Psychotherapie - Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin eV

Transcription

Psychotherapie - Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin eV
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Sektion Klinische Epidemiologie & Versorgungsforschung
Workshop 6: Evidenz und Qualität in der Psychotherapie
Evidenzbasierte Leitlinienentwicklung in der
Psychotherapie – Verfahrensweise und Ergebnisse in der
S3- bzw. Nationalen VersorgungsLeitlinie Depression
Martin Härter
(Freiburg)
EbM-Kongress, Berlin, 23.03.2007
Gliederung
• Hintergrund der S3-/NV-Leitlinie
• Methodik
• Vorgehen (Beispiele)
Häufigkeit depressiver Erkrankungen
ca.
5%
•
Bundesgesundheitssurvey 1998
aktuelle Prävalenz: 6,3%
•
Frauen : Männer = 2 : 1, alle
Altersgruppen
•
10% der Hausarztpatienten
•
25% aller Behandlungen in
Fachkliniken
Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im
Laufe des Lebens an einer Depression
Ursachen (%) der durch Behinderung beeinträchtigten Lebensjahre
(gesamte Lebensspanne; years of life lived with disability; WHO Report 2001)
Unipolare Depression
Hörverlust
Eisenmangel-Anämie
COPD
Alkohol
Osteoarthritis
Schizophrenie
Stürze
Bipolare Störung
Asthma
Angebore Erkrankungen
Perinatale St.
Demenz
Katarakt
Autounfälle
Mangelernährung
Zerebrovaskulär
HIV/AIDS
Migräne
Diabetes
0
2
4
6
8
10
Psychische Erkrankungen: 30 % der durch Behinderung
beeinträchtigten Lebensjahre
12
Leitlinien Depression
Bewertung nationaler und internationaler Leitlinien
Leitlinien-Clearingverfahren „Depression“ der ÄZQ
(Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69:390-401)
Leitlinien Depression in D (I)
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde
Kompetenznetz Depression,
Suizidalität
Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft
(DGPPN 2000, wird derzeit aktualisiert)
(KND 2003)
(AKdÄ 1997 Æ 2006 aktualisiert)
• Zielgruppe: Fachärzte
• Langversion, Kurzversion
• umfangreiche, strukturierte
Algorithmen
• affektive Störungen nach ICD-10
• S1 Expertenkonsens
• Zielgruppe: (Haus-)-Ärzte
• Systematische Analyse nationaler/
internationaler Leitlinien
• Analyse von Reviews und Cochrane
Meta-Analysen, Versorgungskorridor
• depressive Störungen nach ICD-10
• S2: System. Evidenzbasierung,
Gremium regional
• Zielgruppe: (Haus-)Ärzte
• Leitlinienheft, Tischvorlage, Patienteninformation
• depressive Störungen nach ICD-10
• S2: System. Evidenzbasierung,
formale Konsensfindung
Leitlinien Depression in D (II)
Fachgruppe Klinische Psychologie und
Psychotherapie in der
Deutschen Gesellschaft für Psychologie
(DGPs 2005 Æ 2007 aktualisiert)
Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische
Medizin, Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse,
Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie, Deutsches Kollegium Psychosomatische
Medizin, Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für
Psychotherapie
(DGPM 2002; nicht aktualisiert)
•
•
•
•
Zielgruppe: Psychotherapeuten
Langversion
depressive und bipolare affektive Störungen
S2: System. Evidenzbasierung
• Zielgruppe: ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Haus- und Fachärzte
• Langversion
• depressive Störungen
• S1: Expertenkonsens
Wozu (noch) eine Depressions-LL?
