Mehr Leben im Laden

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Mehr Leben im Laden
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Unternehmen & Märkte
Der Handel 04|2011
Foto: Abt
Die Ausdünnung des
Angebots an Tischund Haushaltswaren
hat vielerorts eine
Grenze erreicht.
Die Chancen für
neue Konzepte im
Fachhandel standen
lange nicht so gut.
Fachhändler Hermann Hutter setzt auf Aktionen. Hier eine
Porzellanschau im Hauptgeschäft des GPK-Spezialisten Abt in Ulm.
GPK-HANDEL
Mehr Leben im Laden
Der Aufgang ins Obergeschoss ist
gesperrt. „Wir bauen um“ verkündet
ein Schild den Kunden von „MWM
Lifestyle 4 You“ am Mindener Marktplatz. Die Wahrheit sieht etwas anders aus: Inhaber Manfred Knapperzbusch sucht einen Untermieter
für die 400 Quadratmeter Fläche.
Derzeit dienen sie ihm als Lager. Die
Kaffeebar im ersten Stock wurde bereits Ende Januar geschlossen, Badund Küchenartikel ins Erdgeschoss
integriert.
Erst Ende Oktober 2010 hatte
Knapperzbusch, zusammen mit
zwei Geschäftspartnern, das Fachgeschäft in der Immobilie des ehemaligen Kaufhauses Becker eröffnet. Damals jubelte die Lokalpresse
– schließlich zog hier nach zweijäh-
rigem Leerstand wieder Markenware ein, die in der Mindener Innenstadt zuletzt weggebrochen war: darunter Gläser, Porzellan und Elektrokleingeräte. Die westfälische
Stadt bietet kein anderes Bild als
viele andere deutsche Mittelzentren: Hertie steht seit zwei Jahren
leer, und der nächste große Leerstand, die ehemalige Wehmeyer-Filiale, ist nur wenige Schritte von
Knapperzbuschs Geschäft entfernt.
Breite statt Tiefe
Gestartet war MWM mit einem Sortiment, das sich auf zwei Etagen
über 1.100 Quadratmeter von Geschirr, Gläsern und Besteck über
Heimtextilien, Koffer, Uhren, Modeschmuck, Süßwaren und Staubsau-
ger erstreckt. Allein die Elektrokleingeräteabteilung macht jedem
mittleren Karstadt Konkurrenz. „Dabei wollen wir eigentlich gar kein
Kaufhaus sein“, hinterfragt Knapperzbusch heute kritisch das Konzept. Als ehemaliger Geschäftsführer von Hertie in Minden kennt sich
der Diplom-Kaufmann in der Branche aus und weiß: Wenn die Umsätze nicht stimmen, muss man
schnell gegensteuern. Weniger
Tiefe, dafür mehr Breite bei den erfolgreichen Sortimenten wie Wohnund Küchenaccessoires – so lautet
der neue Plan. Die Elektroabteilung
wird ganz aufgelöst. „Eine riesige
Geschenkboutique“, fasst Knapperzbusch das neue Ladenkonzept zusammen.
Der Handel 04|2011
Lücken im Angebot
„Die Ausdünnung der Versorgung
hat ein solches Ausmaß erreicht,
dass mancherorts eine Angebotslücke klafft“, sagt Christoph Buluschek von der BBE Handelsberatung
in München. Er glaubt deshalb: „Die
Vorzeichen für eine Renaissance des
GPK-Fachhandels in den Innenstädten standen nie so gut – nicht zuletzt
wegen der abnehmenden Konkurrenz durch die Kaufhäuser.“ Auch
Gerald Funk, Präsident des Bundesverbandes für den gedeckten Tisch,
Hausrat und Wohnkultur in Köln,
beobachtet einen „Trend zurück in
die Städte“.
