Starte - Aktiv in jedem Alter
Transcription
Starte - Aktiv in jedem Alter
Mobilität und Mobilitätsstörungen von Heimbewohnern Dritter Bericht des Ulmer Modellvorhabens „Verminderung von sturzbedingten Verletzungen bei Alten- und Pflegeheimbewohnern“ Bearbeitet von Clemens Becker, Ulrich Lindemann, Elisabeth Kapfer, Barbara Eichner, Marion Hausner und Thorsten Nikolaus GLIEDERUNG Einleitung und Rückblick auf das erste und zweite Projektjahr.................................................... 2 Danksagung ............................................................................................................................... 3 Ergebnisse Sturz- und Frakturprävention.................................................................................... 5 Risikofaktoren für Stürze von Heimbewohnern ......................................................................... 12 Publikationen und Vorträge....................................................................................................... 20 Trainingsprogramme / Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit ......................................................... 21 Umsetzbarkeit........................................................................................................................... 26 Stellungnahmen........................................................................................................................ 30 Schlusswort .............................................................................................................................. 65 Literaturempfehlungen.............................................................................................................. 67 Anlagen - Vortragsfolien und -kurzfassungen des Symposium - Artikel zum Thema Hüftprotektoren - Mustervortrag Sturzverhütung 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 1 Einleitung und Rückblick auf das erste und zweite Projektjahr Der vorliegende Abschlussbericht des Modells ergänzt den ersten und zweiten Jahresbericht. Er zeigt den Erfolg des Modells und wirft neue Fragen auf. Neben der Vorstellung der Ergebnisse zur Sturz- und Frakturprävention liegt der Schwerpunkt dieses Berichtes bei der Darstellung der Nachhaltigkeit und der Umsetzbarkeit im lokalen, regionalen und nationalen Kontext. Auch wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde, liegt die Aufgabe der Wissensvermittlung und -verbreitung noch in der Zukunft. Erfreulich ist es, dass in den letzten zwei Jahren das Thema Sturzprävention als wichtig erkannt wurde und Initiativen zur Verhütung von Stürzen im Heimbereich entstanden sind. Diese sich in Vernetzung mit dem Ulmer Modell entwickelt, zum anderen handelt es sich aber auch um unabhängige Initiativen, die erkennen lassen, dass die Bedeutung des Themas bei den betroffenen Institutionen vielerorts erkannt wurde. Einen weiteren Beitrag, den wir glauben leisten zu können, ist die Beantwortung der Frage, wie Heimbewohner als sturzgefährdet erkannt werden können. Vor dem Hintergrund knapper Personalressourcen erscheint es wichtig, der Frage nachzugehen, bei welchen Heimbewohnern das Thema Bewegungssicherheit und Sturz vorrangig ist und bei welchen Bewohnern das Thema nur nachrangig von Bedeutung ist. Auch wenn das Ulmer Modell derzeit zu den europaweit erfolgreichsten Programmen zur Sturzprävention bei Heimbewohnern gehört, lassen sich unseres Erachtens zukünftig noch weitergehende Erfolge erreichen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 2 Danksagung Wir möchten uns an dieser Stelle bei den Personen und Institutionen bedanken, ohne die das Modellvorhaben und dessen Erfolg nicht möglich gewesen wäre. Zuerst gilt dies den Heimbewohnern mit ihrem Humor, ihren Geschichten und ihrer Bereitschaft sich zu beteiligen. Häufig haben Freunde und Angehörige der Bewohner uns unterstützt. Ohne die Initiative und Unterstützung der Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen, der Zivildienstleistenden und Mitarbeiter im freiwilligen sozialen Jahr wäre das Modell zum Scheitern verurteilt gewesen. Sie sind die eigentlichen Motoren des Programmes. Genauso gilt dies für die Therapeuten, die im Projekt beschäftigt waren und jetzt in den Heimen das Programm weiterführen. Die Tatsache, dass im ganzen Modellzeitraum keine Trainingsstunde durch Krankheit der Therapeuten ausfiel, spricht für sich. Der Arbeitskreis der Heimträger unter Beteiligung des Seniorenrates hat das Modell mit geplant und fachlich begleitet. Wir möchten uns bei Herrn Kiesinger, Herrn Schäffer, Frau Hailer, Frau Badem, Frau Schumann, Herrn Schöttner, Herrn Antritter und ihren Pflegedienstleitern für die Unterstützung bedanken. Durch sie war es möglich, dass das Programm in allen und nicht nur in ausgewählten Heimen durchgeführt werden konnte. Die Türen der Heime waren für uns stets geöffnet. Es war ein gemeinsamer und stets dynamischer Lernprozess. Des weiteren möchten wir uns bei dem Projektbeirat unter Teilnahme der Kreisärzteschaft, der Mitarbeiter des Geriatrischen Zentrums und der Leistungsträger bedanken. Vor allem der Leiter der AOK Ulm, Herr Dir. Müller hat das Projekt unterstützend begleitet. Besonderer Dank gilt der Stadt Ulm, vertreten durch Herrn Bürgermeister Dr. Hartung und vor allem Herrn Pleichinger, der uns als Koordinator der ambulanten und stationären Altenarbeit durch manches flachere Fahrwasser gelotst hat. Die Stadt Ulm hat das Modell auch finanziell unterstützt. Die Otto-Kässbohrer-Stiftung hat einen wichtigen finanziellen Beitrag zur Umsetzung des Projektes geleistet. Durch die personelle und finanzielle Unterstützung der Universitätsklinik Ulm und der Bethesda Geriatrischen Klinik konnte der erforderliche Eigenbeitrag eingebracht werden. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 3 Die Modellbegleitung durch das Bundesministerium für Gesundheit, vertreten durch Frau Jasse und Herrn Feckler aus dem Referat „Modelle zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger“ sowie dem Sozialministerium Baden-Württemberg vertreten durch Herrn Schmolz aus dem Referat „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ war konstruktiv, engagiert und trotzdem kritisch. Frau Schweizer vom ISO-Institut, Saarbrücken hat das Projekt kompetent sozialwissenschaftlich begleitet. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 4 Ergebnisse Sturz- und Frakturprävention Bei Veränderungen der Sturzinzidenz sollten mindestens drei Ebenen betrachtet werden. Zum einen sollte die Zahl der Stürze betrachtet werden, daneben sollte die Zahl der gestürzten Personen (Stürzer) verglichen werden. Sinnvoll ist außerdem die Beurteilung der Sturzhäufigkeiten von Personen, die immer wieder stürzen (multiple Stürzer). In diese Gruppe werden Personen eingeteilt, die im Beobachtungszeitraum mehr als zweimal gefallen sind. In einem nachfolgenden Abschnitt werden dann die Häufigkeiten der Frakturen dargestellt. Zahl der Stürze Im Vergleich beider Gruppen war ein deutlicher Unterschied zwischen beiden Gruppen festzustellen. Die Zahl der Stürze lag um 40 % niedriger in den Einrichtungen, die im ersten Jahr begonnen haben. Insgesamt wurden 1526 Stürze festgehalten. Davon ereigneten sich 546 in der ersten (Interventions-) Gruppe und 980 in der Wartegruppe. Aufschlussreich ist auch die zeitliche Betrachtungsweise möglicher Effekte über die vier Quartale des ersten Jahres. In der nachfolgenden Tabelle ist dies festgehalten. Tabelle 1: Zahl der Stürze im zeitlichen Verlauf Zeitraum (Quartal) Interventionsgruppe (%*) Wartegruppe (%*) I 133 (8,72) 220 (14,42) II 171 (11,21) 243 (15,92) III 139 (9,11) 246 (16,12) IV 103 (6,75) 271 (17,76) Summe 546 (35,78) 980 (64,22) 975 Personen, Prozentangaben für Anteil der Stürze an Gesamtzahl in beiden Gruppen 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 5 Graphik 1: 0,80 0,69 0,70 0,64 0,59 0,60 Zahl der Stürze/ Bewohner 0,63 0,50 0,44 Intervention 0,40 0,35 Wartegruppe 0,35 0,30 0,26 0,20 0,10 0,00 Quartal I Quartal II Quartal III Quartal IV Quartal im 1. Jahr N = 975, *adjustiert für die Zahl der Aufenthaltstage Da in beiden Gruppen, die Bewohnertage nahezu identisch waren (Differenz 1%) sind die Werte auch als Maß der Sturzhäufigkeit im kumulierten Bewohneraufenthalt zu sehen (siehe Graphik). Weiterhin ist auffällig, dass das Ergebnis im vierten Quartal am eindrucksvollsten ist. Vermutlich kommt hier ein Lerneffekt zum Tragen. Je länger die Intervention anhielt, um so ausgeprägter ist der Effekt. Da sich Unterschiede bereits im ersten Quartal zeigen, spricht dies unseres Erachtens für die Bedeutung der pflegerischen Beobachtung und Beratung als Sturzpräventionsinstrument. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 6 Nach Eintritt der Warteeinrichtungen in das Programm hat sich ein vergleichbarer Effekt eingestellt. Insgesamt hat die Zahl der Stürze vom ersten Jahr zum zweiten Jahr von 1526 auf 1059 abgenommen. Die folgende Abbildung vergleicht die Häufigkeit der Stürze im ersten und zweiten Jahr in den Heimen (Wartegruppe), die im zweiten Jahr mit dem Programm begonnen haben. Graphik 2: Stürze der Bewohner in der Wartegruppe 1. Jahr 2. Jahr 1200 1. Jahr 1000 980 800 2. Jahr 633 600 400 200 0 Stürze 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 7 Zahl der gestürzten Personen („Stürzer“) Der Vergleich der Stürzer in beiden Gruppen zeigte im ersten Jahr ebenfalls einen Erfolg. In der Interventionsgruppe wurden bei 188 Personen Stürze registriert. In den Wartegruppen waren 247 Personen betroffen. Dies ist ein Unterschied von 24 %. Die Zahl der Personen mit einem oder zwei Stürzen war nahezu identisch (82 vs. 88 mit einem Sturz; 42 vs. 44 mit zwei Stürzen). Als Schlussfolgerung hieraus liegt die Vermutung nahe, dass die Zahl der Stürze vor allem bei Personen mit drei und mehr Stürzen vermindert wird. Andererseits scheint es schwieriger zu sein, bereits den ersten Sturz einer Person zu verhindern. Dies bestätigt auch die nachfolgende Abbildung als Kaplan-Meier Kurve, die das Zeitintervall bis zum Auftreten des ersten Sturzes darstellt. Stürze Abbildung 1: Kaplan-Meier Kurve (Vergleich des sturzfreien Intervalls) 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 8 Zahl der multiplen Stürzer In der Interventionsgruppe wurden im ersten Jahr 64 Personen mit wiederholten Stürzen beobachtet, waren es in den Wartegruppen 115. Dieser Unterschied von 44 % zeigt, dass vor allem Personen, die immer wieder stürzen am Anfang von einem entsprechenden Programm profitieren. Die Ergebnisse des zweiten Jahres waren diesbezüglich identisch. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass das vorgestellte Modell derzeit das weltweit erfolgreichste Projekt zur Sturzprävention bei Heimbewohnern ist. Mittlerweile wurde ein weitere Untersuchung aus Umea in Nordschweden vorgestellt, die bei Bewohnern von betreuten Wohneinrichtungen mit ähnlichen Maßnahmen vergleichbare Erfolge erzielt hat. Tabelle 2: Ergebnisse des ersten Projektjahres zur Sturzreduktion N (%*) - I N (%) - W Δ (%) Relatives Risiko 95 % KI 980 - 45 % 0.4 – 0.6 Stürze 546 Gestürzte Personen 185 (36.5*) 247 (52.8* ) - 26 % 0.6 – 0.8 63 (12.4*) 115 (24.6*) - 46 % 0.4 – 0.7 Multiple Stürze Δ Differenz zur Wartegruppe, Rel. Risk. Relatives Risiko, KI Konfidenzintervall 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 9 Häufigkeit von Frakturen Zur Erinnerung sei darauf verwiesen, dass neben der Zahl der Stürze die Verminderung der Knochenbrüche das primär angestrebte Ziel des Modellvorhabens war. Dabei wurde zwischen Brüchen der Hüfte – Synonym proximaler Femurfraktur (PFF) und Frakturen anderer Lokalisation unterschieden. Der Grund hierfür war die Erwartung, dass Hüftprotektoren im Bereich des Oberschenkels und Beckens wirken können, andere Frakturen aber nicht verhindern können. Die anderen angebotenen Komponenten (Training, Beratung, Umgebungsgestaltung) könnten möglicherweise aber auch Einfluss auf die Häufigkeit Frakturen anderer Lokalisation nehmen. Häufigkeit andere Frakturen (Non-PFF) In der Interventionsgruppe wurden im ersten Jahr 14 Non-PFF Frakturen beobachtet. In den Wartegruppen waren 18 Personen betroffen. Mit Zweitfrakturen wurden in beiden Gruppen insgesamt 36 Frakturen registriert. Im zweiten Jahr wurden in beiden Gruppen 22 Frakturen dokumentiert. Häufigkeit von Hüftfrakturen (PFF) In der Interventionsgruppe wurden im ersten Jahr 17 Hüftfrakturen - davon 2 Personen mit zweiter Fraktur an anderer Stelle - beobachtet. In den Wartegruppen waren 15 Personen davon 5 Personen mit zweiter Fraktur an anderer Stelle - betroffen. Im zweiten Jahr erlitten in beiden Gruppen zusammen 22 Bewohner eine PFF. Die nachfolgende Tabelle zeigt den Verlauf in den Heimen der Wartegruppe. Graphik 3: Hüftfrakturen und andere Frakturen der Wartegruppe 1. Jahr 2. Jahr 25 1. Jahr 20 20 1. Jahr 15 15 2. Jahr 11 10 2. Jahr 6 5 0 Hüftfrakturen 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 andere Frakturen 10 Zusammenfassung Die Teilergebnisse, die im zweiten Jahresbericht dargestellt wurden, haben sich am Ende der Projektlaufzeit bestätigt. Dabei ist es zu einem deutlichen Rückgang der Sturzzahlen, auch in der Gruppe der Heime gekommen, die im ersten Jahr als Warte- und Kontrolleinrichtungen fungiert haben. Die Zahl der Frakturen ist sowohl im Bereich der hüftnahen Oberschenkelbrüche als auch im Bereich anderer Frakturen zurückgegangen. Damit bestätigt sich unsere Hypothese, dass Modelle zur Sturz- und Frakturprävention möglich sind, der Erfolg sich aber nicht über Nacht einstellt. Vielmehr ist es so, dass man über Wochen und Monate gemeinsam an dem Ziel arbeiten muss, sowohl Stürze zu verhindern als auch schwere sturzbedingte Verletzungen deutlich zu reduzieren. Bedenkt man, dass das Ausgangsniveau in den drei Jahren vor Beginn des Modells, bei über 50 hüftgelenksnahen Oberschenkelfrakturen/1000 Bewohnerjahre lag, ist das Absinken der Zahl im dritten Projektjahr auf 23 Frakturen erheblich. Dies ist ein Rückgang von mehr als 40 % gegenüber den Zahlen, die wir 1995 bis 1997 registriert hatten. Auf Grund der Zahlen vor Projektbeginn hatten wir in 1600 Bewohnerjahren mit 4000-5000 Stürzen ohne Interventionserfolg gerechnet. Insgesamt kam es in beiden Projektjahren zu 2.586 Stürzen. Auf Grund der Frakturzahlen der vordokumentierten Jahre 1995-97 hatten wir eine Frakturhäufigkeit von 80 PFF und 80 Frakturen anderer Lokalisation gerechnet. Tatsächlich ereigneten sich 54 PFF und 58 Frakturen anderer Lokalisation. Damit wurde eine Inzidenz erreicht, die andernorts unseres Wissens nur im ambulanten Bereich unterschritten werden. In den sechs Monaten von Oktober 2000 bis März 2001 wurden bislang 10 Oberschenkelhalsfrakturen berichtet, was im Sinne einer erfolgreichen Nachhaltigkeit interpretiert werden kann. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 11 Risikofaktoren für Stürze von Heimbewohnern Vorbemerkung Risikomerkmale lassen sich als stetige Merkmale oder kategorielle Eigenschaften erfassen. Ein Beispiel für ein stetiges Merkmal wäre das Alter, die Gehgeschwindigkeit (Metern pro Sekunde) oder die Gehstrecke, die ein Bewohner in zwei Minuten zurücklegen kann. Kategorielle Merkmale sind zum Beispiel das Geschlecht, aber auch die Fähigkeit zu Gehen, z.B. unterteilt in den Kategorien selbständige Gehfähigkeit, Gehfähigkeit mit Hilfe einer Begleitperson oder der Unfähigkeit zu Gehen. Bei den kategoriellen Merkmalen ist zu prüfen, ob diese im möglichst wenige Items zusammengefasst werden können. Damit werden Erfassungsbögen einfacher gestaltet. Im Extremfall wären dies Ja/Nein-Antworten (dichotome Merkmale). Beim Differenzieren in mehrere Merkmalskategorien (polytome Merkmale) ist ein genaueres Bild der Zustandserfassung möglich. Andererseits besteht das Risiko, dass die Zuordnungen von verschiedenen Pflegemitarbeitern nicht mehr sicher getroffen werden können (Interraterreliabilität). Auch die Tagesverfassung kann die Beurteilung und Zuordnung erschweren. Weiterhin ist zu beachten, dass Merkmalsausprägungen in ihrem Beeinträchtigungsgrad nicht immer eine stetige Zunahme des Risikos beinhalten. So könnte es sein, dass noch relativ rüstige Bewohner große Strecken zu Fuß zurücklegen und dadurch ihr Risiko erhöhen zu stürzen. Andererseits könnte es sein, dass Bewohner mit zunehmenden Einschränkungen weniger laufen und dadurch ihr Risiko vermindern. Denkbar sind auch eine Zunahme des Risikos mit einer gewissen Beeinträchtigung und dann wiederum eine Abnahme des Risikos mit stärkster Beeinträchtigung. Schwierig ist auch die Beantwortung der Frage, ob es sich bei den Merkmalen um ursächlich mit dem Sturzrisiko verbundenen Merkmalen handelt oder ob es sich um lediglich um Indikatoren, die ein Risiko anzeigen, aber nicht ursächlich mit dem Sturzereignis verbunden sind. Als Beispiel hierfür sei das Alter genannt, was ein Hinweis auf mögliche Gebrechen ist, aber nicht an sich ein Risiko darstellt. Im übrigen wurde in dem vorliegenden Modell auch keinerlei Zusammenhang zwischen dem kalendarischen Alter und dem Sturzrisiko beobachtet. Ist das Thema Sturzgefährdung und Mobilität also für alle Heimbewohner gleich wichtig? Im Falle einer positiven Antwort könnte auf eine Risikoabschätzung verzichtet werden, da allen Bewohner ein entsprechendes Programm angeboten werden sollte. Wenn aber die Antwort verneint wird, stellen sich folgende Fragen: Wie können Bewohnergruppen beschrieben werden, bei denen das Thema nicht die gleiche herausragende Bedeutung hat? Wie können Bewohner erkannt werden, bei denen die Sturzgefährdung möglicherweise unterschätzt wird? 