MPIfG Jahrbuch 2015–2016

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MPIfG Jahrbuch 2015–2016
MPIfG Jahrbuch 2015–2016
MPIfG Jahrbuch 2015–2016
Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist eine Einrichtung der
Spitzen­­forschung in den Sozialwissenschaften. Es betreibt anwendungsoffene
Grund­­
lagen­
forschung mit dem Ziel einer empirisch fundierten Theorie der
so­zia­­len und poli­tischen Grundlagen moderner Wirtschaftsordnungen. Im Mit­
tel­­punkt steht die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen sozialem, politischem und ökonomischem Handeln. Mit einem vornehmlich institutio­nel­len
Ansatz wird erforscht, wie Märkte und Wirt­schafts­organisationen in historischinstitutionelle, politische und kul­tu­relle Zusammenhänge eingebet­tet sind, wie
sie entstehen und wie sich ihre gesellschaftlichen Kontexte verän­dern. Das Institut
schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Politik und leistet einen Beitrag zur
politischen Diskussion über zentrale Fragen moderner Gesellschaften.
Zwei Direktoren leiten das MPIfG gemeinsam. Etwa sechzig wissenschaftliche
Mitarbeiter, Doktoranden, Stipendiaten, Gastwissenschaftler und Projekt­
mit­
arbeiter sind in oft international zusammengesetzten Forscherteams am Institut
tätig. Das MPIfG gehört zu einem weltweiten Netzwerk von Forschungs­
institutionen. Es kooperiert eng mit Instituten und Fachbereichen an der Sciences
Po in Paris, der Northwestern University in Chicago, der Columbia University in
New York und dem European University Institute in Florenz. Das MPIfG gehört
zu den etwa achtzig Instituten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG).
Das MPIfG betreibt Nachwuchsförderung in der International Max Planck
Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRSSPCE). Die vom Institut gemeinsam mit der Universität zu Köln getragene internationale Doktorandenschule bietet ein in Deutschland einmaliges Dokto­ran­den­
programm im Bereich der Wirtschaftssoziologie und der politischen Ökonomie.
LA SALADA
Die große Chance – An mehr als 7.800 Ständen verkaufen Händler auf
dem Markt La Salada T-Shirts, Jeans, Jacken, Schuhe und Kindermode.
Viele der angebotenen Waren sind Markenimitate. Ende 1980 als in­for­
meller und illegaler Markt entstanden, ist La Salada seit 2001 ein Groß­
handelsmarkt, der sich in die argentinische Wirtschaft eingegliedert
hat. Die Brücke über den stark verseuchten Riachuelo, der in den Rio
de la Plata mündet, leitet die Menschen auf diesen Markt der großen
Chancen. Zusammen mit der Fotografin Sarah Pabst hat sich MPIfGWis­sen­schaftler Matías Dewey La Salada auch künstlerisch genähert.
> Seite 19
MPIfG Jahrbuch 2015–2016
Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
© 2015
Redaktion
Christel Schommertz
Silvia Oster
Gestaltung und Satz
www.dk-copiloten.de
Bildnachweis
La Salada Project/Sarah Pabst Titel, 15, 16, 19, 20,
21 (oben); MPIfG/Matthias Jung 5, 18, 36, 72, 144
(oben und Mitte rechts), 145 (unten); MPIfG/Astrid
Dünkelmann 9, 13, 21 (unten), 24 (unten), 27, 42, 48,
54, 60, 66, 80, 88, 96, 110, 112, 114 (oben und unten
rechts), 117, 118, 123, 129, 130, 132 (oben), 133, 134,
135, 136, 137, 138, 139, 143 (oben links und Mitte,
Mitte und unten), 144 (mittlere Spalte links und
Mitte), 146 (links); MPIfG/Nina Engwicht 22, 23, 24
(oben); Reuters/David W. Cerny 25; picture alliance/
EPA/Andy Rain 29; picture alliance/Rainer Jensen 30;
picture alliance/Sven Hoppe 33; ullstein Bild/ddp 37;
picture alliance/EMPICS Sport/Harvey Georges 39;
picture alliance/Arne Dedert 40; picture alliance/Tim
Brakemeier 43; picture alliance/Scanpix Bildhuset/
Bengt Olof Olsson 49; AFP/Scanpix Bildhuset/
Bertil Ericson 52; ddp images/Michael Kappeler 55;
picture alliance/Peter Kneffel 59; picture alliance/
ZB/Martin Schutt 61; picture alliance/Jan Haas 67;
picture alliance/Karl-Josef Hildenbrand 68; picture
alliance/ZB/Hendrik Schmidt 69; picture alliance/
Scanpix Bildhuset/Maria Annas 70; picture alliance/
ZB/Jens Kalaene 71; ullstein bild/CARO/Frank Sorge
73; Fürther Bündnis für Familien/Oswald Gebhardt
77; picture alliance/SZ Photo/Robert Haas 78; picture
alliance/Matthias Schrader 79; picture alliance/ZB/
Ralf Hirschberger 81; AAP One Image/Stefan Postles
85; ullstein bild/vario images 89; ullstein bild/AKG
90; picture alliance/Revierfoto 95; picture alliance/
Wildlife/A. Mertiny 97; imago/Schöning 98; picture alliance/Frank Leonhardt 100; dominicfoto.de/
Dominic Akyel 102; Karl Eduard Biermann [Public
domain]/Wikimedia Commons from Wikimedia
Commons 103; picture alliance/Thomas Muncke
104; kragoART 105; Stephanie Lacombe 114 (oben
links); MPIfG/Jens Beckert 114 (unten links); MPIfG/
Christoph Seelbach 115 (links), 119, 124, 146 (Mitte);
MPIfG/Hardy Welsch 115 (rechts), 116, 145 (oben),
146 (rechts); Vrije Universiteit Amsterdam 131;
Körber-Stiftung/David Ausserhofer 132 (unten);
MPIfG/Elisabeth Zizka-Fuchs 143 (oben rechts);
MPIfG/Jürgen Bauer 144 (unten links); MIT/Stuart
Darsch 144 (unten rechts); MPIfG 147.
Druck
Heider Druck GmbH,
Bergisch Gladbach
MPIfG Jahrbuch 2015–2016
Inhalt
Editorial
Die Jahre 2013 und 2014
5
Interview
Zeitgeschichte und Diffusionsforschung –
Zwei innovative Forschungsvorhaben
9
ARIANE LEENDERTZ UND MARK LUTTER IM GESPRÄCH MIT RALF GRÖTKER
Aus der Forschung
Übersicht über die Forschungsprojekte am MPIfG seit 2013
THEMA: Illegale Märkte
14
Grauzone Schwarzmarkt
15
„Die Übergänge sind fließend“
16
Die große Chance
INTERVIEW MIT JENS BECKERT
19
Matías Dewey
Erstaunliche Zusammenarbeit
22
Nina Engwicht
Töten für den Lifestyle
25
Annette Hübschle
Imaginierte Zukunft Wie fiktionale Erwartungen wirtschaftliche Dynamik vorantreiben
29
Jens Beckert
Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen
Industrie, Politik und die schwierige Durchsetzung der Photovoltaik
37
Timur Ergen
Freiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten? Haushaltsüberschüsse im internationalen Vergleich
43
Lukas Haffert
Staatsschulden und Staatstätigkeit im schwedischen Sozialstaat
49
Philip Mehrtens
Varianten der Finanzialisierung
Was treibt und was bremst die private Verschuldung in Deutschland?
55
Daniel Mertens
Mieterland oder Hauseigentümernation? Wohnungsmärkte in Deutschland und den USA
61
Sebastian Kohl
2
Inhalt
Kinder, Arbeit und Konsum
Warum Demografie und politische Ökonomie nicht zu trennen sind
67
Wolfgang Streeck
Milieu und Raum
Wie kulturelle Prägungen die Unterschiede regionaler Geburten­zahlen in Deutschland erklären
73
Barbara Fulda
Konfliktverminderung durch Entkoppelung Anmerkungen zur Reform der deutschen Finanzverfassung
81
Fritz W. Scharpf
Die Akademikerrepublik Kein Platz für Arbeiter und Geringgebildete im Bundestag?
89
Armin Schäfer
Ökonomisierung und moralischer Wandel 97
Dominic Akyel
Die „Neue Ökonomie“ des industriellen Kapitalismus
Eine industrielle und institutionelle Revolution
103
Alfred Reckendrees
103
Kooperation
Europäische und globale Sozialforschung verzahnen
Das Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability
in Market Societies
111
Emeritierung
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit.
Zur Emeritierung von Wolfgang Streeck
115
Lukas Haffert und Daniel Mertens
Daten und Fakten
Ausgewählte Veröffentlichungen 2013 bis 2014
121
Promotionen und Habilitationen 2013 bis 2014
129
Preise und Ehrungen 2013 bis 2014131
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MPIfG
2013 bis 2014
133
Wissenschaftliche Gäste am MPIfG 2013 bis 2014138
Inhalt
Organisation und Struktur des MPIfG
140
MPIfG 2015: Leitung, Gremien und Verein der Freunde und Ehemaligen
144
Informationsmaterial und Kontakt
147
3
Die Jahre 2013 und 2014
Auch in den letzten beiden Jahren stand die
Bedeutung der Wirtschaft für die Ent­wick­lung
moderner Gesellschaften im Mittelpunkt unserer Forschung. Mit zwei For­schungs­be­rei­chen,
die von den Direktoren geleitet werden, drei
unabhängigen Nachwuchsgruppen und einer
Doktorandenschule, die international und interdisziplinär arbeitet, untersucht das Institut in
seinem dritten Forschungsprogramm die sozialen und politischen Grund­la­gen wirtschaftlicher
Prozesse und wirtschaftlichen Handelns. Unsere
Arbeit konzentriert sich auf die Funktionsweise
von Märkten in kapitalistischen Gesellschaften
und ihre Wechsel­
wirkung mit Politik und Gesellschaft in einem interdisziplinären
Zusammenspiel von historisch-institutionalistischer politischer Ökonomie und einer
handlungstheoretisch orien­tier­ten Wirtschaftssoziologie. Nachdem unser Fachbeirat im
Jahr 2014 die wissenschaftliche Arbeit des MPIfG erneut als international herausragend
bewertet hat, sehen wir uns darin bestärkt, diesen Weg weiterzugehen.
Mit zwei neuen Forschungsgruppen haben wir dabei die thematische Basis des MPIfG
er­weitert. In den vergangenen Jahren ist die historische Dimension sozialwissenschaftlicher Fragestellungen für uns wichtiger geworden. Um uns zukünftig systematischer mit
ihr zu befassen, haben wir 2014 die Forschungsgruppe Ökonomisierung des Sozialen und
gesellschaftliche Komplexität gegründet, die von der Zeithistorikerin Ariane Leendertz
ge­leitet wird. Wir sind der Überzeugung, dass die Sozialwissenschaften insbesondere dann
weiterführende Erkenntnisse über unsere Gesellschaft hervorbringen werden, wenn sie
ihre Gegen­stände im historischen Kontext untersuchen. Dies gilt erst recht für die Erfor­
schung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise, die nicht ohne die Strukturbrüche der
letzten Jahrzehnte zu verstehen ist. Die Forschungsgruppe Transnationale Soziologie der
Diffusion um Mark Lutter wird mit quantitativen Methoden untersuchen, welche Faktoren
die Verbreitung von Innovationen zwischen Individuen, Netzwerken, Organisationen
und Gesellschaften beeinflussen. Ihr Ziel ist eine empirisch fundierte soziologische
Theo­rie über Ausbreitungsprozesse in modernen Gesellschaften. Die Mechanismen der
Verbreitung von Trends zu verstehen ist von zentraler Bedeutung für die Erklärung gesellschaftlichen Wandels. Eine dritte Forschungsgruppe unter der Leitung von Martin Höpner
verfolgt bereits seit einer Reihe von Jahren die Dynamiken der europäischen Integration.
Die hier untersuchten autonomen Handlungsspielräume der supranationalen Organe und
die Probleme wirtschaftspolitischer Koordination spielen eine bedeutende Rolle für die
Bewer­tung der gegenwärtigen Krise des Euroraums.
Die Arbeiten unseres wissenschaftlichen Nachwuchses sind wichtige Bausteine für das
Verständnis der Einbettung von Märkten und Wirtschaftsorganisationen in histo­ri­­sche,
politische und kulturelle Zusammenhänge. Mit der IMPRS-SPCE, der Inter­natio­nal Max
Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Eco­no­my betreiben
Die Jahre 2013 und 2014
5
wir gemeinsam mit der Universität zu Köln und unseren internationalen Partnern ein
Dok­­
to­
randenprogramm, das Maßstäbe für die Qualifikation von Nachwuchswissen­
schaftlern in Deutschland setzt. In der IMPRS-SPCE haben seit ihrer Gründung im Jahr
2007 bereits 52 junge Forscherinnen und Forscher ihre Promotion vorbereitet oder abgeschlossen. Die meisten haben Karrierewege in der Wissenschaft gewählt, andere haben
nun eindrucksvolle Aufgaben in öffentlichen Institutionen oder in der Wirtschaft. Viele
bleiben dem Institut verbunden und sind Teil eines Netzwerks mit den heutigen Wissen­
schaftlern am MPIfG, das wir mit Freude weiter ausbauen werden. Zukünftig wollen wir
unsere Alumni noch stärker als bislang in den fachlichen und öffentlichen Dialog einbeziehen. Für diese Absicht und die damit verbundenen Maßnahmen sind wir im vergangenen Jahr mit Fördergeldern ausgezeichnet worden. Wir haben bereits begonnen, einige der
geplanten Maßnahmen in die Tat umzusetzen.
Über die Kooperation mit nationalen Forschungseinrichtungen hinaus haben wir in den
vergangenen Jahren mit einer Anzahl führender Forschungsinstitute im Ausland Aus­
tausch­beziehungen auf- und ausgebaut, darunter in Europa mit Forschungszentren der
Sciences Po in Paris, dem European University Institute in Florenz sowie in den USA
mit der University of California, Berkeley, der Harvard University, dem Massachusetts
Institute of Technology (MIT) in Cambridge und der Northwestern University in Chicago.
Unser engster Partner ist heute die Pariser Hochschule Sciences Po, mit der wir seit 2012
durch das gemeinsame Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market
Societies eine innovative und enge Form der Zusammenarbeit etabliert haben. Zwei Nach­
wuchs­gruppen forschen am MaxPo gemeinsam zu den neuen Formen der Instabilität in
westlichen Gesellschaften, die einer weitreichenden Liberalisierungspolitik, einhergehend
mit technologischem Wandel und großen kulturellen Veränderungen zuzuschreiben
sind. Ein internationales Gästeprogramm und Vortragsreihen mit Beteiligung führender
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sorgen für einen lebendigen Austausch zwischen Forschern aus Europa und den USA. Die Arbeit des Centers fördert die internationale Sichtbarkeit der Sciences Po und des MPIfG und stärkt damit auch die europäische
Soziologie und Politikwissenschaft.
Eine Vielzahl von Veranstaltungen prägte das Institutsleben in den Jahren 2013 und 2014.
Sie umspannten die Felder der Politischen Ökonomie, der Wirtschaftssoziologie und
der Wirt­schafts­geschichte. Themen waren etwa der Finanzmarktkapitalismus, die Demo­
kratie im Zeitalter der Liberalisierung, der Wandel des Sozialstaats, die Folgen von
Austeri­­täts­politik, die Ökonomisierung des Sozialen, Vermögen und soziale Ungleichheit
sowie Pro­­zes­se der Marktentstehung und der Wertbildung auf Märkten. Und wie in der
Vergangenheit entstanden am Institut zahlreiche Bücher und Aufsätze, die weite
Verbreitung in der Wissenschaft und auch in der Öffentlichkeit fanden. Zahlreiche Gäste
aus dem In- und Ausland bereicherten den akademischen Diskurs, und eine Reihe unserer
jungen Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler wurden für ihre Arbeiten mit angesegezeichnet. All dies do­
ku­
mentiert dieses Jahrbuch. Einige der
henen Preisen aus­
Erkenntnisse, die aus unseren Forschungsprojekten hervorgingen, wollen wir Ihnen auf
den folgenden Seiten vorstellen.
6
Editorial
In der wissenschaftlichen Welt wie auch in der Öffentlichkeit initiieren unsere Forschungs­
ergebnisse Diskussionen über die Folgen der Krise des Kapitalismus, der Öko­no­mi­sierung,
der wachsenden Ungleichheit in unserer Gesellschaft und zum Verständnis wirtschaftlicher Prozesse. Wolfgang Streecks Buch „Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ fand national und international breites Interesse und stieß eine
Debatte über die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-, Fiskal- und Wirtschaftskrise und
die Reformierbarkeit der Europäischen Union an. Armin Schäfer trug mit seiner For­
schung über die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland und der davon ausgehenden
Gefahr für die Demokratie zur wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskussion über den
Legitimationsverlust der Politik und die Chancen einer Eindämmung dieses Trends bei.
Philip Maders viel beachtete und mit zwei renommierten Preisen ausgezeichnete Promo­
tions­arbeit brachte das öffentliche Bild der Mikrofinanz als Maßnahme zur Armuts­be­
kämpfung ins Wanken.
Im Oktober 2014 haben wir unseren langjährigen Direktor und Kollegen Wolfgang Streeck
mit einem internationalen wissenschaftlichen Kolloquium und einer Festveranstaltung zu
seinen Ehren verabschiedet. Auf der Basis, die seine Vorgänger Renate Mayntz und Fritz W.
Scharpf geschaffen haben, hat er das MPIfG zu der renommierten Forschungsinstitution
heranwachsen lassen, die es heute ist. Ihm gilt unser großer Dank – für die vergangenen
fast zwanzig Jahre seiner Direktorentätigkeit am MPIfG und die vielen innovativen wissenschaftlichen Beiträge, mit denen er zur herausragenden internationalen Sichtbarkeit
und Reputation des Instituts beitrug.
Vor uns liegen Jahre, für die wir uns wiederum anspruchsvolle Ziele gesetzt haben. Unsere
gegenwärtigen Forschungsprojekte werden unser Wissen über gesellschaftliche Ent­wick­
lungs­prozesse weiter vertiefen und neue Erkenntnisse bringen. Auf der Grundlage unserer
in mehr als dreißig Jahren gewachsenen wissenschaftlichen Expertise wollen wir weiterhin
als führende sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtung in Deutschland und der Welt
dazu beitragen, dass wir soziale und politische Entwicklungen besser verstehen lernen und
damit nicht nur einen Beitrag zur Spitzenforschung leisten, sondern auch zur politischen
Kultur unseres Landes.
Jens Beckert
Die Jahre 2013 und 2014
7
Interview
Zeitgeschichte und Diffusionsforschung –
Zwei innovative Forschungsvorhaben
Die Zeithistorikerin Ariane Leendertz und der Soziologe Mark Lutter im Gespräch über
unter­schiedliche Ansätze in der Soziologie und Geschichtswissenschaft und die Arbeits­
vor­ha­ben ihrer Forschungsgruppen.
Moderation: Ralf Grötker
Ariane Leendertz
Mark Lutter
Zwei neue Forschungsgruppen erweitern seit 2014 die thematische Basis des MPIfG. Die Gruppe „Öko­­no­­misierung
des Sozialen und gesellschaftliche Komplexität“ (Leendertz) ist die erste For­schungs­­gruppe am MPIfG mit zeithis­
torischem Schwerpunkt. Ziel der For­schungs­­grup­pe „Transnationale Diffusion von Innovationen“ (Lutter) ist der
Entwurf einer empirisch fundierten soziologischen Theorie der Diffusion.
RAlf Grötker Herr Lutter, Frau Leendertz – was sind die übergreifenden Themen
Ihrer Forschungsgruppen?
Mark Lutter Allgemein gesprochen beschäftigen wir uns mit sozialen
Struk­turen, die relevant sind für Prozesse der Ausbreitung oder Diffu­sion.
Solche Strukturen können beispielsweise Netzwerke sein, innerhalb derer
sich Informationen verbreiten, oder bestimmte Praktiken wie etwa Gleich­
stel­lungspolitik in Unternehmen. Aber auch Gesetze, die in ähnlicher Form
über einen gewissen Zeitraum hinweg in vielen Ländern eingeführt werden,
zählen wir dazu. Unsere übergreifende These ist, dass Ausbreitungsprozesse
Zeitgeschichte und Diffusionsforschung
9
jeglicher Art maßgeblich von der Netzwerkeinbettung gesteuert werden –
und nicht notwendigerweise dadurch, dass das, was besonders erfolgreich ist,
die besten Qualitäten aufweist.
Was hat das mit Ihrem bisherigen Forschungsthema zu tun –
den Winner-take-all-Märkten?
Lutter In beiden Fällen geht es um die Konzentration von extremem Erfolg.
Diffusion ist eine Variante einer solchen Erfolgskonzentration. Und in beiden
Fällen geht es um die Auseinandersetzung mit den Wirtschaftswissenschaften,
die davon ausgehen, dass die erfolgreichsten Lösungen zugleich immer auch
die optimale Antwort auf die Anforderungen des Marktes darstellen. Genau
das stellen wir in Frage.
ARiane Leendertz Für meine Forschungsgruppe besteht die Herausfor­de­rung
hauptsächlich darin, an einem gesellschaftswissenschaftlichen Institut genuin
zeitgeschichtliche Perspektiven zu etablieren. Die Zeitgeschichte ist den Sozial­
wissenschaften nicht fremd. In der Sozialforschung geht es oft da­rum, die
Wurzel von Problemen, mit denen wir heute zu kämpfen haben, in der Ver­
gangenheit ausfindig zu machen. Wir Historiker sind dagegen eher be­strebt,
uns gewissermaßen von der Gegenwart abzukoppeln. Uns inte­res­sie­ren Mög­
lich­keitskonstellationen, die es in der Vergangenheit gab. Von die­sen Kon­stel­la­
tio­nen führt jeweils nur ein einziger Weg in die heutige Wirklichkeit. Wir
wollen aber auch die anderen Pfade untersuchen.
Wie kann man so etwas in einem Forscherteam angehen?
Leendertz Die Gruppe hat ein gemeinsames Dach: Die Geschichte der
60er- bis 90er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Uns interessiert: Gibt es
in diesem Untersuchungszeitraum, insbesondere in den 70er- und 80er-Jah­
ren, tatsächlich so etwas wie einen Strukturbruch? Viele Sozialhistoriker
behaupten das. Uns interessiert insbesondere der Aspekt der ebenfalls häu­fig
behaupteten Ökonomisierung des Sozialen. Lässt sich so etwas beobach­ten?
Um dieser Frage nachzugehen, müssen wir viele unterschiedliche Phä­no­me­
ne zugleich untersuchen und auf mögliche Zusammenhänge hin analysieren.
Das ist ganz anders als in der empirischen Sozialforschung.
Was genau ist der Unterschied? Man könnte vielleicht sagen, dass die generalisier­
baren Aspekte in der Forschung von Mark Lutter eine größere Rolle spielen: über­
greifende Prinzipien; Methoden, die immer weiter verfeinert werden; Datenbanken,
die man als Experimentierfeld aufbaut.
Lutter Am Ende sind wir bestrebt, Kausalaussagen darüber zu machen, wie
Ausbreitungsprozesse funktionieren. Meine Hoffnung wäre natürlich, dass wir
damit auch Historikern, die sich mit spezifischen Veränderungsprozessen befas­
sen, Erkenntnisse über Veränderungsmechanismen an die Hand geben können.
10
Interview
Worauf achten Sie besonders beim Aufbau Ihrer Forschungsgruppen?
lutter Das thematische Interesse ändert sich oft während der Betreuung.
Ich selbst versuche dabei, den Doktoranden meine eigenen Erfahrungen und
Vorstellungen davon mit auf den Weg zu geben, wie sozialwissenschaftliche
Forschung aussehen sollte. Vornehmlich wünsche ich mir eine Soziologie, die
das, was sie be­haup­tet, auch empirisch zu belegen und falsifizieren versucht.
Leendertz Die Mitglieder der Gruppe müssen die Geschichte des westeuro­
pä­ischen und US-amerikanischen zwanzigsten Jahrhunderts sehr gut kennen.
Spezielle thematische Interessen spielen eine geringere Rolle. In der histori­
schen Forschung gibt es einen starken gemeinsamen Kern in der Methodik:
die Quellenarbeit. Ausgehend davon gibt es unterschiedliche Verfahren, um
Hypo­thesen zu belegen. Anders als bei den Forschungsmethoden von Mark
Lutter gehören dazu auch qualitative Diskursanalysen.
Was konkret hat Ihre Forschungsgruppe bislang unternommen?
Leendertz Wir haben mit Begriffsklärung begonnen. Was verstehen wir
unter „Ökonomisierung des Sozialen“? Damit haben wir uns in einer
Ar­
beits­­­­
gruppe befasst, der auch Kolleginnen der Universität angehören.
Unser Ziel dabei ist nicht, eine Zeitdiagnose zu entwerfen, sondern vielmehr,
einen analytischen Kern des Ökonomisierungsbegriffes herauszuarbeiten.
Solch ein Kern kann zum Beispiel in Strukturmerkmalen bestehen, die nicht
beschränkt sind auf die Entwicklung zu einem bestimmten historischen
Zeit­­punkt. Allerdings gilt unser Interesse nicht der Ökonomisierung per
se, son­dern Transformationen und Umbrüchen im sogenannten „langen“
zwan­­zig­sten Jahrhundert allgemein, und hierbei insbesondere der Perio­di­sie­
rung. Die Epoche der 70er- und 80er-Jahre wird zum Beispiel oft beschrie­ben
als das Ende des organisierten Kapitalismus. Uns interessiert: Was genau ist
da zu Ende gegangen? Was hat neu begonnen? Kann Ökonomisierung als
Analyserahmen eine andere Perspektive auf das vergangene Jahrhundert
er­öff­nen und damit Wandlungsprozesse im späten zwanzigsten und frühen
einundzwanzigsten Jahrhundert besser greifbar und verstehbar machen?
Denn das ist ja auch gerade eine große Herausforderung der Zeitgeschichte,
nämlich Wege zu finden, wie man die allerjüngste, bis in die Gegenwart rei­
chende Phase der Vergangenheit adäquat beschreiben kann.
Lutter Versuchst Du auch, Ökonomisierung zu erklären, statt diese zu
be­schreiben? Suchst Du auch nach Faktoren, die zu der Entwicklung beitragen?
Leendertz Ja, natürlich. Aber zunächst einmal gilt es, mithilfe eines
spezi­
fi­
schen Begriffs- und Analyserahmens überhaupt darzustellen, was
denn eigent­
lich „die Entwicklung“ war – historistisch ausgedrückt: dar­
zustellen und zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Beschreibung und
Erklärung sind in der geschichtswissenschaftlichen Arbeitsweise, ebenso wie
in der his­
to­
rio­
grafischen Darstellung der Forschungsergebnisse, zumeist
Zeitgeschichte und Diffusionsforschung
11
eng ineinander verschränkt. Um zu verstehen, was geschehen ist, müs­
sen wir natürlich auch zu erklären versuchen, warum etwas geschehen ist
oder was zu der beschriebenen Entwicklung beigetragen hat. Anders als
viele Sozialwissenschaftler verknüpfen wir unsere Erklärungen aber in der
Regel nicht mit der Suche nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, sondern
finden sie jeweils in sehr spezifischen historischen Konstellationen und
einem komplexen, nur teilweise in Kausalbeziehungen aufzulösendem
Zusammenspiel von Faktoren und Kontingenzen. Um ein Verständnis von
so etwas wie Ökonomisierung zu erhalten, schauen Historiker sich bei­
spielsweise über einen längeren Zeitraum hinweg den Einfluss von ökono­
mischen Experten in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern an, wie
der öffentlichen Verwaltung und der Politikberatung. Oder die Rolle der
Wirtschafts-Thinktanks und von Wirtschaftsgutachten, die von der Politik
eingeholt werden. Oder den Stellenwert von Wirtschaft in den Medien. Das
Geschäftsfeld von Beratungsfirmen, die auf einmal in Stadtverwaltungen
und Ministerien eine sehr aktive Rolle spielen. Wir diagnostizieren dann eine
Öko­nomisierung dort, wo diese Akteure in Bereiche eindringen, wo sie zuvor
noch nicht präsent waren.
Herr Lutter: Auf welchem Stand ist Ihr Forschungsteam?
lutter Derzeit untersuche ich die Rolle sozialer Akzeptanz bei der Ausbreitung
neuer Organisationsformen oder Praktiken. Eine Studie, an der ich zusammen
mit Luke Dauter von der University of California-Berkeley arbeite, untersucht
anhand der Ausbreitung von Charter-Schulen in den USA, wie die schrittweise
Zunahme der sozialen Akzeptanz dieser neuen Organisationsform ihre weitere
Ausbreitung bestimmt – und zwar unabhängig von ihrer Performanz oder
ihrer tatsächlichen Notwendigkeit (also beispielsweise dann, wenn die alten
Schulformen in Schultests als gut evaluiert werden). Eine weitere Studie, die ich
gemeinsam mit Daniel Kinderman von der University of Delaware verfasse,
untersucht die Bestimmungsfaktoren der zunehmenden Ausbreitung von
Corporate Social Responsibility (CSR) bei Organisationen in OECD-Ländern
seit den frühen 80er-Jahren. Während bisherige Studien die These vertreten,
CSR verbreite sich als „institutionelles Substitut“ gerade in Zeiten zunehmen­
der Marktliberalisierung, behaupten andere, dass CSR die Rolle einer „institu­
tionellen Spiegelung“ bestehender organisierter Marktwirtschaft zukommt.
CSR breitet sich hiernach besonders stark in koordinierten Ökonomien aus. In
dieser Studie argumentieren wir, dass beide Lager richtig liegen, allerdings zu
unterschiedlichen Zeitpunkten und unter verschiedenen Bedingungen. CSR ist
zuerst ein institutionelles Substitut, dessen Ausbreitung mit Liberalisierung
korreliert. Gewinnt CSR jedoch an sozialer Akzeptanz durch ihre eigene
Ausbreitung, so wendet sich das Blatt. Ihre Ausbreitung wird dann auch in
koordinierten Makroökonomien wahrscheinlich. Voraussetzung hierfür ist
aber eine vorherige ausreichende Zunahme an CSR-Praktiken und damit ein
ausreichender Gewinn an Legitimität.
12
Interview
Mehr Informationen zu den Forschungsgruppen
Forschungsgruppe „Ökonomisierung des
Sozialen und gesellschaftliche Komplexität”
Ariane Leendertz
Die Forschungsgruppe untersucht die Zusammenhän­
ge zwischen dem politischen und wissenschaftlichen
Um­­­gang mit gesellschaftlicher „Komplexität“ und der
„Öko­no­mi­sierung des Sozialen“ seit den 1970er-Jah­
ren. Auf das seinerzeit konstatierte politische Pro­­blem
vermeintlich zunehmender gesellschaftlicher Kom­
plexi­­­
tät gab es unterschiedliche Antworten. Eine
Forschungsgruppe „Trans­nationale Dif­fu­­­sion
von Innova­tio­nen“
Mark Lutter
davon lautete, als zu „komplex“ erscheinende Zu­sam­
menhänge aus dem Aufgabenbereich des Staa­
tes
heraus zu definieren und gesellschaftliche Steuerung
anderen Kräften, wie dem Markt, zu überlassen. Mit
In einer globalisierten Gesellschaft spielen Inno­va­tio­
diesem Argument wurden, ausstrahlend von den USA
nen eine immer bedeutende­re Rolle. Doch welche Fak­
und Großbritannien, Deregulierung und wirtschaftli­
to­
ren bestimmen, wie sich Innovationen zwischen
che Liberalisierung vorangetrieben. Vor diesem
Indi­­vi­­duen, Netzwerken, Organisationen und Ge­sell­
Hintergrund ist es das Ziel der Forschungsgruppe, mit
schaf­
ten ausbreiten? Wie setzen sich neue Orga­
ni­
der „Ökonomisierung des Sozialen“ einen Analyse­rah­
sationsformen, Gesetzgebungen, technische Errun­
men zu entwickeln, der wirtschafts- und sozialgeschicht­
genschaften oder kulturelle Normen, Moden und
liche sowie ideen- und kulturgeschichtliche Perspek­ti­
Ge­schmack durch? Die Forschungsgruppe ar­bei­tet am
ven integriert. Zugleich soll das Konzept diachron
Entwurf einer soziologischen Theorie der Diffusion.
offen sein, um die Einbettung der Zeit nach den
Besonderes Inte­resse liegt dabei auf der Analyse sozia­
1970er-Jahren in die Geschichte des langen zwanzigs­
ler Prozesse und deren Wirkung auf die Ver­brei­tung
ten Jahrhunderts zu ermöglichen.
von Innovationen. Inwiefern lassen sich Diffu­
sions­
Potenzielle Themen: Vermarktlichung von politischer
prozesse durch so­
zia­
le Einbettungsformen des Han­
Sprache und Politikfeldern; Rhetoriken und die Praxis
delns wie etwa soziale Ansteckung, Interaktion, Netz­
von Kosten-Nutzen-Analysen in der Politik; Subjekti­
werke sowie soziale und kulturelle Kapitalformen
vie­rungsprozesse im Sinne einer „Ökonomisierung des
erklären?
Selbst“; der Einfluss von Unternehmensberatungen in
Potenzielle Themen: Ausbreitung und Akzeptanz
der Politik; soziale und kulturelle Bedeutung der
von Charter-Schulen in den USA; Ausbreitung und
Expansion des Finanzsektors.
Akzeptanz von CSR-Organisationen in OECD-Ländern.
Zum Weiterlesen
Zum Weiterlesen
Lutter, M.: Do Women Suffer from Network Closure? The
Leendertz, A.: Medialisierung der Wissenschaft: Die öffentli-
Moderating Effect of Social Capital on Gender Inequality
che Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft und der Fall
in a Project-Based Labor Market, 1929 to 2010. American
Starnberg (1969–1981). Geschichte und Gesellschaft 40(4),
Sociological Review, 80(2), 329–358 (2015).
555–590 (2014).
Lutter, M.: Strukturen ungleichen Erfolgs: Winner-take-all-
Leendertz, A.: „Finalisierung der Wissenschaft“:
Konzentrationen und ihre sozialen Entstehungskontexte auf
Wissenschaftstheorie in den politischen Deutungskämpfen der
flexiblen Arbeitsmärkten. Kölner Zeitschrift für Soziologie
Bonner Republik. Mittelweg 36 22(4), 93–121 (2013).
und Sozialpsychologie, 65(4), 597–622 (2013).
Zeitgeschichte und Diffusionsforschung
13
14
Vermögensungleichheit in
Europa
Die Politik der Qualität*
Voraussetzungen geldpoliti­
scher Steuerung
Soziale Bewegungen und die
Entstehung neuer Märkte
Qualitätsbildung*
Politische Ökonomie der
Photo­voltaikindustrie
> Seite 37
Konjunkturprognosen und der
Umgang mit Unsicherheit in
der Wirtschaft*
Illegale Märkte in der Krise
> Seite 19
Historisch-institutionelle
Grund­lagen von Mieter- und
Haus­eigentümerländern
> Seite 61
Global Governance und
Corporate Social Responsibility*
Forbes 400: Die Superreichen in
den USA
Finanzkriminalität
Fiktionalität und kapitalistische
Dynamik
> Seite 29
Evaluationssysteme für den
Führungskräftenachwuchs*
Die Struktur illegaler Märkte
> Seite 15
Die Rolle von Intermediären
bei der Wertbildung auf
Märkten*
Die Produktion von kulturellen
Bedeutungen und Bildung von
Preisen auf dem Weinmarkt*
Kapitalistische Entwicklung
und der Markt für Unter­
nehmenskontrolle
Die politische Ökonomie von
Bankenrettungspaketen*
Die politische Ökonomie privater Verschuldung*
> Seite 55
„Winner-take-all“-Märkte in der
Kultur- und Kreativwirtschaft
Die Entstehung und
Ausbreitung sozialer Normen
Die Bedeutung von
Legitimation bei der Diffusion
von Innovationen
FORSCHUNGSGRUPPE
TRANSNATIONALE DIFFUSION
VON INNOVATIONEN
> Seite 9
Positionsbildung europäischer
Gewerkschaften
Die „New Economy“ des industriellen Kapitalismus*
> Seite 103
Die politische Ökonomie des
Bestattungsmarktes*
> Seite 97
Nationale Parlamente und die
wirtschaftspolitische Steue­rung
der Europäischen Union
Lohnfindung im Euroraum
Verknüpfung von Steuer, Sozialund Finanzpolitik in Ostasien*
Umweltprogramme in katholi­
schen Ordensgemeinschaften
Transnationale Politik und pro­
fessionelle Expertise*
Transnationale Governance und
Landnahme*
Trajektorien transnationaler
Governance
Streit um das Urheberrecht*
Soziale Mobilisierung und
Landbesitz in Brasilien
Politik und Skaleneffekte*
Patente und Professionen*
Die Politische Ökonomie von
Wechselkursanpassungen
Mikrofinanz und Finanzia­
lisierung*
Die Dynamiken der „Inte­gra­
tion durch Recht“
Neue Mächte in der Gover­
nance des Welthandels*
Internationale Rechnungs­
legungsstandards in Afrika
Austeritätspolitik in der Euro­
zone*
Die Politische Ökonomie der
„Integration durch Recht“*
Global-lokale Interaktionen in
grenzüberschreitender
Governance*
Eliten auf Probe*
FORSCHUNGSGRUPPE
GRENZÜBERSCHREITENDE
INSTITUTIONENBILDUNG
Populäre Gegenwarts­­diagno­sen
Gesellschaftliche „Komplexität“
FORSCHUNGSGRUPPE
ÖKONOMISIERUNG DES
SOZIALEN UND GESELL­SCHAFT­
LICHE KOMPLEXITÄT
> Seite 9
FORSCHUNGSGRUPPE
POLITISCHE ÖKONOMIE DER
EUROPÄISCHEN INTEGRATION
Wirtschaft und Sozial­part­
nerschaft*
Staatsverschuldung und
Staatstätigkeit
> Seite 49
Soziale Bedingungen und
Folgen flexibler Arbeits­märkte*
> Seite 67
Kollektive Arbeitskonflikte
in China
Klassenmacht, Staat und
Politikwechsel*
Die Institution Familie im
Kontext sozialen und ökonomi­
schen Wandels Die europäische Wirtschaftsund Sozialintegration
Die Finanzkrise des Staates im
Kapitalismus der Gegenwart
Dezentralisierung und Wohl­
fahrtsstaat*
Demokratie im Zeitalter der
Liberalisierung*
> Seite 89
Das Zeitalter des NeoProtestantismus?*
Braucht die Wirtschaft
Sozialpolitik?*
Ausbildung und Institu­tio­nen­
bildung in der philippinischen
Animationsindustrie*
INSTITUTIONELLER WANDEL IM
GEGENWÄRTIGEN
KAPITALISMUS
Wie soziale Bewegungen
Märkte verändern*
Die politische Regulierung im
Weinmarkt*
Wie sind Märkte möglich?
SOZIOLOGIE DER MÄRKTE
Auswirkungen der Finanzkrise
auf Kinderarmut*
Aus der Forschung: Übersicht über die Forschungsprojekte am MPIfG seit 2013
Illegale Märkte in Postkon­flikt­
gesellschaften*
> Seite 22
Geburtenverhalten im regionalen sozialen Kontext*
> Seite 73
Entwicklung der Berufsbildung
Die Verschuldung privater
Haushalte in der Austerität*
Die Regulierung bezahlter
Hausarbeit
Die Politische Ökonomie sozio­
technischen Wandels
Die Mikrofundierung der
Finanzialisierung
Der illegale Markt für
Rhinozeroshorn*
> Seite 25
Der Arbeitstag der Taxifahrer
in Warschau
IMPRS-SPCE DOKTORANDEN­
PROGRAMM: DISSERTATIONS­
PROJEKTE
Methodenberatung laufender
Projekte
Wissensproduktion und Social
Media*
Sozialwissenschaftliche Theo­rie
und politische Praxis*
Interessenbildung in virtuellen
Gruppen
THEORIEN UND METHODEN
Normative Grundlagen und
Grenzen politischer Legiti­mität
> Seite 81
Globalisierung und Gover­nance
GLOBALE STRUKTUREN UND
IHRE STEUERUNG
Wirtschaftlicher Wandel und der
Konflikt um Steuer­refor­men
Vermarktung von Kulturen*
Unsicherheiten und ihre Folgen
für das Geburtenverhalten
Status und Exploration im
Literaturmarkt
Staatsverschuldung und
Staatstätigkeit*
Sphärenintegration und
Unsicherheiten bei
Auslandsadoptionen*
Sozialpolitische Präferenzen in
Entwicklungsländern*
Rassenausgrenzung und regio­
nale Entwicklung
Politische Ökonomie von
Haushaltsüberschüssen*
> Seite 43
Politische Responsivität im
Kontext sozialer Ungleichheit
Neue politische Parteien als
Innovatoren*
Moralische Grundlagen von
Wohnungsmärkten*
Moralische Anfechtung und
der Markt für sexuelle
Dienstleistungen*
Lobbying von Reformen im
Finanzsektor
Lebenswelten großer Familien
im Hartz-IV-Bezug*
Koordination und Konkurrenz
um erneuerbare Energien*
Kontinuität und Wandel in
neoliberalen Entwicklungs­
ländern
Klassenpolitik in ethnischen
Konflikten*
* abgeschlossene Projekte grün: Beiträge in diesem Jahrbuch
THEMA: Illegale Märkte
Grauzone Schwarzmarkt
Die Abgrenzung ist alles andere als einfach: Seit 2012 widmet sich das Max-Planck-Institut für
Gesellschaftsforschung in Köln dem Themenfeld „Illegale Märkte“. Doch nicht überall sind
Herstellung, Vertrieb und Konsum gleichermaßen kriminell wie bei Drogen oder Kinderpornografie.
Wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden um Direktor Jens Beckert forschen zu
Produktfälschungen in Argentinien, zum Abbau und Handel mit Diamanten in Sierra Leone, zum
Handel mit Rhinozeroshorn und zu Finanzmarktkriminalität – ein Blick auf ein innovatives, wirt­
schaftssoziologisches Projekt.
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
15
Interview
„Die Übergänge sind fließend“
Kein Markthandeln findet ausschließlich illegal statt, nie ist es völlig abgetrennt von der
legalen Wirtschaft. Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschafts­for­
schung, findet die Übergänge zwischen den Ökonomien darum besonders interessant.
Jens Beckert im Interview; die Fragen stellte Ralf Grötker
Ralf Grötker Warum beschäftigen Sie sich am MPIfG mit illegalen Märkten?
Jens Beckert In meinem Forschungsbereich befassen wir uns vor allem
mit der Soziologie des Marktes. Bislang sind wir dabei stillschweigend von
der Annahme ausgegangen, dass sich Markthandeln vor allem im legalen
Rah­men abspielt. Mit dem neuen Forschungsbereich wollen wir austesten,
inwiefern sich bisherige Fragestellungen und Methoden auch auf die Erfor­
schung von illegalen Märkten ausweiten lassen.
Welche neuen Erkenntnisse erhoffen Sie sich dabei?
Illegale Märkte sind zunächst einmal interessant, weil sie eine erhebliche
wirt­schaftliche und soziale Bedeutung haben. Über die Beschäftigung damit
erfährt man aber indirekt auch etwas über die Voraussetzungen, auf denen
legale Märkte aufbauen. Man kann zum Beispiel sehr gut erkennen, welche
Folgen es hat, wenn bestimmte unterstützende Strukturen wegfallen, etwa der
Schutz von Eigentumsrechten. Akteure auf illegalen Märkten müssen mitei­
nander kooperieren, ohne sich auf den Rechtsschutz des Staates verlassen zu
können. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Organisation dieser Märkte.
Welche Folgen sind dies?
Auf illegalen Märkten sind die Beziehungen der
Wirtschaftsakteure untereinander fast vollstän­ Illegale Märkte kom­men
dig beschränkt auf persönliche Netzwerke, in so­zusagen nicht aus ihren
denen enge Vertrauensbeziehungen aufgebaut Kin­der­­schuhen heraus.
werden können, wo aber auch Fehlverhalten
schnell bestraft werden kann. Das hat dann aber auch Folgen für die
Organisationsform: Unternehmen können sich nicht so stark ausdehnen wie
in der legalen Wirtschaft. Illegale Märkte kommen sozusagen nicht aus ihren
Kinderschuhen heraus.
16
Aus der Forschung
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Was sind Ihre Forschungsfragen?
Uns interessiert, wie die Kooperation der Marktteilnehmer unter Bedin­gun­­
gen des fehlenden Rechtsschutzes funktioniert. Wie organisiert sich Wett­be­
werb? Wie können Abnehmer von illegalen Waren den Wert eines Produktes
erkennen? Schließlich gibt es für illegale Waren, seien es nun gefälschte
Markenprodukte oder Drogen, weder Werbung noch Produktsiegel oder
eine Stiftung Warentest. Ein Beispiel: Bei den Imitaten von Markenkleidung
gibt es tatsächlich unterschiedliche Qualitäten – und es gibt auch ein ver­
breitetes Know-how, wie man diese erkennen kann. Darauf sind wir bei der
Recherche in Onlineforen gestoßen. Interessanterweise aber werden viele
Konsumenten, die gezielt Produktimitate kaufen – das haben wir beobach­tet –, das Gefühl, es mit einer Fälschung zu tun zu haben, nie ganz los. Selbst
wenn sie ihre Umwelt erfolgreich täuschen. Denn in ihrem Herzen sind diese
Konsumenten Markenfans. Dieses Phänomen könnte auch erklären, warum
die Industrie oft nur halbherzig gegen Markenpiraterie vorgeht: Gewis­ser­
maßen trägt der Handel mit Imitaten zur Werthaltigkeit der Marke bei.
Werden die Forschungsergebnisse auch für die Politikberatung relevant sein?
Wir haben in erster Linie ein systematisches Interesse. Deshalb haben
wir zum Auftakt des Projekts auch eine umfangreiche Untersuchung
durchgeführt, in der wir versuchten, die verschiedenen Formen illegaler
Märkte gegeneinander abzugrenzen. Dennoch sind die Ergebnisse ein­
zelner Forschungsprojekte auch ganz unmittelbar praxisrelevant. Bei der
Untersuchung zum Handel mit Rhinozeroshorn im südlichen Afrika zum
Beispiel hat unsere Wissenschaftlerin herausgefunden, dass Wilderer, die das
Horn liefern, den Artenschutz als eine Fortsetzung kolonialer Entrechtung
sehen. Diese Tatsache wird man bei Maßnahmen zum Schutz der Nashörner
berücksichtigen müssen.
Ist es für Wissenschaftler nicht sehr schwierig, sich Zugang zu Informationen
über illegale Märkte zu verschaffen?
