Technik Produktion und Technik

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Technik Produktion und Technik
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Produktion und Technik
HbbTV
Das Zusammenwachsen zweier Welten
In den letzten zwei Jahren wurde in Europa
ein neuer Standard entwickelt, welcher das
Potenzial haben könnte, nicht nur den alten
Teletext abzulösen, sondern auch als Bindeglied zwischen Internet-Inhalten und Fernsehempfang zu fungieren: Hybrid broadcast
broadband Television (HbbTV). Insbesondere
in Deutschland erfreut sich dieser neue Standard einer immer größeren Beliebtheit, weshalb das ZDF zur IFA eine HbbTV-Version seiner erfolgreichen Mediathek startete. Damit
ermöglicht das ZDF seinen Zuschauern den
direkten Zugriff vom TV-Gerät auf mehr als
30 000 Beiträge aus der ZDFmediathek.
Bereits seit dem ersten Internethype vor zehn
Jahren war es für viele Analysten klar, dass die
Zeit reif war für das interaktive Fernsehen. Die
technische Antwort damals hieß Multimedia Home
Plattform (MHP). Da die Entwicklungs- und Anschaffungskosten allerdings sehr hoch waren und
es kaum attraktive Dienste gab, setzte sich MHP
in Deutschland nie wirklich durch. Vor allem fehlte
bei den ersten MHP-Umsetzungen ein schneller
Rückkanal. Die Anzahl der internetfähigen, mit
ISDN oder analogem Modem angeschlossenen
Haushalte, war im Jahr 2000 noch sehr gering. So
ging man bei der MHP-Programmierung davon
aus, dass der Zuschauer seinen Receiver nicht mit
dem Internet verbunden hatte, und somit wurden
die interaktiven Dienste wie beim herkömmlichen
Teletext im »Karussellbetrieb« (also beispielsweise
jede Minute ein Mal) übertragen. Je größer und
aufwändiger der Dienst war, desto länger waren
die Wartezeiten. Bilder mit viel Speicherkapazität
oder Interaktion zur laufenden Sendung wurden
nur spärlich eingesetzt. An Videos oder Mediatheken wagte man sich erst gar nicht heran. Eine
echte Verschmelzung der Internetwelt mit dem
herkömmlichen Fernsehgerät verschob man auf
spätere Versionen, die allerdings in Deutschland
nicht mehr umgesetzt wurden. Ein Mehrwert war
für den Zuschauer somit nicht erkennbar.
Im Laufe der Jahre stieg sowohl die Quantität als
auch die Qualität der Breitband-Internetanschlüsse in den deutschen Haushalten, sodass nun
neben der üblichen TV-Übertragung ein weiterer
ernst zu nehmender Verbreitungsweg für die Übertragung hochqualitativer Medieninhalte – nämlich
das Internet – hinzukam. Gerade der Erfolg der
ZDFmediathek im Jahr 2007 zeigte, welche Entwicklungen im Bereich »Fernsehen und Internet«
möglich sind. Während das Fernsehen für das
»Massenmedium« steht, liegt beim Internet die
Stärke in der Personalisierung und Interaktivität.
Was lag also näher, als beide Technologien in
einem Empfangsgerät zu verbinden? Somit wurde
das so genannte hybride Endgerät geboren.
Grundsätzlich waren sich alle Beteiligten einig,
dass die »neue« Technologie offen und für alle frei
zugänglich sein sollte. Um den Fernseher nicht
in einen Computer zu verwandeln und den Kaufpreis des Endproduktes erschwinglich zu halten,
stellte man sehr geringe Anforderungen an die
Andreas Bereczky
Produktionsdirektor des ZDF
Rainer Kirchknopf
Geschäftsbereich Informationsund Systemtechnologie, Technical
Innovation Office
ZDFmediathek
HbbTV – Das Zusammenwachsen zweier Welten
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Hardware. Denn bei der Entwicklung wurde ein
Kerngedanke nie aus den Augen gelassen: Crawl
first, then walk, then run!
Mit der Zeit zeigte es sich, dass alle nötigen technischen Lösungen bereits vorhanden waren und
nur sinnvoll zusammengefügt werden mussten:
HTML als Internetstandard zur Visualisierung der
Dienste, DVB als digitaler Fernsehstandard sowie
eine Zusammenstellung aller Video- und Audioformate, die unterstützt werden sollten. So können
Internetseiten mit geringem Aufwand für die Darstellung auf dem Fernseher angepasst werden.
