(„Nachtwagen“) Lösungsskizze [Zur ausformulierten Falllösung vgl

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(„Nachtwagen“) Lösungsskizze [Zur ausformulierten Falllösung vgl
(„Nachtwagen“)
Lösungsskizze
[Zur ausformulierten Falllösung vgl. Schwaab,
JuS 2015, 621 ff.]
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Strafbarkeit des A
A. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a StGB durch Entwenden der Wertgegenstände
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde bewegliche Sache (+)
b) Wegnahme (+)
c) Qualifikation gem. § 244 I Nr. 1a Alt. 1 StGB
• Springmesser ist eine Waffe (Fischer, StGB, § 244 Rn. 11;
Schönke/Schröder-Eser/Bosch, StGB, § 244 Rn. 3 m. w. N.)
EXKURS: (P) Einschränkung des § 244 I Nr. 1a Alt. 2 StGB für andere
gefährliche Werkzeuge (Teppichmesser, Schraubenzieher etc.)
 objektive Theorie: die Gefährlichkeit eines Werkzeugs bestimmt sich
allein nach objektiven Kriterien
 subjektive Theorie: gemäß dem gesetzgeberischen Willen sei eine
Verwendungsabsicht vorausgesetzt
 Widmungstheorie: entscheidend ist, ob der Gegenstand losgelöst von
der konkreten Tat zum gefährlichen Einsatz gewidmet ist
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Strafbarkeit des A
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (+)
b) Vorsatz bzgl. § 244 I Nr. 1 Alt. 1 StGB (+)
c) Absicht rechtswidriger Zueignung (+)
II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
III. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 1 StGB (+)
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Strafbarkeit des A
B. § 249 I StGB durch Kampf mit Z
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) fremde bewegliche Sache (+)
b) Wegnahme (+)
 Gewahrsamswechsel an Bargeld und Mobiltelefon erfolgte, als A und sein
Mittäter diese Gegenstände ergriffen und die Abteile der Opfer verließen
c) Einsatz von Raubmitteln (hier: Gewalt und qualifizierte Drohung) (+)
d) Objektive Beziehung zwischen Raubmitteln und Wegnahme
(P) Welche Anforderungen sind an die objektive Beziehung zwischen
den Raubmitteln und der Wegnahme zu stellen?
 MM: es muss ein objektiver Kausalzusammenhang bestehen
 hM: es ist ein enger örtlich-zeitlicher Zusammenhang erforderlich
• Arg: bei § 249 StGB muss anders als bei § 240 StGB der Taterfolg nicht
„durch“ Drohung erreicht werden, sondern nur „unter Anwendung von“
Drohung
 Nach beiden Ansichten kein Raub, da in Anwendung des „In dubio pro
reo“-Satzes schon kein enger zeitlicher Zusammenhang vorlag
II. Ergebnis: § 249 StGB (-)
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Strafbarkeit des A
C. § 252 StGB durch Kampf mit Z
I. Tatbestand
- Objektiver Tatbestand
a) bei einem Diebstahl
(P) Anwendungsbereich von § 252 StGB?
 hM: § 252 StGB ist im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung
des Diebstahls anwendbar
 MM: Anwendungsbereich des § 252 StGB beginnt erst mit der tatsächlichen Beendigung des Diebstahls
 Zw-Erg: Hier liegt noch keine Beendigung der Tat vor. Daher (mit der
überzeugenden h.M.): bei einem Diebstahl (+)
[Arg.: Nach der Gegenauffassung bleibt für § 252 StGB kaum ein
Anwendungsbereich!]
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Strafbarkeit des A
b) auf frischer Tat betroffen
(P1) Was ist unter „betroffen“ zu verstehen?