Ehrlich gesagt, ich war überrascht, als wie viel leichter als gedacht sich die Infor­
ma­­tions­be­schaf­­fung letztendlich herausstellte. Unsere Wissenschaftler haben
bei­­spiels­­weise Gefängnisinsassen interviewen können. Auch Gerichtsakten und
Po­­­li­zei­­­do­ku­mente sind für die Erforschung illegaler Märkte eine große Hilfe. In
wieder anderen Fällen hat sich der investigative Journalismus als informative
Quelle erwiesen. Alle Forscher waren im Feld und hatten direkten Kon­takt
mit den Marktakteuren, die zumeist Auskunft erteilt haben. Forschung in dem
Bereich braucht viel Vorbereitung und Umsicht. Doch sie ist möglich. Keiner
unserer Forscher ist je in eine wirklich gefährliche Situation gekommen.
„Die Übergänge sind fließend“
17
Welche anderen Überraschungen haben Sie bislang erlebt?
Eine echte Überraschung war, festzustellen, wie eng
legale und illegale Marktsegmente oftmals mit­ein­ Die Verschränkung von
an­der verbunden sind – vor allem in solchen Be­rei­ legalen Strukturen und
chen, wo ungesetzliche Praktiken von den Markt­ illegalen Handlungen
teil­nehmern nicht zugleich als moralisch ver­werf­ gehört mit zu den
lich eingestuft werden. Der fließende Über­gang von interessantesten For­
Legalität und Illegalität zeigt sich auch in einem schungs­fragen in der
Bereich, in welchem wir eben erst ein neues Pro­jekt Untersuchung illegaler
begonnen haben: Finanz­
markt­
kriminalität. Hier Märkte.
finden illegale Handlungen im Kontext völlig legaler
Orga­nisations- und Marktstrukturen statt. Uns ist klar geworden, dass die Ver­
schrän­kung von legalen Strukturen und illegalen Handlungen mit zu den inte­
res­santesten Forschungsfragen in der Untersuchung illegaler Märkte gehört.
Jens Beckert
Jens Beckert ist seit 2005 Direktor am MPIfG und Professor für So­zio­logie an der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakul­tät der Uni­ve­rsität zu Köln.
Fachgebiete: soziale Einbettung der Wirtschaft, insbesondere anhand der Unter­
suchung von Märkten; Organisationssoziologie; So­zio­logie der Erbschaft; soziologi­
sche Theorie.
18
Aus der Forschung
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Die große Chance
Matías Dewey
Protokoll: Ralf Grötker
La Salada, in einem Vorort von Buenos Aires gelegen, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem
bedeutenden Umschlagplatz für preiswerte Kleidung in Argentinien entwickelt. An mehr als 7.800
Ständen verkaufen Händler T-Shirts, Jeans, Jacken, Schuhe, Unterwäsche und Kindermode, ein
großer Teil sind Markenimitate. Vielen Standbetreibern gehören zugleich Sweatshops, in denen die
Textilien entworfen, Stoffe gekauft und zugeschnitten werden. Matías Dewey hat erfahren, warum
die Menschen hier durchaus zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Mein Bruder arbeitet als Soziologe bei einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die
Konfliktlösungsseminare für junge Frauen in Argentinien durchführt. Als zusätzlichen
Anreiz für die Teilnahme an den Seminaren bietet die NGO Feldhockeykurse an. Weil
ich früher einmal selbst professionell Hockey gespielt habe, war ich als Hockeylehrer
im Einsatz. Dabei wurde ich darauf aufmerksam, dass die Eltern von vielen der jun­
gen Frauen beruflich in La Salada tätig sind. So habe ich die ersten Kontakte für meine
Feldforschung geknüpft.
In La Salada kommen verschiedene Aspekte von Illegalität zusammen. Ein Großteil der hier
gehandelten Kleidung ist gefälschte Markenware. Außerdem besteht die Markt­sied­lung aus
nicht genehmigten Bauten. Und schließlich ist ein Großteil der in La Salada verrichteten
Arbeit illegal in dem Sinne, dass die Werkstätten dafür keine Steuern zah­len, die Regeln zur
Arbeitssicherheit nicht beachtet werden und es keine geordne­ten Arbeitsverhältnisse gibt.
Die Arbeiter in den Sweatshops haben zumeist einen Migrations­hintergrund.
Die große Chance
19
Was mich am meisten fasziniert hat, ist der Opti­
mis­mus der Menschen, die in La Salada tä­tig sind. Eine Arbeit, das heißt auch: ein
Die meisten von ihnen wissen, dass das, was sie Einkommen und eine
tun, nicht völlig legal ist. Aber niemand hier hat
tägliche Routine.
die Absicht, Mafiaboss zu werden oder mit schwe­
rer Kriminalität großes Geld zu verdie­nen. Sie
selbst definieren ihre Tätigkeit vor allem als Arbeit – körperliche Arbeit, bei der oftmals
er­lern­te Fähigkeiten zum Einsatz kommen. Eine Arbeit, das heißt auch: ein Einkommen
und eine tägliche Routine. Viele Verkäufer haben zuvor als Straßenhändler gearbeitet,
immer in informellen und extrem kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen. La Salada
ist für sie der erste richtige Job. Auf einmal sehen sie eine Zukunft für sich, können
sich einen Fernseher und vielleicht ein Auto leisten, einen Internetzugang bezahlen. Ein
Mann, den ich kennengelernt habe, hat früher als Getränkehändler gearbeitet. Jetzt ist er
Karrenschieber in La Salada. In den letzten acht Jahren hat er fünfmal sein Auto gewechselt.
Obwohl der Staat als Ordnungsmacht in La Salada so gut wie überhaupt nicht präsent
ist, kommt es erstaunlich selten zum Ausbruch von Gewalt. Vielleicht hat das aber auch
einfach damit zu tun, dass wir es hier nicht mit schwerer, organisierter Kriminalität zu
tun haben. Außerdem gibt es ein hohes Maß an „Gesetzestreue“ – wenn man das so sagen
kann. Die Händler in La Salada zahlen nämlich Steuern. Nicht im gewöhnlichen Sinn: Sie
bezahlen dafür, dass eigentliches Recht nicht durchgesetzt wird und sie ungestört ihren
Handel treiben können. Dieses Geld landet teilweise tatsächlich in den Kassen des Staates.
Und dass jemand seinen informellen Zahlungspflichten nicht nachkommt, passiert nur
selten. Dies hat paradoxerweise auch damit zu tun, dass es keine klaren Regeln gibt: Man
weiß einfach nicht, welche Folgen einem drohen können, wenn man die Zahlung verwei­
gern würde.
20
Aus der Forschung
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Obwohl La Salada illegal ist, stellt der Markt für
alle Beteiligten eine Win-win-Situation dar. Die
Händler haben ihr Auskommen, und die Kun­den
der Markt für alle Beteiligten eine
aus den unteren und mittleren Ein­kom­mens­grup­
Win-win-Situation dar.
pen können sich in La Salada mit Kleidung ver­
sorgen – für legale Ware fehlt ihnen wegen der
hohen Preise in Argentinien das Geld. Aus Sicht der Politik sind billige Kleidung und die
Schaffung von Arbeitsplätzen ein willkommener Ersatz für Wohlfahrtsleistungen. Diese
Dynamik stärkt nicht nur Marktbeziehungen, sondern auch klientelische Netzwerke und
bestehende Machtverhältnisse.
Obwohl La Salada illegal ist, stellt
Matías Dewey
Matías Dewey ist seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. Er ist Soziologe
und wurde 2008 an der Universität Rostock im Fach Politikwissenschaft promoviert.
Dewey ist Mitglied des Wissenschaftskomitees des Netzwerks argentinischer Wis­
sen­­schaftler in Deutschland (RCAA).
Forschungsinteressen: illegale Märkte; informelle Institutionen; Sozialtheorie; qua­
litative Sozialforschung; lateinamerikanische Studien.
Die große Chance
21
Erstaunliche Zusammenarbeit
Nina Engwicht
Protokoll: Ralf Grötker
In den Jahren des Bürgerkrieges terrorisierten Rebellen die Zivilbevölkerung in Sierra Leone,
um an „Blutdiamanten“ zu kommen und um mit ihnen zu handeln – im Tausch für Waffen aus
Liberia. Nach Kriegsende wurde der Diamantensektor sowohl im Land als auch auf internationaler
Ebene umfassend reformiert. Das Ziel: Die gesamte Wertschöpfungs- und Handelskette sollte der
staatlichen Kontrolle unterworfen werden. Das ist nur bedingt gelungen, wie Doktorandin Nina
Engwicht herausfand.
In Sierra Leone spielten im Bürgerkrieg zwischen 1991 und 2002 Diamanten, die ohne
Genehmigung abgebaut und unter Umgehung von Lizenzen und Zollbestimmungen
ge­han­delt wurden, eine wichtige Rolle als illegale Währung und bei der Geldwäsche. Beide
werden üblicherweise als Faktoren dargestellt, die Kriminalität und terroristische Struk­
turen begünstigen und dadurch auch die Stabilität der Nachkriegsgesellschaft gefährden.
In meiner Studie schaue ich auf die Überbleibsel des kriegsökonomischen Diamanten­mark­
tes. Mich interessiert, wie dieser Markt unter veränderten Kontextbedingungen im heutigen
Sierra Leone funktioniert, wie verbreitet illegale Diamantenproduktion und -handel heute
noch sind und in welcher Beziehung der illegale Diamantenmarkt zum legalen Markt und
zum Staat steht. Ich habe von Ende 2012 bis Juni 2013 sechs Monate im Land verbracht, um
Interviews und teilnehmende Beobachtungen durchzuführen. Am meisten erstaunt haben
mich die Gewaltlosigkeit und das hohe Maß an sozialer Integration und wie eng der legale
und der illegale Markt für Diamanten verzahnt sind. Ich habe mir zum Beispiel die großen
Marktplätze für illegalen Diamantenhandel angeschaut.
22
Aus der Forschung
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Sie sind gut organisiert: Es gibt für jeden dieser Märk­te einen Vorsitzenden. Auf einem der un­­
ter­­
suchten Marktplätze gab es neben diesem „Chair­­
man“ auch einen Ältestenrat, einen
Sekretär und einen Vizesekretär, einen Schatzmeister, einen Buch­­­prüfer, einen PR-Beauftragten
und weitere Pos­­ten. Wer auf einem solchen Markt als Händler tä­tig werden will, muss sich
zuerst registrieren lassen.
Das gesamte Marktgeschehen wird dominiert
von Akteuren, die erstaunlich kollabora­tiv agie­
ren, also eher reibungslos zusammenwirken. Die
die Gewaltlosigkeit, das hohe Maß
Händler verkaufen nicht nur an End­
kunden,
an sozialer Integration und wie eng
sondern immer wieder auch untereinander –
der legale und der illegale Markt
es entsteht eine Wertschöpfungs­
kette, von der
viele Beteiligte profitieren können. Wenn es
für Diamanten verzahnt sind.
zu Konflikten kommt, werden diese durch den
Vorsitzenden geschlichtet. Außerdem existiert eine Art Sozialfonds, in den alle Händler
einzahlen und aus dem den Mitgliedern bei einer Heirat, einem Todesfall oder einer
Namenszeremonie für Kinder eine Unterstützung gezahlt wird. Nach dem Bürgerkrieg
hatte die Regierung auf den illegalen Märkten zunächst viele Razzien durchgeführt. Dabei
wurden auch Händler festgenommen. Die Illegalen unter ihnen haben sich damals an
den Vorsitzenden der legalen Diamantenhändler gewandt. Dieser hat sich dann bei den
Behörden dafür starkgemacht, dass die Razzien beendet werden.
Am meisten erstaunt haben mich
Dass sich die Marktakteure gegenseitig unterstützen, hat etwas mit der Struktur der
Handelsbeziehungen zu tun. Die meisten Diamanten, die im Land geschürft werden,
sind sogenannte Mêlée-Ware: Steine der kleinsten Kategorie. Wenn ein solcher Stein den
Besitzer wechselt, dann wird dafür keine Einzelquittung ausgestellt. Das macht es leicht,
geltende Regelungen zu umgehen. Hinzu kommt, dass viele Händler selbst Lizenzen zum
Diamantenabbau haben. Sie können illegalen Diamantenschürfern ihre Ware abkaufen
und sie dann als eigene, legale Ware weiterverkaufen und sogar legal exportieren. Aus Sicht
des Staates ist dies immer noch besser, als wenn die Diamanten geschmuggelt würden.
Diamanten im Wert von 500.000 US-Dollar.
Erstaunliche Zusammenarbeit
23
Ankaufbüros für Diamanten in Kono, Sierra Leone.
Davon abgesehen gibt es in Sierra Leone kein staat­
liches Wohlfahrtssystem. Viele junge Männer, die Aus Sicht der Behörden sind
an­­sons­­ten möglicherweise ein Unruheherd würden, die funktionierenden Handels­
finden in den illegalen Marktsektoren Arbeit. Daher
verflechtungen ein Grund, ein
sind diese funktionierenden Han­dels­ver­flech­tungen
auch aus Sicht der Behörden durchaus ein Grund, gewisses Maß an Illegalität zu
ein gewisses Maß an Ille­ga­li­tät zu tolerieren. Natür­ tolerieren.
lich ist der illegale Dia­man­­ten­handel auch für kri­
minelle Organisationen interessant. Aber deren Existenz ist in Friedenszeiten nicht so folgen­
schwer, wie sie es in den Kriegsjahren war. Außerdem finanzieren sich kriminelle Organisationen
aus sehr vielen verschiedenen Quellen – auf Diamanten sind sie nicht angewiesen.
Nina Engwicht
Nina Engwicht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedensakademie
Rhein­
land-Pfalz – Akademie für Krisenprävention und zivile Konfliktberatung.
Von 2011 bis 2015 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPIfG. Sie stu­
dierte Politikwissenschaft, Neuere Geschichte, Publizistik und Kommu­
nikations­
wissenschaft an der Universität Potsdam.
Forschungsinteressen: illegale Märkte in (Post-)Konfliktgesellschaften; Ressour­cen­
konflikte und Friedensprozesse nach Bürgerkriegen.
24
Aus der Forschung
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Töten für den Lifestyle
Annette Hübschle
Protokoll: Ralf Grötker
In Südafrika werden jeden Tag drei Nashörner getötet, ihr Horn auf dem internationalen Markt
illegal verkauft. Der Kruger-Nationalpark sowie weitere öffentliche und private Wildgehege sind
zu wahren Schlachtfeldern geworden, auf denen staatliche Sicherheitskräfte und Wildhüter für
das Überleben der Rhinozerosse kämpfen. Trotzdem wird es Schätzungen zufolge nur noch sieben
Jahre dauern, bis sie ausgerottet sind. Die Zahl der gewilderten Tiere ist in zwei Jahren von 668
(2012) auf 1.215 (2014) gestiegen. Doktorandin Annette Hübschle untersucht, warum der Schutz
des Nashorns nicht gelingt.
Ich bin in Namibia aufgewachsen und hatte durch meine langjährige Tätigkeit als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem südafrikanischen Forschungsinstitut im For­
schungsbereich zum organisierten Verbrechen Netzwerke aufgebaut, die bei der Daten­
erhebung äußerst wertvoll waren. Während meiner zwölfmonatigen Feldforschung im
südlichen Afrika und in Südostasien habe ich mehr als 420 ethnografische Interviews und
Diskussionen in Kleingruppen durchgeführt.
Unter den Interviewten waren Wilderer und deren Anführer – die meist aus Mosambik
stammenden kingpins –, verurteilte Nashornjäger in südafrikanischen Gefängnissen,
Nas­horn­farmer, Strafverfolger und Wildhüter, Vertreter von Dorfgemeinschaften, die in
der Nähe des Kruger-Nationalparks auf der mosambikanischen Seite leben, von Natur­
schutz­organisationen und NGOs, Händler, Schmuggler und asiatische Konsumenten.
Töten für den Lifestyle
25
Die hohe Zahl an Interviews und der Vergleich mit anderen qualitativen Daten wie etwa
Polizeidokumenten und Gerichtsakten erleichterten es, die Erkenntnisse zu verifizieren.
Dies ist besonders wichtig, wenn illegale Märkte untersucht werden.
Mein Ziel war es, den Markt in seiner Gesamtheit zu verstehen und zu erfassen, angefangen
bei der „Produktion“ – der Wilderei, der Jagd oder dem Diebstahl – bis hin zum grenz­
übergreifenden Produkttausch und Konsum des Rhinozeroshorns. Im Hinblick auf die
Hindernisse, die Illegalität und Transnationalität bedeuten, stellt sich die Frage, wie die diver­
sen Marktakteure Teil einer Gesellschaftsordnung werden und die Koordinationsprobleme
lösen, die Wettbewerb, Zusammenarbeit und Wertbildung an sie stellen.
Ein wichtiger Befund, der sich herausschält, ist,
dass zentrale Akteure entlang der gesamten Wert­ Contested illegality, die angezwei­
schöpfungskette das Verbot der Nas­horn­­wilderei felte Illegalität, fungiert als eine
schlicht­weg nicht akzeptieren. Ich bezeich­ne die­
Legitimationsstrategie für illegale
ses Phänomen als contested illegality, ange­zweifelte
Illegalität, und es fungiert als eine Legitima­tions­ wirtschaftliche Handlungsweisen.
strategie für illegale wirtschaftliche Handlungs­
wei­sen. Das fängt bei den Wilderern an. Meist handelt es sich dabei um Menschen, die das
ihnen angestammte Land und die damit verbundenen Jagdrechte durch koloniale
Enteignung oder die Gründung von Nationalparks oder Wildschutzgebieten verloren
haben. Dass sie die neu geschaffene Rechtsordnung und das Handelsverbot durch das
Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) von 1973 – das auch noch unter dem
alten Apartheidsregime etabliert wurde – nicht akzeptieren, liegt auf der Hand.
Die Wilderer sind jedoch oft nur die Fußsoldaten von professionellen Großwildjägern und
Großwildfarmern, meist weißen Afrikanern, die über persönliche Netzwerke verfügen und
Rhinozeroshorn bis nach Asien verkaufen. Unter ihnen gibt es viele, die eigenes Farmland
oder Jagdreviere besitzen, aber auch Tierärzte und Hubschrauberpiloten. Auch diese Leute
glauben, dass sie, moralisch betrachtet, auf der Seite des Rechts stehen. Die verbreitete
Meinung unter ihnen ist, dass man das Nashorn nur effektiv schützen könne, wenn man
Jagd und Verkauf des Horns erlaubt, um Anreize für die private Zucht zu schaffen, und wenn
man der Staatskasse die für den Umwelt- und Artenschutz erforderlichen Geldmittel zuführt.
Tatsächlich hat ein solcher Ansatz auf lokaler Ebene bislang jedoch wenig bewirkt – der
landinterne Handel mit Rhinozeroshorn war bis 2009 in Südafrika erlaubt – und hat
Schnittstellen zwischen legalen und illegalen Geschäften kreiert. Die prominente Rolle
von Staatsakteuren in der Form von korrupten Aktivitäten ist nicht zu vernachlässigen,
wie zum Beispiel Betrug bei CITES-Genehmigungen bis hin zur aktiven Teilnahme von
Polizisten und Wildschützern in Wildereigruppen.
Bei den Endabnehmern schließlich scheint die Unrechtmäßigkeit so gut wie keine Rolle
zu spielen. Rhinozeroshorn gehört zu den teuersten Waren der Welt, ein Kilogramm
kostet mehr als 50.000 Euro. Traditionell wird das pulverisierte Horn als Medizin ver­
26
Aus der Forschung
teuer­sten Waren der Welt, ein Kilo­
gramm kostet mehr als 50.000 Euro.
THEMA: ILLEGALE MÄRKTE
Rhinozeroshorn gehört zu den
wendet. Es ist aber auch Statussymbol, Geschenk
zur Vertiefung von Geschäftsverbindungen oder
Investitionsobjekt. Wer Rhinozeroshorn als Wert­
anlage kauft, der setzt geradezu darauf, dass die
Preise im Zuge des Aussterbens der Nashörner
weiter steigen.
Viele der bisherigen politischen Maßnahmen haben in meinen Augen das Problem
nur verschlimmert. Die Mobilisierung der Armee zum Schutz der Nashörner und die
Erlaubnis für Wildschützer, die sich bedroht fühlen, Schusswaffen einzusetzen, haben dazu
geführt, dass im vergangenen Jahr allein im Kruger-Nationalpark an die fünfzig Wilderer
erschossen wurden – nicht gerade förderlich für die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen für
Nashörner. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Lokalbevölkerung den Eindruck gewinnt,
das Leben eines wilden Tieres werde höher bewertet als ihres.
Soziale Ungerechtigkeit und das koloniale Erbe begünstigen die Hinwendung der
Lokalbevölkerung zur Wilderei, bietet sie doch Möglichkeiten zur sozialen Mobilität, also
zum Aufstieg in höhere sozioökonomische Positionen. Denn Wilderer bilden ihre eigenen
Jagdgruppen und vertreiben das Horn an Zwischenmänner oder asiatische Abnehmer.
Zudem haben Dorfbewohner rund um den Kruger-Nationalpark nur wenige andere
Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im Zuge von Parkerweiterungen
durch den Anschluss von Schutzgebieten in den Nachbarländern Mosambik und
Simbabwe sind erst in der jüngsten Zeit erneut Dorfgemeinden umgesiedelt worden. Was
ich mir vorstellen könnte, wäre der Einsatz von Social Impact Bonds – Strukturhilfen und
Investitionen für Landansprüche, Schulen und Krankenhäuser, die als Belohnung dafür
gezahlt werden, dass die Dorfgemeinschaften den Kampf gegen die Wilderei unterstützen.
Annette Hübschle
Annette Hübschle ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der University of
Cape Town und baut dort ein neues Forschungsinstitut zum Thema „Artenschutz
und illegaler Handel mit Wildtieren und Pflanzen“ auf. Von 2011 bis 2015 war sie
Doktorandin an der International Max Planck Research School on the Social and
Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE). Hübschle hat Vergleichende
und Internationale Politik und Geschichte sowie Krimi­no­logie und Strafrecht an der
University of Cape Town studiert.
Forschungsinteressen: illegale und informelle Märkte; organisierte Kriminalität;
Ver­­knüp­fung von organisierter Kriminalität mit Terrorismus.
Töten für den Lifestyle
27
Zu diesem Thema
Die hier abgedruckten Beiträge wurden 2014 im Magazin „MaxPlanckForschung
4.14“ der Max-Planck-Gesellschaft veröffentlicht.
>http://tinyurl.com/beckert-forschung
Englische Fassung
>http://tinyurl.com/beckert-forschung-e
Forschungscluster „Die Struktur illegaler Märkte“
>http://tinyurl.com/mpifg-illegal-markets
La Salada Project: Fotografie trifft Soziologie
>www.lasaladaproject.com
Zum Weiterlesen
BECKERT, J. & WEHINGER, F.: In the Shadow:
DEWEY, M.: Crisis and the Emergence of Illicit
Illegal Markets and Economic Sociology.
Markets: A Pragmatist View on Economic
Socio-Economic Review 11(1), 5–30 (2013).
Action outside the Law. MPIfG Discussion
DEWEY, M.: Taxing the Shadow: The
Political Economy of Sweatshops in La
Salada, Argentina. MPIfG Discussion
Paper 14/6. Max-Planck-Institut für
Gesellschaftsforschung, Köln 2014.
www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp14-6.pdf
Paper 14/18. Max-Planck-Institut für
HÜBSCHLE, A. & VAN DER SPUY, E.:
Gesellschaftsforschung, Köln 2014.
Organized Crime and Law Enforcement in
www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp14-18.pdf
Southern Africa: The Challenges Confronting
Research. SADC Law Journal 2, 319–334
(2013).
28
Aus der Forschung
Imaginierte Zukunft
Wie fiktionale Erwartungen wirtschaftliche
Dynamik vorantreiben
Jens Beckert
Im Herbst 2008 erreichte die Finanzkrise ihren Höhepunkt: Der Markt für verbriefte Wertpapiere
US-amerikanischer Hypothekendarlehen implodierte. Anleger, die in die vermeintlich sicheren
Pa­pie­­re investiert hatten, sahen sich plötzlich mit riesigen Verlusten konfrontiert. Die notwendigen
Wert­berichtigungen und fällige Zahlungen aus Kreditversicherungen brachten das Finanzsystem in
kürzester Zeit an den Rand des Kollapses. Warum hatten Investoren und Ökonomen die Vorzeichen
der dann einsetzenden weltweiten Finanzkrise nicht erkannt? Märkte sind nicht effi­zient. Die Ratio­
nalitätsannahmen der ökonomischen Theorie scheitern an der komplexen Wirklichkeit der Wirtschaft.
Erwartungen lassen sich nicht als rational verstehen, sondern sind kontingente Imaginationen der
Zukunft. Solche „fiktionalen“ Erwartungen spielen eine zentrale Rolle für Entscheidungen und für
die wirtschaftliche Dynamik, behauptet Jens Beckert.
Seit dem Herbst 2008 ist die Analyse der Ursachen und Konsequenzen der Finanzkrise
ein wichtiges Thema in den Sozialwissenschaften. Jenseits der Frage nach regulatorischen
Reformen hat die Finanzkrise für die sozialwissenschaftliche Forschung eine weitere
Diskussion eröffnet, die sich in einer einfachen Frage zusammenfassen lässt: Wie lassen
sich Erwartungen in der Wirtschaft verstehen?
Imaginierte Zukunft
29
Im Herbst 2008 versicherten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück
den Deutschen in einer Pressekonferenz, dass der Staat für ihre Depoteinlagen garantieren würde.
Erzeugt wurde – erfolgreich – die Erwartung, dass die Spareinlagen bei den Banken weiterhin sicher
seien. Verhindert wurde ein Bank Run. Ein Beispiel für die Politik der Erwartungen.
Investoren hatten sich Anfang der 2000er-Jahre für den Kauf von Hypothekenanleihen in
der Erwartung einer risikoarmen Verzinsung ihres Kapitals entschieden. Grundlage dieser
Er­war­tungen waren das Rating der Finanzinstrumente und optimistische Einschätzungen
der Entwicklung des US-amerikanischen Immobilienmarktes. Im Jahr 2008 dann verän­
derten sich die Erwartungen schlagartig vor dem Hintergrund sinkender Immobilienpreise
in den USA. Keiner der Akteure glaubte noch an die Sicherheit der Derivate, alle wollten
gleichzeitig verkaufen.
Die Zukunft ist nicht kalkulierbar
In beiden Situationen – beim Kauf und beim Verkauf – beruhten die Entscheidungen
der Investoren auf ihren Annahmen über eine zukünftige Entwicklung. Klar ist: Solche
Erwartungen sind von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidungen von Wirtschafts­
akteuren und damit für die Wirtschaftsentwicklung – sowohl für Wachstum als auch für
Krisen. Doch worauf beruhen sie, und wie verändern sie sich?
Die zentrale Antwort der Wirtschaftswissen­schaf­
ten lautet: Erwartungen basieren auf der Analyse
aller vorhandenen Informationen, einschließlich
der Voraussagen bezüglich der Entwicklung der
wich­tigen Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung,
und sie sind im Aggregat zutreffend. Auch wenn
30
Soziologen und Verhaltens­öko­­no­men zweifeln die Ratio­nali­täts­­­­
annahmen der ökonomischen
Theorie seit Langem an.
Aus der Forschung
es individuelle Fehler gibt, die Wirtschaft konvergiert bei dem korrekten Modell der
Zukunft. Der Marktpreis ist somit immer der effiziente Preis. Wenn dem so ist: Wie
kamen die Investoren zu den Überzeugungen, auf deren Grundlage sie die verbrieften
Hypo­theken­anleihen kauften, deren Wert später ins Bodenlose sank? Es scheint, dass die
vermeintlich sichere Investition auf einer Fiktion beruhte, die durch rhetorische Mittel
und institutionelle Signale glaubhaft gemacht wurde.
Soziologen und Verhaltensökonomen zweifeln die Rationalitätsannahmen der ökonomi­
schen Theorie seit Langem an. Akteure beziehen längst nicht alle verfügbaren Informatio­
nen in ihre Überlegungen ein, sie sind in ihren Entscheidungen durch den sozialen, kul­
turellen und institutionellen Kontext beeinflusst und sie machen Entscheidungsfehler, die
sich auf starre Denkschemata zurückführen lassen. In einer dynamischen Ökonomie sind
zukünftige Entwicklungen zudem prinzipiell nicht vorauszuberechnen. Erwartungen las­
sen sich somit nicht einfach als rational verstehen, Entscheidungen nicht als ausschließlich
auf determinierten Kalkulationen beruhend.
Dies gilt umso mehr für die turbulenten Umwelten moderner kapitalistischer Ökonomien,
in denen zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen in hohem Maße offen und damit
ungewiss sind. Unsere Gegenwart liefert überzeugende Beispiele hierfür: Wer hätte
noch vor wenigen Jahren mit einer solch herausragenden Bedeutung von Smartphones
für die Entwicklung der gesamten Ökonomie gerechnet? Wer weiß, ob es in drei Jahren
den Euro als gemeinschaftliche Währung noch geben wird? Wer kann sagen, wie sich
der Aktienmarkt in zwölf Monaten entwickelt? Antworten auf diese Fragen lassen sich
nicht eindeutig aus ökonomischen Modellen herleiten. Doch trotz der Offenheit und
Unkalkulierbarkeit der Zukunft müssen Wirtschaftsakteure Entscheidungen treffen. Und
diese Entscheidungen hängen von den Zukunftsprojektionen ab, mit denen die Wahl einer
Alternative gerechtfertigt wird.
Handeln als ob
Erwartungen unter Bedingungen von Ungewiss­
heit lassen sich als fiktional bezeichnen. Fiktional
Erwartungen sind Platzhalter
meint
hier nicht, dass die Vorstellungen per se
im Entscheidungsprozess.
falsch wären; sie lassen sich nur nicht empirisch
veri­fizieren, zumindest solange die Zukunft noch
nicht zur Gegenwart geworden ist. Die gegenwärtigen Vorstellungen von Akteuren hin­
sichtlich zukünftiger Zustände der Welt sind in dem Sinn fiktional, dass sie eine neue,
eigene Rea­li­tät schaffen. Entscheidungen unter Bedingungen von Ungewissheit beruhen
auf Ima­gi­nationen und Projektionen, von deren Richtigkeit die Akteure überzeugt sind.
Solche fiktionalen Erwartungen sind von enormer Bedeutung, denn sie geben Orientie­
rung in Entscheidungsprozessen – und zwar trotz der Unmöglichkeit, zukünftige Ent­
wick­­lun­gen tatsächlich vorauszusehen. Akteure handeln, als ob sich die Zukunft in der
an­­ge­­nom­­menen Weise entfalten würde. Erwartungen sind somit Platzhalter im Entschei­
dungs­prozess, mit deren Hilfe sich über die im Augenblick der Entscheidung herrschende
Unkenntnis der tatsächlichen Entwicklung hinwegsehen lässt.
Imaginierte Zukunft
31
Goldpreisentwicklung 2010 bis 2014
Abb. 1
US-Dollar pro Unze Gold
2.000
1.750
1.500
1.250
1.000
2010
2011
2012
2013
2014
Quelle: Börsendaten.
Der Begriff der fiktionalen Erwartung schließt an die Analyse von fiktionalen Texten in
den Literaturwissenschaften an. Denn fiktionale Texte sind – wenngleich mit erheblichen
Unterschieden – ebenfalls dadurch charakterisiert, dass die Autorin oder der Autor eine
erdachte Wirklichkeit beschreibt. In Form von Geschichten, als Stories, werden fiktio­nale
Erwartungen auch in der Wirtschaft kommuniziert und entfalten dort ihre Wirkung.
Ein Beispiel: Im November 2011 strahlte der amerikanische Fernsehsender CNBC ein
Interview mit dem einflussreichen Rohstoffinvestor Jim Rogers zur Frage der weiteren
Gold­preisentwicklung aus. Rogers prognostizierte, dass der Goldpreis, der damals bei etwa
1.700 US-Dollar pro Unze stand, langfristig und nach auch möglichen Kursverlusten auf
2.000 US-Dollar steigen, dann aber im Verlauf des noch Jahre anhaltenden Bullenmarktes
2.400 US-Dollar erreichen würde. Allerdings gab er keine konkrete Zeitspanne für diese
erwartete Entwicklung an. Die britische Großbank HSBC erwartete zu dem Zeitpunkt für
2012 einen Anstieg des Goldpreises auf durchschnittlich 2.025 US-Dollar. Gold sollte also
ein lukratives Investment sein. Solche Aussagen wiederholen sich täglich in der Finanzpresse,
sie sind Teil unseres Alltags. Immer sind solche Prognosen mit Geschichten verbunden, die
die erwartete Zukunft als glaubwürdige Entwicklung erscheinen lassen. Beim Goldpreis ist
dies häufig die Geschichte vom Gold als Krisenwährung.
Es lohnt sich, solche Voraussagen genauer zu betrachten. Es werden Behauptungen über
einen zukünftigen Zustand der Welt aufgestellt, von dessen Eintreffen die Akteure über­
zeugt sind. Die Aussage eines steigenden oder sinkenden Goldpreises ist ex ante jedoch
32
Aus der Forschung
Entwicklungsprognosen sind stets mit Geschichten verbunden, die die erwartete Zukunft als glaub­
würdig erscheinen lassen. Beim Goldpreis ist dies häufig die Geschichte vom Gold als Krisenwährung.
empirisch nicht validierbar. Vielmehr handelt es sich um die Vorspiegelung eines mögli­
chen Ereignisses, die dazu motivieren soll, so zu handeln als ob der Goldpreis sich in die
vorhergesagte Richtung verändern würde. In diesem Sinn sind die Aussagen fiktional.
Abbildung 1 zeigt, dass die Voraussage eines steigenden Goldpreises im Jahr 2012 schließ­
lich nicht eintrat. Statt zu steigen, fiel der Goldpreis seit der Prognose. Doch geht es nicht
darum, rechthaberisch auf nur post festum erkennbare Fehleinschätzungen hinzuweisen,
sondern systematisch die Rolle solcher imaginierten Zukünfte für wirtschaftliche Ent­
schei­dungsprozesse und die Wirtschaftsentwicklung insgesamt zu erfassen. Durch fiktiona­
le Erwartungen werden Begründungen für Entscheidungen unter Bedingungen von Unge­
wissheit geschaffen. Solche Begründungen sind notwendig, damit Entscheidungen nicht
beliebig erscheinen, um Entscheidungen zu koordinieren und um Innovationen voranzu­
treiben. Fiktionale Erwartungen motivieren wirtschaftliches Handeln, dessen Richtigkeit
sich erst später herausstellt, und tragen dadurch zur Dynamik der Wirtschaft bei.
Erwartungen als Motor der Zukunft
Entscheidungen sind demnach nicht durch ökonomische Kalkulation determiniert, son­
dern sie beruhen auf kontingenten, also auf immer auch anders möglichen Erwartungen.
Die Erzählung über eine bestimmte erwartete zukünftige wirtschaftliche Entwicklung
könnte immer auch eine andere sein. Daraus ergeben sich zwei für die sozialwissenschaft­
liche Forschung wichtige Konsequenzen.
Zum einen muss man mit einer „Politik der Erwartungen“ rechnen. Das heißt, die im
Feld der Wirtschaft geäußerten Erwartungen sind nicht interessenunabhängig geäußerte
richtige Einschätzungen, sondern sind selbst Mittel, mit denen sich wirtschaftliche Inte­
res­sen verfolgen lassen. Voraussetzung ist die Glaubwürdigkeit der Erzählung. Dies mag
Imaginierte Zukunft
33
auf den ersten Blick trivial erscheinen, doch
ist der Wettbewerb um Erwartungen tatsäch­ Erwartungen sind selbst Mittel,
lich einer der bedeutendsten und zugleich am mit denen sich wirtschaftliche
wenigsten erforschten Aspekte wirtschaftlicher
Interessen verfolgen lassen.
Konkurrenz. Man denke etwa an das Werben
von Start-up-Unternehmen um das Interesse von
Risikokapitalgebern. Mit angenommenen Zahlen und einer Geschichte müssen letztere
überzeugt werden, dass das noch unfertige Produkt tatsächlich eine Marktchance hat.
Hier­für müssen die Jungunternehmer eine erfolgreiche Zukunft glaubwürdig erzählen
können. Oder man denke an Konsumenten, deren Kaufbereitschaft für ein neues Smart­
phone durch die Erzeugung von Erwartungen an das neue Produkt geschaffen wird.
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts der BRICS-Staaten
Abb. 2
Prozent
20
15
10
5
0
–5
–10
2000
2001 2002
Russland
VR China
Brasilien
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
2011 2012 2013
Südafrika
Indien
Finanzmärkte mit ihrer hohen Ungewissheit und Volatilität sind besonders geprägt von
fiktionalen Erwartungen. Nicht nur die Prognosen der Analysten von Banken und
Wirtschaftsforschungsinstituten sind Beispiele hierfür. Das BRICS-Konzept, eine Kreation
der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, lenkte mehr als ein Jahrzehnt lang
bedeutende Investitionsströme in eine Handvoll Schwellenländer, basierend auf der
fiktionalen Erwartung, es seien gerade diese Länder, in denen ein besonders hohes und
stabiles Wirtschaftswachstum und infolgedessen hohe Steigerungen der Aktienkurse zu
erwarten seien. Tatsächlich haben sich sowohl die Wirtschaft als auch die Aktienmärkte
der Länder höchst unterschiedlich entwickelt.
Quelle: IMF, World Economic Outlook 2014.
34
Aus der Forschung
Die Marketingindustrie ist mit nichts anderem beschäftigt als mit der Erzeugung und
Stabilisierung fiktionaler Erwartungen.
Zum anderen lässt sich die Zukunft zwar nicht voraussehen, doch können Erwartungen und
die Handlungen, die sie auslösen, bestimmte Entwicklungen überhaupt erst hervorrufen. In
diesem Sinn können Erwartungen performativ sein. Ein Beispiel hierfür sind technologische
Innovationen. Niemand kann am Beginn des Innovationsprozesses vorhersehen, ob eine
Innovation im technischen Sinn gelingt und dann auch noch am Markt erfolgreich sein wird.
Doch, wenn überhaupt, kann die vorgestellte technologische Zukunft nur mithilfe der durch
fiktionale Erwartungen motivierten Investitionen je Realität werden. Ohne eine glaubwürdi­
ge Fiktion am Anfang käme es nicht zu den notwendigen Investitionen und wir könnten nie
herausfinden, ob die vorgestellte Zukunft möglich ist.
Ein verändertes Verständnis ökonomischer Prozesse
Über Finanzmärkte hinaus sind fiktionale Erwartungen relevant für wohl sämtliche Be­reiche
der Wirtschaft: Kapitalinvestitionen, Investitionen in Humankapital, den Kon­sum, Inno­
vations­prozesse und das Funktionieren des Geldes. Sie sind ein in der Forschung bislang
kaum wahrgenommener Schlüssel zum Verständnis wirtschaftlicher Dynamik. Es sind
die Vorstellungswelten der Akteure, die Investitionsströme lenken und das Moment der
Krea­­­­ti­vi­tät in die Ökonomie einbringen, ebenso wie neue Unsicherheit. Wirtschaftliche
Dy­­na­mik wird auch durch die menschliche Fähigkeit vorangetrieben, sich eine Welt vorzu­
stel­len, die anders ist als die jeweils gegebene. Dies gibt Raum nicht nur für interessante
empirische Projekte wirtschaftssoziologischer Forschung, sondern eröffnet auch ein frucht­
bares Paradigma in den Sozialwissenschaften, in dem die Erwartungen der Akteure im
Mittelpunkt stehen. „The future matters“: Nicht nur die Vergangenheit ist relevant für die
Erklärung sozialen Handelns, sondern auch die Vorstellungen von der Zukunft.
Die Hinwendung zu fiktionalen Erwartungen und den Narrativen, mit denen Glaub­wür­
dig­­keit für bestimmte Erwartungen zukünftiger Entwicklung geschaffen wird, führt auch
zu einer veränderten Analyse ökonomischer Prozesse. Im Mittelpunkt stehen die Bedeu­
tungen, die wirtschaftliche Güter und Prozesse durch ihre Interpretation erlangen. Daran
schließt sich die Frage an, wie solche Bedeutungen erzeugt, stabilisiert und verändert
werden. Wenn Erwartungen fiktional sind, gibt es kein allein auf Kalkulation beruhendes
Handeln in der Wirtschaft und eine Wissenschaft der Ökonomie folgt eher dem Modell
der Hermeneutik als dem der Naturwissenschaften.
Imaginierte Zukunft
35
Jens Beckert
Jens Beckert ist seit 2005 Direktor am MPIfG und Professor für Soziologie an der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.
Fachgebiete: soziale Einbettung der Wirtschaft, insbesondere anhand der Unter­
su­chung von Märkten; Organisationssoziologie; Soziologie der Erbschaft; soziolo­
gische Theorie.
Zum Weiterlesen
Beckert, J.: Imagined Futures: Expectations
Beckert, J.: Imagined Futures: Fictional
and Capitalist Dynamics. Cambridge:
Expectations in the Economy. Theory and
Harvard University Press 2016, im
Society 42(3), 219–240 (2013).
Erscheinen.
Beckert, J.: Capitalist Dynamics: Fictional
Erwartungen und kapitalistische Dynamik.
Expectations and the Openness of the Future.
Vortrag auf der 6. Wissenschaftlichen
MPIfG Discussion Paper 14/7. Max-Planck-
Tagung des Instituts für die Gesamtanalyse
Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2014.
der Wirtschaft (ICAE) der Universität Linz,
www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp14-7.pdf
Beckert, J.: Capitalism as a System
36
Beckert, J.: Imaginierte Zukünfte: Fiktionale
11.–13. Dezember 2014.
www.youtube.com/watch?v=GTirjP2xrXs
of Expectations: Toward a Sociological
CNBC: Gold Will Hit $ 2,400 Bubble:
Microfoundation of Political Economy. Politics
Jim Rogers. 9.11.2011.
& Society 41(3), 323–350 (2013).
www.cnbc.com/id/45220369
Aus der Forschung
Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen
Industrie, Politik und die schwierige Durchsetzung
der Photovoltaik
Timur Ergen
Die direkte Nutzung der Sonnenenergie blickt auf eine lange Geschichte ansehnlicher technischer
Ent­würfe, überschwänglicher Zukunftshoffnungen und schlichten kommerziellen Scheiterns zurück.
Timur Ergen zeigt, wie sich diese eigentümliche Entwicklungsgeschichte mit politisch-ökonomischen
Orga­ni­sationsproblemen verstehen lässt.
Die politisch-ökonomische Entwicklungsfalle der Photovoltaik
Von den ersten industriegesellschaftlichen Debatten zur Endlichkeit fossiler Brennstoffe
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis zur Politisierung des anthropogenen Klima­wan­
dels in den letzten zwei Jahrzehnten galt die Nutzung der Sonnenenergie immer wieder
als technische Kur für ganze Bündel gesellschaftlicher Probleme. Auch schlugen sich die
jeweiligen Hoffnungen rund um die Nutzung der Sonnenenergie in recht fokussierten
und großzügigen Unterstützungsleistungen nieder. Vermehrt seit den 1970er-Jahren
förderten reiche Industriegesellschaften die verschiedensten Varianten solartechnischer
Anlagen – teils in Form von Forschungs- und Entwicklungsleistungen, teils in Form
ambi­
tionierter Kommerzialisierungsprogramme. Trotzdem stockte die breitflächige
Kom­­­merzialisierung der Photovoltaik bis in die späten 1990er-Jahre irgendwo „zwischen
Labor und Markt“ (Gerhard Mener).
Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen
37
Weder die vielen Hoffnungen um Solartechnologien noch das permanente Scheitern in
der industriellen Entwicklung sollten wirklich überraschen. Energieversorgungssysteme
sind in Umfang wie Position so zentral in modernen Gesellschaften verankert, dass ihre
Strukturen immer wieder zum Gegenstand breiterer politischer Debatten wurden. Gleich­
zeitig stellt diese tiefe Verankerung eine verhältnismäßig extreme Eintrittsbarriere in die
Energieversorgung dar: Um es in den jeweiligen Investitionszyklus der Energie­versor­
gungs­industrie zu schaffen, mussten neue Technologien wirtschaftlich mit über Jahrzehnte
ausgebauten Wertschöpfungsketten konkurrieren. Fehlten stabile Absatzmöglichkeiten,
ließ sich die Produktion nicht ausbauen; und ohne Investitionen in die Produktion ent­
standen keine neuen Absatzmöglichkeiten.
Auch politisch waren die Bedingungen für neue
Energietechnologien nicht viel zuträglicher: Wie Für anspruchsvolle Entwicklungs­
in jedem wirtschaftlich stark verflochtenen Sektor prozesse unkonventioneller Ener­
verschmolzen in der Politik des Energiesektors
gie­technologien waren gezielte
die Interessen etablierter Branchen mit denen
von Gesellschaften und Staaten. Und selbst wenn öffentliche Interventionen oft zu
diese Interessenharmonie durch Krisen oder oberflächlich oder flüchtig.
gesellschaftliche Bewegungen erschüttert wurde,
verschwanden Initiativen zur Restrukturierung der Energieversorgung oft so schnell,
wie sie gekommen waren. Für anspruchsvolle Entwicklungsprozesse unkonventioneller
Energietechnologien waren Bewegungen gezielter öffentlicher Intervention oft zu ober­
flächlich oder flüchtig.
Kommerzialisierungsversuche zwischen Euphorie und Ernüchterung
Nach der erstmaligen gezielten Entwicklung der Siliziumsolarzelle Mitte der 1950erJahre war ihren Entwicklern schnell klar, dass die Produktionskosten der Technik den
Breiteneinsatz ausschlossen. Bis in die 1970er-Jahre wurde die Technologie daher beinahe
exklusiv von Forschungseinrichtungen, staatlichen Stellen und forschungsintensiven
Firmen getragen – insbesondere in Rahmen von Satelliten- und Weltraumprogrammen. So
konnte die Photovoltaik über Jahrzehnte etliche hochkarätige Forscher und Unternehmen
für sich gewinnen und profitierte durch Verbundeffekte von der Entwicklung von
Halbleitern. Die Energietechnologiepolitik hatte in den Nachkriegsjahrzehnten bei
Weitem nicht den Charakter, den sie in den 1970er-Jahren entwickeln sollte. Erst die
gesellschaftlichen Entwicklungen dieses Jahrzehnts brachen die Photovoltaik aus ihrer
Nischenexistenz heraus. Versuche öffentlicher Stellen und erster Unternehmen, sich mit­
tels der Photovoltaik für eine neue Rolle in der Energietechnologiepolitik zu empfehlen,
häuften sich kurz vor der ersten Ölkrise.
Wichtige Unterstützer der Photovoltaik, Aktivis­
ten, Umweltschutzbewegungen, Kernkraft­kriti­ker
und ökologisch-progressive Kongressabgeord­nete
hingegen entdeckten die Technologie erst relativ
spät in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Nach
der ersten Öl­krise wurden Energieunabhängig­keit
38
Die gesellschaftlichen Entwick­lun­
gen der 1970er-Jahre brachten die
Photovoltaik aus ihrer Nischen­
existenz heraus.