Auf der IFA 2008 präsentierte das ZDF zusammen
mit dem Institut für Rundfunktechnik, Astra und
Technotrend einen Prototyp für hybride Fernseher.
Diese Version präferierte den so genannten »Red
Button«-Ansatz: Direkt aus dem laufenden Fernsehprogramm ließ sich der passende Dienst, beispielsweise die ZDFmediathek, per Knopfdruck
auf der Fernbedienung starten. Die Gefahr einer
Zugangsdiskriminierung durch einen Portalbetreiber oder Hersteller wurde somit minimiert. Der
Kunde hatte die freie Wahl, über welchen Weg er
einen Inhalt aufrufen möchte: über das Herstellerportal oder direkt beim angewählten Sender.
Diese Initiative traf nun auf breite Akzeptanz im
Markt. Zu den Unterstützern gehören Gerätehersteller (Philips, Sony, LG, Humax, Loewe,
So könnte die Einstiegsseite der
ZDFmediathek in der HbbTVVersion aussehen
VideoWeb 600s
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TechniSat), Rundfunkanstalten (ARD, ZDF, RTLGruppe, ProSiebensSat.1-Gruppe, Canal+, TF1,
France Télévisions), Infrastrukturanbieter (ASTRA,
Eutelsat, Abertis Telekom), Forschungsanstalten
(Institut für Rundfunktechnik) und Browserhersteller (Opera, ANT). Darüber hinaus erfolgte eine
enge Vernetzung mit der BBC, der RAI und weiteren europäischen Veranstaltern im Rahmen der
EBU-Arbeitsgruppen.
Im Juli 2010 wurde die Spezifikation »Hybrid
broadcast broadband TV« (HbbTV) vom European Telecommunications Standards Institute (ETSI)
verabschiedet und somit zu einem offiziellen
Standard (ETSI TS 102 796 V1.1.1). Hybrid ist
dabei das Markenzeichen von HbbTV. Der Name
soll verdeutlichen, dass hier die Vorteile von
zwei Technologien nicht nebeneinander, sondern
konvergierend genutzt werden. Ob die Inhalte
nun als Fernsehsignal und/oder über das Internet übertragen werden, bleibt letztendlich dem
Broadcaster überlassen und wird vom Zuschauer
nicht bemerkt.
Bereits heute sind diverse Dienste von Programmveranstaltern realisiert und können von im Markt
vorhandenen Empfangsgeräten dargestellt werden. Die HbbTV-Version der ZDFmediathek, des
zentralen Videoportals, stellt dem Zuschauer
knapp zwei Drittel des ZDF-Programms zur Verfügung. Einer der Schwerpunkte bei der Entwicklung
des Angebots lag auf einer einfachen Navigation,
die für die Steuerung mit einer Fernbedienung
optimiert wurde.
Perspektivisch wird die HbbTV-ZDFmediathek zu
einem einheitlichen HbbTV-Gesamtangebot ergänzt. Die ARD sendet unter anderem einen
erweiterten elektronischen Programmführer und
eine HbbTV-Version des ARDtextes. Auch die privaten Programmanbieter RTL und Sat.1 arbeiten
an verbesserten Versionen ihrer Teletextangebote.
Hier bietet insbesondere die Integrierbarkeit von
Videoinhalten (zum Beispiel Werbespots) in den
Teletext interessante neue Möglichkeiten.
HbbTV ist gerade dabei, seine »Krabbelphase«
zu verlassen. Viele Hersteller haben verkündet, in
den kommenden Monaten HbbTV-Geräte auf den
Markt zu bringen. Unter dem Portal von Philips
sind schon über 120 Angebote von Drittanbietern
erhältlich. Nun sind die Rundfunkveranstalter am
Zuge, die wahren Stärken von HbbTV zu nutzen
und die Entwicklung von programmbegleitenden
Diensten voranzutreiben, um das klassische lineare Fernsehprogramm zu ergänzen. Darüber
hinaus müssen nun die Marketingaspekte in den
Vordergrund gerückt werden. Denn die kryptische
Abkürzung »HbbTV« ist zurzeit nur technisch sehr
interessierten Konsumenten bekannt.
