ZEICHNEN
Transcription
ZEICHNEN
ZEICHNEN NEW FRONTIERS zeichnen Der Verein ‘New Frontiers’ hat es sich nach zwei sehr erfolgreichen Ausstellungen in Bratislava und Wien (2010) zur Aufgabe gemacht, einen hochqualitativen Querschnitt der aktuellen österreichischen ArchitekturZeichnung zu versammeln, auszustellen und im Rahmen einer Publikation entsprechend aufzubereiten. Organisation: NEW FRONTIERS - Verein zur förderung experimenteller architektur (F. Medicus, L. Göbl, O. Ulrich, J. Saller) Kuratoren: Dieter Ronte, Florian Medicus Ausstellungsgestaltung: Lukas Göbl, Oliver Ulrich Teilnehmer: Josef Saller, Markus Leixner, Lukas Göbl, Florian Unterberger, Constantin Luser; Sieben weitere Teilnehmerinnen sollen über einen Wettbewerb gefunden werden. Jury: Dieter Ronte, Günter Zamp-Kelp, Florian Medicus, weiteres Mitglied n.N. Ausstellungsort: galerie Aedes, berlin (oktober 2012) Forum frohner, Krems (märz 2013) Galerie d’ Architecture, Paris (in Verhandlung) www.new-frontiers.cc NEW FRONTIERS ZEICHNEN Für den 5. Juli 1999 war am Institut für Architektur- und Designgeschichte (Sokratis Georgiadis) an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ein hochschulöffentlicher Vortrag angekündigt: Mark Wigley von der Princeton University würde über ‘The strange Time of the Sketch’ sprechen, und -so die Ankündigung: ‘sich mit der fetischistischen Beziehung, welche Architekten gegenüber diesen Zeichnungen hegen, und deren gewandelte Rolle im elektronischen Zeitalter’ befassen1. Das ist nun insgesamt nicht sonderlich überraschend, ist Wigley doch und sowieso ein ausgesprochener Kenner der Materie (ich darf nur an ‘Deconstructivist Architecture’, ‘The Activist Drawing’ und ‘Constant-New Babylon’ erinnern), nur finde ich eben gerade den Zeitpunkt bemerkenswert und spannend: nämlich genau zehn Jahre nach der womöglich entscheidenden technologischen, oder gleich: digitalen Zäsur wurde offenbar kurzfristig innegehalten und die neue Spezies Mensch und hier speziell: die neue, mithin mögliche Spezies Architekt in seinem Wesen und Wirken untersucht. Und ich mutmaße, dass Wigley die ‘strange Time’ anhand von Art und Weise der gegenwärtigen Produktionsprozesse, wandelnder Ästhetik, ihrer Wahrnehmung und nicht zuletzt auf ihre diesbezügliche kollektive visuelle Organisation hin untersucht und dargestellt hat. Wenn man (in hochachtungsvoller Anlehnung an Egon Friedell) jede neue Epoche durch das Heraufkommen eines neuen Menschentypus sehen kann und will, so war man zu Beginn der 1990er-Jahre ja eher geneigt, diese historische Zäsur zuerst mit dem Fall des eisernen Vorhangs, dem Ende des kalten Krieges mitsamt Warschauer Pakt in einleuchtende Verbindung zu bringen. Es war aber vielmehr das Auftreten des PCs als historischer Zufall (wie wir bei Houellebecq lesen): unerklärlich, ‘da ihm, abgesehen von Erwägungen wie etwa die Fortschritte in der Regulierung von Schwachstrom und der Herstellung von Siliziumchips, keinerlei ökonomische Notwendigkeit zugrunde liegt.’2, der die Epoche fortan prägen sollte. Die neue Freiheit zu Beginn der 1990er-Jahre war somit zwar auch eine lokal-politische, andererseits und viel mehr: eine global-digitalisierte in farbigen Pixeln und sie trug den grell-leuchtenden Spaßhut eines siegreichen Marktliberalismus. Zwar hatten auch schon zuvor allerlei sich selbst einsetzende Historizismen