Aus der Forschung
Nur ein paar Jahre nach dem Beginn der US-amerikanischen Solarförderung wurde auch das Weiße
Haus mit Solaranlagen ausgestattet. Im Juni 1979 begutachtete Präsident Jimmy Carter die neue
Technik, welche die Heiß­wasserversorgung sicher stellen sollte.
und Energiesicherheit zu einem breit anerkannten Motiv, staatliche Aktivitäten im Ener­
gie­sektor zu rechtfertigen, insbesondere in den USA. In diesen Zusammenhängen entstand
schließ­lich die breitere Unterstützung für die Photovoltaik.
Die wichtigste Initiative zur Kommerzialisierung der Technologie entstand 1973 auf einer
Kon­ferenz in Cherry Hill, New Jersey. Unterstützer entwickelten dort ein bis in die Gegen­
wart wirksames Leitbild für die industrielle Entwicklung der Technolo­gie. Statt auf techni­
sche Durchbrüche zu warten, wollte man die Siliziumphotovoltaik mit einer Misch­
förderung aus der koordinierten Entwicklung der Produktionstechnik und der öffentli­
chen Nachfrage systematisch hoch skalieren. Bis in das Jahr 1985, so die Hoff­nun­gen,
würden sich die Kosten damit um den Faktor fünfzig bis einhundert senken lassen. Die
klassische Förderung wurde von diesem Modell staatlicher Industrieschaffung allerdings
nicht abgelöst. Insbesondere in Deutschland, Japan und den USA förderte man die
Technologie bis in die 1990er-Jahre wie jede andere Zukunftstechnologie – über die öffent­
liche Forschungsförderung und die Schaffung zuträglicher Infrastruktur.
Mit der politischen Durchsetzung der amerika­
ni­schen Programme begann ein langsamer Pro­
Nachdem die Förderprogramme
zess der Erosion der Unterstützerkoalition und
für die Photovoltaik politisch durch­
frag­men­tierter Implementation. Trotz – und teil­
gesetzt waren, begann die Koalition
wei­se wegen – der massiven öffentlichen Förder­
der Unterstützer langsam zu
leistungen weigerten sich Firmen, weiter in die
Produktion zu investieren und die Herstellung ein­
fragmentieren.
facher technischer Varianten zu erweitern. Zudem
entwickelten Aktivisten, Parlamentarier, Regierungsstellen und Forschungsorganisationen
über die Zeit zunehmend abweichende Pläne und konfligierende Zielvorstellungen. In
Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen
39
Der Schriftsteller Günter Grass und der Präsident von Eurosolar, Hermann Scheer, gaben am 15.
Oktober 1999 eine Pressekonferenz am Rande der Frankfurter Buchmesse. Grass wurde mit dem
Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, der SPD-Politiker erhielt den Alternativen Nobelpreis für sei­
nen „unermüdlichen Einsatz zur Förderung der Solarenergie“. Beide mahnten eine Umkehr in der
Energiepolitik an. In einem von Grass gewünschten öffentlichen Gespräch mit dem Verfechter der
Solarenergie warfen beide Politikern, Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern vor, die Zukunft
aufgegeben zu haben. Die Entwicklung der zunächst teureren Sonnenenergie werde abgeblockt.
der Folge wurde keiner der ursprünglichen Pläne umgesetzt und die Industrie fiel erneut
in die zersplitterte Hochrisikoforschung zurück. Als die konservative Reaktion und die
Ölschwemme der 1980er-Jahre der Kommerzialisierung der Photovoltaik ein frühes Ende
bescherten, wurde ein größtenteils blockierter und überkommener Entwicklungskomplex
zurück in die Bedeutungslosigkeit getrieben, während das ursprüngliche mobilisierende
Narrativ zunehmend als gestrige Fantasterei gesehen wurde.
Trotz mehrerer politischer Bekenntnisse zur wei­
teren Förderung der Technolo­
gie wurden erst In Deutschland, Japan und den USA
in den frühen 1990er-Jahren in Deutschland, entwickelte sich die Sorge, in der
Japan und den USA praktische Neuaufla­gen der
Technologie international zurück­
Ini­
tia­
ti­
ve nach Cherry Hill in Angriff ge­
nom­
men – konsortienförmige Initiativen zur ab­­
ge­ zufallen und Pioniervorteile aus der
stimm­
ten Hochskalierung der Produktion und Hand zu geben.
Nach­frage­förderprogramme. Diese Pro­gram­me
waren nicht nur energie- oder umweltpolitisch motiviert. Vielmehr entwickelte sich
in allen drei Ländern eine Art Sorge, in der Technologie international zurückzufallen
und Pioniervorteile aus der Hand zu geben. Es entstand ein technologiepolitischer
Investitionswettlauf, wie man ihn aus der Kernkraft oder der Halbleiterindustrie kennt.
Zugleich entstanden seit Ende der 1980er-Jahre insbesondere in Deutschland die Vorläu­
fer jener grünen Energiepolitik, für die die Bundesrepublik später bekannt werden sollte.
40
Aus der Forschung
Entwicklung der grünen Energiepolitik bis heute
Blickt man auf Mobilisierungsversuche für die Erweiterung der Förderung der Photovoltaik
in allen drei Ländern, waren diese immer wieder von industriepolitischen Versprechen
durchsetzt. So sprachen Befürworter von „einem der umsatzstärksten industriellen
Märkte des nächsten Jahrhunderts“ oder von der einzigen „Halbleitertechnologie, bei der
die Europäische Union gegenwärtig einen Weltmarktanteil von einem Drittel“ innehabe.
Kaskadenartig folgte auf ein deutsches 1.000-Dächer-Programm im Jahr 1990 ein japani­
sches 70.000-Dächer-Programm und wiederum ein deutsches 100.000-Dächer-Programm
zum Anschub der Industrie.
Einerseits entwickelten Fürsprecher einer grünen Energiepolitik mit der Wiederentdeckung
der Technologieförderung eine wesentlich breitere gesellschaftliche Resonanz als mit
Verbotsforderungen und ethischen Ermahnungen, Problemen zwischen Kernkraft und
Klimawandel entgegenzutreten. Es gelang ihnen, die ökologische Restrukturierung der
Energieversorgung als Wachstumsprogramm zu bewerben und nicht länger als Programm
aus Verboten und Entsagungen. Statt Umweltpolitik gegen den Markt und wirtschaftliche
Staatenkonkurrenz zu organisieren, schuf grüne Technologie langsam Nutznießer einer
ökologischen Energieversorgung. Mit der Förderung von Stromeinspeisungen durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz seit der Jahrtausendwende wurden Firmengründungen
und neue Investitionen in größerem Maßstab Wirklichkeit. In den Jahren 2000 bis 2005
hatten insbesondere Regionen im Süden Deutschlands die Förderung für sich entdeckt.
Ostdeutsche Kommunen versuchten sich mithilfe der Photovoltaik industriell neu aufzu­
stellen. Und beinahe jede etablierte politische Partei zeigte schließlich – zumeist schon vor
dem Reaktorunfall von Fukushima – prinzipielle Unterstützung für die Vision.
In den letzten zehn Jahren sind die deutschen
För­
der­
programme in eine tiefe Krise geraten.
Statt Umweltpolitik gegen den
Global
verstrickte sich die nach fünfzig Jah­
Markt und wirtschaftliche Staaten­
ren kurz vor der Wirtschaftlichkeit stehende
konkurrenz zu organisieren,
Industrie auf der Suche nach Startvorteilen –
schaffte grüne Technologie lang­
durchaus plangemäß – in einen ungebremsten
Investitionswettlauf. Die Folgen waren Über­
ka­
sam Nutznießer einer ökologischen
pazitäten und ein enormer Druck auf die Förder­
Energieversorgung.
regime, was zu Förderkürzungen, Preisdruck
sowie zu öffentlicher Kritik führte. Zusehends
hatte sich eine Abwärtsspirale aus industriellem Verfall, exzessiver Ausbeutung der Förde­
rung und nach­
lassender Bestandslegitimität entwickelt. Die mehrjährige öffentliche
Diskus­sion um Schutz­zollforderungen europäischer Zellfertiger offenbarte darüber hin­
aus, dass auch politisch ein Großteil der kooperativen Harmonie der späten 1990er- und
frühen 2000er-Jahre im Industriewachstum verflogen war. Die Probleme der deutschen
Solarförderung waren gemessen am Umfang des Vorhabens Energiewende durchaus
Rückschläge, die im Verlauf komplexer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zu erwarten
sind. Überraschen muss es dennoch, wie sich innerhalb von nur drei Jahren ein interna­
tional symbolträchtiges Leuchtturmprojekt zur Auflösung von Widersprüchen zwischen
beschäftigungs-, umwelt- und wirtschaftspolitischen Zielen in einem Regime festsetzen
konnte, das all diesen Zielgrößen gleichzeitig entgegenzuwirken schien.
Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen
41
Innovationspolitik und sektorale Ordnung
Die grüne Technologiepolitik ist häufig als eine Art Anschubfinanzierung gesehen worden,
die gesellschaftliche Unterstützung für eine ökologische Energieversorgung schaffen sollte.
Die zugrundliegende Idee: Mit der Verfestigung neuer Industrien, Geschäftsfelder und
Versorgungsstrukturen würden zukünftige politische Initiativen zur ökologischen Umge­
stal­tung der Energieversorgung breiter unterstützt werden und leichter durchzusetzen sein.
In beiden größeren Unterstützungsinitiativen für die Photovoltaik in Deutschland und
den USA stockte dieser Kreislauf. Zwar banden die jeweiligen Fördermaßnahmen wie
ge­plant neue Interessen an die Technologie, gleichzeitig jedoch verringerten sie die politi­
sche Agilität und Flexibilität des Sektors.
Im politisch angestoßenen Wachstum der Industrie entstanden neue Koordinie­rungs­er­
for­der­nisse, denen nur bedingt mit dem Aufbau neuer regulativer Strukturen begegnet
wurde. Debatten um die Unterstützung der Industrie entbrannten vor allem über die Hö­he
der Leistungen, die man ihr zubilligen sollte. In den seltensten Fällen zielte die Dis­kus­sion
darauf ab, wie sich die Solarförderung halbwegs effektiv implementieren und vor allem
legi­ti­matorisch durchhalten lassen könnte. Es fehlten viel mehr eine kontinuier­lich effek­
tive Umsetzung der Förderpläne, regelmäßige Signale, dass Fördermittel nicht verpufften,
und ein Minimum an sektoraler Problemlösungsfähigkeit. Dadurch ließen sich politische
Unterstützungsprogramme nur schwer kontinuierlich durchhalten.
Timur Ergen
Timur Ergen ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. Er studierte
Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen
und wurde im Oktober 2014 an der Universität zu Köln promoviert.
Forschungsinteressen: industrielle Organisation; Politische Ökonomie; Technolo­gie­­
politik; Wirtschaftssoziologie.
Zum Weiterlesen
ABELSHAUSER, W.: Der Traum von der
umweltverträglichen Energie und seine schwie­
Doktorgrades der Philosophie. Ludwig-
rige Verwirklichung. Vierteljahreshefte für
Maximilians-Universität, München 2000.
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 101(1),
49–61 (2014).
42
Inaugural-Dissertation zur Erlangung des
RADKAU, J.: Von der Kohlenot zur Solaren
Vision: Wege und Irrwege bundesdeutscher
MENER, G.: Zwischen Labor und Markt:
Energiepolitik. In: Schwarz, H.-P. (Hg.), Die
Geschichte der Sonnenenergienutzung in
Bundesrepublik Deutschland: Eine Bilanz
Deutschland und den USA, 1860–1986.
nach 60 Jahren. Böhlau, Köln 2008, 461–86.
Aus der Forschung
Freiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten?
Haushaltsüberschüsse im internationalen Vergleich
Lukas Haffert
2014 erzielte die Bundesregierung den ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 1969. Mit die­
ser „schwarzen Null“ verbinden sich große Hoffnungen: Endlich wieder seien Investitionen in die
öffentliche Infrastruktur, in Bildung, Forschung und Familien möglich, die lange Zeit ausgeblieben
sind. Doch wie berechtigt ist dieser Optimismus? Eine Untersuchung von Ländern, die dauerhaft
Haushaltsüberschüsse erwirtschaften, bietet Anlass zu Skepsis.
Der Rückgang staatlicher Handlungsfähigkeit und die Suche
nach politischen Antworten
In fast allen entwickelten Demokratien geht die Handlungsfähigkeit des Staates seit
Jahren zurück. Es festigt sich der Eindruck, politische Entscheidungen seien immer öfter
das Ergebnis unverrückbarer Sachzwänge. Solche Zwänge untergraben die fundamentale
Voraussetzung der Demokratie, nämlich die Möglichkeit, eine Wahl zwischen verschiede­
nen Alternativen zu haben. Wo der Sachzwang herrscht, ist keine Wahl mehr zu treffen.
Vor diesem Hintergrund ist es ein enorm wichtiges Ziel, den Spielraum für politische
Optio­­nen wiederherzustellen. Wie aber ist dies zu bewerkstelligen?
Eine insbesondere in Deutschland sehr populäre Strategie sieht die Lösung hierfür in einer
nachhaltigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und dem Erwirtschaften dauer­
hafter Überschüsse. Ihre Logik basiert auf einem einfachen Umkehrschluss: Wenn eine
Freiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten?
43
steigende Verschuldung zu einer sinkenden Handlungsfähigkeit führt, muss eine sinken­de
Verschuldung einen Wiederanstieg derselben nach sich ziehen. Gelingt es also, fiskalische
Manövriermasse zurückzugewinnen, kann auch wieder zwischen politischen Alternativen
entschieden werden.
Diese Strategie kann man als „progressive Kon­so­
lidierungsthese“ bezeichnen. Ein Abbau der Staats­ Sachzwänge untergraben eine
verschuldung ist demnach kein Zweck an sich, fundamentale Voraussetzung der
sondern ein Mittel zum Zweck, nämlich zur Wie­
Demokratie: die Wahl zwischen
der­
gewinnung staatlicher Gestaltungsfähigkeit.
Konsolidierungen sind also nur ein erster Schritt verschiedenen Alternativen.
und sollen es ermöglichen, die nötigen finanziel­
len Ressourcen für die eigentlichen Politikziele aufzubringen. Diese eigentlichen Ziele
sind dann vor allem Programme, die Zukunftschancen schaffen, statt für die Lasten der
Vergangenheit aufzukommen. Konkret dienen diesem Zweck vor allem „harte“ und „wei­
che“ Investitionen: einerseits in die öffentliche Infrastruktur, andererseits in die Bürger­in­
nen und Bürger eines Landes, also in Bildung, Forschung und Familien.
Erlauben Überschüsse die Wiedergewinnung
staatlicher Handlungsfähigkeit?
Besonders gute Voraussetzungen für das Gelingen einer progressiven Konsolidierung
scheinen Län­der mit dauerhaften Haushaltsüberschüssen zu haben. Solchen Ländern
gelingt es nämlich nicht nur, ihre Einnahmen und Ausgaben auszugleichen und das
Wachstum der Staatsverschuldung zu stoppen. Vielmehr können sie die Verschuldung
sogar deutlich senken. Damit nimmt auch ihre Zinslast erheblich ab, wodurch sich neue,
substanzielle fiskalische Spielräume eröffnen. Zudem sind Überschussländer we­ni­ger auf
das Wohlwollen der Finanzmärkte angewiesen. Die Voraussetzungen für eine Be­frei­ung
vom Diktat des politischen Sachzwangs sind dort also sehr günstig.
Darüber hinaus sind Haushaltsüberschüsse ein empirisch weitaus relevanteres Phänomen,
als man intuitiv vermuten mag. So erzielten die meisten entwickelten Demokratien in den
vergangenen drei Jahrzehnten zwar gelegentlich eine „schwarze Null“. In der Regel verloren
sie diese aber auch rasch wieder. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte der in den Jahren
1998 bis 2000 erwirtschaftete und verlorene Haushaltsüberschuss der Regierung Clinton sein.
Sechs Ländern jedoch gelang es, ihre Haus­hal­te
für mehr als ein Jahrzehnt fast permanent in den Sechs Staaten erzielten für mehr als
schwarzen Zahlen zu halten, näm­lich Australien, ein Jahrzehnt Überschüsse.
na­
da, Neuseeland und
Dänemark, Finnland, Ka­
Schweden. All diese Länder wiesen noch zu
Beginn der 1990er-Jah­re erhebliche De­fi­zite aus. Sie reagierten darauf mit umfassenden
fiskalischen Konso­li­die­rungs­anstrengungen, glichen ihre Haushalte aus und bewahrten
die Über­schüs­se bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 (Abb. 1).
44
Aus der Forschung
Entwicklung des Haushaltssaldos in sechs Überschussländern
Abb. 1
Prozent des BIP
6
4
2
0
–2
–4
–6
–8
– 10
– 12
1990
1992
Finnland
Schweden
Dänemark
1994
1996
1998
2000
2002
2004
2006
2008
Australien
Neuseeland
Kanada
Quelle: OECD Economic Outlook No. 92; eigene Berechnung.
Wie aber haben diese Länder ihre neu gewonnenen fiskalischen Spielräume genutzt?
Haben sie Steuern gesenkt? Staatsausgaben erhöht? Wenn ja, in welchen Bereichen? Bei der
Beantwortung dieser Fragen liegt ein besonderes Augenmerk auf der staatlichen Gestal­­­t­ungs­tätigkeit: Wenn sich die Hoffnungen der Konsolidierungsbefürworter erfüllen, dann
sollte in diesen Ländern ein deutlicher Wiederanstieg der öffentlichen Investitionen in die
öffentliche Infrastruktur und die Bürgerinnen und Bürger zu beobachten sein.
Ein Anstieg der Gestaltungsausgaben bleibt aus
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung können jedoch nur als ernüchternd
be­zeich­net werden. Dies zeigt insbesondere die Entwicklung der Nettokernausgaben, also
die Entwicklung der gesamten Staatsausgaben abzüglich sämtlicher Zinskosten und der
Ausgaben des Wohlfahrtsstaates. Sie erlauben damit einen Einblick in die Entwicklung
der staatlichen Gestaltungsfähigkeit, verstanden als die Fähigkeit, zukunftsorientierte
Ausgaben zu tätigen.
Abbildung 2 zeigt die Entwicklung dieser Ausgaben in den ersten zehn Überschussjahren
und den vorausgehenden Konsolidierungen. Dabei steht das mit der Zahl 1 bezeichnete
Jahr für das jeweils erste Jahr im Überschuss. Der für dieses Jahr abgebildete Wert ent­
Freiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten?
45
Durchschnittliche Entwicklung der Nettokernausgaben
der Überschussländer
Abb. 2
Prozent des BIP
30
28
26
24
22
20
Jahre vor und nach erzieltem Überschuss
–4
–3
–2
–1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Quelle: OECD Economic Outlook No. 92; eigene Berechnung.
spricht also dem Durchschnitt dessen, was die einzelnen Länder in ihrem jeweils ersten
Überschussjahr, in Kanada zum Beispiel im Jahr 1997 und in Schweden im Jahr 1998, an
Nettokernausgaben tätigten.
Sowohl in Dänemark, Finnland und Schweden als
auch in Australien, Kanada und Neuseeland war Den sechs Ländern gelang es
die Haushaltskonsolidierung, die dem Überschuss nicht, ihre Zusatzeinnahmen
vorausgegangen war, mit erheblichen Kürzungen
für eine spürbare Erhöhung der
der Nettokernausgaben verbunden. Damit erfolg­
te der Abbau des Defizits also fast ausschließlich Nettokernausgaben zu nutzen.
auf der Ausgabenseite des Haushalts. So kürzte
beispielsweise der kanadische Bundesstaat seine Ausgaben in nur vier Jahren von 120,0
auf 108,8 Milliarden Kanadische Dollar. Nach Überwindung der Defizite kehrte sich dieser
Trend dann aber nicht etwa um, sondern setzte sich sogar weiter fort: Statt wieder anzu­
steigen, gingen die Nettokernausgaben weiterhin leicht zurück.
Hinter diesem grafischen Eindruck (Abb. 2) verbirgt sich ein Zusammenhang, der auch
statistisch abgesichert werden kann. Selbst wenn man die Überschussländer mit anderen
Ländern vergleicht und dabei den Einfluss zusätzlicher Faktoren wie Globalisierung und
Demografie berücksichtigt, bleibt die Entwicklung der Investitionsausgaben enttäu­
schend. Trotz häufig wiederholter Absichtserklärungen gelang es den sechs Ländern nicht,
ihre Zusatzeinnahmen für eine spürbare Erhöhung der Nettokernausgaben zu nutzen.
Ganz Ähnliches gilt auch für die harten Infrastrukturinvestitionen und die weichen
Investitionen in Bildung, Forschung und Familien: All diese Ausgaben wurden während
der Konsolidierungsphase deutlich gekürzt, im Überschuss aber nicht wieder erhöht.
46
Aus der Forschung
Konsolidierungen verändern den politischen Entscheidungskontext
Der Befund, dass selbst lang anhaltende Über­
schüs­se nicht mit einem spürbaren Wieder­anstieg
der öffentlichen Investitionstätigkeit verbunden
Konsolidierungsphase prägten
waren, wirft unmittelbar die Frage nach den
auch die Fiskalpolitik der Über­
Grün­
den für diese Entwicklung auf. Wie die
schussperiode.
genauere Unter­
suchung der einzelnen Länder
zeigt, blieb die Fiskalpolitik der Überschuss­länder
stark von Weichenstellungen geprägt, die im Konsolidierungszeitraum getroffen worden
waren. Entscheidungen der Konsolidierung setzten sich folglich in der Fiskalpolitik der
Überschussperiode fort und bedingten diese. Sie stärkten bestimmte Interessengruppen
und deren politischen Ziele und schwächten deren Konkurrenten. Die Art und Weise, wie
ein Überschuss entstand, hatte also Auswirkungen darauf, wie er verwendet wurde.
Die Weichenstellungen in der
Das lag in erster Linie an der konkreten Ausge­stal­tung der Konsolidierungsmaßnahmen.
Diese erreichten nicht nur ein enormes Ausmaß, vielmehr kam es daneben auch zu
grundlegenden poli­tischen und institutionellen Reformen, die ein dauerhaftes Regime
sparsamer und risikoscheuer Fiskalpolitik etablierten. Vor allem aber vollzogen sich die
einzelnen politischen Veränderungen nicht unabhängig voneinander, sondern verstärk­
ten sich gegenseitig: Neue Vorstellungen von guter Fiskalpolitik lösten institutionelle
Reformen aus, diese veränderten die politischen Maßnahmen, die sich wiederum auf die
Struktur der politischen Interessen auswirkten. Veränderte politische Interessen beein­
flussten sodann das strategische Kalkül der Parteien, die neue institutionelle Reformen
auf den Weg brachten. Letztlich blieben diese Reformen auch nach dem erfolgreichen
Abschluss der Konsolidierung wirksam. Die Haushaltskonsolidierung wurde damit zu der
entscheidenden Weggabelung: Die Reformen beschränkten den politischen Spielraum bei
der Verwendung der Überschüsse, indem sie ein neues „Überschussregime“ etablierten,
das der Bewahrung ausgeglichener Haushalte durch fortgesetzte Sparsamkeit einen klaren
Vorrang vor größeren Investitionen einräumte.
Die „schwarze Null“ ist kein Zeichen zurückkehrenden Überflusses
Eine „schwarze Null“ ist demnach nicht mit wach­
sender fiskalpolitischer Handlungsfähigkeit gleich­
zusetzen. Die Verteilung der Überschüsse erfolgt
die zunehmende Erosion staatlicher
unter nicht weniger großen politischen Zwängen
Gestaltungsfähigkeit weder stoppen
als die Verteilung von Konsolidierungslasten. Und
noch umkehren.
die Interessengruppen und Politikfelder, die beson­
ders umfangreiche Sparmaßnahmen verkraften
müssen, haben eine sehr schlechte Ausgangsposition, um vom Haushaltsplus zu profitie­
ren. Mit Überschüssen allein ist die zunehmende Erosion staatlicher Gestaltungsfähigkeit
also weder gestoppt noch gar umgekehrt.
Mit Überschüssen allein lässt sich
Freiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten?
47
Vor diesem Hintergrund sind zukünftige deutsche Haushaltsüberschüsse zurückhaltend
zu bewerten. Denn angesichts der Tatsache, dass keinem der untersuchten Länder ein
Wie­der­ausbau der Gestaltungsausgaben gelang, ist es unwahrscheinlich, dass ausgerech­
net Deutschland seine Investitionstätigkeit bei gleichzeitigem Schuldenabbau spürbar
wird erhöhen können. Dies wäre wohl nur möglich, wenn die dafür nötigen Mittel durch
Steuererhöhungen oder eine Kürzung anderer Staatsausgaben generiert werden können –
und mit beidem ist bis auf Weiteres nicht zu rechnen. Vielmehr macht die Existenz eines
Überschusses solche Schritte sogar zunehmend unwahrscheinlich.
Lukas Haffert
Lukas Haffert ist seit Juli 2015 Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft der
Universität Zürich. Von 2010 bis 2014 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am
MPIfG. Danach arbei­tete er ein Jahr am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz.
Haffert studierte Volkswirtschaftslehre in Münster und St. Gallen und wurde im
Juli 2014 an der Universität zu Köln promoviert. Für seine Doktorarbeit erhielt er
2015 die Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft.
Forschungsinteressen: Politische Ökonomie; Fiskalpolitik; Staatstätigkeitsfor­
schung; Institutionentheorie.
Zum Weiterlesen
HAFFERT, L.: Freiheit von Schulden – Freiheit
HAFFERT, L. & MEHRTENS, P.: Haushalts­
zum Gestalten? Die Politische Ökonomie
überschüsse, konservative Parteien und
von Haushaltsüberschüssen. Schriften aus
das Trilemma der Fiskalpolitik. Politische
dem Max-Planck-Institut für Gesell­schafts­
Vierteljahresschrift 55(4), 699–724 (2014).
forschung, Bd. 84. Campus, Frankfurt a.M.
2015.
HAFFERT, L. & MEHRTENS, P.: From Austerity
to Expansion? Consolidation, Budget
Surpluses, and the Decline of Fiscal Capacity.
Politics & Society 43(1), 119–148 (2015).
48
Aus der Forschung
Staatsschulden und Staatstätigkeit
im schwedischen Sozialstaat
Philip Mehrtens
Wie kann es in einem entwickelten Industrieland mit einem ausgebauten Sozialstaat gelingen, die
öffentliche Verschuldung in kurzer Zeit und in großem Umfang zu reduzieren? Was sind die gesell­
schafts- und sozialpolitischen Folgen einer Haushaltskonsolidierung und wie stellt sich die Politik
nach einer überwundenen Schuldenkrise in Zeiten regelmäßiger Überschüsse dar? Die Entwicklung
in Schweden gibt Antworten auf die hier aufgeworfenen Fragen.
Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte liegt in den entwickelten westlichen Ländern
heute im Durchschnitt bei über einhundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der
Schul­den­stand übertrifft damit die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung der Volks­wirt­
schaften und steigt vor allem durch die jüngsten staatlichen Bankenrettungsmaßnahmen
weiter an.
Enorme Staatsschulden und insbesondere schnell ansteigende Defizite können den Hand­
lungs­spielraum einer Regierung beschneiden und starken strukturellen Problemdruck
erzeu­gen. Politik findet dadurch häufig in einem Kontext anhaltender Austerität statt: Sie
wan­delt sich von der proaktiven Gestaltung der Gesellschaft durch staatliche Ausgaben
hin zur Durchsetzung von Sparmaßnahmen. Aufgrund der ökonomischen und demogra­
fischen Bedingungen zeichnet sich in den meisten Ländern kein einfacher Ausweg aus der
gegenwärtigen Verschuldungspraxis ab. Vor diesem Hintergrund verspricht die Analyse
eines Landes, das eine solche Wirtschafts- und Schuldenkrise bereits überwunden hat,
besonders interessante und vielversprechende Erkenntnisse.
Staatsschulden und Staatstätigkeit im schwedischen Sozialstaat
49
Schweden – ein Musterland?
Schweden war in den 1980er- und den 1990er-Jah­
ren mit ähnlichen Haushaltskrisen konfrontiert. Politik in anhaltender Austerität
Trotzdem gilt Schweden gemeinhin als reiches wandelt sich von der proakti­­ven
und vorbildhaftes Musterland mit einem hohen
Gestaltung der Gesellschaft durch
Lebensstandard, dem es gelingt, wirtschaftliche
Prosperität und eine zufriedene Bevölkerung mit staatliche Ausgaben hin zur
hoher Einkommens- und Chancengleichheit zu Durchsetzung von Sparmaßnahmen.
vereinbaren. Als zentrale Gründe dafür gelten
unter anderem der ausgebaute Wohlfahrtsstaat mit seinem großen öffentlichen Sektor und
die weitreichende Umverteilung durch hohe Steuersätze.
Die zwei schweren Staatsschuldenkrisen haben Schweden jedoch tiefgreifend verändert.
Durch einschneidende Antikrisenmaßnahmen und strukturelle Reformen ist es den
schwe­dischen Regierungen mittlerweile zwar gelungen, neue Wachstumsimpulse zu setzen
und zweistellige Defizite in regelmäßige Haushaltsüberschüsse zu verwandeln; diese haben
allerdings ihren Preis und so zeigt der schwedische Staat heute ein anderes sozial- und
gesellschaftspolitisches Gesicht.
Die Stagflationskrise
In Schweden endete gegen Mitte der 1970er-Jahre die goldene Nachkriegszeit dauerhafter
Prosperität (Abb. 1). Die schwedische Politik war mit einer doppelten Krise konfrontiert.
Strukturelle Probleme in der Wirtschaft und bei der Lohnfindungspolitik bewirkten
eine sogenannte Stagflation, also steigende Inflationsraten bei einem gleichzeitig gerin­
gen Wachstum. Bürgerliche und sozialdemokratische Regierungen begegneten dem
Stagflationsdilemma zunächst auf die klassisch keynesianische Weise mit schuldenfi­
nanzierten staatlichen Ausgabensteigerungen und wiederholten Abwertungen der Krone.
Diese führten zu öffentlichen Defiziten und einer schnell ansteigenden Staatsverschuldung.
Nachdem sich die Situation Anfang der 1980er-Jahre nicht besserte, reagierten die
Politiker, indem sie den zuvor betriebenen Ausbau des öffentlichen Sektors zu bremsen
versuchten. Sie hielten jedoch an der grundsätzlichen wirtschafts- und arbeitsmarktpoli­
tischen Ausrichtung fest, deren wichtigstes Ziel das Vollbeschäftigungsversprechen blieb.
Letztlich gelang es, den Schuldenstand vor allem aufgrund der starken Inflation und einer
auf der Exportindustrie basierenden Wachstumsstrategie zu konsolidieren. Wichtige
Strukturreformen umfassten die Deregulierung der Finanzmärkte und eine Verschiebung
der Steuerlast hin zu indirekten Konsumsteuern.
Die Finanz- und Immobilienkrise
Obwohl die Wirtschafts- und Haushaltsprobleme zunächst gelöst waren, geriet Schweden
zu Beginn der 1990er-Jahre in eine zweite und noch verheerendere Wirtschafts- und
Finanzkrise. Durch das Platzen einer Spekulationsblase auf dem Kredit- und Immo­
bi­lien­markt, gepaart mit der tiefsten und längsten wirtschaftlichen Rezession seit den
50
Aus der Forschung
90
Abb. 1
Saldo
Schulden
Staatsschulden und Finanzierungssaldo
als Anteil des schwedischen Bruttoinlandsprodukts in Prozent
Goldenes
Zeitalter
Krise I
Krise II
Sparpolitik
8
80
6
70
4
2
60
0
50
–2
40
–4
30
–6
20
–8
10
–10
0
–12
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Quelle: OECD Economic Outlook Database.
1930er-Jahren, drohte das gesamte schwedische Finanz- und Bankensystem aus den Fugen
zu geraten. Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung stiegen sprunghaft an. In wenigen
Jahren verdoppelten sich die öffentlichen Verbindlichkeiten auf fast 85 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts und die Arbeitslosenquote verfünffachte sich auf über 11 Prozent.
Die Krise wurde zusätzlich durch das hohe Zinsniveau verschärft, mit dem die Zentralbank
versuchte, das System fester Wechselkurse aufrechtzuerhalten und eine Abwertung der
Krone zu verhindern.
Durch einen beispiellosen nationalen Kraftakt
und einschneidende Reformen ist es der schwedi­
schen Politik schließlich gelungen, die Banken zu
sende Antikrisenpakete und erreich­
sta­bi­lisieren, den Export und damit die Wirtschaft
te eine größtmögliche und relativ
zu beleben und zweistellige Haushaltsdefizite in
faire Lastenverteilung.
regelmäßige Überschüsse zu verwandeln. Im Ver­
gleich zu ähnlichen Krisen­situ­a­tionen in anderen
Ländern fallen bei der schwe­di­schen Haushalts­
konso­lidierung insbesondere drei Aspekte auf: die lagerübergrei­fen­de Zusammenarbeit
von Regierung und Opposition, die hohe Transparenz der Reform­maßnahmen und die
Beteiligung möglichst aller Bevölkerungsgruppen an den Kosten. So vermied das Land
eine Verschleppung der Krise durch politisches Taktieren, verabschie­de­te umfassende
Antikrisenpakete und erreichte eine größtmögliche und relativ faire Lastenverteilung.
Schweden verabschiedete umfas­
Staatsschulden und Staatstätigkeit im schwedischen Sozialstaat
51
Die Grundprinzipien des schwedischen Wohlfahrtsstaates blieben von der Austeritätspolitik unbe­
rührt. Dennoch wurden konstitutive Merkmale des schwedischen Modells wie etwa das Voll­beschäf­
tigungs­ziel zugunsten der Geldwertstabilität aufgegeben. Kehrseite dieser Reform ist eine bis heute
anhaltende, hohe Sockelarbeitslosigkeit.
Paradigmatische Verschiebungen
Dennoch wurden konstitutive Merkmale des schwedischen Modells wie das Voll­be­schäf­
tigungsziel zugunsten der Geldwertstabilität aufgegeben. Weitere institutionel­le Reformen
umfassten den Beitritt zur Europäischen Union, die Einführung einer unab­hän­­gi­gen
halts­
Zentralbank, eine grundlegende Rentenreform und eine deutlich striktere Haus­
politik. Unter anderem schreibt diese eine rigide mehrjährige Ausgabendeckelung und ein
Überschussziel gesetzlich fest.
Trotz dieser weitreichenden Strukturreformen und teilweise erheblicher Kürzungen der
So­zial­ausgaben blieben die Grundprinzipien des schwedischen Wohlfahrtsstaates auf dem
Höhe­punkt der Finanzkrise Mitte der 1990er-Jahre von der Austeritätspolitik unberührt.
Wei­ter­hin gab es eine universelle soziale Absicherung für alle Bürgerinnen und Bürger, die
durch Steuern und Abgaben und nicht durch private Sozialversicherungen finanziert wurde.
Allerdings gab es in allen relevanten Politikfeldern
durch die Krisenmaßnahmen tiefgreifende Refor­ Tiefgreifende Reformen haben
men, die die Prioritäten der Staatstätigkeit ver­ die Prioritäten der Staatstätigkeit
schoben haben. Es kann von einer paradigmati­
verschoben: Die Haushaltsdisziplin
schen Wende gesprochen werden, nach der Haus­
haltsdisziplin Vorrang vor Umverteilung hat. Zwar hat nun Vorrang vor einer
gelang es so, die dramatische Schuldenkrise unter Umverteilung.
Kontrolle zu bringen und den Staatshaushalt zu
sanieren. Die Kehrseite dieser Reformen wird aber vor allem durch eine anhaltend hohe
Sockelarbeitslosigkeit und Dualisierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt deutlich.
52
Aus der Forschung
Sparen ohne finanzielle Notwendigkeit
Das strikte Haushaltsregime führt Schweden bis heute fort, obwohl die Schuldenkrise
lange überwunden ist und die Staatsverschuldung seit vielen Jahren kontinuierlich abge­
baut wird. Selbst die schwere globale Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009, von der
auch Schweden stark betroffen war, hat nichts daran geändert. Der schwedische Staat
erzielt jedes Jahr einen strukturellen Primärüberschuss. Anders als viele andere europä­
ische Länder, die unter Rekordschuldenständen ächzen und die öffentlichen Ausgaben
kürzen müssen, hat Schweden eine sehr geringe Staatsverschuldung. Theoretisch könnte
das Land problemlos mehr in seine Infrastruktur oder sein Bildungssystem investieren –
tut dies jedoch nicht, sondern spart weiter.
Obwohl der schwedische Staat jedes Jahr mehr Geld einnimmt, als er ausgibt und finanzi­
ell glänzend dasteht, nutzt er den zurückgewonnen finanziellen Spielraum nicht für poli­
ti­sche Maßnahmen zur stärkeren Gestaltung der Gesellschaft etwa durch höhere Staats­
ausgaben oder eine Ausweitung der Sozialpolitik. Stattdessen zieht sich der Staat immer
weiter aus Wirtschaft und Gesellschaft zurück, hält das Sparregime auch Jahre nach der
Krise aufrecht und verwendet die Überschüsse für den Schuldenabbau und wiederholte
Steuersenkungen.
Diese ohne finanzpolitische Notwendigkeit
schein­­bar paradoxe Sparpolitik hat über die letz­
ten beiden Dekaden eine schleichende Libera­
hat eine schleichende Liberalisierung
li­
sie­­
rung und Privatisierung insbesondere in
und Privatisierung des schwedischen
den Dienstleistungssektoren des schwedischen
Wohlfahrtsstaates bewirkt.
Wohl­
fahrts­
staates bewirkt. Die sozioökonomi­
schen Folgen des staatlichen Rückzugs markieren
eine Risikoverlagerung vom Staat und der Solidargemeinschaft auf den Markt und das
Individuum. Kinderbetreuung, schulische Bildung, gesundheitliche Absicherung oder die
Rente hängen in Schweden immer stärker vom persönlichen Einkommen, individueller
Vorsorge und dem Bildungsgrad der Schwedinnen und Schweden ab. Der Staat garantiert
nicht mehr ein gleichermaßen hohes Niveau sozialer Sicherung für alle Bürgerinnen und
Bürger. Während sich die Finanzsituation des schwedischen Staates jedes Jahr verbessert,
sinken die öffentlichen Renten, die Arbeitslosenquote verbleibt auf einem hohen Niveau
und die Einkommensungleichheit steigt seit Jahrzehnten schneller als in den meisten
europäischen Ländern.
Die scheinbar paradoxe Spar­poli­tik
Schweden heute
Heute befindet sich Schweden in einem ambivalenten Zustand. Einerseits sind die
Steuersätze, die Staatsquote und die soziale Sicherung im internationalen Vergleich immer
noch sehr hoch. Andererseits sind sie im letzten Jahrzehnt aber auch besonders schnell
und stark gesunken. Angesichts der Entwicklungen ist es fraglich, ob Schweden unein­
geschränkt als Vorbild für eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung dienen kann. Zwar
Staatsschulden und Staatstätigkeit im schwedischen Sozialstaat
53
ist es zutreffend, dass Schweden die schwere Krise in den 1990er-Jahren relativ schnell
gelöst hat, allerdings geht dies einher mit einem Rückgang der gesellschafts- und sozial­
politischen Ambitionen des Staates. Steuerliche Entlastungen kommen vor allem den
Wohlhabenden zugute.
Dennoch genießt das Überschussregime in beiden politischen Lagern hohe Legitimation.
Weder regierende Sozialdemokraten noch die bürgerliche Opposition stellen die
Sparpolitik ernsthaft infrage. Eine Umkehr dieses Entwicklungstrends ist daher auch vor
dem Hintergrund der Finanz- und Schuldenkrisen in weiten Teilen Europas und der poli­
tischen Ausgangslage in Schweden eher unwahrscheinlich.
Philip Mehrtens
Philip Mehrtens ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. Er studierte
Politikwissenschaft und Sozialpolitik an der Universität Bremen und wurde 2013
an der Universität zu Köln promoviert.
Forschungsinteressen: politische Ökonomie; vergleichende Sozialpolitikforschung;
Fiskalpolitik; institutioneller Wandel.
Zum Weiterlesen
MEHRTENS, P.: Staatsschulden und
HAFFERT, L. & MEHRTENS, P.: Haushalts­
Staatstätigkeit: Zur Transformation
überschüsse, konservative Parteien und
der politischen Ökonomie Schwedens.
das Trilemma der Fiskalpolitik. Politische
Schriften aus dem Max-Planck-Institut für
Vierteljahresschrift 55(4), 699–724 (2014).
Gesellschaftsforschung, Bd. 80. Campus,
Frankfurt a.M. 2014.
54
SVALLFORS, S.: Politics as Organized Combat:
New Players and New Rules of the Game in
HAFFERT, L. & MEHRTENS, P.: From Austerity
Sweden. MPIfG Discussion Paper 15/2. Max-
to Expansion? Consolidation, Budget
Planck-Institut für Gesellschaftsforschung,
Surpluses, and the Decline of Fiscal Capacity.
Köln 2015.
Politics & Society 43(1), 119–148 (2015).
www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp15-2.pdf
Aus der Forschung
Varianten der Finanzialisierung
Was treibt und was bremst die private Verschuldung
in Deutschland?
Daniel Mertens
Niedrige Zinsen der Europäischen Zentralbank, massenweise Kreditangebote im Internet, NullPro­zent-Finanzierungen im Handel: Für Privatpersonen war es selten so leicht, einen Kredit aufzu­
neh­men. Warnungen vor einem Konsumrausch und möglichen Kreditblasen ignorieren jedoch die
Komplexität des Phänomens. Aus dem Blickwinkel der Politischen Ökonomie werden die Zusam­
menhänge klarer.
Die Finanzkrise war in vielerlei Hinsicht ein Ereignis mit Enthüllungskraft. Licht fiel
dabei auch auf den lange Zeit unbeachteten oder doch zumindest unterschätzten Anstieg
privater Verschuldung. Insbesondere in den USA, aber auch in einigen europäischen
Ländern hatte dieser Anstieg zunächst die Wohnungsmärkte, dann ganze Finanzsysteme
und Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds oder darüber hinaus gebracht. Die
nun folgende Welle an Privatinsolvenzen und Hausräumungen in Ländern, in denen die
Immobilienblasen platzten, verstärkte dabei das verbreitete Bild, private Verschuldung und
Überschuldung gehörten zusammen wie Tag und Nacht. Allerdings verstellte dies man­
cherorts den Blick darauf, dass der Kredit an private Haushalte längst zu einem zentralen
Moment kapitalistischer Vergesellschaftung geworden war.
So ist das enorme Wachstum von Immobilien- und Konsumentenkrediten während der
vergangenen dreißig bis vierzig Jahre ein Kernelement der sogenannten Finanzialisierung.
Damit ist – grob gesprochen – ein Prozess gemeint, durch den Finanzaktivitäten,
Varianten der Finanzialisierung
55
Privatverschuldung in der OECD, 1995–2010
Abb. 1
Privatverschuldung in Prozent des BIP
110
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
1995
1997
Großbritannien
USA
Deutschland
OECD Mittelwert
1999
2001
2003
2005
2007
2009
Schweden
Spanien
Frankreich
Italien
Quellen: OECD Financial Balance Sheets; OECD Economic Outlook No. 95; eigene Berechnung.
-­interessen und -motive eine Bedeutungszunahme
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erfah­ Das enorme Wachstum von
ren. Unklar ist allerdings, inwiefern sich die­ Immo­bilien- und Konsu­menten­
ser Prozess zwischen den Ländern des OECDkrediten ist ein Kernelement der
Wirtschaftsraumes unter­
scheidet und durch
welche institutionellen Bedingungen spezifische Finanzialisierung.
Varianten der Finanzialisierung entstehen. Mit
Blick auf die Entwicklung privater Verschuldung sticht der deutsche Fall besonders hervor.
Abbildung 1 zeigt für eine Reihe von Ländern den Anstieg der Verbindlichkeiten privater
Haushalte, wobei die Schulden deutscher Haushalte seit Beginn der 2000er-Jahre entgegen
dem internationalen Trend zurückgegangen sind. Auch nach der Finanzkrise stagnierte
das Kreditvolumen gemessen an der Wirtschaftsleistung und wirft Fragen nach dem
Umfang der Finanzialisierung hiesiger Privathaushalte auf. Das langfristige und durchaus
dynamische Schuldenwachstum bis Ende der 1990er-Jahre macht Erklärungen nach dem
Muster „Das war in Deutschland schon immer so“ allerdings höchst unplausibel. Wie also
lässt sich stattdessen die Kreditentwicklung erklären?
56
Aus der Forschung
Was eine Politische Ökonomie der Privatverschuldung leistet
Private Verschuldung ist auf das Engste mit gesell­schaftlichen Regelsystemen, politischen
Wei­chen­stellungen und wirtschaftlicher Ent­wick­lung verknüpft und kann nicht allein als
Er­gebnis vereinzelter Konsum- und Investi­tions­entscheidungen verstan­den werden. Eine
ganze Reihe von For­schungsbeiträgen hat für die lange Phase der US-amerikanischen
Kreditexpansion diese Prämissen unterstrichen, indem sie die Rolle der privaten
Verschuldung in der Entwicklung des dortigen Sozial- und Wirt­­schafts­modells herausge­
stellt und dessen Rückwirkungen auf das Kreditvolumen offengelegt hat. Politökonomische
Konzepte wie das des privatisierten Keynesianismus oder des finanzdominierten
Akkumulationsregimes betonen dabei das systematische Zusammenspiel verschiedener
institutioneller Teilbereiche, die gemeinsam zu einem außerordentlichen Anstieg der
Privatverschuldung in den USA beigetragen haben – mit entsprechenden Parallelen in
anderen entwickelten Ländern. Im Kern lassen sich fünf dieser Teilbereiche benennen, die
die Verschuldungsbereitschaft und Verschuldungsmöglichkeiten privater Haushalte bedin­
gen: das Finanzsystem, das währungs- und wirtschaftspolitische Regime, der Arbeitsmarkt,
der Wohlfahrtsstaat und der Wohnungsmarkt (Abb. 2). Eine Politische Ökonomie der
Privatverschuldung muss dabei die Dynamik verschuldungsrelevanter Institutionen in den
Blick nehmen, unabhängig davon, ob sie aus ihnen selbst entspringt oder Folge sich wan­
delnder Kräfteverhältnisse und historischer Ereignisse ist.
Privatverschuldung im deutschen Modell
Im Gegensatz zu den USA und vielen anderen
Ländern war das deutsche Wirtschafts- und
Das deutsche Wirtschafts- und
Sozialmodell, wie es sich in der Nachkriegszeit
Sozial­modell der Nachkriegszeit
etablierte, viel stärker von der Entwicklung des
basierte auf einer Politik, die
Exportsektors abhängig. Damit basierte es auf einer
Sparen und Investitionen stets mehr
Politik, die Sparen und Investitionen stets mehr
förderte als Leihen und Konsum. Die umfang­
förderte als Leihen und Konsum.
reiche fiskalische Förderung des privaten (Bau-)
Sparens, die frühe Festigung eines Mietwohnungsmarktes, die strikt an Außenwirtschaft und
Preisstabilität orientierte Politik der Bundesbank oder die industriepolitisch ausgerichtete
Regulierung des deutschen Finanzsystems – all dies sind wichtige Anhaltspunkte für einen in
der Tendenz restriktiveren Umgang mit dem privaten Kredit.
