Die Golf

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Die Golf
Die Golf-Fabrik
Abu Dhabi. Kapital gegen Know-how: Kein anderes Emirat plant
schon jetzt so entschlossen für eine Zukunft ohne Öl. Die mächtigen
Staatsfonds investieren gezielt in westliche Konzerne und sichern
sich deren Wissen. Ihr Ziel ist eine industrielle Revolution in der Wüste
Emir Chalifa Bin Sajid Al Nahjan
Vorsitzender Supreme Petroleum Council
kontrolliert die staatliche Ölgesellschaft
ADNOC, verteilt die Öleinnahmen an die
Staatsfonds
Etihad
Staatliche Fluglinie
ADIC
Abu Dhabi Investment Council
Fondskapital�: ��–�� Mrd. $
Fondskapital�: ��–�� Mrd. $
Fondskapital�: ���–��� Mrd. $
Fondskapital�: ��–�� Mrd. $
� Chrysler Building | �� Prozent
National Bank of Abu Dhabi
Kronprinz Mohammed Al Nahjan
Sparten
Luft- und Raumfahrt
Kapital
ADAT (Wartung von
Verkehrsflugzeugen)
Strata (Flugzeug- und
Komponentenbau)
Sanad (Finanzierer
für Luftfahrtindustrie)
Horizon
(Pilotenakademie)
AMMROC (Wartung
von Militärflugzeugen
und -hubschraubern)
Energie
General Electric
Saab Spyker |
��,� Prozent
Ferrari | � Prozent �
AMD | ��,� Prozent �
Carlyle Group Private
Equity | �,� Prozent
Leaseplan | �� Prozent
(Fuhrparkmanagement)
Joint Ventures mit SR Technics,
Airbus, FACC, Piaggio Aero,
Air Berlin, Sikorsky, Boeing,
Rolls-Royce, General Electric
TDIC
Tourism Development & Investment
Company
Dolphin Energy | �� Prozent
(Gasprojekt)
Al Yah Satellite ��
Communications
Masdar (Ökostadt, soll
erste CO�-neutrale Stadt
der Welt werden) �
Atic (Prozessoren,
Mobiltelefone)
London Array | �� Prozent
(Offshorewindpark) �
Torresol Energy | �� Prozent
(Solarthermie, Spanien) �
Guinea Alumina
Corporation | �,� Prozent
�
MAN Ferrostaal | �� Prozent
Manchester City | ��� Prozent
Flughafen Gatwick | �� Prozent �
OMV | ��,� Prozent
Barclays | �,� Prozent
Hyatt Hotels | �� Prozent
Cepsa | �,�� Prozent
Colonia Real Estate
Hyundai Oilbank | �� Prozent
EFG-Hermes | � Prozent
Nova Chemicals | Kanada | ��� Prozent
Louvre
Abu Dhabi
Borealis | �� Prozent
(Petrochemie Österreich)
Guggenheim
Abu Dhabi �
Tochterfirma
Aabar Investments
Unicredit | �,�� Prozent
Falcon Private Banking (Schweiz) | ��� Prozent
Die Staatsfonds des Emirats mit ihren Chefs
und den wichtigsten Beteiligungen
Joint Ventures mit Eon, Dong,
Siemens, Credit Suisse,
General Electric, MIT, BP
Cosmo Oil | ��,�� Prozent
(Raffinerien, Japan)
Daimler | �,� Prozent ��
Abu Dhabi Inc.
Winwind | �� Prozent
(Windturbinen, Finnland)
Virgin Galactic (Flüge ins Weltall) | �� Prozent ��
Tesla Motors | �,�� Prozent
Mercedes Grand Prix (Formel �) | �� Prozent
Banco Santander Brasil
Piaggio Aero | ��,� Prozent �
�
Saadiyat Island
Chairman IPIC
(Halbbruder des Emirs)
Citigroup | � Prozent
Joint Ventures
mit Guggenheim
und Louvre
Emal Aluminium | �� Prozent
Mansur Al Nahjan
Chairman ADIA
(Halbbruder des Emirs)
Chairman TDIC (Cousin des Emirs)
Informations- und
Kommunikationstechnologie
Industrie
Hamid Al Nahjan
Sultan Bin Tahnun Al Nahjan
Chairman Mubadala (Bruder des Emirs)
�) Schätzung; Quelle: Unternehmen, Christopher Davidson, eigene Recherchen
�
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Abu Dhabis Hoffnungsträger haben sich
weiße Arbeitskittel über die pechschwarzen Gewänder gezogen. Nun stehen die
jungen arabischen Frauen im Halbkreis
um den spanischen Airbus-Techniker
und lassen sich beibringen, wie man Karbonfaserbauteile für Passagierflugzeuge
herstellt. „Ihr müsst genau darauf achten,
dass die Tapes beim Verkleben keine Falten werfen“, doziert Miguel Barciela,
während er fingerdicke Kunststoffplatten aufeinanderschichtet. Sind sie einmal
im Spezialofen verschmolzen, wird jedes
noch so kleine Luftbläschen zur Sollbruchstelle. Und die sollte eine Landeklappe nicht haben.
