sie einzureden: „Los Männer, auf und weiter angreifen! Wenn wir jetzt hier liegen bleiben, dann schaffen wir es nie auf die andere Seite der Sperre. Los, los!“ Dabei packt er sich einen der Soldaten, zieht ihn an seinem Koppel zu sich hoch und schiebt ihn mit Nachdruck nach vorne. Ein Gruppenführer erkennt nun auch den Ernst der Lage, fasst sich ein Herz, springt auf und ruft seiner Gruppe zu: „Los Männer, mir nach, wir greifen weiter an!“ Dann springt er unter dem Deckungsfeuer der anderen Gruppen des Zuges über eine hinter der Sperre liegende Schneise in das nächste Waldstück. Zügig folgt der Rest des Zuges, der Feind kann dem Angriff nicht mehr länger standhalten und weicht aus. Wir haben es geschafft: Die Kompanie hat unter vergleichsweise geringen Verlusten das Angriffsziel genommen und somit ihren Auftrag erfüllt. Später am Abend bei einem Bier in der Betreuungseinrichtung fragte ich den Kompaniechef, ob er sich des persönlichen Risikos bewusst 323 Leutnantsbuch gewesen sei, genauso wie den Folgen, die sein Ausfall für die Kompanie und somit auch für die Gefechtsführung des gesamten Verbandes hätte haben können. Entgegen seiner sonst üblichen Art lächelte er mich wissend und in einer gewissen Art und Weise väterlich an. „Selbstverständlich“, sagte er. „Aber in so einer kritischen Situation können und dürfen Sie darauf keine Rücksicht nehmen! Sie werden nie ein umfassendes Lagebild haben, wenn Sie sich tief in ein Erdloch oder hinter irgendeine Deckung kauern und nur über Funk führen. Da müssen Sie den Kopf schon mal hoch nehmen und darauf vertrauen, dass Ihnen andere in der Zeit den Rücken frei halten. Und wenn Sie doch mal ausfallen sollten, dann wird es immer jemanden geben, der Ihren Platz einnimmt. Sofern Sie Ihre Leute gut ausgebildet und zum selbstständigen Handeln erzogen haben. Jeder Mann in der Kompanie muss ersetzbar sein, auch Ihr Chef. Und dann an der Sperre, als der Angriff ins Stocken geriet, da ist es an Ihnen als Ihr Führer Sie weiter anzutreiben. Aber das können Sie nur, wenn Sie selbst mit persönlichem Beispiel vorangehen. Sie können von Ihren Soldaten nicht erwarten, ihre sichere Deckung aufzugeben, während Sie nicht bereit sind, dasselbe zu tun. Also müssen Sie sich selbst auch mal mehr Risiko wagen als es Ihre Untergebenen in diesem Moment bereit sind zu tun. Denn dann sagt der sich ‚wenn der das kann, dann kann ich das auch!’ Sie geben ihnen damit den nötigen Willen, die Kraft und den Mut zurück, der nötig ist, um auch unter diesen Umständen ihre Pflicht zu tun. So verstehe ich Soldaten im Gefecht zu führen.“ HI 324 Leutnantsbuch Unter Männern A ls ich am 1. Juli 2003 meinen Dienst antrat, war ich besser auf die Bundeswehr vorbereitet, als die Bundeswehr auf mich. Für Frauen war es seit einiger Zeit möglich Soldat zu werden, trotzdem sah man uns eher selten in den verschiedenen Bereichen. Vermeintlich gut vorbereitet im allerersten Umgang mit weiblichen Rekruten in diesem Standort, traten uns ausnahmslos männliche Ausbilder entgegen. Schon bald zeigten sich die wahren Herausforderungen. Das Antreten und der Stubendurchgang! Die Frauenstube war auf einem anderen Flur, dies sollte sicherlich vor unangenehmen Begegnungen schützen. Doch diese Tatsache verursachte bei jedem kurzentschlossenen Rausrufen erneut die Frage: „Wo sind denn die Frauen?“ Stets wurde ein Melder zu Fuß eingesetzt, was Unmut all derjenigen verursachte, die dazu eingesetzt wurden. Unsere mit acht Frauen belegte Stube wurde wie die Höhle des Löwen behandelt. Hier trauten sich nur die „mutigsten“ Ausbilder herein. Vorzugsweise wurde ein Gruppenführer geschickt, der auch schon als Sanitäter verwendet wurde und somit als äußerst erfahren im Umgang mit weiblichen Kameraden galt. Eine geradezu amüsante „Vorstellung“ ergab jedes Mal der Blick in den Spind und die Kontrolle des Stuben- und Revierreinigens als absolute Paradedisziplin. Ein Blick unter unsere Betten oder die Kontrolle der Sauberkeit der Damentoiletten und -duschen war die reinste Komödie. Nach der Allgemeinen Grundausbildung (AGA) ging es an die Truppenschulen. Hier hatte man schon Erfahrung mit weiblichen Soldaten und war auf uns vorbereitet. Daher ließ es sich der Inspektionschef nicht nehmen, zu betonen, dass bei zunehmender Dunkelheit und der daraus resultierenden Zunahme an Lichtquellen, die Vorhänge zu schließen seien. 325 Leutnantsbuch Wortwörtlich und von allen Jahrgangskameraden gern zitiert, sagte er: „Posen ist verboten!“ Was auch immer von ihm beobachtet wurde und diese Belehrung erforderlich machte, es sollte uns verborgen bleiben. Alles in allem praktizierte die Truppenschule noch die angenehmste Form der „Gleichbehandlung“. An dieser Stelle sollten auch jene männlichen Jahrgangskameraden Erwähnung finden, die schon damals, die Zukunft der Frauen in der Bundeswehr lediglich im Sanitätsdienst sahen bzw. immer noch sehen. Diese fanden in jeder nicht oder nur schlecht abgelegten Leistung einer Soldatin eine Bestätigung ihrer Ansichten. Hier kommt oft das Problem der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ zur Anwendung. Doch seien einige dieser uns Frauen vorverurteilenden Kameraden entschuldigt, betrachtet man noch eine Tatsache. Es gibt zum Leidwesen der Soldatinnen, die sich jeden Tag aufs Neue beweisen, immer noch jene, die es schaffen mit unbedachten, das Klischee reichlich ausfüllenden Handlungen alles einzureißen, was mühsam aufgebaut wurde. Respekt sei denjenigen Vorgesetzten gezollt, die es trotz allem vollbracht haben, die eine von der anderen zu unterscheiden. Danke auch allen Kameraden, Hörsaalleitern und Chefs, die uns Frauen nicht immer nur ein Stück begleitet, sondern auch voran gebracht haben. Meine nächsten erwähnenswerten Berührungspunkte im Umgang mit dem anderen Geschlecht hatte ich erst wieder im Truppenkommando. Als Gruppenführer in der AGA waren die Erinnerungen an die eigene Grundausbildung noch so frisch, dass ich es mit der Vorstellung anging, „es besser zu machen“. Doch die Herausforderungen waren nun wieder ganz andere. Wer meint, eine Gruppe Männer gleichen Alters mit abgeschlossener Berufsausbildung zu führen, könnte sich schwierig gestalten für eine Abiturientin 326 Leutnantsbuch mit gerade mal einem Jahr „Bundeswehrerfahrung“, der irrt. Die zehn männlichen Schützen, die ich nun für drei Monate zur Ausbildung anvertraut bekommen hatte, gingen relativ unbeeindruckt mit der Tatsache um, eine Frau als Gruppenführer zu haben. Der militärische Alltag gestaltete sich überraschend einfach und komplikationslos. Das größere Problem war mein Zugführer, der aus einer anderen Truppengattung kam, in der es bis dahin noch keine Frauen gab. Er war nicht in der Lage seine Rolle als Vorgesetzter mit Vertrauen, Loyalität und der nötigen Portion an Umsicht auszufüllen. Eine Entscheidung war am Anfang zu fällen, da mit mir ein weiterer weiblicher Fahnenjunker ein Truppenkommando absolvierte. Entweder führen meine Kameradin und ich eine Gruppe gemeinsam oder wir verzichten auf unseren Sommerurlaub. Die Entscheidung fiel leicht, da wir zwei uns schnell einig waren, dass eine eigene Gruppe für jede die bessere Alternative war. Schließlich wollten wir unseren eigenen Führungsstil finden und umsetzen. Rückblickend möchte ich meine Zeit als Fahnenjunker und Gruppenführer in der AGA nicht missen, da man nie wieder so prägend auf „seine“ Soldaten einwirken kann. Nach bestandenem Einzelkämpfer- und Offizieranwärterlehrgang Teil 2 wurde ich erneut in die Truppe versetzt. Zunächst als stellvertretender Zugführer bis zur Leutnantsbeförderung, dann erfolgte die Übernahme eines eigenen Zuges. Meine Erfahrungen waren dabei sehr unterschiedlich. Ich traf auf „altgediente“ Portepees, die mir sehr wohlwollend und zum Teil auch väterlich gegenübertraten. Ich hatte aber auch Begegnungen der anderen Art. Einer der ersten Sätze, die ich von dem Hauptfeldwebel hörte, dessen Zug ich später übernahm, war: „Es gibt zwei Dinge, die ich hasse. Das sind Offizieranwärter und das sind Frauen bei der Bundeswehr.“ 327 Leutnantsbuch Willkommen in der Wirklichkeit! Ich erfüllte diese beiden Voraussetzungen, man kann sich leicht vorstellen, wie die „Zusammenarbeit“ verlief. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass es in meinem damaligen Bataillon bereits zwei weibliche Offizieranwärterinnen vor mir gegeben hatte. So unterschiedlich diese beiden auch auf das Offizier- und Unteroffizierkorps gewirkt hatten, so schwer war es dann sich aufs Neue und unabhängig von früheren Erfahrungen einen Stand zu verschaffen. Dennoch ist es mir damals gelungen, eine gute Kameradschaft zu den meisten Feldwebeldienstgraden aufzubauen. Als Fähnrich und später Oberfähnrich gehört man doch, meiner persönlichen Erfahrung nach, mehr zum Portepee- als zum Offizierkorps. Was sich wiederum schlagartig mit dem Tag der Beförderung zum Leutnant änderte. Wurde man am Vorabend noch kritisch im Kreise der Offiziere beäugt und wohlwollend im Kreise der Feldwebel akzeptiert, kam mit dem ersten Stern die volle Zuerkennung im Offizierkorps und die ebenso fast gleichsam bedingte kritische Betrachtung durch die Portepeeträger in deren Kreise. Zusammenfassend habe ich allerdings sehr gute Erfahrungen in meiner Zeit als Zugführer machen dürfen. Ich wusste immer den einen oder anderen Feldwebeldienstgrad an meiner Seite, wenn es um Ausbildungsvorbereitungen, Übungsvorhaben und Fragen zum alltäglichen Dienstgeschäft ging. Dabei schien es den damals noch überwiegend jungen Portepeeträgern ziemlich egal zu sein, dass sie nun eine Frau zur Vorgesetzten hatten. Es spielte keine Rolle, ob es sich dabei um die Bewältigung des militärischen Alltags oder auch mal um das gemütliche Beisammensitzen nach dem Dienstschluss handelte, ob man nun Kameradin, Vorgesetzte oder Untergebene war. Es war der unkomplizierte Umgang miteinander, der dazu beitrug, 328 Leutnantsbuch diese positiven Erlebnisse und die erfahrene Kameradschaft über die Studienzeit hinaus zu bewahren. Nach meinem Studium trat ich meinen Dienst als Zugführer in meiner alten Einheit an und durfte den Großteil meiner bekannten Portepees wiedertreffen. Das verschaffte mir einen leichten Einstieg in die Kompanie, eine unbeschwerte und wie von früher gewohnte, unkomplizierte Zusammenarbeit. Auch die Integration in das Offizierkorps und die Zusammenarbeit mit den anderen Oberleutnanten stellte sich als angenehm heraus. Die von der Brigade angesetzte taktische Weiterbildung für alle Oberleutnante nach dem Studium trug zur Bildung einer homogenen Gemeinschaft der „jungen Offiziere“ bei. Auch die Tatsache, dass ich der einzige weibliche Offizier meines Standortes bin, stellt im täglichen Dienst oder bei Veranstaltungen im Offizierkreis kein Problem dar. HI Aus persönlicher Erfahrung kann ich allen Frauen nur empfehlen: Seht in erster Linie Euren Beruf als etwas Besonderes und Euch nicht als Frau in diesem Beruf. Denn Ihr seid immer erst Soldat und dann „Frau“. Versucht es nicht den Männern zu beweisen, sondern nur Euch selbst. Versucht nicht Euch einen „männlichen“ Führungsstil anzueignen, sondern findet Euren eigenen. Natürlich darf der auch „weiblich“ sein, denn jeder Vorgesetzte hat seine Eigenarten. Bleibt Eurer Linie treu, aber bleibt offen für Verbesserungen. Seid in erster Linie Kamerad, Vorgesetzte und Untergebene, denn nur so wird ein unkomplizierter Umgang zwischen den Geschlechtern möglich. Der Beruf des Offiziers ist und bleibt ein ganz Besonderer, unabhängig davon ob man männlich oder weiblich ist. Wenn 329 Leutnantsbuch man diesen bewusst und entschlossen ausführt und mit Freude ausfüllt, wird es in Zukunft noch viel weniger eine Rolle spielen, ob man Soldat oder Soldatin ist. 330 Leutnantsbuch Ein Tag im Ausbildungsverband des Gefechtsübungszentrums Heer D er Tag beginnt wie immer: Um 05:30 Uhr wird geweckt, alle Soldaten beginnen mit der Vorbereitung auf den Dienst. Doch was ist nun los? Der II. Zug der Kompanie betritt gerade in ziviler und militärischer Ausrüstung den Kompanieblock. Die Soldaten sehen alle erschöpft aus. Man bekommt nur einige Gesprächsfetzen mit: „Der Marsch zur Kirche heute Nacht war ein echtes Highlight“ und „Die Ansprache des Dorfältesten ist dem Hauptfeldwebel richtig gut gelungen“, oder „Mensch, war das ein Gefecht. Da haben wir es der Übungstruppe richtig schwer gemacht am Übergang der Delbe.“ Ein Anderer wiederum äußert: „Mist, mir ist schon wieder der Kaftan eingerissen. Wann kommen endlich die neuen Klamotten?“ Ein „normaler Soldat“ würde sich an dieser Stelle fragen: „Was ist denn bitte hier los?