Mehr Leben im Laden
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36 Unternehmen & Märkte Der Handel 04|2011 Foto: Abt Die Ausdünnung des Angebots an Tischund Haushaltswaren hat vielerorts eine Grenze erreicht. Die Chancen für neue Konzepte im Fachhandel standen lange nicht so gut. Fachhändler Hermann Hutter setzt auf Aktionen. Hier eine Porzellanschau im Hauptgeschäft des GPK-Spezialisten Abt in Ulm. GPK-HANDEL Mehr Leben im Laden Der Aufgang ins Obergeschoss ist gesperrt. „Wir bauen um“ verkündet ein Schild den Kunden von „MWM Lifestyle 4 You“ am Mindener Marktplatz. Die Wahrheit sieht etwas anders aus: Inhaber Manfred Knapperzbusch sucht einen Untermieter für die 400 Quadratmeter Fläche. Derzeit dienen sie ihm als Lager. Die Kaffeebar im ersten Stock wurde bereits Ende Januar geschlossen, Badund Küchenartikel ins Erdgeschoss integriert. Erst Ende Oktober 2010 hatte Knapperzbusch, zusammen mit zwei Geschäftspartnern, das Fachgeschäft in der Immobilie des ehemaligen Kaufhauses Becker eröffnet. Damals jubelte die Lokalpresse – schließlich zog hier nach zweijäh- rigem Leerstand wieder Markenware ein, die in der Mindener Innenstadt zuletzt weggebrochen war: darunter Gläser, Porzellan und Elektrokleingeräte. Die westfälische Stadt bietet kein anderes Bild als viele andere deutsche Mittelzentren: Hertie steht seit zwei Jahren leer, und der nächste große Leerstand, die ehemalige Wehmeyer-Filiale, ist nur wenige Schritte von Knapperzbuschs Geschäft entfernt. Breite statt Tiefe Gestartet war MWM mit einem Sortiment, das sich auf zwei Etagen über 1.100 Quadratmeter von Geschirr, Gläsern und Besteck über Heimtextilien, Koffer, Uhren, Modeschmuck, Süßwaren und Staubsau- ger erstreckt. Allein die Elektrokleingeräteabteilung macht jedem mittleren Karstadt Konkurrenz. „Dabei wollen wir eigentlich gar kein Kaufhaus sein“, hinterfragt Knapperzbusch heute kritisch das Konzept. Als ehemaliger Geschäftsführer von Hertie in Minden kennt sich der Diplom-Kaufmann in der Branche aus und weiß: Wenn die Umsätze nicht stimmen, muss man schnell gegensteuern. Weniger Tiefe, dafür mehr Breite bei den erfolgreichen Sortimenten wie Wohnund Küchenaccessoires – so lautet der neue Plan. Die Elektroabteilung wird ganz aufgelöst. „Eine riesige Geschenkboutique“, fasst Knapperzbusch das neue Ladenkonzept zusammen. Der Handel 04|2011 Lücken im Angebot „Die Ausdünnung der Versorgung hat ein solches Ausmaß erreicht, dass mancherorts eine Angebotslücke klafft“, sagt Christoph Buluschek von der BBE Handelsberatung in München. Er glaubt deshalb: „Die Vorzeichen für eine Renaissance des GPK-Fachhandels in den Innenstädten standen nie so gut – nicht zuletzt wegen der abnehmenden Konkurrenz durch die Kaufhäuser.“ Auch Gerald Funk, Präsident des Bundesverbandes für den gedeckten Tisch, Hausrat und Wohnkultur in Köln, beobachtet einen „Trend zurück in die Städte“. Fest steht: Die mittelständischen Fachhändler wollen – und können – die Stadtzentren nicht den Vertikalen wie Butlers, Depot oder neuerdings H&M und Zara Home überlassen. Alternativen gibt es für den Fachhandel schlichtweg nicht. „Unsere Branche tut sich schwer außerhalb der Innenstädte“, sagt GPK-Verbandsgeschäftsführer Thomas Grothkopp. Um Teller und Tassen zu kaufen, fährt man eben nicht extra auf die Grüne Wiese. Außerdem leben die Sortimente vom Impulskauf und dem Vorbeischlendern am Schaufenster. Und nicht zuletzt: Die Mieten in den Einkaufszentren sind für die meisten inhabergeführten Fachgeschäfte schlicht nicht finanzierbar. Dennoch ist der Fachhandel mit einem Marktanteil von 26 Prozent weiter wichtigster Vertriebsweg für GPK und Haushaltswaren (siehe Grafik auf Seite 38). Fest steht allerdings: Den klassischen Fachhändler gibt es schon lange nicht mehr. Der Sortimentschwerpunkt hat sich in Richtung Hausrat verschoben, auf Schnelldreher wie Kochbücher und Kochutensilien kann heute kein Händler verzichten. „Die klassischen Sortimente wie Porzellan und Glas geraten immer mehr an den Rand und beschränken sich auf einige wenige Protagonisten der Anbieterseite“, sagt Hans-Jürgen Dammann – und er weiß, wovon er spricht. Der 63-Jährige ist mit seiner Beratungsfirma Plan B auf Räumungsverkäufe spezialisiert – und hat vor gut einem Jahr das Hildesheimer Fachgeschäft Hottenrott übernommen. Ein Widerspruch? „Nein“, betont Dammann. Als Räumungsverkäufer hat er etliche Insolvenzen hautnah miterlebt und die Erfahrung gemacht, „dass das sogenannte Fachhandelssterben selten von externen Markt- und Standortfaktoren beeinflusst wird“. Meist 37 hätten individuelle Gründe die Fachhändler zur Aufgabe gezwungen, allen voran eine mangelnde Nachfolgeregelung. Auch in Hildesheim lag der Grund für die Hottenrott-Schließung nicht in Umsatz- „Unsere Branche tut sich außerhalb der Innenstädte schwer.