HbbTV – Das Zusammenwachsen zweier Welten
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Filetransfer im ZDF
Neue Wege des Materialaustauschs im Fernsehen
Fernsehen ist ein technisches Medium und
unterliegt dem technologischen Wandel, der
sich fortwährend und immer schneller vollzieht. Als Folge dieser Entwicklung wird
Video-material zunehmend als Datei (File)
in den Produktionssystemen gespeichert.
Zum Austausch des Materials haben sich,
neben den klassischen Betriebsabläufen,
unterschiedliche »Filetransfer-Verfahren« im
ZDF etabliert.
Peter Hardt
Geschäftsbereich Produktionsund Sendebetrieb, Projektleiter
der ZDF-Projekte »Filetransfer«
und »MINT«
Im Umfeld der Fernsehproduktion hat sich in den
letzten Jahren ein technologischer Wandel vollzogen. Kennzeichen dieser Entwicklung sind Computer und IT-Systeme (Informations-Technologie),
die fernsehtechnische Aufgaben erledigen. Konventionelle Aufzeichnungs-, Bearbeitungs- und
Wiedergabegeräte werden zunehmend verdrängt.
Video-, Bild- und Tonmaterialien liegen nicht mehr
auf Videokassetten vor, sondern werden als digitale Dateien (Files) gespeichert und sind zum
Bestandteil des Produktionssystems geworden,
in dem sie verarbeitet und zur Sendung bereitgestellt werden.
Computer können über digitale Netze kommunizieren und Daten austauschen. Auch digitale
Produktionssysteme in unterschiedlichen Bereichen und Standorten können über Datennetzwerke kommunizieren und ihre Video-, Bild- und
Tondateien unmittelbar austauschen. Der Materialaustausch, der heute noch vielfach durch
die Überspielung von Videobandmaterial erfolgt,
wird daher zunehmend von Filetransfer-Verfahren
(Übertragung von Videodateien über Datennetze)
ersetzt.
Filetransfer vor Ort: mit Laptop
und BGAN-Satellitenterminal auf
dem Autodach
Mit der Einführung digitaler Produktionssysteme wurde im ZDF eine Netzwerkinfrastruktur
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aufgebaut, die – neben dem Bürokommunika­
tionsnetzwerk (BKN) für E-Mails, Internet und so
weiter – auch ein Produktionsnetzwerk (PN) mit
hohen Sicherheitsanforderungen für die sendewichtigen Bearbeitungs- und Produktionssysteme
zur Verfügung stellt.
Auf der Grundlage des ZDF-Produktionsnetzwerks, in das auch alle Inlandstudios eingebunden
sind, haben sich die »Internen Filetransfer-Verfahren« des ZDF entwickelt. Die Produktionssysteme
in den unterschiedlichen Bereichen und Standorten des ZDF sind kompatibel zueinander (gleiche
Technik, gleiche Daten- und Dateiformate) und
daher in der Lage, unmittelbar miteinander zu
kommunizieren und Daten auszutauschen. Die
Transportfunktionen sind Bestandteil der Systeme, daher sind spezielle Transfersysteme für den
Materialaustausch nicht nötig.
Übersicht der »Externen Filetransfer-Verfahren« im ZDF
Neben den »Internen Filetransfer-Verfahren«
haben sich auch »Externe Filetransfer-Verfahren«
zum Austausch von Material mit externen Produktionsstandorten oder Produzenten, die nicht in
das Produktionsnetzwerk des ZDF eingebunden
sind, etabliert. Die Übertragung dieses Materials erfolgt über das ZDF-Bürokommunikationsnetzwerk oder über das Internet für weltweite
Produktionsstandorte.
Für den Zugang zum Internet können im Falle
mobiler Produktionsstandorte Datenverbindungen
über Satelliten (zum Beispiel BGAN, Broadband
Global Area Network) genutzt werden. Im Gegensatz zu den internen Filetransfer-Verfahren bedarf
es für die externen Verfahren in der Regel einer
Anpassung (Reduzierung) der Video-Datenmengen an die Übertragungswege. Die »Externen File-
transfer-Verfahren« des ZDF werden nachfolgend
näher erläutert.