“. Aber das beschriebene Bild ist Normalität im Ausbildungsverband des Gefechtsübungszentrums Heer (GefÜbZ H) in der LETZLINGER HEIDE. Das Aufgabenspektrum der 4. Kompanie, eine verstärkte Jägerkompanie mit einem Zug WIESEL, umfasst neben der Darstellung der Operationsarten im Rahmen Operationen verbundener Kräfte auch die gezielte Durchführung der einsatzvorbereitenden Ausbildung für die Truppe, die sich beispielsweise auf ihre Einsätze im KOSOVO oder in AFGHANISTAN im GefÜbZ H vorbereiten. Während die Soldaten des II. Zuges mit der Nachbereitung beginnen, bereiten sich die anderen drei Züge auf die Darstellung der heutigen einsatzvorbereitenden Ausbildung vor. Das kann zum einen bedeuten, dass ein ganzer Zug für eine Aufgabe eingesetzt wird. Es kann zum anderen aber 331 Leutnantsbuch auch sein, dass nur ein Feldwebel und ein Mannschaftssoldat eingeteilt werden, um den Straßenverkehr auf den Hauptverkehrswegen des Truppenübungsplatzes in der ALTMARK darzustellen. So wird es uns niemals langweilig, da jeden Tag eine andere Ausbildung auf uns zu kommt. Die „Handlungsanweisungen“ werden den entsprechenden Ausbildungsthemen immer auf den Leib geschneidert und regelmäßig an die neuesten Erkenntnisse aus den Einsatzgebieten angepasst. Ein besonderer Höhepunkt ist für uns der Einsatz als AFGHAN NATIONAL ARMY, kurz ANA, da dies immer besonders abwechslungsreich und spannend ist. Zur normalen Dienstbekleidung gehören dann die typischen Woodland-Uniformen, wie man sie auch in AFGHANISTAN sieht. Dabei bilden wir u.a. das Szenario des „Partnering“ ab, welches die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der ANA simuliert. Ich selbst bin meistens beim Operational Mentoring and Liaison Team (OMLT) eingesetzt. Das bedeutet, dass ich – in der Regel zusammen mit meinem Kompaniechef – zu den Absprachen mit der jeweiligen Übungstruppe fahre, um zwischen den beiden „Nationen“ zu vermitteln und das gemeinsame Vorgehen von deutschen und afghanischen Soldaten abzustimmen. Diese so genannten Meetings sind immer sehr fordernd und werden sehr detailliert vorbereitet, zumal wir hier sowohl als Ausbilder als auch als taktische Führer in das Übungsgeschehen eingreifen. Jedes Mal erlebe ich hier etwas Neues und verinnerliche zugleich die aktuellen Einsatzbedingungen, auch wenn ich selbst nicht unmittelbar in den Einsatz gehe. Daher sind Routine und Langweile auch Fremdwörter für unseren Ausbildungsverband, zumal ständige Anpassungen an das aktuelle Lagebild während eines Übungsdurchganges die Regel sind. 332 Leutnantsbuch HI Die Laufbahn für Offiziere des Truppendienstes zeichnet sich durch attraktive, abwechslungsreiche und anspruchsvolle Verwendungen aus. Hierzu zählen auch Verwendungen in den zentralen Ausbildungseinrichtungen des Heeres, in denen hervorragende und einsatzerfahrene Ausbilder ihren Dienst versehen und – wie am Beispiel des GefÜbZ H – im Rahmen der einsatzvorbereitenden Ausbildung einen wichtigen Beitrag für das erfolgreiche Bestehen unserer Soldaten im Einsatz leisten. 333 Leutnantsbuch „Lernen als Springer“ J anuar, die letzte Woche meiner truppengattungsspezifischen Ausbildung zum Zugführer begann. Ich genoss die Vorzüge einer sehr intensiven Ausbildung, denn mein Hörsaal umfasste lediglich drei Lehrgangsteilnehmer. Für unsere elitäre Ausbildung standen uns vier erfahrene Ausbilder zur Verfügung. Dieses Privileg überstieg selbst höchste Ansprüche an Kleinstgruppenarbeit. Nach 13 Monaten, die Lehrgang an Lehrgang reihten, sollten letzte „Kuschelwochen“ an der Panzertruppenschule im Schwerpunkt für organisatorische Zwecke genutzt werden. Doch stattdessen beabsichtigte unser Hörsaalleiter kurzfristig, uns zur Unterstützung übender Truppe an den ersten Durchgang des Schießübungszentrums auszuleihen. Eine echte Generalprobe, denn die Anwendung lehrgangsspezifischer Inhalte am „echten“ Soldaten, erwies sich komplizierter als in der Ausbildung mit Lehrgangsteilnehmern. Ende Januar beweist es die ersehnte Versetzung schwarz auf weiß: PzGrenOffz und Zugführer – Endlich! Aber Moment…die Einheit kenne ich schon, vor 10 Tagen hatte ich gerade erst den Kommandeur kennengelernt…während der Auswertungsbesprechung im Schießübungszentrum. Vor zwei Wochen wurde mein Feldposten überrannt und nun soll ich mich der Einheit vorstellen, dessen vorderste Verteidigung ich war? Der gegnerische Angriff konnte erst in der zweiten Stellungslinie aufgefangen werden… Aber man muss das Bittere nur süß verpacken: „Heimatnäher“ ging es wirklich nicht. 334 Leutnantsbuch Im Februar dann der erste Tag in meiner neuen militärischen Heimat. Es folgt die Ernüchterung. Der Zug, den ich führen soll, existiert nicht. Meine Reaktion fühlt sich an wie ein Déjàvu-Erlebnis: Überrannter Feldposten. Mein Kompaniechef befindet sich auf Lehrgang, der Kompanieeinsatzoffizier weist mich in die Lage ein: Das Bataillon bereitet sich auf den Einsatz vor und hat bereits umgegliedert, um alle erforderlichen Fähigkeiten in Afghanistan abbilden zu können – meinen Zug gibt es nicht mehr. Der Kompanieeinsatzoffizier klopft mir enthusiastisch auf die Schulter: „Um Erfahrungen zu sammeln, gibt es nichts Besseres, als „Springer“ zu sein.“ Ein schwacher Trost. Ich kann seinen Enthusiasmus noch nicht teilen. Zwei Wochen später ist es soweit: „Die 4. Kompanie braucht noch… kennen Sie das Gefechtsübungszentrum, Herr Oberfähnrich?“ - „Ja.“ - „Sachen schon ausgepackt?“ „In weiser Voraussicht nicht, Herr Oberleutnant.“ „Herzlichen Glückwunsch!“ Die Gesichter im Gefechtsübungszentrum kannte ich, die Außentemperaturen auch, meine Aufgaben leider nur vage. Der Auftrag ist deutlich: „Rechte Hand vom Kompanieeinsatzoffizier, auch Kommandant auf seinem SPz und einfach alles, damit er den Kopf frei hat.“ Meine Ausbildung zum Kommandanten war intensiv, doch praktische Erfahrungen sehen anders aus: Mit einem riesigen „Rattenschwanz“ von sogenannten „Weichteilen“ hinter kämpfenden Kompanien fahren…zum richtigen Zeitpunkt immer am richtigen Ort sein…drei Funkkreise halten, verstehen und auswerten. Rückblickend tatsächlich eine unbezahlbare Erfahrung, die ich bereits vier Wochen nach Dienstantritt im Bataillon machen durfte. 335 Leutnantsbuch Im März folgt die Ausbildung zum Richtschützen an der Panzerabwehrwaffe MILAN. Wieder ist der Springer gefragt: „Herr Oberfähnrich, Sie sind doch Schießlehrer BMK 20mm und MILAN?“ – „Ja.“ – „Blockausbildung, Planung, Dienstplanerstellung, Material, Ausbilder, Übungsplätze. Alles, was Sie brauchen. Machen Sie mal.“ Diese Aussage ist das Beste, was passieren kann und bietet größtmögliche Freiheit, sich auszuprobieren und zu testen, ob eigene Ansätze zweckmäßig sind. Rollt das erfundene Rad wirklich gut genug oder lässt es sich hier und da noch abrunden? An Kreativität fehlt es einem dynamischen Panzergrenadieroffizier selten, die Statik des Luftschlosses muss allerdings gelegentlich von einem erfahrenen Portepee überprüft werden. Ja, vermutlich rollte das Rad schon gut genug, aber erst meine Ideen und Einflüsse gaben ihm das nötige Profil. Was bleibt, ist Stolz denn ich habe diese Richtschützen geprägt. Im April naht die einsatzspezifische Vorausbildung im Rahmen einer ZA EAKK für alle geplanten Einsatzsoldaten des Bataillons. Das Tempo der wechselnden Ausbildungsabschnitte beeindruckt mich zunehmend. Der Facettenreichtum des Offizierberufes bestätigt sich. Allein dem Schreibtisch bin ich bisher fern geblieben – zum Glück, der kann warten. Der Kompaniechef hat vorausschauend geplant. Der neue Ausbildungszug ist mit Kompetenz gefüllt. Beim Erstellen von Ausbildungsinhalten und -abläufen, Zielen und Zwischenzielen lerne ich mehr als in vorangegangenen Lehrgängen. 336 Leutnantsbuch Hier zeigt sich erneut die Hilfsbereitschaft erfahrener Dienstgrade. Niemand erwartet von mir, alles zu wissen oder zu können. Die Bereitschaft eigene Wissenslücken ehrlich einzugestehen und gezielt Rat und Unterstützung zu suchen, wird deutlich positiv angerechnet – Wer fragt und lernt, gewinnt. Wer sich über ehrliche und gut gemeinte Ratschläge hinwegsetzt, legt sich selbst unnötige Steine in den Weg. Vor einigen Tagen waren Begriffe wie VPC (Vulnerable Point Check), FOB (Forward Operation Base) und OP (Observation Point) zwar bekannt, aber es erschien noch abwegig sie selbst auszubilden. Man stellt jedoch fest, dass sich diese einsatzspezifischen Ausbildungsabschnitte leicht auf Grundlagen zurückführen lassen. Eine FOB ist gekennzeichnet durch Kriterien eines Feldpostens. Die Patrouille lässt sich in einem Spähtrupp erkennen und auch der OP, der Beobachtungshalt, ist in seinen Grundsätzen bereits bekannt. Sicherlich, Afghanistan lässt sich nicht mit dem heimischen Kiefernwald vergleichen. Es gibt zweifelsohne Übungskünstlichkeiten, aber es gibt ebenfalls zahlreiche Einsatzerfahrungen im Bataillon. Sie zu integrieren und effektiv zu nutzen, um Übungskünstlichkeiten auszugleichen, definiert den Anspruch einer zielgerichteten Einsatzvorbereitung. Dem Anspruch konnte begegnet werden, die Ausbildung war gut. Dennoch ist es ein befremdliches Gefühl, dass diese Soldaten nicht versagen dürfen, dass ihr „Feldposten“ hoffentlich nie überrannt wird wie mein eigener im Schießübungszentrum. Die Verantwortung, die man als Führer, Erzieher und Ausbilder trägt, wird deutlich spürbar. Zurückblickend lässt sich festhalten: Als ich erfahren habe, dass es keinen Zug gibt, den ich führen werde, war ich enttäuscht. Die Ereignisse, Ausbildungsabschnitte und 337 Leutnantsbuch Springerposten, die darauf folgten, waren jedoch eine unschätzbare Entschädigung. Der abwechslungsreiche und vielfältige Dienstposten „Springer“ stellte sich als bester Ausgangspunkt für die folgende Verwendung als Zugführer heraus. HI Das Leben, auch bei der Bundeswehr, hält eine Vielzahl von Überraschungen für uns bereit. Ständige Veränderungen und wechselnde Anforderungen erfordern ein Höchstmaß an Flexibilität. Ein jeder von uns kennt die Worte: „Leben in der Lage“. Je mehr Erfahrungen wir machen, desto größer sind die Möglichkeiten zur Reflexion und um so sicherer werden wir bei der Entscheidungsfindung. Dabei ist es wichtig alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen. Wir müssen lernen, Veränderungen als wertvolle Chancen der eigenen Entwicklung zu betrachten. 338 Leutnantsbuch Das offene Ohr S eit hundert Tagen sind wir jetzt in AFGHANISTAN und Ende des Monats geht es nach Hause. Wir waren schon immer ein gutes Team. Doch der Einsatz hat uns im Zug noch mehr zusammengeschweißt. Vor allem eine Situation ist mir noch gut in Erinnerung, die ich so schnell nicht vergesse. Doch von vorn: Vor gut drei Wochen – etwa zwei Drittel der Einsatzzeit hatten wir hier bereits absolviert – traf ich Stefan im Raucherzelt vor unserem Block. Wir kennen uns seit unserer Grundausbildung vor zwei Jahren und haben seither nahezu jeden Ausbildungsabschnitt gemeinsam absolviert. Hier in AFGHANISTAN ist er, so wie ich, Beifahrer und MGSchütze auf dem TPz. An diesem Tag war Stefan irgendwie verschlossen und längst nicht so gut gelaunt wie sonst. Erst nach einiger Zeit rückte er damit heraus und erzählte mir, was passiert war. Seine Freundin und er hatten sich mächtig am Telefon gestritten. Für beide schien die Trennung durch den Einsatz und in gewisser Hinsicht wohl auch die Ungewissheit zunehmend unerträglicher. Zudem hatte Clara, so heißt Stefans Freundin, zum ersten Mal von Trennung gesprochen. Sie habe gerade eine schwierige Prüfungsphase und erhoffe sich mehr emotionalen Beistand, erklärte er mir. Auch ich hatte in dieser Hinsicht bereits meine Erfahrungen gesammelt und wusste, wie schwierig es ist, in den wenigen Minuten Telefonat – noch dazu im Einsatz – nicht das vermeintlich Falsche zu sagen. Doch Stefan schien regelrecht niedergeschlagen und verzweifelt zu sein. Bis spät in die Nacht unterhielten wir uns und ich fasste den Entschluss, ihm, wenn irgend möglich, eine kleine Auszeit zu verschaffen. 