24.06.2012 - "Tears in Heaven" - 1. Petrus 1,3-13
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24.06.2012 - "Tears in Heaven" - 1. Petrus 1,3-13
Liebe Gemeinde, am Anfang des neuen Lebens als Christin, als Christ in den Gemeinden Kleinasiens stand damals, einige Jahrzehnte nach Jesu Tod, vermutlich die Freude. Die Freude darüber, mit der Taufe ein neuer Mensch geworden zu sein, mit einem neuen Herrn und Gott, einem neuen Leben in der von Gott geschenkten Vergebung, mit neuen Geschwistern im Glauben. Die Freude über die zugesagte Teilhabe am Reich Gottes, das mit Christus bereits angebrochen war. Die Freude darüber, schon jetzt einen Vorgeschmack davon zu erleben in der Gemeinschaft der Glaubenden, getragen vom Geist der Liebe, der Aufmerksamkeit und Fürsorge füreinander, und von der gemeinsamen Hoffnung auf die endgültige Erfüllung von Gottes Verheißungen. Am Anfang stand die Freude über das neue Leben, das so ganz anders war als das alte – am Anfang. 1. Anfechtung und Trost im 1. Petrusbrief Doch dann kam der Alltag, und die Freude ließ mit der Zeit nach. Es zeigte sich, dass das neue Leben nicht nur schön war, sondern auch schwierig. Die kleine Gruppe der Christinnen und Christen lebte anders als alle anderen, und das machte es ihnen nicht leicht, mit den anderen zusammen zu leben – in der Arbeit, auf dem Markt, im Haushalt, an vielen Stellen zeigte sich: Das neue Leben erfordert Anstrengungen, bringt im Alltag viele Reibereien und manche Kränkungen und Verletzungen mit sich, ist mühsam und schmerzlich. Natürlich machten sich in dieser Situation so manche ihre Gedanken: Woran liegt es, dass wir statt dem verheißenen Friedensreich so viel Unfrieden und Anfeindung erleben? Sind wir auf dem richtigen Weg? Warum erkennen die Menschen um uns her nicht auch alle, wie wichtig das Geschenk ist, das Gott den Menschen in Jesus gemacht hat? Diese Zweifel waren nichts Neues; schon zu Jesu Lebzeiten hatten sich Etliche Menschen aus seinem Umfeld mit solchen Gedanken geplagt – denken wir nur an die Anfrage von Johannes dem Täufer, der im Gefängnis ins Grübeln kam und keinen anderen Ausweg sah, als Boten zu Jesus zu senden, um sich zu vergewissern: Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Wie antwortete Jesus darauf? Nicht etwa mit einer Zusicherung nach dem Motto „Sagt Johannes, ich gebe ihm mein Ehrenwort, ich bin es wirklich!“ Nein, er verweist auf das, was bereits geschieht, was für alle wahrnehmbar und erlebbar ist: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Das Reich Gottes ist bereits angebrochen mit Jesu Wirken unter den Menschen, und seine Taten geben Zeugnis für ihn, nicht nur seine Worte. Für den Autor des 1. Petrusbriefes ist die Situation etwas schwieriger. Auch er möchte gerne den Zweifeln und Anfechtungen begegnen, denen die Christen seiner Zeit ausgesetzt sind; er möchte sie ermutigen und ihnen neue Zuversicht geben. Aber die großen Taten Jesu sind Vergangenheit, und wir können davon ausgehen, dass sie sich in ihrer Größe im Leben der Gemeinde nicht beständig fortsetzen, so dass der 1. Petrusbrief darauf verweisen könnte. Was also gibt Zuversicht in den Anfechtungen, denen die christlichen Gemeinden am Ende des ersten Jahrhunderts ausgesetzt sind? Es sind noch nicht die großen und systematischen Christenverfolgungen, die ihr Leben prägen; vielmehr die ständigen kleinen Reibereien, die sich aus ihrer Situation einer kleinen Minderheit mit deutlich besonderen Verhaltensweisen und Überzeugungen im großen römischen Reich ergeben. Der Autor des 1. Petrusbriefs verweist in dieser Situation vor allem darauf, dass die Leiden der Christen nicht überraschend kommen: Schon Christus musste leiden und sterben, ehe er auferweckt wurde, und so müssen auch die