PS 12/2006: Tabak im GP-Sport

Transcription

PS 12/2006: Tabak im GP-Sport
Pitlane
Tabak im GP-Sport
AUF DER
Die finanzkräftigen Tabakkonzerne drücken seit den 70er-Jahren dem Motorradrennsport ihren Stempel auf und haben Racing zu dem gemacht, was es ist. Mit der fortschreitenden Nikotin-Ächtung geht diese Geschichte zu Ende. PS erzählt, wie es war.
ie lange gemeinsame Geschichte
von Motorradrennen und Tabak wird
womöglich bald zu Ende sein. Oder
auch nicht. Ungewissheit vernebelt die Luft
wie Zigarettenqualm eines Suchtrauchers
ein Großraumbüro. Mit derselben Verzweiflung klammert sich der MotoGP an dieses
Laster: Das EU-Gesetz zum generellen
Verbot von Tabakwerbung bei Sportveranstaltungen ist offiziell im Juli 2005 in Kraft
getreten. Ein gutes Jahr danach sind die
Fahrerlager immer noch Tummelplatz für
Marlboro, Camel und Fortuna, obwohl die
Motorräder fast überall ohne die Logos der
Tabakfirmen um Siege kämpfen.
Das sind die letzten Überbleibsel der
großen Tage, als die Tabakriesen mit Geld
um sich warfen. Doch die Zeiten sind vorbei. Gauloises verließ letzte Saison schon
zum zweiten Mal die Szene. Camel könnte
zum Saisonende folgen, was Valentino
Rossi als entschiedenem Gegner der Zigarettenwerbung sicher recht wäre. Fortuna
wird sich nur noch im günstigeren 250erGP engagieren. Lediglich Marlboro, der
erste Tabaksponsor im Grand-Prix-Sport,
wird wohl auf absehbare Zeit bleiben.
MotoGP boomt, sowohl bei den Zuschauern vor Ort als auch vor dem Fernseher. Seltsamerweise ist ein ebensolcher
Boom bei Ersatzsponsoren nicht festzustellen. Das Geld der Zigarettenkonzerne
D
74 PS 12/2006
TEXT: MICHAEL SCOTT, UWE SEITZ
FOTOS: 2SNAP, GOLD & GOOSE
Agostini war 1972
der erste Rennfahrer mit TabakWerbevertrag,
zunächst auf MV,
dann auf Yamaha.
Barry Sheene war
der Marlboro-Man
in Leder (rechts).
brachte die GP-Szene dorthin, wo sie heute
steht. Dass der Geldstrom jetzt dünner
und dünner wird, bedroht den Fortbestand
des Sports, wenn nicht die neuen Reichen,
zum Beispiel der spanische Telekommunikationskonzern Telefónica MoviStar, als
Sponsoren einsteigen. Momentan halten
sich hartnäckig Gerüchte, wonach sie
Camel bei Yamaha ersetzen könnten.
Geld ist keine Nebensache: Als 2002
die 990-cm3-Viertakter kamen, verdoppelten sich die Gesamtkosten. Die neuen
800er für nächste Saison dürften noch
eine Schippe drauflegen. Besonders die
Satellitenteams vermissen das Tabakgeld
schmerzlich; die Werksteams nicht so sehr,
wenn man Insidern glauben darf. „Bei
den enormen Entwicklungskosten für ein
MotoGP-Bike sind die Sponsorengelder
geradezu unbedeutend. Damit decken die
Teams lediglich ein paar laufende Kosten“, meint Garry Taylor, 21 Jahre lang
Manager des Suzuki-Teams.
Selbst die Werke sparen: Den gegenwärtigen Trend zu sehr jungen Fahrern wie
Stoner und Pedrosa verkauft Honda gern
als „Investition in die Zukunft“. Aber Taylor
ist überzeugt, dass dahinter eine riesige
Sparnummer steckt. Die hohen Gehälter
für erfahrene GP-Racer, die nur mit den
Millionengeldern aus der Zigarettenindustrie möglich waren, sind heute
ein immenser Kostenpunkt für die
Teams. Aufstrebende junge Fahrer
sind viel billiger, weshalb sich beispielsweise Max Biaggi und Alex
Barros unfreiwillig aus dem MotoGP
verabschiedeten.
Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Bekannt ist, dass Marlboro Anfang
und Mitte der 90er-Jahre jährlich ungefähr
14 000 000 Dollar in Wayne Raineys
Yamaha-Werksteam steckte, Lucky Strike
etwa das Gleiche in Kevin Schwantz’ Suzuki-Team. Heute kann man sich für so eine
Summe fast zwei Jahre in ein Werksteam
einkaufen, mehr als drei bei einem TopSatellitenteam und wahrscheinlich etwa
30 Jahre bei Suzuki – Rizla hat ein echtes
Schnäppchen gemacht.