Doch auch diese oftmals ineinandergreifenden Elemente des deutschen Modells befan­
den sich immer in Bewegung, sodass ihr Einfluss auf die private Verschuldung variierte
und von den ökonomischen und politischen Zeichen der Zeit mitbestimmt wurde. So
begann die Expansion des Kreditgeschäfts mit Privathaushalten Ende der 1960er-Jahre,
als der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller im Zuge der ersten Nachkriegsrezession
die Zinsen liberalisierte und das Wettbewerbsverbot für den Bankensektor aufhob. Die
nur wenig später erfolgte Liberalisierung der Genossenschaftsbanken erweiterte die
Verschuldungsmöglichkeiten der Haushalte zusätzlich und bescherte dem deutschen
Finanzsektor Mitte der 1970er-Jahre Freiheitsgrade wie sie damals nur die Schweiz kannte.
Auch die 1990er-Jahre waren von einer massiven Ausweitung des Kreditgeschäfts bestimmt,
zunächst durch die direkten Effekte des Wiedervereinigungsbooms, im Anschluss daran
Varianten der Finanzialisierung
57
Die institutionellen Grundlagen privater Verschuldung
Abb. 2
Finanzsystem
Wohnungsmarkt
Verschuldungsbereitschaft
und Verschuldungsmöglichkeit
privater Haushalte
Wohlfahrtsstaat
Währungsund wirtschaftspolitisches
Regime
Arbeitsmarkt
vor allem aber durch dessen politische Verarbeitung: Privatisierungen und eine nie dage­
wesene staatliche Förderung von Eigentum im Wohnungsmarkt liefen mit einer expansi­
ven Geldpolitik im Nachklang der Krise des Europäischen Währungssystems zusammen.
Im Ergebnis wuchs die Verschuldung deutscher Haushalte in den 1990er-Jahren tatsäch­
lich stärker als in den USA und den meisten anderen Industrienationen (Abb. 1).
Trendumkehr und gedämpfte Finanzialisierung
In den 2000er-Jahren allerdings kristallisierte sich
die eingangs beschriebene Abweichung Deutsch­ Die Vollendung der Europäischen
lands vom internationalen Trend heraus. Nicht Währungsunion und die Turbu­
nur, weil die Sondereffekte der Wiedervereinigung
lenzen auf dem Neuen Markt
allmählich nachließen, auch die Vollendung der
Europäischen Währungsunion und die Turbu­ veränderten die Parameter der
len­zen auf dem Neuen Markt veränderten die Kreditentwicklung.
Pa­
ra­
meter der Kreditentwicklung. So drückten
die Wettbewerbsbedingungen im Finanzsektor verstärkt auf die Profitabilität des Privat­
kreditgeschäfts und veranlassten die international ausgerichteten Banken zur Expansion
in die Eurozone. Die das inländische Kreditgeschäft dominierenden Sparkassen und
Genossenschaftsbanken wurden ins­
be­
sondere durch die Markteintrittsstrategien von
ausländischen Banken und von Branchen- und Direkt­banken herausgefordert, stellten
58
Aus der Forschung
Durch Privatisierungen und die massive staatliche Förderung von Eigentum im Wohnungsmarkt
wuchs die Verschuldung deutscher Haushalte in den 1990er-Jahren stärker als in den USA und den
meisten anderen Industrienationen. Auf die ökonomischen und sozialen Unsicherheiten der 2000erJahre allerdings reagierte die obere Mittelschicht in Deutschland mit einer steigenden Sparquote.
Auch quasistaatliche Kreditprogramme für die Wohneigentumsbildung und eine Ausweitung der
Studienfinanzierung konnten die bremsenden Effekte des verhältnismäßig hohen Zinsniveaus infolge
der europäisierten Geldpolitik nicht ausgleichen.
ihre Kredit­ver­gabepraxis aber nur in Ansätzen auf angloliberale Standards um. Vor allem
verzichte­ten sie auf eine Nutzung der politisch ermöglichten Verbriefung von Immobilienund Konsumentenkrediten.
Zugleich dämpfte die europäisierte Geldpolitik die Kreditnachfrage durch ein an der
wirtschaftlichen Situation Deutschlands gemessen hohes Zinsniveau. Damit wurde
eine gegenteilige Dynamik zu den boomenden und nachfragestarken Ländern in der
europäischen Peripherie erzeugt. Die durch das Abgleiten in die Rezession provozierten
Reformen in der sozialen Sicherung und auf dem Arbeitsmarkt entfalteten ebenfalls
eine bremsende Wirkung auf die private Verschuldung. Zwar wurden quasistaatliche
Kreditprogramme für die Wohneigentumsbildung und die Studienfinanzierung ausgewei­
tet, doch öffentliche Ausgabenkürzungen, vor allem in der Rente, und die zunehmend pre­
kären Beschäftigungsverhältnisse verursachten ökonomische und soziale Unsicherheiten.
Insbesondere die obere Mittelschicht reagierte auf diese Situation mit einer steigenden
Sparquote und nicht mit höherer Verschuldung. Damit stand auch die aus fiskalischen
Gründen erfolgte Abschaffung der Eigenheimzulage im Einklang, die in den 1990er-Jahren
noch sehr expansiv wirkte. Zudem bestimmten stagnierende Hauspreise wieder das Bild
des Wohnungsmarktes, nachdem der Wiedervereinigungsboom verebbt war.
Unter diesen institutionellen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen blieb das
Schuldenwachstum in Deutschland hinter dem anderer Länder zurück. Die vielerorts
verstärkte Verknüpfung der Immobilien- und Konsumentenkredite mit den globa­
len Finanzmärkten verharrte hier auf einem niedrigen Niveau und dämpfte so den
Finanzialisierungstrend. Privathaushalte waren als Sparer und Mieter vergleichsweise
stärker in die sich ausweitenden Finanzmarktbeziehungen eingebunden, beispielsweise
über die Riester-Rente oder den Aufstieg institutioneller Investoren im Wohnungsmarkt,
wenngleich der Kredit in der Sozial- und Wirtschaftspolitik an Bedeutung gewonnen hatte.
Varianten der Finanzialisierung
59
Nach der Finanzkrise
Seit 2008 hat die politische Bearbeitung der Finanz- und Eurokrise zu einer partiel­
len Neukonfiguration dieser Dynamiken geführt. Insbesondere die niedrigen Zinsen
der Europäischen Zentralbank sorgen in Deutschland für Bedenken, weil sie die Spar­
orientierung der Haushalte weiter unterlaufen und Anreize für die Kreditaufnahme geben
würden. In der Tat zeigt sich, dass viele Haushalte ihre Spareinlagen verringern. Allerdings
lagen die Wachstumsraten im Kreditgeschäft in den vergangenen Jahren fortwährend
unter dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum. Des Weiteren hat die Finanzkrise eine
gewisse Vorsicht bei einigen Finanzakteuren in Deutschland hervorgerufen, wie in den
etwas vorsichtigeren Beleihungsstandards in der Immobilienfinanzierung ersichtlich wird.
Schließlich wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf die stark steigenden Preise
auf einigen regionalen Wohnungsmärkten hingewiesen, die Vorreiter oder bereits Ausdruck
einer weiteren (Kredit-)Blase seien. Die bisherigen Ausführungen sollten aber plausibel
gemacht haben, dass die Dynamik privater Verschuldung nicht allein den Kreditkosten ent­
springt, sondern einem komplexen Geflecht politökonomischer Zusammenhänge. Diesem
Geflecht Rechnung zu tragen, kann Richtschnur sein, nicht nur um die Privatverschuldung
in weiteren Ländern zu analysieren, sondern auch um die Konflikte zwischen Gläubigern
und Schuldnern in der globalen Ökonomie sorgfältiger zu interpretieren.
Daniel Mertens
Daniel Mertens ist seit Oktober 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl
für Internationale Beziehungen und Internationale Politische Ökonomie der
Goethe-Universität Frankfurt. Von 2009 bis 2014 war er wissenschaftlicher
Mitarbeiter am MPIfG und wurde 2014 an der Universität zu Köln promoviert. Er
studierte Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an
den Universitäten Bonn und Leeds.
Forschungsinteressen: vergleichende Kapitalismusforschung; Finanzialisierung;
Ins­ti­­tu­tio­nentheorie; Fiskal- und Sozialpolitik; Arbeitsbeziehungen.
Zum Weiterlesen
MERTENS, D.: Erst sparen, dann kau-
STREECK, W.: Re-Forming Capitalism:
fen? Privatverschuldung in Deutschland.
Institutional Change in the German Political
Schriften aus dem Max-Planck-Institut für
Economy. Oxford University Press, Oxford
Gesellschaftsforschung, Bd. 82. Campus,
2009.
Frankfurt a.M. 2015.
HEIRES, M. & NÖLKE, A. (HG.): Politische
Ökonomie der Finanzialisierung. Springer VS,
Wiesbaden 2014.
60
Aus der Forschung
Mieterland oder
Hauseigentümernation?
Wohnungsmärkte in Deutschland und den USA
Sebastian Kohl
Deutschland weist im internationalen Vergleich eine hohe Quote von Mieterhaushalten auf, wo­hin­
gegen insbesondere in angelsächsisch geprägten Ländern bereits seit dem frühen zwanzigsten
Jahr­hun­dert in erster Linie Hauseigentümer wohnen. Oft werden diese Unterschiede durch anders
gela­gerte kulturelle Präferenzen oder verschiedenartige Wohnungspolitiken der Staaten in den
Nach­kriegs­jahren erklärt. Es zeigt sich jedoch, dass Staaten bereits im ausgehenden neunzehnten
Jahr­hun­dert in städtischer Organisation, Wohnungsfinanzierung und der Bauwirtschaft Wege ein­
schlugen, die die bis heute geltenden Unterschiede erklären können.
Die Frage, ob man mieten oder kaufen soll, stellt sich nicht nur für Wohnungssuchende,
sondern scheidet ganze Länder voneinander: Während in angelsächsisch geprägten Län­
dern die Mehrheit von mehr als sechzig Prozent der Haushalte in den eigenen vier Wän­
den lebt, ist dies in deutschsprachigen Ländern eine Minderheit von weniger als fünfzig.
Waren in den USA kurz vor der Finanzkrise fast siebzig Prozent Hauseigentümer, lagen
vergleichbare Werte für Deutschland in der Nähe von vierzig. Mehr noch: Über das letzte
Jahrhundert kann man eine relativ stabile Diskrepanz von zwanzig Prozentpunkten zwi­
schen den Wohneigentumsquoten dieser beiden Länder ausmachen (Abb. 1). Angesichts
zahl­
reicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbrüche im letzten Jahrhundert
Mieterland oder Hauseigentümernation?
61
Wohneigentumsquoten angelsächsischer
und kontinentaler Länder
Abb. 1
Prozent
80
70
60
50
40
30
Kanada
Neuseeland
Australien
Irland
2010
2007
2004
2001
1998
1995
1992
1989
1983
1986
1980
1976
1973
1970
1967
1964
1960
1954
1949
1945
1936
1919
1900
20
USA
Großbritannien
Deutschland
Schweiz
Quelle: UN und Nationale Statistikämter.
überraschen diese stabilen Unterschiede; umso
mehr jedoch, als dass diese Länder ansonsten ver­
wand­
te ökonomische Hintergrundbedingungen
haben. Darüber hinaus äußern sich deutsche wie
US-amerikanische Haushalte in Umfragen zu ihren
Wohnvorstellungen ähnlich: Der Wunsch nach
Eigentum ist in beiden Ländern gleich ausgeprägt.
Die Wohneigentumsquote in
Deutschland und den USA unter­
scheidet sich seit rund einhundert
Jahren um zwanzig Prozentpunkte.
Unterschiede in Wohneigentumsquoten betreffen nicht nur die Frage, in welcher Rechts­
form Menschen letztlich leben, sondern haben auch erhebliche Auswirkungen auf die
Ge­sell­schaft. In der letzten Finanzkrise zum Beispiel ist die Sprengkraft deutlich geworden,
die von einem hypothekenfinanzierten Wohneigentum ausgehen kann. So kam es zu einem
dramatischen Verfall von Hauspreisen, zu Zwangsversteigerungen und zur Erschütterung
des Finanzsystems gerade in solchen Ländern, die zuvor durch Versprechungen hinsicht­
lich Altersabsicherung, finanzieller Sicherheit und der Erfüllung von Mittelklasseträumen
Hauseigentum besonders gefördert hatten. Wohneigentum wird zudem mit einer höheren
Arbeitslosigkeit wegen größerer Immobilität und einer Verbürgerlichung von Lebensstil
und Wahlverhalten in Verbindung gebracht: Auch scheint es mit konservativen politischen
Einstellungen und einem entsprechenden Wahlverhalten einherzugehen.
62
Aus der Forschung
Bisherige wissenschaftliche Erklärungen
Wie lassen sich diese Unterschiede in den Wohneigentumsquoten wissenschaftlich er­­klä­
ren? Am populärsten sind Auffassungen, die die Unterschiede in kulturell bedingten
Präferenzen sehen: Zum amerikanischen Traum gehört demnach einfach das Eigenheim.
Dies ist nicht von der Hand zu weisen; es erklärt aber nur bedingt, warum es innerhalb der
beiden Länder eine sehr starke regionale Varianz von Eigentumsquoten gibt und warum
sich die Eigentumsquoten historisch sehr stark verändert haben.
Sozioökonomische und demografische Analysen
hingegen, die sich wie ein Großteil aller wissen­
schaft­
lichen Untersuchungen auf Daten nach
liche Länder wie Deutschland, die
1980 stützen, führen Wohn­eigen­­tums­unterschiede
Schweiz oder Schweden haben
auf Faktoren wie wirtschaftliches Wachstum, Ein­
höhere Mieterquoten.
kom­
men, den Anteil an Haushalten mit älte­
ren Bewohnern oder mit Familien mit Kindern
zurück. Über­raschend ist der Befund, dass gerade wirtschaftlich fortschrittliche Länder
wie Deutschland, die Schweiz oder Schweden höhere Mieterquoten haben. Obwohl Stu­
dien mit diesen Variablen gut jährliche Änderungen von Wohneigentumsquoten erklären
können, lassen sie offen, warum Länder permanente Niveauunterschiede auch schon vor
1980 aufweisen. Deutsche und US-Städte hatten jedoch bereits vor dem Ersten Weltkrieg
signi­fikant unterschiedliche Zahlen an Eigenheimbesitzern (Abb. 2).
Gerade wirtschaftlich fortschritt­­
Politologische Ansätze verweisen auf die stärkere politische Förderung von Wohneigentum
in den USA seit dem New Deal in den 1930er-Jahren. Angesichts eines nur fragmentären
Wohlfahrtsstaates nach europäischem Vorbild fing die US-Regierung unter Franklin D.
Roosevelt an, Sozialpolitik durch die Subventionierung und Ermöglichung günstiger
Hypotheken zu betreiben. Deutschland dagegen unterstützte den mietlastigen sozialen
Wohnungsbau, Neubauten privater Vermieter und ein mieterfreundliches Recht. Die
These, dass es einen trade-off zwischen Wohlfahrtsstaatsausgaben einerseits und privatem
Hauseigentum andererseits gibt, ist in der Tat für die Zeit nach 1980 mit Daten gut bestä­
tigt worden.
Aber auch mit diesen Ansätzen gelingt es nicht zu erklären, warum deutsche und US-ame­
ri­ka­nische Städte bereits vor dem Auftreten der ersten dezidierten Wohnungspolitiken
ähn­lich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Quote an Wohn­eigen­tümern aufwiesen
wie ein Jahrhundert später – so verschieden Wohnungspolitik und Wohl­fahrts­insti­tu­tio­
nen auch gewirkt haben mochten. Die langfristig bestehende Lücke zwischen den Wohn­
eigentumsquoten in beiden Ländern haben die Wohnungspolitiken zumindest nicht zu
reduzieren gewusst.
Wie historisch gewachsene Institutionen
die Länderunterschiede erklären
Die gängigen Antworten weisen also vor allem eine historische Schlagseite auf: Sie ver­
nach­
lässigen, dass die Diskrepanz zwischen der deutschen und US-amerikanischen
Wohn­­­eigentumsquote bereits mehr als ein Jahrhundert überdauert hat (Abb. 2). Sie lassen
Mieterland oder Hauseigentümernation?
63
Einfamilienhaus- und Wohneigentumsquoten
in deutschen und US-amerikanischen Städten um 1900
Abb. 2
ke
e
Familien mit Wohneigentum in Prozent
35
30
nn
Ha
0
10
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tro
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Einfamilienhäuser in Prozent
20
30
40
Deutschland
A
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45
Kassel
Nürnberg
Bochum
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Gelsenkirchen
Frankfurt a.M.
Halle a.S.
Magdeburg
Königsberg
Dresden
Danzig
50
60
70
80
90
100
Vereinigte Staaten
1
2
3
4
5
6
Omaha
Washington
Kansas City
Philadelphia
San Francisco
New Orleans
Quelle: Tygiel, J.: Housing in Late Nineteenth-Century: American Cities: Suggestions for
Research. Historical Methods 12(2), 84–97 (1979). RWZ: Reichswohnungszählung. Höbbing,
Berlin 1918. Baron, A.: Der Haus- und Grundbesitzer in Preußens Städten einst und jetzt.
Fischer, Jena 1911.
ins­beson­dere drei zentrale, angebotsseitige Institutionenbereiche des Wohnungsmarktes
außer Acht: die städtische Organisation von Bauland, den organisierten Hauskredit und
den Bausektor der Einfamilienhäuser.
64
Aus der Forschung
Städtische Organisation. US-amerikanische Städte sind im neunzehnten Jahrhundert meist
als „private Städte“ aufgebaut und erweitert worden, wohingegen deutsche Städte auf eine
jahrhundertealte öffentliche Organisation des Stadtlebens zurückblicken konnten. Die priva­
te Organisation städtischen Baulands, des Transports und der Infra­struktur führte schon früh
zu schnelleren Stadterweiterungen, zu einem leichteren Zugang zu urbanem Bauland sowie
zu deutlich weniger Auflagen für Neubauten. Schon früh etablierten sich US-amerikanische
Städte als suburbanisierte Ansammlungen von Einfamilienhäusern, begünstigt durch
größere Baufirmen und den weit verbreiteten Hausbau in Eigenverantwortung. Deutsche
Städte expandierten dagegen um ihren kompakten frühneuzeitlichen Stadtkern in dichteren
Geschossbauten.
Wohnfinanzierung. Ein wichtiger Faktor hinter diesen verschiedenen Bauformen war die
unterschiedliche Organisation von Hypothekenbanken. In den USA entwickelten sich im
neunzehnten Jahrhundert Bausparvereine, sogenannte savings and loan associations. Als
nachbarschaft­liche Kredit­hilfeinstitutionen gaben sie auf Einlagebasis kleinere Hauskredite
aus, deren Höhe meist nicht mehr als die Finanzierung eines Einfamilienhauses zuließ. In
Deutschland hingegen entwickelten sich ab den 1860er-Jahren große überregionale
Hypothekenbanken. Durch den Verkauf von Pfandbriefen finanzierten sie sich auf dem
Kapitalmarkt und gaben vorzugsweise Kredite für Mieteinkommen generierende, mehrge­
bau­
schossige Gebäude aus. Parallel entwickelten sich profitbeschränkte Wohnungs­
genossenschaften, die für die städtischen unteren Mittelschichten ebenfalls vermehrt
Geschosswohnungen zur Miete an Mitglieder bauten. Die die deutschen Eigenheime
finanzierenden Bausparkassen allerdings entstanden nicht früher als in den 1920er-Jahren
und wurden erst in der Nachkriegszeit relevant. Staatliche Wohnungspolitik setzte in bei­
den Ländern folglich erst ein, nachdem diese institutionellen Strukturen im Wohnungssektor
entstanden waren. Die finanzzentrierte US-Wohnungspolitik verstärkte dabei nur noch
die Eigenheimtendenz der savings and loans, während die deutsche Wohnungspolitik in
den Wohnungsgenossenschaften einen Adressaten für subventionszentrierte Politik fand.
Bausektor. Gleichzeitig blieb der deutsche Ein­
fami­lienhausbau ein ziemlich traditionell organi­
siertes Geschäft: Private Bauherren beauftragten
politik verstärkte die Eigenheim­
mittelständische Handwerksfirmen für den Bau
tendenz, während die deutsche
eines individuell zugeschnittenen Eigenheims im
Wohnungspolitik in Wohnungs­
Massivbau; Fertighausanbieter hatten es schwer,
spürbare Marktanteile zu gewinnen. In den USA
genos­senschaften einen Adressaten
entwickelte
sich stattdessen eine fordistische
für subventionszentrierte Politik
Form der Massenproduktion von Eigenheimen
fand.
im Leichtbau, die in relativ standardisierter Form
in kompletten Vororten durch überregionale
Baufirmen für den Markt hergestellt wurden. Diese unterschiedlichen Produktionsformen
im Bausektor führten in den USA zu wesentlich günstigeren Hauspreis-zu-EinkommensVerhältnissen als in Deutschland.
Die finanzzentrierte US-Woh­nungs­
Mieterland oder Hauseigentümernation?
65
Wohneigentumsquoten historisch bedingt
Frei zugängliches städtisches Bauland, frei erhält­
liche Eigenheimkredite sowie die stan­dar­­di­sierte Sind Städte historisch als Miets- und
Massenproduktion begünstigten den Bau von nicht dominant als Ein­fami­lien­
Einfamilienhäusern in den USA. Diese historisch
hausstädte gewachsen, so haben
gewachsenen Bau- und Stadtstrukturunterschiede
schreiben sich bis in die heutige Zeit fort: Sind sie auch heute noch niedrigere
Städte historisch als Miets- und nicht dominant Wohneigentumsquoten.
als Ein­
fami­
lien­
hausstädte gewachsen, so haben
sie auch heute noch niedrigere Wohn­
eigen­
tums­­
quoten. Waren Einfamilienhäuser in
US-Städten vor dem Ersten Weltkrieg noch zu einem Großteil vermietet, kam es jeweils
während und nach den Weltkriegen wegen Mietpreiskontrollen, Konsumregulierungen und
aufgeschobenen Familiengründungen zu massiven Verkäufen derselben. In Deutschland
führte die wenig verbreitete Institution des Stockwerkeigentums, aber auch ein ständig
neu verhandelter rechtlicher Kompromiss zwischen Vermietern und Mietern dazu, dass
städtische Geschosswohnungen weiterhin zum Großteil Mietwohnungen blieben. Bis
in die 1980er-Jahre bestimmten daher etablierte Interessengruppen wie die savings and
loans und Maklerverbände in den USA sowie die gemeinnützige Wohnwirtschaft und
Grundbesitzervereine in Deutschland maßgeblich das Verbleiben auf dem einmal einge­
schlagenen Weg in der Wohnungswirtschaft.
Sebastian Kohl
Sebastian Kohl ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. Er studierte
Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philo­sophie in Köln und Paris und wurde
2014 an der Universität zu Köln und der Sciences Po in Paris im Rahmen eines
bi­
natio­
nalen Promotionsverfahrens (Cotu­
telle) promoviert. Für seine Arbeit
erhielt er 2014 den Dissertationspreis der Deutsch-Französischen Hochschule in
Saarbrücken.
Forschungsinteressen: Wirtschaftssoziologie; Wohnungsmärkte; Politische Ökono­
mie; Sozialphilosophie; Philosophie der Sozialwissenschaften.
Zum Weiterlesen
HARLOE, M.: The People’s Home? Social
KOHL, S.: The Power of Institutional Legacies:
Rented Housing in Europe and America.
How Nineteenth-century Housing Associations
Blackwell, Oxford 1995.
Shaped Twentieth-century Housing Regime
KEMENY, J.: The Myth of Home Ownership:
Private Versus Public Choices in Housing
Tenure. Routledge, London 1981.
66
Differences between Germany and the US.
European Journal of Sociology 56(2), 2015
(im Erscheinen).
Aus der Forschung
Kinder, Arbeit und Konsum
Warum Demografie und politische Ökonomie
nicht zu trennen sind
Wolfgang Streeck
Geburten und Geburtenraten sind normalerweise Thema der Familiensoziologie oder der Demo­gra­
fie. Was haben sie in einem Forschungsprogramm zur politischen Ökonomie des modernen Kapi­ta­
lis­mus zu suchen?
Sehr viel – so viel, dass man sich nur schwer vorstellen kann, wie man sie ohne Bezug
auf Politik und Wirtschaft auch nur annähernd verstehen soll. Im Folgenden ein paar
Beispiele: Die niedrigen und sinkenden Geburtenraten in den reichen kapitalistischen
Gesellschaften sind nicht nur Resultat eines erleichterten Zugangs zu wirksamen Mitteln
der Empfängnisverhütung, sondern auch einer rapiden Zunahme der weiblichen
Erwerbstätigkeit seit dem Ende der 1960er-Jahre. Ohne sie wären die Geburtenraten trotz
Empfängnisverhütung weit weniger stark gesunken, wenn überhaupt. Auch hat sich par­
allel zur Erwerbstätigkeit der Frauen und mit ihr zusammenhängend die Familienstruktur
verändert; Ehen sind seltener geworden, Scheidungen und Zusammenleben außerhalb der
Ehe häufiger. Der Anteil der Kinder, die außerehelich geboren werden, nimmt in nahezu
allen OECD-Ländern zu; in einigen übersteigt die Zahl der unehelich geborenen Kinder
die der ehelich geborenen schon heute deutlich. Zugleich haben verheiratete Frauen
immer noch mehr Kinder als nicht verheiratete.
Kinder, Arbeit und Konsum
67
In prekären Verhältnissen nehmen Kinderzahlen wieder zu, Frauen suchen einen Ausgleich, um den
ausbleibenden Erfolg bei der Arbeits- und Partnersuche zu kompensieren.
Die Zusammenhänge zwischen weiblicher Er­
­
werbs­­­­­beteiligung, Familienstrukturen und Ge­bur­­­ Die Zusammenhänge zwischen
ten sind vielfältig und längst nicht zureichend er­­ weiblicher Erwerbsbeteiligung,
nis der
forscht. Ein eigenes Einkommen, Ergeb­
Familienstrukturen und Geburten
Be­tei­ligung am Arbeitsmarkt, macht Frauen un­ab­
hän­giger und hat gelockerte Part­ner­be­zieh­un­gen sind längst nicht zureichend
zur Folge. Letztere drücken, wenn alles andere erforscht.
gleich bleibt, auf die Geburtenrate, vor allem wenn
prekäre Partner­schaf­ten mit prekären oder auch besonders anspruchsvollen Beschäf­ti­gungs­
verhältnissen („Karrieren“) zusammentreffen. Dies gilt vor allem in der Mittelschicht, wo
Frauen aus wirtschaftlicher Unsicherheit oder um ihres beruflichen Fortkommens willen,
oder weil der gewünschte Partner nicht in Sicht beziehungsweise auf ihn kein Verlass ist, auf
Kinder verzichten oder die Geburt von Kindern aufschieben – nicht selten bis es zu spät ist.
Am unteren Rand der Gesellschaft, wo Armut herrscht, nehmen die Kinderzahlen in prekä­
ren Verhältnissen wieder zu, weil Frauen einen Ausgleich dafür suchen, dass sie weder bei der
Arbeits- noch bei der Partnersuche Erfolg haben.
Gesellschaften brauchen Nachwuchs, um sich zu erneuern und zu erhalten – wie viel
Nach­­wuchs ist strittig. Unstrittig ist aber, dass die reichen kapitalistischen Gesellschaften
heute nicht mehr in der Lage oder nicht mehr bereit sind, den für eine konstante
Bevölkerungszahl nötigen Nachwuchs selbst hervorzubringen; dies gilt sogar für bevölke­
rungspolitisch erfolgreiche Länder wie Schweden oder Frankreich. Gesellschaften, die die
vom Tod laufend in sie gerissenen Lücken nicht selber zu füllen vermögen, können sich
68
Aus der Forschung
Einwanderer tragen zur Stabilisierung der Bevölkerung bei. Der Preis können hohe Integrations­
kosten und soziale Konflikte sein.
alternativ oder zusätzlich durch Einwanderung ergänzen. Einwanderer, wenigstens solche
der ersten Generation, haben in der Regel höhere Geburtenraten als die einheimische
Bevölkerung und tragen auch dadurch zur Stabilisierung der Bevölkerung bei. Der Preis
dafür können sehr hohe Integrationskosten sein – die im traditionellen Normalfall der
Selbstergänzung der Bevölkerung durch einheimische Geburten von den einheimischen
Familien getragen werden – sowie soziale Konflikte, wie sie zurzeit in einigen europäischen
Ländern immer weiter zunehmen, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.
Gesellschaften, die sich als überaltert oder, mit
dem Soziologen Franz-Xaver Kaufmann, „unter­
jüngt“ empfinden, können auch versuchen, trotz
schlägt sich – durch die Aus­glie­
der Folgen veränderter Sozial­struk­turen für ein­
de­rung der Kinderpflege – in
heimischen Nachwuchs zu sorgen. Auch das hat
den staatlichen Haushalten als
aber Kosten, nämlich in Gestalt der Ersetzung von
früher unbezahlter Familienarbeit durch öffent­
Ausweitung der Staatstätigkeit
te Dienstleistungen, vor allem
liche oder priva­
nieder.
bei der Pflege von Kleinkindern. Da es um die
nächs­te Generation geht, kann die Qualität der
außer­familialen Versorgung nie hoch genug sein, was die Kosten ständig nach oben treibt.
Die Ausweitung der Arbeitsmärkte schlägt sich damit, über den Umweg der Ausgliederung
eines großen Teils der Kinderpflege aus den veränderten Familienstrukturen, in den staat­
lichen Haushalten als Ausweitung der Staatstätigkeit nieder.
Die Ausweitung der Arbeitsmärkte
Kinder, Arbeit und Konsum
69
Gesellschaften, die Frauen wie Männer in „Karrieren“ einspannen, müssen in vielerlei Hinsicht
umdenken. Etwa müssen sie es unverheirateten Frauen erleichtern, auch ohne verlässlichen oder
dauerhaften Partner Kinder zu haben.
Staaten, die das nicht wollen, müssen ihre Arbeitsmärkte für Personen öffnen, die bereit
sind, als private Kindermädchen den Nachwuchs der Mittelschicht zu versorgen – zu
bezahlbaren, das heißt in der Praxis: sehr niedrigen Löhnen. In der Regel bedeutet dies
zusätzliche Einwanderung, zusätzliche Konflikte und wachsende wirtschaftliche und
soziale Ungleichheit, wobei die Einwanderer auf zweierlei Weise zur Erhöhung der
Kinderzahlen beitragen: durch ihre eigenen Kinder und indem sie für die sogenannte
„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bei besserverdienenden Paaren oder Individuen
sorgen. Der Paradefall hier sind die USA.
Gesellschaften, die Frauen wie Männer in „Karrieren“ einspannen und dabei den Arbeits­
einsatz einer und eines jeden immer weiter steigern wollen oder müssen – auch, um gestie­
gene Humankapitalkosten zu amortisieren –, müssen in vielerlei Hinsicht umdenken. Da
es immer weniger Ehen gibt, von stabilen Ehen gar nicht zu reden, müssen sie es den als
Folge unverheirateten Frauen erleichtern, auch ohne verlässlichen oder dauerhaften Partner
Kinder zu haben. Unehelichkeit muss sozial möglich und sozialpolitisch ermöglicht werden
– sonst treten Verhältnisse ein wie in Japan oder Italien, wo beides nicht der Fall ist und wo
deshalb die Geburtenraten niedriger sind als überall sonst in der OECD-Welt.
70
Aus der Forschung
Konsum wird immer mehr von Normen bestimmt. Diese machen kostspielige und Zeit beanspruchen­
de „Erlebnisse“ zur Voraussetzung für soziale Anerkennung und in der Lebenswirklichkeit zu einer
gesellschaftlichen Pflicht.
Im Übrigen sind die reichen kapitalistischen Gesellschaften der Gegenwart nicht nur
Arbeits-, sondern auch Konsumgesellschaften. Konsum wird in ihnen kaum noch von
materiellen Notwendigkeiten, sondern zunehmend von sozialen Normen bestimmt. Diese
machen ebenso kostspielige wie Zeit beanspruchende „Erlebnisse“ – die Werbefachleute
sprechen von „Erlebnis-Shopping“ – zur Voraussetzung für soziale Anerkennung und
erheben sie so faktisch zu einer gesellschaftlichen Pflicht. Kinder, insbesondere meh­
rere auf einmal, erschweren die Ableistung obligatorisch gewordener Verbrauchs- und
Erlebnispflichten, zumal wenn die Beschaffung der dafür erforderlichen materiellen Mittel
intensives berufliches Engagement nötig macht. Bemühungen, jungen Paaren Kinder als
Alternative zu Fernreisen oder SUVs schmackhaft zu machen, sind zwar vielerorts im
Gang, scheinen aber bislang kaum erfolgreich zu sein.
Die politische Ökonomie des Geburtenverhaltens
in den Gesellschaften des fortgeschrittenen Kapi­
ta­lis­mus wirft schwierige morali­sche Pro­ble­me
Kindern nach Maßgabe der Renta­
auf, nicht nur in Bezug auf Einwan­de­rung und
bilität unterschieden wird, beginnt
bei der Reproduktionsmedizin und ihren Mög­
der kapitalistische Totalitarismus.
lich­keiten, die Gebärfähigkeit von Frauen an die
von ihnen erwartete „Karriere“ an­zu­passen. Ein
Thema, dem man sich stellen muss, ist die immer häufigere, oft nur implizite, immer öfter
aber auch explizite Forde­rung nach etwas, das ich als „soziale Eugenik“ bezeichnen möchte.
Diese bestünde darin, Familien nach der zu erwartenden „Qualität“ der von ihnen produ­
zierten Kinder und nicht mehr nach ihrem materiellen Bedarf staatlich zu unterstützen.
Wo zwischen guten und schlechten
Kinder, Arbeit und Konsum
71
„Akademikerinnen“, so heißt es, bringen Kinder zur Welt, die als junge Erwachsene intel­
ligenter, leistungsbereiter, angepasster usw. sein werden als die, bedauerlicherweise, viel
zahlreicheren Kinder von arbeitslosen Supermarktkassiererinnen auf Hartz IV. Sollte man
diesen nicht die staatliche Un­ter­stützung kürzen und das Geld jenen überweisen, damit die
einen mehr und die anderen weniger Kinder bekommen? Man muss aber wissen: Wo zwi­
schen guten und schlechten Kindern nach Maßgabe der voraussichtlichen Rentabilität ihres
Humankapitals unterschieden wird, beginnt der kapitalistische Totalitarismus.
Wolfgang Streeck
Wolfgang Streeck ist seit November 2014 Direktor emeritus am MPIfG. Nach dem
Studium der Soziologie in Frankfurt am Main und New York (Columbia) wurde er
1986 an der Universität Bielefeld habilitiert. Von 1976 bis 1988 war er Research
Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin, danach forschte und lehrte er als Pro­
fes­sor für Soziologie und industrielle Arbeitsbeziehungen an der Universität von
Wisc­ onsin in Madison. 1995 wurde er als Nachfolger von Renate Mayntz in das
Direk­torium des MPIfG berufen.
Zum Weiterlesen
BERTRAM, H. & DEUFLHARD, C.: Die über­
NULLMEIER, F.: Kritik neoliberaler Menschen-
forderte Generation: Arbeit und Familie in der
und Gesellschaftsbilder und Konsequenzen
Wissensgesellschaft. Verlag Barbara Budrich,
für ein neues Verständnis von „sozialer
Opladen 2015.
Gerechtigkeit“. Friedrich-Ebert-Stiftung,
BITTMAN, M. & WAJCMAN, J.: The Rush
Bonn 2010.
Hour: The Character of Leisure Time and
SARRAZIN, T.: Deutschland schafft sich
Gender Equity. Social Forces 79(1), 165–189
ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen.
(2000).
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010.
HOCHSCHILD, A. R.: The Commercialization
STREECK, W.: Volksheim oder Shopping Mall?
of Intimate Life: Notes from Home and Work.
Die Reproduktion der Gesellschaft im Dreieck
University of California Press, Berkeley &
von Markt, Sozialstruktur und Politik. In:
Los Angeles 2003.
Steinbach, A., Hennig M. & Arránz Becker,
JÜRGENS, U. & KRZYWDZINSKI, M.:
Zur Zukunftsfähigkeit des deutschen
Produktionsmodells. In: Kocka, J. (Hg.),
O. (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft.
Springer VS, Heidelberg & Wiesbaden 2014,
353–380.
Zukunftsfähigkeit Deutschlands:
Sozialwissenschaftliche Essays. WZBJahrbuch 2007. Edition Sigma, Berlin 2007,
203–227.
Dieser Beitrag erschien erstmals in „Gesellschaftsforschung 2|14“ (Dezember 2014).
> tinyurl.com/streeck-kinder-arbeit-konsum
72
Aus der Forschung
Milieu und Raum
Wie kulturelle Prägungen die Unterschiede regionaler
Geburtenzahlen in Deutschland erklären
Barbara Fulda
Die Bevölkerungspyramide der Bundesrepublik Deutschland steht auf dem Kopf, und trotz erheb­
licher familienpolitischer Investitionen stagniert die Geburtenrate bei knapp 1,4 Kindern pro Frau.
Diese Zahl erweckt den Anschein, dass sich Paare überall in Deutschland aufgrund ähnlicher Hand­
lungs- und Orientierungsmuster für beziehungsweise gegen Kinder entschieden. Doch die Gebur­
ten­raten unterscheiden sich von Region zu Region zum Teil drastisch.
Deutschland besteht aus einem Mosaik unterschiedlichster Fertilitätsmuster (Abb. 1). So
lag die Anzahl der Lebendgeborenen je 10.000 Einwohner im Jahr 2013 in Dresden und
Leipzig bei jeweils 115,0 beziehungsweise 111,4 – ähnlich hoch wie in Schweden oder
Frankreich im selben Zeitraum. Die großen Differenzen in den Ferti­li­täts­raten erklärt
man mit ganz verschiedenen Faktoren, etwa mit dem nachhaltigen Einfluss der unter­
schiedlichen politischen Systeme in Ost- und Westdeutschland vor der Wiedervereinigung.
Doch können diese Erklärungen nicht vollständig überzeugen. Denn die regionalen
Geburtenraten im östlichen und westlichen Teil Deutschlands divergieren zum Teil viel
deutlicher als zwischen Ost und West. Überdies sind die Fertilitätsmuster innerhalb
Deutschlands seit mehr als einhundert Jahren erstaunlich stabil geblieben – trotz politi­
scher Systemwechsel und erheblicher wirtschaftlicher Umwälzungen.
Milieu und Raum
73
Regionale Fertilitätsraten in Deutschland im Jahr 2013
Abb. 1
Anzahl Lebendgeborene je 10.000 Einwohner
Cloppenburg
Vechta
Osterode am Harz
Fürth
Waldshut
58,5–73,3
73,3–77,7
77,7–82,0
82,0–88,5
88,5–115,3
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2015.
74
Aus der Forschung
Ist also eher die Schwierigkeit, Beruf und Elternschaft miteinander zu vereinbaren, ein
plau­si­bles Argument für den Geburtenrückgang in Deutschland (Abb. 2)? Die Realität
wider­legt die Annahme vieler Familienpolitiker, man könne allein durch den Ausbau von
Kita­plätzen und offenen Ganztagsschulen die „zeitlichen Kosten“ – also den zeitlichen
Auf­wand, den Kinderbetreuung neben dem Beruf in Eigenleistung erfordert – reduzie­
ren. So ist in manchen Gegenden Deutschlands die Geburtenrate pro Frau höher, als
es die Zahl öffentlicher Kinderbetreuungsmöglichkeiten vermuten ließe. Auch der
Zusam­men­hang „mehr Geld, mehr Kinder“ scheint angesichts der stabilen regionalen
Gebur­ten­unterschiede in Deutschland nicht zu gelten. Der Landkreis Osterode am Harz
etwa nimmt mit 58,8 Lebendgeborenen je 10.000 Einwohnern im Jahr 2013 einen der
hinteren Plätze ein, obwohl es sich um einen Kreis mit einem recht hohen nominalen
Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem von über 65.000 Euro handelt. Wodurch aber las­
sen sich die unterschiedlichen Fertilitätsmuster der Bundesrepublik erklären, wenn weder
strukturelle Einflüsse noch politische Systemstrukturen als Gründe ausreichen?
Ein neuer Ansatz in der demografischen Forschung
Eine neue Betrachtungsweise in der demografischen Forschung richtet den Blick auf
regional unterschiedliche Geschlechterrollenvorstellungen, die auch die Akzeptanz fami­
lienpolitischer Maßnahmen beeinflussen. Diesem Ansatz zufolge erklären strukturelle
und ökonomische Gegebenheiten nicht vollständig, warum sich Menschen für Kinder
entscheiden. Zusätzlich spielen hier kulturelle Normen eine wichtige Rolle. Sie wirken
mancherorts dem von familienpolitischen Maßnahmen intendierten Effekt entgegen, die
Geburtenzahlen durch die Verbesserung von Kinderbetreuungsangeboten zu erhöhen.
Denn prinzipiell wandeln sich kulturelle Prä­
gungen wie Ideen von Familie und Eltern­schaft –
so­zio­logisch ausgedrückt: Familienleitbilder – sehr
von familienpolitischen Maßnah­
viel lang­samer, als sich strukturelle Verände­run­
men intendierten Effekt entgegen­
gen durchsetzen. Das kann die Stabilität der regio­
wirken, die Geburtenzahlen
nalen Geburtenunterschiede erklären und zur
Fol­ge haben, dass familienpolitische Förderungen
durch die Verbesserung lokaler
kurzfristig nicht überall im gewünschten Maß
Infrastruktur zu erhöhen.
angenommen werden. Ein mögliches Indiz für
unterschiedliche regionale Vorstellungen von Familie und dem familiären Zusammenleben
kann die Zahl der Väter sein, die das im Jahr 2007 eingeführte Elterngeld in Anspruch neh­
men: Laut Statistischem Bundesamt besteht hier eine „klare regionale Konzentration“ im
Süden und Südosten Deutschlands, in Bayern, Sachsen und Thüringen. Aber auch in fast
allen Kreisen Brandenburgs nahm mehr als jeder vierte Vater 2012 Elterngeld in Anspruch.
Kulturelle Normen können dem
Milieu und Raum
75
Geburtenrückgang in Deutschland von 1951 bis 2012
Abb. 2
Geburtenrate je 1.000 Einwohner
17,5
15,0
12,5
10,0
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2013.
Kulturelle Unterschiede und regional unterschiedliche Geburtenraten
Der Vergleich zweier soziostrukturell ähnlicher Gegenden in Süddeutschland belegt den
vermuteten Zusammenhang zwischen kulturellen Normen und strukturellen Faktoren.
Ob­­wohl Waldshut in Baden-Württemberg und Fürth in Bayern in soziostruktureller Hin­­
sicht vergleichbar sind, weist Waldshut eine deutlich niedrigere, Fürth aber eine höhere
Anzahl an Kindern pro Frau auf, als aufgrund der lokalen soziokulturellen Gegebenheiten
anzunehmen wäre. Die unerwarteten Fertilitätsraten beider Landkreise korrespondie­
ren mit in diesen Regionen bestehenden abweichenden kulturellen Wertvorstellungen
und einem hierdurch geprägten Vereins- und Gemeinschaftsleben. In beiden sozialen
Milieus offenbaren sich somit in vielfältiger Hinsicht verschiedene Familienleitbilder.
Familienleitbilder enthalten Auffassungen über die Rolle einer Mut­
ter oder eines
Vaters sowie über Normalbiografien von Frauen und Männern. Als Nor­­mal­biografien
gelten dabei Lebensläufe, die als „typisch“ angesehen werden, wenn zum Beispiel
nach dem Schulabschluss erst eine Ausbildung, dann der Berufseinstieg und zuletzt
die Familiengründung erfolgen. Solche Auffassungen variieren regional. Ge­­
schlechts­
­
rollenvorstellungen stehen wiederum in Wechselwirkung mit den verbreiteten Ansichten
über staatliche Aufgaben und Grenzen staatlichen Engagements, beispielsweise in der
Kinderbetreuung.
76
Aus der Forschung
Waldshut. Das alltägliche Familienleben innerhalb dieser beiden sozialen Kontexte va­ri­
iert spürbar: Das hervorstechende Merkmal des sozialen Milieus in Waldshut sind die
eher traditionellen bis konservativen Wertvorstellungen von Familie, die sich in dem
Wunsch nach einer klassischen Arbeitsteilung zwischen beiden Partnern äußern. Wol­len
beide Eltern arbeiten gehen, konkurrieren in Waldshut die Anforderungen der heutigen
modernen Arbeitswelt nach flexiblen Arbeitnehmern mit dem traditionellen Familien­
leitbild. Doch beeinflusst dies nicht nur direkt die Entscheidung von Eltern für Kinder.
Auch das lokale Vereinsleben und das Kinderbetreuungsangebot passen sich dem mili­
eueigenen Familienleitbild an – beispielsweise durch kürzere Kita-Öffnungszeiten. Diese
Widersprüche erklären die mit Blick auf die soziokulturellen Strukturen unerwartet nied­
rige Fertilitätsrate in Waldshut.
Fürth. In Fürth begründet insbesondere die Kompatibilität von Familienmodell und Er­­
werbs­­leben die überraschend hohe Fertilitätsrate. Das im modernen sozialen Milieu Fürths
ver­breitete Familienleitbild ist mit dem nationalen, positiv konnotierten Leitbild der er­­
werbs­­tätigen Frau gut vereinbar. Will eine Mutter dem milieueigenen Familienleitbild nach­
kommen, bedeutet dies für sie nicht, sich zwischen Familie und Erwerbstätigkeit entschei­den
zu müssen. Familienbezogene Normen, Familienleitbilder und lokale Angebote ent­sprechen
den Forderungen der Arbeitswelt an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit sind die
regionalen Lebensbedingungen für Familien besonders günstig; Eltern fällt die Entscheidung
für (weitere) Kinder leichter – auch weil Nicht-Familienmitglieder und Ver­eine im deutsch­
landweiten Vergleich recht viel Erziehungs- und Betreuungsverantwortung übernehmen.
Weltkindertag 2014 in Fürth: Der Verein Fürther Bündnis für Familien setzt sich dafür ein, dass sich
Fa­milie und Erwerbsarbeit besser vereinbaren lassen, dass Familien wirtschaftlich nicht benachteiligt
werden und dass sich Solidarität und Verantwortung zwischen den Generationen entwickeln.
Milieu und Raum
77
Entsprechen Familienleitbild und das regionale soziale Umfeld dem nationalen Leitbild der erwerbs­
tätigen Frau, fällt die Entscheidung für Kinder leichter.
