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Zitierhinweis
Köstlbauer, Josef: Rezension über: Florian Kerschbaumer / Tobias
Winnerling (Hg.), Frühe Neuzeit im Videospiel.
Geschichtswissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld: Transcript,
2014, in: Frühneuzeit-Info, 25 (2014), S. 280-281,
http://recensio.net/r/243ca2d231954502bb784224fe896a22
First published: Frühneuzeit-Info, 25 (2014)
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FRÜHNEUZEIT-INFO
Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.):
Frühe Neuzeit im Videospiel. Geschichtswissen­
schaftliche Perspektiven (= Histoire 50), Bielefeld:
Transcript 2014, 336 S., ISBN 978-3-8376-2548-6
Viele HistorikerInnen mögen das digitale Spiel als ein
der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung weit­
gehend entzogenes Phänomen ansehen, als ein popkulturelles Wellengekräusel in den gegenwartsnahen
Uferzonen der Geschichte. Und doch ist das digitale
Spiel auch in der Geschichtswissenschaft kein unbeachtetes Thema mehr. Weshalb das so ist, machen die
Herausgeber des vorliegenden Bandes schnell klar:
Sehr viele Computerspiele verarbeiten historische
Stoffe. Zudem sind sie ein beliebtes Medium, weitaus
populärer als historische Sachbücher oder sogar Historienfilme. Die Herausgeber schlagen dafür den Begriff „historisierende Videospiele“ vor: „Sie produzieren fremdartige Zeiten. Sie historisieren.“ (S. 14)
Es sind vor allem HistorikerInnen jüngeren Jahrgangs
und mit persönlicher Spielerfahrung, die sich in den
letzten Jahren diesem Gegenstand zugewandt haben.
In ihrer theoretischen Ausrichtung und ihrem methodischen Zugriff sind sie stark von Disziplinen beeinflusst, die schon wesentlich früher „zu spielen“ begonnen haben. Zu nennen sind vor allem die Medien- und
die Filmwissenschaften sowie die junge Disziplin der
Game Studies.
Die eindrucksvolle inhaltliche und methodische Bandbreite der im vorliegenden Band versammelten Aufsätze illustriert dies nachhaltig. Erwähnt sei beispielsweise Simon Maria Hassemers origineller methodischer
Ansatz zur Untersuchung von Computerspielen. Er
geht davon aus, dass Videospiele im Unterschied zu
Film oder Literatur kein fertiges Produkt sind, sondern immer einen Moment subjektiver und nicht reproduzierbarer Erfahrung beinhalten. Daher plädiert
Hassemer für die videografische Dokumentation von
Spielprozessen und für die Einbeziehung von Spielaufzeichnungen in die Analyse von Spielen. Simon Huber
skizziert eine von Claus Pias inspirierte medienarchäologische Untersuchung der filmischen Zwischensequenzen in Spielen und wirft damit ein Schlaglicht
auf einen wenig beachteten Aspekt der Geschichte des
Videospiels. Ganz buchstäblich einem Randthema
widmet sich Adam Chapman, der die Bedeutung des
off-screen space untersucht, also des nicht dargestellten aber in der Imagination der Spielenden evozierten
Raumes jenseits des Bildschirmrandes. Tim Raupach
LITERATURBERICHTE
und Martin Weis verhandeln die komplementären
Phänomene der Erzeugung von Authentizität in Computerspielen und den Umgang mit dem Ahistorischen,
das die Spielmechanik auch in historisierenden Spielen
erzwingt. Gleich zwei Aufsätze widmen sich der Darstellung von Piraten in Computerspielen und wie hier
populärkulturelle Projektionen neue Interpretationen
erfahren (Gunnar Sandkühler und Eugen Pfister).
Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Aspekten der
Assassin’s Creed-Spiele, so etwa mit der simulierten
und interaktiv erfahrbaren Städtearchitektur (Gernot
Hausar), mit der Funktion von Spielen innerhalb des
Spiels (Andreas Fischer) oder mit den Möglichkeiten
einer geistesgeschichtlichen Annäherungen an diese
Spiele (Sinem Kılıç).
Angesichts dieses breiten inhaltlichen Spektrums war
es offensichtlich nicht leicht, eine inhaltliche Strukturierung des Bandes vorzunehmen. Die Herausgeber
unterscheiden zwischen Beiträgen, die sich damit beschäftigen „was historisiert wurde“, und Beiträgen, die
untersuchen „wie historisiert wurde“. Gleichzeitig ist
der Band in zwei Teile gegliedert. Der erste versammelt acht Beiträge, die sich mit Fragen der Methodologie und Theorie auseinandersetzen, den zweiten Teil
bilden sieben Aufsätze, die als Fallstudien bezeichnet
werden und vor allem einzelne Spiele analysieren.
Notwendigerweise sind die Grenzen fließend, weder
kommen die Beiträge des ersten Teiles ohne (durchaus
eingehend vorgestellte) Fallbeispiele aus, noch sind die
Beiträge des zweiten Bands theoriefern.
Bei aller inhaltlichen Breite fällt auf, dass einige wenige Spiele-Titel bevorzugt zum Studienobjekt gemacht
werden, während abseits des Mainstreams verortete
Spiele kaum Beachtung finden. Assassin’s Creed dominiert das Feld mit großem Abstand, in insgesamt acht
Beiträgen werden die Spiele dieser Reihe eingehender
betrachtet. Es folgen weit abgeschlagen Age of Empires
und Total War. Dieses Ungleichgewicht ist zum Teil
sicher der thematischen Vorgabe Frühe Neuzeit geschuldet. Es lässt sich auch argumentieren, dass etablierte Produkte wie Assassin’s Creed, Age of Empires
oder Civilization einen weitaus größeren Personenkreis erreichen. Daher empfehlen sie sich besonders
für eine Analyse populärkultureller Diskurse und Historisierungsphänomene. Vielleicht greifen auch für
den Massenmarkt konzipierte Spiele bevorzugt historische Themen auf, das wäre für sich genommen schon
eine untersuchenswerte Frage.