 MM1: ein Betroffen-Sein liegt nur dann vor, wenn das Opfer den Täter als
Dieb wahrnimmt
 MM2: es ist nicht notwendigerweise eine Kenntnis davon, dass es sich bei
der wahrgenommenen Person um den Dieb handelt, vorausgesetzt; es
bedarf seitens des Wahrnehmenden keines Verdachtsmoments in Bezug
auf den Diebstahl, es genügt vielmehr, dass der Täter lediglich als
Individuum wahrgenommen wird
 HM: Täter kann auch dadurch betroffen sein, dass er dem Bemerktwerden
durch schnelles Zuschlagen zuvorkommen möchte
 Zw-Erg: ein Streitentscheid ist nicht erforderlich, da Z den jedenfalls
verdächtigt, einen Diebstahl begangen zu haben, daher: betroffen sein (+)
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Strafbarkeit des A
(P2) „auf frischer Tat“
 H.M.: Auf „frischer Tat“ betroffen ist der Dieb dann, wenn er noch am Tatort oder
in dessen unmittelbarer Nähe nach der Tatausführung wahrgenommen oder
bemerkt wird. Entscheidend sei eine Kombination von engem raum-zeitlichen
Zusammenhang und noch nicht vollzogener Beutesicherung
→ keine „frische Tat“ mangels engen raum-zeitlichen Zusammenhangs bei
Anwendung von „in dubio pro reo“
 M.M. (Ausgangspunkt ebenfalls hL + Rspr): Begriff „frische Tat“ sei auf
Situationen zu beschränken, in denen noch Notrechte ausgeübt werden dürfen
→ zwar ist an einen noch andauernden und damit gegenwärtigen Angriff auf das
Eigentum der Fahrgäste zu denken, da der Gewahrsam an der Beute noch
nicht gesichert ist, doch fehlt es mangels engen raum-zeitlichen
Zusammenhangs bei Anwendung von „in dubio pro reo“ ebenfalls an einer
„frischen Tat“
II. Ergebnis: § 252 StGB nach beiden Auffassungen mangels „frischer Tat“ (-)
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Strafbarkeit des A
D. § 240 I StGB durch Kampf mit Z
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Nötigungshandlung (hier: Gewalt und Drohung) (+)
b) Nötigungserfolg (Hier: Unterlassen des Z, A weiterhin aufzuhalten und
Duldung des gegen die Wand gedrückt Werdens) (+)
2. Subjektiver Tatbestand (dolus directus 1. Grades) (+)
II. Rechtswidrigkeit
a) keine Rechtfertigungsgründe
a) Verwerflichkeit (+)
III. Schuld (+)
IV. Ergebnis: § 240 I StGB (+)
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Strafbarkeit des A
E. Konkurrenzen
Zwischen dem Diebstahl gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a Alt. 1 StGB und der
Nötigung gem. § 240 I StGB besteht Tatmehrheit gem. § 53 StGB (in Hinblick auf
den Grundsatz „in dubio pro reo“ auch Tateinheit vertretbar, weil man in Bezug
auf die Konkurrenzen zu unterstellen hat, dass die Nötigung unmittelbar nach
Vollendung der Diebstähle begangen wurde).
Damit hat sich A gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 240 I; § 53 StGB strafbar
gemacht.
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Strafbarkeit des B
Variante 1: Nichtbeteiligung an der Tat
 § 138 I StGB (-), keine der genannten Taten liegt vor
 §§ 242 I, 244 I Nr. 1a Alt. 2, 27, 13 StGB (-), da B keine Garantenstellung
gegenüber A hat, die ihn dazu verpflichtet, diesen von Straftaten abzuhalten.
Insbesondere folgt aus einer etwaigen Garantenstellung aus enger natürlicher
Verbundenheit unter erwachsenen Geschwistern allenfalls eine Schutz-, nicht
aber eine Überwachungspflicht
 § 323c StGB wg. fehlender Information gegenüber Polizei?
 Sperrwirkung von § 138 StGB für § 323c StGB? Zwar ist nach h.M. § 138
StGB lex specialis zum § 323c StGB und schützen beide Regelungen nach
h.M. die bei Unterlassen betroffenen Individualrechtsgüter, doch wird eine
Sperrwirkung m.E. zu Recht mit Blick auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen und das weitaus höhere Strafmaß von § 138 StGB (Stichwort:
„Sperrwirkung der Privilegierung“) nicht erörtert
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Strafbarkeit des B
Variante 1: Nichtbeteiligung an der Tat
 § 323c StGB wg. fehlender Information gegenüber Polizei?