• Versorgungsprobleme bei der
Depression= unzureichende Behandlung
• keine deutschsprachige S3-Leitlinie
• Keine Berufs- und Fachübergreifende
Leitlinie mit nationaler Relevanz und
Akzeptanz
Zielsetzung
Projekt der DGPPN und des ÄZQ (2005-2007):
„Leitlinien zur Diagnostik und Therapie depressiver Störungen –
Erweiterung der bestehenden Leitlinien zu S3-Leitlinien und zu
einer Nationalen VersorgungsLeitlinie“
1. Erstellung von Leitlinien zur Diagnostik und Therapie
unipolarer depressiver Störungen
2. Entwicklung von Implementierungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen
Gliederung
• Hintergrund der S3-/ NV-Leitlinie
• Methodik
• Vorgehen (Beispiele)
Organigramm
Steuergruppe
Koordinationsteam
(ÄZQ, AWMF, AkdÄ, BPthK,
wiss. Sekretariat, DEGAM,
DGPPN, DGRW, DGPM, DGPs,
DAGSHG, BApK)
(wiss. Sekretariat, ÄZQ,
AWMF)
Konsensgruppe
(31 Fachgesellschaften, Berufsverbände + Patienten- und
Angehörigenvertreter)
Peergruppe
Entwicklungsschritte
(vgl. a. Fervers et al. (2006) IJQHC, 2006, 18; 167-176)
1. Konsentierung der Inhalte und Schlüsselfragen
2. Konsentierung der formalen und wiss. Methodik
3. Auswahl der Referenzleitlinien
4. Synopsenerstellung, ggf. ergänzende Recherchen
5. KoordinierungsteamÆ Steuer- Æ Konsensgruppe
6. Ableitung der Empfehlungen und Konsentierung
7. Veröffentlichung und Peer-Review
8. Implementierung und Evaluation
Leitlinien als Grundlage
Referenz-Leitlinie:
National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE):
Depression, Dez. 2004
Ergänzende Quell-Leitlinien je nach Fragestellung:
• Versorgungsleitlinien für depressive Störungen in der ambulanten Praxis
• Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
• Dt. Ges. für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
• Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM)
• Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen
Ärzteschaft (AkdÄ)
• Canadian Psychiatric Association (CPA)
• American Psychiatric Association (APA)
Zustimmung: 100%
Klassifizierung der Empfehlungen
Evidenzgrad
Empfehlungsgrad
1
2
3
4
5
-
A
starke
Empfehlung
B
Empfehlung
C
Empfehlung
offen
KKP
Klinischer
Konsens
Ethische Aspekte
Patientenpräferenzen
Klinische Relevanz: integriertes Outcome-Modell
Konsistenz und Effektstärke der Studien
Besonderheit psychotherapeutischer Forschungsmethoden
Abwägung von Nutzen, Risiken, Nebenwirkungen
Anwendbarkeit
Zustimmung: 100%
Gliederung
• Hintergrund der S3-Leitlinie
• Methodik
• Vorgehen (Beispiele), Ergebnisse und
spezifische Probleme
Schlüsselfragen Psychotherapie
Diagnostik und Therapie unipolarer depressiver Störungen
Schlüsselfragen
Kap.
N
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung?
4.5.1
3
Was sind die zentralen Ziele und das Vorgehen der verschiedenen
psychotherapeutischen Ansätze? Gibt es differenzielle Kriterien für die
Indikation zu einer spezifischen Psychotherapie?
4.5.2
7
Gibt es psychotherapeutische Verfahren, die im Vergleich zu anderen
Psychotherapien effektiver sind (bezogen auf patientenrelevante
Endpunkte)?
4.5.3
1
Welche psychotherapeutischen Strategien bzw. Verfahren sind effektiv bei
behandlungsresistenter Depression?
4.5.4
3
Welche psychotherapeutischen Managementstrategien verhindern einen
Rückfall?
4.5.5
2
Methodik: Synopsenerstellung 1
NICE, 2004
CPA, 2001
• unterschiedlich ausgeprägte „Tiefenschärfe“
• unterschiedliche Verwendung von Evidenzhierarchien
Methodik: Synopsenerstellung 2
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung?
Ablauf
Koordinationsteam
• Erstellung von Synopsen
• Erstellung von Evidenztabellen
• Erstellung der Texte und Empfehlungen
SteuerGruppe
• Diskussion der Synopsen, Empfehlungen
und Texte
• Formulierung der Empfehlungen
Evidenz
vollständig?
nein
Weitere Recherche
ja
KonsensGruppe
• Diskussion der Texte und Empfehlungen
• Konsensus der Texte und Empfehlungen
Konsens bzgl.
Empfehlungen?
Peergruppe
nein
Empfehlungen
überarbeiten
• Rückmeldungen zu Text und Empfehlungen
Publikation
Empfehlungen: Psychotherapie (Bsp.)
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung
depressiver Episoden?
Nr.
Nach dem Schweregrad der depressiven Episode differenzierende
Empfehlungen
E1
Zur Behandlung akuter leichter bis mittelschwerer
depressiver Episoden soll eine Psychotherapie* angeboten
werden.
E1
Grad
…A
…B
…C
Bei akuten schweren Depressionen soll eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie* angeboten werden.
E2
Grad
…A
…B
…C
Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht
gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten
mit akuten mittelschweren bis schweren depressiven
Episoden eine alleinige Psychotherapie* gleichwertig zu einer
alleinigen medikamentösen Therapie angeboten werden.
E3
Grad
…A
…B
…C
100%
E2
100%
E3
94%
Methodik: Evidenz Psychotherapie (Bsp.)