Trotzdem ist festzuhalten, dass das Angebot an Spielen
LITERATURBERICHTE
mittlerweile sehr heterogen ist und die Produkte unabhängiger Spieleentwickler an Bedeutung gewonnen
haben. Lutz Schröder trägt dem mit seinem Beitrag
über Modding insofern Rechnung, als er verdeutlicht,
dass die Untersuchung von Mods und Modding-Com­
munities wertvolle Einblicke in die kritische Auseinandersetzung der SpielerInnen mit bestimmten historischen Thematiken ermöglicht.
Wenn man einen Kritikpunkt anbringen will, dann
wäre wohl auf den Titel dieses Sammelbandes zu verweisen. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven auf
die Frühe Neuzeit in Videospielen erhält man nur
bedingt, vielmehr bleibt der Umgang mit der Frühen
Neuzeit seltsam unbestimmt. Die vorwiegend behandelten Spieletitel (s. o.) sind zwar thematisch in der
Frühen Neuzeit angesiedelt, aber nur wenige AutorInnen diskutieren die Kategorie der Frühen Neuzeit, was
sie ausmacht und was von ihr Eingang in Computerspiele findet. Eine Ausnahme bildet der Beitrag Anton
Zwischenbergers. Er vergleicht die unterschiedliche
Bedeutung von Epochengrenzen in Age of Empires
und Europa Universalis und weist auf historische Prozesse wie die frühneuzeitliche Hexenverfolgung hin,
die in Aufbau- und Strategiespielen in der Regel unbeachtet bleiben. Vermutlich werden aber historisch
gebildete LeserInnen dies nicht als Defizit empfinden,
lässt sich doch aus den Beiträgen implizit durchaus
etwas darüber erfahren, welche Vorstellungen von der
Frühen Neuzeit in Videospielen integriert werden und
wie sie von Spielenden aufgegriffen werden.
Allein aufgrund der Fülle und der innovativen Ansätze der versammelten Beiträge ist dieser Band zu
empfehlen. Er verspricht zum einen Ertrag für Leser­
Innen, die mit dem Feld vertraut sind, da viele der
Beiträge auf hohem theoretischen Niveau verfasst sind
und sich durch große Originalität auszeichnen. Zum
anderen profitieren sicher auch Studierende der Geschichte von der großen Bandbreite an Inhalten und
Methoden, die hier vorgestellt werden und die in ihrer
Gesamtheit einen nützlichen Überblick über mögliche
Themen und Zugänge bieten.
Josef Köstlbauer (Wien)
FRÜHNEUZEIT-INFO
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Iris Lauterbach/Thomas Weidner (Hg.): Die Münch­
ner Moriskentänzer. Repräsentation und Performanz
städtischen Selbstverständnisses. München: Zentral­
institut für Kunstgeschichte 2013 (= Veröffentlichun­
gen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in Mün­
chen 32), 214 Seiten, ISBN: 978-3-9806071-9-3
Die zehn aus Lindenholz geschnitzten Münchner
Moriskentänzer zählen zu den Höhepunkten süddeutscher Kunst am Ende des Mittelalters. Einem
datierten Eintrag im Stadtkammerbuch zufolge hatte
sie der oberpfälzische Bildhauer und Architekt Erasmus Grasser 1480 fertiggestellt. Damals war Grasser
erst fünf Jahre in München ansässig, wo die Zunft der
„Maler, Schnitzer, Seidennater und Glaser“ mit dem
Vorwurf, er sei verworren und arglistig, seine Zulassung erfolglos zu verhindern suchte. Seit 1930 befinden sich Grassers Moriskentänzer im Münchner
Stadtmuseum. Davor schmückten sie 450 Jahre lang
den Festsaal des Alten Rathauses bzw. Tanzhauses.
Sie standen dort als Konsolfiguren jeweils von einem
kleinen Bogen hinterfangen in fünf Metern Höhe am
Gewölbeansatz, wo sie einen langen Wappenfries unterbrachen bzw. flankierten.
2009 widmeten ihnen das Münchner Stadtmuseum
und das Zentralinstitut für Kunstgeschichte eine Tagung, aus der 2013 die hier besprochene Publikation
mit zehn sehr lesenswerten Beiträgen hervorging.
Richard Bauer beschreibt zunächst die kommunalen
und landesfürstlichen Interessen, in deren Kontext
sowohl die Neue Frauenkirche als auch das Tanzhaus
entstanden waren, und sieht in den Ausstattungsprogrammen eine „maßlose fürstliche Selbstdarstellung,
die unter Albrecht IV. das Werk der Bürger nach Gutdünken überformte und umprägte“ (S. 19).
Thomas Weidner interpretiert im zweiten Beitrag das
heraldische Deckenprogramm des Tanzhauses, das
den Anspruch der Wittelsbacher auf die Kaiserwürde zum Inhalt hat. Unter seinen zahlreichen Abbildungen stechen neben alten Saalansichten und Umbauentwürfen besonders die Photographien früherer
Präsentationen der Moriskentänzer im Stadtmuseum
hervor. So standen die Figuren in den 1930er-Jahren
auf frei stehenden Pfeilern, von denen sie wie im Tanzsaal auf die Betrachter herabblickten, aber auch die
Möglichkeit boten, jeden der Morisken von allen Seiten zu betrachten. Diese Präsentation sowie die damals
verwendeten Benennungen der Figuren als „Schneiderlein“, „Mohr“ etc. lehnt Weidner entschieden ab.