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 12 In der Diskussion sollte auch berücksichtigt werden, dass Pflegemitarbeiter über ein begrenztes Zeitkontingent verfügen. Die Identifikation von Risikofaktoren, die nicht veränderbar sind, werden häufig von den Pflegemitarbeitern, als wenig hilfreich oder sogar als Schikane erlebt, wenn lediglich ein Risiko beschrieben wird ohne das daraus Konsequenzen erfolgen. Offenbar gibt es aber eine umfangreiche Gruppe der Heimbewohner, die als gangsicher eingestuft werden, aber dennoch stürzen. Vor diesem Hintergrund sollte ein Verfahren zur Risikoschätzung kurz und präzise sein. Es sollte vor allem die Faktoren erfassen, die pflegerisch, therapeutisch oder hausärztlich veränderbar sind. Modellbeschreibung Die Analyse der Risikofaktoren lässt uns zur folgenden Schlussfolgerung kommen. Es lassen sich mehrere Gruppen bei den Heimbewohnern unterscheiden. Deren Risikoprofile sollten getrennt betrachtet werden. Niedriges Sturzrisiko durch Immobilität (Gruppe I) Es handelt sich um Personen, die ohne die Hilfe einer zweiten Person nicht in der Lage sind zu stehen. Deren Anteil liegt bei etwa ¼ der Heimbewohner. Das Sturzrisiko dieser Bewohner ist niedrig, etwa 12 % der Stürze ereigneten sich in dieser Gruppe. Es wurde nur eine einzige Fraktur beobachtet. Die gesonderte Betrachtung dieser Gruppe ist auch daher von Bedeutung, weil die von uns vorgeschlagenen Interventionsmaßnahmen kaum zum Tragen kommen. In der Regel können diese Personen nicht an Trainingsprogramm, die ja zum Teil im Stand durchgeführt werden, teilnehmen. Das Tragen von Hüftprotektoren kommt nur selten in Frage, da sie sich nahezu ausschließlich im Rollstuhl aufhalten bzw. nachts im Liegen. Aus unserer Sicht handelt es sich bei den Stürzen meistens um „organisatorische“ Stürze. Beispielsweise fallen Patienten von der Toilette, Patienten rollen aus dem Bett oder stürzen aus einem ungesicherten Rollstuhl. Hier sind insbesondere Veränderungen des Arbeitsablaufes und Hilfsmittel nötig. Die Risikofaktoren hierfür sind vorrangig administrative und personelle Defizite einschließlich unzureichender personeller Ausstattung und weniger die individuellen Risikofaktoren der Betroffenen selbst. Für diese Bewohner halten wir eine weitere Risikosturzabklärung nicht für erforderlich. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 13 Hohes Risiko – vorausgegangener Sturz (Gruppe II) Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Personen, die von den Pflegemitarbeitern unmittelbar auch ohne weiteres Sturzrisikoassessment als sturzgefährdet betrachtet werden. Merkmale dieser Bewohner sind ein Sturz innerhalb des letzten Halbjahrs, vor allem innerhalb des letzten Monats. Hier würde eine bürokratisch verordnete weiterführende Einschätzung des Sturzrisikos eine Zeitvergeudung bedeuten. Von den Personen, die unmittelbar von den Pflegemitarbeitern als sturzgefährdet erkannt werden, sollte in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt eine Kontrolle der Behandlungsplanung erfolgen. Die als wirksam bekannten Maßnahmen sollten ohne Verzögerung zum Einsatz kommen. Die sturzauslösenden Umgebungsfaktoren unmittelbar beseitigt werden. Da die Sturzgefährdung unmittelbar weiter besteht, sollte den Bewohnern geraten werden, einen Hüftprotektor zu tragen, da dieser sofort wirkt. Daran anschließend sollten andere Maßnahmen angeboten werden, die mittelfristig wirken. Insbesondere zählt hierzu ein Trainingsprogramm. Der Hausarzt sollte bei gehfähigen Bewohnern und fehlenden Kontraindikationen Vitamin D und Calcium als Nahrungsergänzung verordnen. Sollten Psychopharmaka eingesetzt werden, muss eine kritische Überprüfung der Dosis, Wirksubstanz und Verordnungsdauer vorgenommen werden. Der Einsatz von bewegungseinschränkenden Maßnahmen sollte falls unumgänglich nur zeitlich befristet und unter strenger Pflegeplanung durchgeführt werden. Weiterhin sollte bei den Betroffenen eine Überprüfung der Sehfähigkeit erfolgen, die aber auch unabhängig vom Sturzrisiko mindestens jährlich angebracht wäre. Insgesamt handelt es sich dabei nach Abzug der Gruppe I um ein weiteres Viertel der Heimbewohner, für die wir ein generelles Sturzrisikoassessment für unnötig erachten. Der unmittelbare Beginn der Sturzprävention ist vorrangig. Sturzrisikoassessment Ein strukturiertes Assessment ist für die verbleibenden 50 % der Heimbewohner sinnvoll. Hierbei handelt es sich um Bewohner, die oft von den Heimmitarbeitern als gangsicher oder zumindest relativ gangsicher erlebt werden. Andererseits ereignen sich in dieser Gruppe mehr als 50 % der Stürze und auch mehr als 50 % der sturzbedingten Verletzungen. Hier sehen wir die größte Bedeutung, da offenbar die Fremdeinschätzung durch die Pflegemitarbeiter nicht ausreicht, die Sturzgefährdung der Personen zu erkennen und möglicherweise veränderbare Sturzrisikofaktoren nicht oder zu spät erkannt werden. Entsprechend ist die Bereitschaft zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen gering. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 14 Unklares Risiko (Gruppe III a und b) Im Folgenden wird aufgrund der von uns erhobenen Daten ein Vorschlag unterbreitet, wie für diese Gruppe ein Sturzrisikoassessment ausgestaltet werden kann. Das Ziel ist dabei, dass innerhalb von 10 bis 15 Minuten alle wesentlichen Faktoren erfasst werden, um diese dann mit den Bewohnern respektive dem Hausarzt des Bewohners weiter zu besprechen. Sturzrisiko – univariate Risikoindikatoren Unter Odds Ratio versteht man die Erhöhung des Risikos eines Bewohners einen Sturz im nächsten Jahr zu erleiden. Ein Odds Ration von 2,0 bedeutet ein Verdoppelung des Risikos. Ein Odds Ration von 1,0 bedeutet kein erhöhtes Risiko. Zahlen unter 1,0 bedeuten einen protektiven Effekt bzw. ein vermindertes Risiko. Im einzelnen wurden folgende Effekte gemessen. Vorausgegangene Stürze, Balance, Schwindel und Sehfähigkeit Merkmal Odds Ratio Sturz in den letzten 30 Tagen vor Erhebung 18,2 Sturz in den letzten 31-180 Tagen vor Erhebung 3,8 Gleichgewicht im Stehen: standfähig vs standunfähig 1,7 Unsichere Gangart: nach Einschätzung der Pflege 2,3 Schwindel / Benommenheit: 1,7 Sehen: (Sehfähigkeit bei guter Beleuchtung falls nötig mit Brille gut vs. 1,6 beeinträchtigtes Sehen bis blind) Kognition, Verhaltensauffälligkeiten, Fixierung und Neuroleptika Merkmal Odds Ratio Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnis: (Erinnerung nach 5 Minuten möglich) regelrecht vs Problem /oder nicht beurteilbar 1,9 Einschränkung des Langzeitgedächtnis: (Erinnerungen länger zurückliegend) regelrecht vs Problem/ oder nicht beurteilbar Verhaltensauffälligkeiten: (Aggressivität, unangemessenes Verhalten 1,5 Umherirren: (zielloses Herumgehen, ohne Rücksicht auf Bedürfnisse oder Sicherheit) 2,2 Motorische Unruhe: (Händeringen, Herumlaufen, Nesteln) 2,2 Neuroleptika: 1,9 Fixierung: (Gurte) 1,6 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 1,7 15 Alltagsbewältigung und Kontinenz Merkmal Odds Ratio Transfer: teilabhängig vs vollständig abhängig zwischen Einrichtungsgegenständen (zu Bett, Stuhl usw.) 5,7 Transfer: teilabhängig vs unabhängig zwischen Einrichtungsgegenständen (zu Bett, Stuhl usw.) 2,2 Fortbewegung auf dem eigenen Stockwerk: teilabhängig vs vollständig abhängig 5,3 Fortbewegung auf dem eigenen Stockwerk: teilabhängig vs Unabhängig 3,0 Bewegung im Bett: teilabhängig vs vollständig abhängig (Hinlegen, Aufsitzen, Drehen, Lageveränderungen) 3,1 Fortbewegung im Korridor des Wohnbereichs: teilabhängig vs vollständig abhängig 3,9 Fortbewegung im Korridor des Wohnbereichs: teilabhängig vs Unabhängig 2,5 Persönliche Hygiene: teilabhängig vs unabhängig (Fähigkeit sich zu pflegen, kämmen, waschen usw.) 2,0 Benutzung der Toilette: teilabhängig vs vollständig abhängig 3,4 Urin - Kontinenz: (inkontinent vs kontinent) 2,3 Multivariate Analyse Nachfolgende Faktoren zeigten in einer multivariaten Betrachtungsweise ein erhöhtes Sturzrisiko. Dabei wurde untersucht, ob ein einzelnes Merkmal unabhängig mit einer erhöhten Sturzhäufigkeit verbunden war. - häufige Inkontinenz - eingeschränkte Sehfähigkeit - Einschränkungen im Kurzzeitgedächtnis Lagen alle drei Risikofaktoren vor. War die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes im nächsten Jahr über 90%. Faktoren ohne Hinweis für eine Erhöhung des Sturzrisikos Die folgenden Faktoren haben keinen eindeutigen Hinweis auf ein erhöhtes Sturzrisiko gezeigt. Bei einigen Faktoren, die in der Vergangenheit häufiger mit einer erhöhten 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 16 Sturzhäufigkeit in Verbindung gebracht wurden, konnten wir keine erhöhte Sturzgefährdung ermitteln. Möglicherweise wäre dies anders, wenn wir eine noch größere Gruppe hätten begleiten können. - Antidepressiva und Depression - Nutzung von Gehhilfen - Schlafmittel oder angstreduzierende Mittel - Anzahl der Medikamente - kürzlich zurückliegende Krankenhausaufenthalte - Diagnose zurückliegende Frakturen - Diagnose Parkinson-Krankheit - Diagnose Schlaganfall - Pflegestufe - Anzahl der Erkrankungen - Alter - Geschlecht - Nutzung eines Rollstuhls - Schmerzen - Bettgitter (im Unterschied zu Gurten) Bemerkungen Ein Beispiel dafür, dass die Sturzgefährdung nicht immer mit eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten linear zunimmt ist die Alltagsbewältigung beim Aufstehen aus dem Stuhl oder Bett. Personen die unabhängig waren oder allenfalls gelegentliche Aufsicht benötigten hatten ein relativ niedriges Risiko zu stürzen. Ein bis zu 10fach höheres Risiko hatten aber die Personen, die mit Hilfe einer Person, sei es auch geringer Hilfe, diesen Transfer noch ausführen konnten. Personen die wiederum noch eingeschränkter waren und komplett auf die Hilfe einer Person angewiesen waren oder die diese Tätigkeiten gar nicht mehr ausführen konnten, hatten wiederum ein geringeres Risiko. Ein ähnliches gelagertes Beispiel ist die Sehfähigkeit. Personen mit normalem Sehvermögen oder nur geringen Seheinschränkungen hatten ein niedrigeres Risiko zu stürzen. Personen mit noch erhaltener Sehfähigkeit aber deutlichen Einschränkungen hatten ein deutlich erhöhtes Risiko. Personen die vollständig blind waren, hatten wiederum ein niedrigeres Risiko. Dies ist möglicherweise dadurch erklärbar, dass sich blinde Menschen vorsichtiger in ihrer Umgebung bewegen. Möglicherweise bewegen sie sich aber auch weniger und reduzieren dadurch ihr Sturzrisiko. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 17 Veränderbare Risikofaktoren Defizite der Muskelkraft und Balance als Indikatoren für erhebliche Sturzgefährdung sind durch Trainingsmaßnahmen wirksam zu verändern. Antipsychotika, insbesondere Neuroleptika, sind Medikamente, die entweder in ihrer Dosis oder in der Substanzklasse anders verordnet werden können. Hierzu wurde bereits im zweiten Jahresbericht ausführlich Stellung genommen. Zum Sehen wurde bereits im ersten Jahresbericht darauf verwiesen, dass ein augenärztliches Screening zu Erkennung von Defiziten nicht routinemäßig erfolgt. Zu prüfen wäre, ob durch ein mobiles Team behandelbare Glaukom- und Katarakterkrankungen auch bei Heimbewohnern erkannt werden. Bei inkontinenten Patienten wird der Harndrang oft als imperativ erlebt. Im Sinne einer Hierarchisierung wird dann die gesamte Aufmerksamkeit des Bewohners auf das möglichst schnelle Erreichen der Toilette gelenkt. Dabei werden Umgebungsgefährdungen vernachlässigt und es kommt zu Rutsch- oder Stolperunfällen. Wahrscheinlich ist dies auch ein Grund, dass vor allem nächtliche Toilettengänge mit unzureichender Beleuchtung zu einer erheblichen Sturzgefährdung führen. Das Inkontinenz kein unabänderbares Schicksal ist, wurde in verschiedenen Untersuchungen belegt. Die Bedeutung der Inkontinenz wurde auch in einer kürzlich durchgeführten Untersuchung in den USA belegt (Brown et al. Urinary Incontinence: Does it increase risk for falls and fractures? J Am Geriatr Soc 48: 721-725, 2000). Die exorbitante Erhöhung von Stürzen nach vorausgegangenen Stürzen im letzten Monat ist leicht verständlich. Dies bedingt auch, dass nach jedem Sturz alle veränderbaren Risikofaktoren erneut analysiert werden sollten, um einen zweiten Sturz zu verhindern. Wir denken, dass das Projekt gezeigt hat, wie erfolgreich man bei diesen Personen mit Mehrfachstürzen intervenieren kann. Methodisch ist zu betonen, dass es sinnvoll ist, an anderer Stelle das Risikomodell zu überprüfen. Wir denken, mit dem vorgeschlagenen mehrgliedrigen Modell eine alltagspraktikable Vorschlagsliste erarbeitet zu haben. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 18 Das folgende Diagramm fasst die wesentliche Schritte der Sturzabklärung bei Heimbewohnern zusammen. Algorithmus zur Sturzabklärung Gesamtkollektiv stehfähig standfähig standunfähig „organisatorische Stürze“ Sturz im letzten 1/2 Jahr Intervention gestürzt Assessment - Kontinenz - Sehfähigkeit - Kognition Intervention 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 nicht gestürzt hohes Risiko niedriges Risiko Intervention Beobachtung 19 Publikationen und Vorträge Am 9. November 2000 wurde das zweite Symposium des Modellvorhabens durchgeführt. Teilgenommen haben 50 eingeladene Gäste. Besonders haben wir uns über das Interesse der Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit vertreten durch Staatssekretär Herrn E. Jordan gefreut. Das Ziel des Symposiums war es, abschließend die Ergebnisse zur Sturz- und Frakturprävention zu präsentieren. Zum zweiten ging es um die Umsetzbarkeit und die Nachhaltigkeit des Modells. Aktiv haben sich an dieser Diskussion Vertreter des Landesministeriums für Soziales, der Heimträger, der Krankenkassen, der Pflegekassen, des Medizinischen Dienstes, der Parteien, der Robert-Bosch Stiftung, verschiedener Konsultingfirmen und der Heimaufsicht beteiligt. Wir dürfen auf die in der Anlage beigefügten Vortragsfolien, die Stellungnahmen der Teilnehmer und auf die Kurzfassungen der Referenten verweisen, die nicht direkt am Ulmer Modell beteiligt waren. Weiterhin haben wir die Teilnehmer um schriftliche Stellungnahmen gebeten. Soweit wir diese erhalten haben, sind diese im Abschnitt Stellungnahmen beigefügt. Die Jahresberichte des Projektes können über die Website des Kuratoriums Deutsche Altershilfe abgerufen werden. Hier wurden bislang mehr als 1000 Berichte eingefordert. In Zusammenarbeit mit dem SWR wurde ein weites Video zum Modellvorhaben erstellt. In Zusammenarbeit dem AOK Bundesverband wurde eine Broschüre zur Sturzprävention gestaltet (Erscheinungsdatum Sommer 2001). In der Versichertenzeitung der Betriebskrankenkassen Deutschlands wurde ein Beitrag zum Modellvorhaben veröffentlicht (April 2001). Vorträge zum Modell erfolgten auf verschiedenen Fachtagungen. Seit dem letzten Jahresbericht wurden 15 Workshops mit mehr als 300 Teilnehmern durchgeführt. Weitere Workshops erfolgten in der Schweiz und in Österreich, um dort bestehende Sturzpräventionsinitiativen zu unterstützen (Bundesland Vorarlberg und Regionen Zürich, Basel, Winterthur). Erfreulich ist es, dass die Europäische Kommission auf Anraten der Expertenkommission (External Advisory Group - EAG) im Rahmen des Lebensqualitätsprogrammes eine Initiative gestartet hat, das Thema Stürze und Mobilität vorrangig zu behandeln und zu fördern. Zum Thema „Falls and postural control in the elderly“ wurde eine Expertenarbeitsgruppe gebildet. Aus Deutschland wurde hierfür die Ulmer Arbeitsgruppe gebeten mitzuarbeiten und ihre Erfahrungen aus dem Modell beizusteuern. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 20 Trainingsprogramme / Umsetzung und Nachhaltigkeit Die Durchführung eines kombinierten Trainingsprogramms in der Gruppe, mit den Elementen Krafttraining und Gleichgewichtstraining, hat sich im Modellvorhaben als machbar, sicher und effektiv erwiesen. Therapeuten Die Trainingsgruppen wurden von einem Therapeuten und einem Helfer in einer Gruppengröße von sechs bis acht Teilnehmern durchgeführt. Diese Konstellation hat sich gerade mit Beginn der Trainingsgruppen bewährt. Es gibt den Therapeuten mehr Sicherheit in einer Gruppe mit vielen „Neueinsteigern“. Im Verlauf des Modellvorhabens hat sich gezeigt, daß die Trainingsgruppen auch von einem Therapeuten alleine geleitet werden können, solange die Gruppe nicht zu groß ist und solange in die Gruppe nicht zu viele stark pflegebedürftige Heimbewohner integriert werden. Beim Holen und Bringen der körperlich schwächeren Teilnehmer benötigt ein einzelner Therapeut die Hilfe der Pflegekräfte. Diese werden im Gegenzug während der Dauer des Trainings entlastet. Die meisten im Modellvorhaben eingesetzten Therapeuten waren Sport- und Gymnastiklehrer. Diese Berufsgruppe eignet sich auf Grund ihrer schulischen Ausbildung besonders gut für diese Tätigkeit. Auch andere medizinische Hilfsberufe (Physiotherapeuten, Masseure/medizinische Bademeister) konnten als Therapeuten erfolgreich eingesetzt werden. Alle Therapeuten benötigen aber zusätzlich zu ihrer Berufsausbildung eine Fortbildung in Trainingslehre und Trainingstherapie, die speziell auf ältere Menschen ausgerichtet ist. Personalplanung In einer Einrichtung mit 100-130 Heimbewohnern kann eine Gymnastiklehrerin mit einer halben Personalstelle (Arbeitgeberaufwand 28 Jahre, unverheiratet: 30.706 DM/Jahr) den Bedarf an Trainingsgruppen abdecken. Dabei können pro Tag maximal vier Trainingsstunden geplant werden. Das Zeitfenster dafür ist üblicherweise von 9:00 bis 11:30 Uhr und von 14:00 bis 16:30 Uhr und überschneidet sich dann in der Regel nicht mit den Essen- und Ruhezeiten der Heimbewohner. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 21 Raumbedarf Als Trainingsräume eignen sich die Aufenthaltsräume auf den Pflegestationen. Das Training kann so von allen Bewohnern beobachtet werden, was bei vielen älteren Menschen die Kontaktaufnahme und den Einstieg ins Training erleichtert. Auf diese Weise ist ein stationsgebundenes Training möglich. Die Trainingsgeräte (freie Gewichte und Kleingeräte für das Gleichgewichtstraining) lassen sich in einem Rollcontainer mühelos transportieren. Weiterhin werden nur Stühle benötigt. Geräte Der Einsatz von freien Gewichten (Kurzhanteln, Gewichtsmanschetten) im Krafttraining hat sich in den Alten- und Pflegeheimen bewährt. Die Geräte sind in ihrer Intensität individuell gut dosierbar, sind transportabel und kostengünstig. Beim Training in der Gruppe können auch kognitiv eingeschränkte Heimbewohner in die Trainingsgruppen integriert werden. Durch Imitation der Übungen kann auch dieser Personenkreis vom Training profitieren. Im Gleichgewichtstraining kann mit Kleingeräten (Matten, Gymnastikseilen, Softbällen, Luftballons, Reifen, Bohnensäckchen, Schwungtuch usw.) kostengünstig und effektiv gearbeitet werden. Der Schwierigkeitsgrad kann durch Variation der Übungen auch im Gruppentraining individuell eingestellt werden. Training mit Kraftmaschinen Sollen im Training Kraftmaschinen eingesetzt werden, findet das Training in einem zentralen Raum statt. Die Teilnehmer werden in der Regel aus dem Anteil der Altenheimbewohner rekrutiert, die so mobil sind, dass sie den Raum ohne fremde Hilfe aufsuchen können. Kraftmaschinen können nur ortsgebunden und im Stationsbetrieb in das Krafttraining aufgenommen werden. Die individuelle Dosierbarkeit ist auch bei Kraftmaschinen gut. Um die komplexen Bewegungsabläufe an den Maschinen auszuführen, müssen die Trainierenden kognitiv in der Lage sein, verbale Instruktion umzusetzen. Die Teilnahme am Training mit Kraftmaschinen ist für diese Teilnehmer sehr motivierend. Es ist gut möglich ein Training mit Kraftmaschinen und mit freien Gewichten zu kombinieren. Einrichtungen, die in ihren Räumen eine Tagespflege integriert haben, können diese, oft physisch und kognitiv leistungsfähigeren älteren Menschen, in Trainingsgruppen mit Kraftmaschinen aufnehmen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 22 Materialkosten Grundausstattung mit freien Gewichten (zwei Trainingsgruppen mit je sieben Personen): 14 Paar Gewichtsmanschetten (0-5Kg) 1.400,-DM 6 Paar Hanteln (1Kg) 60,-DM 4 Paar Hanteln (1,5Kg) 50,-DM 3 Paar Hanteln (2Kg) 50,-DM 2 Paar Hanteln (3Kg) 40,-DM 1 Paar Hanteln (4Kg) 25,-DM 3 Matten 360,-DM 8 Reifen 120,-DM 8 Bohnensäckchen 40,-DM 8 Gymnastikseile 45,-DM 8 Softbälle 80,-DM 1 Schwungtuch 130,-DM __________ 2.400,-DM Wenn Kraftmaschinen eingesetzt werden sollen, sind Geräte zu bevorzugen, an denen größere Muskelgruppen trainiert werden (z.B. Beinpresse, Schulterpresse, Seilzug). Bei diesen Geräten sind pro Maschine ca. 10.000,- DM zu rechnen (Seilzug ca. 3.500,- DM). Sicherheit Vor Aufnahme des Trainings muß für jeden Teilnehmer das hausärztliche Einverständnis eingeholt werden. Obwohl in vergleichbaren Trainingssituationen noch nie von unerwünschten Ereignissen berichtet wurde, wird empfohlen, dass jederzeit Hilfe in Rufweite erreichbar ist. Im Training muß auf eine ruhige Atmung und auf korrekte Übungsausführung geachtet werden. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 23 Nachhaltigkeit Der Erfolg des gesamten Modellvorhabens, aber auch die Rückmeldungen der einzelnen Trainingsteilnehmer haben dazu beigetragen, dass in allen Heimen, die am Modellvorhaben teilgenommen haben, die Trainingsprogramme, auch nach dem Ende des Modellvorhabens, weitergeführt werden. • In drei Einrichtungen werden die Trainer, die zuvor über das Modellvorhaben finanziert wurden, nachfolgend von der Einrichtung direkt finanziert. • Zwei Heime vergaben die Durchführung der Trainingsprogramme an Physiotherapiepraxen, die räumlich an das jeweilige Haus gebunden sind. Die Therapeuten, die letztlich die Trainingsgruppen leiten, wurden von uns ausgebildet und begleitet. • Das Trainingsprogramm wird in einer Einrichtung von einer Therapeutin geleitet, die in dem Haus schon länger Gruppen mit anderen Inhalten leitet. Auch diese Therapeutin wurden von uns ausgebildet und begleitet. • Lediglich ein Heim ist nicht bereit, die Fortführung der Trainingsprogramme zu finanzieren. Allerdings können die Bewohner des Hauses bei Selbstfinanzierung weiterhin am Trainingsprogramm teilnehmen, da eine Therapeutin des Modellvorhabens in diesem Haus das Trainingsprogramm in Eigenregie anbietet. Das Heim stellt hier den Raum zur Verfügung. Im Falle der Einstellung der Therapeuten und der Übernahme des Trainingsprogramms durch eine hauseigene Kraft können nun auch Heimbewohner für die Trainingsgruppen gewonnen werden, die zuvor von „externen“ Therapeuten nicht erreicht wurden, da nun ein intensiverer Kontakt zwischen Bewohner und „Mitarbeiter“ besteht. Es muß einschränkend erwähnt werden, dass aufgrund der finanziellen Möglichkeiten das Programm in einigen Einrichtungen nicht in vollem Umfang fortgeführt werden konnte. Mehrere Einrichtungen nutzen nun die Möglichkeit, in ihren Trainingsgruppen jetzt externe Senioren aus der örtlichen Umgebung zu integrieren. Auf diese Weise kann eine Öffnung der Pflegeeinrichtung für die Bürger der Stadt vollzogen werden, 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 24 Hüftprotektoren Bis zum Modellende wurde die Versorgung der Heime durch Hüftprotektoren durch das Modell gewährleistet. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung war noch unklar in welcher Form die Leistungsträger hier zukünftig verfahren werden. Unsere abschließenden Erfahrungen wurden mittlerweile in einem gemeinsamen Artikel mit der Universität Hamburg veröffentlicht (siehe Anlage). Entscheidend für die weitere Verbreitung von Hüftprotektoren ist die Frage der Finanzierbarkeit bzw. Erstattungsfähigkeit. Gegenwärtig wird in der Schweiz flächendeckend für sämtliche Pflegeeinrichtungen die Einführung der Hüftprotektoren im Rahmen eines Sturzpräventionsprogrammes vorbereitet (Bundesanstalt für Unfallverhütung, Schweiz). Der Projektleiter (Dr. Clemens Becker) beteiligt sich als Berater an dieser Maßnahme, um im Umkehrschluss auch aus den Erfahrungen der schweizer Initiative zu lernen. Weiter kann hinzugefügt werden, dass durch eine große finnische Untersuchung, die in der bekanntesten medizinischen Fachzeitung im November 2000 veröffentlicht wurde, nochmals eindrücklich die Wirksamkeit von Hüftprotektoren bewiesen wurde. Dort kam es zu einer mehr als 50 %igen Reduktion der Oberschenkelhalsfrakturen. Zur Verhütung einer Hüftfraktur war es in Finnland nötig 41 Heimbewohner mit Hüftprotektoren zu versorgen (Kannus et al. Prevention of hip fracture in elderly people with use of a hip protector. N Engl J Med 343 (21): 1506-1513, 2000). Einzelne gesetzliche Krankenkassen haben mittlerweile der Vergütung der Hüftprotektoren auch regional übernommen. Eine flächendeckende Zusage hierzu existiert jedoch noch nicht. Dies ist fachlich nicht nachvollziehbar. Als Vergleich sei darauf verwiesen, dass vielen Personen Medikamente, zum Beispiel zur Vorbeugung eines zweiten Schlaganfalles, problemlos verordnet werden, ein mechanischer Schutz der Hüfte mit einer höheren Wirksamkeit als Medikamente, aber einem ähnlichen Wirkansatz, nicht erstattet wird. Darüber hinaus gehören Hüftprotektoren zu den wirksamsten Methoden, freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu verhindern. Die häufigste Begründung für freiheitsbeschränkende Maßnahmen ist Verhütung einer Hüftfraktur, die ja durch den Protektor mit einer über 90 %igen Sicherheit verhindert werden kann. In einer australischen Untersuchung wurde eindrücklich belegt, dass durch das Tragen der Hüftprotektoren die Angst zu stürzen reduziert wurde und damit auch die Selbständigkeit der tragenden Personen erhöht werden konnte (Cameron et al. Hip protectors improve falls selfefficacy. Age Ageing 29: 57-62, 2000). Entsprechende Kostenberechnungen wurden bereits im zweiten Jahresbericht dargelegt. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 25 Umsetzbarkeit Krankenversicherung Aus unserer Sicht sind die Krankenversicherer der ökonomische „Hauptnutznießer“ des Modells. Durch die Verhütung von sturzbedingten Unfällen und insbesondere Krankenhauseinweisungen nach sturzbedingten Verletzungen kommt es in diesem Bereich zu erheblichen Kosteneinsparungen. Andererseits ist zu betonen, dass auf der Ausgabenseite nach der gegenwärtigen Sachlage die Hauptlast bei den Heimträgern respektive den Pflegekassen und Trägern der freien Wohlfahrtspflege bzw. den Bewohnern liegen würde. Hier muss nach einem gerechten finanziellen Ausgleich gesucht werden. Aus unserer Sicht ist die Finanzierung der Hüftprotektoren als Hilfsmittel für Hochrisikopatienten, und hierzu gehören Heimbewohner, überfällig. Es ist zu betonen, dass durchaus eine Diskussionsbereitschaft und ein fachliches Interesse sowohl bei den regionalen als auch bei den landesweiten und bundesweiten Kranken- und Pflegekassen angetroffen wurde. Offenbar besteht aber eine große Zurückhaltung, was die Umschichtung von Gewinnen und Verlusten zwischen den einzelnen Finanzierungsbereichen anbelangt. Leider ist es bislang nicht gelungen, ein Gespräch aller Entscheidungsträger zustande zubringen. Pflegekassen Aus Sicht der Pflegekassen sind potentielle Einsparungen durch eine Verbesserung des körperlichen Zustandes der Heimbewohner respektive der Verhütung einer Verschlechterung des ADL-Zustandes der Heimbewohner zu erwarten. Da dies nicht das Hauptziel der Untersuchung war und nur ausschnittsweise untersucht wurde, kann nur festgehalten werden, dass bei den untersuchten Patienten die erwünschten und erhofften Effekte eingetreten sind. Allerdings war dies nur ein Ausschnitt der Gesamtgruppe, so kann keine endgültige Aussage zur Frage gemacht werden kann, ob durch Trainingsprogramme im Hinblick auf die Einstufungsgruppen im Rahmen der Pflegeversicherung ein finanzieller Erfolg erreicht wurde. Dies ist eher unwahrscheinlich, da die Überprüfungspraxis des MDK häufig nicht sehr zeitnah erfolgt und die Rückstufung aus einer höheren Pflegegruppe derzeit die Ausnahme darstellt, auch wenn sich der Funktionszustand des Heimbewohners verbessert hat. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 26 Heimträger, Mitarbeiter und Hausärzte Aus unserer Sicht werden sowohl kleinere Heimbetreiber als auch große Trägerverbände zukünftig Leitlinien zur Sturzprävention bei Heimbewohnern entwickeln müssen. Es muss klar definiert werden, in welcher Form pflegerisch und organisatorisch Maßnahmen zur Sturzprävention angeboten werden („Pflegestandards“). Aufgrund der auch durch unser Modell verfügbaren Datenlage, müssen Stürze im Heimbereich als teilweise verhinderbar erkannt werden. In der Liste der vorrangigsten Themen (Stichwort: Demenz, Inkontinenz, Dekubitus, bewegungseinschränkende Maßnahmen etc.) ist auch die Mobilität und Sturzprävention als eine der zehn wichtigsten Aufgaben zu nennen. Neben der institutionellen Qualitätssicherung oder des Qualitätsmanagements müssen individuelle Maßnahmen benannt werden, die aus Sicht der Pflege als vorrangig zur Sturzverhütung erkannt wurden (siehe auch Abschnitt Risikofaktoren). Selbstverständlich ist ein Teil dieser Maßnahmen vorrangig Aufgabe des betreuenden Hausoder Facharztes (Beispiel: Psychopharmakaverordnung, Vitamin D und Calcium, Überweisung zur Kontrolle der Sehfähigkeit etc.). Dennoch sind bei den meisten Arbeitsabläufen die Pflegemitarbeiter die entscheidenden Personen, die zum Erfolg beitragen können. Dies den Mitarbeitern zu vermitteln ist Aufgabe der Heimbetreiber und -leiter. Andererseits sollte betont werden, dass die Heimträger bei Programmen zum Erhalt der Mobilität auch eine Chance im Wettbewerb sehen können. Dies ist im Beitrag von Herrn Rißmann (Anlage Symposium) weiter ausgeführt. Bewohner Zum Ende des Projektes wurden die Teilnehmer der Trainingsgruppen befragt, ob sie bereit wären, einen Eigenbetrag am Trainingsprogramm zu tragen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass in zahlreichen Fällen insbesondere Frauen, die in der Zeit um den 1. Weltkrieg geboren wurden, nur über sehr geringe Renteneinkünfte verfügen. Insgesamt fand sich jedoch bei den Bewohnern, die nicht Sozialhilfeempfänger waren, die Bereitschaft, einen Eigenbeitrag in der Größenordnung von 2 bis 4 DM pro Stunde beizusteuern. Dies kann bei der zukünftigen Planung berücksichtigt werden. Medizinischer Dienst und Heimaufsicht Beide Institutionen können durch externe Qualitätssicherung dazu beitragen, dass Sturzprävention in den Einrichtungen ernst genommen wird. Dies betrifft zum einen die Überprüfung, ob entsprechende Pflegestandards vorliegen. Zum anderen sollte die Sturzdokumentation der Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Prüfungen kontrolliert werden. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 27 Bei Einrichtungen, die beispielsweise Sturzzahlen von 20 % oder weniger nachweisen ist davon auszugehen, dass die Sturzdokumentation unvollständig oder unglaubwürdig ist. Eine erhöhte Frakturrate kann ebenfalls unter Berücksichtigung des Konfidenzintervalls ein Qualitätsindikator sein. Ein weiterer möglicher zukünftiger Qualitätsindikator ist die Frage, wie viele der bei Aufnahme gehfähigen Heimbewohner nach einem Jahr noch in der Lage sind zu gehen. Hier wäre es allerdings nötig, weitere Untersuchungen an anderer Stelle durchzuführen, um dies als Qualitätsindikator zu spezifizieren. Berufsgenossenschaften Unmittelbare Interessenüberschneidungen ergeben sich im Bereich des Arbeitsschutzes. Es ist darauf hinzuweisen, dass das Aufheben von gestürzten Pflegeheimbewohnern, insbesondere nachts, zu den am stärksten rückenbelastenden Arbeiten gehört. Leider wurden im Rahmen des Ulmer Modells keine Daten zu Arbeitsausfallszeiten erhoben. Es ist jedoch vorstellbar, dass durch Unfallvermeidung, insbesondere Sturzverhütung, Ausfallzeiten durch Krankheit der Pflegemitarbeiter reduziert werden können. Rückenbeschwerden gehören zu den häufigsten körperlichen Ursachen der Berufsunfähigkeit von Pflegemitarbeitern. Es ist darauf hinzuweisen, dass die BG Wohlfahrtspflege im Rahmen ihrer Unfallverhütungsvorschriften fachlich überholte Vorschriften vorhält. Hierzu gehört der Rat Heimbewohner mit Bettgittern am Aufstehen zu hindern (§ 30). Das Anbringen von Bettgittern bei aufstehfähigen Heimbewohnern ohne deren Zustimmung erhöht jedoch das Verletzungsrisiko. Der Arbeitssicherheitsbeauftragte respektive die Fachkraft für Arbeitssicherheit der jeweiligen Pflegeeinrichtung ist unseres Erachtens verantwortlich, dass Sturzverhütung als wichtige Aufgabe der Einrichtung gesehen wird, um damit die Gesundheit der Mitarbeiter zu unterstützen. Ein entsprechendes Vorgespräch mit der Berufsgenossenschaft hat mittlerweile stattgefunden. Gesetzgebung Im SGB VII werden Unfälle in allen Institutionen, mit Ausnahme der Heime, derzeit Arbeitsunfällen rechtlich gleichgesetzt. Dies gilt z.B. für Unfälle in Schulen, Kindergärten und anderen öffentlichen Plätzen sowie in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen. Durch eine Gleichstellung der Heimunfälle könnte erreicht werden, dass systematische Unfallverhütung auch unter Einschluss der Partner der gesetzlichen Haftpflicht- und Unfallversicherungen gefördert und überwacht werden könnte. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 28 Haftpflicht- und Unfallversicherungen Es ist zu prüfen, in welchem Umfang Unfälle, insbesondere Unfälle mit Verletzungsfolgen, auf organisatorische bzw. systemische Defizite zurückzuführen sind. Nach den im Ulmer Projekt erhobenen Daten ist davon auszugehen, dass der Anteil vermeidbarer Unfälle zwischen 20 bis 40 % liegt. Es ist zu prüfen, ob über eine Bonus- und Malusregelung Heimträger, adjustiert für die jeweilige Fallgruppe, indirekt über eine Erhöhung bzw. Verminderung der Versicherungsprämien an den Unfallfolgekosten beteiligt werden sollten. Wichtig ist es hierbei zu betonen, dass es um eine aufkommensneutrale Regelung gehen sollte. Dies bedeutet, dass der entsprechende Betrag von den Krankenkassen in das System der Pflegeversicherung in die Vergütungsmöglichkeiten der Pflegeeinrichtungen aufgenommen werden müsste. Danach könnte ein Anreiz geschaffen werden, entsprechend Unfallpräventionskonzepte zu erarbeiten, um niedrigere Versicherungsprämien zu erreichen. Umgebungsveränderungen Mögliche Umgebungsveränderungen wurden bereits im zweiten Jahresbericht ausführlich dargestellt. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass es sich dabei um ein zeitlich mehrstufiges Verfahren handelt. Bei Heimbewohnern, die beispielsweise nicht in der Lage sind, ohne die Hilfe ihrer Arme von einem Stuhl aufzustehen, bedeutet eine Toilette ohne entsprechende Handgriffe eine Falle bzw. ein erhebliches Sturzrisiko. Da Handgriffe mit einem geringen materiellen Aufwand angebracht werden können, kann hier nicht auf die Durchführung mittelfristig geplanter Umbaumaßnahmen gewartet werden. Ähnliches gilt für inadäquate Beleuchtung oder falsch eingestellte Betthöhen. Andererseits sind viele bauliche Maßnahmen nur im Rahmen größerer Renovierungsarbeiten oder Neuplanungen umzusetzen. Es ist erfreulich, dass in den drei Jahren bei der Planung der Renovierung bzw. der Neubaumaßnahmen in Ulm, viele Anregungen aufgenommen und zum Teil mustergültig umgesetzt wurden. Weitere Ergänzungen, die derzeit von uns geprüft werden, sind eine Verbesserung der Schuhform, die Wirksamkeit von Bettalarmsystemen und der Einsatz rutschhemmender Socken in der Nachtzeit. Endgültige Empfehlungen hierzu können noch nicht abgegeben werden. Im Rahmen des Modells und in begleitenden kleineren Projekten werden deren Wirksamkeit derzeit überprüft. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 29 Angefragte Stellungnahmen • Stadt Ulm • Sozialministerium Baden-Württemberg • ISO – Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. • Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. • Samariterstiftung • Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg • MÜNCHENSTIFT AH St. Martin • Hessisches Amt für Versorgung und Soziales • MDK Baden-Württemberg • Kreisärzteschaft Ulm • AOK Baden-Württemberg • Deutsches Zentrum für Alternsforschung • Universität Hamburg, Fachwissenschaft Gesundheit • Kuratorium Deutsche Altershilfe • Altenzentrum Clarissenhof, Ulm • ELISABETHENHAUS, Ulm • Pro Seniore Residenz Friedrichsau, Ulm • ELISA Seniorenstift, Ulm • Evangelische Heimstiftung – Dreifaltigkeitshof, Ulm • Rölke Pharma Spezialprodukte • Krankenhaus Neuperlach, Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 30 STADT ULM Bürgermeisteramt Dr. Hartung 89070 Ulm Gertrud S. eine Bewohnerin eines Ulmer Alten- und Pflegeheims, musste auf Grund vieler Stürze und Brüche lange Zeiten im Rollstuhl verbringen. Sie bedankt sich bei dem Geriatrischen Zentrum für die liebevolle Betreuung in der Modellphase und kann seit 1 ½ Jahren wieder mit ihrem „Rolly“ an der Donau spazieren gehen. Prävention setzt das Nachdenken über die Gründe von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit voraus und wird konkret in den Bemühungen, diesen Gründen entgegenzuwirken. Bei Alten- und Pflegeheimbewohnern schienen bisher Prävention und Rehabilitation kaum möglich zu sein. Aus Sicht der Stadt Ulm stellen sich einige der vielen positiven Erkenntnisse des Modellvorhabens wie folgt dar: • Die RAI-Erhebung ergab wichtige Informationen zur Bewohnerstruktur der Alten- und Pflegeheime, die der weiteren Altenhilfeplanung und Qualitätsverbesserung dienen. • Die Trainingsgruppen bildeten den Rahmen, in dem die Teilnehmer menschliche Nähe erfahren konnten. Die Kommunikation der Heimbewohner hat sich verbessert. • Unruhige demente Bewohner „profitieren deutlich von dem Trainingsangebot in der Gruppe“. • Dem Geriatrischen Zentrum ist es gelungen, das Pflegepersonal für die Sturzgefahr der Bewohner zu sensibilisieren, die Zahl der Stürze und Oberschenkelhalsfrakturen erheblich (etwa 40 %) zu reduzieren, die Mobilität der Bewohner somit länger zu erhalten, freiheitseinschränkende Maßnahmen weitgehend zu vermindern und insbesondere die Lebensqualität der Bewohner/-innen zu verbessern. Durch kontinuierliche Bearbeitung des Modellvorhabens im Arbeitskreis Heimträger und durch finanzielle Unterstützung von insgesamt 100 000 DM, konnte die Stadt Ulm einen Beitrag für das Modellvorhaben leisten, an dem alle Ulmer Alten- und Pflegeheime teilnahmen. Erfreulich ist die Nachhaltigkeit des Modells, da ebenfalls alle Heime das Trainingsprogramm in verschiedener Ausprägung fortführen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 31 Ein nächster wichtiger Schritt ist u. E., die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die im Alten- und Pflegeheimbereich gewonnenen Einsichten mit den notwendigen Modifikationen auch auf den häuslichen Bereich übertragen werden können. Da anzunehmen ist, dass die Folgen eines Sturzes im häuslichen Bereich oft noch gravierender sind als im Heim (längerer Zustand der Hilflosigkeit bis zur Entdeckung mit allen sich daraus ergebenden körperlichen und psychischen Folgen), dürfte der Sturzprävention hier ein noch höherer Stellenwert als in Einrichtungen zugemessen werden. Dass damit – heuristisch sinnvoll – in Alten- und Pflegeheimen ein Anfang gemacht worden ist, ist zu begrüßen; der schwierigere (weil differenziertere und kaum reglementierte) häusliche Bereich muss jedoch folgen – vor allem dann, wenn der Wunsch nach möglichst langem Verbleib in der gewohnten Umgebung und nach möglichst großer Unabhängigkeit nicht nur ein Wunsch bleiben soll. Wir danken Herrn Prof. Dr. Nikolaus, Herrn Dr. Becker und all den am Modell beteiligten Mitarbeiter/-innen sehr herzlich für Ihr ausgeprägtes Engagement. Europaweit konnten u. E. die effektivsten Maßnahmen entwickelt werden, die dem drohenden Mobilitätsverlust des alten Menschen vorbeugen. Unser herzlicher Dank gilt ebenso dem Bundesgesundheitsministerium, dem Sozialministerium Baden-Württemberg und der Otto-Kässbohrer-Stiftung für die Förderung des Modellvorhabens. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 32 Sozialministeriums Baden-Württemberg Ulrich Schmolz Oberregierungsrat Referat Pflege und Altenhilfe Schellingstr. 15 70174 Stuttgart Die Diskussion in der Pflege dreht sich seit Jahren zentral um die Frage nach der Qualität der Pflege und deren Sicherung. In diesem Zusammenhang wird in erster Linie an die unmittelbaren pflegerischen und betreuerischen Handlungen gedacht, was zunächst auch wichtig ist. Im Kontext mit den pflegerischen Maßnahmen, der Qualität in der sie erbracht werden und deren Qualitätssicherung, darf auch das Thema Lebensqualität nicht zu kurz kommen. Die Frage der Lebensqualität spielt deshalb sowohl bei der Entwicklung baulicher wie auch pflegerischer Konzepte eine zunehmende Rolle. Diese Entwicklung entspringt der Erkenntnis, dass eine technisch betrachtet gute pflegerische Betreuung allein noch keine Lebensqualität vermitteln muss. Deshalb kommt allen Projekten, die speziell die Verbesserung der Lebensqualität der Heimbewohner im Auge haben, besondere Bedeutung zu. Als ein solches Projekt hat sich das des Geriatrischen Zentrums erwiesen. Die großen Herausforderungen in der Pflege stellen heute die Versorgung der zunehmenden Zahl demenziell erkrankter Menschen dar, das immer noch weitgehend tabuisierte Thema der Inkontinenz und die Vermeidung der Folgen sturzbedingter Verletzungen. Diesen Problemen wirksam zu begegnen ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Wenn Unfälle in Heimen zu mehr als 90 % Folge von Stürzen sind und sich 30 bis 40 % aller Oberschenkelhalsbrüche im Jahr in Alten- und Pflegeheimen ereignen, zeigt dies bereits die zahlenmäßige Relevanz des Ulmer Projekts, das die Vermeidung von sturzbedingten Verletzungen zum Ziel hatte. Die primäre Folge von Stürzen alter Menschen ist häufig Pflegebedürftigkeit bzw. deren Anwachsen. Die daraus resultierenden finanziellen Folgen allein rechtfertigen alle Anstrengungen diese Konsequenzen zu vermeiden. Daneben ist aber nicht weniger wichtig, dass Stürze sehr häufig eine Einschränkung der Mobilität zur Folge haben. Der Erhalt der Mobilität gehört aber zu den Grundvoraussetzungen für eine positiv empfundene Lebensqualität. Das Projekt des Geriatrischen Zentrums Ulm hat sowohl einen Beitrag zur Vermeidung bzw. Verringerung von Pflegebedürftigkeit, als auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Lebensqualität von Pflegeheimbewohnern geleistet. Es hat die Möglichkeiten aufgezeigt, mit vergleichsweise geringem (finanziellen) Aufwand beide Ziele zu erreichen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 33 Wer darüber hinaus einmal die Gelegenheit hatte, an einer "Trainingseinheit" der Heimbewohner teilnehmen zu können, konnte eine Lebensfreude verspüren, wie sie Außenstehende in Pflegeheimen kaum vermuten würden. Auch wer die reine Kosten-Nutzen-Analyse für die Bewertung der Erkenntnisse des Modellvorhabens vorzieht, muss zum Schluss kommen, dass sich alle Anstrengungen lohnen, die in Ulm erprobten Ansätze in der Fläche umzusetzen. Natürlich wird die Frage (der Verteilung) der Finanzierung breiten Raum einnehmen. Hier wird ebenfalls im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse zuerst an die gesetzliche Krankenversicherung zu denken sein, die nicht unerheblich von dem schon im Projekt erzielten Rückgang der Behandlungszahlen profitiert. Von ihr kann deshalb zuerst ein Beitrag im Sinne präventiver Vermeidung sturzbedingter Verletzungen erwartet werden. Profitieren werden letztlich aber auch die Heime und die Bewohner selbst. Beiden muss und wird dies ein eigener (finanzieller) Beitrag wert sein. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 34 ISO - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. Carola Schweizer Trillerweg 68 66117 Saarbrücken Das Modellprojekt "Sturzprävention in Ulmer Pflegeheimen" spielt im Modellprogramm des Bundesgesundheitsministeriums eine besondere Rolle. Als vor 10 Jahren das Modellprogramm startete, wurden im Themenbereich "Rehabilitation" vor allem Modelle gefördert, die die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten, Heilmittelerbringern und ambulanten Pflegediensten verbesserten. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der rehabilitativen Orientierung im Versorgungssystem. Es sind natürlich auch Modelle gefördert worden, die eine integrierte Komplexleistung angeboten haben, wie beispielsweise die Mobile Rehabilitation. Mit der Förderung Ihres Modells ist ein "neuer" Weg beschnitten worden. Es geht nicht mehr allein um die Optimierung der Versorgungsinfrastruktur oder den "klassischen" Rehabilitationsansatz. Sie haben vielmehr ein therapeutisches Angebot entwickelt, das gezielt ein bestimmtes Gesundheitsrisiko älterer Menschen im Blick hat. Das Trainingsprogramm und die Verwendung der Sturzhosen ist in anderen Modellen auf großes Interesse gestoßen. Einige Einrichtungen haben die "Sturzprävention" bereits übernommen; andere planen die Realisierung. Ihr Vorhaben, die "Sturzprävention" nicht nur in Pflegeheimen, sondern auch im ambulanten Bereich anzubieten, hat den Vorteil, dass mehr ältere Menschen davon profitieren werden. Das Angebot wird auch dazu beitragen, den Verbleib in der eigenen Wohnung mittel-/ längerfristig zu sichern. Ein weiterer Vorteil ist, dass nicht nur die Fachkräfte in den Pflegeheimen, sondern auch die Pflegekräfte der ambulanten Dienste und die niedergelassenen Ärzte für die "Sturzprävention" sensibilisiert werden. In der Frage, auf welcher leistungsrechtlichen Basis die Sturzprävention finanziert werden kann, sind Sie versierter als wir. Ihr klarer methodischer Ansatz hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Relation wird Ihnen die Diskussion mit den potentiellen Leistungsträgern sicherlich erleichtern. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 35 MDS Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. Dr. med. Lürken Fachgebietsleiter Pflege 1. MDS Lützowstr. 53 45141 Essen Stürze ohne Fremdeinwirkung sind eines der größten Probleme im geriatrischen Bereich. Nicht nur die unmittelbaren Sturzfolgen wie Prellungen und Frakturen beeinträchtigen die Betroffenen, sondern vor allem die dadurch bedingte lmmobilisation und gesteigerte Mobilitätsangst erzeugen ihrerseits lang andauernde, wenn nicht lebenslange Einschränkungen der Selbständigkeit. Außerdem erhöht jeder Sturz die erneute Sturzgefahr aufgrund der durch das erste Ereignis entstehenden motorischen Bewegungseinschränkungen bzw. der entstandenen Gangunsicherheiten. Die Angst, ein weiteres Mal zu stürzen, tut ein übriges. Unter diesen Voraussetzungen ist die Bedeutung der Sturzprävention u. E. sehr hoch anzusetzen. Es ist wichtig und notwendig, durch Projekte wie das Ihre, Möglichkeiten der Sturzprävention und somit eine prophylaktische Verhinderung von Mobiltätseinschränkungen zu erforschen. Nur wenn die Wirkung solcher Maßnahmen wissenschaftlich einwandfrei belegt ist, wird eine Verbreitung und Umsetzung in Zukunft möglich sein. Dabei ist besonderes zu begrüßen, dass Ihr Projekt an den Notwendigkeiten für die Betroffenen ansetzt und nicht die Diskussion über Leistungspflichten des einen oder anderen Leistungsträgers in den Vordergrund stellt. Prävention und Prophylaxe heißen vor allen Dingen Information der Betroffenen bzw. der sie Betreuenden. Wenn Ihr Modell wissenschaftlich belegt, dass Sturzprotektoren einen effizienten Beitrag zur Sturzprävention von Mobilitätseinschränkungen leisten können, halten wir es deshalb für notwendig, dies nicht nur über die einschlägigen Fachmedien, sondern auch über die Medien zu verbreiten, die die Betroffenen und ihre Angehörigen als Zielgruppe haben. Nur wenn Kassenmitarbeiter, Klinikärzte, Hausärzte, Pflegeheimleitungen, Pflegepersonal, Angehörige und Betroffene gleichermaßen über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit solcher Maßnahmen informiert sind, wird bei den Beteiligten die notwendige Compliance erreicht werden können. Wie wichtig und wie schwierig gleichzeitig das Erreichen einer solchen Compliance ist zeigt nicht nur Ihre Untersuchung, sondern eine Vielzahl anderer die sich mit 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 36 Schutzsystemen beschäftigen. Ein nicht angelegter Sicherheitsgurt ist eben kein wirksames Rückhaltesystem. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich Initiativen wie die Ihre und warten gespannt auf den von Ihnen angekündigten Abschlussbericht. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 37 SAMARITERSTIFTUNG Vorstand Dr. Eberhard Goll Schlossweg 1 72622 Nürtingen Neben den Schwerpunkten demenzielle Erkrankungen, dem Problem der Mangel-ernährung, der Vermeidung von Exsikkose ist die Vermeidung von Mobilitäts-einschränkungen und die Sturzprävention ein wichtiger Fokus in unserer Alltagsarbeit. Wie Ihre Studie in eindrucksvoller Weise aufzeigt, sind Stürze nicht nur ein Kostenfaktor für die Kostenträger, sondern sie gehen in den meisten Fällen mit einem dauerhaften Verlust von Mobilität für den einzelnen Menschen, der davon betroffen ist, einher. Der Verlust von Mobilität bedeutet: • einen höheren Betreuungsbedarf des Einzelnen • den Verlust von eigenen Fähigkeiten • die Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten seines Lebens, eben weniger Lebensqualität. Um dem entgegen zu wirken und im Zeichen immer knapperer Ressourcen sehen wir die Sturzprävention, neben den anderen genannten Punkten, als wichtig an. Wir nehmen mit einer unserer Einrichtungen an der Dreiländerstudie der Europäischen Gemeinschaft teil. Zur Verbreitung und Umsetzung Ihrer Erkenntnisse aus der Studie bedarf es aus unserer Sicht: • Der Aufklärung der Kostenträger bundesweit. • Rahmenvereinbarungen mit den Kostenträgern über die Verordnungsfähigkeit von Mobilitätstraining auf KG-Rezept • Höhere Bereitschaft der Kostenträger zur Übernahme der Kosten von Hüftprotektoren. • Schulungskonzept mit dem Ziel der Sensibilisierung von Mitarbeitern in Altenhilfeeinrichtungen. • Prüfung des Umsetzungspotentiales der Studie für den ambulanten Bereich. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg für Ihr Projekt. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 38 Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg Barbara Steiner Abteilungsleiterin Entwicklung, Qualifizierung, Öffentlichkeitsarbeit Falkertstr. 29 70176 Stuttgart Bedeutung des Ulmer Modells zur Sturzprävention in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Ansätze zur Verbreitung und Umsetzung Das Wohlfahrtswerk Baden-Württemberg als Träger der Altenhilfe bietet an 17 Standorten Dienstleistungen im Betreuten Wohnen, ambulanten, teilstationären und stationären Bereich für mehr als 1700 Senioren. In 12 Pflegeheimen werden insgesamt t 1100 Bewohner betreut und versorgt. 1. Bedeutung der Sturzprävention und Verhinderung von Mobilitätseinschränkungen Die Mobilität stellt für die Bewohner ein bedeutsames Element der Lebensqualität dar, Mobilitätseinschränkungen haben neben funktionellen auch psychische und soziale Auswirkungen, Stürze stellen darüber hinaus häufig folgenschwere und sehr kritische Lebensereignisse dar. Erhöhte Hilfe- und Pflegebedürftigkeit ist sehr oft die Folge. Der Sturzprävention Verhinderung und von Mobilitätseinschränkungen kommt daher grundsätzlich hohe Bedeutung zu. Das Wohlfahrtswerk hat in seiner BASIS-Studie 1997 (Bewohner-Assessment und Indikatorenanalyse in der Stationären mehrdimensionalen Assessment den Altenhilfe) Hilfebedarf in und einem die umfassenden Leistungen von und 857 Pflegeheimbewohnern abgeklärt und dabei auch die Mobilität bzw. das Sturzrisiko untersucht. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung dieses Themas. Die Studie wies eine häufige (24%) bzw. gelegentliche (30%) Sturzgefahr beim Gehen bei mehr als der Hälfte der Bewohner und häufige (13%) bzw. gelegentliche (24%) Sturzgefahr beim Sitzen bei mehr als einem Drittel der Bewohner nach. 72% benötigen Hilfsmittel zur Fortbewegung, 23% sind bettlägrig/können sich ohne Hilfe nicht im Bett aufrichten und 42% können sich ohne Hilfe keine 50 m fortbewegen. Hilfebedürftigkeit im Pflegeheim resultiert demnach in hohem Maße aus den Einschränkungen der Mobilität. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 39 2. Ansätze zur Verbreitung und Umsetzung Für die Verbreitung bzw. Umsetzung der aus dem Ulmer Modell gewonnenen Erkenntnisse sind aus unserer Sicht unterschiedliche Ansätze wichtig, um einen angemessenen Erfolg zu gewährleisten: • das fachliche Wissen und das Problembewusstsein zum Thema Mobilität und Mobilitätsstörungen muss gefördert werden • die Erkenntnisse aus dem Projekt sind durch geeignete PR - Maßnahmen der fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen • eine entsprechende Berücksichtigung dieses Themas in der Ausbildung von Altenpflege und Krankenpflegekräften ist wichtig, um die grundlegenden fachlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Information der Schulen über das Projekt, Mitwirkung bei der Entwicklung einer entsprechenden Unterrichtseinheit, Integration in die bestehenden Lehrpläne und inhaltliche Aufarbeitung in ansprechenden Unterrichtsunterlagen würde eine schnellere Umsetzung unterstützen • die Mitarbeiter in den Einrichtungen werden am besten durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erreicht. Erfolgversprechend sind hier insbesondere diejenigen, die vor Ort und an den Bedürfnissen der Einrichtungen ausgerichtet angeboten werden • nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch Ehrenamtliche und Angehörige sollten in Informationsveranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen einbezogen werden, da diese sehr häufig Transfers bzw. „Bewegungstraining“ in Form von Spaziergängen durchführen Es müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, die die Übertragung der Erkenntnisse aus dem Modell in die Praxis ohne großen Aufwand ermöglicht. Den Einrichtungen müssen pragmatische Ansätze und Hilfestellungen an die Hand gegeben werden, so beispielsweise: • einfach anwendbare Assessmentverfahren, die die Einschätzung des Sturzrisikos einer Person ermöglichen und/oder Auskunft über das Maß der Hilfebedarfs bzw. der Ressourcen geben • sie bilden die Grundlagen für gezielte und individuelle Maßnahmen • sie sind unserer Erfahrung nach geeignet, das Problembewusstsein bei den Mitarbeitern zu fördern. Das Problembewusstsein muss durch begleitende Maßnahmen in Akzeptanz überführt werden, was beispielsweise durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, wie oben genannt, erfolgen kann 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 40 • aus den Assessments lassen sich die notwendigen Leistungen erschließen, seien es Trainingsmaßnahmen, Beratung und verhaltensbeeinflussende Maßnahmen, Hilfsmittel wie Protektoren, Umgebungsgestaltung u.a. • mit Hilfe von Assessments lassen sich auch Erfolge messen, was sich positiv auf die Motivation auswirkt • sie wirken darüber hinaus unterstützend in der Diskussion mit Angehörigen und Ärzten • die Bewegungsprogramme, die von qualifizierten Mitarbeitern der Einrichtungen erbracht werden können, sollten ausgearbeitet und erprobt sein. Programme, bei denen die Zielgruppe, Methoden, Hilfsmittel und -geräte, Auswahl der Übungen u.a. praxisnah veranschaulicht werden und besser noch, in die gegebenenfalls durch qualifizierte Trainer bzw. Anleiter eingeführt wird, haben bessere Chancen umgesetzt zu werden • für den Einsatz von Sturzhosen ist die notwendige Akzeptanz sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Angehörigen zu schaffen. Eine gute Einführung in die Anwendung des Produkts ist notwendig, da es in der Regel noch nicht bekannt ist. Als positiv hat sich erwiesen, die Sturzhosen zunächst bei einem kleinem Personenkreis anzuwenden, bei dem ein hohes Sturzrisiko vorhanden ist. Auch hier hat sich der Erfolg – Stürze ohne Verletzungen – motivierend auf Einführung und Anwendung weiterer Sturzhosen ausgewirkt. Insgesamt bleibt zu bemerken, dass zur Umsetzung in den Einrichtungen ein fachlich hohes Niveau nötig ist, das angemessen zu honorieren ist. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 41 MÜNCHENSTIFT AH St. Martin Horst Huppert Projektbetreuung Sturzprophylaxe Ich bin jetzt seit fast 2 Jahren als Trainer der Sturzprophylaxe im Altenheim St. Martin/MÜNCHENSTIFT unterwegs und seit kurzem als Projektbetreuer für 2 andere Häuser der MÜNCHENSTIFT tätig. Wir haben das „Ulmer Modell“ zu Beginn des Projektes mit Herrn Rißmann, zuerst auf das Pflegeheim St. Martin übertragen. Zur Besonderheit im Pflegeheim lässt sich sagen, dass der Altbestand an Heimbewohnern nur schwer motivierbar war und ist. Die Gruppen in St. Martin bestehen jetzt hauptsächlich aus Heimbewohnern, die seit Beginn ihres Einzuges ins Haus an den Gruppen teilnehmen. Das Modell Grundtraining/Erhaltungstraining ist hier im Pflegeheim nicht sinnvoll, weil die Teilnehmer neben dem Training oft keine zusätzlichen Bewegungsaktivitäten (Gehen, Bewegen) aufweisen. Eine zweite wöchentliche Trainingseinheit ist deshalb ständig erforderlich. Für viele Teilnehmer an den Gruppen ist das Training ein willkommener Anlass ihre Alltagssituation zu durchbrechen. Mobilität und Motivation gehen hier eine enge Verbindung ein, die den Heimbewohnern wieder mehr Perspektive bietet. Was fehlt ist ein weiterführender Rahmen, der den persönlichen Mobilitätsbedürfnissen und -ansätzen Raum gibt. Die Absicht bei den im Umbau befindlichen Häusern der MÜNCHENSTIFT, in mittlerer Zukunft, Wohngruppen zu bilden, beschreibt diesen Raum. Seit Jan./Feb.2001 gibt es das Training der Sturzprophylaxe auf im Altenheim Hl. Geist und Haus an der Effnerstraße. Dort gab es bereits jeweils eine Gymnastikgruppe, die jetzt mit dem Training der Sturzprophylaxe weitermachen. Die bisherige Resonanz aus diesen Häusern von Heimleitung/Trainerinnen/Bewohnern/ Angehörigen ist gut bis sehr gut. Im Altenheim Hl. Geist ist als nächster Schritt geplant (etwa ab Mai), eine Trainingsgruppe für externe Teilnehmer anzubieten. Nach dem Modell Grund- und Aufbaukurs, finanziert durch Selbstzahler und AOK Mitglieder. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 42 Zu 1. Bedeutung des Mobilitäts-/Kraft-/Gleichgewichts- und Koordinationstraining im Zusammenhang mit der Verwendung von Sturzprotektoren. Hier kann ich nur die bereits bekannten benennen: • Die Verletzungsgefahr und Folgen vermindern. • Die Lebensqualität zu erhalten, verbessern, unterstützen. • Mögliche höhere Kosten, die aus Sturzverletzungen und Mobilitätseinschränkungen entstehen würden und für viele Heimbewohner ohne Training/Protektoren zutreffen, in Gegenüberstellung zu den niedrigeren Kosten eines Trainings für den Teilnehmer. Zu 2. Die Hauptproblematik zur Verbreitung und Umsetzung ist wohl in der derzeitigen schlechten Finanzierungslage zu suchen. Hier sollte es noch mehr Öffentlichkeit geben. Diskussionen mit Entscheidungsträgern der Krankenkassen und Politikern, nicht zu vergessen die ältere Generation selbst. Von der AOK Bayern gibt es ein Angebot für ein Grundtraining 85% der Kosten, von insgesamt 240,-- DM, für Ihre Mitglieder zu übernehmen. Dieses Angebot ist praktisch noch nie ausprobiert worden. Die Diskussion mit der Krankenkasse ist noch nicht abgeschlossen. Es müsste aus meiner Sicht noch nachgebessert werden in Bezug auf das Verständnis, Fehlzeiten und Eigenbeteiligung. Das Angebot gilt für AOK–Heimbewohner und externe AOK-Versicherte, die ein Grundtraining besuchen wollen. Dies soll, wie vorher bereits beschrieben im Altenheim Hl. Geist durchgeführt werden. Wenn sich dieses Modell bewährt, lässt es sich auf andere Häuser/Einrichtungen übertragen, im Raum München und auch anderswo. Es wäre eine Prävention vor der Prophylaxe. So dass alte Menschen gar nicht in die Situation kommen würden, sturzgefährdet zu werden. Sinnvoll wäre hier eine Vernetzung mit anderen Gesundheitsanbietern, um das Bedürfnisbild abzurunden. Soweit meine knapp gehaltenen Ausführungen, die Sie gerne verwenden können. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 43 Hessisches Amt für Versorgung und Soziales Dagmar Jost-Hinkel - Pflegefachkraft Bartningstr. 53 64289 Darmstadt Zu Frage 1 Das Thema Sturzprävention und die Verhinderung von Mobilitätseinschränkungen hat aufgrund der hier vorliegenden Erfahrungswerte im Bereich der vollstationären Altenarbeit eine hohe Bedeutung. Nach unserem bisherigen Erkenntnisstand bestehen in einem großen Teil der im hiesigen Zuständigkeitsbereich liegenden Heimeinrichtungen in nicht unerheblichem Umfang Unsicherheiten, wie dem hier bestehenden Gesamtproblem Rechnung getragen werden kann. Aus dieser Situation werden immer wieder Feststellungen im Zusammenhang mit "Fixierungen/freiheitseinschränkenden Maßnahmen" getroffen bzw. oder einer Negierung des bestehenden Problems mit der Folge häufiger Stürze. Gezielte Beschäftigungs- oder Betreuungsangebote für sturzgefährdete Menschen, um dieser Sturzneigung präventiv entgegen zu wirken, werden selten angetroffen. Die Vermutung, dass hier die bekannt gewordenen Stürze nur die Spitze eines Eisberges darstellen, sind mit Sicherheit nicht abwegig, so dass das offene Angehen dieses Problems für unsere eigene Arbeit eine große Bedeutung bzw. einen hohen Stellenwert besitzt. Zu Frage 2 Von hier sind bereits Maßnahmen eingeleitet worden mit einer bestehenden Einrichtung in enger Kooperation das Ulmer Modell zum einen umzusetzen und in der Praxis auch zu begleiten. Weiterhin besteht die Absicht, die hierbei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungswerte zum einen zu dokumentieren und über bereits bestehende Arbeitskreise multiplikatorisch den übrigen im hiesigen Amtsbereich gelegenen Heimeinrichtungen näher zu bringen. Darüber hinaus besteht die Absicht über den uns grundsätzlich obliegenden Beratungsauftrag die Heimeinrichtungen für einen offenen bewohnerorientierten Umgang mit der hier bestehenden Problematik und den Lösungsansätzen über das Ulmer Modell zu sensibilisieren. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 44 MDK Baden-Württemberg Dr. Gerd Haller Ärztlicher Referent MDK Baden-Württemberg Ahornweg 2 77933 Lahr/Schw. Eine Abnahme der Alltagskompetenz in Funktion der Mobilität bildet bekanntermaßen beim älteren Menschen die Hauptursache für das Auftreten von Hilfe/Pflegebedürftigkeit mit der daraus resultierenden Notwendigkeit der Inanspruchnahme von familiärer und/oder professioneller Hilfe. Bisher stand nach Auftreten von akuten Krankheitsbildern (Hirngefäßerkrankungen, Frakturerkrankungen) die Wiedererlangung bereits verlorengegangener Fähigkeitsstörungen oder/und die Entwicklung von Kompensationsstrategien im Zentrum geriatrischen Tuns. Trotz der vielfältigen Bemühungen der rehabilitativen Geriatrie wird die frühere Lebensqualität und das frühere Fähigkeitsprofil häufig nicht mehr erreicht. Oft kann Pflegebedürftigkeit vermindert, aber nicht behoben werden. Diese Ausgangssituation ist für den älteren Menschen nicht zufriedenstellend und mehr als bisher muss an präventiven Therapieprogrammen gearbeitet werden, deren Zielsetzung die Vermeidung oder zumindest das Hinauszögern von Organschädigungen und den daraus resultierenden Folgen, die mehrdimensional nach dem ICIDH-Konzept zu betrachten sind, ist. Vor diesem Hintergrund sind wissenschaftliche Studien, die sich mit präventiven Therapiekonzepten beschäftigen, für die Weiterentwicklung der medizinisch-pflegerischen Versorgung des älteren Menschen notwendig und bilden die Plattform für ein differenziertes Behandlungsangebot. Dennoch darf bei allem Enthusiasmus über Therapieprogramme, die der präventiven Geriatrie zuordenbar sind, nicht vergessen werden, dass vor genereller Empfehlung solcher Therapiemaßnahmen, die früher oder später die Forderung nach einer Kostenerstattung zu Lasten der GKV nach sich ziehen, eine umfassende wissenschaftliche Absicherung mit Nachweis einer klinischen Relevanz der Studienergebnisse notwendig ist. Aus MDK-Sicht ist ein wichtiger Aussageparameter über die klinische Relevanz von Sturzpräventionsprogrammen die Frakturabsenkrate in der Interventionsgruppe, was auch in der Ulmer Studie als primärer Studienendpunkt gewählt wurde. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 45 Während im 1. Jahresbericht keine statistische Signifikanz für die Frakturabsenkrate berichtet wurde, stellte sich diese wohl im 2. Modelljahr ein. Eine entsprechende Datentransparenz über diese Aussage war dem 2. Jahresbericht, in dem bewusst auf eine biometrische Darstellung der Studienergebnisse verzichtet wird, nicht zu entnehmen. Ein besonderes Interesse gilt den Einflussgrößen, die diese Entwicklung bei den Studienergebnissen bedingen und ihre Bedeutung für das Studiendesign muss diskutiert werden. Ohne Vorliegen der angekündigten wissenschaftlichen Publikationen ist aus MDK-Sicht eine Bewertung der Studie und denen sich daraus ergebenden klinisch-praktischen Konsequenzen nicht möglich. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 46 Dr. med. Norbert Fischer Vorsitzender der Kreisärzteschaft Ulm Arzt für Allgemeinmedizin und Betriebsmedizin Elisabethenstr. 8 89077 Ulm Die in den vergangenen 2 Jahren durchgeführte Studie des Geriatrischen Zentrums Ulm/AlbDonau zur Sturzprävention in Alten-und Pflegeheimen stieß bei der niedergelassenen Ärzteschaft auf großes Interesse und wurde mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Die Studie griff mit der Wahl ihrer Thematik ein Problem auf, das in hohem Maß die Arbeit der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen betreuenden ÄrztInnen berührt; Ihr Angebot der Einbindung und Mitwirkung der KollegInnen bei der Auswahl und Betreuung geeigneter PätientInnen für die Studie sowie die Möglichkeit eines ständigen Dialogs über Fortschritte oder auch Probleme während des Ablaufs der Studie wurden sehr positiv aufgenommen. In 2-jähriger Forschungsarbeit wurden Fakten ermittelt, die sehr wohl Einfluss haben werden auf die künftige Betreuung sturzgefährdeter alter Menschen in Heimen, aber auch im häuslichen Bereich. Neben der Tatsache, dass der Einsatz von Hüftprotektoren die mechanische Folge von Stürzen mit möglicher Fraktur im Oberschenkelbereich signifikant reduziert, sind die im Rahmen der Studie gewonnenen, Erkenntnisse über den Einfluss von Medikamenten, Umgebungsfaktoren wie Bodenbeschaffenheit, Schuhwerk und Beleuchtung für die Sturzhäufigkeit sowie der hohe Stellenwert einer osteoporosevorbeugenden Behandlung und physikalischer Therapiemaßnahmen von unmittelbarer und richtungweisender Bedeutung für unsere tägliche Arbeit. Es bedeutet für uns angesichts der hohen Inzidenz von Sturzverletzungen hochbetagter Menschen eine gerne angenommene Verpflichtung, zusammen mit den betreuenden Angehörigen, Sozialstationen und dem Pflegepersonal in Alten- und Pflegeheimen an der Umsetzung dieser Erkenntnisse zu arbeiten, um so einen effektiven Beitrag zur Reduktion der Zahl der Frakturen und damit auch zu einer deutlichen Verringerung der Kosten zu leisten. Es muss an dieser Stelle die Bitte ausgesprochen werden, dass der Einsatz von Hüftprotektoren sowie begleitender physikalischer Therapiemaßnahmen zur Verbesserung von Kraft, Balance und Gangsicherheit bei alten Menschen durch ausreichende finanzielle Mittel der Versicherungsträger auch für die Zukunft sichergestellt wird. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 47 An den Schluss möchten wir niedergelassenen ArztInnen die Anregung stellen, die Mitarbeit aller an dem Projekt beteiligten Gruppen in einem Qualitätszirkel anzuregen, um die gewonnenen Erkenntnisse in verbindliche praktikable und alltagstaugliche Standards und Richtlinien umzusetzen, um so unserer gemeinsamen Verantwortung für das Wohl der uns anvertrauten alten Menschen noch besser gerecht werden zu können. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 48 AOK Baden-Württemberg Servicestelle Ersatzforderungen - Horst Marburger - zu 1: Stürze in Alten- und Pflegeeinrichtungen führen in aller Regel zu Leistungsansprüchen gegen die Krankenkassen. Insbesondere entstehen Krankenhauskosten, Kosten ärztlicher Behandlung, Kosten von Hilfsmitteln usw. Die Krankenkassen prüfen in solchen Fällen die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Ansprüche könne aber nur dann geltend gemacht werden, wenn eine Haftung besteht. Im Zusammenhang mit Stürzen in Alten- und Pflegeeinrichtungen, kann sich eine Haftung z.B. stützen auf: - schadhafte Treppe - Fehler des Pflegepersonals, weil beispielsweise der Sturz wegen fehlender Hilfestellung eintrat. Besonders im zweiten Fall spielt dabei die Frage des Grades der Behinderung bzw. das Ausmaß der Hilflosigkeit eine große Rolle. Bedenksam sind dabei allerdings auch sog. Teilungsabkommen, die von den Krankenkassen mit vielen Haftpflichtversicherungen abgeschlossen worden sind. Hier muss ein Verschulden der Gegenseite (also der Einrichtung) nicht nachgewiesen werden. Allerdings muss zumindest eine Ordnungswidrigkeit der betreffenden Sache (z.B. Treppe) möglich sein. Die neuere Rechtsprechung hat unter Hinweis auf die vertraglichen Pflichten die Anwendbarkeit von Teilungsabkommen in solchen Fällen erleichtert. Ist ein Teilungsabkommen nicht anwendbar, muss die Haftung nachgewiesen werden. Gelingt dies nicht, so bleibt die Versichertengemeinschaft mit den Ausgaben belastet. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 49 Zu 2: Eine Prävention könnte in mehrfacher Hinsicht geleistet werden: - Bessere Instandhaltung der betreffenden Liegenschaften -damit verbunden: - stärkere Oberprüfung und Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde - bessere Anweisungen durch Pflegepersonal - evtl. auch Schulung des Pflegepersonals aber auch der Heiminsassen. Selbstverständlich wäre auch eine Prävention durch entsprechende Schutzkleidung möglich. Hier wäre zunächst die Akzeptanz der Heimbewohner zu überprüfen bzw. zu testen. Natürlich müsste die Schutzkleidung selbst getestet werden und sich auch in einem Erprobungsmodellverfahren bewähren. Danach müsste die Frage der Kostentragung geklärt werden. Der Heimbewohner wird dazu nicht imstande sein. Anders ist dies aber im Bezug auf das Heim bzw. auf den Träger der Einrichtung. M.E. müssten die Kosten der Schutzbekleidung von den Einrichtungsträgern verlangt werden. Diese haben schließlich das meiste Interesse am Vermeiden derartiger Kosten. Außerdem ist davon auszugehen, dass Maßnahmen dieser Art zur Betreuungspflicht der Einrichtungen gegenüber den Heimbewohnern gehören. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 50 Deutsches Zentrum für Alternsforschung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 20 Prof. Dr. Hans-Werner Wahl Leiter der Abteilung für Soziale und Ökologische Gerontologie 69115 Heidelberg Bedeutung des Themas Sturzprävention und Verhinderung von Mobilitätseinschränkungen Mobilität (innerhäuslich und außerhäuslich) ist für ältere Menschen ein sehr hohes Gut. Unsere Studien haben diese häufig getroffene Aussage auch empirisch untermauern können. So verbinden Ältere mit (außerhäuslicher) Mobilität das Gefühl der Unabhängigkeit, der eigenen Leistungsfähigkeit und der Partizipation an der Gesellschaft, um nur einige der wesentlichsten Aspekte zu nennen. Aus diesem Grunde sind aus unserer Sicht Anstrengungen zur Stützung und Förderung der Mobilität von Älteren ein überaus bedeutsamer Beitrag der gerontologischen und geriatrischen Interventionsforschung zu einem "guten" Altern. Es sind bei solchen Interventionsbemühungen (die ja auch starken präventiven Charakter besitzen) sehr vielfältige Ebenen (bis zur Seniorenfreundlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel) angesprochen, jedoch ist die Sturzprävention mit Sicherheit eine der grundlegendsten und elementarsten Formen der Unterstützung. Eine Förderung der Sturzprävention mit einem Kraft- und Gleichgewichtstraining in institutionellen Umwelten, wie prototypisch im Ulmer Sturzpräventionsprojekt demonstriert, ist in mehrfacher Hinsicht ein wertvoller Beitrag zur Gerontologie insgesamt. Zum ersten räumt er auf mit Vorurteilen der passiven Heimbewohner, die angeblich zu nichts mehr zu "bewegen" sind. Zum zweiten zeigt er, dass eine nicht selten mit dem Jugendlichkeitswahn unserer Gesellschaft verknüpfte Trainingsform, eben Krafttraining, auch von älteren Menschen angenommen wird und bereits in recht kurzer Zeit (ein bei jeder Intervention bei Älteren wesentlicher Aspekt) sehr positive Effekte zeigt. Zum dritten ist eine ganz wichtige Botschaft, dass auch dementiell erkrankte Ältere von einer solchen Intervention profitieren können. Zum vierten schließlich fördert ein solches Training wohl auch ganz allgemein das Aktivitätsspektrum von Heimbewohnerinnen und -bewohnern innerhalb und außerhalb der Institution und stärkt damit auch ihre "Selbstwirksamkeit". 