„Das hier ist eine neue Welt für mich“,
sagt Fatima al-Nuaimi und kontrolliert,
ob ihr Kopftuch ordentlich sitzt. Bis zum
Frühjahr wusste die 28-Jährige nicht mal,
warum ein Flugzeug fliegt. Da war sie
noch Hausfrau, ihr Leben kreiste um den
kleinen Sohn. Jetzt will sie mitbauen am
ersten Passagierjet made in Abu Dhabi.
Dafür geht die zierliche, dunkelhäutige
Frau in die Lehre bei Barciela und den
anderen Ausbildern, die Airbus für die Al
Ain International Aviation Academy abgestellt hat.
Noch ein paar Monate, dann will
­Fatima al-Nuaimi selbst Landeklappenverkleidungen zusammenkleben in der
nagelneuen Fabrik nebenan. 500 Mio.
Dollar hat Abu Dhabis Staatsfonds Mu­
badala für das Karbonfaser-KunststoffWerk ausgegeben. Und das ist erst der
Anfang: Eine komplette Luftfahrtindus­
trie will Abu Dhabi am Rand der Oasenstadt al-Ain aufbauen. In acht Jahren soll
der erste arabische Privatjet abheben.
Der Flieger ist das Vorzeigeobjekt des
wohl ehrgeizigsten Industrialisierungsprogramms der Gegenwart. Die Scheichs
vom Golf krempeln ihr Geschäftsmodell
komplett um. Nicht mehr allein Öleinnahmen sollen den Wohlstand sichern,
sondern ­Hightechprodukte aus heimischer Fertigung. Ein beispielloses Experiment, das an den gesellschaftlichen
Grundfesten rüttelt.
Abu Dhabi ist der Vorreiter bei diesem
Wüstenrennen. Das mächtigste der Vereinigten Arabischen Emirate ist heiß,
staubig – und superreich. 1,6 Millionen
Einwohner, davon nicht einmal 300 000
Einheimische, sitzen auf 92 Milliarden
Fass erstklassigem Erdöl. Jahrzehntelang
hatte die Herrscherfamilie Al Nahjan ihre
Petromilliarden einfach gen Westen gePolitik: Abu Dhabi
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Iran
Katar
Persischer
Golf Dubai
zu Oman
Abu Dhabi
Golf von
Oman
VAE
200 km
SaudiArabien
Oman
Himmelsstürmer: Abu Dhabi ist das mächtigste der Vereinigten Arabischen Emirate. Die gleichnamige
Hauptstadt wächst rasant, gewaltige Bauprojekte wie die Etihad Towers verändern die Skyline
schafft, wie fast alle Ölmonarchen aus der
Region. Die Staatsfonds verteilten das
Geld bevorzugt auf Staatsanleihen und
Aktienindizes. In die Geschäftspolitik
mischten sie sich nicht ein; sie kassierten
ihre Dividenden – und fielen im Westen
meist nur beim Verjuxen des Geldes in
Spielkasinos und Nobelhotels auf.
So hätte es noch lange weitergehen
können. Doch Arabiens Staatsfonds haben ihre Strategie radikal geändert. Seit
zwei Jahren steigen sie gezielt bei westlichen Hightechkonzernen ein. Diesmal
wollen sie mitreden und Wissen abschöpfen. Kapital gegen Know-how: Die neuen
Deals sollen Jahrzehnte technologischen
Rückstands wettmachen. Ob bei den Autobauern Daimler und VW, beim USMischkonzern General Electric oder beim
Chiphersteller AMD – überall haben sich
Investmentvehikel vom Golf eingekauft.
Abu Dhabi hat als erstes Emirat diesen
Schwenk vollzogen und startet nun eine
industrielle Revolution im Zeitraffer.