das quasidemokratische Fortschrittskonzept betonen wollen, aber diesmal war’s doch ziemlich ernst, und tief greifender noch: in seinem futuristischen Anstrich einleuchtend und jedem Haushalt erschwinglich! Im August 1991, als in gesamtdeutschen Kinos ‘Die Rückkehr zur blauen Lagune’ zu sehen war, und -still und leise- das ‘www’ die globale Community quasi offiziell begründete, waren weltweit etwa 600.000 Rechner vernetzt; im Jahr 2000 bereits 100 Millionen, und heute sind etwa 820 Millionen Computer ‘online’ (Smartphones gar nicht mitgerechnet)3. In einer Minute werden heute 1 www.architektur.abk-stuttgart.de/georgiadis/veranst_poster/wigley_plakat.pdf 2Michel Houellebecq, ‘Die Welt als Supermarkt’, S.63; rororo1290, 2001 3Quelle: DER SPIEGEL 31/2011, S. 100f Etienne -Louis Boullee weltweit 168 Millionen Emails verschickt, das durchschnittliche Mailvolumen liegt pro Tag also bei etwa 294 Milliarden. Und selbst die sonst so skeptischen Österreicher sind in diese Entwicklung voll integriert und haben 2010 immerhin 25.000 Terabyte über mobile Geräte aus dem Internet herunteroder ins Netz hochgeladen.4 Somit reicht eigentlich ein schneller, wahlloser Blick in ein mitteleuropäisches Klassenzimmer: das nämlich ist der neue Typus Mensch! Den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung (Datenschutz??) längst vergessen, ist der Sozialdruck heute selbst gemacht, mehr noch: lustvoll, unverzichtbar und umseits gewollt: Facebook, LinkedIn, Youtube, 4Quelle: Der Standard, 13./14./15. August 2011, S. 4 5 David Eagleman in ‘spiegel-online’ am 26. September 2011 twitter, Smartphone, Google längst und Wiki sowieso. Eine sehr reale brave new world und der fatale Druck auf den ‘Don’t-like-itbutton’. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: das alles ist schon gut so, allenthalben natürlich und schlicht der postindustrielle: nämlich digitale Gang der Dinge. Da mag es naive Entsager ebenso wie sprühende Kritiker zu Hauf geben; wie es auf der anderen (wesentlich populäreren) Seite ebenso streitbare Herrschaften wie den Neurophilosophen David Eagleman gibt, der ernstlich zu wissen glaubt, dass und wie (nur!) das Internet die Zivilisation retten kann.5 Und ein paar Dinge haben sich im globalen Dörfchen ja tatsächlich als ganz wundervoll herausgestellt: vieles wurde schneller (auch schnelllebiger!), leichter, mobiler, transparenter, demokratischer vielleicht sogar (man wird sehen!), verfügbarer, abhängiger kurz: unverzichtbarer. Und ein vorschnelles Ende der Geschichte ist nicht nur nicht abzusehen, es ist schlicht unvorstellbar! Selbst wenn das Schreiben ‘klassischer’ E-Mails gegenwärtig zugunsten Instant-Messenger-Charts oder sozialer Netzwerke rückläufig ist (minus 8% in den USA 2010)6, vollzieht sich der von globaler Intelligenz beschworene Bruch, die historische Diskontinuierung kurioserweise anders und noch komischer: ganz wo anders, als vermutet: nämlich in den summenden Hosentaschen der heute 12-Jährigen (schreibt doch der durchschnittliche USTeenager 3.339 sms pro Monat!)7. So wurden über die letzten zwanzig Jahre sicherlich viele Hoffnungen lokal enttäuscht (man denke nur an die ‘Erfolgsgeschichte’ der so genannten ‘Neuen Deutschen Bundesländer’!), andere wiederum in einem schier unfassbaren Umfang übertroffen. Wie wenig Wigley von den Dingen wissen konnte, die sich in den vergangenen