339 Leutnantsbuch Am nächsten Tag bat ich unseren Zugführer, einen jungen Oberleutnant, der ein Jahr zuvor unseren Zug übernommen hatte, darum, mit Stefan den Dienst am darauf folgenden Tag tauschen zu dürfen. Da ich allerdings Stefans Situation auch nicht an die große Glocke hängen wollte, erklärte ich auf Nachfrage meines Vorgesetzten, dass mich eine Patrouille in den Osten Mazar-e-Sharifs sehr interessiere, was zugegebenermaßen auch zutraf. Stefan gewann so einen Tag im Camp und hatte die Möglichkeit einmal ausgiebig mit Clara zu sprechen. Das tat er dann auch. Irgendwie schien unser Zugführer allerdings doch etwas mitbekommen zu haben. Vielleicht war ihm schlichtweg Stefans Niedergeschlagenheit aufgefallen. Jedenfalls schaffte er es, am darauffolgenden Wochenende, an dem mehrere Video-Live-Konferenzen zu den Familien nach Deutschland geplant waren, auch einige Minuten für Stefan und seine Freundin zu reservieren – ein weiteres Mosaiksteinchen, das seine Wirkung nicht verfehlte. Mittlerweile ist Stefan nahezu wieder der alte und freut sich, ebenso wie Clara, aufs Monatsende. Auf mich wartete allerdings noch eine ganz andere Überraschung, als ich während des Antretens vergangene Woche durch unseren Zugführer vor die Front geholt wurde. „Vor allem im Einsatz erstreckt sich Kameradschaft weit über das Dienstliche hinaus. Einsatzbelastungen betreffen uns alle. Umso erleichterter bin ich festzustellen, welchen Stellenwert Teamgeist in diesem Zug hat. Neben mir steht ein Soldat, der nicht nur im Dienst mit vorbildlichem Einsatz überzeugt, sondern auch außerhalb des Dienstes für seine Kameraden ein offenes Ohr hat und auch zusätzliche Belastungen nicht scheut, wenn er damit anderen helfen 340 Leutnantsbuch kann. Ich bin froh, solche Kameraden um mich zu wissen“, erklärte er dann vor versammelter Mannschaft. Auch wenn es mir vielleicht ein wenig peinlich war, ich bin normalerweise niemand, der gern im Mittelpunkt steht, war ich auch stolz auf das Gesagte. Doch lag mir auch daran, unserem Zugführer, als ich ihn später traf, zu erklären, wie selbstverständlich das Ganze für mich war. Seine Reaktion verblüffte mich: „Wissen Sie, Herr Hauptgefreiter, es ist immer einfach, vieles schnell als selbstverständlich hinzunehmen. Ihr Verhalten war schlichtweg vorbildlich, so etwas sollte nicht verschwiegen werden.“ Lob ist ebenso wie Tadel ein wesentliches Führungsmittel. Leider wird es oft vernachlässigt. Doch gerade zur Festigung des Teamgeistes, wirkt vor allem Anerkennung nicht nur unmittelbar auf den Betroffenen, sondern auch auf sein unmittelbares Umfeld motivationssteigernd. HI Lob und Anerkennung kommen gegenüber dem Tadel oft zu kurz, obwohl sie wesentlich zur Motivation beitragen und auch den Teamgeist fördern. Es ist ein Zeichen echter Kameradschaft, belastete Kameraden bei der Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen. Eine solche Hilfsbereitschaft wird auch von anderen wahrgenommen und gewürdigt. 341 Leutnantsbuch Warum Offizier? W ie kann man sich nur dazu entscheiden, sein Leben im Militär zu verschwenden? Das wurde ich einmal von zivilen Bekannten gefragt. Normalerweise antworte ich möglichst knapp oder gar nicht auf diese Art Frage, weil darin nicht selten eine offene Provokation zu einer politischen Debatte liegt, in der sich jeder schon vorher seine feste Meinung gebildet hat. Oft genug war ich schon in Diskussionen geraten, in denen mir die Argumente ausgegangen sind. Da dachte ich mir, es wird doch endlich mal Zeit, mir ein paar mehr Gedanken darüber zu machen, warum ich eigentlich Soldat bin. Schließlich studiere ich Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr! Da reicht es nicht mehr aus, nur zu sagen, dass der Offizierberuf auch nur ein Job sei, wie jeder andere. Vor allem, weil er es nicht ist! Eines Abends fand ich mich im Kreise kritischer Gesprächspartner wieder und sprach über Inhalte meines Studiums. „Ja wo studierst du denn?“ kam bald die Frage. Na an der Universität der Bundeswehr. Mein Gegenüber reagierte gar nicht besonders. „Ach ja, kenne ich, hat eine gute Bibliothek!“ Doch ich merkte, wie die Anwesenden allgemein aufhorchten und die Körperhaltung veränderten. Wir kamen dann schnell auf die Bundeswehr im Allgemeinen zu sprechen. Und es wurde doch mit Interesse aufgenommen, dass ich Offizier bin. Und was macht man denn da so und warum hast du dich dafür entschieden? Die Anwesenden wollten es genau wissen. Als ich merkte, dass sich eine politische Diskussion anbahnte, musste ich für mich klar trennen, in welchem Verständnis ich über Militär spreche. Ist es allein meine persönliche Entscheidung, sich in ein System aus Befehl und Gehorsam zwingen zu lassen, die zur Debatte steht oder geht 342 Leutnantsbuch es um nichts Geringeres, als die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik/ EU/ NATO? Ich hatte schon früher gemerkt, dass diese Ebenen nicht immer klar getrennt werden – insbesondere von Gesprächspartnern, die selbst weder über persönliche Erfahrungen in der Armee, noch über besonders viel Wissen bezüglich der politischen Aufstellung der Bundeswehr verfügen. In einem Gespräch kann ich mir schließlich einiges an Ärger und inneren Widersprüchen ersparen, wenn ich für mich selbst einen klaren Unterschied zwischen diesen Ebenen mache. So kann für mich der Dienst in der Truppe aufrichtig von dem Willen gelenkt sein, eigene Schwächen zu überwinden und einen Beitrag zum Recht und zur Freiheit des deutschen Volkes zu leisten, während ich gleichzeitig dem Einsatz in Afghanistan aus politischer Sicht kritisch gegenüber stehe. Soviel Freiheit zur politischen Meinung und Kritik steht mir als Staatsbürger in Uniform zu. Antimilitaristische und pazifistische Überzeugungen sind in unserer Gesellschaft keine Randerscheinungen! Neben einigen Gruppen, die sich durch eigenes radikales Verhalten disqualifizieren, sind es vor allem Menschen der politischen Mitte und des gebildeten Bürgertums, die der Idee eines deutschen Militärs nach 1945 kritisch gegenüber stehen. Und als Offizier sollte man nicht so leichtfertig sein, solchen Kritikern ohne eigenen plausiblen Standpunkt in dieser Frage gegenüber zu stehen! Was gibt es also an klugen Argumenten, die für den Militärdienst stehen? Warum bin ich denn Soldat, wenn ich gleichzeitig auch Freidenker und Kritiker bin? Passt das zusammen? Da muss ich dann auch ehrlich bleiben: das passt natürlich nicht immer zusammen! Bei aller Liebe zum Beruf dürfen die militärische Strenge und die Prinzipien von Befehl und Gehorsam nicht in Abrede gestellt werden. Aber 343 Leutnantsbuch das ist es ja eben, was aus dem Beruf Soldat keinen Beruf wie jeden anderen macht! Warum bist du Offizier der Bundeswehr? Weil der Beruf Offizier etwas Besonderes ist. Wenn die Antwort kurz sein muss, ist das meine Antwort. Die muss sich jeder selbst überlegen. Lange erklären und erst im Gespräch darüber nachdenken ist keine gute Idee. Warum ist der Beruf etwas Besonderes? Für mich ist er es, weil er mehr als andere Berufe zur Verantwortung erzieht. Und das schafft er, indem er akademisches Denken mit zweckorientiertem, militärischem Handeln verknüpft. Auf der einen Seite muss ein Offizier frei, akademisch und gesellschaftspolitisch kritisch denken, während er auf der anderen Seite den Zwängen der militärischen Zweckmäßigkeit mit ihren teilweise erheblichen Beschränkungen persönlicher Freiheiten unterliegt. Dieses Spannungsfeld zu beherrschen, und die häufigen Reibungspunkte zwischen diesen beiden „Welten“ zu meistern, ist für mich das Wesen der Verantwortung. Mein Fazit aus den Gesprächen und der gesellschaftlichen Kritik ist, dass ein Soldat sich stets darüber im Klaren sein sollte, wieso er Soldat ist. Er sollte sich bewusst darüber sein, dass der Beruf anders ist, als andere Berufe, und dass er von den Menschen auch anders wahrgenommen wird! Und gerade dieser Umstand wird immer auch für Missverständnisse und Diskussionen sorgen. Seit sich die Bundeswehr nicht mehr im Wahrnehmungsfokus der breiten Öffentlichkeit befindet, besteht geradezu die Notwendigkeit, unsere Überzeugungen und unsere Fähigkeiten aktiv zu kommunizieren. Die Fragen „Warum Offizier?“ oder „Warum Soldat?“ sind daher nicht nur Fragen, die sich jeder Angehörige der Streitkräfte für sich selbst stellen muss, sondern die er gerade auch bereit sein muss, nach außen hin zu beantworten. 344 Leutnantsbuch HI Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 5 GG steht grundsätzlich auch allen Soldaten zu, wird aber durch Regelungen des Soldatengesetzes eingeschränkt. Hier sind insbesondere die §§ 10 Abs. 6, 15 sowie 17 Abs. 1 und 2 SG zu nennen. Diese Eingriffe in das Grundrecht des Soldaten gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern sind auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sicherzustellen. Um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht auszuhöhlen, unterscheiden die o.a. Bestimmungen u.a. zwischen Pflichten, die sich an alle Soldaten richten, und solchen, die sich nur an Vorgesetzte richten. Zudem wird unterschieden, ob sich der Soldat im oder außer Dienst, innerhalb oder außerhalb dienstlicher Unterkünfte oder Anlagen befindet. Ein Blick in das Soldatengesetz lohnt sich auch hier! 345 Leutnantsbuch Der Spieß fällt aus „D er Spieß fällt aus?“ Ich bin jetzt seit knapp zwei Jahren hier in der Kompanie, zurzeit im Dienstgrad Oberleutnant eingesetzt, und unser Spieß, ein Stabsfeldwebel, ist noch nie ausgefallen. Klar, Urlaub hatte er auch wie alle anderen, aber jetzt sollte er für sechs Wochen keinen Dienst verrichten können. Ein notwendiger Eingriff an der Hüfte mit anschließender Reha stand ihm bevor. „Armer Kerl“, dachte ich und wünschte ihm in Gedanken schon jetzt eine schnelle Genesung. Auch abends im Offizierheim war die bevorstehende Operation unseres Kompaniefeldwebels ein Thema. Neben den allseits zu hörenden guten Wünschen für unseren Kameraden, beschäftigte uns jedoch auch die Frage, wer für die doch recht lange Zeit diese anspruchsvolle Vertretung übernehmen sollte. „Normalerweise macht das doch immer der Kompanietruppführer“, meldete sich ein Kamerad. „Normalerweise schon“, entgegnete ihm der Kompaniechef, der sich an diesem Abend in unsere Runde gesellt hatte. „Normalerweise schon, doch ganze sechs Wochen sind zu lang. Wir werden für die Ausfallzeit des Stabsfeldwebels einen Reservisten bekommen“, sagte der Major in die Runde und stieß zunächst auf erstaunte Gesichter. Nach einigen Momenten des Schweigens meldete ich mich zu Wort: „Viel weiß ich ja nicht über Reservisten, aber wie man hört, wollen die doch nur bezahlten Urlaub beim Bund machen, oder?“ Der Kompaniechef berichtete, dass der avisierte Stabsfeldwebel d.R. vor seiner zwölfjährigen Dienstzeit Bürokaufmann gelernt hatte und als aktiver Soldat immer wieder als Kompanietruppführer und „Spießvertreter“ eingesetzt war. 346 Leutnantsbuch Des Weiteren forderte der Kompaniechef uns auf, ihm vorurteilsfrei und kameradschaftlich entgegenzutreten. Einige Wochen später meldete sich der Stabfeldwebel beim Kompaniechef zum Dienst und stellte sich anschließend den Dienstgraden der Kompanie vor. Als er gefragt wurde, ob er die Vertretung des Kompaniefeldwebels übernehmen wolle, hatte er zugesagt, auch wenn sein Arbeitgeber zunächst prüfen musste, ob er ihn so lange entbehren könnte. „Ich bin seit über 10 Jahren als Büroleiter tätig und freue mich sehr darüber, dass mir meine Firma regelmäßig die Gelegenheit bietet, meinen Reservistendienst zu leisten“. Mit diesen Worten beendete er seine kurze Vorstellung. In den nächsten Tagen wurde er durch den Kompaniefeldwebel und den Geschäftszimmerunteroffizier in die Abläufe eingewiesen. Verzugslos lebte er sich in die Gemeinschaft der Kompanie und in seine Aufgaben ein. Neben einem kurzen persönlichen Gespräch lernte auch ich ihn schnell näher kennen. Ein weiteres Erlebnis folgte einige Tage später. Da ich die Woche zuvor umgezogen war, wollte ich nun meine neue Anschrift melden. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ fragte mich der Stabsfeldwebel, als ich zur Mittagszeit in das Geschäftszimmer kam. „Ich weiß, es ist Mittagpause und eigentlich wollte ich auch zum Geschäftszimmerunteroffizier“, antwortete ich. „Er ist zu Tisch, aber vielleicht kann ich Ihnen auch helfen.“ Ich legte meine Unterlagen auf den Geschäftszimmertresen und sagte ihm, dass ich gerne meinen Umzug melden würde. Der Stabsfeldwebel nahm meine Unterlagen, setzte sich an den „SASPF-Rechner“ und begann sich anzumelden. „Machen Sie das?“, fragte ich mehr als erstaunt. „Ja“, lautete die kurze, aber freundliche Antwort. „Meine Reservistendienstleistung war gut vorbereitet und so habe ich schon alle notwendigen Berechtigungen.“ „Das meinte ich eigentlich nicht“, erwiderte ich. „Ich bin positiv 347 Leutnantsbuch überrascht, dass Sie sich nach so kurzer Zeit mit dem System auskennen.“ „Der Geschäftszimmerunteroffizier hat mich sehr gut eingewiesen und in meiner Firma arbeite ich auch mit dieser Software“ dabei drehte er sich kurz um und lächelte mich an. Die nächsten Tage verliefen wie gewohnt. Keine längeren Bearbeitungszeiten, keine verloren gegangenen Dokumente. Alles lief reibungslos und der Dienstbetrieb „fluppte“. Auch von anderen Kameraden hörte ich nur Gutes über den „Spießvertreter“. Im Unteroffizierkreis hatte er sich integriert und war gern gesehener Kamerad, der mit seinen Erfahrungen im Soldatenberuf und Zivilleben zwei Berufswelten verbinden konnte. In der vierten Woche seiner Reservedienstleistung stand das Kompaniesportfest an; dies bedeutete viel Vorbereitung, für den Spieß, wie auch für mich, denn ich war Sportoffizier der Kompanie. Der Stabsfeldwebel war gemeinsam mit mir verantwortlich für die Gesamtorganisation. Auch bei dieser Aufgabe stellte sich unser „Reservist“ als Bereicherung heraus. „In meinem Sportverein bin ich der Abteilungsleiter Leichtathletik und so könnte ich zwei elektronische Zeitnahmevorrichtungen für die Laufdisziplinen zur Verfügung stellen“, machte er mir das Angebot, welches ich freudig annahm. Dank der hilfreichen Mitarbeit des Stabsfeldwebels verlief das Sportfest reibungslos. Nach den Siegerehrungen ging ich zu dem Stabsfeldwebel und dankte ihm für die hervorragende Unterstützung. „Toll gemacht, Herr Stabsfeldwebel, man merkt, dass Sie im Sportverein tätig sind.