Frankfurter Allgemeine Zeitung - Medizinische Fakultät der Martin
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Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 1 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... http://www.faz.net/-gpg-7tkwm FAZJOB.NET FAZSCHULE FAZ.NET HERAUSGEGEBEN VON WERNER D'INKA, BERT HOLD KOHLER, GÜNT HER NONNENMACHER, HOLGER ST ELT ZNER Landtagswahl in Thüringen Politik Montag, 15. September 2014 VIDEO THEMEN BLOGS POLITIK WIRTSCHAFT FINANZEN FEUILLETON GESELLSCHAFT SPORT STIL TECHNIK & MOTOR WISSEN REISE BERUF & CHA Home Politik Inland Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden Poliklinik Mitte in Halle Disziplinierung in der „Tripperburg“ Nach außen war es eine geschlossene Station für Geschlechtskranke. Doch in der Poliklinik Mitte in Halle wurden zu DDR-Zeiten auch gesunde junge Frauen eingesperrt und misshandelt. 14.09.2014, von STEFAN LOCKE © FOTO ARCHIV Anerkennung für den Kampf gegen „Asoziale“: Der Direktor der Poliklinik Mitte in Halle, Gerd Münx, gratuliert einer Krankenschwester. Das Bild entstand um 1955 as gedrungene zweistöckige Gebäude in der Kleinen Klausstraße 16 liegt nur wenige Schritte vom Markt entfernt im Zentrum Halles. Es ist ein verlassener Altbau, zu dem der heutige Eigentümer keinen Zutritt gestattet. Zu DDR-Zeiten dagegen war hier Begängnis; Patienten, Krankenschwestern, Ärzte wuselten über die Gänge der Poliklinik Mitte, die hier und in den angrenzenden Gebäuden untergebracht war. Die wenigsten allerdings wussten, was hinter den verschlossenen Türen im zweiten Stock vor sich ging. Nur ab und an waren die Frauen von dort zu sehen, manchmal mit kurzgeschorenen Haaren, immer in grau-blauen Arbeitskitteln. Dann wurde viel getuschelt. 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 2 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... Auch Bettina Weben war ahnungslos, als sie 1968 hierherkam oder vielmehr gebracht wurde. Sie war 17 Jahre alt und lernte in Halle Handelskauffrau. Es war Sommer, das Leben lag vor ihr. Gemeinsam mit einer Freundin ging sie aus, beide freundeten sich mit zwei jungen Ungarn an, die als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen waren und einen Hauch Exotik in das seit sieben Jahren abgeriegelte Land brachten. „Nach einigen Treffen haben sie uns eingeladen und für uns ungarisch gekocht“, erzählt Bettina Weben. „Und dann sind wir über Nacht bei ihnen im Wohnheim geblieben.“ Mehr zum Thema Urteil: Verfassungsschutz muss „Akte Gysi“ vernichten Seuche in Marburg: Eine Stadt sucht einen Mörder Rhythmische Sportgymnastik: Beschimpfungen, Hunger, Schläge Mollath-Prozess: Das Urteil steht schon fest Am nächsten Morgen trauten sie sich nicht zurück, ihr Lehrlingswohnheim erlaubte Ausgang nur bis 19 Uhr, jetzt fürchteten sie Konsequenzen - und blieben einfach bei den Ungarn. „Sicher war das naiv“, sagt Weben. Denn nun schwänzten sie auch die Lehre, und das fiel doppelt auf. Am dritten Tag stand die Polizei vor der Tür und nahm sie mit. Doch statt zurück ins Wohnheim brachten die Polizisten sie in die Poliklinik Mitte. „Da war eine Glastür, eine Schwester öffnete und schloss hinter uns wieder zu“, sagt Bettina Weben. „Wir waren perplex, wussten nicht, wo wir sind.“ Alles sah nach Knast aus Sie mussten sich ausziehen und alle Sachen abgeben; eine Schwester reichte ihnen graublaue Kittel. Fragen beantwortete sie keine, auch nicht im Behandlungszimmer. „Wir wurden rasiert mit stumpfen Klingen, es tat weh und brannte fürchterlich“, erinnert sich Weben. Und noch immer wussten sie nicht, wo sie waren. „Wir fühlten uns schuldig, klar, weil wir weggeblieben waren. Aber wir haben nicht verstanden, was wir sonst noch falsch gemacht haben, dass sie uns hierherbrachten und so behandelten.