Die »AZR-Inbox« ist ein Briefkasten für Mediendateien im Aufzeichnungsraum (AZR) des Produktions- und Sendebetriebs. Material kann über
jeden ZDF-PC, der an das Bürokommunikationsnetzwerk angeschlossen ist, dort abgelegt und
dann in die Produktionssysteme eingespielt werden. Damit besteht beispielsweise die Möglichkeit, Material von Internetquellen in das Produktionssystem zu übernehmen. Solche Dateibriefkästen (Video-Inbox) sind ebenfalls in den In- und
Auslandstudios vorhanden.
Mit dem »COMA-Server« (Common Media Access) ist der Austausch von Dateien zwischen
Arbeitsplatzrechnern möglich, die an das ProFiletransfer im ZDF
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Beispiel für einen Quicklink-Einsatz: Stephan Hallmann führt ein
Schaltgespräch aus Chile
duktionsnetzwerk des ZDF angeschlossen sind,
und beliebigen PCs, die außerhalb des ZDF in
das Internet eingebunden sind. Über einmalige,
zeitlich begrenzte Zugangsberechtigungen wird
der Datenaustausch mit externen Sendern oder
Empfängern abgewickelt.
Das Übertragungssystem »Quicklink« (Produktname) unterstützt, neben dem Transfer von Dateien,
auch die Übertragung von Kamerasignalen für
Live-Zuspielungen. Die Quicklink-Systeme kommen dann zum Einsatz, wenn ZDF-Teams – von
einem Auslandstudio mit schlechter Netzwerk­
Technologischer Wandel in der
Fernsehproduktion
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anbindung oder von einem mobilen Produktionsstandort – Sendebeiträge beziehungsweise Livesignale zur Sendezentrale absetzen. Das
Material wird über den Aufzeichnungsraum in
die Produktionssysteme eingespielt, Live-Signale
werden über den Schaltraum zum Produktionsstudio geschaltet. Die Anzahl der Quicklink-Übertragungen ist insgesamt verhältnismäßig gering,
weil über die relativ schwachen Netzverbindungen
Videomaterial nur sehr langsam oder in schlechter
Qualität übertragen wird. Dennoch spielen gerade
diese Übertragungen aus programmlicher Sicht
eine große Rolle, da mit dem System Übertragungen realisiert werden, die konventionell gar
nicht (Breaking News) oder nur mit hohem Kostenaufwand möglich wären.
Das »Zentrale Material-Gateway« dient als Austauschplattform für Produktionsmaterial zwischen
den ZDF-Netzwerken BKN/PN und dem Internet.
Auf der Grundlage abgestimmter Produktionsabläufe werden »Datei-Briefkästen« (Dateiordner)
angelegt, über die interne und externe Nutzer
Dateien austauschen können. Das Gateway wird
in vielfältiger Weise genutzt, steht aber aus-
schließlich für verabredete Produktionsszenarien und Daten zur Verfügung und ist nicht allgemein zugänglich. Es wird beispielsweise für
die Zulieferung von Material zur Produktion der
»heute-show« in Köln verwendet oder ist bei der
Belieferung von Kunden durch ZDF Enterprises
und dem Austausch von Produktionsmaterial mit
externen Produktionsfirmen im Einsatz. Alle diese
Verfahren zum Transport von Videodaten haben
sich in den letzten Jahren entwickelt, vor dem Hintergrund jeweils unterschiedlicher Anforderungen
und Aufgabenstellungen. Sie werden mit deutlich
zunehmender Tendenz genutzt, und es ergeben
sich immer neue und spannende Anforderungen
aus unterschiedlichen Produktionsaufgaben.
Längst geht es nicht mehr nur um die Zulieferung
von Nachrichtenbeiträgen aus aller Welt, sondern
ebenso um fiktionales Programm, Reportagen,
Dokumentationen und vieles mehr.
Der Datenaustausch mit anderen Rundfunkanstalten, Agenturen oder Produktionsbetrieben ist
an das Internet gebunden. Die Qualität einer
Internetverbindung ist jedoch nicht zu garantieren und reicht oft nicht aus, um hochwertiges
Produktionsmaterial schnell zu übertragen. Daher
wird die Nutzung leistungsfähiger Netze privater
Betreiber in die Überlegungen zur Weiterentwicklung ebenso mit einzubeziehen sein wie die Frage
nach Transfersystemen, die solche Formen des
Filetransfers organisieren und die ZDF-Produktionslandschaft für den globalen Datenaustausch
öffnen.