“ „Zum einen das, Herr Oberleutnant, zum anderen bin ich in meinem zivilen Leben schon viele Jahre Büroleiter und auch dort läuft ohne Organisation nicht viel. Darüber hinaus war ich viele Jahre aktiver Soldat, der nun die Möglichkeit nutzt, regelmäßig und für alle Seiten 348 Leutnantsbuch gewinnbringend in die aktive Truppe zurückzukehren“ antwortete er, um mir erneut ein vielsagendes Lächeln zu entgegnen. Spätestens jetzt hatte ich verstanden – meine Skepsis war verschwunden – mit „nur bezahlten Urlaub bei Bund machen“, wie ich ursprünglich vermutete, hatte die Tätigkeit eines Reservedienstleistenden nichts zu tun! HI Reservisten sind für die Auftragserfüllung der Streitkräfte unverzichtbar! Sie ergänzen und verstärken mit ihren zivilen und militärischen Qualifikationen die personellen Fähigkeiten der Bundeswehr. Ihnen vorurteilsfrei und kameradschaftlich zu begegnen und sie immer wieder in die Gemeinschaft der aktiven Soldaten aufzunehmen, ist eine entscheidende Voraussetzung für den respektvollen Umgang miteinander und ein wesentlicher Baustein des Soldatenberufs. Die Pflege der Beziehungen von Aktiven und Reservisten ist eine Zweibahnstraße! 349 Leutnantsbuch Als Seelsorger in AFGHANISTAN – Erfahrungen und Einsichten aus einer anderen Welt * E s hat gut getan, Ihnen morgens beim Waschen zu „ begegnen. Sie haben trotz Kälte und Dreck so viel Optimismus ausgestrahlt. Das hat mir richtig Kraft für den Tag gegeben“, so die freundliche Anerkennung eines Oberstabsarztes mir gegenüber an seinem letzten Tag im März 2002 im Camp Warehouse in KABUL. Zunächst freute ich mich ganz einfach über dieses Lob. Dann aber wurde mir auch deutlich: Dieser Dank enthält im Kern das Seelsorgekonzept der Einsatzbegleitung: Teilen der Lebensbedingungen als Seelsorge. Das ist ungewöhnlich. Ich habe als Pfarrer bisher ganz unterschiedliche Formen von seelsorgerlicher Betreuung kennen gelernt: Die Bedeutung der Besuche im Gemeindepfarramt, das Ritual, wenn ich Menschen in Übergangssituationen begleite, das Seelsorgegespräch in Konflikt- und Belastungssituationen. Im Einsatz jedoch ist Seelsorge noch viel elementarer. Sie besteht vor allem im Mitgehen mit den Soldaten und im Erleben und Bewältigen der gleichen Lebensbedingungen. Und schön – wie mein Beispiel zeigt –, wenn wir Pfarrer dabei Optimismus und Humor ausstrahlen. Das klingt sehr einfach. Doch als leicht habe ich diese an mich gestellte Anforderung in AFGHANISTAN nicht empfunden. Im Gegenteil. Aber dennoch als spannend und facettenreich. Darüber will ich in diesem Aufsatz erzählen. Der Aufbruch „Ich habe mich drei Mal zu Hause von meiner Frau und meinen Kindern verabschiedet. Und dann stand ich abends wieder vor der Tür. Das war das absolute Chaos. Ich bin immer noch sauer. Aber was konnte ich dagegen tun?“ Diesen Kommentar über den Aufbruch in DEUTSCHLAND 350 Leutnantsbuch im Januar 2002 habe ich oft von den Soldaten der Luftlandebrigade gehört. Tatsächlich war der erste Teil der Verlegung der ISAFSoldaten nach AFGHANISTAN durch sich dauernd ändernde politische Vorgaben gekennzeichnet. Der Abflug verzögerte sich deshalb fortlaufend. Auch die Aufstellung der Kontingente. Und das alles ereignete sich zeitgleich zu den Weihnachtsvorbereitungen in den Familien. Mein katholischer Kollege und ich haben es ganz ähnlich erlebt. Die innere Anspannung während des Christfestes 2001 werde ich nicht so schnell vergessen. Warum haben die wechselnden Lagen und unterschiedlichen Einplanungen die Soldaten so erschöpft und verbittert? Ich glaube zum einen, weil die Alarmierung mitten in die Vorbereitungen des Weihnachtsfestes platzten. Wir alle freuten uns auf unser familiäres Weihnachtsfest. Und auf einmal schien es eher unwahrscheinlich, dass wir Weihnachten überhaupt noch zu Hause sein würden. Zum anderen hatten Soldaten den Eindruck, vor ihren Angehörigen und Freunden das Gesicht zu verlieren. Sie hatten angekündigt, beim Afghanistaneinsatz dabei zu sein – dann waren sie vielleicht auf einmal doch nicht mehr dabei. Sie sollten im Dezember fliegen – auf einmal verzögerte sich alles, und es würde vielleicht sogar Februar werden. „Bist du immer noch da? Wir dachten, du bist schon weg?“, fragten auch mich Freunde ein wenig schmunzelnd. Inwiefern konnten wir als Seelsorger den Soldaten helfen? Ich denke, es war für die Soldaten sicherlich zum einen hilfreich, dass wir Pfarrer mit ihnen gemeinsam die Ungewissheiten des Aufbruchs trugen. Ich erinnere mich an den Tag nach Weihnachten, als wir zusammen auf gepackten Seesäcken und Kampftragetaschen in einem Büro des 351 Leutnantsbuch Stabsgebäudes saßen und der kommenden Dinge harrten. Unserer inneren Unruhe haben wir durch Witzeleien Luft gemacht. Das hat geholfen und natürlich wurde auch an diesem Tag nichts aus dem Abflug. Wichtig ist weiterhin, dass der Pfarrer das Geschick der Soldaten als Zivilist teilt. Der Pfarrer steht außerhalb der Hierarchie und ist vor allem Werten wie Gerechtigkeit und Fürsorge verpflichtet. Damit ist er so etwas wie ein Bremsschuh für mögliche Willkür und Ungerechtigkeit. Ja, er ist – dritter Gesichtspunkt – in den Augen vieler so etwas wie ein Repräsentant von Öffentlichkeit, ein Fenster nach draußen, durch das in das System und in die inneren Abläufe der Bundeswehr hineingeschaut werden kann. Das begrenzt das Gefühl des Ausgeliefertseins, das sich beim einzelnen Soldaten in Situationen wie der Alarmierungsphase für den Afghanistaneinsatz leicht einstellen kann. Ankunft im Camp Warehouse in KABUL „Ach, jetzt kommt unser Beistand, nun kann uns ja gar nichts mehr passieren!“ So sind mein katholischer Kollege und ich von einigen Soldaten begrüßt worden, nachdem wir am 19. Januar 2002 im Camp Warehouse in KABUL eintrafen. Die Fahrt vom Flughafen BAGRAM, wo wir landeten und von den Kameraden in Empfang genommen wurden, bis nach KABUL glich zuweilen einer Reise durch eine Mondlandschaft. Die Zerstörung aufgrund der jahrelangen Kämpfe gerade in diesem Gebiet war allgegenwärtig und erzeugte deprimierende Anblicke. Schließlich erreichten wir KABUL. Die Menschen in KABUL staunten uns in den Bussen an. So viele ausländische Soldaten hatten sie schon lange nicht mehr gesehen. Wir überspielten unsere eigene Unsicherheit 352 Leutnantsbuch durch freundliches Zulächeln. „Hoffentlich passiert hier nichts!“, habe ich nur gedacht. Denn wir waren eingepfercht in einen schrottreifen afghanischen Kleinbus und wären im Falle von bewaffneten Übergriffen ziemlich wehrlos gewesen. Das waren die Anfänge. Doch – wie schon angedeutet – schließlich erreichten wir unser Feldlager. Die Bezeichnung „warehouse“ – auf deutsch „Lagerhaus“ passt, denn das Camp Warehouse ist der ehemalige Bauhof von KABUL mit großen Werkstatt- und Lagerhallen und einem mehrstöckigen Bürogebäude. Das Ganze ungefähr zehn Kilometer außerhalb der Stadt an der Straße von KABUL nach JALALABAD gelegen. Allerdings haben die mehrjährigen selbstzerstörerischen Kämpfe der Mudschaheddin gegeneinander auch diese Einrichtung nicht unbeschadet gelassen. Im Gegenteil: Die Hallen sind zum Teil vollständig zerschossen und eingefallen, das Gelände ist vollgestellt mit Baugeräteschrott und in den Mauern des Stabsgebäudes gab es Mitte Januar noch keinen Strom, kein Wasser, keine Scheiben vor den Fenstern, keine Kanalisation. Ein zuständiger Soldat empfing uns herzlich, wenngleich mit einigen Frotzeleien und markigen Sätzen. Wahrscheinlich wollte er uns auf diese Weise die Chance nehmen, allzu sehr unserer Enttäuschung über den Zustand des Gebäudes und über die abendliche Kälte in den Räumen nachzuhängen. Auch waren bei weitem noch nicht so viele Zelte aufgebaut wie erhofft. Die sehnsüchtig erwarteten Warmluftgeräte fehlten natürlich auch. Alles war sehr karg. In der Nacht fiel die Temperatur schließlich bis minus 20 Grad. Aber wir hatten ja gute Schlafsäcke bekommen. Und nachdem ich endlich einige Tabletten gegen meine Kopfschmerzen (wir 353 Leutnantsbuch befanden uns auf einmal auf 1.800 Meter Höhe!) geschluckt hatte, bekam meine Zuversicht wieder die Oberhand. Ich habe als Soldatenseelsorger eine ganze Zeit gebraucht, bevor ich mich an diese gängige Bezeichnung „Beistand“ gewöhnt hatte. Es schien mir zu viel Ironie mitzuschwingen. Irgendwann habe ich begriffen, dass von Seiten der Soldaten viel Ehrlichkeit in dieser Bezeichnung enthalten ist. Oft genug sehen Soldaten in uns den einzig verbliebenen Beistand, der eine gehörige Portion Autorität und Vortragsrecht vor höheren Vorgesetzten hat. Von seelsorgerlicher Betreuung in Konfliktsituationen ganz abgesehen. Ja und dann ist mir irgendwann deutlich geworden, dass der Pfarrer in den Augen der Soldaten tatsächlich so etwas wie die „Nähe Gottes“ verkörpert. Für die Soldaten bedeutet deshalb die Begleitung durch den Pfarrer, auch fern von daheim nicht außerhalb der Fürsorge Gottes geraten zu sein. Diese Gewissheit kann durchaus eine Hilfe sein, wenn Gefühle der Fremdheit und Verlorenheit einen zu überwältigen drohen. Der Raum der Militärseelsorge „Befehlsfreie Zone“ – diese Bezeichnung hatten wir an den Raum der Militärseelsorge im Stabsgebäude befestigt. Der Raum lag im Parterre, nahe dem Treppenhaus. Wir waren also stets im Blickfeld und leicht erreichbar. In den ersten Wochen eines neuen Kontingents sind die Soldaten noch mit dem Aufbau beschäftigt. Die Neuigkeitserfahrungen und die viele Arbeit lassen das Bedürfnis nach intensiven Einzelgesprächen eher in den Hintergrund treten. In der Fallschirmjägertruppe wird ohnehin vieles Persönliche in der engen und verbindlichen Gemeinschaft der Gruppen und Trupps besprochen. 354 Leutnantsbuch Wir sahen aber schnell die entscheidende Betreuungslücke und machten aus unserem Raum eine erste Betreuungseinrichtung. Voraussetzung dafür waren die preiswerten Teppiche, die uns ein afghanischer Mitarbeiter besorgte, und die den Raum wohnlich machten. Mein Mitarbeiter in OLDENBURG schickte mir ein Heißluftgerät, das wir mithilfe eines technisch versierten Mitbewohners tatsächlich an einen Generator vor dem Haus anschließen konnten und das dafür sorgte, dass es bei uns einige Grade wärmer war als im restlichen Gebäude und erst recht draußen. Außerdem versorgte uns mein Mitarbeiter mit Instantkaffee und Keksen, die wir unseren Besuchern anboten. Dieser Raum der Militärseelsorge wurde stark frequentiert, oft von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr nachts. Und von allen Dienstgradgruppen. Da war der Dreisternegeneral und Befehlshaber Einsatzführungskommando, der einmal auf unsere Einladung hin vorbeischaute, eine kleine Pioniergruppe war regelmäßig Gast, um sich aufzuwärmen, der Chef des Stabes machte mit einer Zigarette und einem Cappuccino bei uns Pause, „Instler“ kamen und viele andere Soldaten aus allen Dienstgradgruppen, um sich eine Auszeit zu nehmen, um einmal kurz den Blicken ihrer Vorgesetzten zu entschwinden, um die Gemeinschaft zu genießen und sich auszutauschen. Special guest war die Schriftstellerin Siba Shabib („Nach AFGHANISTAN kommt Gott nur noch zum Weinen“), sie gab bei uns eine Autogrammstunde usw. usw. Und wir? Wir mussten einfach da sein, gastfreundlich einladen, Zeit haben und vor allem gut zuhören. Doch nicht immer wurden wir Seelsorger gebraucht, zuweilen reichte einfach schon der Raum. So werde ich nie vergessen, wie einmal ein älterer Unteroffizier kam, um für sich zu sein und zu weinen. 355 Leutnantsbuch Patrouillenbegleitung „Blackman soll seine Schulterklappen runternehmen!