“ Beide wurden in getrennten Schlafräumen untergebracht, in denen bereits andere Mädchen und Frauen auf ihren Betten saßen. Dreißig Plätze hatte die Station, die Zimmer waren spartanisch eingerichtet, einfache Metallbetten, gestreifte KrankenhausBettwäsche, je ein Tisch, grünes Linoleum - und vergitterte Fenster. „Wo sind wir hier?“, fragte Weben ihre Mitpatienten. Oder waren es Mitgefangene? „Alles sah eher nach Knast aus als nach Krankenhaus“, erinnert sie sich. „Willkommen in der Tripperburg“, sagten die anderen. Bettina Weben hörte das Wort zum ersten Mal. „Kurbeldora“ nahm immer das dickste Glasrohr Offiziell firmierte die Einrichtung als „Geschlossene venerologische Station der Poliklinik Mitte“. Hier wurden Geschlechtskrankheiten behandelt. Nichts Ungewöhnliches für die damalige Zeit. Nicht nur die Medizin war damals aber anders. Das Thema Geschlechtskrankheiten war gesellschaftlich tabu. Auch die Bundesrepublik und andere Länder isolierten Geschlechtskranke, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. In Hamburg und Bremen etwa gab es ähnliche Stationen zur Behandlung von erkrankten Prostituierten. 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 3 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... Und doch war Halle ganz anders. „Die Verhältnisse hier waren außergewöhnlich - im negativen Sinne“, sagt Florian Steger. Der Vierzigjährige ist Professor für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Halle-Wittenberg und hat die Ereignisse im zweiten Stock der „Poli Mitte“ erforscht sowie mit ehemaligen Patientinnen und auch mit ehemaligem Personal gesprochen. Sein Fazit: „Auf dieser Station mussten Frauen bereits ab dem zwölften Lebensjahr gegen ihre Willen und teilweise ohne medizinische Indikation Eingriffe in ihre körperliche Integrität ertragen.“ Die Eingriffe hat Bettina Weben nie vergessen. Jeden Morgen um 6 Uhr hatte sie mit ihren Mitinsassinnen vor dem Behandlungszimmer anzutreten. Untersucht wurde im Fünf-Minuten-Takt meist persönlich vom ärztlichen Direktor der Poliklinik, Doktor Gerd Münx, der zugleich Leiter der geschlossenen venerologischen Station war, sowie von Schwester Dora, die von den Patientinnen „Kurbeldora“ genannt wurde. „Sie nahm für die Abstriche nur das dickste Glasrohr“, erzählt Bettina Weben. „Ich hatte extreme Schmerzen, blutete, schrie, und da hat sie mir noch auf den Oberschenkel gehauen und gesagt, ich solle mich nicht so anstellen.“ Verstoß gegen DDR-Gesetze Weben war kerngesund - und musste dennoch bleiben. Erklärungen bekam sie keine, stattdessen habe ihr Doktor Münx eine Spritze in den Arm gegeben. „Warum?“, fragte sie. „Darum!“, antwortete er. Die „Fieberspritze“ sei ein gängiges Hilfsmittel gewesen, um schlummernde Infektionen zu „triggern“, sagt Steger. „Die Nebenwirkungen waren heftig“, erinnert sich Weben. Je nach Dosis litten die Frauen unter extremem Schüttelfrost, Fieber, Krämpfen, Kopfschmerzen, Übelkeit. „Soweit wir wissen, war die Mehrzahl der Frauen auf dieser Station nicht krank“, sagt Steger. Sie hatten also gar keine Infektion. Abstriche und Spritzen seien als abschreckende und disziplinierende Maßnahme eingesetzt worden. Die Behandlung von Geschlechtskranken war in der DDR per Gesetz klar geregelt. Die zwangsweise Einweisung in eine geschlossene venerologische Station sollte nur möglich sein, wenn sich Personen ärztlichen Untersuchungen und Anweisungen, beispielsweise zur Enthaltsamkeit, widersetzten, mehrfach geschlechtskrank waren oder im Verdacht standen, häufig wechselnde Partner zu haben. Doch an diese Voraussetzungen hielt sich in Halle offenbar niemand. Die Station war primär keine Heilanstalt, sondern eine Art