zehn Jahren eingestellt und damit in allen Lebens- und Arbeitsbereichen popularisiert haben, so wenig wissen wir heute, wie sich Hard- und Software noch entwickeln und entwickeln lassen. Gegenwärtig allerdings regen sich spürbar und zunehmend Bedenken, kritische Reflexionen; denn eines haben die vergangenen Jahre dramatisch gezeigt: aus der exzessiven Nutzung der uns verfügbaren Mittel allein entsteht nichts zwingend Verbindliches, keine auch nur halbwegs repräsentative Kulturform, kein Ende der Barbarei und schon gar kein realästhetisches Empfinden. Vielleicht ist es aber auch nur Ernüchterung: denn selbst der Einsatz irrwitzigster Technologien hat in den Bergen Afghanistans keinen Krieg entscheiden können und es hat lähmende Wochen gedauert, bis das sehr real havarierte Kraftwerk Fukushima zumindest halbwegs gekühlt und abgedichtet werden konnte, während andernorts automatisierte Hochfrequenz-Programme den Hunger Afrikas auf einen neuen Höchststand spekulierten. Es herrscht aktuell eine nahezu perverse Inflation möglicher Wirklichkeiten, in der das lineare Leben früherer Zeiten in einem Feuerwerk an Komplexität endet, wie Gabor Steinhart weiß.8 Und all das hat auf ganz selbstverständliche Weise natürlich auch mit Architektur zu tun. Im gleichen Jahr wie Mark Wigley, also 1999 (allerdings sonderbarerweise in Graz!), hielt Jean Baudrillard einen Vortrag zum Thema ‘Architektur: Wahrheit oder Radikalität?’. Dieser Vortrag ist übrigens als Essay 40 in einem kleinen, liebenswert-unspektakulären Band bei Droschl erschienen.9 Baudrillard sprach über Architekten, die sich über materielle, konstruktive als auch konzeptuelle Modelle fast wahllos den aktuell technischen Möglichkeiten ausliefern und sagte: “... Folglich verweist die Architektur nicht mehr auf irgendeine Wahrheit, auf irgendeine Origi- 6 siehe etwa Christoph Koch, ‘Das Ende von @was’ in ZEITmagazin Nr. 45, 2011 7 ebd. nalität, sondern nur mehr auf die technische Verfügbarkeit der Formen und der Materialien. Die Wahrheit, die auftaucht, ist nicht einmal mehr die der objektiven Bedingungen, und noch weniger jene des subjektiven Willens des Architekten, sondern ganz einfach jene des technischen Dispositivs und seiner Funktionsweise. Man kann das noch Architektur nennen, aber nichts ist dabei sicher.” Ich kann mir so halbwegs vorstellen, was Wigley über die Skizze oder die Zeichnung im Allgemeinen gesagt haben könnte und lese aus dem gleichen Jahr Baudrillards Einschätzung der räumlichen Produktionsumstände (wenn man’s marxistisch will!), sehe also eine Koinzidenz des Unwohlseins und des Misstrauens; weniger dadurch begründet, dass den Damen und Herren Architekten fortan neuen Medien und Möglichkeiten zur freudvollen Verfügung stünden, als dass (zumindest bei Baudrillard) ein ganz klarer Auftrag zur praktischen Reflexion formuliert wird. Anders gesagt: man möge sich doch bitte nicht den technischen -meint: digitalen- Versuchungen allzu unbesorgt an den Hals werfen, ohne zu wissen, was das in letzter Konsequenz bedeutet; und nicht nur für das räumliche Denken, also die Organisation der Wahrnehmung, sondern für die Profession als ganzes! (zumal auch auf einer Baustelle der Zukunft zumindest ein missmutiger Kerl in Gummistiefeln stehen und unangenehme Fragen stellen wird.) Lebbeus Woods und eindeutiger vielleicht als in den Jahrzehnten