Abschied vom Ölzeitalter
Einen Vorgeschmack auf die schöne neue
Welt liefert das Karbonfaser-KunststoffWerk Strata, in dem Fatima al-Nuaimi
demnächst arbeiten wird. Ein deutsches
Bauunternehmen hat es zwischen die
orangeroten Sanddünen gesetzt. Drinnen riecht es nach frischer Farbe. Noch
sind nicht alle Hallen mit Maschinen ausgerüstet, aber die Produktion läuft schon.
Bis die ersten Einheimischen einsteigen,
∂
sind hier ausschließlich philippini-
S. 60–61: imagetrust/Manoocher Deghati; GettyImages (3); AP; Imago (2); Airbus; Piaggio Aero; AFP; Reuters; Abu Dhabi Future Energy Company/Masdar; Torresol Energy; laif (2); Bloomberg; Mauritius Images; Yahsat; Bloomberg, S. 62: action press
Text: Claus Hecking
zahlen muss niemand. Und für Familien
mit weniger als 2000 Euro Monatseinkommen gibt es ordentlich Bares. Warum also arbeiten?
Auch Fatima al-Nuaimi musste ihrem
Mann erklären, warum sie eine Ausbildung beginnen möchte. Die Begründung
hört man in dem Emirat noch selten: „Ich
will endlich selbst etwas schaffen.“ Mit
Anzeigenkampagnen macht der Staat seine Bürger auf die neuen Jobs und Trainingsmöglichkeiten aufmerksam. Wer
sich wie Fatima ausbilden lässt, erhält ein
großzügiges Lehrgeld.
sche Arbeiter tätig. Gelernt haben sie ihr
Handwerk beim österreichischen Airbus-Zulieferer FACC, der im Auftrag des
Staatsfonds Mubadala das Werk einrichtet. Abu Dhabi hatte Airbus in der Wirtschaftskrise mit einem Großauftrag
rausgeboxt. Jetzt muss das Werk zügig
den Normalbetrieb aufnehmen, schließlich ist Strata weltweit die einzige Fabrik,
die Landeklappenverkleidungen für die
Airbus-Typen A330, A340 und A380
bauen darf.
Das Tageseinkommen von Abu Dhabis Herrscherclan errechnet sich nach
einer Faustformel: Rohölpreis mal 2,3
Millionen. So viele Fässer verkauft das
Emirat Tag für Tag. Zieht man davon
großzügig 25 Mio. Dollar Förderkosten
ab, verdienen die Al Nahjans in 24 Stunden etwa 160 Mio. Dollar. Genug, um
gleich vier Staatsfonds üppig auszustatten. Geleitet werden sie von den Brüdern
Chalifa, Mohammed, Hamid und Mansur
Al Nahjan.
All das klingt märchenhaft, erinnert
an den Aufstieg Dubais – und an dessen
Fall. Während Dubai jedoch über so gut
wie gar kein Erdöl verfügt, sitzt Abu Dhabi auf Reserven im Wert von 18 Mio. Dollar – pro Bürger. So konnten es sich die
Al Nahjans leisten, das klamme Nachbar­
emirat mit Milliardenbürgschaften vor
dem Bankrott zu bewahren.
Allah hat Abu Dhabi das Beste vom
Besten geschenkt. Die schwarzbraune
Masse, die hier lagert, hat einen süßlichen Geschmack: Light Sweet Crude,
schwefelarmes, gut raffinierbares und
deshalb besonders teures Rohöl. Früher
sprudelte es von selbst aus den Bohrlöchern, so groß war der natürliche Druck.
Mittlerweile müssen es die Techniker mit
Politik: Abu Dhabi
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Wasser aus den Feldern herauspressen.
Eine Warnung: Selbst wenn es noch Jahrzehnte dauert – auch Abu Dhabis Quellen
werden einmal versiegen.
Der Schatz im Boden ist Abu Dhabis
Segen und zugleich Abu Dhabis Fluch.
Denn nichts macht so träge wie Reichtum
ohne Arbeit. Wie alle Golfmonarchen haben auch die Al Nahjans Tausende Jobs
in der Staatsbürokratie geschaffen, bloß
um ihre Untertanen zu beschäftigen. Die
Hände schmutzig machen müssen sich
nur die Gastarbeiter aus Südostasien.