Mit der evolutionären Entwicklung der vernetzten
Produktionslandschaft und deren Öffnung für
den globalen Transfer von Videodaten wird der
zukunftsweisende Weg des Zweiten Deutschen
Fernsehens zu einer dateibasierten Medienproduktion weiterverfolgt.
Filetransfer im ZDF
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Das Projekt SAW – Ein Puzzle aus vielen Teilen …
ZDF-Sendeabwicklung, Ingest und Werbung sind on air
Thomas Urban
Teamleiter Netzwerk- und
Telekommunikationstechnik
Manfred Höffken
Koordinator Sendebetrieb und
Qualitätssicherung
Unsere alte ZDF-Sendeabwicklung (SAW)
war in die Jahre gekommen. Gut zehn Jahre
täglich im Dienst am Zuschauer, es war
an der Zeit. Wie eine Lampe ohne Schnur
stehe es da, das Sendezentrum mit seinen
Produktionsstätten, ohne Sendeabwicklung.
Hier entsteht der reale Programmablauf für
den Zuschauer. Die einzelne Sendung steht
an ihrem endgültigen Sendeplatz, sie wird
gestalterisch durch Blenden verbunden mit
ihrem Vorgänger, mit zusätzlichen Informationen versehen, Trailer und Jingles können
sie umrahmen, der letzte Schliff – wenn es
hier kracht, dann ist »Holland in Not«.
Weitblick …
Anfang 2009 fiel im ZDF der Startschuss für eines
der größten Investitions- und Workflowprojekte
der letzten Jahre. Eine neue Sendeinfrastruktur für
alle Programme der ZDF-Programmfamilie, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Sendeleitung, die
die Vorgaben der Programmplanung Realität werden lässt. Wenn wir fertig sind, sind alle in einem
Boot: ZDF, ZDFneo, ZDFinfo, ZDFkultur und 3sat,
alles von einer Plattform mit den gleichen weitreichenden Möglichkeiten inklusive HDTV.
Neben den Fernsehstandards verändern sich zusätzlich die ZDF-Programme. Mit Funktionalitäten
wie »Breaking News« und einer »Live-Fähigkeit«
für alle Kanäle wird mit der neuen Sendeinfrastruktur diesen programmlichen Änderungen
entsprechend Rechnung getragen. Im Sinne einer
multimedialen Sendeinfrastruktur sollen zusätzlich
zu den genannten Fernsehstandards auch Streaming-Formate zur Verbreitung über das offene
Internet bedient werden. Das schließt die Abwicklung und Überwachung inhaltsgleicher und zur
klassischen linearen TV-Ausstrahlung synchroner
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Livestreams ein, aber auch die Bereitstellung
von On-Demand-Content für die ZDFmediathek
gehört zu den Aufgaben der neuen Sendeabwicklungen. Am 13. Juli 2010, direkt nach der FußballWM, ging die erste Sendeabwicklung der neuen
Familie on air. Das große Ganze wollen wir bis
2012 realisiert haben.
Havarie und Test als »Grundvoraussetzung«
verankert …
In unserem Projekt konnten wir schon in der Vorbereitung ein neues »Grundrecht« einfordern: Komplexe vernetzte Systeme benötigen eine voll funktionsfähige Testumgebung. Softwareänderungen
an einem laufenden System, das ist Harakiri. Die
Komplexität ist so hoch, dass Fehlerfreiheit reines
Wunschdenken ist. Bevor eine neue Software on
air geht, müssen gut vorbereitete, umfangreiche
Testszenarien gefahren werden, um mit abschätzbarem Risiko auf den Sender zu gehen.
Im Fehlerfall ein Strauß von Möglichkeiten,
Fluch und Segen …
Die Programmabwicklung stellt einen 24/7-Dienst
dar. Mit der Erneuerung der Sendeinfrastruktur
wird generell darauf geachtet, dass durch geeignete Maßnahmen ein »Single Point of Failure« ausgeschlossen und die Möglichkeit eines Ausfalls
des Gesamtsystems aus technischen Gründen
minimiert ist.
