als PDF - Katharina von der Leyen

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als PDF - Katharina von der Leyen
62 KULTUR
W E LT A M S O N N TA G N R . 9
DIE LISTE
POP
Unsinkbarer Nachbau
Nahaufnahme
(Warner)
Mildes Spätwerk mit
rätselhaften
Texten, aber
ohne nerviges
Gegröle
1
Jeder, der dem Sänger Marius
Müller-Westernhagen einmal Divenhaftigkeit unterstellt hat, sollte
bedenken: Viel schneller beleidigt
als der Star selbst sind seine Fans.
Es sind die Schlachten der frühen
90er Jahre, die zum Erscheinen
seiner neuen, 17. Studioplatte, sie
heißt „Nahaufnahme“, noch einmal geschlagen werden.
Die zahlreichen Claqueure, die
ihrem Idol selbst dessen voriges,
wirklich sehr mißglücktes Album
„In den Wahnsinn“ haben durchgehen lassen, feuern gegen eine
vermeintliche „Cool-Fraktion“ (so
der Schriftsteller Benjamin von
Stuckrad-Barre im „Spiegel“). Sie
tun so, als gelte es, den von Westernhagen verkörperten Deutschrock gegen all die jungen deutschen Bands zu verteidigen, die
mit diesem Deutschrock nichts zu
tun haben wollen. Ihnen allen
möchte man ein Zitat Inga Humpes entgegenhalten: „It’s only music!“ Denn es kann doch gesellschaftspolitisch im Jahr 2005 kaum
von aktueller Bedeutung sein, daß
die Masse der Deutschen sich für
Marius Müller-Westernhagen entschieden hat und nicht mehr die
Sauerkrautpolka hört oder gar den
Badenweiler Marsch.
Auch, weil der längst altbacken
gewordene Stones-Sound, den
Westernhagen so lange gemacht
hat, nicht vor reaktionärer Gesinnung schützt: In dessen Heimatstadt Hamburg konnte man einst
den Innensenator Schill beim
Bluesrockkonzert
beobachten.
Womöglich hat Westernhagen die-
2
Ulrich Pleitgen paßt seine
Stimme der Geschichte an:
Atemlos jagt er durch Baldaccis
„Abgrund“, in seinem neuesten
Hörbuch, Mankells „Fünfte Frau“,
mit angemessener Trägheit.
3
Christian Brückner ist die
Synchronstimme von Marlon
Brando, Harvey Keitel und Robert
de Niro, wird „die Stimme“ genannt, liest voller Melancholie
und lakonischer Gelassenheit.
4
Marlen Diekhoff ist festes
Ensemble-Mitglied am Hamburger Schauspielhaus und eine der
großen Damen des deutschen Theaters. Sie liest ihre Sprechrollen nicht
nur, sie spielt sie.
5
Ulrich Matthes spielte Goebbels in „Der Untergang“. Er
gibt seiner Stimme Gebrochenheit und Skepsis – wie etwa in
seiner großartigen Lesung von
Murakamis „Mr. Aufziehvogel“.
6
Rufus Beck Durch „Harry
Potter“ hatte man sich an ihm
fast sattgehört, da überraschte er
mit Literatur, die er überraschend
anders, ruhig, ungekünstelt und
eindringlich liest.
Wea
7
Nina Petri Die Schauspielerin, die gerade „Anna Gavalda“ aufgenommen hat, beherrscht mit ihrer tiefen Stimme
die ganze Ton-Palette: von Spott
über Erotik bis zu Eiseskälte.
Von Johnnie Walker zu Jack Daniels: Westernhagen entschleunigt
8
Sebastian Koch liest nicht
sehr häufig, dann aber emphatisch, eher skeptisch, etwas
spröde. Als Sprecher hat der TVStar („Stauffenberg“) sozusagen
kein Gramm Fett in der Stimme.
9
Heikko Deutschmann hat
dieses rauchig-zurückgenommen Distanzierte in der
Stimme: sehr sexy und langsam.
Von ihm würde man sich auch
das Telefonbuch vorlesen lassen.
10
Walter Kreye aus der Riege
der Hamburger ThaliaSchauspieler spricht so gefühlvoll
und spielerisch leicht wie kaum ein
anderer. Deshalb liest er wohl auch
die Pilcher-Hörbücher.
Katharina von der Leyen, Autorin
der „Welt am Sonntag“, liebt Hunde
und Hörbücher
THE POLAROID
BOOK Wie
Künstler mit
Sofortbildern
arbeiteten.
(Herausgeber:
Steve Christ,
Taschen Verlag,
29,99 Euro)
seinem neuen Album klingt Westernhagen abgeklärt, fast friedlich
Reiner Unglaub studierte
Sprechwissenschaft, ist von
Geburt an blind und liest, wie
talentierte Eltern es am Bettrand
machen: warm und unaffektiert.
se Problematik, im Gegensatz zu
seinen Bewunderern, erkannt.