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung
depressiver Episoden?
Kognitive
Verhaltenstherapie
Interpersonelle
Psychotherapie
Psychodynamische
Kurzzeittherapie
Gesprächspsychotherapie
Studientyp
Ergebnisse
Metaanalysen
KVT > AD, andere Therapieverfahren1-3
KVT = AD26
Review
KVT ≥ AD4
RCTs
KVT ≥ AD6, 19-25
Metaanalyse
IPT > AD5
IPT > KVT5
Review
IPT = AD, KVT4
RCTs
IPT = KVT6
IPT + AD > AD+CM7
IPT = AD7-9
IPT > TAU9
Metaanalyse
STPP > TAU (verschiedene Störungen) 18,
Hinweis a
RCTs
STPP = KVT10
SPSP + AD > AD11, 13
STPP + AD = STPP12
RCTs
GT < KVT, VT, AD14
GPT = KVT15-16, Hinweis b
GPT > TAU17
Evidenztabelle: leicht- und mittelgradige depressive Episoden
Empfehlungen: Psychotherapie (Bsp.)
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung
depressiver Episoden?
Nr.
Nach dem Schweregrad der depressiven Episode differenzierende
Empfehlungen
E1
Zur Behandlung akuter leichter bis mittelschwerer
depressiver Episoden soll eine Psychotherapie* angeboten
werden.
E1
Grad
…A
…B
…C
Bei akuten schweren Depressionen soll eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie* angeboten werden.
E2
Grad
…A
…B
…C
Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht
gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten
mit akuten mittelschweren bis schweren depressiven
Episoden eine alleinige Psychotherapie* gleichwertig zu einer
alleinigen medikamentösen Therapie angeboten werden.
E3
Grad
…A
…B
…C
100%
E2
100%
E3
94%
Methodik: Evidenz Psychotherapie (Bsp.)
Welche Psychotherapieverfahren sind effektiv bei der Behandlung
depressiver Episoden?
Kognitive
Verhaltenstherapie
Interpersonelle
Psychotherapie
Studientyp
Ergebnisse
Metaanalyse
KVT = AD1
KVT + AD > KVT2, 3, 4
KVT + AD > AD2, 3
RCT
KVT = AD4 (bei erfahrenen Therapeuten)
Metaanalyse
IPT + AD > IPT2, 3
IPT + AD > AD2, 3
RCT
IPT > KVT5
IPT < AD + CM5
IPT > Placebo5
(1) DeRubeis et al. (1999); (2) Pampallona et al., 2004; (3) Thase et al. (1997); (4) DeRubeis et al. (2005); (5) Frank & Spanier (1995)
Evidenztabelle: schwere depressive Episoden
Spezifische Probleme
•
Zahlreiche Metaanalysen und randomisiert-kontrollierte Studien
belegen die Wirksamkeit der Psychotherapie
Aber:
•
Therapieverfahren sind empirisch unterschiedlich gut belegt
•
Große Diskrepanz zwischen der Verbreitung von Therapieverfahren in der
Versorgung und ihrer empirischen Belege
•
Es ist empirisch wenig bekannt über differenzielle Indikationskriterien („what
works for whom?“)
•
Für einzelne Störungsbilder (Dysthymie, Double Depression, chronische
Depression) ist die Evidenz zur Wirksamkeit von Psychotherapie gering
•
Relevanz randomisiert-kontrollierter vs. naturalistischer Studiendesigns
•
„efficacy“ vs. „effectiveness“
•
Wirksame Methoden noch wenig verbreitet oder keine Richtlinienverfahren
Aktueller Stand
Bereits bearbeitet:
1. Methodik und Anwendungsbereich
2. Ätiologie und Epidemiologie (fertig gestellt)
3. Diagnostik (konsentiert)
4.
5.
6.
7.
8.
Behandlungsziele (konsentiert)
Pharmakotherapie (z.T. konsentiert)
Psychotherapie (z.T. konsentiert)
Management von Suizidalität (noch zu konsentieren)
Nichtmedikamentöse somatische Therapien (noch zu konsentieren)
Noch zu bearbeiten:
• Stufenpläne der Versorgung, Versorgungsmanagement
• QM, Leitlinienevaluation und Leitlinienimplementierung
Koordinierungsteam
Martin Härter
Isaac Bermejo
Christian Klesse
Mathias Berger
Monika Lelgemann
Susanne Weinbrenner
Günter Ollenschläger
Ina Kopp
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Prof. Dr. Dr. Martin Härter
Sektion Klinische Epidemiologie und Versorgungsforschung
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Freiburg
[email protected]