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 51 Vorschläge zur Verbreitung und Umsetzung Es liegt für mich nahe, insbesondere neue Medien (wie das Intemet und Bildtelefon) zur Verbreitung von solchen Trainings einzusetzen. Die damit gegebene Möglichkeit, größere Gruppen von Älteren (die technische Ausstattung einmal vorausgesetzt) gleichzeitig zu erreichen, sollte beispielsweise auch für Krankenkassen attraktiv sein. Interessant fände ich ferner die Kombination des Kraft- und Gleichgewichtstrainings mit anderen Trainingskomponenten (prototypisch kognitiv orientiertes Training). 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 52 Universität Hamburg, Fachwissenschaft Gesundheit Arbeitsgruppe Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser - Gabriele Meyer Martin-Luther-King-Platz 6 20146 Hamburg Stürze stellen ein bedeutendes Gesundheitsproblem für alte Menschen dar. Insbesondere Bewohner von Einrichtungen der stationären Altenhilfe sind aufgrund ihrer Altersstruktur und ihrer Multimorbidität exponiert für rezidivierende Stürze und daraus resultierenden Verletzungen (1,2). Durch die Zunahme der Lebenserwartung von kranken und gebrechlichen alten Menschen werden Stürze und Sturzfolgen weiter an epidemiologischer und ökonomischer Bedeutung gewinnen (3,4), so daß die effektive Implementierung von sturz- und frakturpräventiven Strategien ein wichtiges Anliegen öffentlichen Interesses sein muß. Die multifaktorielle Bedingtheit von Stürzen fordert konzeptionell Interventionen heraus, die auf vielfältige Risikofaktoren zielen. Ein Cochrane-Review von Gillespie et al. (1) belegt die Wirksamkeit von multifaktoriellen auf Risikofaktoren gerichteten Interventionen in der Sturzprävention. In der Ulmer Studie werden 5 auf die Reduktion von Stürzen und sturz-bedingten Frakturen zielende Komponenten in die Versorgungsabläufe von Alten- und Pflegeheimen integriert. Die Intervention ist effektiv in bezug auf die Reduktion des sekundären Endpunktes Sturz. Es ist anzunehmen, daß sich die Intervention auf das Wohlbefinden der Studienteilnehmer auswirkt, d.h. die gesundheitsbezogene Lebensqualität insbesondere der in das Gruppentraining involvierten Studienteilnehmer günstig beeinflußt wird, die Angst zu stürzen reduziert wird sowie die individuelle soziale Partizipation und die Bereitschaft zur Mobilität begünstigt wird. Es deutet sich der Trend an, daß der Unterschied zwischen den Studiengruppen die Sturzfrequenz betreffend bei zunehmender Beobachtungszeit größer wird. Ein Unterschied zwischen den Studiengruppen den primären Endpunkt der Studie betreffend, d.h. sturzbedingte Hüftfrakturen und andere Frakturen, konnte im ersten Jahr nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlich ist die Stichprobe zu klein bzw. die Ereignisrate der sturzbedingten Frakturen ist zu gering. Die Studie hat gezeigt, wie schwierig es ist, eine komplexe Intervention in Alten- und Pflegeeinrichtungen zu implementieren. Es ist zu überlegen, ob die multifaktorielle Intervention in allen Aspekten in die Versorgungsabläufe der stationären Altenhilfe dauerhaft integriert werden soll oder ob vielleicht die Implementierung einzelner Aspekte sinnvoll ist. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 53 Kuratorium Deutsche Altershilfe Wilhelmine – Lübke – Stiftung Abteilung Sozialwirtschaft Dr. Willi Rückert An der Pauluskirche 3 50677 Köln Ich lasse keine Gelegenheit aus, für die Umsetzung der Erkenntnisse Ihres SturzprophylaxeProjektes und die Anwendung in der Praxis zu werben. So z.B. bei der Qualitätssicherungstagung der Friedrich-Ebert-Stiftung1 oder zuletzt in einem Fachgespräch mit der Zeitschrift Heim und Pflege, das in der Mai-Ausgabe veröffentlicht wird. In diesem Gespräch bin ich nach der Ausgestaltung der präventiven Maßnahmen gefragt worden, die ich bei der Präsentation unserer Modellrechungsergebnisse zur möglichen Entwicklung des künftigen Pflegebedarfs von den Planungsverantwortlichen in Bund und Ländern gefordert habe, damit der Pflegebedarf gar nicht erst so stark anwächst wie bei unverändert hohen Prävalenzraten zu befürchten.2 Aus KDA-Sicht dient Ihr Konzept der Sturzprophylaxe jedoch nicht nur gesundheits- und "pflegeökonomischen" Zielen, indem es die Auftretenswahrscheinlichkeit, z. B. von Oberschenkelhalsbrüchen und damit auch die, mit der Behandlung verbundenen Kosten vermeidet - als mindestens ebenso wichtig erachten wir den Zugewinn an Lebensqualität, die die Teilnehmer dadurch erfahren, dass ihr Selbstwertgefühl gesteigert und ihr Aktionsradius im wahrsten Sinne des Wortes erweitert wird, ganz zu schweigen von der "Spaßkomponente beim Krafttraining", die doch stark motivierend wirkt. Was ich besonders wichtig finde ist, dass nach Ihrem Konzept nicht nur durch Kurieren an den Symptomen die Situation der Menschen mit Pflegebedarf verbessert wird, sondern präventiv wichtige Entstehensursachen von Pflegebedürftigkeit bekämpft werden. 1 Vgl. meinen Beitrag "Qualitätssicherung im stationären Bereich aus der Sicht des Kuratoriums Deutsche Altershilfe. In: Qualitätssicherung in der Pflege. Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 92. Hrsg. v. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dez. 1999, S. 39-46, insbes. S. 40. 2 Vgl. neue KDA-Modellrechnung zur Pflege-Entwicklung. Prävention, Rehabilitation und Tagespflege sollten ausgebaut werden. Sonst werden Jahr für Jahr über 10.000 zusätzliche Heimplätze benötigt. In: pro Alter, Heft 1, März 2001, S. 37-39. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 54 Besonders freue ich mich, dass nicht nur das KDA die Bedeutung Ihres Konzeptes erkennt, sondern es auch zunehmend Interesse in der Praxis findet wie die hohe Zahl der Interessenten zeigt, die Ihre Berichte von unserer Webseite im Internet (www.kda.de) herunterladen, in die wir im Rahmen des Modellprojektes des Bundesgesundheitsministeriums Ihre Berichte eingestellt haben. Freilich ist es noch ein weiter Weg, bis Ihr "Programm" nicht nur in allen 8000 Heimen in Deutschland bekannt und angewandt wird, sondern auch den zu Hause, von Sturzgefahren bedrohten Menschen, nahegebracht werden kann. Ich fürchte, Sie werden sich noch eine Zeit lang weiter so engagiert für die Verbreitung und Weiterentwicklung Ihres Konzeptes einsetzen müssen. Dabei wollen wir Sie soweit als möglich unterstützen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 55 ALTENZENTRUM CLARISSENHOF Michael Schäffer - Heimleiter Kornelia Menden-Gräter - Pflegedienstleiterin Clarissenstr. 11 89077 Ulm Zusammenfassung Im Oktober 1999 startete im Altenzentrum das "Projekt. Aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner war eine große Erwartung zu verzeichnen. Alle waren theoretisch informiert, was in der Praxis umgesetzt werden sollte, war noch nicht richtig zu greifen. Das Ziel des Vorhabens: Der Erhalt und die Verbesserung der Bewegungsfähigkeit. Durch die Beweglichkeit war mit Verbesserungen zu rechnen, außerdem sollten Stürze und damit verbundene Verletzungen verhindert - reduziert werden. Von Anfang an waren viele Bewohnerinnen und Bewohner daran interessiert an den Trainingseinheiten teilzunehmen. Im Programm wurden Übungen für das Gleichgewicht und für die Kraft angeboten. Der zeitliche Umfang (60 Min.) war für die Teilnehmer am Anfang schwierig umzusetzen. Nach mehreren Trainingstagen war dies kein Problem mehr. Die Trainingszeiten integrierten sich in den Tagesablauf ein. Zu dem Projekt gab es noch den Einsatz der Sturzhosen (Hüftprotektoren). Es waren viele Bewohnerinnen und Bewohner und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter skeptisch, ob diese getragen werden. Es gelang bei einigen Teilnehmerinnen. Im Laufe der Zeit hatten sich die Gruppen gebildet, die Teilnahme war gesichert. Nach der Bewohnerauswahl entwickelte sich eine Warteliste. Der Bedarf und das Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner war groß. Eine andere Zufriedenheit stellte sich im Laufe der Zeit ein. Durch diese gezielte Mobilitätsverbesserung, sind viele Bewohnerinnen und Bewohner im Alltag wieder viel aktiver und ausgeglichener. Es wurden wieder mehr Spaziergänge unternommen, die Selbständigkeit wurde gefördert. Aus Sicht der Angehörigen war von Anfang an ein großes Interesse am Vorhaben. Große Unterstützung gab es von Seiten der Hausärzte. Die Rückmeldungen waren positiv. Eine Verbesserung des allgemeinen Zustandes der Bewohnerinnen und Bewohner war sichtbar. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 56 Ebenfalls war zu erkennen, das die Sturzhäufigkeit innerhalb des Altenzentrums abgenommen hatte. Sicht des Pflegepersonals: Hier war am Anfang eine gewisse Unsicherheit vorhanden. Was bringt das Ganze? Kommt zusätzliche Arbeit auf uns zu? Diese Situation wurde durch die Projektleitung und dem gesamten Team des geriatrischen Zentrums, und dem Leitungsteam des Altenzentrums begleitet und unterstützt. Die Erfolge der regelmäßigen Teilnahme an den Trainingseinheiten wurden bald sichtbar. Viele Verrichtungen des Alltages konnten die Bewohnerinnen und Bewohner selbständig umsetzen. Die eigene Motivation wurde gestärkt. Aus Sicht des Altenzentrums waren wir von Beginn des Projektes an daran interessiert, dass das Vorhaben als Bestandteil der Versorgung den Bewohnerinnen und Bewohnern angeboten wird. Ebenso war der Vorstand des Trägers regelmäßig am Verlauf und dem Ergebnis interessiert. Hervorzuheben ist die gute Organisation der Geriatrischen Klinik. Hier war die Durchführung der Trainingseinheiten stets gegeben. Die verantwortlichen Therapeuten unterstützten das Pflegepersonal durch Ihre fachliche Kompetenz. Es wurde professionelle Arbeit geleistet. Das gesamte Projekt hat eine hohe Bedeutung als Bestandteil innerhalb der Versorgungsstruktur erlangt. Die Sturzprävention ist aus fachlicher Sicht ein Bereich der die eigene Mobilisation fördert, den allgemeinen Zustand verbessert, die sozialen Kontakte fördert, und ein Beitrag zur gemeinsamen Aktivität unter den Bewohnerinnen und Bewohnern bietet. Aufgrund dieses Projekt haben wir eine der Therapeutinnen als Mitarbeiterin gewinnen können, die dieses Angebot weiterführt. Dies soll ein regelmäßiges Angebot sein, damit eine kontinuierliche Förderung der Mobilität gewährleistet werden kann. Damit die Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert wird, muss dieses Angebot in den täglichen Ablauf integriert werden. Die Auszubildenden in der Altenpflege sollten dieses Angebot im Bereich des Faches Aktivierung integrieren, und die Möglichkeit der Umsetzung im praktischen Einsatz erfahren. Im Namen des Altenzentrums und aller beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchten wir uns für das Projekt, und die Unterstützung der Geriatrischen Klinik bedanken. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 57 ELISABETHENHAUS H. Müller Heimleitung Michelsbergstr. 12-14 89075 Ulm Zu Frage 1, welche Bedeutung hat das Thema Sturzprävention und die Verhinderung von Mobilitätseinschränkung aus Ihrer Sicht? Durch das Kraft- und Gleichgewichtstraining und die Anwendung von Schutzhosen für das Hüftgelenk hat sich die Zahl der Hüftfrakturen während des Modellvorhabens von Oktober 1999 bis September 2000 um etwa 50 % im Vergleich des Vorjahreszeitraums reduziert. Allein durch die Zahlen lässt sich die Bedeutung der Sturzprävention für unsere Heimbewohner eindrucksvoll belegen. Der Erhalt der Bewegungsfähigkeit erhöht die Lebensqualität und reduziert das Anwachsen der Pflegebedürftigkeit unserer Heimbewohner. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass einige unserer Heimbewohner aus den verschiedensten Gründen das Tragen der Sturzhosen ablehnen und nicht alle Bewohner für das Krafttraining geeignet sind. Entscheidend ist, dass unser Pflegepersonal die Bewohner motiviert und zur Teilnahme am Trainingsprogramm und zum Tragen der Hüftprotektoren überzeugt. Zu Frage 2, welche Vorschläge zur Verbreitung und Umsetzung können aus Ihrer Sicht gegeben werden? Nach Beendigung des Modellprojektes im Herbst 2000 in unserer Einrichtung hat das Krafttraining unserer Krankengymnastin Frau Schwan in ihrer Praxis in unserem Haus in reduziertem Umfang weitergeführt. Nachdem das Modellvorhaben durch Trainingsmaßnahmen und Hüftprotektoren die Zahl der Oberschenkelhalsfrakturen deutlich gesenkt worden sind, sind wir auf die Unterstützung der Kranken- und Pflegeversicherung angewiesen um das Projekt in vollem Umfang weiterführen zu können. Allein in Deutschland kommt es pro Jahr zu 80.000 Oberschenkelbrüchen alter Menschen und bei einer Fallpauschale für die Operation einer Fraktur von DM 14.000,00 kommen enorme Kosten pro Jahr auf die Krankenkassen zu. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn die Krankenkassen über Rezepte die Gruppengymnastik finanzieren würden und die Hüftprotektoren im Hilfsmittelkatalog aufgenommen werden, um auch in Zukunft Mobilitätseinschränkungen unserer Heimbewohner zu vermeiden. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 58 Pro Seniore Residenz Friedrichsau Thorsten Antritter Residenzleitung Eberhardtstr. 85-93 89073 Ulm Zu Frage 1: Während des Modellverlaufes der Studie zeigte sich, dass dieses Projekt bei den Teilnehmern gut ankam. In einem Balance- und Krafttraining für hochbetagte Menschen 2 x in der Woche ist die Resonanz von Seiten der Teilnehmer und auch des Personals sehr positiv. Ebenso ist eine positive Motivation und eine Verbesserung der Mobilität der Bewohner festzustellen. Die Bedeutung und Erleichterung für die Pflege lässt die Notwendigkeit der gezielten Bewegung und Tagesstrukturierung als hilfreich erscheinen. Das Training und das Tragen einer Sturzhose ist eine wirksame Methode zur Verhütung von Oberschenkelhalsfrakturen. Das Training bietet auch eine Erweiterung des Aktivierungsangebotes sowie eine Steigerung des Selbstwertgefühls. Zu Frage 2: Das Angebot eines Informationsabends über diese Studie in einer Einrichtung zu halten, wo das Modell bereits gerade läuft. Die Informationen können im Vortrag von Fachkräften gegeben werden. In anschließenden Gesprächen mit den Teilnehmern und deren Angehörigen können Erfahrungen ausgetauscht werden. Um die Studie für andere Pflegeeinrichtungen empfehlen zu können, wäre es sicher gut, ihnen einen Einblick durch einen Besuch oder Teilnahme an einem Training zu ermöglichen. Fazit: Die Fortsetzung des Sturztrainings ist ein Gewinn und eine Bereicherung für unser Haus. Da die Sturzhosen ein Teil der Sturzstudie sind, ergibt sich auch die Schwierigkeit der Anschaffung der Sturzhosen, da die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen wollen. Für die Sturzhosen gibt es noch keine Nummern im Hilfskatalog zur Prävention. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 59 ELISA Seniorenstift Ulm Ulrike Römer Leitende Ergotherapeutin Friedenstr. 39 89073 Ulm Momentan trainieren 12 Bewohner in 2 Gruppen aus dem Stiftsbereich unseres Hauses und 2 Personen, die von außerhalb dazu kommen. Die erste Gruppe trainiert schon seit 2½ Jahren regelmäßig miteinander und die zweite Gruppe sein 1½ Jahren. Über diesen langen Zeitraum könnte klar ein Statuserhalt aller, bei einer Teilnehmerin sogar eine deutliche Verbesserung ihrer motorischen Fähigkeiten erreicht werden. Dies bedeutet eine größere Selbständigkeit im alltäglichen Bereich und führt zu einer Verminderung der Sturzgefahr und der Pflegebedürftikgeit. Sehr positiv wirken sich diese Erfolge auch auf die Motivation der Teilnehmer aus. Vorschläge zur Verbreitung und Umsetzung • Den Teilnehmern sollte vor Beginn des Trainings die Möglichkeit gegeben werden, zwischen mehreren Terminen auszuwählen. • Die Erfahrung hat gezeigt, dass 2 Bewohner die Gruppe verlassen haben oder nicht zum Training gehen, da ein Unkostenbeitrag geleistet werden soll und sie prinzipiell davon ausgehen, dass die Einrichtung die Kosten zu tragen habe und die Motivation allgemein meist geringer wird durch einen Kostenbeitrag. Bei kostenloser Teilnahme konnte man jedoch eine höhere Fluktuation bei den Gruppenteilnehmern feststellen. Zahlende Teilnehmer sind engagierter und länger dabei. • Zusätzlich zu den öffentlichen Aushängen könnte jeder Bewohner eine persönliche Einladung zu einen Schnupperkurs erhalten. • Wichtig sind unserer Meinung nach auch regelmäßige Informationsveranstaltungen über Mobilität und Stürze im Alter, da oftmals die Meinung besteht, dass es keinen Sinn habe sich im Alter noch sportlich zu betätigen. Angehörige sollten auch entsprechend informiert werden, da sie diese irrtümliche Meinung teilweise bestätigen. • Bei neu angefangenen Gruppen sollte das Training zweimal wöchentlich stattfinden. So kann ein schnellerer Trainingseffekt erreicht werden und individueller auf die Teilnehmer eingegangen werden. Bei fortgeschrittenen Kursteilnehmern reicht einmal pro Woche. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 60 Evangelische Heimstiftung – Dreifaltigkeitshof Ulm S. Hafner Pflegedienstleitung Neue Str. 116 89073 Ulm Zu 1. Rückblickend vom Beginn 1998 bis heute hat sich das Ulmer Modell zur Sturzprävention für unsere Heimbewohner sehr positiv ausgewirkt. Die Beobachtung in der Betreuung des Einzelnen zeigte im Zusammenhang mit den Trainingsprogramm, dass die Stärkung der Muskulatur, das Tragen der Hüftprotektoren, die Mobilitätsstörungen und die Gangunsicherheit verringert wurden. Es ist sichtbar, dass Lebensqualität, Zufriedenheit, Wohlbefinden und Beweglichkeit dem Erfolg der Sturzprävention zu verdanken sind. Die Problematik, den Heimbewohner aufgrund eines Krankheitsbildes zu überzeugen solche Protektoren zu tragen, ist weiterhin sehr schwierig. Es stehen dem immer noch die vielfältigsten Faktoren entgegen: Tragen auf, starke Harn- und Stuhlinkontinenz, fehlender Eingriff bei Männern, das alleinige An- und Ausziehen bei Unsicherheiten beim Stehen oder fehlende Kraft in den Armen. Aus der Beobachtung über fast drei Jahre heraus sollte dies ein Muss zur Prophylaxe sein, Oberschenkelhalsfrakturen zu verringern und die Mobilität zu erhalten oder zu verbessern. Wir haben die Gymnastik 1 x pro Woche fortgesetzt. Jeder Bewohner bekommt bei Bedarf unsere Hilfe und Information, die Anprobe der Protektoren und Eingliederung in die Gymnastikgruppe. Behandelnde Ärzte brauchen noch sehr viel Information, aber immerhin hat ein Arzt bei einem Neuzugang gleich ein Rezept mitgebracht. Ergänzend ist dieses Programm ein Bestandteil unserer pflegerischen Qualität. Auch das Angebot der Schuhe schafft eine komplette Versorgung zum Wohne des Bewohners. Zu 2. Vorschläge und Informationen sollten in den Institutionen vor Ort stattfinden und dies speziell bewohnerbezogen. Ganz herzlichen Dank für die Betreuung durch Ihr Team und den positiven Verlauf während des Projektes. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 61 Rölke Pharma Spezialprodukte Thomas Rölke und Andrea Warnke Friedrich-Ebert-Damm 112 22047 Hamburg Sturzprävention, und damit auch Frakturprävention, ist nicht nur ein wichtiges Thema der Geriatrie, sondern stellt für die gesamte Bevölkerung, ob als Betroffener oder aber Angehöriger einen wichtigen Aspekt der Gesundheit dar. Sturzprävention bedeutet: • Verhindern von Frakturen • Beweglichkeit und Mobilität erhalten • Angst nehmen und Lebensqualität erhöhen • Soziale Partizipation durch bessere Beweglichkeit • Selbstbewusstsein stärken • Verhindern bzw. mindern von Folgekosten • Muss mulitfaktoriell und multiprofessionell durchgeführt werden • Ist immer noch ein Tabuthema • Ist ein Tabuthema, da Sturz oft mit Gebrechlichkeit und Abhängigkeit gleichgesetzt wird • Sturz- und Frakturprävention dient der Vermeidung von Abhängigkeit und der Erhöhung bzw. dem Erhalt von Selbständigkeit • Weiterer Forschungsbedarf besteht insbesondere in der Art der Vermittlung von Informationen sowie der Akzeptanzerhöhung von verschiedenen Zielgruppen, so z.B. Betroffene, Patienten, Angehörige, Ärzte, Pflegekräfte, Physio- und Ergotherapeuten, Sporttherapeuten sowie der Allgemeinbevölkerung • Sturz- und frakturpräventive Maßnahmen stellen eine bedeutende Möglichkeit dar mobilitätseinschränkende Maßnahmen, so z.B. Bettgitter, zu verhindern bzw. in geringerem Maße einzusetzen 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 62 Die Verbreitung und Umsetzung des Ulmer Modells ist u.a. denkbar durch: • Multiplikatoren-Schulungen, - so z.B. Pflegekräfte, Sporttherapeuten, Ärzte etc. - die in einem nächsten Schritt Fortbildungen in Institutionen anbieten • Module schaffen aus dem multifaktoriellen Ansatz und diese wahlweise als Gesamtpaket oder einzeln verbreiten (Krafttraining, Wohnraumbegehung, architektonische Beratung und Einrichtung, Hüftprotektor-Schulung zur Akzeptanzsteigerung) • Beratungstelefon für a) Fachpersonal (Pflegekräfte, Therapeuten und Ärzte) b) Angehörige und Betroffene • Buch in Modulform • Internet • Fachfilm / Video (Laien oder Fachpersonal) für die wichtigsten Grundlageninformationen (z.B. für den Einsatz in Pflegeheimen) • Schaffen von Leitlinien für das Thema Sturz- und Frakturprävention • Patenschaften zwischen Städten bzw. Altenheimen schaffen, d.h. eine Art Netzwerk aufbauen in dem Neueinsteiger von Einrichtungen profitieren, die bereits Erfahrungen mit dem Thema haben • "Fernseh-Serie“ zum Thema • Krankenkasse und Versicherungen als Anbieter gewinnen. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 63 Krankenhaus München Neuperlach Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation Dr. W. Wüst Oberarzt Oskar-Maria-Graf-Ring 51 81737 München Im Rahmen der akutgeriatrischen Tätigkeit unserer Abteilung spielen Stürze als Aufnahmegrund wie auch als Problem während der stationären Diagnostik und Behandlung eine bedeutende Rolle. Erfolgreiche Sturzprävention in- und außerhalb der Klinik bedeutet daher: • Verhinderung von Sturzfolgen, insbesondere hüftnahen Frakturen • Verhinderung des lmmobilitätssyndroms aufgrund von Schmerzen, OP oder PostfallSyndrome • Erhalt von sozialer Kompetenz und bisherigem Wohnumfeld • Reduktion stationärer Krankenhausaufenthalte älterer Patienten • Effektive Kostendämpfung (Verminderte Inanspruchnahme von Akut-KH / OP, stationärer Rehabilitation, Pflegeheimen) • Förderung präventiver Strukturen / Denkweisen in der Geriatrie (und darüber hinaus) Ihr Modellvorhaben verdient deshalb sicherlich weite Verbreitung in Pflegeheimen, aber auch Kliniken mit geriatrischen Abteilungen sowie im ambulanten Bereich. Möglichkeiten zur Umsetzung in den genannten Bereichen wären z.B. : • Information von Pflegeheim-Leitungen, Klinik- und Hausärzten über den Stellenwert und die Möglichkeiten einer Sturzprävention, idealerweise in Kooperation mit Geriatern • lnitiierung von Pilotprojekten außerhalb der Modellstrukturen ( z.B. Beratung und Zusammenarbeit von geriatrischen Abteilungen andernorts mit benachbarten Pflegeheimen) • Etablierung einer erweiterten Sturzrisiko-Beurteilung auf Basis der Projektergebnisse innerhalb des Geriatrischen Assessments • Kooperation mit Hilfsmittel- und Medizinbedarfs-Firmen • Kontaktaufnahme zu Krankengymnastik-Praxen • Schulung von Physiotherapeuten und Altenheim-Pflegekräften • Verhandlungen mit Kostenträgern über die Verordnungsfähigkeit von Hüftprotektoren Nicht zuletzt wegen der Relevanz der Thematik verfolgen wir das Modellprojekt Ihrer Klinik mit Interesse und wünschen für Ihre weitere Projektarbeit viel Erfolg. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 64 Schlusswort Bei Antragstellung haben wir formuliert, dass es möglich ist, kosteneffektiv Stürze und sturzbedingte Verletzungen bei Heimbewohnern zu verhindern und gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der Mobilität von zahlreichen Heimbewohnern zu leisten. Als Fazit des Modells lässt sich unseres Erachtens die anfänglich gestellte Hypothese bestätigen. Neben der Machbarkeit und Effektivität bestätigt das Modell die Bedeutung des Problems. Mobilitätseinschränkungen und Stürze gehören sicherlich zu den zehn wichtigsten Problemen mit denen Heimbewohner täglich konfrontiert sind. Nach unserer Einschätzung Gesundheitsproblemen Inkontinenz, Verminderung von ähnliche Heimbewohnern Verhaltensstörungen, von könnten durchgeführt Vermeidung Dekubitalgeschwüren Modelle und auch werden. zu Hierzu freiheitsbeschränkender Pflege von schwer anderen gehören Maßnahmen, beeinträchtigten Schlaganfallpatienten. Im Unterschied zu den genannten Problemen sind erfreulicherweise im Bereich der Demenz in den letzten drei Jahren zahlreiche Initiativen ergriffen worden, um die Versorgungssituation zu verbessern. Wir denken, dass Demenz aber nicht allein die Lebenssituation und Gesundheitsprobleme der Heimbewohner beschreibt, sondern dass auch andere Problembereiche erfolgreich verändert werden sollten. Die Verbreitung des Wissens und die Umsetzung der Erkenntnisse sind die eigentlichen Herausforderungen der nächsten Monate und Jahre. Ein erster Schritt wäre es, Mobilitätseinschränkungen, Stürze und sturzbedingte Verletzungen als Indikatoren der Pflegequalität ausdrücklich zu benennen. Für Heimbewohner sollte der Erhalt der Mobilität im Rahmen ihrer gesundheitlichen Möglichkeiten ein garantierter Anspruch sein. Die ökonomischen Gewinner des Modells sind die Krankenkassen. Es bleibt zu fragen, wie Kosten so umverteilt werden können, dass Veränderungen im Heimbereich zukünftig gefördert werden. Uns ermutigt die Tatsache, dass alle Einrichtungen aktiv an den Inhalten des Modells auch nach Projektende weiterarbeiten. Eine wichtige Frage ist auch, wie die Erkenntnisse für in stationärer Einrichtung lebende Pflegebedürftige in den ambulanten Bereich übertragen werden können. Hier stellen sich neue Fragen, insbesondere seitens der Zugangs- und Leistungserbringer. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 65 Das Maß der Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf wie es ausgeht. (Vaclav Havel 1987) 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 66 Literaturempfehlungen 1. Brown et al. Urinary Incontinence: Does it increase risk for falls and fractures? J Am Geriatr Soc 48: 721-725, 2000. 2. Cameron et al. Hip protectors improve falls self-efficacy. Age Ageing 29: 57-62, 2000 3. Kannus et al. Prevention of hip fracture in elderly people with use of a hip protector. N Engl J Med 343 (21): 1506-1513, 2000. 3.JB-mh1.doc – Stand 26.06.01 67 Anlagen - Vortragsfolien und -kurzfassungen Symposiums - Artikel zum Thema Hüftprotektoren - Vortrag für Pflegedienstleiter / Altenpflegeschule 2. Symposium zum Modellvorhaben Programm, Donnerstag 09.November 2000 13.00 – 13.15 Uhr Begrüßung G. Hartung S. Roesch 13.15 – 13.30 Uhr Entwicklung des Modellvorhabens Th. Nikolaus 13.30– 14.20 Uhr Ergebnisse des Modellvorhabens C. Becker 14.20 – 14.40 Uhr Hüftprotektorprojekt Hamburg G. Meyer, A. Warnke 14.40– 15.00 Uhr Implementierung des Programmes am Beispiel der kommunalen Pflegeeinrichtungen München U. Rissmann 15.00 – 15.30 Uhr Training und Gebrechlichkeit eine Übersicht K. Hauer 15.30 – 16.30 Uhr Zukünftige überregionale Umsetzung des Modells Stellungnahme und Diskussion 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 Gabriele Meyer, Andrea Warnke, Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Universität Hamburg, IGTW, Fachwissenschaft Gesundheit „Prävention von hüftgelenksnahen Frakturen durch externen Hüftschutz“ Einleitung In mehreren internationalen Studien konnte gezeigt werden, dass der externe Hüftschutz wirksam die Rate der Hüftfrakturen reduziert. Die Compliance, den Hüftprotektor zu tragen, ist jedoch gering. Ziel der aktuellen Studie ist die Evaluation und Implementierung eines strukturierten Interventionsprogrammes zur Verbesserung der Compliance zum Tragen des externen Hüftschutzes im Hinblick auf die Prävention von hüftgelenksnahen Frakturen in Alten- und Pflegeheimen. Methoden In die prospektive randomisiert-kontrollierte Studie mit 18-monatiger Beobachtungszeit wurden 42 Hamburger Alten- und Pflegeheime rekrutiert. Aus diesen 42 Einrichtungen nehmen 942 Bewohner teil (Einschlusskriterien: 70 Jahre und älter, nicht bettlägerig und gehfähig, seit 3 Monaten im Heim lebend). Die Intervention bestand in der strukturierten Einführung des Hüftschutzes: Pflegende der teilnehmenden Heime wurden mittels eines Schulungsprogrammes über den Hüftschutz informiert. Die Pflegekräfte informierten ihrerseits die Bewohner und motivierten diese, den Hüftschutz zu tragen. Pro Bewohner wurden 3 Hüftprotektoren zur Verfügung gestellt sowie Informationsmaterialien für Angehörige und Ärzte. Das Schulungsprogramm thematisiert die persönliche Relevanz einer Hüftfraktur (Risiko, Folgen) und Aspekte der Tragecompliance des Hüftprotekors (Ästhetik, Komfort, Handhabung, Wirksamkeit). Die Heime der Kontrollgruppe wurden über den Hüftschutz im Rahmen eines ca. 10-minütigen Gespräches informiert. Pro Heim wurden 2 Probeexemplare zur Verfügung gestellt. Primärer Ergebnisparameter der Studie ist die Anzahl der Hüftfrakturen. Andere Frakturen und Sturzereignisse werden dokumentiert sowie die Compliance, den Protektor bei den einzelnen Sturzereignisse zu tragen und die Gründe für die Noncompliance. Des weiteren werden ökonomische Daten erhoben (Kosten der Schulung und Bereitstellung der Hüftprotektoren versus Kosten durch eine Hüftfraktur). Ein weiteres Ziel der Studie war die Erhebung subjektiver gesundheitsbezogener Lebensqualität mit besonderer Berücksichtigung der Sturzangst und daraus resultierender Konsequenzen. Bei 218 Bewohnern der ersten 10 rekrutierten Heime erfolgte die Erhebung subjektiver 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 1 Lebensqualität im Zeitraum 3/1999 – 6/1999. Die Studie wird im Juni 2001 abgeschlossen sein. Eine erste Interimanalyse der Sturzereignisse und der Compliance, den Hüftschutz zu tragen ist nach 6 Monaten Studiendauer erfolgt. Ergebnisse Die Studiengruppen sind vergleichbar hinsichtlich der demographischen Charakteristika und der Hüftfraktur- und Sturzanamnese. Tabelle 1 - Charakteristika der Studienpopulation bei Studienbeginn Interventionsgruppe (n = 459) Kontrollgruppe (n = 483) 87 ± 6 405 (88) 117 (26) 86 ± 7 408 (85) 106 (22) 76% 57% 71% 54% Alter (Jahre), MW ± SD Frauen, n (%) Hüftfraktur, n (%) gestürzt / letzte 12 Monate mindestens einmal mehrmals Studie innerhalb von 6 Monaten beendet: In den ersten 6 Monaten Studienlaufzeit haben in der Interventionsgruppe 60 und in der Kontrollgruppe 88 Bewohner die Studie beendet (ca. 90 % verstorben). In dieser Gruppe ist der Anteil der Personen, die mindestens ein Sturzereignis hatten, vergleichbar (32% Interventionsgruppe versus 31% Kontrollgruppe); in der Interventionsgruppe waren 41 Sturzereignisse, in denen in 80% der Fälle das Tragen des Hüftschutzes dokumentiert wurde, zu verzeichnen, in der Kontrollgruppe ereigneten sich 87 Sturzereignisse, in denen in 18% der Fälle das Tragen des Hüftschutzes dokumentiert wurde. 6 Monate Beobachtungszeit: In Tabelle 2 sind die Ergebnisse der Personen mit 6-monatiger Beobachtungszeit zusammengefasst: Tabelle 2 Stürzer (%-Anteil an der Studiengruppe) Sturzereignisse - davon mit Hüftschutz 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 Interventionsgruppe (n=399) Kontrollgruppe (n=395) 149 (37%) 443 67% 176 (45%) 618 12% 2 Insgesamt ereigneten sich 77% der Stürze sich am Tage. In der Interventionsgruppe wurden die 58% der 146 nicht durch Hüftschutz geschützten Stürze mit Ablehnung des Hüftschutzes durch die Bewohner begründet. Schlussfolgerung Durch das Interventionsprogramm (Schulung und Bereitstellung von Protektoren) wird die Compliance zum Tragen des Hüftschutzes effektiv erhöht. Die Implementierung des externen Hüftschutzes in die Versorgungsabläufe der stationären Altenhilfe sollte mit einer strukturierten Information der Pflegekräfte einhergehen. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 3 Ulrich Rißmann, Münchenstift Implementierung des Programms am Beispiel einer kommunalen Pflegeeinrichtung Inhalt ❚ ❚ ❚ ❚ Ablauf des Projektes Wirtschaftliche Situation Chancen / Risiken Resümee Ablauf des Projektes in München Der Anstoß zum Befassen mit dem Thema Sturzprophylaxe kam von der gerontologischen Geschäftsführung der MÜNCHENSTIFT. Nach der Bestimmung der Projektverantwortung erfolgte die Kontaktaufnahme mit dem Modellvorhaben in Ulm. Nach der Erstellung eines Projektplanes und eines provisorischen Finanzplanes wurde das Projekt durch die Geschäftssführung auf den Weg gebracht. Wichtigste Punkte zum Gelingen Der Auswahl des richtigen Standortes kam aus mehreren Gründen hohe Bedeutung bei. Zum Einen steht und fällt solch ein Projekt mit der Unterstützung durch alle Mitarbeiter, insbesondere auch der Führungskräfte, zum anderen sind die räumlichen (geringe Investitionskosten) und die organisationalen Voraussetzungen (Anbindung des Heimes an eine Arztpraxis) wichtige Faktoren. Der erste Schritt im Projekthaus war die Motivation der Führungskräfte und mit diesen zusammen die Motivation aller Mitarbeiter. Dies gelang durch Ausnutzung der vorhandenen Kommunikationswege, insbesondere durch die Stationsleitungskonferenz. Vor Beginn des Projektes musste ebenso die Einbeziehung des ärztlichen Bereiches gesichert sein. In diesem Falle wurde dies durch das Vorhandensein einer geriatrischen Praxis im Haus, die ca. 90 % der Bewohner versorgt, erleichtert. Anpassungen Die Anpassungen des „Ulmer“ Projekts an die Bedingungen in München bezogen sich vor allem auf die Bereiche: Mitarbeiter, Auswertungen und die zeitliche Reihenfolge der Maßnahmen. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 1 Mitarbeiter: Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wurde das Training so gestaltet, dass es mit einer Fachkraft und einer Hilfskraft, in der Regel ein Zivildienstleistender, durchgeführt werden konnte. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Zusammenstellung der Gruppen hat sich dieser Weg als Praktikabel erwiesen. Auswertungen: Da kein wissenschaftlicher Anspruch bestand, dienten die Auswertungen der Evaluation des Projektes, der Bildung von Entscheidungsgrundlagen für weitere Schritte und der Argumentation gegenüber den Kostenträgern. Um diese Ziele in einem vernünftigen Zeitraum zu erreichen, war die Reduktion auf einfach zu erhebende Kriterien nötig. Dies waren vor allem quantitative Daten, insbesondere die verwendeten und bewältigten Trainingsgewichte und die Teilnahmehäufigkeit, sowie Daten zur Zufriedenheit der Trainingsteilnehmer und der betreuenden Pflegemitarbeiter. Zeitliche Reihenfolge der Maßnahmen: Aufgrund der Finanzierungsmodalitäten konnte der Einsatz von Hüftprotektoren erst später erfolgen. Dies ergab eine größere Zeitersparnis im Projektablauf. Ablauf Das Projekt konnte wie Vorgesehen lanciert werden. Nach einem Vorlauf von ca. 9 Monaten starteten im Juni 1999 die ersten zwei Trainingsgruppen. Nach zwei Monaten konnten die nächsten beiden Gruppen starten, sodass im ersten Jahr rund 30 Bewohner erreicht werden konnten. Neben dem Training erfolgte permanent die Suche nach Mitarbeitern (Hilfskraft) und Geldgebern. Ergebnisse Bei den Trainingsteilnehmern konnten erhebliche quantitative (Gewichte) und qualitative (Ausführung der Übungen) Leistungssteigerungen festgestellt werden. Des weiteren wurde durch die Pflegemitarbeiter eine Steigerung der Aufmerksamkeit und des Selbstbewusstseins bei den Bewohnern festgestellt. Die Teilnahmehäufigkeit lag bei gut 80 % Die Teilnehmer repräsentieren die Bewohnerschaft des ganzen Hauses. Sie gehörten in folgende Pflegestufen: 28 % Stufe 1 52 % Stufe 2 20 % Stufe 3 Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei 86 Jahre (zw. 72 und 101 Jahre) 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 2 Finanzen Das Projekt wurde im ersten Jahr vom Träger vorfinanziert. Die Ausgaben belaufen sich auf ca. 70.000,00 DM pro Jahr, wobei mehr als die Hälfte Personalkosten darstellen. Es hat sich gezeigt, dass sowohl im Personalsektor als auch im Materialbereich Optimierungsmöglichkeiten liegen. Bereits im ersten Jahr konnten über eine gute Öffentlichkeitsarbeit Spender gewonnen werden, die erhebliche Summen zur Kostendeckung beitrugen. Weitere Einnahmen sind durch die Implementierung von externen Gruppen möglich. Die AOK München hat sich bereit erklärt, die Kosten der Teilnehmer, die durch sie versichert sind, zu übernehmen. Entwicklungen Das bestehende Programm konnte in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt werden. Hierbei ist besonders zu erwähnen: Unterstützung des Einzugs: Mittels einer möglichst frühzeitigen Beteiligung an den Trainingsgruppen ist die körperliche Leistungsfähigkeit und damit auch die Lebensqualität der Bewohner zu steigern. Dies bedingt eine enge Involvierung in den Prozess des Heimeinzugs. Externe Gruppen: Das Programm ist für zu Hause lebende ältere Menschen aus vielerlei Gründen attraktiv. Neben dem Präventionsaspekt ist vor allem die Möglichkeit, in einer Gruppe von relativ gleichaltrigen Menschen Sport zu betreiben, interessant. Für den Träger ergibt sich dadurch neben einem Deckungsbeitrag für das Gesamtprogramm der Vorteil einer Verwurzelung im jeweiligen Gebiet und damit ein Wettbewerbsvorteil. Tagespflege: Ähnliche Aspekte wie im vorherigen Punkt ergeben sich durch eine Integration des Trainingsprogramms in eine externe Tagespflege. Umgebungsgestaltung: Da es gut möglich ist, während der warmen Jahreszeit Trainingseinheiten im Freien abzuhalten, bietet es sich an, durch einfache und preiswerte Umgestaltungen des Freigeländes dies zu nutzen. Der Vorteil liegt hier unter anderem dabei, das Training im Haus bekannt zu machen. Die Erfahrung mit solchen Einheiten zeigt, dass viele Bewohner – und auch Angehörige – sehr interessiert sind und selbst mitmachen wollen. Jobenrichment: Es ist möglich, Pflegefachkräfte so fortzubilden, dass sie das Training leiten können. Bedingung ist, dass es eine Möglichkeit des fachlichen Austausches mit einem Physiotherapeuten (o.ä.) gibt. Dies gibt zum einen die Möglichkeit, Stellen für Pflegende attraktiver zu gestalten, zum anderen ist der Transfer des im Training erarbeiteten auf die Station einfacher möglich. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 3 Chancen All die im vorherigen Abschnitt genannten Möglichkeiten führen für den Träger zu einem konkreten Wettbewerbsvorteil. Die größten Vorteile gegenüber Mitbewerbern sind in folgenden Punkten begründet: ❙ ❙ ❙ ❙ Angebotserweiterung Kontakte, Know-how Public Relations Mitarbeitergewinnung Risiken Die Risiken eines solchen Projektes liegen im finanziellen Bereich. Eine Finanzierung über die Krankenkasse, über externe Teilnehmer (mit 15 % Eigenbeteiligung) sowie über Spender erscheint realistisch, jedoch sollte die Bereitschaft vorhanden sein, am Anfang in Vorleistung zu treten. Resümee Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dies Programm in jeder Hinsicht ein großer Erfolg ist und die sich für den Träger bietenden Chancen die Risiken deutlich überwiegen. Hervorzuheben ist die immense Öffentlichkeitswirkung solcher Programme mit der Folge, dass die Beteiligung für mögliche Geldgeber erleichtert wird. Unter anderem ist deshalb mittelfristig ein finanziell ausgeglichenes Ergebnis realistisch. Ein weiterer großer Vorteil dieses Projektes stellt die Möglichkeit dar, das Programm in viele Richtungen weiterzuentwickeln und somit den jeweils vorgegebenen strukturellen und organisationellen Bedingungen optimal anpassen zu können. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 4 Dr. Klaus Hauer Bethanien Krankenhaus/Geriatrisches Zentrum an der Universität Heidelberg „Training zur Sturzprävention“ – eine Übersicht über die bislang durchgeführten Untersuchungen Die Übersicht basiert auf mehreren Artikeln, u.a. dem Cochrane Review sowie einer Übersichtsarbeit von Gardener in der Zeitung British Journal of Sports Medicine. Methoden Von 1992 bis 2001 wurden dreizehn randomisierte Trainingsstudien mit dem Ziel eine Sturzreduktion zu erreichen durchgeführt. Zehn dieser Untersuchungen hatten Training als einzigen Inhalt. Drei weitere Untersuchungen hatten Training als einen Bestandteil neben anderen Interventionsbausteinen. Untersuchte Bevölkerungsgruppen Alle Untersuchungen berücksichtigten ausschließlich Personen über 60 Jahre. Die meisten Untersuchungen wurden bei älteren Menschen durchgeführt, die noch in ihrer eigenen Häuslichkeit lebten. Nur in einer Studie wurde eine Pflegeheimpopulation untersucht. Zahlreiche Untersuchungen hatten als Voraussetzung, dass die Teilnehmer im letzten Jahr einen Sturz erlitten hatten. Weitere Voraussetzungen waren meist Einschränkungen der Kraft und Balance. Ein Teil der Untersuchungen schloss auch ältere Personen mit kognitiven Einschränkungen ein. Der größere Teil der Untersuchungen beschränkte sich auf ältere Menschen ohne wesentliche kognitive Einschränkungen. Trainingsziele Diese wurden unterschiedlich definiert, bei einigen Untersuchungen stand die Untersuchung der Kraft im Vordergrund, andere Untersuchungen schlossen ein Training der Balance sowie funktionelle Übungen mit ein. Umgebung Die Untersuchungen wurden teilweise bei den Teilnehmern in ihrer eigenen Wohnung durchgeführt. Dabei wurde das Training anfänglich supervidiert. Andere Untersuchungsprogramme führten das Training in Gruppen durch. Häufig waren die Trainer Physiotherapeuten, teilweise auch angelernte Pflegemitarbeiter. Einerseits handelte es sich 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 1 um standardisierte Programme. Andere Untersuchungen benutzten individuell angepasste Trainingsprogramme. Trainingsmethoden Zur Verbesserung der Körperkraft wurde meist ein progressives Krafttraining eingesetzt. Hierbei wurden entweder Maschinen oder Gewichtsmanschetten benutzt. In einzelnen Untersuchungen wurde auch das Körpergewicht als einziger Trainingsstimulus (z.B. Trainieren auf Treppenstufen) eingesetzt. Teilweise waren die Trainingsmethoden unzureichend beschrieben oder es handelte sich um ein eindimensionales Programm. Einige der Untersuchungen kombinierten Balance- und Krafttraining. Die Berücksichtigung von psychomotorischen Fähigkeiten, sozialen Interaktionen und emotionalen Aspekten wurde bei den meisten Untersuchungen unzureichend berücksichtigt. Ergebnisse Es gelang in sieben der dreizehn Untersuchungen die Zahl der Stürze deutlich zu reduzieren. Stürze waren bei diesen Untersuchungen teilweise unterschiedlich definiert, z.B. als Zeit bis zum ersten Sturz, Zahl der Stürze, Zahl der Stürzer, wiederholte Stürze, Stürze mit Verletzungen oder Stürze mit Frakturen. Bei den berücksichtigten Studien gab es keine Untersuchung, die alle diese Verletzungsfolgen signifikant reduzierte. Bei Studien, die ausschließlich Training benutzen, gab es keine Untersuchung, die einen signifikanten Effekt auf Stürze und Verletzungsfolgen aufwies. Nebenwirkungen Die Trainingsprogramme wiesen keine gravierenden Nebenwirkungen auf. Dies betraf alle Teilnehmer der unterschiedlichen Untersuchungen. Die Teilnahmehäufigkeit wurde als durchschnittlich bis teilweise sehr hoch in den unterschiedlichen Gruppen beschrieben. Motorische Fähigkeiten Nicht alle Untersuchungen haben dies in ausreichender Tiefe beschrieben. Beispielsweise wurden Verbesserungen der Funktion und Kraft nicht immer dokumentiert. Es war auffällig, dass in einigen Untersuchungen zwar positive Effekte bei der Sturzreduktion zu beobachten waren, andererseits keine oder nur mäßige Effekte im Rahmen der physischen Leistungsfähigkeit beobachtet wurden. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 2 Negative Ergebnisse Möglicherweise sind diese durch inadäquate Trainingsintensität, unzureichende Trainingsmethoden, eindimensionale Ausrichtung der Trainingsinhalte, eine niedrige Bereitschaft am Programm teilzunehmen oder zu kurze Dauer, begründbar. Gesundheitsökonomische Überlegungen Lediglich drei Untersuchungen haben dies berücksichtigt. Dabei wurde berichtet, dass der weitaus größte Teil der Gesundheitskosten durch gravierende Verletzungen verursacht wird. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei sehr gebrechlichen Älteren auch die Verhinderung von Pflegebedürftigkeit nach einem Sturz erhebliche Auswirkungen auf die ökonomische Situation aufweisen kann. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Auswahl der Teilnehmer erhebliche Auswirkungen auf das Ergebnis hatte. Vor allem kognitiv eingeschränkte und gebrechliche Personen mit einer hohen Anzahl von Stürzen und möglicherweise gravierender Sturzfolgen sollten getrennt von relativ rüstigen älteren Senioren betrachtet und behandelt werden. Schlussfolgerungen Angepasstes körperliches Training kann die Sturzhäufigkeit bei Älteren, die noch allein zu Hause leben, reduzieren. Kürzlich haben einige Studien darauf hingewiesen, dass dies auch für Gebrechliche, Multimorbide Trainingsinterventionen weisen oder bei Personen korrekter nach einer Durchführung Sturzverletzung keine gilt. gravierenden Nebenwirkungen auf. Dies gilt auch für Personen in Alten- und Pflegeheimen. Ziele und Methoden sollten dabei sorgfältig beschrieben werden. Das Training sollte intensiv, regelmäßig und nachhaltig, progressiv und mehrdimensional gestaltet werden. Ein optimales Trainingsprogramm sollte neben Kraftelementen auch Balance und funktionelle Aspekte berücksichtigen. Es ist wichtig auch die Auswirkungen auf gesundheitsökonomische Parameter zu beachten. Die Auswahl der Teilnehmer an solchen Programmen kann erhebliche Auswirkungen auf die Kosten der Behandlung aber auch die eingesparten Gesundheitskosten haben. Es ist anzustreben, bei solchen Untersuchungen die sogenannten „harten“ Endpunkte zu berücksichtigen. Hierzu gehören Institutionalisierung und gravierende Verletzungen wie Frakturen. Hierzu sind auch in Deutschland weitere Untersuchung mit verschiedenen Zielgruppen sinnvoll. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 3 Selbstverständlich sollten auch „weiche“ Endpunkte wie der emotionale Status und die Lebensqualität berücksichtigt werden. Dies wurde leider in der Vergangenheit noch zu wenig berücksichtigt. Trainingsinterventionen können und sollten mit anderen Maßnahmen verbunden werden. Hierzu gehören: • kognitives Training oder Verhaltenstraining • Verminderte Einnahme von psychotropen Medikamenten • Umgebungsanpassungen • Nahrungsergänzung • Medikamente zur Behandlung einer Osteoporose dies gilt es zukünftig zu untersuchen. Literatur: Gillespie et al. Interventions for preventing falls in the elderly. Cochrane Library, Issue 4, 2000. Gardener et al. Exercise in preventing falls and fall related injuries in older people: a review of randomised controlled trials. Br J Sports Med; 34: 7-17. Robertson MC, Devlin N, Gardener MM, Campell AJ. Effectiveness and economic evaluation of a nurse delivered home exercise programme to prevent falls. 1: Randomised controlled trial. BMJ 2001; 322; 697. Robertson MC, Devlin N, McGee R, Campell AJ. Effectiveness and economic evaluation of a nurse delivered home exercise programme to prevent falls. 2: Controlled trial in multiple centres. BMJ 2001; 322; 701. 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 4 Mustervortrag zum Thema Sturzprävention für Pflegedienstleitungen und Lehrkräfte in der Alten- und Krankenpflege 3.JB-mh1-Anlagen.doc – Stand 26.06.01 Verhinderung von Stürzen Sturzhäufigkeit • Jeder zweite Heimbewohner stürzt einmal im Jahr • Gehfähige Heimbewohner erleiden durchschnittlich vier Stürze im Jahr Sturzorte • 60 % der Stürze ereignen sich im Bewohnerzimmer • 30 % der Stürze ereignen sich im Gang und in Gemeinschaftsräumen • 10 % der Stürze ereignen sich in Toiletten und Bädern Sturzfolgen • 10 bis 20 % der Stürze bedürfen der weiteren Abklärung • bis zu 5 % der Stürze führen zu Knochenbrüchen • mehr als 90 % der Knochenbrüche sind Folge von Stürzen • Hüftfrakturen und Schädelverletzungen sind die schwersten Komplikationen Hüftfrakturen • mehr als 100.000 Krankenhauseinweisungen (1996) in Deutschland • 80 % der Betroffenen sind Frauen • jede dritte Frau wird eine Hüftfraktur erleiden, wenn sie 90 Jahre alt wird • bis zu 40 % der Bewohner versterben im ersten Jahr • weniger als die Hälfte erreicht die vorherige Gehfähigkeit Bruchmechanismen Entscheidend, ob ein Knochen nach einem Sturz bricht ist: • die Größe der Krafteinwirkung • der Ort der Krafteinwirkung • die Knochenstärke • Schutzreflexe Möglichkeiten der Prävention • Hüftprotektoren • schockabsorbierte Fußböden Hüftprotektoren Hüftschutzhosen können 90 % der Hüftfrakturen verhindern Wirkmechanismus Verminderung der Krafteinwirkung auf den Oberschenkel beim Aufprall Akzeptanz Bei angemessener Beratung werden 50 bis 60 % der dafür geeigneten Heimbewohner einen Hüftprotektor akzeptieren Risikofaktoren für Stürze • hohes Lebensalter • weibliches Geschlecht • vorausgegangene Stürze • Untergewicht • Hilfs- und Pflegebedürftigkeit Erkrankungen, die mit hohem Sturzrisiko verbunden sind • Demenz • Morbus Parkinson • gehfähige Schlaganfallpatienten Personenbezogene (intrinsische) Sturzursachen • Gangstörungen • Störungen der Balance im Stehen • Psychopharmaka • Seheinschränkungen Umgebungsbedingte (extrinsische) Sturzursachen • unzureichende Handläufe an Treppen • fehlende Haltegriffe im Nasszellenbereich • lose Teppiche • unzureichende Beleuchtung • versperrte oder zu enge Gehwege Sturzprävention • Training • Anpassung der Umgebung Sturzverhütung – Training • Training kann die Kraft und Balance verbessern • Training verbessert die Ausdauerfähigkeit • Training vermindert einen erhöhten Blutdruck • Training verbessert das Selbstvertrauen • Training erhöht die Unabhängigkeit Sturzverhütung • Umgebungsveränderungen • Entfernung von Stolperfallen • Handläufe auf beiden Seiten der Treppe • Haltegriffe im Nasszellenbereich anbringen • Beleuchtung verbessern Sturzverhütung • Balanceübungen • Gruppenprogramme vermindern die Sturzangst • Gruppenprogramme können bis zu 50 % der Stürze verhindern Sturzverhütung • grauem Star • grünen Star • Maculaveränderungen Seheinschränkungen und Sehstörungen sind häufig. Mindestens einmal pro Jahr Kontrolle. Sturzverhütung • Aufklärung über die Möglichkeiten • Verhalten anpassen • Umgebung anpassen Medikamente und Sturzgefährdung • Anpassung der Psychopharmaka • Vermeidung langwirksamer Beruhigungsmittel • befristete Verordnung von Neuroleptika • sorgfältige Verordnung von Antidepressiva Die Häufigkeit von Stürzen in Alten- und Pflegeheimen Wieviel Stürze werden etwa bei 100 Bewohnern im Jahr beobachtet ? Wieviel Personen sind hiervon betroffen ? • Es werden etwa ein bis vier Stürze pro Bewohner im Jahr beobachtet. • Etwa jeder zweite Bewohner ist hiervon betroffen. Die schwersten Folgen eines Sturzes Was sind die häufigsten Verletzungen, die durch Stürze hervorgerufen werden ? • Hüftfrakturen • andere Knochenbrüche (Oberarm, Becken, Unterarm) • Risswunden und Prellungen • Krankenhauseinweisungen • Verschlechterung der Selbständigkeit • Verlust des Selbstvertrauens Gründe die zu einer Sturzgefährdung führen Was sind häufige Gründe, die eine Sturzgefährdung hervorrufen oder verschlechtern ? • Medikamente (Psychopharmaka) • neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson • Sehstörungen • Muskelschwäche • unsicherer Stand und Gang • Umgebungsgefährdungen WAS SIND DIE ZIELE DER INITIATIVE ? • Alles zu unternehmen, um Stürze zu verhindern. • Diejenigen zu erkennen, die besonders gefährdet sind, und dennoch eine möglichst große Unabhängigkeit und Mobilität bei diesen Personen gewährleisten. • Verletzungen zu verhüten, auch wenn Bewohner stürzen. Wichtige Voraussetzungen für die Initiative • Erkennen, dass jeder einen Beitrag leisten kann. • Individuelle Einschätzung aller Bewohner im Hinblick auf ihr Sturzrisiko. • Pflegeplanung, die auf dieser individuellen Einschätzung beruht. • Die Unterstützung von Aktivität und Mobilität. • Einen Ansatz finden, der die Bewohner, deren Angehörigen, die Mitarbeiter und Hausärzte beteiligt. • Sorgfältige Dokumentation der Stürze. • Überprüfung der Einrichtung auf Gefahrenquellen. WIE ERKENNT MAN DIE STURZGEFAHR ? • unangemessene Kleidung, loses Schuhwerk • die Person ist verwirrt • die Person ist ängstlich • die Person hat einen schwankenden Gang • die Person benutzt eine Gehhilfe Was sind die häufigsten Gefahrenquellen ? • lose Kabel auf dem Boden • feuchte oder glatte Fußböden • schlechtes, glänzendes oder ungleichmäßiges Licht • zu hohe Betten und Stühle • Rollstühle ohne Bremsen • Toiletten ohne ausreichende Handgriffe • Duschen mit unzureichenden Handgriffen Artikel zum Thema Hüftprotektoren