Glieder seiner Gemeinde eine kleine Zeit der Anfechtungen über sich ergehen lassen, weil sie zu Christus und damit zum Reich Gottes gehören, dem gegenüber das Reich der Welt feindlich gesinnt ist. Und einen weiteren Gedanken aus der jüdischen Tradition greift der Autor auf: Die Leiden dienen der Läuterung – so wie das vergängliche Gold durch Feuer gereinigt wird und dadurch erst seinen höchsten Wert erlangt, so wird auch der viel kostbarere Glaube der Christen gereinigt durch die mancherlei Anfechtungen und Leiden, die sie erdulden, und wird dazu führen, dass sie am Ende das Ziel dieses Glaubens erlangen: das endgültige Heil, „der Seelen Seligkeit“, wie die Lutherübersetzung es ausdrückt. Und er preist weiter die Größe dieses zukünftigen Heils mit Anklängen an apokalyptisches Gedankengut: Was alle Propheten zu allen Zeiten bereits vorhergesagt haben und zu verstehen trachteten, ist nun, zur Zeit der Adressaten dieses Briefes Realität geworden – Gott hat seine Verheißungen in Christus erfüllt, zunächst die über sein Leiden, dann die über seine Herrlichkeit. Auch wenn die Leserinnen und Leser es nicht selbst miterlebt haben, so haben sie doch durch das Evangelium Kunde davon erhalten und sind der Kunde mit Glaube und Liebe gefolgt – so werden sie am Ende, am Ziel ihres Glaubens auch in unaussprechlicher Freude leben. Es lohnt sich also, durchzu- halten und die Anfechtungen und Leiden geduldig zu ertragen, um am Ende das herrliche Heil Gottes zu erlangen. 2. Was trägt in der Anfechtung? Wieweit die Ausführungen des 1. Petrusbriefs seine Adressaten überzeugt haben, entzieht sich unserer Kenntnis; allerdings wäre der Brief wohl nicht ins Neue Testament aufgenommen worden, wenn seine Argumentation nicht von vielen als hilfreich angesehen worden wäre. In der Gegenwart tun wir uns mit dieser Argumentation in jedem Fall nicht ganz leicht. Wir haben gelernt, mit Skepsis auf alle Versuche zu reagieren, gegenwärtiges Leid mit zukünftiger Herrlichkeit zu rechtfertigen – zu viele Beispiele kennen wir aus der Geschichte, in denen Menschen durch solche Vertröstungen gefügig gemacht wurden, damit andere ihre ganz weltlichen Machtinteressen durchsetzen konnten. Auch der Gedanke „wen Gott liebt, den züchtigt er“, der hinter dem Bild vom läuternden Feuer hervorscheint, passt nicht so recht zu unserem Gottesbild: Zwar besitzt das Sprichwort „Was mich nicht umbringt, macht mich stark“ in unserer Zeit durchaus eine gewisse Plausibilität, aber dass ein berechnender Gott uns durch Krisen schickt wie der Töpfer Lehmfiguren durch den Brennofen, das widerstrebt doch vielen heute zutiefst, und wie ich meine auch zurecht. Ich halte es für nach Auschwitz nicht mehr vertretbar, Gott als den großen Puppenspieler zu sehen, der uns wie Marionetten an der Leine hat und in Situationen von Glück und Unglück führt, wie er es für sinnvoll hält. Vielmehr bin ich überzeugt, dass er durch seinen schöpferischer Geist an unserer Seite ist und in Situationen des Unheils, in die wir aus verschiedenen Gründen geraten können, beständig daran arbeitet, uns neue Möglichkeiten zum Heil zu eröffnen. Dennoch finde ich an der Argumentation des 1. Petrusbriefes bedenkenswert, dass er davon ausgeht, gerade Christen könnten in dieser Welt, so lange Gottes Reich noch nicht vollendet ist, gar nicht um das Leiden herumkommen. Ich glaube, damit hat der Autor Recht. Denn wenn wir an Christus glauben und seinem Gesetz folgen, dann setzen wir uns damit zwangsläufig in Gegensatz zu den üblichen Verhaltensweisen dieser Welt, die darauf zielen, in jeder Situation für sich selbst das Bestmögliche herauszuholen und anderer nur zu berücksichtigen, soweit das einem selbst nützt. Dieser Gegensatz wiederum führt fast zwangsläufig zu Reibungen und