`der verlorene sohn` von rembrandt harmenszoon van rijn

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`der verlorene sohn` von rembrandt harmenszoon van rijn
Religionspädagogisches Institut Loccum
Bild: Marco Görlich / pixelio.de
'DER VERLORENE SOHN' VON
REMBRANDT HARMENSZOON VAN
RIJN
Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes
Bildbeschreibung
Das Bild ist bestimmt durch die leicht nach vorn
gebeugte Gestalt des alten Vaters, vor dem der
zurückgekehrte jüngere Sohn kniet. Neben diesen
beiden den größten Teil der linken Bildhälfte
einnehmenden Personen befinden sich auf der
rechten Seite eine große aufrecht stehende Gestalt,
hinter der leicht versetzt eine zweite Gestalt sitzt. Aus
einem Fenster im Hintergrund links schaut eine
Frauengestalt auf die Vater-Sohn-Gruppe. Am
Torbogen lehnt ein Zuschauer, der das Geschehen
ebenfalls aus dem Hintergrund beobachtet. Die im
ganzen sehr dunkel wirkende Szene lässt die
leuchtend glänzende Personengruppe von Vater und
Sohn um so stärker hervortreten. Das Gesicht des
Vaters ist leicht nach rechts gebeugt, die Augen
scheinen fast geschlossen zu sein. Das von links
kommende Licht lässt seine große Stirn besonders
auffällig wirken. Gerahmt ist das Gesicht von einer
gebundenen Kopfbedeckung, grauem Kopfhaar und
einem langen leicht in der Mitte geteilten Bart. Über
den Schultern trägt der Vater einen kurzen bis zu den
Unterarmen reichenden roten Umhang. Seine
offenen, leicht gespreizten Hände ruhen etwas
versetzt auf dem hellen Rücken und der hellen
Schulter des Sohnes. Dieser ruht bei geschlossenen
Augen mit dem kahlgeschorenen, leicht zur rechten
Seite gedrehten Kopf an der Brust des Vaters. Die
Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, um
1666/1669
Öl auf Leinwand, 262 x 206 cm, St. Petersburg, Eremitage
offensichtlich nach vorne gehobenen Arme sind fast ganz vom Oberkörper verdeckt. Im Gegensatz zu allen anderen
Personen des Bildes trägt der Sohn lediglich ein zerschlissenes, leinenfarbenes, einfach gegürtetes Unterkleid. An
seiner rechten Seite erkennt man in einem Schaft den Knauf eines kurzen Schwertes. Das einfache Schuhwerk des
Sohnes trägt deutliche Spuren der Abnutzung. Der linke Fuß ruht - mit der nackten Fußsohle zum Betrachter - neben
dem ausgezogenen Schuh. Abgesetzt durch zwei Stufen steht leicht in den Hintergrund gerückt auf der rechten
Seite eine nachdenkliche große Gestalt. Sie trägt eine Kopfbedeckung, hat einen langen roten Umhang und trägt
feste Stiefel. Das bärtige helle Gesicht ist leicht nach unten geneigt. Die zusammengelegten Hände ruhen auf einem
dünnen Stock. Offensichtlich handelt es sich bei der Gestalt um den älteren Sohn. Links neben ihm sitzt mit
übergeschlagenem Bein ein Mann mit einem dunklen Hut. Er fasst sich mit der rechten Hand an die linke Brust.
Bildverständnis
Das Bild veranschaulicht
Rembrandts großartige
Interpretation des
neutestamentlichen
Gleichnisses vom verlorenen
Sohn aus dem
Lukas-Evangelium Kap. 15
Vers. 11-32. In verschiedenen
Zeichnungen hat Rembrandt
das Gleichnis Zeit seines
Lebens immer wieder
aufgegriffen und bearbeitet.
Das große Tafelbild aus seinen
letzten Lebensjahren stellt
zweifelsohne den Höhepunkt
seiner lebenslangen
Bemühungen um das
Verständnis des Gleichnisses
dar. Handelt es sich zum einen
zweifelsohne um eines von zahllosen Historienbildern, die Rembrandt zu den unterschiedlichsten Geschichten der
Bibel gemalt hat, so ist zum anderen doch festzuhalten, dass das Bild in seiner Intensität und Ausdruckskraft
zugleich als ein überaus persönliches Glaubenszeugnis des alt gewordenen Rembrandts verstanden werden kann.