zuvor, aber letztlich geht es immer noch um dieselben Fragen, Aufgaben und menschlichen Bedingungen und Bemühungen. Und natürlich kaufen wir uns regelmäßig die neuesten Prozessoren, Grafikkarten und optimieren dadurch Darstellungs-, Planungs- und Herstellungsprozesse; in ständiger Anhängigkeit vom ‘technischen Dispositiv’ allerdings - denn es ist, und alles ist, was ‘das Ding’ gerade kann: ein kleinwenig Natürlich haben sich die architektonischen modisch und mit der Schlussreinigung fast Arbeitsbedingungen gewandelt, schneller schon antiquiert. Die Planung und sich her8Gabor Steinhart, ‘Das ist doch nicht normal’; DER SPIEGEL 10/2011, S. 136f 9 Jean Baudrillard, ‘Architektur: Wahrheit oder Radikalität’; Droschl, Graz-Wien, 1999 nach materialisierende Architektur dauert ab einem gewissen Maßstab immer noch zu lange, das muss schon gesagt werden! Wobei es ja ein etwas kühner Spaß wäre, sich folgendes vorzustellen: es gäbe eine Plattform im ‘www’, in der weltweit alle Katasterpläne als 3D-Files gespeichert wären, dazu noch alle lokalen Bebauungsgrundlagen, sämtliche jeweils geltenden Vorschriften und Baupreisindizes. Der (zahlungspflichtige!) User gibt dem Programm lediglich an, dass man auf der Liegenschaft X mit so und so viel Währungseinheiten ein Gebäude mit so und so vielen Räumen (optional) der künftigen Nutzung entsprechend zu errichten gedenke. (Christoph Opperer und ich hatten für diesen Jux auch schon einen Markennamen: www.makegoodproject.com) Etwas weiter unten gäbe es dann noch einen Regler, der sich formal ggf. zwischen Francois Roche und Peter Zumthor bewegen ließe. In Echtzeit plant das Programm also aufgrund der gegebenen Parameter, einfach alles: vom Carport bis zum Stadtteil, und schickt den Plansatz (inkl. standardisierter Leitdetails) automatisch zur prüfenden Behörde und an ausführende Firmen; Parkettbemusterung und Baufortschritt via iPhone usw. Was für eine Gaudi und 1.213 Freunden gefällt dies! (So etwas scheint als Gedankenmodell natürlich ein Spaß an einem der weniger gut beleuchteten Wirtshaustische; nur ist selbst derartiges Geblödel letztlich nichts anderes als ein Ausdruck tiefster Verunsicherung über mittelfristige Perspektiven, also Bagatellisierungen dieser einst so sonderbar geachteten Neigungsgruppe. Und die entscheidende Frage muss bedauerlicherweise vorerst ungeklärt bleiben: was ist es wirklich, was wir da tun und tun lassen? Wo sind die entscheidenden Kompetenzen, die eindeutigen Manifeste (Patrik Schumachers diesbezügliche Bemühungen vielleicht ausgenommen), wo deren materialisierten Nachweise und Ansagen abseits der bekannten, wunderbar-irrwitzigen Prototypen? Erleben wir die nächste ungebetene Renaissance des Pavillons als Experimentierfeld für all das, was einem größeren Maßstab womöglich nur bedingt zuträglich wäre?) Die Erlösung nämlich ist das bislang nicht, vor allem, wenn man offenen Auges durch Mitteleuropa spaziert, und eigentlich nur noch die ohnehin labile Fassung verlieren kann ob dem (ich muss es leider so sagen:) großformatigen Scheißdrecks der allerorts nicht nur genehmigt und gebaut, sondern auch noch auf das Schamloseste publiziert und bejubelt wird! In all dem Irrsinn der vergangenen Jahre hat sich allerdings still und leise etwas zu formieren begonnen, was optimistische Kreise als ‘die neue Konservative’ bezeichnen. Es fällt unangenehm