Die Regierung zahlt ihren Bürgern
alle Arztbehandlungen, subventioniert
Strom und Wasser. Sie schenkt Studienanfängern Laptops, Neubauern Höfe mitsamt Gerätschaften, Hochzeitspaaren
schon mal ein Grundstück. Steuern be-
Hightech aus dem Abendland
Abu Dhabis Herrscher wollen ihr Volk aus
dem Schlaraffenland locken. Sie haben
erkannt, dass der ölbasierte Wohlstand in
Gefahr ist. Die Vorräte sind zwar üppig, die
Rohstoffmärkte aber immer schwieriger
zu kalkulieren. In den vergangenen beiden Jahren pendelte der Preis von 147
Dollar pro Fass runter auf 34 Dollar, zurück auf 80 Dollar. Ein Korrektiv haben
die Emiratis nicht. Das wichtigste Ausfuhrgut neben Öl ist: die Dattel.
Thronfolger Mohammed hat den
Missstand erkannt. Öl und Gas sollen in
zwei Jahrzehnten nur noch ein Drittel
des Bruttosozialprodukts ausmachen,
lautet die Vorgabe des 50-jährigen Reformers. Der Rest verteilt sich auf mehrere
Zukunftsbranchen, die der Kronprinz mit
der Hilfe von Industriepartnern aus dem
Abendland aufbauen will: Mikroelektro∂
nik für Smartphones mit dem Chip­
Frau an Bord: An der Aviation Academy werden auch weibliche Luftfahrttechniker ausgebildet
Mubadala; Agentur Focus/Arabian Eye/Matilde Gattoni
Fliegen ohne Teppich: Kronprinz Mohammed (M.) besucht das neue Airbus-Zulieferwerk in al-Ain
»
Alle Unternehmen
ziehen an einem Strang,
wenn es nötig ist. Wir sind
die Abu Dhabi Inc.
«
Humaid al-Schemmari, Mubadala
eine illustre Sammlung von Beteiligungen zusammengekauft: vom Sportwagenbauer Ferrari bis zur Private-EquityFirma Carlyle.
„Alles hier ist einem Ziel untergeordnet: Abu Dhabi vom Öl unabhängig zu
machen“, sagt Humaid al-Schemmari. Er
streicht sich über den akkurat gestutzten
Bart, lässt den Satz zwei, drei Sekunden
lang verhallen. Als Leiter von Mubadalas
Aerospace-Sparte ist der 43-jährige Emirati in dem blütenweißen, fast bodenlangen Dischdascha-Gewand der verlängerte Arm des Kronprinzen. Der Absolvent
der
US-Luftfahrt-Kaderschmiede Embry
Geschäfte auf Gegenseitigkeit
Riddle hat den Masterplan für Abu DhaBlau ist die Lieblingsfarbe des Kronprin- bis Einstieg ins Luftfahrtgeschäft entworzen, Mubadala sein Lieblingsspielzeug. fen: Dazu gehören neben der Akademie
Höchstpersönlich hat Mohammed 2002 und der Strata-Fabrik das Wartungsundas Investmentvehikel gegründet – und ternehmen Adat und das Konzept für das
Flugzeug, das Mubadala gemeinsam mit
Piaggio Aero entwickelt. Al-Schemmari
achtet genau darauf, dass er all jene Firmen einbindet, an denen Mubadala beteiligt ist und bei denen Abu Dhabi groß
einkauft.
Geschäfte auf Gegenseitigkeit – diese
Strategie wendet China bereits seit einigen Jahren bei westlichen Technologiefirmen erfolgreich an. Abu Dhabi kopiert
sie hemmungslos. Als die staatliche Airline Etihad auf dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise rund 100 Flugzeuge im Wert
von 20 Milliarden Euro bei den angeschlagenen Konzernen Airbus und Boeing bestellte, verlangten die Scheichs Zulieferaufträge – und bekamen sie.
Jetzt beliefert Strata Airbus exklusiv
mit Karbonfaserteilen für die Langstreckenflieger A330 und A340 im Wert von
1 Mrd. Euro. Außerdem schicken die Europäer Ausbilder nach Abu Dhabi. Adat
hat die Lizenz zur Wartung des Airbus
A380 erhalten, als einer von 16 Anbietern
weltweit. „Wir sind die Abu Dhabi Inc.“,
sagt al-Schemmari stolz. „Alle Unternehmen ziehen an einem Strang, wenn es
nötig ist.“
Air Berlin hat mit den Scheichs eben∂
falls einen Deal abgeschlossen. Als
Scheichwerbung: Abu Dhabis Staatsfonds Mubadala hält fünf Prozent an Ferrari. Dafür setzte der Sportwagenbauer einen Themenpark in die Wüste
Politik: Abu Dhabi
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Reuters/Ahmed Jadallah
hersteller AMD. Umwelttechnologie mit
General Electric, Siemens und Eon. Luftund Raumfahrt mit Airbus und dem
Schwesterunternehmen Astrium. Sogar
eigene Satelliten wollen die Scheichs ins
All schießen.