Auffangbecken für vermeintliche oder tatsächliche sogenannte Problemkinder, Asoziale, Arbeitsscheue, die willkürlich eingeliefert wurden. Die Strafanzeigen blieben ohne Wirkung Steger schildert Fälle, in denen Frauen wegen Prostitution oder „hwG“, des häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs, denunziert wurden, besonders nachdem 1968 Prostitution in der DDR unter Strafe gestellt worden war. Er erzählt von ausgerissenen Mädchen, die auf der Straße oder in Bahnhöfen aufgelesen wurden; Herumtreiberei und „Arbeitsbummelei“ seien Hauptgründe für Einweisungen gewesen. Gelegentlich sei es vorgekommen, dass Jugendwerkhöfe und sogar Eltern pubertierende Mädchen auf der Station ablieferten mit der Begründung, mit ihnen nicht mehr klarzukommen. 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 4 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... Die Poliklinik Mitte aber verstieß nicht nur mit ihrer Aufnahmepraxis gegen DDR-Gesetze, sondern auch mit ihrer Form der Behandlung. Bereits 1962, ein Jahr nach Einrichtung der geschlossenen Station, wurde Strafanzeige gegen Münx gestellt. Der Grund dafür waren brutale „Erziehungsmaßnahmen“ wie das Kahlscheren der Köpfe von Patientinnen durch Patientinnen, die Münx nicht nur geduldet, sondern befürwortet hatte. Das Ministerium für Gesundheit untersagte derartige Praktiken, beließ Münx jedoch im Amt. Aus Dokumenten und Zeitzeugen-Interviews geht hervor, was Direktor Münx sowie einige seiner Mitarbeiter von den ihnen anvertrauten Patientinnen hielten. Sie waren für sie „Asoziale“, „Abschaum“, „das Letzte vom Letzten“. Das Terrorregime, das auf der Station herrschte, ist laut Steger denn auch vor allem auf Münx zurückzuführen. Zur „Arbeitstherapie“ verpflichtet Mit der „Ordnung“ um ihn herum hatte es allerdings auch zu tun. Unter den ihm anvertrauten Frauen und Mädchen befanden sich nicht nur erkrankte oder uneinsichtige Frauen, sondern auch Zwölf- und Dreizehnjährige, die zum Teil noch nie Geschlechtsverkehr gehabt hatten. Es waren Mädchen ohne Halt, die oft aus zerrütteten Familien kamen, in denen sie selbst Opfer von Gewalt geworden waren, aber auch junge Mütter, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmerten. Ihnen waren harmlose Kontakte mit Männern oder Denunziation zum Verhängnis geworden. Daran verzweifelten nicht wenige, sie schämten sich, auf solch einer Station gelandet zu sein. Die Patientinnen und auch ein Teil seines einstigen Personals schildern Münx als sadistischen und tyrannischen Arzt, der seine Verachtung und Geringschätzung auch gegenüber Kollegen nicht verhehlte. In einer von ihm verfassten und offiziell genehmigten „Hausordnung“ wird klar, dass der Aufenthalt auf seiner Station primär der sozialistischen Erziehung dienen sollte. Der unmenschliche Umgang mit den Frauen wurde so legalisiert, die Medizin instrumentalisiert. Das Papier beginnt mit den Sätzen: „Entsprechend dem Charakter unserer Staats- und Gesellschaftsordnung sind die in die geschlossene Station eingewiesenen Patientinnen aufgrund der Verordnung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23.2. 1961 vorübergehend isoliert. Durch erzieherische Einwirkung muss erreicht werden, dass diese Bürger nach ihrer Krankenhausentlassung die Gesetze unseres Staates achten, eine gute Arbeitsdisziplin zeigen und sich in ihrem Verhalten in unserer Gesellschaft von den Prinzipien des sozialistischen Zusammenlebens der Bürger unseres Staates leiten lassen.