Leiden. Wir können uns eben nicht einfach damit abfinden, dass die Welt schlecht ist, und uns darauf beschränken, für uns selbst zu sorgen, sondern uns ist aufgetragen, mit dem gleichen Einsatz auch für unseren Nächsten zu sorgen. Daraus erklärt sich sicherlich ein Teil der Widrigkeiten im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen, unter denen wir leiden – je ernster wir die Nachfolge Christi nehmen, desto mehr. Von dieser Begründung unberührt bleiben aber viele andere leichtere oder schwerere Schicksalsschläge, die uns treffen, ob wir nun Christus nachfolgen oder nicht. Was trägt uns solchen Situationen, die uns als Anfechtungen begegnen, heute? Das Bild des 1. Petrusbriefes von der Läuterung des Goldes mag für manche immer noch hilfreich sein; in vielen Fällen, so beschreibt es die Seelsorgelehre heute aufgrund vieler Erfahrungen, in vielen Fällen hilft uns eine Erörterung der WarumFrage, helfen uns spekulative Überlegungen zur Theodizee nicht wirklich weiter. Als hilfreich hat es sich dagegen erwiesen, wenn jemand an der Seite ist, der das Leiden einfach mit aushalten kann, ganz ohne große Erklärungsversuche und ohne gute Ratschläge. Jemand, mit dem ich den Schmerz teilen kann, der oder die meine Gefühle und Gedanken ertragen kann, ohne Ratschläge, ohne große Mitleidsbekundungen, ohne viele Worte. Und wenn kein anderer Mensch da ist, dann wohl dem Menschen, der in dieser Situation noch in der Lage ist, Gott als Gegenüber wahrzunehmen, dem wir uns anvertrauen dürfen – und sei es nur im Modus der Klage oder der Anklage. 3. Eric Claptons „Tears in Heaven“ als Trostlied Es gibt viele Weisen, wie dies geschehen kann. Eine der anrührendsten ist für mich persönlich, seit ich es kenne, das Lied „Tears in Heaven“ des englischen Musikers Eric Clapton. In diesem Lied aus dem Jahr 1992 verarbeitet er den tragischen Tod seines Sohnes, der im Alter von vier Jahren in New York aus einem offenen Hochhausfenster gestürzt ist. In so einer Situation scheint jeder Trost billig, erscheinen alle Worte der Hoffnung oberflächlich und schal. Doch Eric Clapton verarbeitet seine Trauer in einem Lied, das in der Schlichtheit von Worten, Bildern und Melodie auch vielen anderen geholfen hat, mit ihrer Trauer umzugehen und das häufig im Zusammenhang von Bestattungen gespielt wird. Die meisten von Ihnen werden es kennen; den Text finden Sie auf dem kleinen Handzettel. Hören wir es uns gemeinsam an. [Lied spielen] Die Stärke dieses Liedes besteht für mich darin, wie es die Grenze zwischen unserer Welt und dem Unsagbaren der jenseitigen Welt wahrt. Nur zwischen den Zeilen setzt es voraus, dass der verstorbene Conor nun ein Teil dieser jenseitigen Welt ist – in seinen Aussagen beschränkt sich das Lied dagegen darauf, diesen Ort als jenseits der Grenze liegend zu markieren, als Ort, der für uns nur im Modus des Konjunktivs und der Frage überhaupt aussprechbar ist – und im Modus der Negativität: die Tränen, die unsere Existenz hier prägen, werden dort keinen Raum haben; stattdessen wird dort Frieden herrschen. Der Ort, an dem das Lied erklingt, unser Ort, bleibt dagegen der Ort des Schmerzes, der Trennung – „I don’t belong … in heaven“, aber zugleich auch der Ort des Weiterlebens, das uns aufgegeben ist: „I must be strong and carry on“. In diesem „must“ kann man einen Reflex auf Gott erahnen; ein zweiter findet sich in dem ungenannten Gegenüber, an das sich die Bitten richten. Ansonsten bleibt Gott vollständig außen vor – und ist meines Erachtens doch durchgängig präsent als Voraussetzung, ohne die dieses ganze Lied bedeutungslos bliebe: erst dadurch, dass der Himmel tatsächlich existiert, dass die Bitten tatsächlich einen Adressaten haben, dass es tatsächlich eine Ordnung gibt, die von mir