auf: die Tracht als Alltagsverhüllung erlebt ihre modische Wiedereinsetzung; die Sehnsucht nach ‘wahren Werten’, nach Fortsetzung irgendwelcher Traditionen wird von mehrfach durchstochenen Zungen freudig vorgebracht und selbst das hippe ‘Wallpaper’ freut sich in seinem ‘Handmade Issue’ (August 2011) über Otto Wagner all die Irren in London, Berlin und Barcelona, die wieder mit der Hand zeichnen und nähen und stricken und hämmern. Es war auch dem österreichischen Wirtschaftsmagazin ‘Trend’ im August 2011 nicht zu blöd, ‘Die neue Landlust’ aufs Cover zu setzen; Untertitel: Tracht & Volksmusik, Vollholz und Zeltgaudi boomen. Und wenn das so ist, könnte man meinen, dass das allgemeine Pendel überhaupt wieder im Rückschwung sich befände. So war es letztlich die ArchitekturBiennale 2010 in Venedig, die zeitgleich mit dem MoMA (‘small scale, big impact’) in New York recht eindringlich Fragen aufwarf, die im Auge des digitalen Sturms der vergangenen Jahre nahezu hinderlich schienen: was machen wir da eigentlich? Und wo? und wie? und für wen? Beschworen wurde aber keine nostalgisch-regressive Parallelwelt, die nahezu kindisch versucht sich dem Terror all der Apps und Tweets zu entziehen und Waldhütten zu bauen; aufgezeigt wurde lediglich, wie weit sich gewisse Entwicklungen nicht nur von ihren vermeintlichen Autoren, sondern auch von ihren Rezipienten vulgo: Nutzern entfernt hatten. Es ist nicht mehr nur der tiefe Graben zwischen Theorie und Praxis, sondern ein weiterer, mithin gefährlicher: der zwischen vermeintlicher Praxis und Öffentlichkeit. Die virtuellen Resultate des technischen Dispositivs sind schlicht nicht mehr les- also nicht mehr vermittelbar und stellen somit keinen wie auch immer gearteten ‘erhofften Zustand’ dar. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine bewusste, mithin radikale Enttabuisierung (frei nach Engels) oder räumliche Perspektiven an sich, sondern um eine ungebremste Schussfahrt in die kulturelle Isolation der bits und bytes und also in die politische wie ästhetische Auflösung. Denn gerade die Architektur muss -anders als die bildenden Künste- in ihren Medien vermittelbar sein, muss lesbar, taktisch und optisch rezipierbar10 bleiben und darf also den Maßstab der Erkenntnisfähigkeit nicht überstrapazieren. mütigen Rückschau, wie das gesamte 20. Jahrhundert sich auf das Wunderbarste in Architekturzeichnungen abbilden lässt (siehe Lampugniani11 bis Riley12!). Frank Lloyd Wright wirkt dort ebenso unverzichtbar wie Daniel Libeskind; Le Corbusiers oder Erich Mendelsohns Handschrift so unverwechselbar wie die Zaha Hadids. Es wird allerdings wenig überraschen, dass die bedeutende Sammlung von Architekturzeichnungen im MoMA ihre Ankäufe zeitgenössischer Architektur weitestgehend eingestellt hat, wohl aus Mangel an bedeutsamen Versuchungen diesbezüglich oder weil sich das Medium als sammelbares Original tatsächlich überholt hatte. Im Katalog ‘Envisioning Architecture’ von 2002 wurde abschließend ein eigentlich erschütternder ‘computer-generated print’ von Arata Isozaki (1992) abgedruckt. Und das war’s vorerst... Nun muss ein Architekt/eine Architektin ja nicht zwangsläufig zeichnen können. Es gab in der lieben Geschichte ganz wunderbare Architekten, deren Zeichnungen an sich aus künstlerischer Sicht wenig bedeutend scheinen. So war es Adolf Loos auch gar nicht wichtig, seine