Die Branchenauswahl folgt einem
klaren Schema. Interessant ist alles, was
viel Kapital und billige Energie benötigt.
Für den Nachschub an Strom sorgt ein
südkoreanisches Konsortium um Sam­
sung und Hyundai, das vier Atomkraftwerke für 21 Mrd. Dollar in den Wüstensand setzen wird.
Der einzige auffällige Farbtupfer in
der Mubadala-Zentrale ist der feuerrote
Formel-1-Ferrari gleich hinter dem Eingang. Ansonsten ist in dem elfstöckigen
Prunkbau fast alles blau: die Scheiben an
der Fassade, das Licht in den Konferenzräumen, die Notizblöcke auf den Tischen,
die Taschentuchbox, ja selbst der Müllbeutel im – blauen – Papierkorb.
bendreher hervor. Sekunden später strecken sich Dutzende Parabolspiegel der
Sonne entgegen, fangen die Wärme ein,
die am Ende eine Kältemaschine antreibt.
Seit zwei Jahren arbeitet der 34-jährige
Hannoveraner in Masdar als Projektmanager für sämtliche Pilotanlagen, und er
ist noch immer begeistert: „Andere Staaten bauen Armeen auf, hier tun die Herrscher was für ihr Land.“
Auch bei dem Vorzeigeprojekt sind
westliche Partner dabei: Eon, General
Electric, diverse Fraunhofer-Institute, Siemens, das Massachusetts Institute of Technology und Stararchitekt Norman Foster.
Die ersten Bewohner sind im Sommer
eingezogen: knapp 100 Studenten, die am
Masdar Institute of Science and Technology alles über regenerative Energie lernen
sollen. Herrlich kühl ist es auf dem kleinen
Campus der Universität. Die Solarpanels
auf den Dächern werfen Schatten auf die
engen Gassen, Plastikblasen an den Gebäudefassaden absorbieren Wärme, aus
dem Windturm weht eine Brise. So angenehm wie hier soll es eines heißen Tages
überall sein in Masdar City. Bis auf den
einen Pionierbau ist indes noch nicht viel
zu sehen. Der Rest des Areals ist
­Baustelle.
Claus Hecking
die deutsche Fluglinie zum Jahresanfang
100 Mio. Euro für den Kauf von zwölf
Ersatztriebwerken brauchte, lieh ihr eine
­Finanzierungsgesellschaft aus dem Mubadala-Imperium das Geld zu günstigen
Konditionen. Im Gegenzug verpflichtete
sich Air Berlin, sämtliche Triebwerke der
Flotte in den nächsten zehn Jahren von
der Adat-Tochter SR Technics in Zürich
warten zu lassen.
Mubadala kann sich erlauben, solche
langfristigen, mäßig rentablen Geschäfte
einzugehen. „Wir schauen nie auf ein
Halbjahresresultat, denn wir sind kein
Private-Equity-Haus“, sagt al-Schemmari. „Wir müssen unser Eigenkapital nicht
in zwei oder vier Jahren zurückkriegen.“
Seit die Banken in der Finanzkrise
­ihre Kreditrahmen reduziert haben, sind
solche Geldgeber begehrter denn je. Als
Aabar, eine Tochter von Abu Dhabis
Staatsfonds IPIC, im Frühjahr vergangenen Jahres beim Autokonzern Daimler
einstieg, jubelte sogar die Bundesregierung über den neuen Großaktionär. Vom
Misstrauen, das etwa dem Nachbaremirat Dubai entgegenschlug, als es vor vier
Jahren den Hamburger Hafen kaufen
wollte, ist kaum noch etwas zu spüren.
Für Abu Dhabi bedeutet dies die einmalige Chance, seine Industrialisierungsstrategie voranzutreiben.
Mit Daimler sind die Scheichs bereits
zwei gemeinsame Hightechbeteiligungen eingegangen: Beim Elektroautohersteller Tesla und beim Formel-1-Team
von Mercedes. Schon bald werden sich
die Stuttgarter auch vor Ort engagieren
müssen. Abu Dhabi plant einen Automobil-Cluster, hat bereits mit der Erschließung eines elf Quadratkilometer großen
Industrieparks begonnen. 2012 sollen
dort die ersten Betriebe eröffnen.