 ein Unglücksfall i. S. des § 323c StGB ist ein plötzlich eintretendes Ereignis,
das erheblichen Schaden an Menschen oder Sachen anrichtet und weiteren
Schaden zu verursachen droht
o Als solches Ereignis kommt auch eine erhebliche Straftat Dritter in Betracht
(BGHSt 57, 42; BGH NStZ-RR 2015, 375). Es genügt zur Auslösung der Hilfeleistungspflicht bereits eine Gefahrenlage im Hinblick auf das schädigende
Ereignis (MK-Freund, § 323c Rn. 19; NK-Wohlers/Gaede, § 323c Rn. 4).
o Ob der aus Ex-post-Sicht tatsächlich verwirklichte Beutezug durch die
Waggons und die anschließende Nötigung die Erheblichkeitsschwelle zum
Unglücksfall überschreiten, ist Ansichtssache (nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung sind jedenfalls Vermögensschutzinteressen generell irrelevant). Im Hinblick auf die nach h.M. maßgebliche obj. Ex-ante-Perspektive für
die Bestimmung eines Unglücksfalls dürfte jedenfalls auch die Gefahr für
einen Raub bestanden haben (im Originalfall war der einschlägige §§ 253,
255 StGB auch tatsächlich gegeben), was insg. für einen Unglückfall spricht
o Eine „gemeine Gefahr“ dürfte jedenfalls nicht vorgelegen haben
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Strafbarkeit des B
Variante 1: Nichtbeteiligung an der Tat
 § 323c StGB § 323c StGB wg. fehlender Information gegenüber Polizei?
 [Wer einen Unglückfall bejaht:] Die – von B unterlassene – Hilfeleistung (etwa
durch einen Anruf bei der Bundespolizei) war auch erforderlich, um den
Beutezug, die Nötigung und den Abtransport der Beute zu verhindern
 Fraglich ist allerdings die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, da B durch einen
Notruf seinen Bruder der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt hätte (Gedanke
der §§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO, 139 Abs. 3, 258 Abs. 6 StGB; vgl. BGHSt 11, 135;
Fischer, StGB, § 323c Rn. 16). Da jede Maßnahme des B zu dem Zeitpunkt, als
A sich bereits im Zug befand, mit hoher Wahrscheinlichkeit dessen Festnahme
zur Folge gehabt hätte, ist von der Unzumutbarkeit der Hilfeleistung
auszugehen (a. A. vertretbar)
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Strafbarkeit des B
Variante 1: Nichtbeteiligung an der Tat
 § 323c StGB wg. fehlenden Einwirkens auf den Bruder?
 Wer die Zumutbarkeit ablehnt, könnte anstelle des Notrufs allerdings von B verlangen, dass er jedenfalls vor Tatbeginn auf seinen Bruder hätte einreden müssen, um ihn von dem geplanten Diebstahl abzuhalten. Es stellt sich insoweit zunächst die Frage, welchen eigenständigen Wert die „Plötzlichkeit“ im Rahmen
der Definition von „Unglückfall“ hat. Wer sie lediglich als Umschreibung einer Situation versteht, die ein sofortiges Eingreifen zur Abwendung der drohenden Gefahr erfordert (MK-Freund, § 323c Rn. 23), kann auch zeitlich weit vorangehendes Geschehen grundsätzlich als Unglücksfall interpretieren: „Hilfeleistungspflicht
nicht nur immer dann, wenn Hilfe erforderlich ist; sondern immer dann, wenn Hilfe
erforderlich ist, liegt ein Unglücksfall vor (Arzt/Weber, BT, § 39 Rn. 12)“ Zum
Streitstand ausführlich Spickhoff-Schuhr, § 323c Rn. 18 ff.)
 Zweifelhaft ist aber dann immer noch, ob fehlende Zumutbarkeit späteren Tätigwerden zu einer so weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit gegenüber demjenigen führen darf, der wegen der Zumutbarkeit späteren Tätigwerdens noch nicht
im Vorfeld aktiv werden muss; ob also m.a.W. die rechtliche Einschränkung der
späteren Handlungspflicht zugleich ihre Vorverlagerung begründen kann.