“ Thomas Grothkopp Geschäftsführer GPK-Bundesverband problemen vor Ort, sondern in der Insolvenz des Goslarer Haupthauses. Dammann, mit dem Räumungsverkauf bei Hottenrott betraut, griff beim Angebot des Insolvenzverwalters zu und kehrte so zu seinen kaufmännischen Wurzeln zurück. Bis 1995 hat er schon einmal ein GPKFachgeschäft in Itzehoe geführt. Von der Krise profitiert Minden und Hildesheim sind keine Einzelfälle. Die Beispiele für die Besetzung neuer oder die Wiederbesetzung alter GPK-Standorte in deutschen Städten mehren sich. In > Insolvenzen sind leider immer noch ein vertrautes Bild. Erfreulich ist aber, dass daraufhin immer öfter ein Neubeginn für den GPK-Handel folgt, wie hier bei Hottenrott in Hildesheim. Foto: Hottenrott Der Optimismus des ehemaligen Hertie-Mannes ist nicht unbegründet. Die Aussichten des Fachhandels für den gedeckten Tisch, Hausrat und Wohnkultur, so die etwas sperrige Branchenbezeichnung, sind so gut wie lange nicht mehr. Der Bereinigungsprozess, der in den 90erJahren einsetzte, hat inzwischen eine kritische Grenze erreicht. So war die Zahl der Glas-Porzellan-Keramik- (GPK) sowie Hausrat-Eisenwaren-Geschäfte, die in der Marktforschung seit einigen Jahren zusammengefasst werden, zuletzt nur noch leicht rückläufig. Von 2009 bis 2010 sank sie laut GfK von 5.250 auf 5.130. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 gab es noch 7.710 Fachgeschäfte. Unternehmen & Märkte 38 Unternehmen & Märkte Der Handel 04|2011 Fachhandel bleibt wichtigster Vertriebsweg > Esslingen übernahm im April 2010 das Stuttgarter Traditionsunternehmen Tritschler eine Teilfläche des Händlers Eberspaecher, und im oberschwäbischen Ravensburg eröffnete im Oktober die Ulmer Firma Abt ihre dritte Filiale. Der Zeitpunkt ist auch deshalb günstig, weil die Tisch- und Haus- Von Privathaushalten nachgefragte GPK- und Haushaltswaren (2009) nach Vertriebswegen: Warenhäuser 7,0 Versender 7,5 SB-Warenhäuser 8,5 Lebensmitteleinzelhandel1 10,0 Sonstige 12,2 Fachgeschäfte 26,0 1 inklusive Discounter „Markt- und Standortfaktoren sind nur selten für eine Geschäftsaufgabe verantwortlich.“ Hans-Jürgen Dammann Inhaber Plan B Handelsberatung haltswarenbranche vergleichsweise gut dasteht und von der Wirtschaftskrise durch den Rückzug aufs Heimische und den Kochtrend sogar profitiert hat. Zuwächse bei hochwertigen Kochutensilien machen die seit Jahren rückläufigen Ausgaben für Geschirr, Gläser und Porzellan mehr als wett. Zwischen 2006 und 2010 wuchs der Gesamtmarkt für Großhandel 16,3 Möbelhandel 12,5 Quelle: marketmedia 24. GPK- und Haushaltswaren laut marketmedia 24 um 3,7 Prozent auf rund 8,6 Milliarden Euro. „Die GPK-Händler, die jetzt noch da sind, haben gute Karten, wenn sie ihre Sortimente entsprechend ausrichten“, sagt Marktforscherin Marion Weikert von der GfK. Verkaufsraum als Bühne „Lebens- und Themenwelten statt starrem Abteilungs- und Produktdenken“ so lautet das Motto, das sich GPK-Händler der neuen Generation wie Abt-Geschäftsführer Hermann Hutter von Marktprotagonisten wie Tchibo abgeschaut haben. Hutter betreibt die Themeninszenierung in den Filialen Ulm, Foto: Abt Der Ulmer Fachhändler Abt lebt das Motto „Themenwelten statt starrem Abteilungsdenken“ vor. Günzburg und Ravensburg quer über alle Warengruppen mit absoluter Konsequenz. Steht gerade kein Saisonhöhepunkt an, gibt es auch einmal einen Schwerpunkt „Design in Nordeuropa“. „Der Erfolg unserer Branche hängt von der Erlebnisorientierung ab“, sagt Hutter, der auch bei der Planung von Kundenaktionen erfinderisch ist. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Im Dezember konnte die neue Abt-Filiale in Ravensburg eine Verdoppelung der Umsätze im Vergleich zum Vorgängergeschäft verbuchen. Hottenrott-Inhaber Dammann stößt ins gleiche Horn: „Der Verkaufsraum muss zur Bühne werden, auf der immer wieder ein neues Stück aufgeführt wird.“ Auch der Mindener Händler Knapperzbusch will künftig stärker an die Emotionen der Kunden appellieren: Zweimonatlich wechselnde Themenpräsentationen und regelmäßige Kochaktionen sollen die Umsatzwende bringen. Mit dem Bemühen um ein eigenes Profil ist er nach Meinung von Bernd Horenkamp auf dem richtigen Weg. „Teller, Tassen und Gläser bekommt man überall“, lautet das Credo des Vorstands der Verbundgruppe EK/ servicegroup. Aber: „Ein neues Geschirr kauft man eben nicht nur aus Mangel an Tellern.“ Ulrike Sanz Grossón <