“ Die Aufforderung kam per Funk aus dem Führungsfahrzeug vom Leiter der Gruppe. Blackman war mein Spitzname bei einigen Fallschirmjägern. Ich konnte die Aufforderungen des Patrouillenführers, eines Oberfeldwebels, gut nachvollziehen und hatte meine Schulterstücke schon selbst vorher abgenommen. Ich wollte unsere afghanischen Gesprächspartner in dieser Anfangsphase nicht irritieren oder gar provozieren. Damit hätte ich den Dienst unserer Einsatzsoldaten zusätzlich erschwert. Ich begleitete eine abendliche Patrouille, die vom Camp Warehouse in die Stadt KABUL in ihren Verantwortungsbereich fuhr. Freundlicherweise muteten die Soldaten mir nicht wie sich selbst zu, auf der Ladefläche des Zweitonners Platz zu nehmen, sondern ich durfte in der Führerkabine mitfahren. Sie ahnten wohl, dass ich nicht die gleiche körperliche Widerstandskraft gegen die Kälte, den eisigen Wind und den Schnee haben würde. In KABUL werden wir zuerst ein Polizeiquartier in unserer Verantwortungsregion ansteuern, um zusätzlich afghanische Polizisten aufzunehmen. So gestaltet sich die Auftragsdurchführung. Denn die ISAF-Soldaten (ISAF heißt: International Security Assistence Force, also Unterstützungstruppe) haben nicht die Verantwortung für die Situation in KABUL, sondern unterstützen lediglich die einheimischen Kräfte bei ihrem Bestreben, für Sicherheit zu sorgen. Diese Patrouillen sind wirklich nicht ungefährlich. Die britischen Fahrzeugkolonnen sind häufiger beschossen worden. Auch die Sicherheitskräfte wirken nicht unbedingt zuverlässig. Oberfeldwebel G. möchte auch vor diesem Hintergrund ungern, dass ich als Pastor erkennbar bin. Er kann das Verhalten seines afghanischen Partners noch nicht genau 356 Leutnantsbuch einschätzen. Ja, am Anfang empfand er mich eher als zusätzliche Belastung. „Jetzt muss ich auf Sie auch noch aufpassen.“ Doch das änderte sich schnell. Seine eingeschworene Gruppe, er und ich kamen uns schnell näher. Er fand mein Interesse an seinem Dienst gut und beteiligte mich deshalb an allen Gesprächen, die er führte. Zum Beispiel mit den Polizeioffizieren. Einmal besuchte er sogar den Gottesdienst. Ein Gegenbesuch bei Blackman sozusagen. Ein paar Tage, bevor er nach Deutschland flog, winkte mich der Oberfeldwebel in sein Zelt. „Ich habe etwas für Sie!“ Er zog aus seiner Tasche ein ledernes Halsband mit einem Stein. In den Stein war ein Kreuz eingeritzt. „Das habe ich für Sie gemacht!“ Die Brüdergemeinde Am Sonntagnachmittag fuhren mein katholischer Kollege und ich immer zur Brüdergemeinde. Die Brüdergemeinde bestand aus drei bzw. zwei Brüdern, die zur so genannten „Christusträgerbruderschaft“ gehörten und die in KABUL zwei ambulante Kliniken und ein Arbeitsbeschaffungsprojekt betrieben. Bruder Tschak und Bruder Retho waren schon über 30 Jahre in KABUL. Sie hatten selbst über die schlimme Zeit der Mudschaheddinkämpfe, während der ein Großteil KABULS zerstört worden war, in der Stadt ausgehalten. Nur während des Bombenkrieges der USA hatten sie kurzzeitig ihre Wohnungen und Kliniken verlassen. Die Brüder wohnten in der ehemaligen Residenz des DDR-Botschafters im Diplomatenviertel KABULS. Sie hatten das über viele Jahre völlig unbewohnte Haus gerettet, als es nach Raketentreffern drohte auszubrennen. Zu den Gottesdiensten, die wir am Sonntagnachmittag mit den Brüdern, den kleinen Schwestern Jesu in KABUL und vielen Mitarbeitern von NGOs feierten, brachten wir auch immer Soldaten mit. Die genossen es, das Lager einmal für einige 357 Leutnantsbuch Stunden verlassen zu können, in einem richtigen Wohnzimmer zu sitzen und sich mit Zivilisten über die Situation in AFGHANISTAN auszutauschen. An eine Situation erinnere ich mich noch besonders. Fast eine ganze Stabsabteilung hatte sich für die Fahrt zu den „Brüdern“ angemeldet. Auf dem Gelände angekommen und uns per Funk in der OPZ „abgemeldet“, stellte ich die Soldaten den Brüdern vor. Doch kaum hatten sie die Veranda des Gebäudes betreten, versanken die Soldaten ins Schweigen. Ich ahnte, was in ihnen vorging. Sie blickten auf den Rasen, die Blumen, die Sträucher. Sie genossen den Schatten und die kultivierte Natur. Und auf einmal fiel der ganze Druck des Kabuler Lagerlebens von ihnen ab. Die Enge im Camp, die Anspannung aufgrund der Rivalitäten im Stab, die Erschöpfung aufgrund der fast täglichen Sandstürme und der brutalen Hitze (es war mittlerweile Sommer), die Sorgen um das Zuhause. Und sie wurden ganz ruhig. Und sammelten wieder Kraft. Verteilen von Kinderschuhen Die Kinderschuhe waren von unseren Angehörigen in Deutschland gesammelt worden und die Luftlandeversorgungskompanie organisierte den Transport nach KABUL. Wir selber fuhren dann mit den Schuhen zu Schulen, deren Leiter vorinformiert worden waren. So wussten alle Bescheid, als wir mit unserem Geländewagen und Zweitonnern auf den Schulhof vorfuhren. Der Schulleiter – oder die Schulleiterin – kamen uns mit ihren Helfern schon entgegen und begrüßten uns herzlich. Abgesehen von der Kernmannschaft beteiligten wir an diesen Aktionen immer wieder neue Soldaten. Diese breiteten die Hunderten von Kinderschuhen dann auf Bänken auf dem Schulhof aus. Die 358 Leutnantsbuch Kinder traten klassenweise an unsere Auslagen und suchten sich unter unserer Beratung ein paar aus. Oder wir trugen sie sackweise in Abschätzung der richtigen Schuhgröße für die Altersstufe in die Klassen. Und dort wurden sie dann in unserem Dabeisein und unter Aufsicht des Klassenlehrers verteilt. Ursprünglicher Anlass für diese Aktion war die Betroffenheit unserer Soldaten über die vielen Kinder in KABUL, die trotz Kälte und Schnee auch im Januar keine oder nur ganz unzulängliche Schuhe trugen. Diese Bedürftigkeit tat uns sehr Leid. Der zweite Grund war: Wir wollten unsere eigenen Ohnmachtsgefühle überwinden. Denn die frierenden Kinder im Januar 2002 in KABUL waren ja nur die Spitze des Eisbergs. Man darf nicht vergessen, wir waren in ein Land gekommen, in dem seit über 20 Jahren Krieg herrschte. AFGHANISTAN war nicht nur zerstört, sondern zerfallen in die Machtbereiche verschiedener Provinzfürsten, die häufig genug untereinander verfeindet waren. Und manchmal hatten wir den Eindruck, unser Engagement in KABUL ist letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben nicht die Möglichkeiten, ein Bedingungsgefüge zu schaffen, unter dem die Menschen ihr Land und ihren Staat wieder aufbauen können. Zu sehr hat der Krieg die Menschen geprägt. Natürlich sollte unsere Aktion nicht an die Stelle einer nüchternen Bestandaufnahme treten. Aber sie konnte Gedankenspiralen der Ohnmacht und Resignation unterbrechen. Und sie konnte uns das Gefühl geben: Wir können etwas tun! Denn Afghanistan besteht nicht nur aus vom Krieg und Terror traumatisierten Menschen, die passiv geworden sind. Genauso warten in den Schulen zum Beispiel viele Kinder, um endlich wieder etwas zu lernen. Und wir selber 359 Leutnantsbuch sind nicht zum Scheitern verurteilt, sondern das in KABUL Erreichte wird mit der Zeit auf das ganze Land ausstrahlen. Veränderung ist möglich. Ist diese Sichtweise naiv? Ich glaube nicht. Und ich sehe auch keine Alternative zu dieser Hoffnung. *) Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr abgedruckt. Der Autor, Militärpfarrer Jürgen Walter, hat diesen in dem Buch „Für Ruhe in der Seele sorgen – Evangelische Militärpfarrer im Auslandseinsatz der Bundeswehr; Hrsg. Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr, Bonn, 2003“ veröffentlicht. 360 Leutnantsbuch Selbstverständnis des Heeres Das Grundgesetz regelt die parlamentarische Kontrolle und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Es betont den Primat der Politik, der die militärische Führung der politischen Führung unterordnet. Streitkräfte und Staat stehen in einem besonderen Treueverhältnis. Das Selbstverständnis der Angehörigen des Heeres begründet sich in diesem Rahmen aus der Verpflichtung, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Die Merkmale des Selbstverständnisses des Heeres • Das Heer ist Kern der Landstreitkräfte und Träger der Landoperationen im Rahmen von Einsätzen zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger, bei internationaler Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, bei der Unterstützung der Bündnispartner, bei Rettung, Evakuierung und sonstigen Hilfeleistungen. • Das Heer muss weltweit in den unterschiedlichsten geografischen, klimatischen und kulturellen Regionen kämpfen, schützen, helfen und vermitteln können. • Das Heer setzt die Werte und Normen des Grundgesetzes durch Anwendung der Prinzipien der Inneren Führung um und wendet zur Erfüllung seiner Aufgaben die Grundsätze der Auftragstaktik an. • Das Heer steht in der Tradition der Heeresreformer um Gerhard von Scharnhorst, der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und seiner eigenen über 361 Leutnantsbuch 50-jährigen Geschichte, nicht zu vergessen, tugendhaftes Verhalten und herausragende Einzeltaten aus unserer langen Militärgeschichte. Dies wird in seinen Truppenteilen, seinen Truppengattungen und seinem militärischen Brauchtum erlebbar. • Das Heer ist stets durch Vielfalt gekennzeichnet. Diese Vielfalt spiegelt sich in den unterschiedlichen Truppengattungen wider. • Das Heer steht nie allein, sondern es erfüllt seinen Auftrag zusammen mit anderen Angehörigen der Bundeswehr und ihrer verbündeten Streitkräfte. Die Leitsätze der Angehörigen des Heeres Wir Soldatinnen und Soldaten des Heeres • dienen unserem Land treu und diszipliniert. Dafür sind wir bereit, Opfer und Entbehrungen auf uns zu nehmen und unser Leben einzusetzen; • sind stolz auf unser militärisches Können und bestrebt, uns ständig weiter zu entwickeln – Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit sind Richtschnur unseres Handelns; • bestehen im Einsatz alleine oder im Team mit Tapferkeit, Mut, Kompetenz und Besonnenheit; • leben Toleranz und Kameradschaft, sind offen für Neues und achten fremde Kulturen; • sind bescheiden, selbstkritisch und wollen Vorbild sein. Wir bekennen uns zu unserer Tradition und zu unserem militärischen Brauchtum. 362 Leutnantsbuch Namenspatron des 83. Offizieranwärterjahrganges des Heeres Johann Friedrich Adolph von der Marwitz (1723 - 1781) Die Ausübung militärischer Kommandogewalt beinhaltet stets auch eine ethische Komponente. Dabei geht es letztlich um die Rechtfertigung soldatischen Handelns sowie die Bindung des Auftrags und des Dienens an Werte. Diese Werteorientierung unterscheidet den Soldaten vom Söldner, der jedem beliebigen Zweck zur Verfügung steht. Handeln in einem Dienst, der in letzter Konsequenz unumkehrbare Eingriffe in Leben und Unversehrtheit bedeuten kann, verlangt im Kern nach Überzeugungen, welche die Entscheidungen für den Dienst und zum Einsatz mit der Waffe rechtfertigen. Mitunter kann dies ein Handeln in die Grenzbereiche des menschlichen Gewissens hinein bedeuten. Ein historisches Beispiel für eine derartige Gewissensentscheidung liefert uns der Fall des preußischen Kavallerieoffiziers Johann Friedrich Adolph von der Marwitz, der im Jahre 1760 aus Gründen der Ehre und des Gewis-sens seinem König den Befehl verweigerte, das Schloss Hubertusburg in Sachsen auszuplündern. Die Inschrift auf seinem Grab in Friedersdorf - „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.“ - wird noch heute gerne von verschiedenen politischen Lagern benutzt, um die Entscheidung des Einzelnen über Befehl und Anordnung, als Gewissensentscheid gegen Despotismus, Obrigkeitsdenken und Gewaltherrschaft darzustellen. 363 Leutnantsbuch Insbesondere im Kreise der Verschwörer des 20. Juli wurde das Beispiel von der Marwitz oft genannt, um zu begründen, dass der Einzelne zuerst seinem Gewissen und erst dann seiner politischen Führung gegenüber verantwortlich sei. Johann Friedrich Adolph von der Marwitz wurde am 24. März 1723 in Friedersdorf (Mark Brandenburg) geboren. Er entstammte einer der ältesten Adelsfamilien der Mark, seine Vorfahren waren in der Neumark und in Pommern ansässig gewesen. In 150 Jahren gingen aus ihr mehrere hundert Offiziere hervor, darunter in drei Generationen acht Generäle. Als Fünfzehnjähriger trat er 1738 in das Kavallerieregiment Gens d´armes ein und wurde dort Standartenjunker, im Jahr darauf Kornett (Fähnrich). Das Regiment Gens d´armes (gelistet als Kürassierregiment Nr. 10) war der berühmteste und exklusivste Kavallerieverband der alt-preußischen Armee. 1691 aufgestellt, focht es in allen wichtigen Feldzügen und Schlachten des 18. Jahrhunderts an denen Brandenburg-Preußen beteiligt war. Nach der vernichtenden Niederlage von Jena und Auerstedt wurde es 1806 aufgelöst. Von der Marwitz blieb diesem Regiment Zeit seines Lebens eng verbunden, es stellte seine militärische Heimat dar und hier stieg er die einzelnen Stufen der Karriereleiter hinauf bis hin zum Kommandeur im Jahre 1764. Als Offizieranwärter nahm er an den beiden ersten Schlesischen Kriegen (1740/42 bzw. 1744/45) teil. Im März 1745 erfolgte die Ernennung zum Leutnant, im Mai 1754 zum Stabsrittmeister (Hauptmann). 