verlangt, weiterzuleben – oder dass dies zumindest für möglich angesehen wird – erst dadurch kann das Lied seine tröstende Wirkung entfalten. Aber diese Voraussetzungen werden nicht besprochen; sie bleiben der unausgesprochene Hintergrund, vor dem die menschliche Klage ihren Sinn gewinnt. In einem Punkt freilich geht Clapton über die strikte Trennung der beiden Welten hinaus: Im Modus der Frage, im Modus der Negation, im Modus des Konjunktiv wird ihm der Himmel doch partiell so zugänglich, dass er sich für einen Moment dort erlebt, so dass er von der Unmöglichkeit singen kann, „hier im Himmel“ zu bleiben. Auch wenn, oder besser: Gerade weil Clapton darin kaum positive Aussagen macht, so ist dieses Lied für mich voller echtem Trost, ganz ohne falsche Vertröstungen. Und da wir aus seiner Autobiographie wissen, dass er in der anglikanischen Tradition aufgewachsen ist und später in seinem bewegten Lebenslauf auch eine bewusste Entscheidung für Christus getroffen hat, ist dies sicher kein Zufall, sondern bewusst gestaltet. Ich sehe darin den Modus des Trostes, der unserer Zeit entspricht: Wir sollten als redliche und verantwortliche Menschen im Zeitalter nach der Aufklärung in der Lage sein, die Grenze zu respektieren, die unserem Reden von Gott und vom Jenseits durch unser Menschsein gesetzt ist, und dennoch unserer Hoffnung Ausdruck zu verleihen, die über diese Grenze hinausgeht. 4. Die besondere Wirkung von Musik Dabei ist es mit Sicherheit von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit, dass Eric Clapton nicht einfach ein Gedicht oder ein Essay veröffentlicht hat, sondern ein Musikstück. Damit bin ich beim Thema unserer Gottesdienstreihe angelangt und zugleich bei meinem vorletzten Punkt. Durch die Verbindung von Text und Harmonien schafft Clapton einen Erlebnisraum, dessen Dichte und Eindrücklichkeit weit über das hinausgeht, was der Text allein bewirken könnte. Erst durch die Verbindung mit der melancholischen, aber harmonischen Melodie konnte der Text seine tröstende Wirkung für so viele Menschen entfalten. Die Musik spricht die emotionale Ebene, ohne die Trost nicht zu haben ist, viel stärker und direkter an, als dies Worte jemals können. Ich stimme deshalb dem Luther-Zitat völlig zu, unter dem unsere Gottesdienstreihe steht: „Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen, denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel selbst genommen, weil die lieben Engelein selber Musikanten sein!“ Dabei sollten wir freilich darauf achten, dass auch die Sprache der Musik eine Sprache ist, die sich weiterentwickelt und verändert. So, wie wir im Gottesdienst in der Regel weder Latein noch das Neuhochdeutsch der Zeitgenossen Luthers sprechen, so sollten wir auch in der Musik darauf achten, dass wir Räume eröffnen für Rythmen und Harmonien jenseits der klassischen, hochkulturellen Kirchenmusik, wie das ja auch in vielen Fällen bereits geschieht – sogar hier in der Schlosskirche. 5. Folgerungen für uns heute Ich möchte schließen, indem ich noch kurz zwei Konsequenzen anspreche, die sich für mich aus den bisher geäußerten Gedanken ergeben. a. Der Wert der selbstverständlichen Beziehung zu Gott als Gegenüber Zunächst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal darauf lenken, dass die eigentlich wichtigen Dinge in Claptons Lied zwischen den Zeilen zu finden waren. Die Beziehung zu Gott als einem Gegenüber, von dessen Ordnungen ich lebe, und an den sich meine Bitten richten können, wird von Clapton bereits vorausgesetzt und durch sein Lied aktualisiert und gestützt, kann aber nur schwerlich neu konstituiert werden. Vielen Menschen in unserer Gesellschaft ist diese selbstverständliche Voraussetzung allerdings bereits verloren gegangen – für sie ist es höchst