Denn mit „Nahaufnahme“ eröffnet
der 56jährige offenbar sein Spätwerk – indem er sich von seinem
Markenzeichen abwendet: Nur in
einer einzigen Zeile eines einzigen
Songs setzt er zu dem für ihn typischen Jägermeister-Röhren an, das
Songs wie „Sexy“ geprägt hat. Ansonsten werden die 14 Lieder getragen von einer äußerst gepflegten, nicht nur in ihrer Gemächlichkeit an die Jack-Daniels-Werbung
erinnernden Atmosphäre.
Der aus Lynchburg, Tennessee
bekannte Anspruch, dem Kunden
ausgeklügelte Qualität zu bieten,
spiegelt sich im Einsatz von Flügelhorn, Cello, Harmonium oder
Tuba. Dazu singt Westernhagen
leise, gebremst. Die Texte sind
mitunter rätselhaft nichtssagend:
„Deine Hände verraten mir, daß
ich dir nicht fremd bin, daß ich
noch Leben in mir spür“; doch es
ist Westernhagen hoch anzurechnen, daß er sich (bis auf ein, zwei
Ausreißer) von den Schnurren vergangener Tage ebenso verabschiedet hat wie von der peinlichen Psychopaten-Travestie des vorigen Albums. Es könnte sein, daß dieses
Album als Antwort auf Grönemeyers „Mensch“ geplant war. Herausgekommen ist letztlich eher
eine Mischung aus Robbie Robertson, Chris Rea und Sade. Musik
also, die an jene Raddampfer erinnert, die in Westernhagens Wohnort auf der Elbe verkehren: Den
Mississippi haben sie nie befahren. Doch geben sie einen ordentlichen Nachbau ab und sind bis heu•••;;
te nicht gesunken.
Sebastian Hammelehle
Damien Rice „O“ (14th Floor Re-
cords) ist von dem Mann, dessen
„The Blower’s Daughter“ zu Beginn des Films „Hautnah“ läuft.
Schöne, folk-artige Musik für er••••;
wachsene Mädchen.
KINO
Unangefochten von Zweifel oder Schwäche
Sophie
Scholl – die
letzten Tage
Preisgekröntes Drama
über die
„Weiße
Rose“, mit
Julia Jentsch
Der Film hat viel Lob und zwei
Berlinale-Bären erhalten, Julia
Jentsch für die Hauptrolle, Marc
Rothemund für die Regie. So gesehen ist er schon jetzt ein Erfolg, die Geschichtslehrer der
zahlreichen Geschwister-Scholl-
Schulen werden das ihrige tun.
Dagegen ist nichts einzuwenden.
Die Geschichte der „Weißen Rose“, jener Gruppe Münchner Studenten, die sich dem Nazi-Regime widersetzte und beim Verteilen von Flugblättern aufflog,
ist eines der wenigen Beispiele
untadeligen Verhaltens Deutscher im Dritten Reich. Und genau das ist, aus dramaturgischer
Sicht, das Problem.
Sophie Scholl, die Hauptfigur
des Filmes, war unangefochten
von Zweifel oder Schwäche. Und
genauso, mit einem Hauch mädchenhafter Schwärmerei und in
der Tradition der frühen Angela
T
T
2 7 . F E B R UA R 2 0 0 5
FOTOBAND
Menschen,
denen Sie
zuhören sollten Seine Fans und Freunde verteidigen ihn – gegen was eigentlich? Auf
Katharina von der Leyen
kürt die besten
Hörbuchsprecher
Deutschlands
T
Winkler, spielt sie Jentsch. Sie
spielt eine Gläubige, ein Vorbild,
eine Heldin. Beim Verhör lügt sie
wie ein Profi, den Prozeß nutzt
sie als Auftritt, geht „offen und
gerade“ in den Tod.
Nur bei der Abschiedszigarette
mit den Mitverschwörern Hans
Scholl und Christoph Probst blitzt
etwas auf, was den Film interessant, vielleicht sogar frech hätte
machen können: ein jugendliches
Zusammengehörigkeitsgefühl,
das mehr ist als nur gutes Gewissen und Glaubensstärke – nämlich
tollkühner Hochmut gegenüber
Erwachsenenwelt und Tod. Das
war dem Regisseur, der mit die-
Anzeige
+
sem Film vielleicht allzu konsequent das Rollenfach gewechselt
hat, offenbar zu heikel. Exzentrik erlaubt sich der Hochbegabte nur bei der Aufnahme leerer
Treppenhäuser. So ist die Heldengeschichte „Sophie Scholl“
wenig mehr als gehobenes
Schulfernsehen.
••;;;
Adriano Sack
Egoshooter In diesem Film führt
Tom Schilling ein symbiotisches
Leben mit seiner Digitalkamera,
filmt sich und Freunde bei Sex
und Nichterwachsenwerden.
•••;;
Oberfläche
und Chemie
Es war eines der paradigmatischen Yellow-Press-Bilder der
letzten Jahre: Brad Pitt, Matt Damon und George Clooney an Bord
einer Yacht auf dem Comer See.