1756 zog von der Marwitz in den Siebenjährigen Krieg. Er focht in den Schlachten bei Roßbach, Leuthen, Zorndorf, Hochkirch und Torgau, wurde weiter befördert (1757 Major, 1758 Oberstleutnant, 1761 Oberst) und erhielt nach der Schlacht von Roßbach den Orden Pour le Mérite (frz. „Für das Verdienst“) verliehen. König Friedrich der Große (1712364 Leutnantsbuch 1786) schätzte diesen befähigten Kavallerieoffizier, der anstatt des eigentlichen Kommandeurs, des Grafen von Schwerin, fast den gesamten Siebenjährigen Krieg hindurch das Regiment Gens d´armes führte. Wiederholt setzte der Monarch ihn auch für diplomatische Aufgaben und sonstige Spezialaufträge ein. So überbrachte er zum Beispiel im Dezember 1757 die Nachricht vom Sieg bei Leuthen zur Königin nach Berlin und dann nach London, zu den britischen Verbündeten der Preußen. Im Jahr 1760 kam es dann schließlich zum Zerwürfnis zwischen dem König und von der Marwitz. Bei der Besetzung Berlins durch Österreicher (dabei auch sächsische Truppenteile) und Russen im Jahr zuvor hatten diese das Schloss Charlottenburg geplündert und dabei auch die wertvolle Antikensammlung Friedrichs des Großen zerstört. Angetrieben von persönlichen Rachegefühlen, befahl der König beim Vorrücken in Sachsen 1760, dem Oberstleutnant von der Marwitz das Jagdschloss Hubertusburg auszuplündern. Von der Marwitz verweigerte die Ausführung des Befehls und soll Friedrich geantwortet haben: „Solches schicke sich allenfalls für die Offiziere eines Freibataillons, aber nicht für die des Regimentes Gens d´armes“. Hubertusburg wurde daraufhin vom Freibataillon des Quintus Icilius, das aus disziplinlosen, irregulär kämpfenden Freiwilligen bestand, ausgeplündert. Von der Marwitz zog sich den königlichen Unwillen zu und wurde fortan bei Beförderungen und Auszeichnungen übergangen. Als 1768 Generalmajor Hans von Krusemarck zum neuen Chef des Regiments Gens d´armes ernannt wurde, fühlte sich von der Marwitz übergangen und beantragte seine Entlassung. Diese wurde ihm vom König zunächst verweigert, erst im dritten Anlauf erhielt er 1769 seinen Abschied. Er zog sich auf das Familiengut Friedersdorf, 365 Leutnantsbuch welches ihm nach dem Tod des Vaters 1753 zugefallen war, zurück, kümmerte sich aber wenig darum und verweilte oft in Berlin bei seinen Büchern und Gemälden. Nach vielen Jahren in Ungnade bei Friedrich dem Großen, erhielt von der Marwitz erneut Anstellung im Bayerischen Erbfolgekrieg (1778/79) als Generalintendant des Königsbruders Prinz Heinrich von Preußen. 1778 wurde er zum Generalmajor befördert, 1779 erfolgte der endgültige Abschied. Er starb, wie sein Neffe schrieb, „völlig insolvent“, am 14. Dezember 1781 in Berlin als „ein sehr braver und in großer Achtung stehender Soldat, ein feiner und sehr gebildeter Weltmann, ein großer Freund der Literatur und der Kunst“. Das Handeln Johann Friedrich Adolphs von der Marwitz mag uns heute vielleicht unverständlich und auch ein wenig dünkelhaft erscheinen. Ebenso die Reaktion des Königs, der zwar Ungnade aber keine weiteren Repressionen gegen den ungehorsamen Offizier folgen ließ. Erklärlich wird dies alles nur aus dem Rechts- und Selbstverständnis der Offiziere der friderizianischen Armee sowie dem zeitgenössischen Kriegsbild heraus. Die damaligen Vorstellungen von Disziplin und Gehorsam waren eng verbunden mit dem absolutistischen Staatsbegriff und der noch älteren Vorstellung einer Herrschergewalt von Gottes Gnaden. Im friderizianischen Absolutismus wandelte sich dieses Selbstverständnis zur Figur des Monarchen als obersten Beamten seines Staates. Für Friedrich den Großen war die Disziplin nichts anderes als die selbstverständliche Erfüllung der Untertanenschuldigkeit, die nicht ihm, sondern einem Staat galt, der nur Pflichten kannte. In seinen Generalprincipia vom Kriege aus dem Jahre 1753 stellte er fest: „Von den Offizieren an, bis auf den letzten Mann, raisonnieret keiner, sondern exekutieret nur, was befohlen worden. Dem Willen und Befehl des Generals wird prompte 366 Leutnantsbuch gehorsamet“. Dies Zitat belegt, dass Friedrich der Große von seinen Offizieren die sofortige, pünktliche und genaueste Ausführung der Befehle erwartete. Für Überlegungen, ob ein Befehl rechtens war oder nicht, hatte der Soldat in der Lineartaktik weder Zeit noch Gelegenheit. Jedes Zögern bedeutete taktische Versäumnisse, hohe Verluste und die Gefahr einer verlorenen Schlacht. Diesem weitgehenden monarchischen Gehorsamsanspruch stand das kollektive Selbstverständnis des adligen Offizierkorps gegenüber, welches traditionell das Recht für sich beanspruchte, ehrenrührige Befehle verweigern zu dürfen. Standesehre und militärische Offiziersehre waren eng miteinander verflochten und mit festen Verhaltenserwartungen verknüpft. Das Offizierkorps bildete einen nach außen streng abgeschlossenen Körper, was auch dadurch dokumentiert wurde, dass vom Fähnrich bis zum Obersten alle äußeren Rangabzeichen wegfielen. Selbst der König trug nur einen einfachen Offiziersrock. Die gesellschaftliche Gleichheit der Offiziere sämtlicher Dienstgrade unterschied das preußische Heer von allen anderen europäischen Armeen. Diese Sonderstellung wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch juristisch untermauert. Unteroffiziere und Mannschaften mussten seit 1713 einen Eid auf die Kriegsartikel leisten, welcher sie einem drakonischen Disziplinar- und Strafsystem unterwarf. Offiziere hatten dagegen nur zu beschwören, dass sie gewillt seien zu halten, „was das Kriegs Dienst Reglement und königliche Edikte in sich begreifen und die Observanzen und Kriegs Rechts Bräuche mit sich bringen“. Die Einhaltung des Offizierseides war somit an den adeligen Korpsgeist und den daraus entwickelten Ehrbegriff gebunden. Allerdings existierte im preußischen Heer der damaligen Zeit kein schriftlich fixierter Ehrenkodex, was Interpretationsspielräume zuließ. Die vom König erlassenen Reglements 367 Leutnantsbuch und Vorschriften formulierten zwar die Erwartungen des Monarchen gegenüber seinen Offizieren, waren aber selten wirklich eineindeutig. Trotz der notwendigen Unterordnung unter die militärische Hierarchie bestand somit im Konfliktfall die Möglichkeit, die persönliche Ehre zu berücksichtigen und zu verteidigen. Zu einem solchen Konflikt kam es im Siebenjährigen Krieg. Die Mehrheit der Offiziere, gebunden an ihr Gefühl von Eigenwürde und Gemeinschaftsgeist, lehnte es ab das auszuführen, was gemessen an den Maßstäben späterer Kriege eine höchst alltägliche Sache war, damals jedoch als Greueltat galt: die Zerstörung und Verwüstung königlicher Schlösser in Sachsen. Offiziere der regulären Truppen, die einen solchen Auftrag erhielt, verweigerten sich. Neben von der Marwitz lehnte auch Generalmajor Friedrich Christoph von Saldern (1719-1785) die Ausführung eines derartigen Befehls ab. Friedrich der Große, der mitunter unerbittlich bei der Abstrafung missliebiger Offiziere vorging, wie die Fälle des Generals Friedrich August von Finck (1718-1766) und des Rittmeisters Friedrich Freiherr von der Trenck (17271794) beweisen, hatte mit seinem Befehl zur Plünderung und Zerstörung des Schlosses Hubertusburg offenkundig eine rote Linie überschritten, was schon den Zeitgenossen bewusst wurde. Die Erkenntnis dessen und die oben beschriebenen kollektiven Ehrvorstellungen des preußischen Offizierskorps hielten ihn wohl von weiteren Sanktionen gegen die betroffenen Soldaten ab, welche freilich auf eine Fortsetzung ihrer Karriere in der Armee verzichten mussten. Ob die Motivation von der Marwitz` allein einer Sorge um die Verletzung von Kriegsgebräuchen und Soldatenehre entsprang, oder auch dem elitären Standesdünkel eines Offiziers der prestigeträchtigen Gens d´armes, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Doch sicherlich hat gemäß der 368 Leutnantsbuch Überlieferung von der Marwitz mit seiner Befehlsverweigerung negative Konsequenzen bewusst in Kauf genommen, und somit persönliche Überzeugungen über Gehorsam und Karriere gestellt. Johann Friedrich Adolph von der Marwitz reiht sich damit in eine lange Reihe prominenter preußisch-deutscher Offiziere ein, die in Extremsituationen von gegebenen Befehlen abwichen oder diese verweigerten, da deren Ausführung ihnen unmöglich oder unmoralisch erschien. Baudissin hat diese Traditionslinie einmal als „Frondeure [Widerständige] aus Gewissenszwang“ bezeichnet. Dazu rechnete er historische Persönlichkeiten wie Prinz Friedrich von HessenHomburg (1633-1708), der in der Schlacht von Fehrbellin 1675 eigenmächtig und voreilig angegriffen – und dadurch die Schlacht gewonnen habe oder General Ludwig Graf Yorck von Wartenburg (1759-1830), der durch den Abschluss der Konvention von Tauroggen 1812 den Grundstein für die Befreiung Preußens von der Napoleonischen Fremdherrschaft legte. Und auch der militärische Widerstand gegen Hitler im Dritten Reich lässt sich in diesen Zusammenhang einordnen. Der widerspruchlose Gehorsam großer Teile der Wehrmachtsgeneralität und die Hinnahme verbrecherischer Befehle stellten für die aktiv handelnden Offiziere des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Friedrich Olbricht und Henning von Tresckow einen eklatanten Bruch mit den preußischen Traditionen, bei denen die Verantwortung vor Gott und dem Gewissen immer höher als die Gehorsamspflicht gestanden hatte, dar. Die Begriffe Befehl und Gehorsam – das lehrt die Militärgeschichte der vergangenen dreihundert Jahre – lassen sich also nicht allein juristisch fassen, sondern 369 Leutnantsbuch unterliegen immer auch sittlichen Maßstäben. Das Offizierkorps in den deutschen Heeren der Vergangenheit hat sich stets ein gewisses Maß an Unabhängigkeit bewahrt. Der willenlose, total funktionierende Erfüllungsgehilfe war nie das Idealbild des deutschen Offiziers. Nur so konnte sich aus dieser Haltung heraus auch jene Auftragstaktik entwickeln, deren wichtigste Säule der loyale, treue und mitdenkende Offizier ist. Johann Friedrich Adolph von der Marwitz und andere, die es ihm gleich getan haben, sind somit für das Traditionsverständnis unserer Streitkräfte unverzichtbar und eine wichtige Quelle der Selbsterkenntnis, denn sie verweisen auf die ethischen Dimensionen des Offizierberufes. 370 Leutnantsbuch Name Vorname Abdulzahra Ackermann Anger Asche Babernits Batochir Bauer Bauer Becker Beie Bender Bergerhoff Bernhardt Bickel Biedermann Birnbaum Blum Blum Bochert Böhnen Bolgow Borgmann Bornschlegl Brandt Hussein Ali Sven Marwin Philipp Maximilian Galbadrakh Anna Maximilian Torben Andreas Timo Philipp Klaus Pascal Jael Johnny Daniela Sarah André Bernd Niklas Rolf Sascha Alexander Kevin Benedikt Tatjana Dominic Oliver Dennis Dieter 371 Leutnantsbuch Bräu Braun Burkhardt Carl Couzinet de Andrade Lima Thomas Dierking Domago Ecker Eder Eichhorn Eickmann Faizi Fasulo Fieber Fischer Freund Friedrich Fröhlich Fröhlich Frohnmaier Fuchs Galstyan Gantumur Gernandt Geurts-Fast Giglemiani Grimmeißen Gügel Gunesch Habermehl Harutyunyan Häußer Heilmann Nico Ken Lucas Jenny Maximilian Marlon Jean Michel Daniel Lutz Sylvestre Christian Annika Maria Nicolas Sebastian Zaker Hussain Fabio Sebastian Linus Lukas Max Louis Gregor Michael Maximilian Urs Sebastian Paul Volodya Ankhbayar Marc Daniel Gerd Iuri Andreas Frederik Alfred-Wilhelm Marvin Harut Anton Moritz 372 Leutnantsbuch Heinemann Hellmann Hellmanns Henke Herold Heurung Himat Hinke Hofmann Hofmann Hohn Holz Hoppe Horner Imbery Jackisch Jacksch Jiamruen Jürgen Kabitschke Kammleiter Kersten Kirch Klee Kliem Klipfel Klügel Kohl Kolesnitschenko Koriath Krangemann Kremer Kroll Gerrit Roland Wiebke Maximilians Fabian Nanette Bartho Zahir-Shah Daniel Adrian Andreas Lena Louis Steffen Tobias Lukas Max Max Niklas Maximilian Nuttapol Pascal Daniel Johann Benedikt Joshua Simon Alexander Benedikt Patrick Michael Pierre Thomas Sebastian Sascha Alexander Jacqueline Julian Jürgen Felix Mads 373 Leutnantsbuch Krueger Kühnel Lackermeier Lambert Lambertz Lang Langeneck Laumert Leber Lemesko Lohmann Ludwig Malchar Manke Markalous März Mathes Mehn Meier Methling Meyer Michaely Mühle Müller Müller Müller Müller Nelhübel Neumann Nies Niggl Ortmanns Ostendorff Paech Fabian Bastian Franziska Patrick Lisa Dominik Pascal Karl Stefan Fabian Felix Alexander Artemi Christian Daniel Jessica André Niklas Marius Michel Florian Mike Marco Michael Christian Lucas Marvin Benedikt Florian Udo Andreas Alexej Maximilian Bastian Michael Patrick Steven Horst Tim Andre Christopher Stefan Alexander Samuel Simon Jens Ali Christian Maria 374 Leutnantsbuch Pena Vergara Pinnekamp Pohl Poschadel Priegnitz Rabel Reyes Chavez Rhein Riedl Ritz Roß Sawelew Schäfer Schäfer Schick Schlöder Schmelzer Schmidt Schmidt Schmidt Schneider Schneider Schnorrbusch Seel Seiler Siegert Sontopski Spangenberg Springer Staisch Statt Staudinger Steglich Emilio Niko Andre Felix Gregor Paul Stefan Osmani Roman Kevin Christopher Christoph David David Dimitri David Rozen Erik Daniel Rolf Manuel Nico Florian Marvin Noel Patricio Marcel Franz Waldemar Matthias Jeremy Dominick Patrick Christian