Alles begann 1972 bei der TT auf der
Isle of Man, wo Giacomo Agostini und Alberto Pagani mit kleinen Marlboro-Logos
auf ihren MV Agusta auftauchten. Paul
Butler, heute als Renndirektor auf der
Kommandobrücke des MotoGP-Schiffes,
erinnert sich, wie Marlboro reinfegte: „Die
dachten, Douglas wäre so etwas wie Monaco und veranstalteten eine Mega-Party
auf einer Yacht im Hafen. Ebbe und Flut hatten sie total vergessen, genauso wie die
Manx-Maid-Fähre, die ständig direkt daneben ein- und auslief.“ Aber Racing überstand die erste Tabak-Seekrankheit, Agostini nahm 1974 das Logo sogar zu Yamaha
mit und genoss die Marlboro-Zuwendungen bis zu seinem Karriereende 1977.
Damals wanderte das meiste Tabakgeld
hauptsächlich in die Rennveranstaltung oder
KOHLE OHNE ENDE
Die 80er waren die fetten Jahre, Geld gab
es wie Sand am Meer.
die Serie selbst. Direkt hatten die Teams
davon nichts, Ausnahme: die John-PlayerNortons der frühen 70er-Jahre. Marlboro
wurde allgegenwärtig und sponserte viele
Grand Prix, sonst aber meist nur den dominierenden Fahrer. Gauloises war damals
auch mit dabei, jedoch mit viel schmalerem Budget in den kleineren Klassen.
1980 sahen sich die gigantisch reichen
Zigarettenkonzerne einem immer stärker
werdenden weltweiten Werbeverbot gegenüber. Fernsehspots waren tabu, Zeitungen
und Zeitschriften sollten folgen. Da war
das Sportsponsoring eine attraktive Ausweichmöglichkeit, mit der Formel 1 als
liebstem Kind. Und dann entdeckten sie
die Motorräder. Innerhalb von zehn Jahren
wetteiferten die ganz großen Marken wie
Lucky Strike und Rothmans mit Marlboro
darum, wer mehr Dollars in den MotorradRennsport pumpt. Ein Wettstreit, der auch
kleinere Marken anlockte.
1982 hatte die ganze zweite Riege
der Yamaha-Piloten Zigarettensponsoren:
John Player Special war bei Barry Sheene,
Obwohl Rizla Zigarettenpapier
herstellt, ist die Marke vom
EU-Tabakwerbeverbot ausgenommen. Das Logo auf Babyblau ist deshalb allgegenwärtig.
Anfang der 70er
qualmte es bei Yamaha:
Alle Nicht-Werksfahrer
bekamen Tabakgeld.
Graeme Crosby im Agostini-Team hatte
Marlboro und an Marc Fontans Bike strahlte das Gauloises-Logo. Nur Kenny Roberts’ Werks-Yamaha war außen vor. Aber
nicht lange. Im folgenden Jahr fuhr King
Kenny mit einem unübersehbaren Signalfarben-Logo von Marlboro.
Die ganz große Zeit brach jetzt erst an.
1985 schlug Rothmans mit aller Macht zu,
kaufte sich beim großen Honda-Werksteam mit Fahrer Freddie Spencer ein, der
in dieser Saison den 250er- und den
500er-Titel gewann. Rothmans führte
schließlich mit dem Marketinggespür einer
großen internationalen Marke die zügellose Freigiebigkeit im Fahrerlager ein.
1986 explodierte das Ganze vollkommen, als die Marke Lucky Strike die Bühne
betrat. Sie hatte ein von Kenny Roberts
geleitetes, rein amerikanisches YamahaSatelliten-Team mit Randy Mamola und
Mike Baldwin als Fahrer. Das war endgültig der Startschuss für die fetten Jahre,
und der Rennsport profitierte viel weitergehend davon, nicht nur die Taschen der
Fahrer und Teammanager und der stetig
wachsende Tross im Fahrerlager. Taylor:
„Die Zigaretten-Leute und Pepsi Cola
brachten unschätzbares Marketing-Knowhow in den Rennsport. Sie hatten diesbezüglich die Besten der Welt, nicht nur
einen oder zwei Typen, sondern Dutzende.“ Von diesem Wissen profitiert der
Motorrad-Rennsport bis heute.