Eine niedrige Fertilitätsrate in eher konservativen sozialen Kontexten ist auch auf Länder­
ebene beo­­­bacht­­bar. Stets ging die Forschung davon aus, dass gerade in Ländern, in denen
das klassische Fami­­lienleitbild dominiert, mehr Kinder geboren würden. Doch die Zahlen
der letzten Jahre sprechen gegen diese Hypothese: Insbesondere in Italien und Spanien
werden vergleichsweise we­ni­ge, in Schweden und Island dagegen vergleichs­weise viele
Kinder geboren. Dabei gelten die beiden skandinavischen Länder als Gesellschaften, die
sich durch eine Vielzahl an Formen des Zusammenlebens, wie Patchworkfamilien, sowie
eine höhere Frauenerwerbstätigkeit auszeichnen.
Familienpolitik muss regional ansetzen
Anders als allgemein angenommen, sind es somit nicht sozialkonservative Regionen, in
denen die meisten Kinder geboren werden. Stattdessen sind regionale soziale Milieus heute
dann familienfreundlich, wenn ihre Leitbilder mit dem gesamtgesellschaftlichen Kon­­text
kompatibel sind; das heißt, wenn Mutterschaft und ökonomische Unabhängigkeit von
Frauen miteinander vereinbar sind, die Familienarbeit zwischen beiden Partnern gleichbe­
rechtigt aufgeteilt werden kann und unterschiedliche Formen von Partnerschaft toleriert
werden. Eltern werden also in unterschiedlichem Ausmaß durch ihr soziales Milieu in der
Aufgabenteilung unterstützt: Das milieuinterne Leitbild kann dem gesamtgesellschaftli­
chen Rollenbild stark widersprechen. Da kulturelle und strukturelle Einflüsse miteinander
in Wechselwirkung stehen, sollten beide in Erklärungen des Geburtenverhaltens berück­
78
Aus der Forschung
Staatliche familienpolitische Maßnahmen und Anreize, die lediglich auf die Veränderung strukturel­
ler Gegebenheiten setzen, haben gebietsweise stark voneinander abweichende Effekte auf die
Familienerweiterung. Bleiben sie sogar gänzlich wirkungslos, lässt sich das durch unterschiedliche
Familienleitbilder erklären, die sich nicht mit den strukturellen Maßnahmen decken.
sichtigt werden. Bisherige wissenschaftliche Erklärungen sind deswegen dahingehend
zu überprüfen, ob sie diese entscheidende Wechselwirkung berücksichtigt haben. Das
Gewicht struktureller Variablen für regionale Unterschiede der Geburtenraten könnte
beispielsweise deutlich kleiner sein als bisher angenommen. Eine weitere Lehre aus dieser
Studie ist, dass eine Region nicht zwangsläufig durch eine Verbesserung der strukturellen
Bedingungen familienfreundlicher wird.
Zugleich verliert auch das von Familienpolitikern oft angeführte Argument an Bedeutung,
strukturelle Veränderungen zögen kurzfristig auch ideelle Veränderungen in der
Bevölkerung nach sich. Es ist eher umgekehrt: Staatliche familienpolitische Maßnahmen
und Anreize, die lediglich auf die Veränderung struktureller Gegebenheiten setzen, haben
gebietsweise stark voneinander abweichende Effekte auf die Familiengründung und -erwei­
terung. Zuweilen bleiben sie sogar gänzlich wirkungslos. Wundern sich Familienpolitiker
gelegentlich über diese Wirkungslosigkeit, lässt sich diese erklären: durch unterschiedliche
Familienleitbilder, die sich nicht mit den strukturellen Maßnahmen decken.
Milieu und Raum
79
Barbara Fulda
Barbara Fulda ist seit April 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Life
Course and Family Dynamics in a Comparative Perspective“ an der Technischen
Uni­­ver­sität Chemnitz. Von 2010 bis 2015 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am
MPIfG und wurde 2014 an der Universität zu Köln promoviert. Sie studierte Sozial­
wissenschaften und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Köln und Bonn.
Forschungsinteressen: Familiensoziologie; Bildungssoziologie; Wirtschafts­sozio­lo­
gie; Stadtsoziologie; Raumsoziologie und Demografie.
Zum Weiterlesen
BERTRAM, H.: Regionale Vielfalt und
FULDA, B.: Culture’s Influence: Regionally
Lebensformen. In: Bertram, H. (Hg.),
Differing Social Milieus and Variation
Das Individuum und seine Familie:
in Fertility Rates. MPIfG Discussion
Lebensformen, Familienbeziehungen und
Paper 15/4. Max-Planck-Institut für
Lebensereignisse im Erwachsenenalter. DJI:
Gesellschaftsforschung, Köln 2015.
Familiensurvey 4. Leske + Budrich, Opladen
www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp15-4.pdf
1995, 157–195.
NAUCK, B.: Regionale Milieus von Familien
COALE, A. J., & WATKINS, S. C.: The Decline
in Deutschland nach der politischen Wieder­
of Fertility in Europe: The Revised Proceedings
vereinigung. In: Nauck, B. & Onnen-
of a Conference on the Princeton European
Isemann, C. (Hg.), Familie im Brennpunkt
Fertility Project. Princeton University Press,
von Wissenschaft und Forschung: Rosemarie
Princeton 1986.
Nave-Herz zum 60. Geburtstag gewidmet. H.
Luchterhand Verlag, Neuwied/Kriftel 1995,
91–122.
80
Aus der Forschung
Konfliktverminderung
durch Entkoppelung
Anmerkungen zur Reform der deutschen Finanzverfassung
Fritz W. Scharpf
In Deutschland müssen der Bund und die Länder im Rahmen der Finanzverfassung in den kom­
menden Jahren Verhandlungen führen, die in ihrer Komplexität und in ihrer grundsätzlichen
Be­
deu­
tung die bisherigen Herausforderungen weit übertreffen. Können die politische Öko­
no­­
mie und die Poli­
tik­
wissenschaft für diese Konstellation nützliche Erklärungen, Prognosen
oder Empfehlungen bieten? Fritz W. Scharpf plädiert für die Abschaffung des horizontalen
Finanzausgleichs und mehr Steuerautonomie der Länder.
In der Finanzverfassung des deutschen Föderalismus werden 2019 die Gesetze über den
Finanz­ausgleich und den Solidarpakt „Aufbau Ost“ auslaufen, und zugleich wird im Haus­
halts­jahr 2020 die Kreditaufnahme der Länder durch die Schuldenbremse ausgeschlossen
(Art. 109 Abs. 3 und 143d Abs. 1 GG). Da Verteilungsfragen zwischen Bund und Ländern
entweder durch Einigung des Bundes mit allen Ländern oder durch ein Bundesgesetz, das
der Zustimmung des Bundesrats bedarf, entschieden werden müssen, kann die Einigung
von den reichen wie von den armen Ländern blockiert werden, von den großen wie von
Konfliktverminderung durch Entkoppelung
81
den kleinen, von den west- wie von den ostdeutschen, und auch von Ländern mit schwar­
zen, roten oder grünen Regierungsparteien. Kurz, im deutschen Föderalismus können
Verteilungsfragen nur im breiten Konsens geregelt werden. Vorschläge, die das ignorieren,
sind von vornherein chancenlos.
Zugleich sind Entscheidungen über die Finanz­ver­­
teilung im deutschen Föderalismus wich­ti­ger und Im deutschen Föderalismus können
komplizierter als in den meisten anderen Bundes­ Verteilungsfragen nur im breiten
staaten. Die überwiegende Mehrheit der Gesetz­
Konsens geregelt werden.
gebungskompetenzen liegt beim Bund, aber für
den Vollzug der meisten Bundesgesetze sind die
Län­der und Gemeinden zuständig, die diese Aufgaben grundsätzlich aus eigenen Mitteln
finanzieren sollen (Art 104a Abs. 1 GG). Deren eigenen Steuereinnahmen wiederum sind
mit wenigen Ausnahmen durch (zustimmungspflichtige) Bundesgesetze bestimmt. Anders
als in Bundesstaaten wie den USA, in denen der Zentralstaat wie die Gliedstaaten jeweils
eigene Aufgaben mit eigener Verwaltung vollziehen und die Kosten mit eigenen Steuergesetzen
finanzieren, ist in Deutschland ein weitgehender Finanzausgleich (Abb. 1) also schon deshalb
nötig, weil nur so die Länder und Gemeinden in die Lage versetzt werden, das einheitliche
Bundesrecht auch einheitlich zu vollziehen.
Im Ergebnis erreichen die derzeitigen Regeln eine Anhebung der Steuerkraft (des
Steuer­aufkommens je Einwohner) der schwächsten Länder auf mehr als 99 Prozent des
Bundesdurchschnitts. Dieses Ergebnis ist jedoch heftig umstritten: Einerseits beklagen
die finanzstarken Länder und manche Ökonomen den perversen Anreizeffekt einer zu
hohen Ausgleichsquote. Er führe dazu, dass die erfolgreiche Wirtschaftspolitik eines Lan­
des nicht durch höhere Einnahmen honoriert und ein Rückgang des örtlichen Steuer­
aufkommens durch Zahlungen anderer Länder kompensiert werde. Auf der anderen
Seite kritisieren manche Länder und viele Sozialpolitiker die einseitige Orientierung des
Finanzausgleichs an der Steuerkraft, welche die unterschiedlichen Belastungen der Länder
durch Unterschiede der Wirtschaftsstruktur und Sozialstruktur fast ganz außer Acht lasse.
Faktisch bedeutet dies, dass die Bund-Länder-Verhandlungen in den kommenden Jahren
eine Fülle von anspruchsvollen und konfliktträchtigen Fragen behandeln müssen. Können
Er­kennt­nisse der politischen Ökonomie und Politikwissenschaft diesen Prozess unterstützen?
Finanzverfassungsreform im Zwangsverhandlungssystem
Die Modelle der ökonomischen Bargaining-Theorie, die dafür in erster Linie infrage
kommt, unterstellen freiwillige Verhandlungen unter egoistisch-rationalen Akteuren, die
einer Vereinbarung nur dann zustimmen werden, wenn sie dadurch mehr erreichen kön­
nen als in ihrer durch autonomes Handeln erreichbaren „Rückfallposition“. Die deutsche
Finanzverfassung entspricht jedoch dem Modell eines Zwangsverhandlungssystems, in
dem keine der beteiligten Regierungen autonom handeln kann und in dem Veränderungen
nur im breiten Konsens erreicht werden können. Im Allgemeinen haben solche Konstel­
82
Aus der Forschung
latio­nen eine konservative und „pfadabhängige“ Tendenz, weil eine vorangegangene Ver­
einbarung die Rückfallposition für alle Beteiligten darstellt, sodass die vorher erreichten
Besitzstände auch in neuen Verhandlungen verteidigt werden können.
Bei den jetzt anstehenden Bund-Länder-Verhand­
lungen ist dieser Mechanismus, der die Erklärung
und Prognose der Ergebnisse durchaus erleichtert
nicht länger verteidigt werden.
hat, jedoch weitgehend ausgeschaltet. Wenn fast
zur selben Zeit die bisher vereinbarten Gesetze
(und damit die Rückfallpositionen) im Finanzausgleich und beim Solidarpakt auslau­
fen und zugleich mit der Schuldenbremse auch eine der letzten Optionen autonomer
Finanzpolitik versperrt wird, können bisherige Besitzstände nicht länger verteidigt werden.
Im Prinzip stehen deshalb nicht nur die Gegenstände der wegfallenden Gesetze, sondern
auch alle übrigen Regelungen der Finanzverfassung zur Disposition.
Bisherige Besitzstände können
Wenn dann aber in dem komplizierten Regelwerk an vielen Stellschrauben zugleich
gedreht werden könnte, und wenn dabei alle Beteiligten allen Ergebnissen zustimmen
müssen, so wird die in Verhandlungen zu bewältigende Komplexität drastisch ansteigen.
Und wenn man überdies die essenzielle Bedeutung der Finanzverteilung für die Politik des
Bundes und der einzelnen Länder und die konträren Interessen berücksichtigt, dann ist es
keineswegs verwunderlich, dass die Bund-Länder-Verhandlungen sich immer noch ohne
Ergebnis im Kreise drehen.
Komplexität reduzieren und Konflikte minimieren
Unter Normalbedingungen haben Bund-Länder-Verhandlungen im deutschen Föde­ra­
lis­­mus immer von leistungsfähigen Mechanismen der Problemvereinfachung und der
Kon­­flikt­vermeidung profitiert. Auch jetzt müssten alle Beteiligten ein Interesse an der Ver­
minderung der Komplexität und der Konflikthaftigkeit der Verhandlungen haben. Dafür
kann die Föderalismusforschung in der Tat interessante Hinweise bieten.
Bedarfsorientierter Finanzausgleich?
Der bisherige Finanzausgleich vermindert Unterschiede der originären Steuerkraft, das
heißt der Pro-Kopf-Einnahmen aus Landessteuern und dem Landesanteil an den Ver­
bund­steuern. Aber die sehr hohe Ausgleichsquote bei der Steuerkraft ignoriert gravierende
Unterschiede in den Belastungen der Länder. Mit Blick auf den entfallenden Solidarpakt
und die drohende Schuldenbremse fordern nun nicht nur die ostdeutschen, sondern auch
viele westdeutsche Länder deren Berücksichtigung. Da solche Forderungen höchst kon­
fliktträchtig sind, wurden sie im Finanzausgleich bisher nur in ganz wenigen Ausnahmen
(etwa beim Stadtstaatenbonus) akzeptiert. Tatsächlich geht die Einschätzung der Existenz,
der Höhe und der Ursachen besonderer Lasten oder Bedarfe zwischen den Ländern weit
auseinander; jedes Land könnte Sonderprobleme ins Spiel bringen, und jedes könnte die
Berechtigung daraus abgeleiteter Ausgleichsforderungen bestreiten.
Konfliktverminderung durch Entkoppelung
83
Treffen des Council of Australian Governments, dem australischen Bundesrat, im April 2015. Das
Beispiel Australien zeigt, dass ein bedarfsorientierter Finanzausgleich möglich ist. Die Mehr­wert­
steuer wird vom Bund erhoben, aber ihr gesamtes Aufkommen wird durch Bundesgesetze auf die
Einzelstaaten verteilt.
Dass aber auch andere Lösungen möglich sind, zeigt der Finanzausgleich in Australien.
Dort wird die Mehrwertsteuer vom Bund erhoben, aber ihr gesamtes Aufkommen wird
durch Bundesgesetz auf die Einzelstaaten verteilt. Grundlage des Geset­zes ist die jähr­
mon­­
wealth Grants Commission (ein kleines Gremium all­
liche Empfehlung der Com­
seits akzeptierter Experten mit einem wissenschaftlichen Stab), die zumeist unverändert
um­ge­setzt wird. Sie wird in einem mehr­stufigen und transparenten Anhörungsverfahren
erarbeitet, und sie orientiert sich an einem politisch gebilligten Maßstab: Jeder Staat soll
finanziell in die Lage versetzt werden, seinen Bürgern das landesdurchschnittliche Niveau
öffentlicher Leistungen zu bieten. Berücksichtigt werden dabei Unterschiede des relativen
Leistungsbedarfs und der relativen Leistungskosten (indigene Schüler, Wüstenregionen etc.),
und es wird eine durchschnittliche Ausschöpfung eigener staatlicher Einkommensquellen
unterstellt. Darüber hinaus werden jedoch Eingriffe in die Autonomie der Staaten strikt
vermieden: Der Ausgleich orientiert sich an Durchschnittswerten bei den Leistungen wie
bei der Ausschöpfung der Steuerbasis. Ob diese über- oder unterschritten werden, ist allein
Sache der einzelstaatlichen Politik.
Ein erster Schritt: Abschaffung des horizontalen Finanzausgleichs
Das australische Beispiel zeigt, dass ein bedarfsorientierter Finanzausgleich nicht notwendigerweise an Verteilungskonflikten scheitern muss. Freilich profitiert die australische
Lösung nicht nur von dem Vertrauen der Staaten in die Kompetenz und Fairness der
Commonwealth Grants Commission, sondern auch von dem Verzicht auf horizon­
tale Transfers zwischen den Staaten und damit der Beschränkung auf den vertikalen
Finanzausgleich. In Deutschland dagegen wird die fast vollständige Angleichung der
Steuerkraft der Länder in drei Stufen erreicht – zunächst über die (vertikale) Verteilung
84
Aus der Forschung
Umverteilung im Länderfinanzausgleich 2014
Abb. 1
in Euro je Einwohner
Bayern
Hessen
Baden-Württemberg
Hamburg
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Schleswig-Holstein
Rheinland-Pfalz
Saarland
Brandenburg
Sachsen
Thüringen
Sachsen-Anhalt
Mecklenburg-Vorpommern
Bremen
Berlin
– 400
– 200
Geberland
0
200
400
600
800
1.000
1.200
Nehmerland
Daten zum Volumen der im Jahr 2014 geleisteten und empfangenen Finanztransfers
im Rahmen des sogenannten Länderfinanzausgleichs im engeren Sinne (vorläufige
Abrechnung). Der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne ist ein (horizontaler) Ausgleichsmechanismus zwischen finanzstarken Ländern (Geberländer) und finanzschwachen Ländern (Nehmerländer). Umrechnung in „Euro je Einwohner“ mittels
der Einwohnerzahlen zum 30. Juni 2014.
Datenquelle: Bundesministerium der Finanzen.
des Länderanteils an der Umsatzsteuer, dann über den (horizontalen) Finanzausgleich zwi­
schen den Ländern und schließlich durch (wiederum vertikale) Ergänzungszuweisungen
des Bundes. Auch bei uns hat jedoch der vertikale Ausgleich das weitaus größere Gewicht:
Das Gesamtvolumen der Umverteilung betrug 2013 26,5 Milliarden Euro. Dabei belief
sich der Anteil des horizontalen Finanzausgleichs zwischen den Ländern nur auf 8,5
Milliarden Euro, während die vertikale Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer
und die Ergänzungszuweisungen des Bundes mehr als das Doppelte ausmachten. Aber
Konfliktverminderung durch Entkoppelung
85
da die Beiträge zum horizontalen Ausgleich inzwischen zum größten Teil von Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen aufgebracht werden müssen, während Berlin und
Bremen davon am meisten profitieren (Abb. 1), geht es in der – parteipolitisch aufgela­
denen – öffentlichen Polemik immer um die Beiträge, welche die Geberländer aus ihrem
Steueraufkommen abgeben müssen, um damit Wohltaten der Nehmerländer zu finanzie­
ren, „die wir uns deshalb nicht leisten können“.
Dieser Streit belastet alle Finanzverhandlungen
zwischen Bund und Ländern und damit auch die Der öffentlich ausgetragene
Suche nach dem am Ende unvermeid­lichen Kon­ Streit über den horizontalen
sens. Es würde deshalb der Konflikt­min­de­rung
Finanzausgleich verschärft die
dienen, wenn bei einer Reform der Finanz­
ver­
fas­­
sung der horizontale Finanzausgleich abge­ Konflikte zwischen den Ländern.
schafft und durch eine erweiterte Umverteilung
des Länderanteils an der Umsatzsteuer ersetzt würde. Gewiss wäre auch darüber streitig
zu verhandeln. Aber dieser Streit verlöre die besondere Eignung für die öffentliche Polemik
und er würde sich auch nicht mehr auf das „Sonderopfer“ der drei Geberländer kon­
zentrieren. Längerfristig könnte man dann sogar hoffen, dass sich aus der gemeinsamen
Orientierung auf den vertikalen Finanzausgleich auch eine Suche nach gemeinsam akzep­
tierten Kriterien für eine belastungsorientierte Verteilung entwickelt.
Die Re-Aktivierung der Finanzhilfen des Bundes
Umgekehrt könnte man den einnahmeorientierten Finanzausgleich auch gegen Konflikte
über unterschiedliche Belastungen abschotten, wenn für deren Regelung andere Optionen
zur Verfügung stünden. In der Föderalismusreform 2005 ist allerdings gerade das Gegenteil
beschlossen worden, als unter dem Druck der süddeutschen Ministerpräsidenten ein
„Kooperationsverbot“ in die Verfassung aufgenommen wurde, das Finanzhilfen des Bundes
für Aufgaben der Länder kategorisch ausschloss. Dieses Verbot hat sich nicht bewährt,
und es wurde inzwischen auch zugunsten von Bundeshilfen für Universitäten gelockert
und mehrfach durch verfassungsrechtlich zweifelhafte Hilfskonstruktionen umgangen.
Besser wäre eine generelle Kompetenz des Bundes, durch Gesetz mit Zustimmung des
Bundesrats fallbezogen standardisierte Zuschüsse zur Erfüllung gesamtstaatlich bedeut­
samer Aufgaben der Länder zu gewähren, die jedoch entsprechend Art. 104b Abs. 2, Satz
2 GG befristet und degressiv ausgestaltet werden sollten. Die auch hier unvermeidlichen
Konflikte könnten dann problembezogen begrenzt werden, und im Finanzausgleich ginge
es dann nur noch darum, alle Länder so auszustatten, dass sie bei gleichen Pro-Kopf-Ein­
nah­men die durchschnittlichen Landesaufgaben erfüllen können.
Entkoppelung von Finanzausgleich und Steuerautonomie
Zu den Grundproblemen nicht nur der deutschen Finanzverfassung, sondern auch der
deut­schen Demokratie gehört der fast vollständige – und im internationalen Vergleich
ein­malige – Verzicht der Länder auf eine autonome politische Entscheidung über die eige­
nen Einnahmen. Im Kontext des Finanzausgleichs freilich werden Vorschläge für autono­
86
Aus der Forschung
me Steuerkompetenzen der Länder zumeist unter dem Kampfbegriff des „Wett­be­werbs­
föde­ralismus“ lanciert und dann mit der Forderung nach einer erheblichen Absenkung der
Ausgleichsquoten im Finanzausgleich verbunden. Schon deshalb stoßen sie von vornher­
ein auf Ablehnung bei den Empfängerländern. Im gegenwärtigen System wäre die Steuer­
autonomie ohne eine solche Absenkung in der Tat absurd, weil dann die Mehr­ein­nahmen
abgeschöpft und Steuerverzichte kompensiert würden. Steuerautonomie setzt also eine
Entkoppelung des Finanzausgleichs vom tatsächlichen Steueraufkommen der einzelnen
Länder voraus.
Dass diese auch möglich ist, zeigt die Regelung für
unterschiedliche Hebesätze der Grund­
erwerb­
Steuerautonomie setzt eine
steuer (Art. 107, Abs. 1, letzter HS), der zufolge
Entkoppelung des Finanz­
der Finanzausgleich sich hier nicht auf die tat­
aus­gleichs vom tatsächlichen
sächlich den Ländern und Gemeinden zu­
­
Steueraufkommen der einzel­nen
fließenden Steuern, sondern auf ein fiktives
Aufkommen beziehen soll, das durch die An­wen­
Länder voraus.
dung eines bundes­
durchschnitt­
lichen Steuer­
satzes auf die ein­heitlich definierte Bemessungs­
grundlage ermit­telt wird. Würde diese Regel generell angewandt, dann entfiele zunächst
der Streit über die per­ver­sen Anreize des jetzigen Systems. Länder, die ihr örtliches
Aufkommen – sei es durch effektive Wirtschaftsförderung oder durch effiziente Steuer­
fahndung – über den Bundesdurchschnitt erhöhen, könnten den Zugewinn behalten, und
Länder, die politisch gewollt oder durch administrative Ineffizienz auf Steuereinnahmen
verzichten, würden nicht von den anderen entschädigt. Vor allem aber entfiele damit die
negative politische Koppelung zwischen Steuerautonomie und Finanzausgleich (man
könn­te auch sagen, zwischen Freiheit und Gleichheit). Länder und Parteien, die im
Finanz­ausgleich eine hohe Ausgleichsquote verteidigen wollen, müssten nicht deshalb auf
Autonomie in der Steuerpolitik verzichten.
Das allein würde aber kaum ausreichen, um alle Länder von den Vorteilen der Autonomie
zu überzeugen. Auch wenn die Ausgleichsquote davon nicht berührt wird, gibt es zwei
Gründe, die jedenfalls die wirtschaftsschwachen Länder zögern lassen, auf das Angebot
erweiterter Steuerkompetenzen einzugehen. Der erste betrifft die Befürchtung eines
Steuerwettbewerbs, der die Attraktivität der wirtschaftsstarken Länder für mobile
Unternehmen und begüterte Steuerzahler noch weiter erhöhen könnte. Allerdings gilt
dies nicht für alle Steuerarten. Jedenfalls zeigen ausländische Beispiele und die Erfahrung
der deutschen Kommunen bei der Gewerbesteuer, dass unterschiedliche Sätze bei den
wohnsitz- und standortbezogenen Steuern kaum Mobilität auslösen. Allenfalls müsste die
gesetzliche Steuerzerlegung im „Speckgürtel“ der Stadtstaaten korrigiert werden.
Das zweite Gegenargument betrifft die unterschiedliche Ergiebigkeit geänderter Steuer­sät­ze.
So hätte nach Berechnungen der Bundesbank ein zehnprozentiger Zuschlag oder Abschlag
dern
bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer in den wirtschaftsschwachen Län­
weniger als 200 Euro pro Einwohner, in Bayern aber mehr als 350 Euro ausgemacht. Die
Konfliktverminderung durch Entkoppelung
87
wirtschaftsschwachen Länder würden also durch
Steuerautonomie weniger politischen Hand­lungs­
spielraum gewinnen als die reicheren Länder. Da
diese Ungleichheit nicht zu bestreiten ist, kann
die Diskussion nur mit einer normativen Frage
schließen: Ist die Politik der deutschen Länder
bereit, etwas mehr fiskalische Ungleichheit in Kauf
zu nehmen, wenn sie dafür etwas mehr fiska­lischen
Spielraum für eine demokratische Landespolitik
gewinnen könnte?
Ist die Politik der deutschen Länder
bereit, etwas mehr fiskalische
Un­gleichheit in Kauf zu nehmen,
wenn sie dafür etwas mehr
fiskalischen Spielraum für eine
demokratische Landespolitik
gewinnen könnte?
Fritz W. Scharpf
Fritz W. Scharpf ist Direktor emeritus am MPIfG. Nach dem Studium der Rechts­
ver­
si­
täten Tübingen,
wissenschaft und Politischen Wissen­schaften an den Uni­
Freiburg und Yale (USA), legte er 1959 und 1964 sein erstes und zweites Juris­ti­
sches Staatsexamen ab und promovierte zum Dr. iur. 1968 habilitierte er sich für
das Fach Politikwissenschaften an der Universität Freiburg. Nach Professuren und
Direktorentätigkeit an der Universität Konstanz und am Wissen­schaftszentrum
Berlin (WZB) wurde er 1986 als Direktor an das MPIfG berufen. 2003 wurde er
emeritiert. In den Jahren 2003 und 2004 war Scharpf Mitglied der Kommission von
Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung
(Föderalismuskommission).
Fritz W. Scharpfs Forschungsarbeiten widmen sich der Politikverflechtung im deut­
schen Föderalismus und der Europäischen Union sowie der politischen Ökonomie
von Wohlfahrtsstaaten.
Zum Weiterlesen
COMMONWEALTH GRANTS COMMISSION:
SCHARPF, F. W.: Föderalismusreform: Kein
Report on GST Revenue Sharing Relativities:
Ausweg aus der Politikverflechtungsfalle?
2015 Review. Volume 1 – Main Report.
Schriften aus dem Max-Planck-Institut für
Australian Government, Canberra 2015.
Gesellschaftsforschung, Bd. 64. Campus,
https://cgc.gov.au/index.php?option=com_
Frankfurt a.M. 2009.
attachments&task=download&id=2193
WILLIAMS, R.: Federal-State Financial
DEUTSCHE BUNDESBANK: Zur Reform der
Relations in Australia: The Role of the
föderalen Finanzbeziehungen. In: Deutsche
Commonwealth Grants Commission. In:
Bundesbank, Monatsbericht September
Australian Economic Review 38(1),
2014, 35–54 (2014).
108–118 (2005).
RENZSCH, W.: Finanzverfassung und Finanz­
ausgleich. Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 1995.
88
Aus der Forschung
Die Akademikerrepublik
Kein Platz für Arbeiter und Geringgebildete im Bundestag?
Armin Schäfer
Die Abgeordneten des Bundestages sollen Vertreter des ganzen Volkes sein, doch ein Abbild des
Vol­­kes sind sie nicht. Migranten und Frauen, aber noch stärker Arbeiter und Geringgebildete sind
im Par­la­ment unterrepräsentiert; dort dominieren Akademikerinnen und Akademiker. Das wirft die
Frage auf, ob die Interessen von sozial Benachteiligten angemessen vertreten werden.
In seiner Eröffnungsrede zur ersten Sitzung des 2013 neu gewählten Deutschen Bundes­
tages hob Bundestagspräsident Norbert Lammert hervor, dass die Abgeordneten „keine
Ver­samm­­lung von Helden und Heiligen“, sondern ein getreues Abbild der Bevölkerung
seien. Weder sozioökonomisch noch in ihren Einstellungen unterschieden sich die Mit­
glie­der des 18. Bundestages nennenswert von der Gesellschaft, die sie repräsentieren. Viel­
mehr bildeten sie eine „ziemlich repräsentative Mischung von Herkunft, Alter, Berufen,
Bega­bun­gen, Temperamenten, Erfahrungen, Stärken und Schwächen“, so Lammert. Diese
Auf­fassung überrascht, denn empirisch lässt sie sich nicht belegen: Frauen, Migranten
oder Arbei­ter sind im Bundestag deutlich unterrepräsentiert. Für die beiden erstgenann­
ten Gruppen hat sich die Repräsentationslücke zwar nicht vollständig geschlossen, aber
doch etwas verkleinert.
Die Akademikerrepublik
89
In sozioökonomischer Hinsicht gilt dies jedoch
nicht. Der Bundestag ist fast vollständig ein Aka­ Der Bundestag ist fast vollständig
de­­mi­­ker­­parlament, in das es kaum Arbeiter oder ein Akademikerparlament.
einfache Angestellte schaffen. Obwohl laut Er­he­
bun­­gen des Statistischen Bundesamtes nur 14 Pro­
zent der Bevölkerung über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen, sind mehr als
80 Prozent der Ab­ge­ord­neten Akademiker. Von den Parteimitgliedern über die Kan­di­daten
bis zu den Ab­geord­ne­ten nimmt die soziale Selektivität immer weiter zu, von einer „ziemlich
repräsen­tativen“ Mischung lässt sich in dieser Hinsicht nicht sprechen.
Ist spiegelbildliche Repräsentation wünschenswert?
Wenn die Rede davon ist, dass eine Gruppe eine andere repräsentiert, kann gemeint sein,
dass beide Gruppen bestimmte Merkmale teilen. Repräsentieren in diesem Sinn bedeu­
tet, etwas wirklichkeitsnah abzubilden. Doch spätestens seit dem bahnbrechenden Buch
der Politikwissenschaftlerin Hanna Pitkin zum „Konzept der Repräsentation“ wird das
Prinzip der „spiegelbildlichen“ oder „deskriptiven Repräsentation“ als nachrangig zur
Responsivität der Abgeordneten gegenüber den Wählerinnen und Wählern angesehen:
Die Repräsentanten müssen Anliegen und Interessen der Bevölkerung kennen und in
ihren Entscheidungen berücksichtigen. Repräsentieren besteht nach dieser Auffassung in
einem Dialog zwischen Parlamentariern und Bevölkerung. Dabei wird den Abgeordneten
ein hohes Maß an Autonomie zugestanden, das jedoch mit der Pflicht einhergeht, eige­
ne Entscheidungen gegenüber den Repräsentierten zu begründen. Weicht das Verhalten
Die Nationalversammlung trat als erste gewählte deutsche Volksvertretung 1848 in der Frankfurter
Paulskirche zusammen. Sie bestand überwiegend aus Akademikern und wurde darum als „Gelehr­ten­
parlament“ bezeichnet.
90
Aus der Forschung
Anteil der Personen mit (Fach-)Hochschulreife
Abb. 1
Bevölkerung
Parteimitglieder
Bundestagskandidaten
Abgeordnete
in Prozent
0
20
40
60
80
100
Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Parteimitgliederstudie 2009, GLES Kandidatenstudie 2009. Vergleichbare Daten zu den Bildungsabschlüssen der Abgeordneten der
18. Wahlperiode liegen noch nicht vor.
der Gewählten ohne ausreichende Begründung dauerhaft und gravierend von den
Einstellungen und Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler ab, ist das Reprä­
sen­
ta­
tionsverhältnis gestört. Nicht das Wer, sondern das Wie ist aus dieser Perspektive für die
Qualität der Reprä­sen­ta­tion entscheidend.
Doch ist dieses Verständnis auch kritisiert worden.
Insbesondere feministische Autorinnen ver­weisen
Was prägt die Qualität der Reprä­
darauf, dass die teilweise krasse Unterrepräs­en­ta­
sentation: das Wer oder das Wie?
tion von Frauen in de­n Par­la­menten sich auf die
dort getroffenen Entscheidungen auswirke und
die Benachteiligung von Frauen weiter fortführe. Deshalb sprechen sich Politik­wissen­
schaftlerinnen wie Anne Philipps, Jane Mansbridge oder Melissa Williams für „Gruppen­
repräsentation“ aus, die sicherstellen soll, dass benachteiligte Gruppen im Parlament ver­
treten sind.
Dabei wird nicht angenommen, Frauen seien in ihren politischen Überzeugungen eine
ho­mo­gene Grup­pe. Doch mit größerer numerischer Stärke im Parlament nehme die Wahr­
schein­lichkeit zu, dass ihre Belange in politischen Entscheidungen be­rück­sichtigt werden.
In vielen westlichen Demokratien gibt es inzwischen freiwillige oder bindende Re­geln, die
die Nominierung von Kandidatinnen erleichtern. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
gehen in Deutschland besonders weit in ihren Bemühungen, Geschlechterparität zu ver­
wirklichen. Im neu gewählten Bundestag stellen in beiden Fraktionen Frauen die Mehrheit.
Verfechterinnen der Gruppenrepräsentation sehen das Pitkin’sche Repräsentationsideal
Die Akademikerrepublik
91
zwar skeptisch, wehren sich aber gleichzeitig gegen das deskriptive Modell, da nur benach­
teiligte Gruppen einen besonderen Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung hätten. Und
obwohl manche von ihnen beispielsweise Arbeiter dazuzählen, weisen andere dies zurück,
da in fast allen Parlamenten Arbeiterparteien vertreten seien, weshalb kein zusätzlicher
Repräsentationsbedarf bestehe. Allerdings finden sich in den Parlamentsfraktionen auch
dieser Parteien kaum noch Arbeiter. Wenn jedoch die deskriptive Unterrepräsentation von
Frauen oder ethnischen Minderheiten einen Mangel darstellt, sollte dies auch für andere
Gruppen gelten.
Das Gesetz zunehmender Disproportionalität
In den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts for­
mu­­lierte der amerikanische Politik­wissen­schaftler Der Akademikeranteil ist heute
Robert Putnam das „Gesetz zunehmender Dispro­ höher als jemals zuvor in einem frei
por­­tionalität“. Es besagt, dass die soziale Selektivität
gewählten deutschen Parlament.
von gesellschaftlichen Positionen mit deren Wich­
tig­­
keit zunimmt. Das Führungspersonal in der
Wirt­schaft, aber auch in Wissenschaft und Politik, rekrutiert sich überpropor­tio­nal aus der
oberen Mittelschicht und der Oberschicht. Wenn bereits ein Elternteil zur Elite gehörte, ist
die Wahrscheinlichkeit besonders groß, auch selbst eine herausgehobene Position einzuneh­
men. Obwohl in Deutschland, darauf weist der Elitenforscher Michael Hartmann hin, die
Durchlässigkeit in der Politik deutlich höher als etwa in Unternehmen ist, trifft Putnams
Gesetz in der Tendenz auch dort zu. Das zeigt Abbildung 1 anhand von Bildungsabschlüssen.
Während 27 Prozent der Bevölkerung (mindestens) über die Fachhochschulreife verfügen,
sind es bei den Parteimitgliedern mehr als die Hälfte. Noch homogener wird die Gruppe,
wenn nur jene Parteimitglieder be­trach­tet werden, die 2009 für den Bundestag kandidier­
ten. 87 Prozent von ihnen haben die Schule mindestens mit dem Fachabitur abgeschlossen.
Mit dem Schritt ins Parlament steigt dieser Anteil auf 93 Prozent an – er liegt damit 66
Prozentpunkte über dem Anteil an der Bevölkerung. Unter den Abgeordneten des Deutschen
Bundestages befindet sich kaum noch jemand, der nach Mittlerer Reife eine Lehre gemacht
und in einem Handwerksberuf gearbeitet hat – geschweige denn jemand, der die Schule mit
Hauptschulabschluss verlassen hat.
Der Akademikeranteil im Bundestag hat im Lauf der Zeit stetig zugenommen. Abbil­­dung 2
zeigt die Entwicklung von 1949 bis 2009: Hatten an­fangs 45 Prozent der Abgeordneten stu­
diert – was an­­ge­sichts der damals geringen Zahl von Hoch­­schul­absolventen ein hoher
Prozentsatz ist –, stieg der Anteil in den Siebzigerjahren auf 70 Prozent und in den
Neunzigerjahren auf mehr als 80 Prozent. Im 2009 gewählten Bundestag lag er bei 91 Prozent.
Damit ist der Akademikeranteil heute höher als jemals zuvor in einem frei gewählten deut­
schen Parla­ment. Da gleichzeitig auch der Akademikeranteil in der Bevölkerung gestiegen ist,
lässt sich zwar nicht behaupten, die Verzerrung sei heute größer als etwa im Gelehrtenparlament
der Paulskirche von 1848, aber dennoch ist der Akademikeranteil im Bundestag mehr als
sechsmal so hoch wie in der Bevölkerung.
92
Aus der Forschung
Anteil der Akademiker im Bundestag
Abb. 2
in Prozent
100
80
60
40
20
05
09
20
20
98
02
20
19
90
94
19
19
83
87
19
19
76
72
69
65
80
19
19
19
19
19
61
57
19
19
53
19
19
49
0
Quelle: Datenhandbuch des Deutschen Bundestages.
Für den 18. Deutschen Bundestag liegen noch keine detaillierten Informationen über die
Schulabschlüsse der Parlamentarier vor, aber zurzeit spricht nichts dafür, dass sich das
Bild grundlegend geändert hat. So stellen etwa Arbeiter und Handwerker gemeinsam
nur 2,8 Prozent der Abgeordneten, während etwa dreimal so viele Unternehmer oder
Selbstständige und sogar achtmal so viele Juristen vertreten sind (FAZ, 22. Oktober 2013).
Erfolgsfaktor Geld
Nun ließe sich vermuten, dass die Überrepräsentation von Akademikerinnen und
Akademikern im Bundestag Ergebnis der an die Abgeordneten gestellten Anforderungen
und damit die Folge eines Kompetenzvorsprungs ist. Viele im Parlament verhandel­
te Themen sind schwierig und verlangen großes Fachwissen. Doch der vermeintliche
Kompetenzvorsprung ist nicht der einzige Grund. Wenn man statistisch überprüft, wer
von den aufgestellten Kandidaten den Sprung ins Parlament schafft, fällt eine Reihe von
Punkten ins Auge. Wichtig ist etwa, ob man auf einem sicheren Listenplatz platziert ist
oder in einem Wahlkreis antritt, der in der Vergangenheit mit klarer Mehrheit an die
eigene Partei ging. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden, mit dem
Bekanntheitsgrad. Amtsinhaber haben somit einen Vorteil gegenüber Herausforderern,
die bisher kein politisches Amt innehatten.
Die Akademikerrepublik
93
Private Ausgaben und erfolgreiche Kandidaturen
Abb. 3
Wahrscheinlichkeit, in den Bundestag gewählt zu werden
1
0,8
0,6
0,4
0,2
Private Wahlkampfausgaben in Euro
0
0
4.000
8.000
12.000
16.000
20.000
Quelle: GLES Kandidatenstudie 2009.
Doch selbst wenn all diese Faktoren berücksich­
tigt werden, bleiben die im Wahlkampf aufgewen­ Kandidatinnen und Kandidaten,
deten Ressourcen ein wichtiger Erklärungsfaktor: die mehr Geld und Zeit in ihren
Wer für den Bundestag kandidieren möchte, muss
Wahlkampf investieren, haben
Zeit, aber auch eigenes Geld investieren, wodurch
die Hürden für viele Berufsgruppen und für größere Erfolgsaussichten.
Geringverdiener hoch werden. Kandidatinnen
und Kandidaten, die – unter sonst gleichen Bedingungen – mehr Geld und mehr Zeit in
ihren Wahlkampf investieren, haben größere Erfolgsaussichten. Dabei kommt es weniger
auf das von den Parteien veranschlagte Geld, sondern vielmehr auf die zusätzlich getä­
tigten privaten Wahlkampfausgaben an. Im Durchschnitt geben Wahlkämpfer mehrere
Tausend Euro aus der eigenen Tasche für den Wahlkampf aus – und im Extremfall sogar
fünfstellige Beträge.
Abbildung 3 zeigt, wie sich die Wahrscheinlichkeit verändert, in den Bundestag gewählt
zu werden, wenn die privaten Ausgaben zunehmen. Dabei werden die oben genannten
Erklärungsfaktoren sowie eine Reihe weiterer Gründe berücksichtigt, sodass statistisch
der „Nettoeffekt“ der privaten Ausgaben ermittelt werden kann. Unter sonst gleichen
Bedingungen gilt: Je höher diese liegen, desto höher ist auch die Erfolgsaussicht, in den
Bundestag einzuziehen.
Allerdings könnte die Kausalität zwischen Res­sour­­­­cen und Amt auch umgekehrt verlaufen:
Die Par­teien erwarten von Kandidaten auf aus­sichts­rei­chen Listenplätzen oder in sicheren
Wahl­krei­sen, dass sie einen privaten Beitrag zum Wahl­kampf­bud­get leisten. Von aussichtslo­
94
Aus der Forschung
sen Kandi­daten kann dagegen kaum verlangt werden, dass sie eige­nes Geld investieren. Doch
selbst wenn höhere private Wahlkampfaufwen­
dungen die Folge einer aussichtsreichen
Kandidatur in einem sicheren Wahlkreis oder auf einem vorderen Listenplatz wären, änder­
te dies nichts an dem demokratietheoretisch problematischen Zusammenhang zwischen
Ressourcen und der Möglichkeit, gewählt zu werden. Denn wenn eine Erwartungshaltung in
den Parteien besteht, dass eine aussichtsreiche Kandidatur durch nicht unerhebliche
Privatausgaben vergolten wird, wirkt dies als Ausschlusskriterium für Aspiranten mit gerin­
gem Einkommen.
Unterrepräsentation als demokratisches Problem?
Das von Putnam formulierte Gesetz zunehmender Disproportionalität besagt, dass die
soziale Basis immer exklusiver wird, je wichtiger die zu besetzende Position ist. Wie die
Forschung auch für Deutschland zeigt, rekrutieren sich die Eliten in der Wirtschaft über­
proportional aus einem relativ kleinen Bevölkerungssegment. Für die Politik galt dies
bislang in geringerem Ausmaß, doch sitzen auch in den Parlamenten heute fast nur noch
Akademiker. Eine Laufbahn wie die von Norbert Blüm, der als Werkzeugmacher bei Opel
arbeitete, erst auf dem zweiten Bildungsweg studierte und schließlich Bundesminister
wurde, gibt es kaum noch. Und mit Bodo Ramelow gibt es in den fünfzehn deutschen
Bundesländern nur einen Ministerpräsidenten ohne Hochschulabschluss.
Diese Verschiebung in der Zusammensetzung der politischen Elite berührt die Frage,
ob Repräsentation vollständig darauf verzichten kann, dass die Repräsentanten den
Repräsentierten ähneln. Wer in den Parlamenten sitzt, darauf haben Befürworterinnen der
Gruppenrepräsentation hingewiesen, ist für die dort getroffenen Entscheidungen nicht
Die Akademikerrepublik
95
unerheblich. Das belegen auch einige in den letzten Jahren veröffentlichte empi­ri­sche
Studien. Repräsentation als Dialog kann nur gelingen, wenn sich die Lebens­wel­ten von
Repräsentanten und Repräsentierten überlappen. Sonst treffen erstgenannte Entschei­
dun­gen über Probleme, die sie selbst nur aus zweiter Hand kennen. Ein sozial homogenes
Parlament kann zudem bei sozial benachteiligten Gruppen das Gefühl verstärken, nicht
repräsentiert zu werden. „Die da oben“ werden in diesem Fall als fremd und von den eige­
nen Problemen weit entfernt wahrgenommen.
Armin Schäfer
Armin Schäfer ist seit 2014 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt
„International Vergleichende Politische Ökonomie“ an der Universität Osnabrück.
Er war von 2001 bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. 2014 habi­li­
tier­te er sich an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er studierte Politik­
wissenschaft, Volkswirtschaftslehre sowie Friedens- und Konfliktforschung an der
Universität Marburg und der University of Kent at Canterbury und wurde 2004 an
der Universität Bremen promoviert.
Forschungsinteressen: Demokratie und soziale Ungleichheit; politische Ökonomie;
europäische Integration; Parteien.
Portrait Armin Schäfer: http://tinyurl.com/schaefer-taz
Zum Weiterlesen
SCHÄFER, A.: Der Verlust politischer Gleichheit:
KÜHNE, A.: Repräsentation enträtselt oder
Warum die sinkende Wahlbeteiligung der
immer noch „the Puzzle of Representation“?
Demokratie schadet. Schriften aus dem Max-
Entwicklungen und Lehren aus unterschiedli­
Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Bd.
chen Forschungsstrategien. Zeitschrift für
81. Campus, Frankfurt a.M. 2015.
Parlamentsfragen 44(3), 459–485 (2013).
SCHÄFER, A., VEHRKAMP, R. & GAGNÉ,
PHILLIPS, A.: The Politics of Presence: The
J. F.: Prekäre Wahlen: Milieus und soziale
Political Representation of Gender, Ethnicity,
Selektivität der Wahlbeteiligung bei der
and Race. Oxford University Press, Oxford
Bundestagswahl 2013. Bertelsmann Stiftung,
1995.
Gütersloh 2013.
www.wahlbeteiligung2013.de
PITKIN, H. F.: The Concept of Representation.
University of California Press, Berkeley 1967.
HARTMANN, M.: Soziale Ungleichheit – kein
Thema für die Eliten? Campus, Frankfurt
a.M. 2013.
96
Aus der Forschung
Ökonomisierung
und moralischer Wandel
Dominic Akyel
Wir leben in einer Welt, in der alles zur Ware werden kann, sogar natürliche Ressourcen wie
Trink­wasser, soziale Leistungen oder künstlerische Ideen. Ursächlich für diese Entwicklung waren
allerdings nicht nur politische und ökonomische Veränderungen, sondern auch der Wandel sozialer
Wertvorstellungen. Was jedoch macht die moralische Dimension der Ökonomisierung aus?