Bereits die Größe des Bildes, die die dargestellten Personen dem Betrachtenden lebensgroß vor Augen stellt, zieht
den Betrachter bzw. die Betrachterin in das bewegende Geschehen hinein. Dies wird verstärkt durch das gewählte
Hochformat. Gleichzeitig wirkt das Bild im ganzen ruhig und feierlich. Rembrandt wählt für seine Deutung des
Gleichnisses den Kernpunkt der Erzählung Jesu: das Erbarmen des Vaters gegenüber dem reuevollen Kind
(wörtlich: teknon). Auffällig rückt Rembrandt dabei die Hände des Vaters in den Mittelpunkt. Anders als in der
Erzählung, in der von einer Umarmung des Vaters die Rede ist, liegen die Hände wie ein Segen auf den Schultern
des Sohnes. Die Geste ist Ausdruck von Vergebung und Liebe. Diese sind ein zutiefst inneres, verborgenes
Geschehen, das durch die behutsame Berührung und die geschlossenen Augen des Vaters und des Sohnes
unterstrichen wird. Die Innigkeit und Vorbehaltlosigkeit dieser Beziehung wird durch Gegensätzlichkeit im Äußeren
noch verstärkt. So begegnen sich im Vater und Sohn Jung und Alt, Reichtum und Armut. Während der Vater steht,
kniet der Sohn, während der Vater aus dem Haus getreten ist, kommt der Sohn aus der Fremde. Auch wenn wir das
Gesicht des Sohnes nur wenig erkennen können, so wird doch die tiefe Verbundenheit beider Personen durch das
hell glänzende Licht noch einmal hervorgehoben. Rechts neben den Stufen sind zwei Personen zu sehen, deren
Zuordnung zunächst unklar ist. Offensichtlich greift Rembrandt zurück auf eine Maltradition seiner Zeit, die das
Gleichnis vom verlorenen Sohn gern mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner kombinierte. (1) Der sitzende
Mann, ein Verwalter, schaut auf den zurückkehrenden Sohn und schlägt sich mit seiner rechten Hand an die Brust.
So vertritt er die Sünder und Zöllner der biblischen Geschichte(vgl. Lk 18,9-14). Entsprechend vertritt die ein wenig
rätselhaft schauende zweite Person die Pharisäer und Schriftgelehrten. Angedeutet durch den roten Umgang und
den Bart handelt es sich dabei um den älteren Sohn, auch wenn das biblische Gleichnis davon erzählt, dass der
ältere Sohn bei der Heimkehr seines Bruders auf dem Feld war. Doch wie in vielen anderen Bildern verbindet
Rembrandt auch hier die verschiedenen Erzählmotive zu einem dramatischen Moment, in dem die Spannungen und
Provokationen der Geschichte sichtbar werden. So wird auch das Fest, das der Vater in seiner Freude für alle
ausrichtet, lediglich mit einem Bild, auf dem ein Flötenspieler zu sehen ist, im Hintergrund angedeutet.(2) Zentral
bleibt die bedingungslose, liebende Zuwendung des Vaters zu seinem Sohn, die alle Zuschauenden berührt und in
unterschiedlicher Weise reagieren lässt.
Bildeinsatz im
Unterricht
Das Bild lässt sich
u. a. zu folgenden
Themen
einsetzen:
Gottesbilder,
Rechtfertigung,
Schuld und
Vergebung
Die
Auseinandersetzung
mit Rembrandts
Bild im Unterricht
wird geleitet sein
von den unterschiedlichen Personen, die auf dem
Bild zu erkennen sind. Nouwen hat in seiner
eigenwilligen, geistlichen Betrachtung des Bildes
einen Weg nachgezeichnet, der vom jüngeren
Sohn über den älteren Sohn hin zum Vater führt.
Er spürt dabei den unterschiedlichen
Eigenanteilen nach, die der Betrachter bzw. die
Betrachterin mit diesen Personen möglicherweise
verbindet. So werden im Geflecht der
verschiedenen
Zuordnungen der Personen ihre verschiedenen Gefühle und Gedanken
nachvollziehbar. Auch Rembrandt selbst wird sich nicht nur mit der Rolle des
verlorenen Sohnes identifiziert haben, als er sich am Ende seines in vielen
Teilen auch gescheiterten Lebens noch einmal mit dem biblischen Gleichnis
auseinandergesetzt hat. Neben Unverständnis, Neid und Bitternis, die aus
dem Gesicht des älteren Sohnes sprechen, ist es vielleicht sogar die Rolle
des alten Vaters selbst, zu der Rembrandt eine Nähe gesucht und gefunden
hat. Die Ähnlichkeit des Gesichtes des Vaters zu einigen Selbstportraits
Rembrandts, die von einigen Interpreten beschrieben wird, kann für eine
solche Annahme sprechen.(3)
Auf diesem Hintergrund bieten sich neben einer genauen Bildbeschreibung
verschiedenen Methoden an, das Bild im Unterricht zu bearbeiten.
Insbesondere kann Rembrandts Bild als eigenes Standbild nachgestellt oder
auch neu inszeniert werden. Aus den Rollen heraus können Gedanken und
Dialoge entwickelt werden, die zudem zu einer Fortführung und
Weiterentwicklung der Geschichte führen können. Eine besondere Rolle kann
für die Schülerinnen und Schüler dabei dem jungem Zuschauer
(Zuschauerin?) in der Mitte des Bildes zukommen. Seine zentrale Beobachterrolle kann bei der Erschließung des
Bildes hilfreich sein. Neben weiteren Methoden wie zum Beispiel dem perspektivischen Schreiben (zum Beispiel:
Brief des älteren Sohnes an einen Freund, Tagebucheintragung des jüngeren Sohnes, Festtagsrede des Vaters bei
der Rückkehr des jüngeren Sohnes)(4), bei dem die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Erfahrungen,
Hoffnungen und Wünsche einbringen, bieten sich weiter an:
Bildvergleich mit Darstellungen von Rembrandt und anderen Künstlern (5)
Künstlervergleich des „protestantischen Künstlers“ Rembrandts mit seinem katholischen Zeitgenossen Rubens
Digitale Bildbearbeitung
Arbeitsblatt mit Sprechblasen [Link]
Textvergleich von Lukas 15,11-32 mit Matthäus 20,1-16
Anmerkungen
(1) Vgl. Henri K.M. Nouwen: Nimm sein Bild in dein Herz, Freiburg i.B. 12. Auflage, 2002, 81.