Geld gab es wie Wasser im Atlantik. Die
Tabakindustrie hatte anscheinend immer
genug davon, egal, wofür die Teams es
brauchten. Paul Butler erinnert sich: „Die
ganz großen Sponsoren waren der Ansicht, dass für den Werbeerfolg das mögliche Sponsoren-Budget insgesamt etwa
doppelt so groß sein müsse, wie das eigentliche Team-Sponsoring.“
Die Konzerne gaben viel mehr Geld für
begleitende Maßnahmen aus, um den
Grand-Prix-Sport für sie ideal zu positionieren. Rothmans, später gemeinsam mit
anderen Marken, gab den Weg vor: Das
Unternehmen sorgte dafür, dass Motorradrennen im Fernsehen gezeigt
wurden. Verdeckt finanzierte der
Konzern die private TV-Produktionsfirma
Video Vision, die das komplette WM-Paket
den aufkeimenden, aber zahlungsschwachen Satelliten- und Kabel-TV-Sendern verkauften – für einen Spottpreis. Nun donnerten die Zigaretten-Motorräder in Millionen
Haushalten weltweit über die Mattscheibe.
Das war das Fundament für die heute so
teuer vermarkteten MotoGP-Fernsehrechte.
Gleichzeit brachten die Marketing-Männer dem ganzen Rennzirkus bei, wie man
Die Franzosen waren schon früh dabei, stiegen
aber letzte Saison bereits zum zweiten Mal aus.
King Kenny mit der leuchtenden MarlboroYamaha. Später finanzierten sie Roberts’
ehrgeiziges MotoGP-Projekt.
Wenn es nach Rossi
gegangen wäre, hätte
Yamaha keine TabakMillionen angenommen.
sich richtig präsentiert. Von da an war es
vorbei mit schlampig lackierten 08/15-Verkleidungen, die Show bekam einen hohen
Stellenwert. „Lucky Strike hatte keinerlei
Bedenken, für Kevin Schwantz 1993 eine
Meisterfeier auszurichten, die teurer war
als das Jahresbudget eines Privatteams,“
berichtet Taylor. Gerade die Top-Fahrer bekamen Geld wie Heu. Kevin Schwantz forcierte das unbeabsichtigt, als er in einen
Bieterwettstreit zwischen Agostinis Yamaha-Team und Suzuki geriet, die beide auf
das Marlboro-Geld scharf waren. Taylor
war daran beteiligt: „Marlboro sagte, dass
sie das Team unterstützen
wollten, das Schwantz
bekam. Mit dieser Ansage trieben sie na-
türlich die Summe immer höher und höher,
die sie nachher selbst bezahlen mussten.
Die Fahrergehälter stiegen so von ungefähr 200000 Dollar jährlich auf ein bis
zwei Millionen für etwa 18 Monate.“
Zigaretten hinterlassen aber einen fahlen Geschmack, und Schwantz bekam später mächtig Ärger mit Lucky Strike, als er
sich vor einem riesigen Rauchverbot-Schild
in seinem neuen Haus fotografieren ließ,
das er gerade vom Zigarettengeld gekauft hatte. Heute ist er vorsichtiger: „Damals war ich happy, dass
ich bekam, was ich bekam. Mir
war es doch völlig schnuppe,
woher die Kohle kam.“
Die Zigarettenfirmen erwarteten dafür natürlich
Gegenleistungen. Schwantz:
„Laut Vertrag war ich verpflichtet, zehn Tage im Jahr abseits der Rennstrecken für die zu arbeiten – und sie
führten die Bücher: Wenn ich aus den
USA zu einem Geschäftsessen nach Bel-
Wegen Werbeverbot umlackiert:
Fortuna wirbt auf europäischen
Strecken mit seiner Marktposition im eigenen Land.
Anfang der 80er-Jahre war Marc Fontan der Top-Fahrer
für Gauloises im Yamaha-Satelliten-Team
HB war der große deutsche Sponsor, u. a. für den unvergesslichen Reinhold Roth, genannt „Jointi“ – er war Kettenraucher.
DAS ENDE NAHT
Um die Satelliten-Teams muss man sich
ernsthaft Sorgen machen
gien flog und wieder zurück, berechneten
sie dafür zwei Stunden.“
Aber die ganze Tabak-Nummer ging jetzt
langsam den Bach hinunter. Schon in seinem ersten Jahr 1985 hielt sich Rothmans vornehm zurück und ließ sein Team
ohne Aufdruck beim britischen Grand Prix
antreten, obwohl das noch nicht vorgeschrieben war. Ein paar Jahre später war
es soweit. In den „glorreichen“ Tagen bestanden die Zigarettenhersteller darauf,
dass sie bei nicht mehr als drei Rennen
pro Jahr auf ihre Werbung verzichten müssen. 2007 müssen sie womöglich damit
zufrieden sein, wenigstens bei drei oder
vier Rennen werben zu dürfen – China, Katar, Türkei und Malaysia.