Der englische Begriff Whale Watching bezeichnet einen neuen Tourismuszweig, der
sich immer größerer Beliebtheit erfreut: die Beobachtung von Walen und von Delfinen
in ihrem natürlichen Lebensraum. Dass Walbeobachtung eine kommerziell lohnende
Branche werden konnte, also ökonomisiert werden konnte, liegt in einem moralischen
Wandel begründet, der das Verhältnis der Menschen zum Wal verändert hat. Während
Wale noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als ökonomische Ressource wahr­
genommen wurden, entwickelten sich Walerzeugnisse im Verlauf des Jahrhunderts
durch moralische Veränderungen von legalen und legitimen zu moralisch umstrittenen
Gütern, die einer hohen Marktregulierung unterworfen wurden. Die kommerzielle
Walbeobachtung bildete sich als Folge einer Ausweitung sozialer Verbote heraus, die mit
einer Tabuisierung bestimmter Produkte, in diesem Fall von Walerzeugnissen aus nicht
akzeptierten Fängen, einherging. Die tatsächliche Entstehung und konkrete Ausgestaltung
des Marktes hing zwar ebenso von den Aktivitäten lokaler Unternehmer ab, der Wandel
kultureller Vorstellungen war jedoch eine wichtige Voraussetzung.
Ökonomisierung und moralischer Wandel
97
Der Handel mit moralisch problematischen Produkten
Die Frage nach moralischen Werten stellt sich in
modernen kapitalistischen Ökonomien deshalb, Moralischer Wandel ist eine
weil das wirtschaftliche Handeln ebenso von sozia­ Triebkraft der Ökonomisierung.
len und kulturellen Wertvorstellungen gesteuert
und strukturiert wird wie von verbindlichen Rechtsnormen. Aus diesem Grund gehen
öko­nomische Veränderungen häufig mit einer moralischen Neubewertung von Waren und
Gütern einher. Moralischer Wandel ist deshalb eine wichtige Triebkraft für die Entstehung
von Ökonomisierungsprozessen.
In besonderem Ausmaß zeigt sich der große Einfluss sozialer Wertvorstellungen, wenn
mora­lisch problematische Produkte und Dienstleistungen auf Märkten gehandelt wer­
den. Beim Geschäft mit Gütern, die als schützenswert, anrüchig oder gefährlich ein­
gestuft werden, geraten ökonomische Anforderungen und moralische Vorstellungen
regelmäßig in Konflikt. Bei der Spekulation mit Lebensmitteln, dem Angebot erotischer
Dienstleistungen oder der Waffenproduktion müssen Unternehmer deshalb besondere
Strategien anwenden, um ihr Handeln zu legitimieren und ihre ökonomischen Ziele zu
verfolgen. Daher unterliegt der Handel mit derartigen Produkten neben rechtlichen häufig
auch speziellen moralischen Einschränkungen. Was jedoch war dafür verantwortlich, dass
sich das Marktprinzip während der letzten Jahrzehnte auch in vielen außerökonomischen
Bereichen etablieren konnte?
Moralische Ansprüche wurden in den Hintergrund gedrängt
Viele industrialisierte Länder haben seit den 1970er-Jahren Wirtschaftlichkeit und Renta­
bi­lität in den Mittelpunkt gestellt und eine Ausweitung von Marktbeziehungen vorange­
trieben. Dieser zumeist als „Ökonomisierung“ bezeichnete Prozess zeigt sich mitt­lerweile
in fast allen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen. Ursächlich dafür war neben politi­
schen und ökonomischen Veränderungen auch der Wandel sozialer Wertvorstellungen.
Im Bestattungswesen herrscht aufgrund von moralischen Bedenken ein informelles Verbot gewinn­
orientierten Wirtschaftens. Unternehmer müssen deshalb besondere Strategien anwenden, um ihr
Handeln zu legitimieren und um ihre ökonomischen Ziele erfolgreich zu verfolgen.
98
Aus der Forschung
Zur Ausweitung von Marktbeziehungen trug außer­dem die zunehmende Individualisierung
bei. Dadurch, dass sich die Menschen immer mehr von gesellschaftlichen Erwartungen
eman­zipiert haben, sind neue Bedürfnisse und Handlungsziele in den Vordergrund gerückt.
Der zeitgenössische Ökonomisierungstrend zeigt
sich dabei in vielen Varianten. Auf der einen
Seite haben sich in den letzten Jahrzehnten ver­
industrialisierte Länder Rentabilität
stärkt neue Märkte in vormals nicht ökonomi­
und Effizienz in den Mittelpunkt.
sierten Bereichen etabliert, während staatliche
Unternehmen priva­tisiert und Gesetzesordnungen
liberalisiert wurden. Auf der anderen Seite sind Unternehmer und Kunden heutzutage viel
stärker als in der Vergangenheit auf Gewinn- und Konsummaximierung ausgerichtet.
Damit haben klassische Handlungsprinzipien der Wirtschaft an Geltungskraft gewonnen,
während moralische und soziale Ansprüche zugunsten von Kosten-Nutzen-Kalkulationen
in den Hintergrund gedrängt wurden.
Seit den 1970er-Jahren stellen viele
Um fortschreitende Ökonomisierung jedoch überhaupt als solche identifizieren zu können,
muss man wissen, was die kapitalistische Wirtschaftsordnung in ihrem Wesen ausmacht.
Als genuin kapitalistisch gelten solche Ökonomien, in denen privates Unternehmertum,
Privateigentum und freie Märkte den Austausch sowie die Güterproduktion bestimmen.
Im Gegensatz zu frühen Formen kapitalorientierten Wirtschaftens werden in modernen
kapitalistischen Ökonomien sowohl der Handel als auch die Produktion durch private
Unternehmer finanziert. Der Besitz der Produktionsmittel konzentriert sich dabei in den
Händen einer Minderheit, während der Großteil der Bevölkerung seinen Lebensunterhalt
durch Lohnarbeit erwirtschaftet. Der Großteil der wirtschaftlichen Aktivität beruht dem­
nach auf der Investition von Kapital.
Liberalismus und Neoliberalismus in einer globalisierten Wirtschaft
Großen Einfluss auf die historische Entwicklung des Kapitalismus hatte der Liberalismus,
der im achtzehnten Jahrhundert entstand. Die Anhänger dieser Denkschule glaubten
daran, dass gesellschaftlicher Reichtum am besten durch die Kultivierung des individuel­
len Gewinnstrebens auf freien Märkten zu verwirklichen sei. Sie forderten unbeschränk­
ten Wettbewerb, freien Handel und eine Minimierung staatlichen Eingreifens in das
Wirtschaftsgeschehen. Auch wenn die Ideen des Liberalismus nicht überall gleichermaßen
umgesetzt wurden, hatte dieser eine große Wirkung. Vom neunzehnten bis zum frühen
zwanzigsten Jahrhundert war das Postulat der Selbstregulierung der Ökonomie eines der
wichtigsten Leitbilder der Wirtschaftspolitik.
Aus dem Blickwinkel der Zeitgeschichte hat der Ökonomisierungstrend von heute seinen
Ursprung im Aufschwung des neoliberalen Denkens in der zweiten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts. Die Bezeichnung „Neoliberalismus“ bezieht sich dabei auf eine Strömung
des Liberalismus, deren Anhänger sich für den freien Austausch von Waren auf Märkten
sowie eine radikale Begrenzung staatlicher Eingriffe einsetzen. Ihnen zufolge sollte der
Staat seinen Einfluss lediglich zur Sicherung von Recht und Freiheit nutzen, nicht jedoch
für die Schaffung eines sozialen Ausgleichs.
Ökonomisierung und moralischer Wandel
99
Bio-Supermärkte erreichen heute breite Käuferschichten. Beim Kauf von Lebensmitteln orientiert sich
das Markthandeln von Produzenten und Konsumenten heutzutage in weit stärkerem Maße an öko­
logischen, sozialen und politischen Bewertungsmaßstäben als noch vor zwei Jahrzehnten.
Die weltweite politische Umsetzung neoliberaler Ideen war zum einen der intensiven
Propagierung dieses Leitbildes durch proliberale Expertennetzwerke geschuldet. Zum
ande­ren wurde sie durch die zunehmende globale Vernetzung von Politik und Wirtschaft
ge­för­dert. Anreize für die Umsetzung neoliberaler Managementkonzepte ergaben sich
aber auch infolge verschiedener wirtschaftlicher und politischer Veränderungen. So
sorg­ten intensiver globaler Wettbewerb, Rationalisierungsmaßnahmen, wirtschaftliche
Konzentrationsprozesse sowie technische Fortschritte für eine höhere Dynamik auf vie­
len Märkten – der Markteintritt branchenfremder Investoren sowie gestiegene Gewinn­
ansprüche trugen ebenso dazu bei.
Die moralische Dimension der Ökonomisierung
Den Aufwind für neoliberale Managementkon­
te und damit für den Trend zur zeitgenös­ Ökonomisierung setzt häufig eine
zep­­
sischen Ökonomisierung verursachten also ver­ Neubewertung eines Handelsgutes
schiedene soziale, politische und ökonomische
und damit den Wandel seiner mora­
Wandlungsprozesse. Doch gab es auch ideologisch
gelenkte Veränderungen: Denn Ökonomisierung lischen Dimension voraus.
hat auch eine moralische Dimension. Wer neo­
liberale Steuerungsmodelle umsetzt, muss sich immer auch der Frage stellen, in welchen
Bereichen man einen weitgehend regelfreien Markt zulassen kann und möchte, und ob
überhaupt eine grundsätzliche Markteignung des jeweiligen Gutes besteht.
Es gibt eine ganze Reihe ambivalenter Güter, beispielsweise sexuelle Dienstleistungen
oder Produkte im Bestattungswesen, bei denen Unsicherheit darüber herrscht, ob diese
auf freien Märkten gehandelt werden sollten. In diesen Bereichen stehen sich zumeist
100
Aus der Forschung
widerstreitende Auffassungen über die Markteignung des betreffenden Gutes und den
Umfang der Regulierung unversöhnlich gegenüber. So setzt Ökonomisierung häufig
eine Neudefinition und Neubewertung eines Handelsgutes und damit den Wandel seiner
moralischen Dimension voraus.
Von moralischen zu wirtschaftlichen Veränderungen
Ein Beispiel für wirtschaftlichen Wandel infolge einer Veränderung der kulturellen
Bedeutung von Gütern ist der Markt für nachhaltige Produkte wie Fair-Trade-Bekleidung,
Bio-Lebensmittel oder Ökostrom. Anders als bei herkömmlichen Waren sind bei der
Herstellung und beim Kauf dieser Güter moralische Kriterien maßgebend. In den letzten
Jahren hat sich das Image dieser Waren allerdings stark verändert. In der Vergangenheit
repräsentierten diese Güter die Partikularinteressen der Umwelt-und Naturkostbewegung.
Mittlerweile wird der Anspruch auf Nachhaltigkeit und Natürlichkeit von vielen
Bevölkerungsschichten geteilt. Dementsprechend orientiert sich das Markthandeln von
Produzenten und Konsumenten heutzutage in weit stärkerem Maße an ökologischen, sozi­
alen und politischen Bewertungsmaßstäben als noch vor zwei Jahrzehnten.
Der derzeitige Trend zur Ökonomisierung ist so­mit keineswegs das Ergebnis einer natürlichen
Entwicklungstendenz, sondern beruht auch auf veränderten gesellschaftlichen Wert- und Ziel­
vor­stellungen. Denn die notwendigen Ent­schei­dungs- und Gestaltungsspielräume für ökono­
mischen Wandel entstanden oftmals erst durch soziale Veränderungen, zum Beispiel durch die
Herauslösung der Menschen aus bestehenden sozialen und kulturellen Pflichten.
Individualisierungsprozesse tragen zur Öko­no­mi­
sierung bei, indem sie das Span­nungs­verhältnis
zwischen ökonomischen Anforderungen und
chen das Spannungsverhältnis zwi­
mo­ra­lischen Vorstellungen ab­schwächen. Häufig
schen ökonomischen Anforde­run­gen
kommt es dabei allerdings zu moralischen Kon­
und moralischen Vorstellungen ab.
ten. In ambivalenten Wirtschaftsbereichen
flik­
den sich oft Protestbewegungen heraus, die
bil­
sich mal grundsätzlich, mal mit Blick auf einzelne Aspekte gegen eine Ausweitung von
Markt­beziehungen einsetzen. Jüngstes Beispiel für diese Tendenz ist der weltweite Protest
der Occupy-Bewegung gegen Spekulationsgeschäfte auf den Finanzmärkten und das
Eindringen ökonomischer Prinzipien in die Politik.
Individualisierungsprozesse schwä­
Keine Abkehr vom Primat neoliberaler Wirtschaftspolitik in Sicht
Trotz dieser Gegenbewegungen scheint eine politische Abkehr vom Primat neoliberaler
Wirt­schaftspolitik nicht in Sicht zu sein. Das liegt einerseits daran, dass der politische Wille
fehlt, Forderungen nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit einen größeren Stellenwert
ein­zuräumen. Andererseits sind die negativen Folgen der Ökonomisierung nicht immer
sofort als solche zu erkennen.
Ökonomisierung und moralischer Wandel
101
Dass die Verabsolutierung wirtschaftlicher Prinzipien unerwünschte Konsequenzen
hat, ist dabei unbestritten. Ökonomisierung führt nicht nur zu einem Mehr an sozia­
ler Ungleichheit, was sich beispielsweise in zunehmenden Einkommensunterschieden
bemerkbar macht. Sie sorgt auch dafür, dass soziale Werte wie Fairness, Verantwortlichkeit
und Nachhaltigkeit aus dem Wirtschaftsleben ausgesperrt werden.
Die Debatte um die Ökonomisierung berührt somit elementare Fragen nach den
Grundprinzipien unseres sozialen Zusammenlebens. Um sicherzustellen, dass Politik,
Wissenschaft und Kultur auch in Zukunft ihre eigentlichen Funktionen erfüllen können,
scheint es sinnvoll, den Geltungsbereich der Marktkräfte zu begrenzen. Sonst könnte an
die Stelle einer solidarischen Gesellschaft irgendwann ein allumfassender Markt treten, auf
dem sich die Menschen nur noch als Vertragspartner in einem Tausch von Gütern und
Leistungen begegnen.
Dominic Akyel
Dominic Akyel ist seit Ende 2014 Geschäftsführender Direktor des Exzellenz­
zentrums für Soziales und Ökonomisches Verhalten (C-SEB) an der Universität zu
Köln. Zuvor war er von 2011 bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie For­­
schungs­koordinator am MPIfG. Zwischen 2012 und 2014 arbeitete er zudem als
frei­beruflicher Wirtschaftsreferent und Strategieberater für verschiedene Unter­
nehmen und Berufsverbände.
Forschungsinteressen: Wirtschaftssoziologie; Politische Ökonomie; Kultur­sozio­lo­
gie; Religionssoziologie.
Zum Weiterlesen
AKYEL, D.: Ökonomisierung und morali­
AKYEL, D.: Die Ökonomisierung der Pietät:
scher Wandel: Die Ausweitung von Markt­
Der Wandel des Bestattungsmarkts in
beziehungen als Prozess der moralischen
Deutschland. Schriften aus dem Max-Planck-
Bewertung von Gütern. MPIfG Discussion
Institut für Gesellschaftsforschung, Bd. 76.
Paper 14/13. Max-Planck-Institut für
Campus, Frankfurt a.M. 2013.
Gesellschaftsforschung, Köln 2014.
www.mpifg.de/pu/mpifg-dp/dp14-13.pdf
AKYEL, D.: Qualification under Moral
Constraints: The Funeral Purchase as a
AKYEL, D. & BECKERT, J.: Pietät und Profit:
Problem of Valuation. In: Beckert, J. &
Kultureller Wandel und Marktentstehung
Musselin, C. (Hg.), Constructing Quality:
am Beispiel des Bestattungsmarktes.
The Classification of Goods in Markets.
Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Oxford University Press, Oxford 2013,
Sozialpsychologie 66(3), 425–444 (2014).
223–244.
Auszug aus dem Essay „Ökonomisierung und moralischer Wandel“ von Dominic
Akyel im Rahmen der Themenwoche „Ware Welt“ des Deutschlandfunks
(7. Dezember 2014).
> tinyurl.com/akyel-oekonomisierung
102
Aus der Forschung
Die „Neue Ökonomie“
des industriellen Kapitalismus
Eine industrielle und institutionelle Revolution
Alfred Reckendrees
Als die Industrialisierung um 1840 in den meisten deutschen Regionen begann, arbeiteten in Aachen
bereits mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in großen Fabriken. Dampfmaschinen und rauchen­
de Schornsteine prägten das Bild der Stadt. Wie kam es dazu? Welche Veränderungen brachte die
Industriewirtschaft mit sich? Warum war die Entwicklung im westlichen Rheinland so dynamisch?
Alfred Reckendrees geht diesen Fragen in einem wirtschaftshistorischen Forschungsprojekt nach.
Heute beschränken sich viele deutsche Unternehmen auf die Entwicklung und Vermark­
tung von Produkten, während die Fertigung in Pakistan, Bangladesch oder Osteuropa
erfolgt. Vor gut zweihundert Jahren hatte in den deutschen Staaten ein umgekehrter
Prozess begonnen. Bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts war das Verlagssystem
die wichtigste Produktionsform für überregionale Handelsgüter. Kaufleute – die
Verleger – lieferten Rohmaterialien an heimgewerbliche Produzenten, die mit eigenen
Produktionsmitteln beispielsweise Garn zu Tuch webten. Der Verleger bestimmte die
Qualität und das Muster des Tuchs und ließ es verarbeiten. Ab Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts löste die Fabrik dieses dezentrale Produktionssystem ab. Das Ergebnis war
ein neues Produktions- und Akkumulationsregime, das die unternehmerische Tätigkeit
ebenso grundlegend veränderte wie die Arbeit. Der fundamentale Transformationsprozess
Die „Neue Ökonomie“ des industriellen Kapitalismus
103
Viele Schwellenländer stehen heute vor Problemen, die denen des neunzehnten Jahrhunderts stärker
ähneln als den Herausforderungen, denen unsere postindustrielle Gesellschaft gegenübersteht.
vom Handels- zum Industriekapitalismus ist nicht allein historisch bemerkenswert. Heute
stehen viele „Schwellenländer“ vor Problemen, die denen des neunzehnten Jahrhunderts
stärker ähneln als den Herausforderungen, denen unsere postindustrielle Gesellschaft
gegenübersteht.
In der vorindustriellen Zeit hatten die meisten Pro­du­zenten in Familienwirtschaften
gelebt, zu denen etwas Land gehörte. Die neuen Industrie­arbei­ter mussten ausschließlich
von ihrem Lohn leben. In den Fabriken ersetzten von Wasser- oder Dampfkraft getriebene
Maschinen die Hand­arbeit, der Lebensbereich Arbeit wurde von der Fa­mi­lie getrennt. Für
die Fabrikunternehmer war der Wandel zwar einträglicher, aber ebenso radikal. Anders als
die Verleger mussten sie viel Geld in Gebäude und Maschinen investieren, organisatori­
sches Wissen erwerben und Hunderte von Arbeitern koordinieren. Das finanzielle Risiko
wuchs, weil sich diese Anlagen nicht kurzfristig amortisierten. Wirtschaftlichkeit hing
von der Kapazitätsauslastung ab, doch zugleich vergrößerte die Massenproduktion die
Abhängigkeit von internationalen Konjunkturzyklen und Nachfrageänderungen. Auch der
Gütertransport und die Kommunikation erlebten einen radikalen Wandel; die Eisenbahn
senkte die Transportkosten drastisch und wichtige Informationen reisten nun per Telegraf
in wenigen Minuten über den gesamten Kontinent.
Die Durchsetzung der industriellen Produktion war kein zwangsläufiger Moderni­sie­
rungs­­prozess. Sie erfolgte regional ungleichzeitig und war von handelnden Menschen
geprägt. Unternehmerisches und technisches Lernen, Wissenstransfer zwischen Industrien,
die Kooperation und Konkurrenz wirtschaftlicher Akteure, aber auch soziale Konflikte
prägten die Entwicklung.
104
Aus der Forschung
Indirekt dampfbetriebene Webstühle der Weberei Krahnen & Gobbers in Wassenberg, 1894. Die
wirt­schaftliche Dynamik basierte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zunächst auf dem Tuch­
gewerbe. In Aachen wurde die erste Fabrik, die alle Arbeits­prozesse vom Spinnen bis zur Veredelung
der Stoffe integrierte, 1817 eingerichtet. Hier trieb eine zentrale Dampfmaschine die Maschinen an.
Fünfzehn Jah­re später hatten alle größeren Tuchfabriken auf die mechanisierte Produktion umge­
stellt. 1850 standen im Regierungsbezirk Aachen fünfmal so viele Dampfmaschinen pro Einwohner
wie im preußischen Durchschnitt.
Die institutionelle Revolution im Rheinland
Der Export der Französischen Revolution und
die Integration des Rheinlands in den franzö­
sischen Staat im Jahr 1798 brachten der regi­
auf eine verdichtete Gewerberegion
onalen Wirtschaft einen großen, zollfreien
und eine Gesellschaft im Umbruch,
Binnenmarkt und eine einheitliche Währung, die
die diese Impulse produktiv auf­
Napoleonischen Gesetze dagegen eine liberale
Rechts- und Wirtschaftsordnung, die bürgerli­
nehmen konnte.
ches Eigentum und Rechtssicherheit garantierte.
Dies bewirkte, wie der Historiker Paul Thomes schreibt, einen „Mobilitätsschub für die
Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital“. Während die Einführung moderner
Institutionen heute in vielen Entwicklungsländern scheitert, traf die institutionelle
Revolution im Rheinland auf eine verdichtete Gewerberegion und eine Gesellschaft
im Umbruch, die diese Impulse produktiv aufnehmen konnte. Die Abschaffung der
Zünfte besiegelte Jahrzehnte lange Auseinandersetzungen um gewerbliche Freiheit. Und
eine marktorientierte Agrarwirtschaft, seit Jahrhunderten weitgehend frei von feudalen
Bindungen, produzierte für die Städte und Gewerberegionen.
Die institutionelle Revolution traf
Die „Neue Ökonomie“ des industriellen Kapitalismus
105
Wichtige Industrien im Rheinland um 1815
Abb. 1
M.Gladbach
Düsseldorf
Neuss
Rheydt
Erkelenz
Heinsberg
RHEIN
Geilenkirchen
Köln
Jülich
Eschweiler
Düren
Aachen Siegburg
Burtscheid
Bonn
Zülpich
Euskirchen
Eupen
Gemünd
Monschau
Münstereifel
Ahrweiler
Malmedy
St. Vith
Kohlenbergbau
Eisenindustrie
Tuchindustrie
Quelle: Alfred Reckendrees, eigene Darstellung.
Gerade weil die neue institutionelle Ordnung im Rheinland keinen „Urknall“ bedeute­
te, konnten die Unternehmer die wirtschaftlichen Freiheiten so produktiv nutzen. Die
Handelskammer und das Handelsgericht dienten ihnen zur Formulierung kollektiver
Interessen. Als das Rheinland 1816 preußisch wurde, blieben diese Institutionen erhalten.
Preußen akzeptierte die französische Rechts- und Wirtschaftsordnung im Rheinland, um
die Bürger der wirtschaftskräftigen neuen Provinz nicht gegen sich aufzubringen, und
löste sie nur allmählich durch neues Recht ab. Zudem wollten die preußischen Reformer
positive Entwicklungen zur Ausweitung bürgerlicher Rechte in ganz Preußen nutzen.
106
Aus der Forschung
Wichtige Industrien im Rheinland um 1850
Abb. 2
M.Gladbach
Düsseldorf
Neuss
Rheydt
Erkelenz
Heinsberg
RHEIN
Geilenkirchen
Köln
Jülich
Eschweiler
Düren
Aachen Siegburg
Burtscheid
Bonn
Zülpich
Euskirchen
Eupen
Gemünd
Monschau
Münstereifel
Ahrweiler
Malmedy
St. Vith
Kohlenbergbau
Eisenindustrie
Tuchindustrie
Maschinenbau
Zinkindustrie
Eisenbahn
Quelle: Alfred Reckendrees, eigene Darstellung.
Die industrielle Revolution im Rheinland
Die industrielle Produktion etablierte sich im Aachener Raum früher und schneller als
in anderen deutschen Regionen. Um 1850 hatte sich die Fabrikproduktion in fast allen
Branchen durchgesetzt. Damals arbeiteten im Aachener Raum nur noch zwanzig Prozent
der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, aber zwei Drittel in der gewerblichen Produktion,
überwiegend in Fabriken mit über einhundert Beschäftigten. Nur wenige Indikatoren
erlauben einen überregionalen Vergleich: Doch 1850 standen im Regierungsbezirk Aachen
Die „Neue Ökonomie“ des industriellen Kapitalismus
107
fünfmal so viele Dampfmaschinen pro Einwohner wie im preußischen Durchschnitt;
auch in Hinblick auf moderne Unternehmen waren Aachen, Düsseldorf und Köln mit der
Hälfte aller Aktiengesellschaften in Preußen führend.
Die wirtschaftliche Dynamik basierte zunächst
auf dem Tuchgewerbe. Die erste Fabrik, die alle Drei industrielle Cluster,
Arbeitsprozesse vom Spinnen bis zur Veredelung Tuchindustrie, Eisenindustrie
der Stoffe integrierte, wurde 1817 durch den
und Kohlenbergbau, prägten die
englischen Mechaniker Dobbs eingerichtet. Eine
zentrale Dampfmaschine trieb alle Maschinen Entwicklung.
an. Fünfzehn Jahre später hatten alle größeren
Tuchfabriken auf die mechanisierte Produktion umgestellt. Das tech­nische Wissen solcher
Mechaniker machten sich andere Branchen zunutze; Fabriken für Textil-, Dampf- oder
Papiermaschinen entstanden. Dobbs konstruierte auch die Anlagen der „Drath FabrickCompagnie“ (1821) in Eschweiler. Es ist „alles schön, was aus den Händen dieses Mannes
hervorgehet“, schwärmte der Aachener Regierungspräsident.
Drei industrielle Cluster prägten die Entwicklung: Tuchindustrie, Eisenindustrie und
Koh­len­bergbau. In jedem Cluster bestand starke Konkurrenz; wegen des Wettbewerbs
mussten die Unternehmen ihre Produktivität steigern und die Produkte verbessern. Doch
zwischen den Clustern bestand ein intensiver Wissens- und Technologietransfer. Dem
Maschinenbau kam eine Scharnierfunktion zu, auch weil die Nachfrage noch zu gering für
eine Spezialisierung war und die Unternehmen für mehrere Branchen arbeiteten. So wur­
den neue Ideen schnell verbreitet. Aktiengesellschaften ermöglichten ebenfalls Lerneffekte,
wie die 1836 gegründete „Vereinigungsgesellschaft“ zeigt. Ihr Zweck war es, Kohlengruben
aufzukaufen, technisch zu verbinden und zu rationalisieren. Unternehmer aus verschiede­
nen Branchen beteiligten sich mit ihrem Kapital und ihren jeweiligen Fachkompetenzen.
Mehrere innovative Neugründungen wurden von solchen branchenübergreifenden
Netzwerken getragen.
Sozialer Konflikt und gesellschaftliche Integration
Die Einführung der Fabrikproduktion erfolgte
kei­
nes­
wegs harmonisch; viele Arbeiter fühlten Gesellschaftliche Stabilität und
sich den Fabrikherren ausgeliefert. Wiederholt sozialer Frieden waren den
kam es zu schweren Konflikten. Als 1830 bei
Industriellen so wertvoll, dass sie
einer lokalen Revolte auch das Haus des reichsten
Kapitalisten Aachens geplündert wurde, sahen nach Wegen suchten, um „den
sich Handelsgericht und Handelskammer genö­ Arbeiter“ in die kapitalistische
tigt, das Problem zu diskutieren. Die Unternehmer Gesellschaft zu integrieren.
stellten fest, dass viele Fabrikarbeiter in der Tat
nicht imstande seien, „sich mit ihren Familien
ordentlich zu nähren“. Um „dem Geist der Unzufriedenheit“ zu begegnen, forderten sie
gesetzliche Mindeststandards für Arbeit und Entlohnung. Denn freiwillige Vereinbarungen
würden nicht von allen Unternehmen eingehalten. Doch die preußische Regierung wollte
nicht in freie Arbeitsverträge eingreifen.
108
Aus der Forschung
Drei Jahrzehnte später forderte die Handels­kam­­mer pari­tätische Schiedskommissionen,
die Arbeits­­kon­­flik­te schlichten, tarifliche Mindest­stan­­dards ver­ein­baren und Mindestlöhne
fest­legen können sollten. Die Arbeiter sollten ihre Mit­
glie­
der frei wählen, damit
deren Entschei­dun­gen auch akzeptiert würden. Zudem schlug sie eine verpflichtende
„Rentencasse“ zur Sicherung der „Existenz des Arbeiters im arbeitsunfähigen Le­bens­
alter“ vor. Denn der Lohn reiche nicht dazu aus, private Vorsorge zu leisten. Sie sollte
aus Zwangsbeiträgen der Unternehmer, Arbeiter und der Stadt finanziert werden. Diese
Überlegungen gingen den Bismarck’schen Sozial­versicherungen zwanzig Jahre voraus, fan­
den aber damals keine Zustimmung in der Regie­rung. Doch immerhin waren gesellschaft­
liche Stabilität und sozialer Frieden den Industriellen so wertvoll, dass sie nach Wegen
suchten, um „den Arbeiter“ in die kapitalistische Gesellschaft zu integrieren, damit er „bis
an sein Ende ein nützliches, das Eigenthum achtendes Mitglied“ der Gesellschaft bleibe.
Jenseits der Geschichte
Die Anfänge der kapitalistischen Industriewirtschaft verweisen auf die Bedeutung regiona­
ler Dimensionen für wirtschaftliche Entwicklung. Während Michael Porters Cluster-Kon­
zept die positiven Effekte regional konzentrierter einzelner Branchen betont, zeigt das
Beispiel Aachen, dass auch branchenübergreifende Kooperation unternehmerische Lern­
prozesse und Wissenstransfer begünstigen und erhebliche Synergien erzeugen kann, und
dass kooperative Institutionen wirtschaftliche Handlungsoptionen vergrößern und
Investitionen in die Infrastruktur erleichtern können.
Die Industriegesellschaft hat viele soziale Institutionen hervorgebracht, die unser Leben
bis heute bestimmen. Doch ihre Hintergründe sind vergessen. Die Diskussion über die
Zukunft des Sozialstaats mag durch eine historische Perspektive einen anderen Akzent
erhalten. Es dürfte heute überraschen, dass Mindestlöhne, (etwas) Mitbestimmung und
Rentenversicherung einmal von Unternehmern vorgeschlagen wurden, die sich um die
Integrationsfähigkeit der kapitalistischen Gesellschaft sorgten.
Die „Neue Ökonomie“ des industriellen Kapitalismus
109
Alfred Reckendrees
Alfred Reckendrees war von Juni 2014 bis Juni 2015 Gastwissenschaftler am MPIfG
und forscht zum Thema „Die ,New Economy‘ des industriellen Kapitalismus:
Industrielle und insti­tutionelle Revolution im Rheinland“. Er ist Associate Professor
an der Copen­hagen Business School und Mitherausgeber der Scandinavian Econo­
mic History Review.
Forschungsinteressen: Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts; Unternehmen in Krisenzeiten; historische Zugänge zur Entre­pre­
neur­ship-Forschung; die Verwendung von Geschichte in Organisationen.
Zum Weiterlesen
RECKENDREES, A.: Institutioneller Wandel und
RECKENDREES, A.: Why Did Early Industrial
wirtschaftliche Entwicklung: Das westliche
Capitalists Suggest Minimum Wages and
Rheinland in der ersten Hälfte des 19.
Social Insurance? MPRA paper 55520, online
Jahrhunderts. In: Gilgen, D., Kopper, C. &
veröffentlicht 2. September 2014.
Leutzsch, A. (Hg.), Deutschland als Modell?
http://mpra.ub.uni-muenchen.de/58186/
Rheinischer Kapitalismus und Globalisierung
seit dem 19. Jahrhundert. Politik- und
Gesellschaftsgeschichte, Bd. 88. Verlag J.H.W.
Dietz, Bonn 2010, 45–87.
RECKENDREES, A.: Zur Funktion
der Aktiengesellschaften in der frü­
hen Industrialisierung. Jahrbuch für
Wirtschaftsgeschichte/Economic history
yearbook 2012/2: Die Entstehung des
modernen Unternehmens 1400–1860/
The Formation of the Modern Enterprise
1400–1860. Akademie Verlag, Berlin 2012,
137–173.
110
Aus der Forschung
Kooperation
Europäische und globale Sozialforschung verzahnen
Das Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies (MaxPo) will her­
ausfinden, wie Individuen, Organisationen und Nationalstaaten mit neuen Formen von Instabilität
umgehen. Zugleich steht das Center für eine neue Form der Forschungskooperation: ein gemeinsa­
mes Center zweier kontinentaleuropäischer Länder mit den bedeutendsten Forschungstraditionen
in den Sozialwissenschaften.
Das Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability
in Market Societies
Die langjährige Zusammenarbeit des MPIfG mit der renommierten Pariser Hochschule
Sciences Po mündete 2012 in der Gründung des MaxPo, das die in Deutschland und
Frankreich bestehenden sozialwissenschaftlichen Strömungen international stärker in den
Blick rücken soll. Das MaxPo ist ein innovatives und einzigartiges Projekt deutsch-französi­
scher Forschungs­ko­ope­ra­tion in den Sozialwissenschaften. Die beiden Direktoren, die deut­
sche Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Cornelia Woll und der französische Soziologe Prof.
Dr. Olivier Godechot, bringen Ausbildungs- und Lehrerfahrung aus Deutschland, Frankreich
und den USA mit – ein Glücksfall für das Center, in mehr als einer Hinsicht. Denn so weiß
etwa Cornelia Woll die sehr interaktiv ausgerichtete Art des Unterrichtens in den USA nach
Paris zu importieren, um die diskussionsfreudige Atmosphäre amerikanischer StudierendenKleingruppen nach­­zu­zeichnen.
Olivier Godechot, Wissenschaflter der französischen Forschungsinstitution CNRS, war
lange Zeit an der École normale supérieure tätig. Cornelia Woll ist nach einem Politik­
stu­dium in Chicago, einer deutsch-französischen Promotion in Köln und Paris und der
Lei­tung einer Otto-Hahn-Gruppe seit 2004 Dozentin an der Sciences Po. Gemeinsam
verzah­nen sie US-amerikanische und europäische Sozialforschung.
Beide wollen auch britischen und US-amerika­ni­schen Kollegen als Türöffner dienen und
den Zu­gang zu französischen und deutschen sozialwissenschaftlichen Themen erleich­
tern. Ein Spagat: Denn letztlich wird auf Englisch publiziert; ein Erfordernis des globalen
Wissenschaftsmarkts. In ihm den richtigen Platz für die wissenschaftliche Zukunft zu
finden – auch darin sehen Cornelia Woll und Olivier Godechot ihre Aufgabe bei der
Unterstützung von Doktorandinnen und Doktoranden und jungen Forschern.
Max Planck Sciences Po Center Paris
111
Oliver Godechot und Cornelia Woll. Türöffner für englischsprachige Kollegen sein und den Zugang
zu französischen und deutschen sozial­wissenschaftlichen Thesen erleichtern – das ist das Ziel der
Direktoren am MaxPo.
Damit wird das Max Planck Center auch Anlaufstelle für die Nachwuchsforscherinnen
und -forscher der International Max Planck Research School on the Social and Political
Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE), der Graduiertenschule des MPIfG, in die
wie­derum die Sciences Po als Partner integriert ist. Aber auch Postdocs werden im Center
aufgenommen. Zudem gibt es ein Austauschprogramm für Gastwissenschaftlerinnen und
Gastwissenschaftler – und alle wirken in den zwei unterschiedlichen Seminarreihen, die
SCOOPs, die Seminars and Colloquia on Ökonomie, Politics and Society, und die COOPS,
die Conversations on Ökonomie, Politics and Society, mit.
Politische Antworten auf sozioökonomische Herausforderungen
Godechot und Woll ergänzen sich in ihrer For­
schung. Sozialstrukturen, Finanzen, Un­gleich­heit Sozialstrukturen, Finanzen,
und Macht – diese Begriffe stehen für zentra­ Un­gleich­heit und Macht – das sind
le Themen der beiden For­schungs­gruppen des
die zentralen Forschungsthemen
Centers. Die eine, geleitet von Olivier Godechot,
blickt auf die Mobilität und Entlohnungsstruktur des MaxPo.
auf den Finanzarbeitsmärkten sowie den Top­ma­
na­ger-Arbeitsmarkt und die daraus entstehenden wirtschaftlichen Ungleichheiten. Die
andere unter der Leitung von Cornelia Woll lenkt den Fokus auf die Finanzmarktpolitik.
Finanzialisierung, Transformation von Arbeitsmärkten und die Zunahme von Ungleichheit
Insbesondere die Finanzkrisen der letzten Jahre – 1987, 1998, 2001, 2008 – haben den
be­deutenden Einfluss von Finanzmärkten auf die Weltwirtschaft, das Wirtschaftswachstum
und den gesellschaftlichen Zusammenhalt deutlich werden lassen und werden als
Verursacher für wachsende gesellschaftliche Instabilität angesehen. Occupy Wall Street
und andere neue politische Bewegungen prangern diesen direkten Zusammenhang
112
Kooperation
zwischen Finanz­wirt­schaft und Ungleichheit mittlerweile an. „Mich interessierte immer
schon, wie die Zwänge und Strukturen eines Finanzmarktes auf die Organisation einer
Gesellschaft einwirken“, sagt Olivier Godechot.
Die Projekte seiner Forschungsgruppe konzentrieren sich daher auf den Finanzarbeits­
markt, um das komplexe Konstrukt der Finanzialisierung sowie ihre Ausmaße, Ursachen
und Folgen zu ana­lysieren. Wie Positionen und Jobs an bestimmte Personen vergeben
wer­den, kann Aufschluss über die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit geben. Drei
Doktorandenprojekte ergänzen derzeit diese Arbeit: Eines beschäftigt sich mit der stei­
genden Haushaltsverschuldung in den OECD-Ländern, ein weiteres mit dem Risiko­
management und der Kontrolle von Märkten in größeren Finanzinstitutionen, das dritte
mit den Denkmodellen von Ökonomen, die einen wichtigen Anteil an der Legitimation von
Finanzialisierung haben und immer neue Wege der Risikokontrolle aufzeigen.
Finanzmarktpolitik
Cornelia Woll und die Mitglieder ihrer Forschungsgruppe stellen die Frage nach den
Rückwirkungen politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität auf die
Politik. Denn aus einer politischen Perspektive betrachtet machte die Finanzkrise von 2007
deutlich, in welchem Ausmaß Regierungen auf Finanzmärkte angewiesen sind. Zugleich
zeigte sich, inwieweit der Erfolg der staatlichen Binnenwirtschaft von Märkten abhängt,
die aber für Regierungen oft unkontrollierbar sind.
Warum mündeten die ergriffenen politischen Maßnahmen nicht immer in internationale
Zusammenarbeit? Und warum versagte die internationale Zusammenarbeit aus­ge­rechnet in
den Bereichen, in denen sie am dringendsten gebraucht wurde? Hier­auf sucht die For­
schungsgruppe Antworten. Am Schnittpunkt zwischen politischer Öko­no­mie und kom­
parativer Politikwissenschaft untersucht sie die Finanzregulierung, die Bankenrettungs- und
Geldpolitik sowie die politische Teilhabe unterschiedlicher Interessengruppen. Auch sie
betreut derzeit drei Dissertationsvorhaben: Eines betrachtet die politische Dynamik von
Finanzreformen als Antwort auf die Kreditkrise von 2007, ein weiteres analysiert, warum es
mit der Euroeinführung nicht gelungen ist, effiziente paneuropäische Finanz­infra­strukturen
aufzubauen, das dritte erforscht, wie neue Finanzinstrumente eingesetzt werden, um kom­
munale Infrastruktur als Phänomen kommunaler Governance zu begrün­den.
Rückbesinnung auf klassische Fragen der Wirtschaftssoziologie
Beide Wissenschaftler beziehen sich in ihrer Forschungsarbeit auf klassische Fragen
der Wirtschaftssoziologie, indem sie Konsequenzen wirtschaftlicher Transformationen
für die Gesellschaft analysieren. Der Name des Centers „Umgang mit Instabilität in
Markt­gesellschaften“ verbindet zwei sozialwissenschaftliche Forschungstraditionen: das
Studium sozialer Ungleichheit sowie das Studium der Funktionsweise von Märkten.
„Die Wirtschaftssoziologie hat sich in Teilen von wichtigen Fragen der klassischen
Sozialwissenschaft – wie denen nach Sozialstrukturen, Ungleichheit und Macht – losgelöst.
Mit unseren Arbeiten wollen wir wieder dahin zurückkehren“, so Woll über die zukünfti­ge
Forschungsarbeit des Centers.
Max Planck Sciences Po Center Paris
113
MaxPo, ein innovatives Projekt deutsch-französischer Forschungskooperation
Zum Weiterlesen
BAUDELOT, C., CARTRON, D., GAUTIÉ, J.,
GODECHOT, O., GOLLAC, M. & SENIK, C.:
Bien payés ou mal payés? Les travailleurs du
public et du privé jugent leurs salaires. Presses
de l'ENS, Paris 2014.
FOURCADE, M., STEINER, P., STREECK, W. &
WOLL, C.: Moral Categories in the Financial
Crisis: Discussion Forum. Socio-Economic
Review 11(3), 601–627 (2013).
GODECHOT, O.: Getting a Job in Finance: The
Role of Collaboration Ties. European Journal
of Sociology, 55(1), 25–56 (2014).
Das Max Planck Sciences Po Center on Coping with Insta­bi­lity in
WOLL, C.: The Power of Inaction: Bank
Market Societies (MaxPo) wurde 2012 von der Pariser Universi­­tät
Bailouts in Comparison. Cornell University
Sciences Po und dem MPIfG gegründet. Die Max-Planck-Gesellschaft
Press, Ithaca 2014.
und Sciences Po finanzieren das Center, das zunächst auf fünf Jahre
ausgelegt ist, zu gleichen Teilen. Es ist Teil der Internationalisie­
MaxPo Discussion Papers
rungs­bestrebungen der Max-Planck-Gesellschaft und ein innovatives
Pro­jekt deutsch-französischer Forschungskooperation in den Sozial­
wissenschaften. Kodirektoren des Cen­ters sind der Soziologe Olivier
Godechot und die Politikwissenschaftlerin Cornelia Woll. Marion
Fourcade, Professorin für Soziologie an der University of California,
Berkeley, war bei der Gründung des Zentrums Kodirek­torin und ist
heute assoziiertes wissenschaftliches Mitglied.
Gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von Nach­wuchswis­
sen­schaftlern analysieren sie den grund­legenden Umbau der indust­
rialisierten Welt. Insbesondere die Wege und Methoden, die Ein­zel­
ne, Familien, Organisationen und gesellschaftliche Teil­systeme ent­
wickeln, um mit der wachsenden Unsicher­heit umzugehen, die in
FOURCADE, M., OLLION, E. & ALGAN, Y.:
einer jahrzehntelangen Entwicklung durch Liberalisierungspolitik
The Superiority of Economists. MaxPo Dis­
und kulturelle Prozesse der Individualisierung hervorgerufen wurde,
cussion Paper 14/3. Max Planck Sciences Po
stehen im Mittelpunkt des Interesses. Sitz des MaxPo ist Paris.
Center on Coping with Instability in Market
> www.maxpo.eu
Societies, Paris 2014.
www.maxpo.eu/pub/maxpo_dp/
Im Rahmen des Gastwissenschaftlerprogramms haben Wissen­schaft­
maxpodp14-3.pdf
lerinnen und Wissenschaftler mit internationalem Renommee die
Gelegenheit, bis zu drei Monate am MaxPo zu forschen. In den bei­
WOLL, C.: Politics in the Interest of Capital: A
den Vor­tragsreihen SCOOPS und COOPS sowie der einmal jährlich
Not-so-Orga­nized Combat. MaxPo Dis­cus­
stattfindenden MaxPo Lecture sprechen regel­mäßig führende Wis­
sion Paper 15/2. Max Planck Sciences Po
sen­schaftler am MaxPo. In den vergangenen Jahren waren dies unter
Center on Coping with Instability in Market
anderem Luc Boltanski, École des hautes études en sciences sociales,
Societies, Paris 2015.
Paris, und der Wirtschaftsprofessor Thomas Piketty.
www.maxpo.eu/pub/maxpo_dp/
maxpodp15-2.pdf
114
Kooperation
Emeritierung
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit.
Zur Emeritierung von Wolfgang Streeck
Lukas Haffert und Daniel Mertens
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit. Mit diesen Worten ließe sich nicht nur der Kapitalismus beschrei­
ben, so Kathleen Thelen, sondern auch der Wissenschaftler, der ihn seit Jahrzehnten auf seine eige­
ne Weise zu entschlüsseln versucht. Es geht – natürlich – um Wolfgang Streeck, auf den Thelen am
Abend des 31. Oktober 2014 in den Räumen des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums eine Laudatio
hält. Einhundertachtzig Gäste sind zur Emeritierungsfeier gekommen, um einen langjährigen Direk­
tor, Kollegen, akademischen Lehrer und Kooperationspartner zu ehren.
Die Politikwissenschaftlerin vom Massachusetts Institute of Technology hat mit Weg­ge­
fähr­ten Streecks gesprochen, in ihrem eigenen Archiv gestöbert, um ein Bild zu zeichnen
von dem Menschen, der nach nun fast zwanzig Jahren als Direktor am Max-PlanckInstitut für Gesell­schafts­forschung emeritiert wird. Was ihn ausmache, sei die einzigartige
Kombination aus normativer Hingabe, empirischem Können und theoretischer firepower.
Und nun wird er also „entpflichtet“, wie es Renate Mayntz, die Gründungsdirektorin des
MPIfG, zuvor genannt hatte. Befreit von den administrativen Pflichten eines Max-PlanckDirektors, aber weiterhin ausgestattet mit der Möglichkeit und den Mitteln, als Emeritus
der Max-Planck-Gesellschaft seinen Forschungsinteressen zu folgen. Dementsprechend
hatte Streeck bereits am Vorabend im Rahmen seiner Abschiedsvorlesung deutlich
gemacht: Von Abschied wird hier keine Rede sein.
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit.