“ Die „erzieherische Einwirkung“ hat Münx in der Hausordnung ebenfalls beschrieben. Besuch oder Geschenke für Patientinnen waren streng verboten. In jedem Schlafraum wurde eine „Stubenälteste“ bestimmt, die auf Disziplin und Ordnung zu achten hatte. Alle Patientinnen waren zur „Arbeitstherapie“ verpflichtet und mussten auf der geschlossenen Station sowie bei guter Führung auch auf anderen Stationen der Poliklinik „ohne Anspruch auf Entlohnung“ putzen. Halle war ein Sonderfall Wer sich gut führte, bekam zusätzliche Zigaretten oder eine Stationsstrafe erlassen. Wer gegen Regeln verstieß, musste nachts im Sitzen auf einem Holzhocker wachen und 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 5 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... wurde vom täglichen Abstrich ausgeschlossen, was eine Verlängerung des Aufenthalts bedeutete. Informell war zudem geregelt, was Patientinnen drohte, die Widerstand leisteten oder sich gegen Behandlungen wehrten: Sie wurden vom Personal und von Mitpatientinnen bestraft oder misshandelt, was, nachdem das Kopfscheren verboten worden war, häufig zwangsweises Tätowieren bedeutete. Vor allem diese auf das Staatswohl und weniger auf individuelle Genesung ausgerichtete Hausordnung ist eine Besonderheit der geschlossenen Station der Poliklinik Mitte. In ähnlichen Einrichtungen, von denen es nach bisherigem Forschungsstand acht in der DDR gab, sei es vermutlich anders zugegangen, sagt Steger. In Leipzig etwa seien zwar auch die Fenster vergittert gewesen, die Patientinnen aber nicht zur Arbeit verpflichtet worden, sagt Elke Heinrich*, die sowohl die Station in Halle als auch in die Leipzig erlebt hat. Heinrich sagt, sie sei damals von zu Hause vor der Gewalt ihres Vaters geflohen, später von der Gärtnerlehre ausgebüxt, habe häufig Halt bei Männern gesucht, die ihr den Himmel auf Erden versprachen und doch immer nur das eine wollten. Eines Tages, sie war gerade 18 Jahre alt, las die Transportpolizei sie am Bahnhof Halle auf und brachte sie in die Poliklinik Mitte. Heinrich durchlief dort ähnliche Prozeduren wie Bettina Weben, die täglichen quälenden Untersuchungen, die Spritzen, das Eingeschlossensein auf den Zimmern, die fehlenden Antworten auf Fragen nach dem Warum und „Wie lange noch?“. Schweigeverpflichtung, Scham und Angst „Wir waren für die nichts als Dreck“, sagt Heinrich. „Diese Station war die Vorstufe zum Gefängnis.“ Als psychisch belastend empfand sie auch die Arbeit, zu der sie eingeteilt worden war. In einer Kellerstation musste sie neben todkranken Patienten Wache halten. „Dort habe ich zum ersten Mal Menschen sterben sehen“, erzählt Heinrich, die drei Wochen in der Poliklinik Mitte bleiben musste. Ein Jahr später las die Polizei sie abermals an einem Bahnhof auf, diesmal kam sie für drei Wochen in die geschlossene Station nach Leipzig. Wer auffiel, um den wurde sich ,gekümmert‘“, sagt sie. „Ich bin nicht stolz auf das, was ich damals getan habe. Aber ich schäme mich auch nicht mehr.“ Elke Heinrich ist heute eine lebensfrohe, äußerlich selbstbewusste Frau. Das hat sie in jahrelanger Therapie erst lernen müssen. Dazu zählte, über das Erlebte sprechen zu können. Jahrzehnte konnte sie, durfte sie das nicht. Bei der Entlassung musste sie wie alle Patientinnen eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Daran habe sie sich aus Scham und Angst lange gehalten. Bettina Weben und ihre Freundin wurden nach vier Wochen auf der Station zurück in ihr Wohnheim gebracht. Auch bei dessen Leiter suchten sie nach Erklärungen. Seine Antwort lautete: „Zur Abschreckung der anderen.“ Weben sagt heute: „Es war eine reine Strafaktion. Für uns war das hochgradig peinlich, denn es sprach sich natürlich schnell herum, dass wir in der Tripperburg gewesen waren.