Der eine springt ins Wasser, der
andere hat die Digitalkamera im
Anschlag, ein Paparazzo wiederum hält beides im Bild fest. Die
Gleichzeitigkeit von Erleben und
Erinnern, Idealzustand im Medienzeitalter, war damit nahezu
vollendet.
Insofern hat der neue Bildband
„The Polaroid Book“ etwas Rührendes: Er zeigt Sofortbilder aus
der firmeneigenen Sammlung, die
Fotos der letzten 50 Jahre umfaßt.
Eine Galerie der damals besonders gegenwärtigen Gegenwart;
und heute, angesichts allgegenwärtiger Digitaltechnik, schon
wieder ein Anachronismus.
Es sind in diesem schmalen,
schicken Band eine Reihe renommierter Fotokünstler vertreten,
von Ansel Adams über Helmut
Newton und Fazal Sheikh bis Andy Warhol. Und an den Bildern
läßt sich vor allem erkennen, daß
die trocken sich selbst entwickelnde positive Herausforderung und
Beschränkung zugleich waren.
Die Schnelligkeit und glamouröse Schlampigkeit des Mediums
paßten vielleicht in keine Zeit besser als in die 80er Jahre, aus denen
auch besonders viele der gezeigten Bilder stammen. Sie forderten
Selbstinszenierung und radikales
Momentdenken geradezu heraus,
gerade weil ihnen die Tiefenschärfe abging. Die Welt, wenn man
den Polaroids glauben durfte, war
eine glatte Oberfläche und dahinter ein paar Chemikalien.
Doch die Bilder zeigen auch,
wie sich die Künstler dem Medium widersetzen, wie sie ihm
Komposition, Ordnung und Größe aufzwangen, das Licht mit
Sorgfalt setzten und mit mehreren Motiven komponierten bis
hin zu der Komplexität David
Hockneys, der mit seiner Collage
„Interior, Pembroke Studios London“ von 1986 eine ebenso geschmäcklerische wie oszillierende Weltsicht schuf.
Bei Robert Mapplethorpe, dem
scharfkantigen Manieristen, wirken die Polaroids wie zartere
Skizzen. Das Porträt eines hokkenden Kindes gehört zu seinen
••••;
schönsten Bildern.
Adriano Sack
Life of Buddha Auch der DJ Sven
Väth glaubt an die spirituelle
Macht der Delphine. Stimmig,
daß der ehemalige Techno-Verlag
Die Gestalten nun EsoterikKitsch herausbringt. Dafür haben
;;;;;
wir nicht getanzt!
HÖRBUCH
„Macbeth“
Katharina
Thalbach
spricht allein
die ganze
Tragödie
(4 CDs,
Tacheles,
19,90 Euro)
Mörder in
der Nacht
Katharina Thalbach führt ganz
allein durch die Nacht. Sie flüstert
dabei, sie wispert und donnert.
Denn die Schauspielerin spricht
gleich alle Rollen in William
Shakespeares Tragödie „Macbeth“. Darin geht es um Mord,
Machtgier und Wahnsinn, um
schlaflose Träume und verzerrte
Realitäten im Schottland des 11.
Jahrhunderts. Und um einen
Mann, der von den Prophezeiungen dreier Hexen getrieben, sich
Mord für Mord dem Königsthron
nähert. Macbeth, Than von Cawdor, ist bei Thalbach von Anfang
etwas dümmlich, schicksalsergeben. Er tötet eher beiläufig. Seine
Frau, Lady Macbeth, dagegen ist
die kaltblütigere: „Kommt her, ihr
Geister“, beschwört sie, „die ihr
den Mordgedanken dient, löscht
aus, was an mir Frau ist, und füllt
mich völlig aus vom Scheitel bis
zum Zeh mit Grausamkeit, der kältesten.“ Thalbachs Stimme läßt
den Hörer an dieser Stelle schaudern. Lüstern, warm und kein bißchen zweifelhaft klingt ihre Lady.
Lebhafter sind nur ihre drei Hexen, sie schnattern, überbieten
sich mit Boshaftigkeiten, sind ohne
Mitleid für ihre menschlichen Marionetten. Ihre Sprache ist direkt
und aufgeräumt. Denn die Übersetzung des 2001 verstorbenen
Thomas Brasch verlegt das 1608
geschriebene Stück in die Jetztzeit.
Im Booklet beschreibt Thalbach
die Entstehungsgeschichte zu
Braschs Shakespeare-Übersetzungen. Sie macht das in einem sehr
persönlichen Ton, denn sie und
Brasch waren einst ein Paar. Und
so bekommt das Hörbuch eine
zweite Ebene. Die Hörer sehen
sich inmitten einer privaten Lesung: Thalbach für Brasch.
•••••
Diana Zinkler
„Die Dame im Nebel“ von Lester
Powell. Ein Mordfall, schöne
Frauen und ein smarter Privatdetektiv im London der 50er Jahre.
Schnelle Dialoge und packende
Musik (Der Hörverlag, 4 CDs,
•••••
24,95 Euro).
sehr gut • • • • • gut • • • • ; befriedigend • • • ; ;
ausreichend • • ; ; ; mangehaft • ; ; ; ; ungenügend
;;;;;