115
Wolfgang Streeck beim Abschiedsempfang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des MPIfG: „Es
hat Freude gemacht, mit Ihnen allen zusammenzuarbeiten und ich bedanke mich für die gute Zeit. Ich
danke auch der Support Crew, dem Bodenpersonal des wissenschaftlichen Höhenflugs – der manchmal
in einem Crash endet, aber sicher nicht Ihretwegen. Gemeinsam haben wir in den letzten zwanzig
Jahren vieles von innen heraus um- und aufgebaut, indem wir nicht nur in Technik investiert haben,
sondern auch in die Köpfe und in das Miteinander: den guten kollegialen Umgang und das gegenseiti­
ge Vertrauen, das Gefühl, dass man sich aufeinander verlassen kann.“
„Gesellschaftssteuerung heute“:
Rückblick auf fünf Jahrzehnte sozialwissenschaftliches Forschen
Seine Vorlesung mit dem Titel „Gesell­
schafts­
steue­­rung heute“ nutzte Streeck dann auch, um
auf seine fast fünf Jahrzehnte währende Beschäf­
ti­
gung in und mit der Soziologie zurückzubli­
cken und einen Ausblick auf einige Fragen zu
wagen, denen sich das Fach in Zukunft zu wid­
men habe. In dieser Kombination aus Rückund Vor­
aus­
schau wollte er die Vorlesung vor
allem als Zwischen­bilanz verstanden wissen und
ließ keinen Zweifel, dass er selbst noch einiges
zur Diskussion der im Ausblick aufgeworfenen
Fragen beitragen will.
„Während in Deutschland die
Sozial­wissenschaften infolge der
Luhmann'schen Systemtheorie allen
Steuerungsambitionen abschwor,
nahm von ihnen unbemerkt eines
der radikalsten Steuerungsprojekte
der Geschichte seinen erfolgreichen
Lauf: die weltweite Liberalisierung
des demokratischen Kapitalismus.“
Die Rolle der Soziologie in Bezug auf gesellschaft­ Wolfgang Streeck
liche Steuerung habe sich grundlegend gewandelt.
Gesteuert werde heute nicht durch eine soziologisch aufgeklärte Demokratie, sondern
gewissermaßen nach unten, durch individualisierte Formen sozialer Kontrolle. Konkret
identifizierte Streeck vier Quellen solcher Kontrolle, nämlich die Verhaltensökonomie, die
Glücksforschung, die Psychopharmakologie und die Neurotechnologie. All diese erforsch­
ten das menschliche Verhalten mit dem Zweck seiner effizienteren Steuerung.
116
Emeritierung
Nie zuvor sei er in einem Raum mit einer so hohen Konzentration an herausragenden Wissenschaft­
lerinnen und Wissenschaftlern der vergleichenden politischen Ökonomie gewesen, stellte Peter A.
Hall fest.
Vor allem aber werde die Soziologie heute von
der Informatik als Steuerungswissenschaft über­
„Wenn die Soziologie nicht mehr
holt. Algorithmen, die auf unendlich große
als Anleitung zur Gesell­schafts­
Datenmengen angewendet werden, seien dabei,
steuerung gebraucht wird, dann
die Theoriebildung zu ersetzen, mit der sich einst
hat soziologische Forschung über
die Soziologie ihrem Steuerungsziel genähert habe.
Der Triumph solcher Steuerung zeige sich in sozi­
Gesellschaftssteuerung eine umso
alen Netzwerken wie Facebook ebenso wie in der
größere Zukunft und sollte höchste
individualisierten Terrorismusbekämpfung des
Priorität haben.“
Drohnenkrieges. Damit aber entstünden wich­tige
Wolfgang Streeck
neue Notwendigkeiten sozialwissenschaft­
licher
Theoriebildung. Denn die mit der Digitalisierung
verbundene Fragmentierung der Gesellschaft habe zur Folge, dass Individuen immer
seltener mit Unbekanntem konfrontiert und immer weniger zum Hinterfragen beste­
hender Gewissheiten herausgefordert würden. Angesichts dieser Entwicklungen, so
lautete das knappe Fazit Streecks, werde die Soziologie heute zwar nicht mehr als
Anleitung zur Gesellschaftssteuerung benötigt. Aber soziologische Forschung über
Gesellschaftssteuerung sei nun wichtiger denn je.
„Politics and Society in Dynamic Capitalism“:
Wissenschaftliches Kolloquium
Am Freitagmorgen folgte dann das wissenschaftliche Kolloquium zu Ehren des Emerierten.
Unter dem Titel „Politics and Society in Dynamic Capitalism“ hatten MPIfG-Direktor
Jens Beckert und Laudatorin Kathleen Thelen Kollegen, Ko-Autoren und ehemalige
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit.
117
Cornelia Woll zum Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus: Trotz ihrer Verletz­
barkeit in der Finanzkrise und trotz aller neoliberalen Transformationen sind die Staaten zu massiven
Interventionen fähig.
Doktoranden Streecks eingeladen, dessen zentrale Arbeiten Revue passieren zu lassen und
im Licht aktueller Forschungskontroversen erneut zu verhandeln.
Was ist aus dem „deutschen Kapitalismus“ geworden, den Streeck vor fast zwanzig Jahren
auf die Kurzformel „hohe wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bei relativ geringer sozi­
aler Ungleichheit“ brachte? Sind die Beneficial constraints, die den Erfolg des deutschen
Produktionsmodells bei gleichzeitiger Verwirklichung wirtschaftsdemokratischer Ziele
ermöglicht hatten, im Zuge vehementer Liberalisierungspolitik auch heute noch wirksam?
Inwiefern wurde die relative Stabilität der hiesigen politökonomischen Ordnung und
demokratischen Prozesse durch die Etablierung der Wirtschafts- und Währungsunion
in Europa unterlaufen, wie bereits Anfang der 2000er-Jahre in „Beyond the Stable State“
thematisiert? Mit seinen zuletzt erschienenen Büchern „Re-Forming Capitalism“ und
„Gekaufte Zeit“ hat Streeck eigene Antworten auf diese Fragen gefunden. Die Diskutanten
verstanden es, neue Akzente zu setzen und das Kolloquium mit kontroversen Debatten
über die Zukunft Europas und der deutschen Wirtschaftsordnung zu bereichern.
Festakt im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln
Nachdem das wissenschaftliche Œuvre Streecks im Mittelpunkt des Kolloquiums gestan­
den hatte, wandten sich die Wortbeiträge des Festaktes noch einmal stärker der Biografie
des Gefeierten zu. So erinnerte Hans-Werner Bartsch, Bürgermeister der Stadt Köln, an
Streecks Rolle beim Umzug des MPIfG in sein heutiges Gebäude an der Paul­straße und
an den Verbleib des Instituts am Standort Köln. Und Christoph Engel, Vor­sitzen­der der
Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion in der Max-Planck-Gesellschaft,
verwies auf die Weichenstellungen, die während Streecks Amts­zeit als Sektionsvorsitzender
118
Emeritierung
DGB-Vorsitzender und MPIfG-Kuratoriumsmitglied Reiner Hoffmann schätzt die konstruktiven und kon­
troversen Debatten mit Wolfgang Streeck.
zwischen 2003 und 2006 geschehen seien. Der DGB-Bundes­vor­sitzende Reiner Hoffmann
schließlich bedankte sich für die langjährige Mitarbeit Streecks in Projekten der HansBöckler-Stiftung und würdigte dessen Arbeiten als Quelle wichtigen Orientierungswissens
für gewerkschaftliches Handeln. Zugleich betonte er die intellektuelle Unabhängigkeit des
Wissenschaftlers und dessen Freude an der argumentativen Auseinandersetzung, die etwa
in Bezug auf die Eurokrise sicher noch fortgesetzt werde.
In ihrer Laudatio berichtete Kathleen Thelen
schließ­­­
lich, wie ihr Streecks Arbeiten während
„Ich habe nie ein ausgeprägtes
ihrer Promotion in den 1980er-Jahren zu­­erst be­­
Bedürfnis nach ‚Freizeit‘ gehabt. Die
geg­­net waren. Diese Texte hätten – da­­mals noch
Fragen zu beantworten, die sich mir
in Form von bereits vor ihrer Veröf­fent­­lichung
stellen, sehe ich nicht als ‚Arbeit‘.
informell verbreiteten Kopien – das In­
te­­
res­
se
einer ganzen Generation US-ame­ri­ka­ni­scher, ver­
Der Spaß, über sie nachzudenken,
gleichend
arbeitender Polit-Ökonomen am deut­
ist Teil meiner Person. Damit auf­
schen Modell des Kapi­talis­mus geweckt. Dabei
hören zu sollen – das empfände ich
vergaß sie nicht zu erwähnen, dass er auch als
eher als Drohung.“
akademischer Lehrer eine prägende Figur für
nicht wenige der Anwesenden war. Dass sein eige­
Wolfgang Streeck
ner akademischer Werdegang mit der Emeritierung
keineswegs abgeschlossen sein wird, machte schließ­lich noch einmal seine Vorgängerin
Renate Mayntz deutlich. Sie erinnerte sich und die Zuhörer an die Wünsche, die sie
Wolfgang Streeck zu seinem sechzigsten Geburtstag auf den Weg gegeben hatte: Ruhiger
solle er werden. Nun, acht Jahre später, stellte sie fest: Gut, dass er es nicht geworden ist.
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit. Wahrscheinlich wird er so bleiben.
Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit.
119
Mehr informationen zur Emeritierung
Zum Weiterlesen und
Wiederentdecken
KITSCHELT, H. & STREECK, W.: From Stability
STREECK, W.: Gekaufte Zeit: Die vertagte
to Stagnation: Germany at the Beginning
Krise des demokratischen Kapitalismus.
of the Twenty-first Century. In: dies. (Hg.),
Suhrkamp, Berlin 2013.
Germany: Beyond the Stable State. Frank
Cass, London 2004, 1–34.
STREECK, W.: Von der Gesellschaftssteuerung
zur sozialen Kontrolle: Rückblick auf ein
STREECK, W.: German Capitalism: Does
halbes Jahrhundert Soziologie in Theorie und
It Exist? Can It Survive? In: Crouch, C. &
Praxis. Blätter für deutsche und internatio-
Streeck, W. (Hg.), Political Economy of
nale Politik, 2015(1), 63–80 (2015).
Modern Capitalism: Mapping Convergence
and Diversity. Sage, London 1997, 33–54.
STREECK, W.: Beneficial Constraints: On the
Economic Limits of Rational Voluntarism.
In: Hollingsworth, J. R. & Boyer, R.
(Hg.), Contemporary Capitalism: The
Embeddedness of Institutions. Cambridge
University Press, Cambridge 1997, 197–219.
Auszug aus dem Bericht „Dynamisch. Ruhelos. Risikobereit: Zur Emeritierung von
Wolfgang Streeck“ von Lukas Haffert und Daniel Mertens. Der Beitrag erschien
erst­mals in „Gesellschaftsforschung 2|14“ (Dezember 2014).
>http://tinyurl.com/emeritierung-ws
Podcasts der Abschiedsvorlesung von Wolfgang Streeck und der Laudatio von
Kathleen Thelen
>http://tinyurl.com/AbschVorlWS-Podcast
>http://tinyurl.com/LaudatioWSThelen-Podcast
„Ein vernünftiger Linker“ – Rainer Hank portraitiert Wolfgang Streeck in der FAS
>http://tinyurl.com/fas-okt14-ws
120
Emeritierung
Daten und Fakten
Ausgewählte Veröffentlichungen 2013 bis 2014
MPIfG Bücher
Afonso, A.: Social
Concertation in Times
of Austerity: European
Integration and the Politics
of Labour Market Reforms
in Austria and Switzerland.
Amsterdam University Press,
Amsterdam 2013, 258 S.
Akyel, D.: Die Ökono­
mi­sierung der Pietät: Der
Wandel des Bestat­tungs­
markts in Deutschland.
Campus, Frankfurt a.M.
2013, 239 S.
Beckert, J.: Erben in
der Leistungsgesellschaft.
Campus, Frankfurt a.M.
2013, 246 S.
Beckert, J. und
C. Musselin (Hg.):
Constructing Quality: The
Classification of Goods in
Markets. Oxford University
Press, Oxford 2013, 368 S.
Clift, B. und C. Woll (Hg.):
Economic Patriotism in
Open Economies. Routledge,
London 2013, 160 S.
Dobusch, L., P. Mader
Klas, G. und P. Mader
und S. Quack (Hg.):
(Hg.): Rendite machen und
Governance across Borders:
Transnational Fields and
Transversal Themes. epubli,
Berlin 2013, 367 S.
Gutes tun? Mikrokredite
und die Folgen neoliberaler
Entwicklungspolitik. Campus,
Frankfurt a.M. 2014, 217 S.
Dolata, U.: The Transfor­
mative Capacity of New
Tech­nologies: A Theory
of Sociotechnical Change.
Routledge, London 2013,
140 S.
Mehrtens, P.: Staats­schul­
den und Staats­tätigkeit: Zur
Transformation der politi­
schen Ökonomie Schwedens.
Campus, Frankfurt a.M.
2014, 297 S.
Gerlach, P.: Der Wert
Schäfer, A. und W.
der Arbeitskraft: Be­wer­
tungs­instrumente und
Aus­wahlpraktiken im
Ar­beits­markt für Ingenieure.
Springer VS, Berlin 2014,
284 S.
Kammer, A.: Die Politische
Ökonomie der Umverteilung:
Finanzpolitische Einkom­
mens­um­verteilung in entwi­
ckelten Demokratien. Nomos,
Baden-Baden 2013, 259 S.
In „Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ führt Wolfgang Streeck seine
Frankfurter Adorno-Vorlesungen aus dem Jahre 2012
fort. Er legt die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-,
Fiskal- und Wirtschaftskrise frei, indem er sie als
Moment der langen neoliberalen Transformation des
Nachkriegskapitalismus beschreibt, die bereits in den
1970er-Jahren begann und bis heute andauert. In
dem 2013 erschienenen Werk fragt Streeck nach den
Aussichten für eine Wiederherstellung sozialer und
wirtschaftlicher Stabilität. Das Buch, das inzwischen
in fünf weiteren Sprachen erschienen ist, hat in den
Sozialwissenschaften wie auch in der öffentlichen
Diskussion hohe Aufmerksamkeit gefunden – in
Deutschland und Europa ebenso wie in Nord- und
Südamerika.
Ausgewählte Veröffentlichungen 2013 bis 2014
Streeck (Hg.): Politics in
the Age of Austerity. Polity
Press, Cambridge 2013,
240 S.
Seikel, D.: Der Kampf um
öffentlich-rechtliche Ban­
ken: Wie die Europäische
Kommission Liberalisierung
durchsetzt. Campus,
Frankfurt a.M. 2013, 259 S.
Streeck, W.: Buying
Time: The Delayed Crisis
of Democratic Capitalism.
(Translated by P. Camiller.)
Verso Books, New York
2014, 192 S.
Streeck, W.: Gekaufte Zeit:
Die vertagte Krise des demo­
kratischen Kapitalismus.
Suhrkamp, Berlin 2013,
271 S.
ten Brink, T.: Chinas Kapi­
talismus: Entstehung, Verlauf,
Paradoxien. Campus,
Frankfurt a.M. 2013, 372 S.
Werner, B.: Der Streit
um das VW-Gesetz: Wie
Europäische Kommission
und Europäischer Ge­richts­
hof die Unterneh­mens­kon­
trolle liberalisieren. Campus,
Frankfurt a.M. 2013, 223 S.
121
Weitere Veröffentlichungen
Die Auswahl der Veröffentlichungen für dieses Jahrbuch spiegelt die thematische
Breite der Forschung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung wider. Eine
Übersicht über alle Veröffentlichungen finden Sie unter mpifg.de > Publikationen.
Akyel, D.: Qualification
under Moral Constraints:
The Funeral Purchase as a
Problem of Valuation. In:
Constructing Quality: The
Classification of Goods in
Markets. (Hg.) J. Beckert
und C. Musselin. Oxford
University Press, Oxford
2013, 223–244.
Akyel, D.: Ökonomisierung
und moralischer Wandel:
Die Ausweitung von Markt­
beziehungen als Prozess der
moralischen Bewertung von
Gütern. MPIfG Discussion
Paper 14/13. MPI für
Gesellschaftsforschung,
Köln 2014, 23 S.
Akyel, D. und J. Beckert:
Pietät und Profit: Kultureller
Wandel und Markt­ent­steh­­
ung am Beispiel des Be­stat­
tungs­marktes. Kölner Zeit­
schrift für Soziologie und
Sozialpsychologie 66, 3,
425–444 (2014).
Aspers, P. und S. Kohl:
Heidegger and Socioonto­lo­gy: A Sociological
Reading. Journal of Classical
Sociology 13, 4, 487–508
(2013).
Baccaro, L. und
C. Benassi: Softening
Industrial Relations Insti­
tutions, Hardening Growth
Model: The Transformation
of the German Political
Economy. Stato e mercato
3/2014, 369–396 (2014).
Balsiger, P.: Between
Shaming Corporations and
Promoting Alternatives:
The Politics of an „Ethical
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Consumer Culture 14, 2,
218–235 (2014).
122
Bank, A. und R.
Beckert, J. und F.
Karadag: The „Ankara
Wehinger: In the Shadow:
Moment“: The Politics of
Turkey’s Regional Power in
the Middle East, 2007–11.
Third World Quarterly 34, 2,
287–304 (2013).
Baudelot, C., D.
Cartron, J. Gautier, O.
Godechot, M. Gollac
und C. Senik: Bien ou mal
payés? Les travailleurs du
public et du privé jugent
leurs salaires. Édition Rue
d’Ulm, Paris 2014, 232 S.
Bayram, I. E.: Finans
Odaklı Büyüme ve Avrupa’da
Sosyal Refah Devletinin
Geleceği: Kriz Sürecinde
İsveç ve İrlanda Deneyimleri
[Finance-centered Growth
and the Future of the
European Welfare State:
Sweden and Ireland during
the Crisis]. In: Küresel Kriz
ve Yeni Ekonomik Düzen
[The New World Order after
the Global Economic Crisis].
(Hg.) F. Şenses, Z. Öniş und
C. Bakır. İletişim Yayınları,
Istanbul 2013, 143–168.
Beckert, J.: Capitalism as
a System of Expectations:
Toward a Sociological
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Society 41, 3, 323–350
(2013).
Beckert, J.: Imagined
Futures: Fictional Expecta­
tions in the Economy.
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219–240 (2013).
Illegal Markets and Eco­
no­mic Sociology. SocioEconomic Review 11, 1,
5–30 (2013).
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in Central Asia: Performing
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Rasanayagam und J. Beyer.
Indiana University Press,
Bloomington 2014, 127–148.
Bitterwolf, S. und M.
Seeliger: „Über Bande
gespielt“: Möglichkeiten
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und Medienöffentlichkeit
am Beispiel der Regulierung
von Leiharbeit. Industrielle
Beziehungen 20, 1, 36–53
(2013).
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of the Past: Mechanisms
of Quality Construction in
the Market for Antiques. In:
Constructing Quality: The
Classification of Goods in
Markets. (Hg.) J. Beckert
und C. Musselin. Oxford
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2013, 153–173.
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of Neoliberalism. MPIfG
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für Gesellschaftsforschung,
Köln 2013, 12 S.
Beckert, J. und J. Rössel:
The Price of Art: Uncertainty
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2, 178–195 (2013).
Daten und Fakten
Callaghan, H.: Something
Left to Lose? Network Pre­
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den 1950er-Jahren.
MPIfG Discussion
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Köln 2013, 24 S.
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Brongniart: Economic
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Stock Exchange. In:
Economic Patriotism in
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Clift und C. Woll. Routledge,
London 2013, 82–98.
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Austerity. (Hg.) A. Schäfer
und W. Streeck. Polity Press,
Cambridge 2013, 219–238.
Crouch, C.: Jenseits
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Ein Plädoyer für soziale
Gerechtigkeit. Passagen,
Wien 2013, 233 S.
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Labour Markets and Social
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1, 7–22 (2014).
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(2014).
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bericht. MPIfG Discussion
Paper 13/1. MPI für
Gesellschaftsforschung,
Köln 2013, 75 S.
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Markets: A Pragmatist
View on Economic Action
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(2013).
Fourcade, M. und R.
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MPIfG Discussion
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Köln 2014, 26 S.
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and Society 42, 2, 121–159
(2013).
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Hübschle, A.: Of Bogus
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Mules: The Varied Roles of
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Johnston, A. und
A. Regan: European
Integration and the
Incompatibility of National
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Problems with Institutional
Divergence in a Monetary
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Paper 14/15. MPI für
Gesellschaftsforschung,
Köln 2014, 26 S.
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Socio-Economic Review 11,
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Sozialpolitik der FriedrichEbert-Stiftung. FriedrichEbert-Stiftung, Bonn 2013,
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Turkey’s New Capitalism
Come From? Comment
on Eren Duzgun LIII, 2
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Civil Society and the Con­
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Kastner, L.: „Much Ado
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Frei verfügbare Bücher und Aufsätze aus dem MPIfG
Das MPIfG ist den Prinzipien des Open Access, des freien Zugangs zu wissenschaftlichem Wissen im Internet,
verpflichtet und baut sein Angebot kostenfreier Publi­ka­
tionen in Zusammenarbeit mit den Verlagen stetig aus.
MPIfG Bücher. Bücher der Schriftenreihe des MPIfG im
Campus Verlag, die vor mehr als zwei Jahren erschienen
sind, werden als PDF-Dokumente auf der Website des
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MPIfG Journal Articles. In dieser Reihe erscheinen
Aufsätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter online,
die zuvor in wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit
Peer-Review-Verfahren veröffentlicht wurden. Das MPIfG
strebt an, einen kostenfreien Zugang zur PDF-Fassung
jedes Artikels zu eröffnen. Noch ist das aus lizenzrechtlichen Gründen nicht in allen Fällen möglich.
MPIfG Discussion Papers. PDF-Versionen der Discussion
Papers des MPIfG stehen kostenfrei zum Download zur
Verfügung.
Ausgewählte Veröffentlichungen 2013 bis 2014
127
Serricchio, F., M.
Tsakatika und L.
Quaglia: Euroscepticism
and the Global Financial
Crisis. Journal of Common
Market Studies 51, 1, 51–64
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Steinmo, S., I. E. Bayram
und A. DeWit: The Bumble
Bee and the Chrysanthemum:
Comparing Sweden and
Japan’s Responses to
Financial Crisis. Japan Focus
12, 16/1, o. S. (2014).
Streeck, W.: Vom
DM-Nationalismus zum
Euro-Patriotismus? Eine
Replik auf Jürgen Habermas.
Blätter für deutsche und
internationale Politik 58, 9,
75–92 (2013).
Streeck, W.: How Will
Capitalism End? New Left
Review 87, 35–64 (2014).
Streeck, W.: The Politics of
Public Debt: Neoliberalism,
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the Restructuring of the State.
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MPIfG Discussion
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Daten und Fakten
Promotionen und Habilitationen 2013 bis 2014
Promotionen
Absolventen der Inter­
natio­nal Max Planck
Research School on
the Social and Political
Constitution of the
Economy (IMPRS-SPCE):
Benjamin Werner, Azer
Kiliç und Philip Mehrtens
(v. l.) wurden im Sommer
2013 promoviert.
Sarah Berens
Barbara Fulda
Dr. rer. pol., 17. Dezember
2013
Universität zu Köln
Dissertation: „When the
High-Income Country
Context Dissolves: Social
Policy Preferences in
Low- and Middle-Income
Democracies“
Article: „Between Exclusion
and Calculating Solidarity?
Preferences for Private versus Public Welfare Provision
and the Size of the Informal
Sector“, Socio-Economic
Review, online veröffentlicht
17. Februar 2015, DOI:
10.1093/ser/mwu039.
Dr. rer. pol., 23. Juni 2014
Universität zu Köln
Dissertation: „Immer weniger Kinder? Soziale Milieus
und regionale Unterschiede
der Geburtenzahlen: Eine
Mixed-Methods-Analyse
zum aktuellen Einfluss
regionaler sozialer Milieus
auf Geburtenraten in
Deutschland“
Veröffentlichung in der
Schrif­tenreihe des MPIfG bei
Campus für Frühjahr 2016
geplant.
Timur Ergen
Dr. rer. pol., 14. Oktober 2014
Universität zu Köln
Dissertation: „Große Hoff­
nun­­gen und insta­bi­le
Ord­nun­­gen: Politi­sche
Öko­nomie der Photo­vol­taik­
industrie“
Veröffentlichung in der
Schrif­ten­reihe des MPIfG
bei Campus für Herbst 2015
geplant.
Stéphane Guittet
Docteur en Science Politique,
5. Dezember 2013
Sciences Po, Paris
Dissertation: „Reforming
Financial Regulation after
the Global Financial Crisis:
The Case of Over-thecoun­ter Derivative Market
Regulation“
Lukas Haffert
Dr. rer. pol., 11. Juli 2014
Universität zu Köln
Dissertation: „Freiheit von
Promotionen und Habilitationen 2013 bis 2014
Schulden – Freiheit zur
Gestaltung? Die politi­sche
Ökonomie von Haus­halts­
überschüssen“
Veröffentlichung in der
Schrif­tenreihe des MPIfG
bei Campus für Herbst 2015
geplant.
Azer Kiliç
Dr. rer. pol., 15. Juli 2013
Universität zu Köln und
Boğaziçi University, Istanbul
Dissertation: „Identity,
Interest, and Politics:
The Rise of Kurdish
Associational Activism and
the Contestation of the State
in Turkey“
Online veröffentlicht von der
Universität zu Köln: http://
kups.ub.uni-koeln.de/5393
Sebastian Kohl
Dr. rer. pol., 25. Juni 2014
Universität zu Köln und
Sciences Po, Paris (CotutelleVerfahren)
Dissertation: „Homeowner
Nations or Nations of
Tenants: How Historical
Institutions in Urban Politics,
Housing Finance and
Construction Set Germany,
France and the US on
Different Housing Paths“
Philip Mehrtens
Dr. rer. pol., 18. Juni 2013
Universität zu Köln
Dissertation: „Staats­schul­
den und Staats­tätigkeit: Zur
Trans­formation der poli­ti­
schen Ökonomie Schwe­dens“
Buch: Staatsschulden
und Staatstätigkeit: Zur
Transformation der politischen Ökonomie Schwedens.
Campus, Frankfurt a.M.
2014, 297 S.
Daniel Mertens
Dr. rer. pol., 25. Juni 2014
Universität zu Köln
Dissertation: „Privat­ver­
schul­dung in Deutsch­land:
Institutionalistische und
vergleichende Pers­pek­ti­ven
auf die Finanzia­li­sierung
privater Haushalte“
Veröffentlichung in der
Schriftenreihe des MPIfG
bei Campus für Herbst 2015
geplant.
129
André Vereta Nahoum
Doctor of Sociology, 25.
Oktober 2013
Universidade de São Paulo
Dissertation: „Selling
‚Cultures‘: The Traffic of
Cultural Representations
from the Yawanawa“
Online veröffentlicht von der
Universidade de São Paulo:
http://www.teses.usp.br/
teses/disponiveis/8/8132/
tde-15012014-102023/pt-br.
php
Sara Weckemann
Dr. rer. pol., 16. Juni 2014
Universität zu Köln
Dissertation: „Viele Kinder,
keine Arbeit: Mutterschaft
als Anerkennungshoffnung
und warum der Traum zerbrechlich ist“
It’s been an inspiring,
emotional, challenging,
transformative time.
Doktorand aus
Deutschland
Promotionsfeier 2014: Barbara Fulda, Lukas Haffert, Sarah Berens, Daniel Mertens, Sara Weckemann, Sebastian
Kohl und Timur Ergen (v. l.).
Habilitation
Armin Schäfer
Venia legendi in Politik­wis­
sen­­schaft, 30. April 2014
Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg, Fachbereich
Politikwissenschaft
Habilitationsschrift:
„Der Verlust politischer
Gleichheit: Demokratie im
Zeitalter wirtschaftlicher
Liberalisierung“
Buch: Der Verlust politischer
Gleichheit: Warum die
sinkende Wahlbeteiligung
der Demokratie schadet.
Campus, Frankfurt a.M.
2015, 333 S.
130
ARMIN SCHÄFER ist seit Oktober 2014 Professor für
Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Inter­
national Vergleichende Politische Öko­no­mie“
an der Universität Osnabrück. Seine For­schungs­
schwerpunkte liegen an der Schnittstelle von ver­
gleichender Politischer Ökonomie, empirischer
Demokratieforschung und politischer Theorie.
Studie zur sinkenden Wahlbeteiligung in Deutsch­
land. Seit Jahren sinkt die Wahlbeteiligung in
Deutschland. Doch was steht hinter diesem Trend,
und was bedeutet er für die Demokratie? In seiner
auch in der öffentlichen Diskussion vielbeachteten Studie zeigt Armin Schäfer, dass wachsende
soziale Ungleichheit zu einer Verringerung der
Wahlbeteiligung führt: Sozial benachteiligte Grup­
pen bleiben in großer Zahl der Wahlurne fern.
Die Unterschiede in der Wahlbeteiligung waren
in der Geschichte der Bundesrepublik nie so groß
wie heute. Aktuelle Reformmaßnahmen, die die
Partizipationsmöglichkeiten ausweiten, verringern
entgegen optimistischen Erwartungen die Betei­li­
gungs­kluft nicht, sondern vergrößern sie sogar.
Mehr unter tinyurl.com/schaefer-wahlen.
Daten und Fakten
Preise und Ehrungen 2013 bis 2014
Josef Hien
Matias E. Margulis
Stipendium der A.SK
University Achievement
Academic Prize Foundation
Award for Research
in Kooperation mit dem
Wissenschaftszentrum für
Sozialforschung Berlin
(WZB, 2013)
2013 der University of
Azer Kiliç
Northern British Columbia
für herausragende
Forschungsarbeit eines
Fakultätsangehörigen
Zweijähriges Postdoc-
Matias E. Margulis
Stipendium an der Koç
Insight Grant 2013–2016
Universität, Istanbul, des
AXA Research Fund für ihr
Forschungsprojekt „Civil
Society Organizations in
Conflict Situations: The
Turkish-Kurdish Case“
(2013–2015)
des Social Sciences and
Humanities Research
Council of Canada (SSHRC)
zusammen mit Projekt­
leiter Dave Connell für ein
Forschungsprojekt zum
Wandel der Bedeutung
der Landwirtschaft in
Kanada an der University of
Northern British Columbia
Kathleen Thelen
Ehrendoktorwürde
der Freien Universität
Amsterdam für ihre Arbeit
im Bereich der politischinstitutionellen Analyse von
Politikwechseln
Kathleen Thelen erhält
die Ehrendoktorwürde
der FU Amsterdam
Aufsatzpreise
Sigrid Quack und
Mark Lutter
Armin Schäfer
gregor Zons
Leonhard Dobusch
Advisory Board Award
Zeitschriftenpreis 2014 des
2014 des Fachbeirats des
Zeitschriftenpreis 2013 des
Peter Mair Prize 2013 des
European Consortium for
Political Research (ECPR)
für den Aufsatz „The
Programmatic Profile of
Niche Parties“ in Party
Politics (2013)
Philip Mader
Michael A. McCarthy
1. Preis in der Kategorie
Lobende Erwähnung
Vereins der Freunde und
Ehemaligen des MPIfG
für den Aufsatz „Framing
Standards, Mobilizing Users:
Copyright versus Fair Use
in Transnational Regulation“
in Review of International
Political Economy (2013)
MPIfG für den Aufsatz „Is
There a Closure Penalty?
Cohesive Network
Structures, Diversity, and
Gender Inequalities in
Career Advancement“ ,
MPIfG Discussion Paper
13/9 (2013)
Vereins der Freunde und
Ehemaligen des MPIfG für
den Aufsatz „Beeinflusst die
sinkende Wahlbeteiligung
das Wahlergebnis? Eine
Analyse kleinräumiger
Wahldaten in deutschen
Großstädten“ in Politische
Vierteljahresschrift (2012)
Dissertationspreise
Sebastian Kohl
Dissertationspreis 2014
der Deutsch-Französischen
Hochschule (DFH) für die
Arbeit „Homeowner Nations
or Nations of Tenants? How
Historical Institutions in
Urban Politics, Housing
Finance and Construction
Set Germany, France and
the US on Different Housing
Paths“
Philipp Korom
Dissertationspreis 2013 der
Österreichischen Gesell­
schaft für Soziologie (ÖGS)
für die Arbeit „Business
Elites and the New
Austro-Capitalism: Elite
Profiles and Interlocking
Directorates“
Damien Krichewsky
Prix de Thèse 2013 des
International Network for
Research on Organizations
and Sustainable Develop­
ment (RIODD) für die
Arbeit „Corporate Social
Responsibility: A MetaEmbedding of Firms – An
Analysis of the Indian Case“
Preise und Ehrungen 2013 bis 2014
Sozialwissenschaften des
beim Thomas A. Kochan
Deutschen Studienpreises
& Stephen R. Sleigh Best
2013 der Körber-Stiftung für
Dissertation Award der
Labor and Employment
Relations Association für
die Arbeit „Privatizing
the Golden Years: Power
and Politics in American
Pensions, 1935–1990“
die Arbeit „Financialising
Poverty: The Transnational
Political Economy of Micro­
finance’s Rise and Crises“
Philip Mader
Otto-Hahn-Medaille 2013
der Max-Planck-Gesell­schaft
für die Arbeit „Finan­cialising
Poverty: The Transnational
Political Economy of Micro­
finance’s Rise and Crises“
131
Magisterarbeitspreis
Jiska Gojowczyk
Lobende Erwähnung in der Kategorie „Wissen­schafts­preis – Freiheit und
Verantwortung“ 2013 der Hanns-Lilje-Stiftung, Hannover, für die Arbeit
„Umweltmanagement im kirchlichen Kontext: Die Initiative ‚Der grüne Hahn‘
in den evangelischen Kirchen Deutschlands“
Für seine Dissertation „Financializing Poverty: The Trans­
national Political Economy of Microfinance’s Rise and
Crises“ wurde Philip Mader mit zwei renommierten
Preisen ausgezeichnet. Von der Max-Planck-Gesellschaft
(MPG) erhielt er die Otto-Hahn-Medaille für herausra­
gende Leistungen junger Wissenschaftler. Von der
Körber-Stiftung erhielt Mader für seine Arbeit den mit
30.000 Euro dotierten ersten Preis in der Kategorie
Sozialwissenschaften des Deutschen Studienpreises
2013. Die Körber-Stiftung zeichnet Dissertationen aus,
die eine hohe wissenschaftliche Qualität haben und
deren Erkenntnisse von besonderer gesellschaftlicher
Bedeutung sind. In seiner Dissertationsschrift behandelt
Mader Fragen von Legitimität und Organisation in mikrofinanzierten Wasser- und Sanitärprojekten. Er kommt
darin zu dem Schluss, dass Mikrofinanz nicht Armut
abschafft, sondern eher ausnutzt und festigt.
132
Aus Maders Disserta­tions­projekt entstand 2013 die
Idee zur Fachtagung „Drei Jahrzehnte neoliberale
Ent­wick­lungspolitik und Mikrofinanz: Eine Bilanz“.
Experten aus Wissenschaft, Ent­wick­lungs­orga­ni­sa­tionen,
Genossen­schafts­wesen und Medien trafen sich zu einer
kritischen Bestandsaufnahme der Mikrofinanzindustrie
im Kontext der globalen Entwicklungspolitik sowie
der andauernden Krise des Kapitalismus. Die Tagung
wurde gemeinsam von Philip Mader und Gerhard
Klas, Journalist in Residence am MPIfG, organisiert.
Die Tagungs­beiträge erschienen 2014 im Sammelband
„Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die
Fol­gen neoliberaler Entwick­lungs­politik“ (Campus).
Daten und Fakten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MPIfG
2013 bis 2014
Dominic Akyel
Jens Beckert
Wissenschaftlicher Mitar­bei­
ter (Dr. rer. pol., Sozio­logie,
2012, Universität zu Köln):
Markt- und Wirt­schafts­
forschung; quantitative und
qualitative Datenanalyse;
Wirtschaftssoziologie; Reli­
gions­soziologie; Demografie
Direktor (Dr. phil., Sozio­
logie, 1996, Freie Uni­
ver­sität Berlin; habil.,
Sozio­lo­gie, 2003, Freie
Universität Berlin): soziale
Einbettung der Wirtschaft,
insbesondere anhand der
Untersuchung von Märkten;
Organisationssoziologie;
Soziologie der Erbschaft;
soziologische Theorie
Ana Carolina Alfinito
Vieira
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(Master, Public Policy, 2012,
Hertie School of Gover­
nance, Berlin): politische
Ökologie; globale und
trans­nationale Governance;
Kommodi­fizie­rungs­pro­zes­
se; institutioneller Wandel
Annina T. ASSmann
Doktorandin, IMPRSSPCE (MSc, Soziologie,
2011, Universität zu
Köln): Familiensoziologie;
Demografie; Bedingungen
und Folgen flexibler
Arbeitsmärkte; quantitative
empirische Sozial- und
Wirtschaftsforschung
Ismail Emre Bayram
Postdoc-Stipendiat (PhD,
Politikwissenschaft, 2014,
European University
Institute, Florenz): poli­ti­
sche Ökonomie; Politik­
feldanalyse; vergleichende
Politikwissenschaft; Finanz­
märkte; Finanzkrisen; Woh­
nungswesen
Ana Carolina Alfinito
Vieira
Chiara Benassi
Postdoc-Stipendiatin (PhD,
Employment Relations and
Organizational Behavior,
2014, London School of
Economics and Political
Science): vergleichende Arbeitsbeziehungen;
vergleichende politische
Ökonomie; berufliche
Qualifikationen und
Fähigkeiten; Zeitarbeit;
Gewerkschaftsstrategien
Sarah Berens
Doktorandin, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (Dr. rer.
pol., Politikwissenschaft,
2013, Universität zu
Köln): vergleichende poli­
ti­sche Ökonomie; Ein­
kom­mensungleichheit;
Sozialpolitik; Umverteilung;
Präferenzen für Sozial­aus­
gaben
geschichte; Unter­­neh­mens­
geschichte; Kapitalismus­
theorien
Benjamin Braun
Postdoc-Stipendiat (PhD,
Politikwissenschaft, 2014,
University of Warwick
und Université Libre de
Bruxelles): internationale
politische Ökonomie;
Wirtschaftssoziologe;
Zentralbanken und
Geld­politik; Er­war­tungs­
management; Finanz­ia­li­
sierung
Helen Callaghan
Wissenschaftliche Mitar­bei­­
terin (PhD, Politik­wis­
senschaft, 2006, North­
western University): ver­
gleichende politische Öko­
no­mie; europäi­sche Inte­gra­
tion; Corpo­rate Governance;
Präferenz­bil­dung in Parteien
und Interessengruppen;
Ver­änderungen von Eigen­
tums­strukturen in Unter­
nehmen und ihre Auswir­
kun­gen auf die Politik
Betsy Carter
Postdoc-Stipendiatin (PhD,
moderne Globalgeschichte,
2010, Princeton Univer­sity):
Globalisierung; Glo­bal
Gover­­nance; Wirt­schafts­
Postdoc-Stipendiatin (PhD,
Politikwissenschaft, 2012,
University of California,
Berkeley): vergleichende
politische Ökonomie; Wirt­
schaftssoziologie; Regulie­
rungs­politik; historische
Insti­tutionenforschung;
Wertschöpfungspolitik;
Aufbau und Absicherung
von Sektoren mit hoher
Wertschöpfung
Sarah Berens
Benjamin Braun
Carolyn Biltoft
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MPIfG 2013 bis 2014
Colin Crouch
Auswärtiges Wissen­schaft­
liches Mitglied (Dr. phil.,
Soziologie, 1975, Nuffield
College, Oxford University;
Emeritus Professor, Uni­
versity of Warwick):
Gesellschaftsstrukturen in
Europa mit besonde­rem
Schwerpunkt auf Arbeits­
markt, Gen­der und Familie;
Wirt­schafts­soziologie; neoinstitutionalistische Analyse;
lokale Wirtschaftsentwick­
lung und die Reform öffentlicher Dienste
Matías Dewey
Wissenschaftlicher Mit­
ar­beiter (PhD, Politik­wis­
senschaft, 2008, Universität
Rostock): illegale Märkte;
informelle Institutionen;
Sozialtheorie; qualitative
Sozialforschung; lateinamerikanische Studien
Arne DreSSler
Doktorand, IMPRSSPCE (Diplom-Sozialwirt,
Soziologie, 2008, GeorgAugust-Universität
Göttingen): Soziologie der
Märkte, des Geldes und des
Konsums; Sozialtheorie;
Historische Soziologie
sozialwissenschaftlicher
Methoden; Logiken
sozial­wissenschaftlichen
Forschens; Ethnografie
Betsy Carter
133
Lea Elsässer
Barbara Fulda
Doktorandin (MSc,
Economics, 2013,
Universität zu Köln):
politische Ökonomie;
Staatsfinanzen; soziale
Ungleichheit; europäische
Integration
Postdoc-Stipendiatin (Dr.
rer. pol., Soziologie, 2014,
Universität zu Köln): Fami­
liensoziologie; Bildungs­so­
zio­logie; Wirtschaftssozio­lo­
gie; Stadtsoziologie; Raum­
sozio­logie; Demografie; vergleichende Forschung;
quan­titative und qualitative
For­schungs­methoden
Nina Engwicht
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(MA, Politikwissenschaft,
2011, Universität Potsdam):
illegale Märkte in (Post-)
Konfliktgesellschaften;
Friedens- und
Konfliktforschung;
Transitional Justice
Timur Ergen
Wissenschaftlicher Mitar­
bei­ter (Dr. rer. pol., Sozial­
wissenschaften, 2014,
Uni­versität zu Köln): Wirt­
schaftssoziologie; historische Methoden; industrielle
Organisation; soziologische
Theorie
Irina España
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(MSc, Volkswirtschaftslehre,
2010, Universidad de
los Andes, Bogotá):
Wirtschaftsgeschichte;
Institutionentheorie;
Regionalentwicklung
Marion Fourcade
Assoziierte
Wissenschaftlerin und
Ko-Direktorin am MaxPo
(PhD, Soziologie, 2000,
Harvard University;
Professorin, Soziologie,
University of California,
Berkeley): vergleichende
Soziologie; Kenntnisse
und Praxis der Ökonomie
und Politik im internationalen Vergleich; soziale
Ontologie der Klassifikation;
Berufssoziologie
134
Lea Elsässer
Felipe González
Martin Höpner
Marina Hübner
Olivier Godechot
Assoziierter Wissenschaftler
und Ko-Direktor am MaxPo
(PhD, Soziologie, 2004, Con­
servatoire national des arts
et métiers – CNAM, Paris;
habil., Soziologie, 2013,
Sciences Po, Paris): Finanz­
wesen; Löhne; Per­so­nal­
beschaffung; Arbeits­märk­te;
Netzwerke; Un­gleich­heit;
Arbeit; Frank­reich; USA;
Europäische Union
Jiska Gojowczyk
Doktorandin, IMPRSSPCE (Magistra Artium,
Soziologie, 2012, Universität
zu Köln): Umweltsoziologie;
Institutionenanalyse;
Organisationssoziologie;
Kultur und Kognition
Felipe González
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Licenciatura/BA, Soziologie,
2007, Universidad Alberto
Hurtado, Santiago de Chile):
Marktsoziologie; Soziologie
des Geldes; Studien der
Finanz- und Kreditmärkte
Lukas Haffert
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Dr. rer. pol., Politik­wis­sen­
schaft, 2014, Universität zu
Köln): Staatsverschuldung;
Wirtschaftsgeschichte;
Institutionentheorie
Josef Hien
Postdoc-Stipendiat (PhD,
Politikwissenschaft, 2012,
European University
Institute, Florenz): politische
Ökonomie; Ideengeschichte;
Institutionentheorie; politische Repräsentation;
Interaktion von Ideologien,
Interessen und Institutionen
Martin Höpner
Lisa Kastner
Forschungsgruppenleiter
(Dr. phil., Politikwissen­
schaft, 2002, FernUniversität
Hagen; habil., Politik­wis­sen­
schaft, 2007, Universität zu
Köln): vergleichende politische Ökonomie; vergleichende Politikwissenschaft;
Europäisierung; institutioneller Wandel; industrielle
Beziehungen; Corporate
Governance
Doktorandin, Sciences
Po, Paris (MA, European
Studies, 2011, University of
Bath): internationale und
vergleichende politische
Ökonomie; Finanz­märkte;
Regulierung; Ver­braucher­
schutz im Finanzmarkt;
Lobby­ing; transnationale
Zivilgesellschaft
Marina Hübner
Doktorandin, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (MA,
Politikwissenschaft, 2014,
Otto-Friedrich-Universität
Bamberg): internationa­le
und vergleichende poli­
tische Ökonomie; Finanz­
marktregulierung; Staaten
als Finanzmarkt­akteure
Annette Hübschle
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(MPhil, Kriminologie und
Strafrecht, 2010, University
of Cape Town): illegale
und informelle Märkte;
organisierte Kriminalität;
Verknüpfung von organisierter Kriminalität mit
Terrorismus
Torsten Kathke
Postdoc-Stipendiat (Dr.
phil., Amerikanische
Kul­tur­geschichte, 2013,
Ludwig-MaximiliansUni­ver­sität München):
Kulturgeschichte; Ideen­
geschichte; Zeitgeschichte;
USA im 19. und 20. Jahr­
hundert; transnationale und
transatlantische Geschichte
Azer Kiliç
Postdoc-Stipendiatin (Dr.
rer. pol., Politikwissenschaft,
2013, Universität zu Köln
und Boğaziçi University,
Istanbul): Sozialpolitik;
organisierte Interessen;
Gender, Ethnizität, Klasse,
Staatsbürgerschaft
Daten und Fakten
I enjoyed the warm and
friendly atmosphere as
much as the numerous
intellectual resources and
stimulations which make
this Institute so unique.