Die Gesetzgebung, vieles davon noch
nicht einmal in Kraft, wendete das Blatt,
vor allem in Europa und den USA. Gauloises warf erstmals 1991 das
Handtuch, damals gezwungen
von der französischen Regie-
rung, die daraufhin mit Steuergeldern
das plötzlich mittellose blaue Team unterstützte. Mit einem viel größeren Knall verabschiedete sich Rothmans 1994, um
sein Geld ausschließlich in der Formel 1
auszugeben. Lucky Strike verschwand,
nachdem die Marke 1998 einen Prozess
verloren hatte.
Seither geht es bergab, selbst Honda
und Yamaha fuhren zeitweise ohne Sponsor. Renndirektor Butler glaubt allerdings,
dass die Krise vorbeigeht, obwohl er sich
um die Satelliten-Teams ernste Sorgen
macht: „Die Werksteams können das abfangen. Das geht rum. Wir waren schon
einmal in dieser Lage.“
Das mag sein, aber damals waren die
Kosten bestimmt nicht so astronomisch
hoch. Vielleicht stopft das Sponsorengeld
nur einen kleinen Teil der Entwicklungskosten, aber irgendjemand muss auch den
bezahlen. Auf der anderen Seite können
die Motorradhersteller sich nicht zurückziehen, ohne einen riesigen Imageschaden zu riskieren.
2007 wird in diesem Zusammenhang
eine entscheidende Saison. Wir werden
sehen, wie es weitergeht, wenn sich
im Frühjahr der Rauch verzieht.
ECKDATEN EINER BEZIEHUNG
1972 Marlboro sponsert mit Agostini
und Pagani zum ersten Mal ein GP-Motorradteam, die Werks-MV. Ago bleibt bei Marlboro, auch später als Yamaha-Teamchef.
1979 Gauloises, bisher nur Sponsor
eines F750-Teams, kommt zum GP und
sponsert Christian Sarron.
1982 Alle Yamaha-Kundenteams
haben Tabaksponsoren: Sheene mit John
Player, Crosby mit Marlboro und Fontan
mit Gauloises.
1983 Kenny Roberts bekommt MarlboroUnterstützung für das Yamaha-Werksteam,
die fast ununterbrochen bis 2002 anhält.
HB steigt als GP-Sponsor von Suzuki ein.
1985/86 Rothmans und Lucky Strike
steigen mit unglaublichen Summen in den
500er-GP ein. Im Paddock gehen die wilden
Parties los, die fetten Jahre beginnen.
1987 Mit Bastos bei Cagiva kommt eine
kleine Tabak-Marke, gefolgt von Ducados
aus Spanien und Cabin aus Japan.
1988 Pepsi Cola ist der erste millionenschwere Nicht-Tabak-Sponsor. Bei Suzuki
werden sie zwei Jahre später von Lucky Strike
ausgebootet, die von Yamaha zurückkommen.
1991 Die französische Regierung verbietet Gauloises-Werbung, worauf die Marke
dem GP bis 2002 fernbleibt.
1994 Der Lack ist ab, als Rothmans
sein gigantisches Budget ausschließlich
in die Formel 1 steckt und Honda ohne
Sponsor mit Doohan den Titel holt.
1995 Repsol steigt bei Honda für eine
im Vergleich zu früher bescheidene Summe
ein. Team-Sponsoring wird nie wieder sein,
was es war.
1997 Roberts Senior ergattert Marlboro-Millionen für sein Projekt, ein eigenes
GP-Motorrad zu bauen. Als das nach zwei
Jahren scheitert, geht Marlboro zurück zu
Yamaha. Telefónica MoviStar taucht als zahlungskräftiger Nicht-Tabak-Geldgeber auf.
Mit Rothmans und Lucky Strike kam die
ganz große Kohle in den GP. Zur Freude
von Freddie Spencer und Kevin Schwantz,
deren Gehalt astronomisch zulegte.
1998 Lucky Strike zieht ab in die Formel
1. Ersatz gibt es keinen.
2003 Ducati zieht Marlboro auf seine
Seite – die Farben harmonieren.
2005
Europaweit geltende
Gesetze verbieten jede Form
der Tabak-Werbung und sichtbares Sponsoring im Sport.
Spanien klagt dagegen –
der Prozess läuft noch.
2007
Fortuna steigt
aus dem MotoGP
aus, Camel auch.
Marlboro bleibt als
letzte Zigarettenmarke übrig.
Barrys Bierdeckel: Die MarketingExperten der Tabakfirmen brachten
Kreativität und Geschäftssinn mit.
PS 12/2006
79