Fest steht: Die mittelständischen
Fachhändler wollen – und können –
die Stadtzentren nicht den Vertikalen wie Butlers, Depot oder neuerdings H&M und Zara Home überlassen. Alternativen gibt es für den
Fachhandel schlichtweg nicht. „Unsere Branche tut sich schwer außerhalb der Innenstädte“, sagt GPK-Verbandsgeschäftsführer
Thomas
Grothkopp. Um Teller und Tassen zu
kaufen, fährt man eben nicht extra
auf die Grüne Wiese. Außerdem leben die Sortimente vom Impulskauf
und dem Vorbeischlendern am
Schaufenster. Und nicht zuletzt: Die
Mieten in den Einkaufszentren sind
für die meisten inhabergeführten
Fachgeschäfte schlicht nicht finanzierbar.
Dennoch ist der Fachhandel mit
einem Marktanteil von 26 Prozent
weiter wichtigster Vertriebsweg für
GPK und Haushaltswaren (siehe
Grafik auf Seite 38). Fest steht allerdings: Den klassischen Fachhändler
gibt es schon lange nicht mehr. Der
Sortimentschwerpunkt hat sich in
Richtung Hausrat verschoben, auf
Schnelldreher wie Kochbücher und
Kochutensilien kann heute kein
Händler verzichten. „Die klassischen Sortimente wie Porzellan und
Glas geraten immer mehr an den
Rand und beschränken sich auf einige wenige Protagonisten der Anbieterseite“, sagt Hans-Jürgen Dammann – und er weiß, wovon er
spricht. Der 63-Jährige ist mit seiner
Beratungsfirma Plan B auf Räumungsverkäufe spezialisiert – und
hat vor gut einem Jahr das Hildesheimer Fachgeschäft Hottenrott
übernommen. Ein Widerspruch?
„Nein“, betont Dammann. Als Räumungsverkäufer hat er etliche Insolvenzen hautnah miterlebt und die
Erfahrung gemacht, „dass das sogenannte Fachhandelssterben selten
von externen Markt- und Standortfaktoren beeinflusst wird“. Meist
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hätten individuelle Gründe die
Fachhändler zur Aufgabe gezwungen, allen voran eine mangelnde
Nachfolgeregelung. Auch in Hildesheim lag der Grund für die Hottenrott-Schließung nicht in Umsatz-
„Unsere Branche
tut sich außerhalb
der Innenstädte
schwer.“
Thomas Grothkopp
Geschäftsführer
GPK-Bundesverband
problemen vor Ort, sondern in der
Insolvenz des Goslarer Haupthauses. Dammann, mit dem Räumungsverkauf bei Hottenrott betraut, griff
beim Angebot des Insolvenzverwalters zu und kehrte so zu seinen kaufmännischen Wurzeln zurück. Bis
1995 hat er schon einmal ein GPKFachgeschäft in Itzehoe geführt.
Von der Krise profitiert
Minden und Hildesheim sind keine
Einzelfälle. Die Beispiele für die Besetzung neuer oder die Wiederbesetzung alter GPK-Standorte in
deutschen Städten mehren sich. In
>
Insolvenzen sind
leider immer noch
ein vertrautes
Bild. Erfreulich ist
aber, dass daraufhin immer öfter
ein Neubeginn für
den GPK-Handel
folgt, wie hier bei
Hottenrott in
Hildesheim.
Foto: Hottenrott
Der Optimismus des ehemaligen
Hertie-Mannes ist nicht unbegründet. Die Aussichten des Fachhandels
für den gedeckten Tisch, Hausrat
und Wohnkultur, so die etwas sperrige Branchenbezeichnung, sind so
gut wie lange nicht mehr. Der Bereinigungsprozess, der in den 90erJahren einsetzte, hat inzwischen
eine kritische Grenze erreicht. So
war die Zahl der Glas-Porzellan-Keramik- (GPK) sowie Hausrat-Eisenwaren-Geschäfte, die in der Marktforschung seit einigen Jahren zusammengefasst werden, zuletzt nur
noch leicht rückläufig. Von 2009 bis
2010 sank sie laut GfK von 5.250 auf
5.130. Zum Vergleich: Im Jahr 2000
gab es noch 7.710 Fachgeschäfte.