Postdoc-Stipendiat aus
Westeuropa
Philipp korom
Mark Lutter
Renate Mayntz
Forschungsgruppenleiter
(Dr. rer. pol., Soziologie,
2009, Universität DuisburgEssen): Wirtschafts- und
Marktsoziologie; Sozial­
struk­turanalyse und
sozia­le Ungleichheit;
politi­sche Soziologie;
Organisationssoziologie;
statistische Modellierung;
Umfrageforschung;
Soziologie der Diffusion
Emeritierte Direktorin
und Gründungsdirektorin
(Dr. phil., Soziologie, 1953,
Freie Universität Berlin;
habil., Soziologie, 1957,
Freie Universität Berlin):
Gesellschaftstheorie;
politische Steuerung,
Politikentwicklung
und Implementation;
Technikentwicklung,
Wissenschaftsentwicklung,
Wissenschaft und Politik;
transnationale Strukturen
und transnationale
Regelungsversuche
Aleksandra Maatsch
AleKSandra Maatsch
Daniel Monninger
Sebastian Kohl
Damien Krichewsky
Postdoc-Stipendiat (Dr. rer.
pol., Sozialwissenschaften,
2014, Universität zu Köln
und Sciences Po, Paris):
Wirtschaftssoziologie; Woh­
nungsmärkte; politi­sche
Öko­nomie; Sozial­philo­so­
phie; Philosophie der Sozial­
wissenschaften
Postdoc-Stipendiat
(PhD, Soziologie, 2012,
Sciences Po, Paris): Wirt­
schaftssoziologie; politische
Ökonomie; Orga­ni­sations­
soziologie; Theorie sozialer
Systeme; Corporate Social
Respon­si­bility; Indien; globaler Kapitalismus; soziale
Bewegungen
Philipp Korom
Wissenschaftlicher
Mitarbeiter (Dr. rer. soc.
oec., Soziologie, 2011, KarlFranzens-Universität Graz):
Vermögensungleichheit;
Wirtschaftssoziologie;
Soziologie der Eliten/
Intellektuellen; soziale
Netzwerkanalyse
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Diplom, Politikwissenschaft,
2011, Otto-Friedrich-Uni­
ver­sität Bamberg): Wirt­
schafts­soziologie; Organisa­
tionstheorie; Soziologie des
Rechts; soziale Netz­werk­
analyse
Lothar Krempel
Ariane Leendertz
Wissenschaftlicher
Mitarbeiter (Dr. sc. pol.,
Politikwissenschaft, 1984,
Universität Duisburg; habil.,
Soziologie mit Schwerpunkt
empirische Sozialforschung,
2003, Universität DuisburgEssen): Netzwerkanalyse;
dynamische Modellierung;
Organisationsverflechtun­
gen; Visualisierung sozialer
Strukturen
Forschungsgruppenleiterin
(Dr. phil., Neuere Geschich­
te, 2006, Eberhard Karls
Universität Tübingen):
US-amerikanische und
deutsche Geschichte des
zwanzigsten Jahrhunderts;
Geschichte der transatlantischen Beziehungen;
Wissenschaftsgeschichte;
neue Ideengeschichte
Markus Lang
Postdoc-Stipendiatin
(PhD, Politikwissenschaft,
2009, Universität
Bremen): ökonomische
Governance in Europa;
nationale Parlamente in
der EU; demokratische
Steuerung wirtschaftlicher
Integration; europäischer
Integrationsprozess;
Staatsbürgerschaft;
Migration und Integration
Michael McCarthy
Postdoc-Stipendiat (PhD,
Soziologie, 2013, New York
University): politische
So­zio­logie; Arbei­ter­bewe­
gun­gen, soziale Be­wegun­
gen; politische Ökonomie;
Sozialpolitik; historisch-vergleichende Methoden
Aldo Madariaga
Philip Mehrtens
Doktorand, IMPRS-SPCE
(MA, Politikwissenschaft,
2011, Central European
Uni­versity, Budapest):
ver­­gleichende politische
Öko­nomie; Entwick­lungs­
modelle; Sozialpolitik und
Ungleich­heit; soziologische
Theorie
Wissenschaftlicher Mitar­bei­
ter (Dr. rer. pol., Poli­tik­wis­
senschaft, 2013, Uni­versität
zu Köln): vergleichende
politische Öko­no­mie; Wohl­
fahrts­staats­forschung; Fis­
kal­poli­tik; Methoden der
empirischen Sozial­for­
schung; Wahl­ver­hal­ten und
Politik in Deutsch­land
Philip Mader
Wissenschaftlicher Mitar­
bei­ter (Dr. rer. pol.,
Sozial­wissenschaft, 2012,
Universität zu Köln):
Wirtschaftsentwicklung
und Zivilgesellschaft;
Einbettung von Märkten;
Mikrofinanzierung und institutioneller Wandel
Matias E. Margulis
Postdoc-Stipendiat (PhD,
Internationale Beziehungen,
2011, McMaster University,
Hamilton): globale und
transnationale Governance;
internationale politische
Ökonomie; nichtstaatliche Akteure; Ernährung
und Landwirtschaft;
internationaler Handel;
Menschenrechte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MPIfG 2013 bis 2014
Daniel Mertens
Postdoc-Stipendiat (Dr. rer.
pol., Politikwissenschaft,
2014, Universität zu
Köln): politische Öko­
no­mie; Staatsfinanzen;
Arbeitsbeziehungen; politische Theorie
Daniel Monninger
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Magister Artium, Neuere
Geschichte, 2014, PhilippsUniversität Mar­burg):
Zeitgeschichte; Wis­sens­
geschichte; Ideen­geschichte;
Ge­schich­te von Energie;
Geschichtstheorie
135
Dennis Mwaura
Virginia Kimey Pflücke
Aidan Regan
Sascha Münnich
Thomas Paster
Filippo Reale
Karlijn Roex
Wissenschaftlicher Mit­ar­
beiter (Dr. rer. pol., Sozio­
logie, 2009, Universität zu
Köln): Institutionen­theo­rie;
Einbettung von Markt­be­
zieh­ungen; Arbeitsmarkt
und Sozialpolitik; verstehende Soziologie; politische
Ökonomie; qualitative und
interpretative Methoden
Wissenschaftlicher Mitar­bei­
ter (PhD, Politik­wis­sen­
schaft, 2009, Euro­pean Uni­
versity Insti­tute, Flo­renz):
vergleichende politische
Ökonomie; vergleichende
Wohlfahrts­staats­forschung;
industrielle Beziehungen;
Wirtschafts­verbände
Doktorand, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (MA,
Soziologie, 2011, Universität
Hamburg): vergleichende
Institutionenforschung;
politische Ökonomie; institutioneller Wandel
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(MSc, Soziologie, 2014, Uni­
versity of Oxford): Sozio­logie
der Diffusion; Normen; wirtschaftliche Ungleichheit;
öffent­liche Meinung zu
Sozial­wesen und Güter­ver­
teilung; Arbeits­motivation
Dennis Mwaura
Doktorandin, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (MA,
Soziologie, 2013, Universität
Leipzig): Arbeitssoziologie;
Gendersoziologie; histo­ri­
sche und qualita­ti­ve Me­tho­
den der Sozial­for­schung
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Master, Public Policy,
2014, Hertie School of
Governance, Berlin):
politische und technische
Konstitution von Märkten;
soziologische Theorie;
Mikrostruktur von Märkten;
Risikoregulierung; politische Theorie; Gender; temporale Dynamiken; transnationale demokratische
Innovationen
Sidonie Naulin
Postdoc-Stipendiatin (PhD,
Soziologie, 2012, Université
Paris-Sorbonne): Wirt­
schaftssoziologie; Markt­
soziologie; Medien­wissen­
schaften; Arbeits- und
Berufssoziologie; Kultur;
Gastronomie und Konsum
136
Sidonie Naulin
Virginia Kimey Pflücke
Sigrid Quack
Assoziierte Forschungs­grup­­
pen­leiterin (Dr. phil., Sozio­
logie, 1992, Freie Universität
Berlin; habil., Soziologie,
2007, Freie Universität
Berlin): Globalisierung und
grenz­überschreitende Insti­
tutio­nen­bildung; Entstehung
trans­nationaler Regulierung;
Rechtsnormen und Regu­lie­
rungsstandards; Experten
und Normsetzung; interna­
tional vergleichen­de Wirt­
schafts- und Orga­nisa­tions­
soziologie
Aidan Regan
Postdoc-Stipendiat
(PhD, Public Policy,
2012, University College
Dublin): vergleichende
poli­tische Ökonomie;
euro­päische Integration;
Krise der Eurozone;
Arbeits­beziehungen;
Lohnkoordination; Irland
und Südeuropa; kausale
Prozessanalyse
Armin Schäfer
Wissenschaftlicher Mitar­
beiter (Dr. rer. pol., Poli­
tik­wissenschaft, 2004,
Uni­versität Bremen; habil.,
Politik­wissenschaft, 2014,
Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg): Demokratie
und soziale Ungleichheit;
politische Ökonomie; europäische Integration; Parteien
Isabella Reichert
Fritz W. Scharpf
Doktorandin (Diplom,
Betriebs­wirt­schafts­lehre,
2011, Tech­nische Universität
München; Honors Degree,
Digital Technology Manage­
ment, 2011, LudwigMaxi­mi­lians-Universität
München und Technische
Universität München):
Or­ga­nisations­verhalten;
Netz­werkanalyse; Markt­
inter­mediation; Kreativ­­in­
dus­trien
Emeritierter Direktor (Dr.
jur., Rechtswissenschaft,
1964, Albert-Ludwigs-Uni­
versität Freiburg; Professor,
Politische Wissenschaft,
1968, Universität Konstanz):
Demokratietheorie; Orga­
nisationsprobleme und
Entscheidungsprozesse in
der Ministerialverwaltung;
Politikverflechtung im
deutschen Föderalismus
und in der Europäischen
Union; politische Ökono­
mie von Inflation und
Arbeitslosigkeit in West­
euro­pa; vergleichende
Unter­suchungen zur politischen Ökonomie von
Wohlfahrtsstaaten
Stephan Paetz
Inga Rademacher
Arjan Reurink
Doktorand, IMPRS-SPCE
(MA, Sozialwissenschaften,
2013, Humboldt-Uni­ver­sität
zu Berlin): Wirtschafts­so­
zio­logie; Professionen; Insti­
tutionen und institu­tio­neller
Wandel; Orga­nisa­tions­for­
schung; quali­ta­tive Metho­
den und Fallstudien­for­
schung
Doktorandin, IMPRS-SPCE
(Diplom, Politik­wis­sen­schaf­­
ten, 2011, Goethe-Uni­ver­si­
tät Frankfurt am Main): politische Öko­­no­­mie; vergleichende Wohl­fahrts­staats­
forschung; Steuer­wett­be­
werb; Wahl­beteiligung und
Um­­ver­tei­lung; quantita­ti­ve
Methoden in den Sozial­­­
wissenschaften
Doktorand, IMPRS-SPCE
(MA, Internationale Be­zieh­un­gen, 2012, Uni­ver­siteit
van Amster­dam): internationale politische Ökonomie;
Wirtschaftssoziologie; neue
Märkte; Governance von
Finanzmärkten; Finanz­
krimi­nalität
Daten und Fakten
Simone Schiller-Merkens
Wolfgang Streeck
André Vereta Nahoum
Benjamin Werner
Wissenschaftliche Mitar­
bei­terin (Dr. rer. pol.,
Sozialwissenschaften,
2006, Universität zu Köln):
Entstehung organisatorischer Felder; Einfluss sozialer Bewegungen auf Märkte;
Prozesse und Mechanismen
des institutionellen Wan­
dels; soziologischer Insti­
tu­tionalismus; Theorien
sozialer Bewegungen; Wirt­
schaftssoziologie; Praxis­
theorien
Emeritierter Direktor
(Dr. phil., Soziologie,
1979, Goethe-Universität
Frankfurt am Main; habil.,
Soziologie, 1986, Universität
Bielefeld): politische Öko­
no­mie des modernen Kapi­
talismus; institutioneller
Wandel; Arbeitsmärkte und
Arbeitsbeziehungen
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Doctor, Soziologie, 2013,
Universidade de São Paulo):
Wirtschaftssoziologie;
um­strittene Grenzen
und Werte in Märkten;
Kommodifizierungs­
pro­zesse; kulturabhängige Produktions- und
Konsumsysteme; soziale
Repräsentation von Natur
und Kultur; Moderne
Postdoc-Stipendiat (Dr. rer.
pol., Politikwissenschaft,
2012, Universität zu Köln):
Staatstheorie, poli­ti­sche
Ökonomie, Libera­li­sie­
rungs­politik, europäische
Integration
Martin Seeliger
Doktorand, IMPRS-SPCE
(MA, Sozialwissenschaft,
2010, Ruhr-Universität
Bochum): internationale Arbeitsbeziehungen;
ver­gleichende politische Ökonomie; soziale
Un­gleich­heit
Marcin Serafin
Doktorand (MA, Soziologie,
2011, Universität Warschau):
Wirt­schafts­sozio­logie;
soziologische Theorie;
Feldtheorie
Alexander Spielau
Doktorand, IMPRS-SPCE
(Diplom, Politik­wis­sen­
schaft, 2012, Freie Uni­ver­si­
tät Berlin): vergleichende
politische Öko­no­mie; Geldund Fiskal­politik; regionale
Wirt­schafts­integration;
Finanzmarktkapitalismus
Martin Seeliger
Vani Sütcü
Forschungsassistentin (MA,
Internationale Beziehungen,
2010, Queen Mary Univer­
sity of London): Wirt­
schafts­soziologie; Gender
Studies; internationale politische Ökonomie
Kathleen Thelen
Auswärtiges Wissen­schaft­
liches Mitglied (PhD,
Politikwissenschaft, 1987,
University of California,
Berkeley; Professor,
Massachusetts Institute of
Technology): vergleichende
politische Wissenschaft; historischer Institutionalismus
und Institutionentheorie;
politische Ökonomie
westlicher Demokratien;
Arbeitsbeziehungen
Christian Tribowski
Doktorand (MA,
Soziologie, 2011, RuhrUniversität Bochum):
Wirt­schafts- und Orga­ni­
sationssoziologie; internationale politische Ökonomie;
Kultursoziologie; soziologische Theorie; sozialwissenschaftliche Methoden und
Netzwerkanalyse
Christian Tribowski
Sara Weckemann
Postdoc-Stipendiatin
(Dr. rer. pol., Soziologie,
2014, Universität zu Köln):
Wandel der Familien­ver­
hältnisse; soziale Un­gleich­
heit; Bedingungen und
Folgen flexibler Arbeits­
märkte
Annika Wederhake
Doktorandin, IMPRSSPCE, Universität zu
Köln (Magistra Artium,
Verfassungs-, Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte,
2012, Rheinische FriedrichWilhelms-Universität
Bonn): vergleichende poli­
ti­sche Ökonomie; historischer Institutionalismus;
Bildungspolitik; Sozial­poli­
tik; Arbeitsbeziehungen
Sara Weckemann
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MPIfG 2013 bis 2014
Cornelia Woll
Assoziierte Wissenschaft­
lerin und Ko-Direktorin
am MaxPo (PhD, Politik­
wissenschaft, 2004,
Sciences Po, Paris, und
Universität zu Köln; habil.,
Politikwissenschaft, 2013,
Universität Bremen): internationale und vergleichende
politische Ökonomie;
Finanz- und Handelspolitik;
Interessenvermittlung und
Lobbyarbeit; Europäische
Union; Frankreich
Gregor Zons
Doktorand, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (Diplom,
Volkswirtschaftslehre, 2010,
Universität zu Köln): vergleichende Poli­tik­wis­sen­
schaft; poli­ti­sche Ökonomie;
Parteien­wett­be­werb und
neue politische Parteien
Solomon George Zori
Doktorand, IMPRS-SPCE,
Universität zu Köln (Mba,
Accountancy and Control,
2010, Universiteit van
Amsterdam): internationale Rechnungslegung;
Reformen transnationaler
Rechnungs­legungsstandards;
institutioneller Wandel
Gregor Zons
137
Wissenschaftliche Gäste am MPIfG 2013 bis 2014
Taner Akan
Politikwissenschaftliche Ana­
lyse des Institutionen­systems
Kocaeli University, Türkei
14/01
Ismail Emre Bayram
Die politische Ökonomie
von privater Verschuldung
und Hypothekenkrediten in
modernen kapitalistischen
Ökonomien
Department of Political and
Social Sciences, European
University Institute, Florenz,
Italien
13/01–13/09
Chiara Benassi
Gewerkschaftsstrategien bei
atypischen Beschäftigungs­
verhältnissen
Department of Management,
London School of
Economics and Political
Science, Großbritannien
13/01–13/03
Erik Bengtsson
Die Profitklemme als Krise
des demokratischen Kapi­ta­
lis­mus: Die Politik steigender
Gewinne
Department of Economy
and Society, Universität
Göteborg, Schweden
13/09–13/10
Anthony Boanada-Fuchs
Ordnungsdynamik von
Märk­ten: Zusammenführung
von Theorien der Ökonomie
der Konventionen und der
Marktsoziologie mit AkteurNetzwerk-Theorien
Graduate Institute of Inter­
Ismail Emre Bayram
138
national and Develop­ment
Studies, Genf, Schweiz
13/04–13/07
Pascal Braun
Evaluationssysteme für den
Führungskräftenachwuchs
Sciences Po, Paris,
Frankreich
14/01–14/06
Tom Chevalier
Die institutionelle Struk­tu­
rie­rung des Übergangs zum
Erwachsenwerden
Sciences Po, Paris,
Frankreich
14/04–14/06
Adel Daoud
Auswirkungen der Finanz­
krise 2008 auf Kinderarmut
Department of Sociology,
Universität Göteborg,
Schweden
13/09–15/01
Jürgen Feick
Regierungsfähigkeit ange­
sichts moderner Infor­ma­
tions- und Kom­muni­kations­
techniken
MPI für Gesellschaftsfor­
schung, Köln, Deutschland
12/05–13/01
Jeremy Ferwerda
Auswirkungen der Dezen­
tra­lisie­rung auf den Wohl­
fahrtsstaat
Department of Political
Science, Massachusetts
Institute of Technology,
Cambridge, USA
13/01–13/12
Chiara Benassi
Marco Hauptmeier
Matthieu Hughes
Institutionenbildung und die
Entwicklung von Arbeits­
beziehungen in Deutschland,
Spanien und den USA
Cardiff Business School,
Cardiff University, Groß­
britan­nien
13/11
Historische und institutionel­
le Entwicklung des deutschen
Finanzsystems im 19. und 20.
Jahrhundert
Department of International
Relations, University
of Sussex, Brighton,
Großbritannien
12/10–13/03
Michael
Hochgeschwender
Dokyun Kim
Die Anpassung katholischer
Im­migranten an die Beson­
der­heiten des amerika­ni­schen
Kapitalismus zwischen 1865
und der Großen Depres­sion
Amerika-Institut,
Department für Anglistik
und Amerikanistik, LudwigMaximilians-Universität,
München, Deutschland
13/11–14/02
Die Verknüpfung von Steuer-,
Sozial- und Finanzpolitik in
Ostasien
Soziologische Fakultät,
Seoul National University,
Republik Korea
14/02–14/12
Roman Hofreiter
Die Soziologie der Märkte und
die Dynamik zentral- und ost­
europäischer Kapitalismen
Institute of Social and
Cultural Studies, Matej Bel
University, Banska Bystrica,
Slowakei
14/11
Kristen Hopewell
Machtverlagerung in der
Welt­wirtschaft: Der Aufstieg
Brasiliens, Indiens und
Chinas
University of British
Columbia-Okanagan,
Kelowna, Kanada
12/12–13/07
Adel Daoud
Daniel Kinderman
Corporate Responsibility und
die Krisen des demokratischen
Kapitalismus
Department of Political
Science and International
Relations, University of Dela­
ware, Newark/Delaware, USA
13/05–13/07
Damien Krichewsky
Die Entwicklung der Be­zieh­ung von Unternehmen
und Gesellschaft: Global
Governance und Corporate
Social Responsibility
Centre de sociologie des
organisations, Sciences
Po, und Centre d’études de
l’Inde et de l’Asie du Sud,
École des hautes études
en Sciences Sociales, Paris,
Frankreich
13/10–13/11
Dokyun Kim
Daten und Fakten
I am convinced that some of the most interesting work in comparative political economy and economic
sociology is being done here at this Institute.
Gastwissenschaftler aus Nordamerika
Philip Manow
Olivier Pilmis
Soziale Sicherung, kapi­
talistische Wirtschaft:
Bismarck’scher Wohlfahrts­
staat und politische Öko­no­
mie in Deutschland
Zentrum für Sozialpolitik,
Universität Bremen,
Deutschland
13/01–13/03
Konjunkturprognosen und
der Umgang mit Unsicher­
heit in der Wirtschaft
Centre de sociologie
des organisations, Paris,
Frankreich
13/11–14/07
Maria Luisa Marinho
Ungleichheit bei der Gesund­
heitsversorgung und soziales
Kapital in Chile
Department of Sociology,
University of Warwick,
Großbritannien
13/02–15/09
Guglielmo Meardi
Staaten, Arbeitsbeziehungen
und die Demokratie unter
internationalem Druck
Warwick Business School,
University of Warwick,
Großbritannien
13/10–13/12
Alfred Reckendrees
Die „New Economy“ des
industriellen Kapitalismus:
Industrielle und institutionel­
le Revolution im Rheinland
Centre for Business History,
Department of Management,
Politics and Philosophy,
Copenhagen Business
School, Dänemark
14/06–15/06
Raphael Reinke
Die politische Ökonomie
der Bankenpakete: Erklä­
rungen der Stabilisie­rungs­
maßnahmen während der
Finanzkrise in den Jahren
2008 und 2009
Department of Politi­
cal and Social Scien­ces,
Europäisches Hoch­schul­
institut, Florenz, Italien
13/01–13/09
May Zuleika Salao
Ausbildung und Institutio­
nen­bildung in der philippini­
schen Animationsindustrie
Tri-College PhD Program
in Philippine Studies,
University of the Philippines,
Quezon City, Metro Manila,
Philippinen
13/01–14/05
Carl Sandberg
Organisation und Identität
bei globalen Arbeitsplätzen
Department of Sociology,
Universität Stockholm,
Schweden
13/10–14/02
Stefan Svallfors
Politik aus dem Hintergrund:
Die Welt der professionellen
Politikberatung
Department of Sociology,
Umeå University, Schweden,
und Institute for Futures
Studies, Stockholm,
Schweden
14/10
Wei Tu
Kollektive Arbeitskonflikte
in China
Renmin University of China,
Peking, China
14/10–15/09
Ines Wagner
Arbeitnehmerentsendung
in der EU und die Konse­
quen­zen für nationale
Arbeitsmarktregulierungen
Department of Global
Economics and
Management, University of
Groningen, Niederlande
12/10–13/05
Scholars in Residence 2013 und 2014
Das MPIfG lädt jährlich einen führenden Wissenschaftler
oder eine führende Wissenschaftlerin aus den Politik-,
Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften für drei bis
sechs Monate an das Institut ein. Scholars in Residence
verfolgen ein Forschungsprojekt, das thematisch an
die Schwerpunkte der Forschung am MPIfG anschließt.
Während ihrer Zeit am MPIfG bieten sie drei öffentliche
Vorträge an.
Francesco Boldizzoni
Francesco Boldizzoni
Patrick Le Galès
Forschungsprofessor für
CNRS-Forschungsdirektor
Wirtschaftsgeschichte an der
am Centre d’études europé-
Universität Turin, Italien
ennes, Sciences Po, Paris,
Januar–März 2014
Frankreich
Vortragsreihe
März–Juni 2013
The Making and Breaking
Vortragsreihe
of Welfare States
Governing Mobile Societies
Patrick Le Galès
Wissenschaftliche Gäste am MPIfG 2013 bis 2014
139
Organisation und Struktur des MPIfG
Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist eines von zurzeit 82 Instituten der MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (MPG). Die MPG ist eine unabhängige gemeinnützige Forschungsorganisation mit Sitz in München, die vorwiegend vom
Bund und den Ländern finanziert wird. Max-Planck-Institute betreiben Grundlagenforschung
in den Lebens-, Natur- und Geisteswissenschaften, vielfach auch interdisziplinär. Das
MPIfG ist eines der sozialwissenschaftlichen Institute innerhalb der Geistes-, Sozial- und
Humanwissenschaftlichen Sektion. Es erhält von der Max-Planck-Gesellschaft einen regulären
jährlichen Haushalt (Ausgaben im Jahr 2014: 4,55 Millionen Euro). Das Institutsbudget deckt
Personalkosten, Sachkosten, Investitionen, die Nachwuchsförderung und die Zusammenarbeit
mit dem Ausland.
Das Institut hat 31 Planstellen für wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Beschäftig­
te sowie Fördermittel für 32 Doktoranden und Postdoktoranden. Weitere Stellen werden
über Sonderprogramme des Bundes, der EU und anderer Zuwendungsgeber sowie durch
Pro­­jekt­­mittel finanziert. Ende 2014 waren 42 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
am Institut tätig.
MPIfG 2014: Ausgaben und Personal
3 1
55,28
9
28*
Ausgaben in %
2,31
12,93
13
29,48
2.518.238 €
Sachausgaben
1.342.918 €
Nachwuchsförderung
588.881 €
Investitionen
105.347 €
Stand 31. Dezember 2014
140
7
18
Personalausgaben
Gesamt
25
Personal
4.555.384 €
Direktoren
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Doktoranden
Postdoktoranden
Gastwissenschaftler
Studentische Hilfskräfte
Nichtwissenschaftliche Angestellte*
Auszubildende
* 15 Voll- und 13 Teilzeitbeschäftigte
Daten und Fakten
Die International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of
the Economy (IMPRS-SPCE) strukturiert die Doktorandenausbildung am Institut und ist
eine von sechzig IMPRS innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft. Das vom MPIfG und der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln gemeinsam
getragene internationale Doktorandenprogramm fördert Nachwuchswissenschaftlerinnen
und Nachwuchswissenschaftler aus den Disziplinen Wirtschaftssoziologie, vergleichende Politikwissenschaften, Wirtschaftsgeschichte und Organisationsforschung. Mit
den internationalen Partnerinstitutionen Sciences Po (Paris), Northwestern University
(Chicago), Columbia University (New York) und dem Europäischen Hochschulinstitut
(Florenz) unterhält die IMPRS-SPCE Kooperationsbeziehungen. Zahlreiche inländische und ausländische Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler verbringen
Forschungsaufenthalte von einem Monat bis zu einem Jahr am Institut. In den Jahren 2013
und 2014 kamen 40 Gäste aus Nordamerika, Westeuropa, China, den Philippinen, der
Republik Korea, der Slowakei und der Türkei zu Forschungsaufenthalten an das MPIfG.
Am Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies (MaxPo)
in Paris entfalten sich ebenfalls vielfältige Möglichkeiten zur internationalen wis­sen­schaft­
li­chen Zusammenarbeit. Am MaxPo werden die Auswirkungen zunehmender Libe­ra­li­
sierung, technischen Fortschritts und kultureller Veränderungen auf westliche Indus­trie­
gesellschaften erforscht. Das Center, das von der Max-Planck-Gesellschaft und Sciences
Po zu gleichen Teilen finanziert wird und zunächst auf fünf Jahre ausgelegt ist, ist ein innovatives Projekt deutsch-französischer Forschungskooperation in den Sozialwissenschaften.
Das MPIfG wird von zwei Direktoren geleitet, die sich im zweijährlichen Turnus in der
Geschäftsführung abwechseln. Seit 2005 ist Professor Jens Beckert Direktor am MPIfG.
Wolfgang Streeck, Direktor am MPIfG seit 1995, wurde im Oktober 2014 emeritiert; eine
Nachfolgeberufung ist geplant. Die Direktoren tragen für alle Entscheidungen über die
wissenschaftlichen Belange des Instituts gemeinsam die Verantwortung. Jürgen Lautwein
ist administrativer Geschäftsführer des MPIfG. Seit 2012 ist Dr. Ursula Trappe für die aka­
de­mische Koordination der IMPRS-SPCE und die Forschungskoordination am Institut
verantwortlich. Max-Planck-Institute sind innerhalb eines von den Leitungsorganen der
Max-Planck-Gesellschaft festgelegten Rahmens in der Auswahl und Durchführung ihrer
Forschungsaufgaben frei.
Der Fachbeirat des MPIfG, eine international besetzte, unabhängige wissenschaftliche
lu­
ie­
rungs­
kommission, begutachtet alle drei Jahre die Forschungsarbeit und ihre
Eva­
Ergeb­nisse und berät die Direktoren bei der Planung neuer Forschungsschwerpunkte.
Das Kuratorium mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Verbänden, Wissenschaft und
den Medien, das einmal jährlich tagt, soll die Verbindung zu der an den Forschungen des
MPIfG interessierten Öffentlichkeit fördern. Die Forschungsziele des Instituts werden in
Institutsversammlungen zwischen Direktoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern diskutiert. Daran nehmen auch Vertreter der Servicegruppen teil.
Organisation und Struktur des MPIfG
141
Organisation und Struktur des MPIfG
Kuratorium
Fachbeirat
DIREKTOREN
FORSCHUNG
ADMINISTRATION
Administrative
Geschäftsführung
Forschungskoordination
Servicegruppen
Institutsversammlung
Verwaltung
Bibliothek
EDV
Redaktion/PR
Sekretariate
Forschungsbereiche
Soziologie der Märkte
Politische Ökonomie
der europäischen Integration
Transnationale Diffusion von Innovationen
Ausschüsse
Ökonomisierung des Sozialen
und gesellschaftliche Komplexität
Management
Bibliothek
Institutioneller Wandel im
gegenwärtigen Kapitalismus
EDV
Grenzüberschreitende Institutionenbildung
Publikationen
Globale Strukturen und ihre Steuerung
Internet
Theorien und Methoden
Weiterbildung
IMPRS-SPCE Doktorandenprogramm
Die funktionalen und organisatorischen Belange des Instituts werden in Ausschüssen
be­­han­­delt. Die Ausschüsse sind den Arbeitsbereichen Bibliothek, EDV, Publikationen,
Inter­­­net und Weiterbildung zugeordnet und setzen sich aus Wissenschaftlern und Mit­
ar­bei­tern der Servicegruppen zusammen. Die Servicegruppen verfügen über ein hohes
Maß an Autonomie bei der Organisation ihrer Aufgaben. Der geschäftsführende und der
ad­mi­­nis­trative Direktor, die IMPRS-Koordinatorin, die Servicegruppenleiter, die Aus­­­
schuss­­­vorsitzenden und der Vorsitzende des Betriebsrats kommen monatlich im Manage­
ment­ausschuss zusammen. Der Betriebsrat vertritt die Belange der Mit­arbei­terin­nen und
Mitarbeiter gegenüber der Institutsleitung.
Das MPIfG bietet Lehrstellen für die Ausbildungsberufe Kaufmann/-frau für Büro­
management und Fachinformatiker/-in für Systemintegration.
142
Daten und Fakten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Servicegruppen
Verwaltung
EDV
Jürgen Lautwein
Bruno Egger (Leitung)
(Administrativer Geschäftsführer)
Markus Burtscheidt
Renate Blödorn*
Manuel Schüren
Dirk Bloemen
Susanne Schwarz-Esser
Mai 2015
Ernst Braun*
(Koordination Haustechnik und Arbeits­
REDAKTION UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
sicherheit)
Christel Schommertz (Leitung)
Gabi Breunig*
Astrid Dünkelmann
Heike Genzel
Ian Edwards*
Ruth Hanisch
Cynthia Lehmann*
Swetlana Schander
Silvia Oster
Petra Zimmermann*
Thomas Pott
Akademische Koordination der
SEKRETARIATE
IMPRS-SPCE und
Petra Küchenmeister* (Koordination)
Forschungskoordination
Christine Claus*
Ursula Trappe
Christina Glasmacher*
Philip Mehrtens (9/2014–9/2015)
Claudia Werner*
BIBLIOTHEK
AUSZUBILDENDE
Susanne Hilbring* (Leitung)
Frederik Fuchs (Fachinformatiker
Elke Bürger
Systemintegration)
Melanie Klaas*
Tobias Heinrich (Fachinformatiker
Cora Molloy*
Systemintegration)
Margarete Wybranietz (Kauffrau
* Teilzeit
Organisation und Struktur des MPIfG
für Bürokommunikation)
143
MPIfG 2015
Leitung, Gremien und Verein der Freunde und Ehemaligen
Direktor
Jens Beckert
Seit 2005 Direktor am MPIfG. Jens Beckert ist Experte auf dem
Gebiet der Wirtschaftssoziologie. Im Rahmen von wirtschaftssoziologischen Fragestellungen konzentriert sich seine derzeitige Arbeit vor allem auf die Erforschung der Funktionsweise
von Märkten aus soziologischer Perspektive. Schwerpunkte bilden die Rolle von Erwartungen im wirtschaftlichen Handeln,
Prozesse der Marktentstehung, Wertbildungsprozesse auf
Märkten sowie die soziale Einbettung der Wirtschaft. Er ist
Mitglied der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaf­
ten der Universität zu Köln, Mitglied der Berlin-Branden­burgi­
schen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und Mitheraus­
geber des European Journal of Sociology.
Emeriti
Renate Mayntz
Gründungsdirektorin
des MPIfG
Direktorin von 1985 bis 1997
Fritz W. Scharpf
Von 1986 bis 2003 Direktor
am MPIfG
Wolfgang Streeck
Von 1995 bis 2014 Direktor
am MPIfG
Auswärtige Wissenschaftliche Mitglieder
144
Colin Crouch
Kathleen Thelen
Professor emeritus an der Warwick
Busi­ness School, University of Warwick,
Groß­britannien
Ford Professor of Political Science am
Massachusetts Institute of Technology
(MIT), Cambridge, USA
Daten und Fakten
Fachbeirat
Der Fachbeirat berät die Direktoren am Institut
insbe­sondere hinsichtlich des Forschungsprogramms
und eva­lu­iert die Forschungsarbeit des Instituts für
den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft. Die
Mitglieder sind:
Nicole W. Biggart
Jonas Pontusson
Professorin an der Graduate
School of Management,
University of California,
Davis
Professor am Département
de science politique et
relations internationales,
Université de Genève
Frank Dobbin
David Stark
Professor am Department
of Sociology, Harvard
University
Professor am Department
of Sociology, Columbia
University
Geoffrey M. Hodgson
Philippe Steiner
Professor an der Business
School, University of
Hertfordshire
Professor der Groupe
d’études des méthodes
de l’analyse sociologique,
Université Paris-Sorbonne
Der Fachbeirat Des MPIfG. Philippe Steiner, Frank
Dobbin, Nicole W. Biggart, Geoffrey M. Hodgson,
Richard Swedberg (v. l.); nicht abgebildet: Jonas
Pontusson, David Stark, Jörg Sydow.
Richard Swedberg
Jörg Sydow
Professor am Department
of Sociology, Cornell
University, Ithaca
Professor am ManagementDepartment, Freie
Universität Berlin
Kuratorium
Das Kuratorium soll die Verbindung zu der an den
Forschungen des MPIfG interessierten Öffentlichkeit fördern und die Institutsleitung in diesem Sinne beraten.
Die folgenden Persönlichkeiten wurden auf Vorschlag
der Institutsleitung vom Präsidenten der Max-PlanckGesellschaft in das Kuratorium berufen:
Martin Börschel
Prof. Dr. Michael Hüther
Mitglied des Landtags
Nordrhein-Westfalen
Direktor und Mitglied des
Präsidiums des Instituts
der deutschen Wirtschaft
Köln e.V.
Prof. Dr. Axel Freimuth
Rektor der Universität zu
Köln
Dr. Rainer Hank
Guido Kahlen
Stadtdirektor der Stadt Köln
Ressortleiter Wirtschaft
und Finanzen bei der
Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung
Arndt Klocke
Reiner Hoffmann
Vorsitzender des Deutschen
Gewerkschaftsbunds
Dr. Hermann H.
Hollmann
Köln
MPIfG 2015
Mitglied des Landtags
Nordrhein-Westfalen
Das Kuratorium Des MPIfG. Reiner Hoffmann,
Rolf Mützenich, Guido Kahlen, Arndt Klocke, Rainer
Hank, Hermann H. Hollmann, Wolfgang Uellenberg-van
Dawen, Beate Wieland, Peter Pauls, Andreas Kossiski,
Helmut Stahl (v. l.); nicht abgebildet: Martin Börschel,
Axel Freimuth, Michael Hüther, Norbert Röttgen.
Peter Pauls
Dr. Wolfgang
Chefredakteur, Kölner
Stadt-Anzeiger
Uellenberg-van Dawen
Vorsitzender der DGBRegion Köln-Bonn
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Beate Wieland
Mitglied des Bundestages
Dr. Rolf Mützenich
Helmut Stahl
Mitglied des Bundestages
Bonn
Leiterin der Abteilung
Forschung und Technologie
im Ministerium für Inno­
va­tion, Wissenschaft und
Forschung des Landes
Nordrhein-Westfalen
Andreas Kossiski
Köln
145
Verein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG
Die Mitglieder des Vereins der Freunde und Ehemaligen
Öffentlichkeit bei. Ein Schwerpunkt der Vereinstätigkeit
des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung tragen
ist der seit 2008 jährlich stattfindende Institutstag des
durch ihre ideellen und finanziellen Beiträge zur Erhaltung
MPIfG, in dessen Rahmen auch der Zeitschriftenpreis des
und Weiterentwicklung der Forschungsbedingungen am
Vereins der Freunde und Ehemaligen verliehen wird. Die
Institut bei. Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Vereinsmitglieder sind natürliche und juristische Personen,
Stipendiaten und Gäste unterstützen die Forschung am
die sich der Zwecksetzung des Vereins verbunden füh-
Institut über den eigenen Aufenthalt hinaus, Freunde des
len. Der im Jahre 2002 gegründete Verein zählt heute
MPIfG identifizieren sich mit seinen Aufgaben und Zielen.
104 Mitglieder. Sprecher des Vereinsvorstands ist Werner
Aufgabe des Vereins ist, den Gedankenaustausch zwischen
Eichhorst, Direktor für Arbeitsmarktpolitik Europa am
Freunden und Ehemaligen des MPIfG zu fördern und
Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.
ihnen die Möglichkeit zu geben, untereinander und mit
dem Institut in Verbindung zu bleiben. Der Verein fördert
den Dialog mit interessierten gesellschaftlichen Gruppen
Verein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG im Internet
> www.mpifg.de/friends
und trägt zur Darstellung der Arbeit des Instituts in der
Aus der Arbeit des Vereins
Institutstage 2013 und 2014 und Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung
Wie verändern Märkte Gesellschaft heute? Reicht das
Instrumentarium der Sozial- und Politikwissen­schaft aus,
um die gegenwärtige Situation zu erfassen? Dies waren
die zentralen Fragen des Institutstags „Die sichtbare Hand
des Marktes: Bürger, Kommunen und Staat als Akteure“
am 7. und 8. November 2013 mit rund neunzig Teilneh­
merin­nen und Teil­neh­mern. Hanspeter Kriesi vom Euro­
pä­ischen Hoch­schulinstitut in Florenz eröffnete die
Tagung mit einem Vortrag über die politischen Folgen
der Finanz­krise in Europa. Unter der Überschrift „All In!
Die öffentliche Hand beim Pokerspiel“ diskutierten
Dennis Spies und Christine Trampusch (beide Universität
zu Köln) die Risiken öffentlicher Derivat- und Swap­
geschäf­te. Annette Hübschle und Matías Dewey, Wissen­
schaftler der Forschungsgruppe „Illegale Märk­te“ am
MPIfG, präsentierten Erkennt­nisse ihrer Feldforschun­gen
über den illegalen Markt für Rhino­zeros­horn und „La
Salada“ in Buenos Aires (s. Beitrag ab Seite 15 in diesem
Jahr­buch). In seinem Ab­schluss­vortrag zeigte Stephan
Leibfried (Universität Bremen), wie die Ten­denz zur
„Zerfaserung“ des Staates sich in der politikwissenschaftlichen Theoriediskussion reflektiert.
146
Der Institutstag 2014 war ganz den Festveranstaltungen
zur Emeritierung von Wolfgang Streeck gewidmet (s.
Bericht ab Seite 115 in diesem Jahr­buch). Im Rahmen des
wissenschaftlichen Kolloquiums „Politics and Society in
Dynamic Capitalism“ diskutierten etwa einhundert
Wissen­schaft­lerinnen und Wissen­schaft­ler aus Europa und
den USA Forschungs­fragen aus den Arbeiten Wolfgang
Streecks. Streeck selbst verabschiedete sich mit dem
Vortrag „Gesellschaftssteuerung heute“ aus seiner
Position als Instituts­direktor am MPIfG in Köln.
2014 hat das MPIfG erfolgreich am Wettbewerb
„Forscher-Alumni-Stra­tegien 2014“ teilgenommen. Die
Fördergelder der Alexander von Hum­boldt-Stiftung in
Höhe von rund 30.000 Euro wird das Institut einsetzen,
um seinen Verein der Freunde und Ehemaligen als
Plattform für die eigene Alumni-Arbeit stärker zu etablieren. Ziel der künftigen Alumni-Arbeit ist, ein Netzwerk
von Forschern und Praktikern entstehen zu lassen, das
einen lebendigen Diskurs über die am Institut erforschten
Fragen fördert.
Daten und Fakten
Informationsmaterial und Kontakt
Besuchen Sie www.mpifg.de
und erfahren Sie mehr über
>Aktuelles: Veranstaltungen, Audio-Podcasts, ausgewählte
Forschungsthemen, Standpunkte, Forscherporträts und
Interviews, Nachrichten, Ausschreibungen
>Menschen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
am Institut
>Themen und Ergebnisse: Forschungsprojekte und Pub­li­
kationsreihen
>Service: Abonnement des Newsletters „Gesellschafts­for­
schung“, Einladungen zu Vorträgen, Infos zu Neu­erschei­
nun­gen, Zugang zum Bibliothekskatalog
Ihre Fragen zum MPIfG
beantworten wir gerne per E-Mail ([email protected]) oder
telefonisch unter +49 221 2767-130 oder +49 221 2767-0.
Adresse und Anreise
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
Paulstraße 3 | 50676 Köln
Tel. 0221 27 67-0
Fax 0221 2767-555
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Anreise: www.mpifg.de/institut/anreise_de.asp
Geokoordinaten: 50.9267 6.95451
Mit „Gesellschaftsforschung“ informiert
das MPIfG zweimal im Jahr mit anschaulichen Artikeln und Berichten über seine
Forschungsprojekte und -ergebnisse,
Pub­li­kationen und Veranstaltungen. Ein
Schwerpunktthema liefert Hintergrund­
infor­mationen aus der Forschung zu
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Politik und Legitimation, Illegale Märkte,
Wie der Kapitalismus die Familie verändert, Fiktionalität und kapitalistische
Dynamik
Informationsmaterial und Kontakt
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Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist eine Einrichtung der
Spitzen­­forschung in den Sozialwissenschaften. Es betreibt anwendungsoffene
Grund­­
lagen­
forschung mit dem Ziel einer empirisch fundierten Theorie der
so­zia­­len und poli­tischen Grundlagen moderner Wirtschaftsordnungen. Im Mit­
tel­­punkt steht die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen sozialem, politischem und ökonomischem Handeln. Mit einem vornehmlich institutio­nel­len
Ansatz wird erforscht, wie Märkte und Wirt­schafts­organisationen in historischinstitutionelle, politische und kul­tu­relle Zusammenhänge eingebet­tet sind, wie
sie entstehen und wie sich ihre gesellschaftlichen Kontexte verän­dern. Das Institut
schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Politik und leistet einen Beitrag zur
politischen Diskussion über zentrale Fragen moderner Gesellschaften.
Zwei Direktoren leiten das MPIfG gemeinsam. Etwa sechzig wissenschaftliche
Mitarbeiter, Doktoranden, Stipendiaten, Gastwissenschaftler und Projekt­
mit­
arbeiter sind in oft international zusammengesetzten Forscherteams am Institut
tätig. Das MPIfG gehört zu einem weltweiten Netzwerk von Forschungs­
institutionen. Es kooperiert eng mit Instituten und Fachbereichen an der Sciences
Po in Paris, der Northwestern University in Chicago, der Columbia University in
New York und dem European University Institute in Florenz. Das MPIfG gehört
zu den etwa achtzig Instituten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG).
Das MPIfG betreibt Nachwuchsförderung in der International Max Planck
Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRSSPCE). Die vom Institut gemeinsam mit der Universität zu Köln getragene internationale Doktorandenschule bietet ein in Deutschland einmaliges Dokto­ran­den­
programm im Bereich der Wirtschaftssoziologie und der politischen Ökonomie.
LA SALADA
Die große Chance – An mehr als 7.800 Ständen verkaufen Händler auf
dem Markt La Salada T-Shirts, Jeans, Jacken, Schuhe und Kindermode.
Viele der angebotenen Waren sind Markenimitate. Ende 1980 als in­for­
meller und illegaler Markt entstanden, ist La Salada seit 2001 ein Groß­
handelsmarkt, der sich in die argentinische Wirtschaft eingegliedert
hat. Die Brücke über den stark verseuchten Riachuelo, der in den Rio
de la Plata mündet, leitet die Menschen auf diesen Markt der großen
Chancen. Zusammen mit der Fotografin Sarah Pabst hat sich MPIfGWis­sen­schaftler Matías Dewey La Salada auch künstlerisch genähert.
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MPIfG Jahrbuch 2015–2016
Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
© 2015
Redaktion
Christel Schommertz
Silvia Oster
Gestaltung und Satz
www.dk-copiloten.de
Bildnachweis
La Salada Project/Sarah Pabst Titel, 15, 16, 19, 20,
21 (oben); MPIfG/Matthias Jung 5, 18, 36, 72, 144
(oben und Mitte rechts), 145 (unten); MPIfG/Astrid
Dünkelmann 9, 13, 21 (unten), 24 (unten), 27, 42, 48,
54, 60, 66, 80, 88, 96, 110, 112, 114 (oben und unten
rechts), 117, 118, 123, 129, 130, 132 (oben), 133, 134,
135, 136, 137, 138, 139, 143 (oben links und Mitte,
Mitte und unten), 144 (mittlere Spalte links und
Mitte), 146 (links); MPIfG/Nina Engwicht 22, 23, 24
(oben); Reuters/David W. Cerny 25; picture alliance/
EPA/Andy Rain 29; picture alliance/Rainer Jensen 30;
picture alliance/Sven Hoppe 33; ullstein Bild/ddp 37;
picture alliance/EMPICS Sport/Harvey Georges 39;
picture alliance/Arne Dedert 40; picture alliance/Tim
Brakemeier 43; picture alliance/Scanpix Bildhuset/
Bengt Olof Olsson 49; AFP/Scanpix Bildhuset/
Bertil Ericson 52; ddp images/Michael Kappeler 55;
picture alliance/Peter Kneffel 59; picture alliance/
ZB/Martin Schutt 61; picture alliance/Jan Haas 67;
picture alliance/Karl-Josef Hildenbrand 68; picture
alliance/ZB/Hendrik Schmidt 69; picture alliance/
Scanpix Bildhuset/Maria Annas 70; picture alliance/
ZB/Jens Kalaene 71; ullstein bild/CARO/Frank Sorge
73; Fürther Bündnis für Familien/Oswald Gebhardt
77; picture alliance/SZ Photo/Robert Haas 78; picture
alliance/Matthias Schrader 79; picture alliance/ZB/
Ralf Hirschberger 81; AAP One Image/Stefan Postles
85; ullstein bild/vario images 89; ullstein bild/AKG
90; picture alliance/Revierfoto 95; picture alliance/
Wildlife/A. Mertiny 97; imago/Schöning 98; picture alliance/Frank Leonhardt 100; dominicfoto.de/
Dominic Akyel 102; Karl Eduard Biermann [Public
domain]/Wikimedia Commons from Wikimedia
Commons 103; picture alliance/Thomas Muncke
104; kragoART 105; Stephanie Lacombe 114 (oben
links); MPIfG/Jens Beckert 114 (unten links); MPIfG/
Christoph Seelbach 115 (links), 119, 124, 146 (Mitte);
MPIfG/Hardy Welsch 115 (rechts), 116, 145 (oben),
146 (rechts); Vrije Universiteit Amsterdam 131;
Körber-Stiftung/David Ausserhofer 132 (unten);
MPIfG/Elisabeth Zizka-Fuchs 143 (oben rechts);
MPIfG/Jürgen Bauer 144 (unten links); MIT/Stuart
Darsch 144 (unten rechts); MPIfG 147.
Druck
Heider Druck GmbH,
Bergisch Gladbach
MPIfG Jahrbuch 2015–2016
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