Anton André Lukas Josef Rudolf Dennis Sebastian Patrick Nick Michael 375 Leutnantsbuch Steinbauer Stingl Störger Strauch Streitwieser Tille-Reineke Tittelbach-Helmrich Trutschler Unkelbach Valentin van Balen Veit Veitenhansl Vogel Voigt Volkert Wallbraun Wardenga Weimer Werner Widera Widmann Wiskirchen Wolff Wulschner Yaldiz Zengerle Zörner Renzel Alisch Anbuhl Arndt Bäcker Balzer Lukas Philipp Pascal Carolin Maximilian Tobias Frederik Josua Mark Nicolas Felix Lars Carlotta Gianni Arrigo Patrick Annika Karolin Maximilian Titus Justus David Georg Thomas Stephan Sandra Manuela Johannes Viktor Kevin Dennis Mario Miriam Annegret Frederik Thomas Kevin Mazlum Adrian Thomas Martin Julian Robert Hugo Christiane Thomas Nico Nadine 376 Leutnantsbuch Barndt Barth Baulig Bausenwein Beckerling Bernhard Beyer Birkel Bitter Böhmel Brill Brückner Brümmer Brunner Brunnmüller Buchner Carstensen Charitonov Christ Conrad Czinczoll de Veer Ditzel Dohn Dorn Dresen Dreyer Elsen Erhardt Ermark Flegel Froese Fromm Christian Lucas Artin Kris Maximilian Robert Denise Felix Joachim Mark Niklas Tom Franziska Moritz Steffen Korbinian Julian Maximilian Guido Rostislav Tobias Franz Patrick Patrick Panuphol Julian Matthias Daniel Christian Pascal Maximilian Heinrich Cornelius Sebastian Harald Peter Leon Phillipp Felix Fabian Jürgen Dennis 377 Leutnantsbuch Fuge Gareus Gereke Gerzen Gindorff Glässner Gradl Graser Gregori Grimm Grunwald Hafemann Hahn Hanfland Hausmann Hennek Hensel Hettich Hildebrandt Hilgert Hilkenmeyer Hilz Hoin Horras Hösel Hossaini Huber Hübner Jakobi Jankowitsch Jaudt Juhre Julius Jung Pascal Marc Felix Slawa Jan Moritz Tobias Florian Ralph Tobias Christoph Franz Hans Christian Anton Philipp Manfred Heinz Martin Marcel Alexander Lino Björn Julius Sascha Alexander Manuel Evi Magdalena Sina Sebastian Johann Thomas Marc Carsten Richard Sulaiman Ferdinand Marc Dominik Lukas Christoph Reinhard Christian Andreas Rüdiger 378 Leutnantsbuch Kaskir Kemmler Kern Kiebler Kiesewetter Kissinger Klier Köhn Koschewski Kranz Kratzenstein Kuntze Kur Landsteiner Latsch Lehmann Lenk Lenzen Löffler Löhr Luft Machnik Malcharzyk Matuszczyk Maur May Meier Meili Meiß Meister Meltschack Menke Menne Onur Alp Nick Patrick Klaus Steffen Freya Melina Marlon Christian Kurt Bejamin Michael Jan Philipp Marcel Alexander Lukas Walter Nikolaus Tobias Jan Jan Vladimir Jan Lukas Timo Wilhelm Lukas Otto Alexander Tobias Oliver Maurice Alexander Julius Anton Jan Dave Philip Pascal Christoph Max Felix Maximilian Heinrich Peter Marc 379 Leutnantsbuch Merkel Meyer Meyer Michalak Möcker Möller Möller Molt Monsees Mügge Müller Müller Nagel Nickel Notter Oehme Rasgado Olejniczak Orth Paczkowski Panaye Passarelli Pesold Peter-Höner Pleyer Plum Pohlen Polis Radecki Raic Raiß Reimert Richter Riedel Riemer Philipp Marcel Oliver Patrick Kamil Michal David Enrico Alexander Julia Marcel Niklas Lucas David Steffen Lukas Johannes Yannick Jürgen Virginia Luis Leon Rafael Richard Nikita Nils Felix Friedrich David Paul Phillipp Sandro Markus Andreas Simon Richard Severin, Gregorius Andre Lea Manuel Emanuel Anton Grzegorz Alexander Matthias Florian Felix Frank 380 Leutnantsbuch Ringer Ringwald Rinke Ritter Rolle Roßkopf Rößler Roters Ruppel Sauer Sauerborn Schäfer Scheiwe Schmiedek Schmiederer Schneider Schneider Schulz Schumann Schwalm Seifarth Seitz Speth Spindler Stahl Stamm Steffen Stephan Steudel Stoewer Theismann Tillessen Treib Hans Constantin Philipp Simon Georg Martin Andre Martin Michael Felix Werner Marcel Ivan Sabine Martin Florian Elisabeth Eva Sophia Melissa Vera Lukas Benjamin Michel Dominik Steve James Peter JonTom Sven Jonathan Florian Marcel Dana Chantal Alexander Theresia Lydia Julia Christin Sebastian Johann Henrik Lukas Tim 381 Leutnantsbuch Vaupel Wagner Wagner Wahlig Wahrenlant Waldner Wali-Mohammadi Walle Wappner Weber Weber Wehner Wiesbeck Wilczak Wild Wolfram Zipfel Oswald Hengst Bartkowski Strauß Hufeland Alber Arnold Barthel Baselt Becher Beier Biesenberger Birkenstock Blasi Brodersen Brommer Bühnemann Niklas Kevin Maximilian Hermann Joseph Marcus Heinrich Christian Arian Sven Patrik Roland Dennis Jan Manuel Johannes Cezary Waldemar Michael Tim Moritz Marika Klara Sophie Janine Fabian Tobias Florian Manuel Matthias Christian Sabrina Sebastian Dominik Robert Daniel René Sebastian Malte Dirk Alistair Patrick Steven 382 Leutnantsbuch Büscher Carsten de Buhr Deboy Degen Dröscher Edelmann Elvers Erlat Euler Fohrst Frangart Friederich Gerber Göbel Goethe Gottschalk Gracic Grätz Griensteidl Gumper Günther Haase Hamburger Haschenz Hauk Heil Heimann Hein Heinrich Heißner Henl Hennevogel Norman Dennis Kurt Christine Michelle Marcel Michael Dennis Rony Dominik Tim Bernd Martin Matthis Alexander Michael Peter Dennis Maximilian Markus Jasmina Michael Paul Nicolo Steve Alexander Tobias Richard Fabian Adrian Philipp Holger Johannes Sven Lisa Jennifer Alexander 383 Leutnantsbuch Hertenstein Holzmann Hopp Hundt Kahle Kamran Karimy Karl Kaspar Kazmierczak Khabazishvili Killing Kim Kinnaree Kirschen Klama Kluge Krämer Kramheller Kriegler Kujawa Kunkler Lang Lang Leukel Linn Lorbach Luvsanpurev Meiler Meischke Metzger Meyer Mezger Mika Jennifer Hellen Matthias Sebastian Matthias Daniel Tanja Rahmatullah Obaidullah Tim Julian Philipp Zviad Marthe Theresa Hyon Gyo Prachya Anne Jennifer Tobias Erik Susanne Tom Mark Gerhard Michel André Daniel Florian Jonas Lorena Lukas Josef Klaus Purevsuren Stefan Dennis Klaus Richard Benjamin Tobias Felix Stanislaus Raimund 384 Leutnantsbuch Missal Muhl Müller Mustaq Naas Naschitzki Okutucu Ortschig Piera Pochert Preugschat Pröll Räcker Rahimy Raszkowski Rauch Reimann Rennert Rether Richter Rouamba Rübben Sachße Scheu Schian Schlagenhaufer Schlenker Schmidt Schmitt Schnur Schönfelder Schulze Schütz Christian Wolfgang Daniel Norman Alexandre Yunus Alexander Chris Leo Mert Jakob Erik Danilo Rico Stephan Erwin Sebastian Aynullah Stephan Julian Andreas Manuel Harald Maximilian Arséne Gerald Lukas-Laurin Ulrich Manuel Mathias David Martin Manfred Oliver Johannes Tina Volker Kevin Peter Nick Andreas 385 Leutnantsbuch Schütz Schwoll Silberbauer Sittl Sommerrock Steiger Steinmetz Tanis Taubald Thiedmann Tiikkainen Trautner Ullrich Urban Vogel Vollerigh von Stetten Weingärtner Wendt Wendt Wilbald Wildmoser Woitalla Wolfskeil Wooßmann Wörner Zänglein Zazay Zunker Zweifel Marc Hermann Maria Elisabeth Andrea Tobias Alfons Richard Philipp Philipp Marius Niklas Benjamin Johann Florian Robin Henrik Severi Adrian Alexander Max-Florian Johannes Andreas Alexander Leon Moritz Philipp Franziska Jörg Thorsten Julia Sebastian Florian Martin Dominik Kai Clemens Nikolas Hannes Asif Julian Julia 386 Leutnantsbuch Name Vorname Achtelik Albrecht Albrecht Altenburg Amse Anacker Anagreh Arens Arnold Arnold Asche Ast Auler Auschill Aygördü Bäcker Bahit Baron von der Osten genannt Sacken Bartels Bartels Barth Bauerfeind Baumert Piotr Sarah Janine Markus Tobias Jamie Jasmin Annas Jan Peter Laura Jan Vivien Normen Wolfgang Laura Can Daniel Hayat-Alessandra Naada Maximilian Theodor Tim Marvin Justin Rouven Hermann 387 Leutnantsbuch Beck Becker Behrendt Beie Ben Aissa Berghaus Bergmann Bertrams Beynio Blank Blankenburg Block Blume Bock Boldt Bolduan Bölk Bösel Bräsen Brödner Bruhn Bruns Bruns Büsselmann Buttcher Casciani Charif Cieslak Cirone Colditz Colditz Compere Dahlhaus Dähne Sara-Christin Valentin Benjamin Hagen Ines Hans Christian Alexander Kai-Markus Andre Tobias Michael Alexander Anna Maria Lennart Nicolas Felix Lars Simon Ricardo Nico Ronald Philipp Marcus Nils Florian Maximilian Bernhard Josef Kevin Dennis Andre Stefan Marco Miriam Johanna Jakub Luca Pascal Toni Jürgen Vincent Philipp Maurice Klaus Rene 388 Leutnantsbuch Dalichau Dammann Daniels Darmofal de Vries Debye Deorocki Deppner Deutsch Diehl Dietrich Dinges Dissars Dittmer Doktor Dorkewitz Dreilich Drews Drießen Dujardin Düngefeld Durozey Ebbing Eccarius Eisermann Elbourne Ellinger Engelskirchen Esser Fabeck Feige Feist Feist Daniel Lea Manuel Alexander Kevin Jan-Hendrik Simon Alexander Lennart Alexander Lars Justus Jonas Fabian Till Maximilian Benedikt Lucas Ann-Cathrin Kai Andreas Jörn Christine Dennis Vincent Lothar Wolff-Hasso Philippe Marcel Julien Lucas Lennard Kevin Christopher Darius Lukas René Sören Sven Jonas Christopher 389 Leutnantsbuch Fessel Fischer Fischer Flassig Flechtner Fliege Förster Frankrone Freese Freiherr von Bodenhausen Friedrich Friese Fuhsy Gabler Galle Gassner Gatermann Gebelein Gebhardt Gehrmann Geisensetter Germershausen Gerstenlauer Giebel Gieczinski Gierschek Gillmann Glathe Glißmann Gödden Gojny Gök Gooßen Gorniak Kevin Patrick Bernd Patrick Timo Eric Philipp Tom Felix Hendrik Bodo Jacob Michel Marcus Marco Sylvester Raphael Siegfried Torsten Dominik Sophia Alexander Tim-Dennis Paul Pascal Björn Luis Martin Lorenz Eugen Nina Niklas Bernhard Hans Rene Dennis Gregor Lukas Max Tobias David Adrian Sema Thorben Jean-Pierre 390 Leutnantsbuch Gotthardt Gotthardt Groll Grüneberg Gueret Gutbier Habedank Haffer Hafner Hagenhoff Hahn Hahn Halama Hallmann Hanschmann Hanßen Harders Harmel Härtel Hartmann Haß-Heinrich Hauck Haupt Hausen Hayduk Hecht Heeger Heftrich Heiderich Hellwege Helmhold Henneboh Hennek Fabian Tim Florian Nicolai Sophie Tim Lars Matthias Mario André Madeleine Sebastian Dennis Peter Paul Frederik Jan Christopher Martin Philip Sven Hendrik Dustin Florian-Arne Eric Oliver Jürgen Laura Daniel Mario Tobias Marcus Oskar Felix Dennis David Luca Leon Mark Ansgar Felix Sophie Daniel 391 Leutnantsbuch Hentschel Herms Herrmann-Leblanc Heymann Hichert Hilbert Hillesheim Hinzmann Hofer Höhn Höhne Hönicke Hoppelshäuser Hornbostel Hörnlein Houbertz Hüpenbecker Iburg Jähne Jannott Janßen Jegust Jetten Jürgens Jürgensen Kahren Kaijser Kallabis Kallas Kampe Kappe Keppke Keppler Kern Benedikt Jonas Florian Michael Toni Christoph Patrick Tobias Joshua Marc-André Lukas Johannes Marco Marco Wiebke Maria Jasmina Sven Timm Oliver Felix Lukas Per Ake Folke Tim Domenic Pascal Felix Rahel Benedict Lukas Markus Marec Nick Mate Sebastian Waldemar Maximilian René Philipp Mario Daniel Lutz Patrick Simon 392 Leutnantsbuch Kiel Kieselbach Kirchhoff-Mathenia Kirchner Klaus Klenovits Klink Klisch Klitsch Kloss Klüber Kluck Knetsch Kobza Kocakaya Koch Koch Köhler Köhler Köhler Kolodzeiski Koop Koppitz Korb Korf Kortus Koschnitzki Krabbenhöft Krause Krause Kregel Kremer Krempin Nelli Marcus Maximillian Alexander Alexander Daniela Nico Sebastian Oliver Patrick Annika Felix Maiken Finn Ann Aaron Matthias Christopher Christoph Wolf Alfred Nick Sven Max Christin Sebastian Robin Valentin Isabel Daniel Kai-Curtis Maximilian Nickelas Marvin Maryna Robin 393 Leutnantsbuch Kreutzer Kreye Kröger Krone Krüger Krüger Kubatz Kubis Kuchenmeister Kudla Kühn Kuhnigk Kuntz Kunz Küpper Lahnert Lake Laritzki Last Lätsch Lattmann Lau Le Lechelt Lehmann Levin Liedtke Lindemeier Lindner Linke Linz Lipka Loges Lohf Marina Merle Florian Pierre Yves Charline Chiara Martin Paul Tobias-Maximilian Andre Horst Günter Benedict Benjamin Philipp Fabian Alexander Christoph Lucas Simon Leonard Christopher Dominik Daria Jessica Nils Alexander Heiko Philipp Trong Anh Norman Fabian Katerina Brian Bernd Tobias Henrik Christopher Lennart Malte Lukas Georg+I453 Patrick Marian Daniel 394 Leutnantsbuch Lohmann Lorenzen Lorenzen Lübke Lumma Macht Mai Maier Makagon Maksimenko Manig Mans Manthey Marchand Marciniak Mark Masdorf Matusov Meinköhn Meins Mertens Meusel Michalides Mischke Modrow Mohtaschemi Moll Monien Morad Morthorst Müller Müller Müller Domenic Thomas Harry-Lee Lars Leonhard Julius Jan-Ralf Alexander Nikolai Maximilian Robin Clemens Michael Eric Jan Philipp Keven Jerome Paul Lisa Christine Vivian Vanessa Stanislav Jos Philipp Tim Werner Marvin Lukas Niklas Benjamin Iradj Walter Andreas René Dani Jan Stefan Matthias Lukas Michael 395 Leutnantsbuch Müller Mushfiq Musial Mußmann Nebe Netzker Neu Neubert Neufeldt Nickel Nienaber Nitzsche Nyary-Norman Obladen Ogrisek Osmers Ossarek Östreich Ott Oude Hengel Paczelt Pankoke Parnow Paszkiewicz Patschke Paul Pawelczyk Pawletzki Peckmann Peinke Pelzer Perlt Petersen Peuker René Masih Jakub Steven Kevin Florian Nico Christian Dennis Florian Christian Christian Christop Alexander Melchior Wolfgang Theodor Björn Carsten Florian Julian Metin Jean-Pascal Laurent Max Philipp Julian Marcel Steven Pascal Erich Oliver Sven Bastian Ronnie Vanessa Nina Dennis Carsten Peter Martin Alexander Niklas Andreas 396 Leutnantsbuch Pfenning Philipp Pichol Pieper Pink Pinnell Plicht Powalowski Prädel Prange Priebe Priemer Prüller Pulver Quast Rabe Rachau Rahe Reble Recker Rehme Reichelt Reineke Reininger Reinke Rekittke Repenning Reuschel Ricke Rieger Ringkamp