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Der Handel 04|2011
Fachhandel bleibt wichtigster Vertriebsweg
> Esslingen übernahm im April 2010
das Stuttgarter Traditionsunternehmen Tritschler eine Teilfläche des
Händlers Eberspaecher, und im
oberschwäbischen Ravensburg eröffnete im Oktober die Ulmer Firma
Abt ihre dritte Filiale.
Der Zeitpunkt ist auch deshalb
günstig, weil die Tisch- und Haus-
Von Privathaushalten nachgefragte GPK- und Haushaltswaren (2009)
nach Vertriebswegen:
Warenhäuser
7,0
Versender
7,5
SB-Warenhäuser
8,5
Lebensmitteleinzelhandel1
10,0
Sonstige
12,2
Fachgeschäfte 26,0
1 inklusive Discounter
„Markt- und Standortfaktoren sind nur
selten für eine
Geschäftsaufgabe
verantwortlich.“
Hans-Jürgen Dammann
Inhaber Plan B Handelsberatung
haltswarenbranche vergleichsweise
gut dasteht und von der Wirtschaftskrise durch den Rückzug aufs Heimische und den Kochtrend sogar
profitiert hat. Zuwächse bei hochwertigen Kochutensilien machen die
seit Jahren rückläufigen Ausgaben
für Geschirr, Gläser und Porzellan
mehr als wett. Zwischen 2006 und
2010 wuchs der Gesamtmarkt für
Großhandel
16,3
Möbelhandel
12,5
Quelle: marketmedia 24.
GPK- und Haushaltswaren laut marketmedia 24 um 3,7 Prozent auf
rund 8,6 Milliarden Euro.
„Die GPK-Händler, die jetzt noch
da sind, haben gute Karten, wenn
sie ihre Sortimente entsprechend
ausrichten“, sagt Marktforscherin
Marion Weikert von der GfK.
Verkaufsraum als Bühne
„Lebens- und Themenwelten statt
starrem Abteilungs- und Produktdenken“ so lautet das Motto,
das sich GPK-Händler der neuen Generation wie Abt-Geschäftsführer
Hermann Hutter von Marktprotagonisten wie Tchibo abgeschaut haben. Hutter betreibt die Themeninszenierung in den Filialen Ulm,
Foto: Abt
Der Ulmer Fachhändler Abt lebt das Motto „Themenwelten statt starrem Abteilungsdenken“ vor.
Günzburg und Ravensburg quer
über alle Warengruppen mit absoluter Konsequenz. Steht gerade kein
Saisonhöhepunkt an, gibt es auch
einmal einen Schwerpunkt „Design
in Nordeuropa“.
„Der Erfolg unserer Branche
hängt von der Erlebnisorientierung
ab“, sagt Hutter, der auch bei der
Planung von Kundenaktionen erfinderisch ist. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Im Dezember konnte die
neue Abt-Filiale in Ravensburg eine
Verdoppelung der Umsätze im Vergleich zum Vorgängergeschäft verbuchen. Hottenrott-Inhaber Dammann stößt ins gleiche Horn: „Der
Verkaufsraum muss zur Bühne werden, auf der immer wieder ein neues
Stück aufgeführt wird.“
Auch der Mindener Händler
Knapperzbusch will künftig stärker
an die Emotionen der Kunden appellieren: Zweimonatlich wechselnde
Themenpräsentationen und regelmäßige Kochaktionen sollen die
Umsatzwende bringen. Mit dem Bemühen um ein eigenes Profil ist er
nach Meinung von Bernd Horenkamp auf dem richtigen Weg. „Teller, Tassen und Gläser bekommt
man überall“, lautet das Credo des
Vorstands der Verbundgruppe EK/
servicegroup. Aber: „Ein neues Geschirr kauft man eben nicht nur aus
Mangel an Tellern.“
Ulrike Sanz Grossón
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