Der Masterplan wird abgespeckt
„Motivierte und flexible
Beschäftigte bekommt man
nicht mit starren Arbeitszeiten.“
Dagmar Fritz-Kramer, Geschäftsführerin Bau-Fritz GmbH & Co. KG
Grenzen des Reichtums
Abu Dhabis ehrgeizigstes Projekt ist fraglos
Masdar City. 15 Mrd. Dollar hat Prinz
­Mohammeds Mubadala-Fonds bereits für
den Bau der ersten CO2-neutralen Stadt
der Welt bereitgestellt. Nirgendwo sind die
Ambitionen des Emirats größer – und nirgendwo sind die Grenzen des Konzepts
deutlicher zu erkennen.
Als Simon Bräuniger an diesem Nachmittag Masdars Solarkühlungsanlage
hochfahren will, ist er allein. Irgendjemand hat den Schaltkasten zugeschraubt.
Der junge deutsche Ingenieur flucht,
dann läuft er los, hinein in den Baucontainer nebenan und kramt einen SchrauPolitik: Abu Dhabi
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Sonnenkönig: Ohne den Deutschen Simon Bräuniger gäbe es in Masdar City keinen Solarstrom
Eigentlich sollte die Oase nach Mohammeds Vorgabe schon in sechs Jahren
fertig sein und 40 000 Menschen eine
neue Heimat geben. Daraus wird nichts
mehr. Der Herrscher musste lernen, dass
Geld allein keinen Erfolg garantiert.
Die extremen Bedingungen in der
Wüste ließen die Pläne schnell Makulatur
werden. Tagsüber brennt die Sonne herab, nachts kommt die Feuchtigkeit vom
Meer, immer wieder ziehen Sandstürme
durch. Eine heikle Kombination. Staub
verklebt die Module auf dem Solarfeld.
Das bedeutet mindestens 20 Prozent weniger Ausbeute. Ständig laufen asiatische
Gastarbeiter durch die Anlage, um die
Panels zu putzen. Wenn sie nach zwei
Wochen hinten fertig sind, müssen sie
vorn wieder anfangen.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Familienbewusste Arbeitszeiten ermöglichen es Eltern, Leistung in ihrem
Beruf mit Zeit für Verantwortung in der Familie zu vereinbaren. Motivation
und Arbeitseffizienz steigen – eine Win-win-Situation für Unternehmen und
Beschäftigte. Das zeigt: Es ist gut, wenn beide Seiten flexibel sind.
Wenn Sie mehr über die Initiative des Bundesfamilienministeriums erfahren
möchten, informieren Sie sich auf WWW.ERFOLGSFAKTOR-FAMILIE.DE
Noch gravierender als die Witterung ist
der Mangel an Fachkräften. Wenn Bräuniger nicht selbst abgenutzte Zahnräder
austauscht, kümmert sich niemand darum. Einheimische Ingenieure gibt es in
Abu Dhabi kaum, Manager oder Beamte
genießen am Golf ein viel höheres Ansehen als Techniker. Die Regierung hat eine
Reihe naturwissenschaftlicher Studiengänge an den Universitäten gegründet.
Bis fertige Ingenieure herauskommen,
werden Jahre vergehen. Bis sich die
Mentalität der Emiratis verändert hat,
wohl Jahrzehnte.
So groß, so zahlreich sind die Schwierigkeiten, dass Prinz Mohammed seinen
Entwicklern im Frühjahr eine Denkpause verordnet hat. Der Masterplan wurde
abgespeckt, nun soll die Stadt erst 2025
fertig werden. Die Eigenversorgung mit
Trinkwasser und Strom, das unterirdische Transportsystem mit futuristischen
Kabinen – all das wird auf einen Kernbereich reduziert.
Vorbei sind die Zeiten, in denen Simon Bräuniger Projekte einfach anstoßen konnte und das Budget dafür bloß
Nebensache war. Jetzt muss er für jedes
Vorhaben einen detaillierten Businessplan vorlegen.
Der Ingenieur hat sich mit den Hemmnissen arrangiert – und nimmt sie mit
Humor. Als er die Anlage wieder herunterfährt, fällt sein Blick auf den Schraubendreher, den er neben dem Schaltkasten abgelegt hat. „Die Emiratis“, sagt
Bräuniger, „hätten wohl einen pakistanischen Boten losgeschickt, um einen neu√
en zu kaufen.“
Politik: Abu Dhabi
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