räumlichen Vorstellungen im Sinne der Wagner-Schule anzupreisen und auszumalen; viel wesentlicher war, dass die an einem Projekt Beteiligten wussten was sie zu tun oder gegebenenfalls davon zu halten hatten. Die Zeichnungen Otto Wagners bzw. seiner Werkstatt allerdings gehören wohl für sich genommen zum fixen Repertoire einer fast weh- In den vergangenen Jahren allerdings haben junge Architekten und Künstler sich und uns vermehrt wieder mit dem Medium der ‘Architekturzeichnung’ unterhalten. Weniger, wie es scheint, um eine restaurativ-trotzige Parallelwelt a la Ruskin oder Morris darzustellen, sondern um erneut Grenzen und Möglichkeiten auszuloten. Es kann heute ohnehin nicht ernstlich darum gehen, sich der umfassenden Technologisierung entziehen zu wollen; alle können, alle müssen heute Computer. Es ist aber sehr wohl ein fruchtbarer Anspruch, den stets verfügbaren objektiven Variationen noch subjektive dazuzuschalten. So war es in den ver- 10Walter Benjamin, ‘Das Kunstwerk im Zeitalter ...’; S. 344, Ed. Suhrkamp, Frankfurt, 1996 11M. Lampugniani, ‘Architektur unseres Jahrhunderts in Zeichnungen’, Hatje, Stuttgart, 1982 Erich Mendelsohn, 1917 Antonio Sant’Elia, 1911 gangenen Jahren nur wenigen Architekten möglich gewesen, auch im 3D eine Art von eigener Handschrift zu entwickeln (Morphosis etwa wären hier als Erfolgsmodell anzuführen), und so ist der Versuch einer Synthese als Moment der personalisierten Revision nicht nur naheliegend und aktuell, sondern -wie man bereits sehen kann: auch ziemlich spannend und viel versprechend. Dass diese Entwicklung keine oppositionelle Randerscheinung, sondern vielmehr eine ästhetische Tendenz ist, zeigt sich in Büchern wie ‘beyond architecture’ ebenso, wie im Zuspruch internationaler Architekturzeichnungs-Wettbewerbe etwa des dänischen ‘Henning Larsen-Fonds’ oder der kalifornischen Woodbury-University (‚Drawing in the Post-Digital Age’, 2011). Bemerkenswert ist also das Entstehen neuer visueller MusterSprachen, fantastischster Hybride in einer unsentimentalen aber gleichfalls selbstreflexiven Geste des Tuns. Wie unverzichtbar die Grundgeste des Handzeichnens selbst im post-digitalen Gestaltungskreislauf ist, zeigt sich etwa an Jonathan ‘Jony’ Ive, seit 1997 oberster Produktentwickler bei Apple, der ausschließlich mit der Hand zeichnet und diesen Umstand damit beschreibt, dass er immer schon ein gesteigertes Empfinden für die Schönheit handgemachter Dinge und die darin investierte Sorgfalt gehabt hätte13. Ebenso legendär ist die (zeichnerische) Entwicklungsarbeit Adrian Neweys, seines Zeichens Chefdesigner bei ‘Red Bull Racing’ und als solcher quasi Garant für Irrwitz und Erfolg der derzeit leistungsstärksten Boliden des Formel 1-Zirkus. Und auch im Rotterdamer Büro OMA wird die Fähigkeit des Adrian Newey (Red Bull Racing) 12McQuaid/Riley, ‘Envisioning Architecture’ (MoMA), New York, 2002 13Walter Isaacson, J‘ obs und Ive’ in DER SPIEGEL 41/2011 manuellen Skizzierens in diversen Job-Desriptions als ‘Soll’ dargestellt. Handzeichnen ist also immer noch eine ebenso hartnäckige, direkte und wohl entscheidende Form des Denkens und Machens, immer noch Hirn an Hand sozusagen. Skizzieren, Notieren, schnelles Aufreißen und somit Entwickeln einer noch formlosen Idee ist das Erste und mithin Naheliegendste jedes Objektivierungsversuchs. Wobei das Digitale per se