Ergebnis: § 323c + / 13
Strafbarkeit des B
Variante 2: Beteiligung an der Tat
 §§ 242 I, 244 I Nr. 1a Alt. 2, 25 II StGB (+)
 gemeinsamer Tatplan (+)
 gemeinsame Tatausführung (+)
 demnach: Mittäterschaft (+) und damit gegenseitige Zurechnung der
Tathandlungen
 §§ 240 I, 25 II StGB (+)
Wegen Absprache, dass ein gewalttätiges Einschreiten vom Tatplan erfasst ist
(a. A. vertretbar in Hinblick auf fehlenden konkreten Tatbeitrag und insbesondere bei Annahme von Tatmehrheit zwischen Diebstahl mit Waffen einerseits und Nötigung andererseits)
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Strafbarkeit des B
Vergleich der beiden Varianten:
Wird § 323c StGB in der ersten Variante abgelehnt, so ist B insoweit straffrei.
Daher ist „in dubio pro reo“ von der ersten Variante (und nicht von der zweiten
Variante) auszugehen. Demnach ist B straffrei.
Wer § 323c StGB in der ersten Variante bejaht, muss die Frage stellen, ob eine
eindeutige oder wahldeutige Verurteilung im Hinblick auf die bleibenden Sachverhaltsungewissheit zur zweiten Variante möglich ist:
 Eventuell wäre an ein (normatives) Stufenverhältnis zwischen den beiden
Sachverhaltsvarianten zu denken (so BGHSt 55, 148 bzgl. § 138 StGB; dazu
Fischer, StGB, § 138 Rn. 20a), doch steht insoweit vor allem entgegen, dass
die Zumutbarkeit im Rahmen des § 323c StGB Tatbestandsmerkmal ist und
daher die Unterlassung des späteren Täters schon nicht tatbestandsmäßig ist,
mithin der § 323c StGB nicht im Unrecht der späteren Taten enthalten ist.
 Eine echte Wahlfeststellung zwischen § 323c StGB einerseits und §§ 240,
242 I, 244 I Nr. 1a Alt. 2, 25 II StGB andererseits erscheint mangels rechtsethisch-psychologischer Vergleichbarkeit nicht möglich.
Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei Bejahung von § 323c StGB in der
ersten Sachverhaltsvariante B mit Blick auf „in dubio pro reo“ straffrei bleibt.
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Vertiefungshinweis…
…zu den nach dem Bearbeitervermerk ausgeschlossenen §§ 253, 255 StGB
(vgl. auch BGH StV 2013, 445; BGH NStZ 2012, 95 sowie Wessels/Hillenkamp,
BT/2 Rn. 412, 714 f.)
Die Verwirklichung einer räuberischen Dreieckserpressung gemäß §§ 253, 255 StGB durch
das Freikämpfen des Weges durch A für sich und die Beute mit Hilfe des Messers ist aus
mehreren Gründen zweifelhaft:
 Fraglich ist, ob Z das notwendige Näheverhältnis zu dem Eigentum der Fahrgäste
aufweist. Allenfalls lässt es sich daraus ableiten, dass sich der Versuch der Festnahme
des A durch Z in Hinblick auf die Beute als Erfüllung einer Nebenpflicht aus dem
Beförderungsvertrag oder als GoA interpretieren lassen könnte (im BGH-Originalfall hatte
Z allerdings auch das erhöhte Beförderungsentgelt seines Arbeitgebers sichern wollen, da
die Täter den Zug ohne Fahrkarte nutzten -> insoweit §§ 253, 255 StGB denkbar!)
 Auch die jedenfalls von der h.L. verlangte Vermögensverfügung steht im Zweifel, da es
fraglich erscheint, ob sich Z angesichts des Waffeneinsatzes durch A vorstellt, dass der
endgültige Verlust der gestohlenen Gegenstände noch von seiner Entscheidung abhinge
 Jedenfalls fehlt es an einer gegenüber dem durch den Diebstahl bereits herbeigeführten
Gewahrsamswechsel eigenständigen Schadensvertiefung, so dass §§ 253, 255 StGB
tatbestandlich (h.L.) oder jedenfalls im Konkurrenzwege (BGH) ausscheiden
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