Ritzke Roer Simon Robert Jan Jonas Max Daniel Vanessa Fionn Tristan Jeremias Paul Bastian Kai Uwe Niklas Carl Christoph Maximilian Marco Dominik Eckehard Bastian Sven Nikolai Dieter André Stephan Fabian Marvin Tristan Alexander Tim Robin Marcel Martin Gerrit Bernhard Christopher Matthias Martin Tobias Nils Marcel Brian Christopher 397 Leutnantsbuch Röper Rose Rosenkranz Roslak Roß Roth Rückwardt Rusch Sauer Sauer Sauerwein Scaruppe Schack Schäfers Scheller Schenck Schiek Schippereit Schloddarick Schlumberger Schlüter Schmid Schmidt Schmidt Schmidt Schmidt Schmiege Schmitz Schneer Scholt Scholz Scholz Scholz Schönhals Tristan Patrick Daniel Max Kevin Marcel Marko Andreas Sönke Julian Rocky Gerrit Rene Thomas Ole Christian Sebastian Niko Patrick Claudia-Marietta Eike Rainer Tony Tim Ingo Malte Pascal Wolfgang Günter Matthias Christopher Laurenz Steve Nick Patrick Julian Pascal Marvin Frederik Lars Olaf Alexander David John Benedict 398 Leutnantsbuch Schophoven Schratz Schröder Schröder Schroer Schulz Schulz Schulz Schulz Schulz Schwarz Schwarze Senke Siemsen Siemund Siering Skähr Smal Sobieski Sölch Sonntag Spanier Spiewack Stapelfeld Stefer Steinborn Stödter Stoilov Strohwig Strubenhoff Stümmel Stutenz Suder Lars Julian Jana-Carina Kai Adrian Dennis Tina Christoph Reiner Gerhard Hannes Robert Maximilian Alexander Diana Maria Jan Jan Christoph Alexander Fredrik Jan Roger Florian Paul Wladislaw Finn-Bastian Friedrich-Franz Martin Florian Maximilian Benjamin Marius Janina Achim Atanas Angelov Meik Marcel Manjana David Tim Horst 399 Leutnantsbuch Sundarp Syska Szarko Szews Tandetzke Taube Tautorat Teeke Telke Temmesfeld Tenter Thees Theis Thewes Thomas Thomas Thun Tiemann Tintor Topolski Trenz Triebsch Tröder Tüffers Turunc Twiehaus Unterbrink Vahland Valz-Brenta van de Meulenreek Vanderliek Vofrei Vogt Vogt Lukas Nicolai Patrycja Maik Kjell Fabian Malte Annika Amy Johannes Christian Marvin Conny Julian Herbert Dominik Adrian David Patrick Melvin Dominic Tomas Fabian Kristina Marven Stefan Kevin Mete Han Tim Jan Jessica Dante Pascal Alina Kai Philipp Michelle Sabrina Marius 400 Leutnantsbuch Völkening Völlmecke von Aderkas von der Brelie von Diest von Hohnhorst von Kempis von Pachelbel-Gehag von Stetten Vörding Vorwerk Vossfeldt Wahle Walbroel Waldmann Warnecke Weber Wegener Wegner Wegner Wehe Wehner Weide Weidling Weigert Weinhart Weise Weißenfeld Wellensiek Welte Wente Wenzel Weßelbaum Alexander Tim Mauritz Johannes Carl Erik Caspar Constantin Felix Clemens Ferdinand Albrecht Justus Georg Wolfgang Philipp Paul Carl Hendrik Lukas Michael Sascha Thomas Florian Christian Jan-Niklas Tom Adrian Sebastian Robin Hans Michel Kevin Robin Jonas Tim Florian Philip Tobias Sören Maximilian Armin Benjamin Felix Wolfgang David Alfred Dominik Achim Philipp Wilfried Matthias Alexander 401 Leutnantsbuch Wichmann Wiegel Wilde Willma Winiker Winkhoff Winkler Winner Wisch Wissel Wöltje Worbis Worch Wottke Wroblewski Wulf Wulff Wurdinger Wurf Wuttke Wypchol Zachries Zeißig Zeleznakov Zerbe Zessin Ziegler Zielinsky Zilius Zöllner Christian Andre Alexander Vito Boris Michael Philipp Joshua Colin Michael Julian Ric Alexander Daniel Eric Marvin Ferdinand Alexander Karl Dario Hendrik Marvin Lasse Marie-Luise Martin Manuel Richard Michael Julius Konstantin Max Aleksej Stefan Nils Björn Ake Norbert Marvin Friedhelm Jan-Bennet Philip 402 Leutnantsbuch Wo finde ich mehr? Die grundlegenden Dokumente für den Dienst in der Bundeswehr müssen von jedem Offizieranwärter gekannt werden. Dazu zählen vor allem das „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ sowie die Zentrale Dienstvorschrift 10/1 (vom 28.01.2008) „Innere Führung“. Das Weißbuch erläutert die Sicherheitspolitik Deutschlands in ihren strategischen Rahmenbedingungen und in ihren Werten, Interessen und Zielen. Die ZDv 10/1 legt die Konzeption der Inneren Führung fest. Als grundlegende Vorschrift für den Dienst in der Bundeswehr bietet sie eine werteorientierte und praxisnahe Anleitung für erfolgreiches Führen. Die Vorschriftenstellen, Truppen- und Stabsbüchereien sowie die Bibliotheken an den Bildungseinrichtungen der Bundeswehr führen oft sehr reichhaltige Bestände an Fachliteratur, nicht nur zu militärspezifischen Themen. Informieren Sie sich auch über deren Neuanschaffungen. Die folgenden Empfehlungen zum Weiterlesen sind nach einigen zentralen Themenbereichen geordnet, die in enger Beziehung zu wesentlichen Aussagen dieses Buches stehen. Dabei wurden aus der Fülle der vorhandenen Literatur nur Buchtitel zur Vertiefung der Thematik ausgewählt, die als Standardwerke gelten, sich einer guten Lesbarkeit erfreuen und im Regelfall erschwinglich sind. Einige Titel sind leider nur noch über Bibliotheksausleihe oder antiquarisch erhältlich. Lassen Sie sich von den genannten Büchern ansprechen. Sie bilden eine wertvolle, kleine Handbibliothek für die Stunden der Bildung und Betrachtung. 403 Leutnantsbuch Philosophie Kunzmann, P./Burkard, F.-P./Wiedmann, F./Weiß, A.: dtv-Atlas zur Philosophie. Schischkoff, G. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Weischedel, W.: Die philosophische Hintertreppe. Die großen Philosophen in Alltag und Denken. Ethik und Lebensführung De officio. Zu den ethischen Herausforderungen des Offizierberufs. (Hrsg. im Auftrag des Evangelischen Militärbischofs vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr). Knigge, A. Freiherr von: Über den Umgang mit Menschen. Pieper, J.: Das Viergespann. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. Innere Führung Reeb, H.-J./Többicke: Lexikon Innere Führung. Hartmann, U.: Innere Führung. Erfolge und Defizite der Führungsphilosophie für die Bundeswehr. Schlaffer, R./Schmidt, W. (Hrsg.): Wolf Graf von Baudissin 1907 – 1993. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung. 404 Leutnantsbuch Führungskompetenz Oetting, D. W.: Auftragstaktik. Oetting, D. W.: Motivation und Gefechtswert. Vom Verhalten des Soldaten im Kriege. Spannagel, P.: Von Friedrich II zu Graf Wolf von Baudissin: Betrachtungen der Leitbilder deutscher Offiziere und Ausbilder. Sicherheitspolitik Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.): Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff. Meyer, E.-Ch./Nelte, K.-M./Schäfer, H.-U.: Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld. Münkler, H.: Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Tradition und militärisches Brauchtum Abenheim, D.: Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten. de Libero, L.: Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert. 405 Leutnantsbuch Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Transfeldt, W., Stein, H.-P. (Hrsg.): Wort und Brauch in Heer und Flotte. Militärgeschichte Bremm, K.-J./Mack, H.-H./Rink, M. (Hrsg.): Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. Keegan, J.: Das Antlitz des Krieges. Fiedler, S./Ortenburg, G.: Taktik und Strategie, Waffen. Von den Landsknechten bis zu den Millionenheeren. 10 Bände. Hammerich, H./Schlaffer, R. (Hrsg.): Militärische Aufbaugeneration der Bundeswehr 1955-1970. Ausgewählte Biographien. Hammerich, H./Kollmer, D./Rink, M./Schlaffer, R.: Das Heer 1955-1972. Konzeption, Organisation, Aufstellung. Heuser, B.: Clausewitz lesen. Eine Einführung. Huck, S.: Geschichte der Freiheitskriege. Begleitbuch mit CD-ROM. Luckszat, J.: Die Reichseinigungskriege. Begleitbuch mit CD-ROM. 406 Leutnantsbuch Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Grundkurs deutsche Militärgeschichte. 3 Bände und 1 DVD. Müller, R.-D./Volkmann, Mythos und Realität. H.-E.: Die Wehrmacht. Schieder, Th.: Friedrich der Große. Frieser, K.-H.: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940. Widerstand Benz, W./Pehle, Widerstandes. W.-H.: Lexikon des deutschen Hosenfeld, W.: Ich versuche jeden zu retten. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Klemperer, K./Syring, E./Zitelmann, R. (Hrsg.): „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli. van Roon, G.: Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime. Kriegsbriefe und Tagebücher Baumann, M. (Hrsg.): Feldpostbriefe. Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan. 407 Leutnantsbuch Groos, H.: Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan. Hammer, I./zur Nieden, S. (Hrsg.) Sehr selten habe ich geweint. Briefe und Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg von Menschen aus Berlin. Klemperer, V.: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945. Klepper, J.: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932–1942. Kuhlen, K.: Um des lieben Friedens willen: Als Peacekeeper im Kosovo. Witkop, P. (Hrsg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten. Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. Mit einem Geleitwort von Franz Josef Strauß. „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“. Deutsche Briefe von der Ostfront 1941–1945. Aus sowjetischen Archiven. Mit einem Vorwort von Willy Brandt. Weitere Klassiker zur Militär- und Kriegsgeschichte Bamm, P.: Die unsichtbare Flagge. Eksteins, M.: Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg. Fallada, H.: Jeder stirbt für sich alleine. Flex, W.: Der Wanderer zwischen beiden Welten. Ein Kriegserlebnis. 408 Leutnantsbuch Fontane, T.: Der Krieg gegen Frankreich 1870-71. Ein Kriegsbericht in 2 Teilen. Fontane, T.: Schach von Wuthenow. Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes. Hasek, J.: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jünger, E.: Das gesamte Frühwerk. Köppen, E.: Heeresbericht. May, K.: Der Weg nach Waterloo. Lawrence, T.E.: Unter dem Prägestock. Lernet-Holenia, A.: Die Standarte. Plievier, Th.: Stalingrad. Ranke-Graves, R. von: Strich drunter. Remarque, E.M.: Im Westen nichts Neues. Renn, L.: Adel im Untergang. Renn, L.: Krieg/Nachkrieg. Roth, J.: Radetzkymarsch. Tuchman, B.: August 1914. Unruh, K.: Langemarck. Legende und Wirklichkeit. 409 Leutnantsbuch Glossar Kategorisierung der Beiträge Leutnantsbuch 1. Menschenführung 2. Politische Bildung 3. Dienstgestaltung und Ausbildung 4. Informationsarbeit 5. Organisation und Personalführung 6. Fürsorge und Betreuung 7. Vereinbarkeit von Familie und Dienst 8. Seelsorge und Religionsausübung 9. Tod und Verwundung 10. Auftreten des Offiziers zusätzlich wird zwischen Grundbetrieb (GB) und Einsatz (E) unterschieden. Beitrag Kategorie Der Bierdeckel Das Zeitspiel Zugführer in einem binationalen Verband Führungsverantwortung im Gefecht Die Vorstellung beim Kommandeur Das Grab Beförderungsappell zum Gefreiten Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit Das Gefechtsschiessen 1,3,5 3,5 1 GB X X X 1,6,9,10 X 1,10 9 X X 1,5 X 1,3 1,3,5,10 X X 410 E Leutnantsbuch Beitrag Mut gegenüber Vorgesetzten Der erste Einsatz Der richtige Zeitpunkt für die Schwangerschaft Neuland Hölle Schneid!? Nur noch 100 Meter! Wasserwärts Marsch! Vorurteile Kameradschaft ISAF-ANSF: eine schwierige Beziehung Feldposten KHANABAD Jointness Der Brief Glauben hilft! Der Spind Die Truppenpsychologin Primus inter pares Reserve im Schwerpunkt Einsatz beim OMLT in AFGHANISTAN Medien im Einsatz Der kühle Kopf Kategorie GB 1,10 4,6,7 X 1,6,7 1,3,5 1,6,8 1,3,10 1,10 1,2,3 1,2,10 1,6 X X X X X X X X X X 1,6,9,10 1,10 4,5 6,7 8 10 1,6,8 1,10 E X X X X X X X 5,9,10 X 1,3,5 3,4 1,6,10 X X X 411 Leutnantsbuch Beitrag Kategorie GB Führen von irgendwo Haar- und Barterlass, Piercing und Tatoos Totengedenken Soldatin, Soldaten Ehefrau und Mutter Beim Handgranatenwerfen Bergebereitschaft RC North – „Logistik in Nebenfunktion!“ „Psychokram“ Auf der Standortschießanlage Offizierabend mal anders Soldaten muslimischen Glaubens in der Bw Erlebnisse im Stab PRT KUNDUZ Todesnachricht Das Offizierkasino Das Einführungsgespräch Der „robuste Soldat“ Der Suizid Die Gneisenaukaserne ... lieber spät als nie! Der Anschlag Team „Hotel“ 10 X 1,10 8,9 X 3,6,7 X 1,10 X X X 1,4 1,10 X 1,10 X 1,3,10 X 6,8 X 10 1,4,6,8,9,10 4,6 1 3 6,9 2,3 10 1,6,7,9,10 1,10 412 E X X X X X X X X X X Leutnantsbuch Beitrag 24 Stunden als Zugführer in KUNDUZ Der NIJMEGENMarsch Zeitmanagement „Regen“ Die Veteranen Das Dilemma Die neue Verwendung Menschenführung im Einsatz Allein unter Grenadieren Unter Männern Ein Tag im Ausbildungsverband des GefÜbZ H „Lernen als Springer“ Das offene Ohr Warum Offizier? Der Spieß fällt aus Als Seelsorger in AFGHANISTAN Kategorie GB 1,3,6,10 1 1,5,10 5,6 2,4 2,4,10 1,3,10 X X X X X X X 1,3,6,7,9,10 X 1,3,10 1,3 X X 3,10 1,3,10 1,6 1,6 1,3,5 X X X X X 8 X 413 E Leutnantsbuch Notizen Auf den folgenden Seiten können Sie Ihre eigenen Auffassungen zu Ihrem beruflichen Selbstverständnis als Offizier des Deutschen Heeres oder Anmerkungen zu Ihrem persönlichen Werdegang niederschreiben. 414 Leutnantsbuch 415 Leutnantsbuch 416