ja nicht überwunden, sondern vielmehr als selbstverständlich integriert wird. Der Prozessstart, die formale Grundlage ist jedoch immer noch ein und dieselbe, seit vor langer Zeit irgendeine mithin reale Darstellungsoder Gestaltungsabsicht ihre maßstäbliche Determinante fand. Das Außergewöhnliche der vergangenen Jahrtausendwende ist uns mittlerweile zutiefst gewöhnlich geworden; das virtuelle Blendwerk bedarf nun einer grund- wie zusätzlichen Bearbeitung, einer inhaltlichen wie formalen Revision und additiven Schicht vielleicht, jedenfalls aber handwerklicher Aufmerksamkeit um zum einen wieder lesbar, zum anderen als intensives Original wieder wertvoll und bedeutsam zu werden. Überhaupt glaube ich, dass die Frage des Originals und seiner Identität (in loser Anlehnung an Benjamin) als womöglich ‘einzig wahrer Wert’ neu zu stellen ist. Wie sonst ließe sich das hartnäckig wie letztlich ärgerliche Gerücht einstufen, dass in großen Albertina-Ausstellungen eben nicht nur Originale von Dürer oder Michelangelo zu sehen seien? Kopien, oder hier: (möglicherweise) Nachdrucke, also Nachbildungen, haben, selbst wenn wir der Unterscheidung nicht mächtig sind, immer etwas unnotwendig Schäbiges an sich. Es ist schlichtweg nicht nur nicht das Original, sondern etwas beliebig Reproduzierbares und somit Billiges geworden. Ich darf hier an Walter Benjamin und seine Einschätzung erinnern: “Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus, und auf deren Grund ihrerseits liegt die Vorstellung einer Tradition, welches dieses Objekt bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und Identisches weitergeleitet hat. Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen -und natürlich nicht nur der technischen- Reproduzierbarkeit.”14 Und hatte nicht auch der gewiss technologisch zuversichtliche Sigfried Giedion 1929 formuliert, dass zwar mit dem Ornament auch das Handwerk verschwindet, dass ‘wir (aber) den merkwürdig ergreifenden Abdruck empfinden, der durch den Eingriff der menschlichen Hand über handwerklich bearbeiteten Dingen schwebt; wir wissen, dass er durch keine Maschine ersetzt werden kann.’ [siehe Apple-Designer ‘Jony’, etwas weiter oben] Benjamin würde an dieser Stelle die ‘Aura’ eines Kunstwerks vermissen und gleichfalls seine Fundierung im Ritual. Denn die Digitalisierung ist immer auch eine Trivialisierung (zwar ‘Kunstleistung’, nicht aber ‘Kunstwerk’!) der ursprünglichen Anlagen, dessen muss man sich bewusst sein! Und so 14Sigfried Gidion, ‘Architekt und Konstruktion’, in ‘Wege in die Öffentlichkeit’, S. 107; gta/Ammann, Zürich 1987 15Francesco Dal Co (Hg.), ‘Tadao Ando - Complete Works’, Phaidon Press, 1995 16Arno Schmidt, ‘Unsterblichkeit für Amateure’, in ‘Über die Unsterblichkeit’, S.12; Suhrkamp, Frankfurt, 2009 Rob Voerman Julie Hunag Jahn viel die Maschine kann (auch faktisch ersetzen, beschleunigen und optimieren kann!), es gibt wohl ebenso viel, was sie nicht kann und niemals können wird: den zeitlosen Reiz und die damit einhergehende Berührung eines in vielen Stunden hergestellten Gegenstandes simulieren zum Beispiel, sei das ein Apfelstrudel, ein Schuh, ein Tisch oder eben eine Zeichnung. Das mag sentimental und auch etwas romantisch-verklärt klingen (was es in meiner Person ja durchaus ist!), aber überzeugend wirken etwa in Tadao Andos an sich schönem Buch von 1995 die