fragwürdig, ob der Gott überhaupt existiert, der Claptons Lied den Grund gibt. Aus soziologischen Untersuchungen zur Kirchenverbundenheit wissen wir, dass die Vermittlung von diesen Glaubensgrundlagen zu einem ganz großen Teil abhängig ist von der religiösen Sozialisation in der Familie, von der frühen Kindheit an. Religiöse Praxis ist in unserer Gesellschaft Privatsache; deshalb ist die Selbstverständlichkeit, mit der zuhause, in der Familie, Gott ins alltägliche Leben einbezogen wird, die Selbstverständlichkeit, mit der er zum Beispiel in Tischgebeten, Morgen- oder Nachtgebeten angesprochen werden kann, ein ganz wichtiger Faktor für die Fähigkeit, später solchen Sprachformen etwas abgewinnen zu können. Hier sind wir alle gefordert, als Großeltern und Eltern besonders, aber auch unabhängig davon im Kontakt mit Kindern und jungen Menschen an anderen Stellen, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen und nicht aus falsch verstandener Achtung kindlicher Freiheit – oder vielleicht auch aus einer gewissen Peinlichkeit – unsere eigene Praxis des Umgangs mit Gott im Gebet zurückhalten und verstecken. Dass meinen Eltern dies gelungen ist, ist eines der Dinge, wofür ich Ihnen im Rückblick am meisten dankbar bin; deshalb möchte ich uns alle ermutigen, hier nicht zurückhaltend zu sein, sondern unseren Teil dazu beizutragen, dass Lieder wie „Tears in Heaven“ auch in einigen Jahrzehnten noch für möglichst viele Menschen ihre tröstende Wirkung entfalten können und nicht nur als Relikt einer fremden Kultur mit distanziertem Interesse gehört werden. b. Das Wort braucht Fleisch – für die Wertschätzung von Musik und anderen „emotionalen“ Ausdrucksformen Der zweite Punkt, den ich zum Abschluss noch ansprechen möchte, richtet sich auf das Verhältnis von Verstand und Emotionen. Wir haben in der protestantischen Theologie eine lange Tradition der Wissenschaftlichkeit entwickelt, die zugunsten der Objektivität jegliche Emotion aus dem theologischen Denken verbannt. Ich glaube, dass diese Entwicklung mit dazu beigetragen hat, dass unsere Kirchen heute etlichen Menschen als zu verkopft und lebensfern erscheinen. Wir brauchen deshalb meines Erachtens eine größere Aufmerksamkeit auf die Elemente christlicher Frömmigkeit, die nicht Glaubensaussagen, sondern Emotionen transportieren und beeinflussen, allen voran Musik und Bilder. Das gilt sowohl für die Ebene theologischer Forschung, wie auch für kirchliche Praxis und ist in beiden Fällen mit umfangreichen Lernprozessen verbunden. Ich finde es zum Beispiel sehr bedauerlich, wie sehr sich die Ämter der Kirchenmusiker und der Pfarrerinnen und Pfarrer auseinanderentwickelt haben und würde mir wünschen, dass es uns gelingt, hier zukünftig einen stärkeren Austausch zustande zu bekommen, sodass die Frage, welche Stimmung denn ein Gottesdienst haben soll, als gemeinsame Aufgabe der beiden Ämter wahrgenommen wird. Über diesen beiden Gedanken zur Einübung von Beziehung und zur Emotionalität möchte ich aber nicht vergessen, zum Schluss noch einmal das in den Vordergrund zu stellen, was unser Heil wirklich ausmacht, und wofür wir Gott im gleichen Maße dankbar sein sollten, wie der Autor des ersten Petrusbriefes: Gott sei Dank, dass Gott auch unsere Schwachheit, unser Unvermögen nicht daran hindert, mit uns an seinem Heilswerk zu arbeiten, und dass wir auch angesichts aller Missstände, die uns täglich vor Augen stehen, sei es an dieser Universität oder in unserem persönlichen Leben, darauf vertrauen dürfen, dass Gott weiter am Werk ist, um sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufzurichten. Das ist die Hoffnung, an der wir festhalten wollen: Dass Gott in seiner Gnade für uns einen Ort bereitet, an dem alle Tränen ein Ende finden werden. Amen.