“ Lebenslanges Leiden „Die Erlebnisse in Halle hatten oft desaströse Folgen für die Biographien vieler dieser 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 6 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... Frauen“, sagt Medizinhistoriker Steger. Dazu zählen Angst vor gynäkologischen Untersuchungen, Schlafstörungen, sexuelle Unlust, Inkontinenz. Viele seien unfähig, stabile Partnerschaften einzugehen oder fürsorgliche Mütter zu werden. Elke Heinrich etwa erlitt drei Fehlgeburten, sie hat nie Kinder bekommen, was sie auf die Zeit in Halle zurückführt. Für Bettina Weben ist bis heute jeder Besuch beim Frauenarzt eine Qual. Eine Therapie hat sie nie gemacht. „Ich bin an sich eine starke Persönlichkeit“, sagt sie. „Aber die Erlebnisse verfolgen einen, umso mehr, je älter man wird.“ Auch deshalb war sie eine der Ersten, die sich gemeldet haben, als Zeitzeugen für Stegers Forschungsprojekt gesucht wurden. „Ich will endlich darüber reden, und ich will, dass das alle wissen“, sagt Weben. „Die haben mir in Halle meine Würde, die Freiheit und meinen ersten Freund genommen.“ Vielen Hallensern sei der Name „Tripperburg“ noch ein Begriff, sagt Heidi Bohley vom Verein „Zeit-Geschichte(n)“ in Halle. Was auf der Station wirklich vorging, wüssten allerdings die wenigsten. Gerüchte darüber hielten sich bis heute. Viele dachten und denken auch jetzt noch: Wer in die Geschlossene kam, wird schon einen Grund dafür gehabt haben. „Dabei war das ein rechtsfreier Raum“, sagt Bohley. „Eine Kontrolle von außen war praktisch unmöglich.“ Keine Hoffnung auf Entschädigung Wie viele Mädchen und Frauen die Station in den zwanzig Jahren ihres Bestehens durchliefen, ließ sich nicht genau rekonstruieren. Ein Großteil der Patientenakten der Klinik ist bis heute verschwunden. Die Station selbst wurde 1982 geschlossen, als ein Teil des Personals den Mut aufbrachte, gegen die Zustände zu protestieren. Zuvor war Direktor Münx abgelöst worden, nachdem bei einer Patientin, die zur Strafe zwei Tage lang nackt auf einem Holzschemel im Bad zubringen musste, eine offene Tuberkulose diagnostiziert worden war. Münx wurde versetzt und durfte angeblich nicht mehr als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten praktizieren. Er starb im November 2000. Mit dem Forschungsbericht über die Station in Halle befasst sich inzwischen auch der sachsen-anhaltinische Landtag. „Es geht vor allem um die Anerkennung von Unrecht“, sagt Birgt Neumann-Becker, Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Der Bericht ist vergangene Woche als Buch erschienen. Hoffnungen auf Entschädigung dürfen sich die ehemaligen Insassen bislang nicht machen. Die Begründung der Landesbeauftragten: Es sei nur schwer nachzuweisen, dass die Leiden der Frauen ursächlich von ihren Erlebnissen in Halle herrührten. Elke Heinrich sieht das anders. Sie will um eine Entschädigung kämpfen. Sie lebt heute von 475 Euro Rente sowie 250 Euro Opferrente für ihre Haft im Frauengefängnis Hoheneck, wo sie zwei Jahre wegen „versuchter Republikflucht“ einsaß. Bettina Weben, die heute nicht mehr in Halle lebt, glaubt nicht an eine Entschädigung, auch wenn sie findet, dass sie ihr zustünde. „Schließlich sind wir schuldlos eingesperrt und misshandelt worden.“ * Name geändert Zur Homepage Quelle: F.A.Z. 15.09.2014 10:40 Wie Asoziale in der „Tripperburg“ diszipliniert wurden 7 von 8 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-asoziale-in-der-tripperbur... Themen zu diesem Beitrag: Universität Halle-Wittenberg | Polizei | Ungarn | DDR | Alle Themen Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben Weitere Empfehlungen Schönheitschirurg Ivo Pitanguy Der Meister und die Schönen Nirgends legen sich mehr Menschen fürs Aussehen unters Messer als in Brasilien. Und keiner hat mehr Erfahrung als Schönheitschirurg Ivo Pitanguy. Annäherung an eine Legende in Zahlen, Namen und Geschichten. 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