Modellfotos, Skizzen und mithin irrsinnigen Zeichnungen und nicht die versucht-modisch, wie geistlos-fatalen Renderings zum Nakanoshima Project II. Es war 2003 das ohnehin bemerkenswerte Elektronik-Label ‘Ninja Tune’, das seinen Vertrags-Musikanten nahelegte, die am Computer hergestellten Sounds und Samples müssten bitte auch ‘live’, also im Hier und Jetzt zu vermitteln sein, worauf sich fortan ganz wunderbare Stilmixes, im Sinne von Singer-Songwriter-Club-Sounds zeigten (‘Fink’, ‘MGMT’ oder zuletzt etwa die Herrschaften von ‘Vampire Weekend’). Und vergleichbares ist durchaus im Architekturund Kunstbereich nicht nur möglich, sondern vielmehr schon aktueller Gegenstand der Wahrnehmung. Denn allein die Entscheidung und der folgende Akt des Zeichnens hat, um es mit dem wunderbaren Arno Schmidt zu sagen, sowieso eine gewisse Unanfälligkeit für geistlose Moden, populäre Tabuvorstellungen und von der Außenwelt auferlegte Denkhemmungen16. Zeichnen ist gleich nach sprachlichem Verlangen die erste Gestaltungsabsicht, egalitär, universell und trotzdem so eigenständig; lange vor dem Schreiben und Lesen und noch länger vor dem Sozialdruck virtueller Freund- und Feindschaften. Und spätestens seit der Renaissance zeichnen, entwerfen, entwickeln Architekten und Designer (Erfinder, Ketzer und Strategen) mit der Hand; mal mehr mal weniger, mal besser, mal schlechter; aber eben und ganz offensichtlich: jetzt wieder und wieder mehr. Es beginnt also im Hier und Jetzt und zeigt neue Wege, gleichsam Fortsetzung und Neuanfang einer so umfassenden Tradition und des zentralen Bewusstseins. Vielleicht aus den bereits erwähnten Gründen, vielleicht aus ganz anderen; aber allein schon die spürbaren Regungen im öffentlichen Diskurs geben aktuell Anlass zu Freude und Zuversicht; schon deswegen, weil es letztlich heißt: dass wieder vermehrt darüber nachgedacht wird, was wer wie für wen warum tut, meistens spätnachts, also schon ‘offline’. Denn letztlich ist es wohl so, wie Raimund Abraham seinen letzten Vortrag an der SCI-Arc enden ließ: ‘all you need is a piece of paper, a pencil, and the desire to make architecture’.17 Superstudio, 1969 Florian Medicus, Okt./Dez. 2011 16Arno Schmidt, ‘Unsterblichkeit für Amateure’, in ‘Über die Unsterblichkeit’, S.12; Suhrkamp, Frankfurt, 2009 17Zit. nach P. Noever in ‘In the Absence of Raimund Abraham’; S. 21; Hatje Cantz, Ostfildern, 2011 NEW FRONTIERS ZEICHNEN bl Lukas Gö r eixne Markus L Luser in Constant Saller Josef berger r e t n U n Floria N.N. N.N. N.N. N.N. N.N. N.N. N.N. Teilnehmer Lukas Göbl Lukas Göbl Constantin Luser Constantin Luser Markus Leixner Markus Leixner Florian Unterberger Florian Unterberger Josef Saller Josef Saller „We stand on the edge of a New Frontier— the frontier of unfulfilled hopes and dreams, a frontier of unknown opportunities and beliefs in peril. Beyond that frontier are uncharted areas of science and space, unsolved problems of peace and war, unconquered problems of ignorance and prejudice, unanswered questions of poverty and surplus.“ (John F. Kennedy, acceptance speech Democratic National Convention, Los Angeles, 1960) NEW FRONTIERS Verein zur förderung experimenteller architektur Veronikagasse 12/3 1170 Wien Tel +43 (0)1/27 64 418 Mobil (Lukas Göbl) +43 (0)676/61 74 500 MOBIL (Florian Medicus) +43 (0)699/10 93 94 98 [email protected] www.new-frontiers.cc