(2) Firnisse, aus Leinöl oder Harz bestehende Schutzanstriche, führen oftmals dazu, dass Gemälde erheblich
nachdunkeln. Die Abbildung des Flötenspielers ist auf der vorliegenden Darstellung nicht mehr zu erkennen. Sie
befindet sich rechts neben dem Kopf des Zuschauers in der Mitte des Bildes.
(3) Vgl. Henri K.M. Nouwen: Nimm sein Bild in dein Herz, Freiburg i.Brsg. 12. Auflage, 2002, 117: „Bald, nachdem
Rembrandt den Vater und dessen segnende Hände gemalt hatte, starb er. Neben dem linken Fuß des Sohnes steht
die Signatur: RF, das heißt Rembrandt fecit – Rembrandt hat es gemalt. Rembrandts Hände haben unzählige
Menschengesichter und Menschenhände gemalt. Hier, in einem seiner letzten Bilder, hat er das Gesicht und die
Hände Gottes gemalt. Wer hat für dieses lebensgroße Bild Gottes Modell gestanden? Rembrandt selbst? Das Vater
des Verlorenen Sohnes ist ein Selbstbildnis, aber nicht im herkömmlichen Sinn. Rembrandt eigenes Gesicht kommt
in verschiedenen seiner Bilder vor. Es erscheint als der Verlorene Sohn im Bordell, als angsterfüllter Jünger auf dem
See, als einer der Männer, die den Leichnam Jesu vom Kreuz abnehmen. Was hier aber zutage tritt, ist nicht
Rembrandts Gesicht, sondern seine Seele, die Seele eines Vaters, der so viele Tode erlitten hat.“
(4) Siehe Wiebke Theermann: Der verlorene Sohn – drei Methoden, in: werkstatt ku/ru März 2004 Nr.88 Arbeitsstelle
für ev. Religionspädagogik Ostfriesland, 6.
(5) Rembrandt: Der verlorene Sohn kehrt heim, 1636; Rembrandt: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, 1642; H.
Bosch: Der verlorene Sohn, um 1510; A. Dürer: Der verlorene Sohn bei den Schweinen, 1496; M. Slevogt: Der
verlorene Sohn 1898/99 (Triptychon), H. Thoma, Der verlorene Sohn, 1919 u. a. m.
Texte
Zum Gottesbild:
„Liebe ist nicht Liebe, die sich wandelt, wenn sie trifft auf Wandel.“ (Shakespeare)
Zu Glaube und Selbstwertgefühl
„Viele konsumorientierte Wirtschaftszweige leben davon, dass sie das geringe Selbstwertgefühl ihrer Konsumenten
ausnützen und mit materiellen Mitteln spirituelle Erwartungen schaffen. Solange ich ‚klein’ gehalten werde und mich
‚gering’ schätze, kann ich leicht verführt werden, Dinge zu kaufen, auf Veranstaltungen zu gehen oder an Orte zu
reisen, die eine radikale Veränderung in meiner Selbsteinschätzung versprechen, selbst wenn sie völlig außerstande
sind, das zuwege zu bringen.“ (Henri K.M. Nouwen: Nimm sein Bild in dein Herz, 128)
Literatur
Isabel Kuhl: Rembrandt Harmensz. van Rijn, Prestel Verlag München 2004
Volker Manuth: Mit Verlaub, bist Mennonit, Papist, Arminianer oder Geuse? Kunst und Konfession bei Rembrandt, in:
Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin (Hg.): Rembrandt. Genie auf der Suche, Berlin 2006, 51-63.
Lothar Teckemeyer: Der verlorene Sohn, in: Werkstatt KU/RU Anregungen I , 7-11 Arbeitsstelle für ev.
Religionspädagogik Ostfriesland o.J.
Wiebke Theermann: Der verlorene Sohn – drei Methoden, in: werkstatt ku/ru März 2004 Nr.88 Arbeitsstelle für ev.
Religionspädagogik Ostfriesland
Christian Tümpel: Rembrandt, 10. Aufl. 2002
Jörg Zink: Diabücherei Christliche Kunst, Bd. 21 - Jesus-Geschichten III , Reden + Gleichnisse. Betrachtung und
Deutung, Eschbach1987
Internetadressen
http://de.wikipedia.org/wiki/rembrandt
www.rembrandtonline.org
http://www.wga.hu/frames-e.html?/html/r/rembran/index.html