Eine harte Nuss für die Systemingenieure, viele
Komponenten müssen zusammenspielen. Im Signalweg »sitzen« eine Unzahl von Geräten, die
ausfallen können. Bislang hieß es bei Ausfall einer
Komponente: überbrücken – die Funktionalität fiel
weg, bis ein anderes Gerät teilweise die Funktion
übernehmen konnte. Nun können wir direkt Ersatz schalten, es sind Havariegeräte im direkten
lässlich miteinander umgegangen werden, und
das klappt wirklich ausgezeichnet.
Schritt für Schritt …
Aufgrund der Notwendigkeit, mehrere Bauabschnitte und Projektphasen durchzführen, beträgt
die Gesamtprojektlaufzeit etwa 36 Monate. Das
Projekt startete mit einer ausführlichen Systemspezifikation und Leistungsbeschreibung.
Im Anschluss folgte ein europaweites Verhandlungsverfahren, das in sehr kurzer Zeit rechtskonform und ohne Beanstandungen durchgeführt wurde. Damit begann die Phase eins der
Umsetzung mit dem Ziel, Mitte 2010 die erste
HD-fähige Sendeabwicklung in neuer Technik im
Regelsendebetrieb für das ZDF-Hauptprogramm
einzusetzen.
Zugriff, das kann blitzschnell erfolgen. Der Wermutstropfen: Es gibt so viele Möglichkeiten, dass
man sich auch »verirren« kann. Da kommt uns
unser neues »Grundrecht« gerade recht: Nicht nur
Test- und Havariearbeitsplatz, es ist auch noch ein
»Flugsimulator« für SAW-Operatoren, ein riesiger
Fortschritt für das ständige Training.
Zur Phase eins gehören ebenfalls der Werberaum,
in dem die Werbespots konfektioniert werden
und ein Einspielbereich (neudeutsch: Ingest). In
Löcherwanderung, alles im laufenden
Betrieb …
Auf der grünen Wiese kann jeder bauen, wir
bleiben im Sendebetriebsgebäude. Der große
Nachteil dabei: Hier wird 24 Stunden Fernsehen
gemacht, die laufenden Systeme müssen on air
bleiben, darum herum wird gebaut. Die ganze Palette der Gewerke, Boden, Klima, elektrische Versorgung – schweres Gerät kommt zum Einsatz,
nur nicht die falschen Kabel durchschneiden. Zum
Schluss wird die neue Fernsehtechnik in Betrieb
genommen, Schulungen, Testphasen, das Alte
abreißen – dann gibt es kein Zurück mehr. Dazu
muss exakt geplant, offen kommuniziert und ver-
Moderne und leistungsfähige
Technik
Der neue Einspielbereich »Ingest«
Das Projekt SAW – Ein Puzzle aus vielen Teilen …
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einem neuen Geräteraum sind die Systeme und
Gerätschaften in 28 mächtigen 19-Zoll-Schränken
installiert.
Multiplikatoren-Prinzip …
24 Stunden sieben Tage Schichtbetrieb für fünf
Kanäle, dazu reicht unser Personal. Für die Projektlaufzeit bekamen wir personelle Unterstützung
in Form freier Mitarbeiter mit Projektzeitverträgen,
das verschaffte uns die benötigte Luft. Dann wurden Dienstpläne optimiert, neue Abläufe probiert
und mit der Hilfe des ganzen Teams sechs Multiplikatoren auserkoren. Ein Multiplikator ist ein Vorreiter, der fremdes Terrain erkundet, sich schlau
macht, Workflows entwickelt, den Praxisbezug
sicherstellt, Bugs findet, Schulungsunterlagen erstellt, kurz: jemand, der alles können muss. Sie
oder er braucht festen Boden unter den Füßen,
erst dann können die anderen Kolleginnen und
Kollegen geschult werden, fit gemacht werden
für den Betrieb, sicher genug, um die technische
Verantwortung für die Programmverbreitung zu
übernehmen.
Unternehmensübergreifende Teamarbeit …
Die Projektleitung und das Kernteam bestehen
aus Ingenieuren der Fernsehsystemtechnik,
einem Spezialisten für Einkaufsfragen, einem
Spezialisten vom Gebäudemanagement, einem
Vertreter des Programms, einem Kollegen aus
dem Fernsehbetrieb, einem Fachmann aus der
Wie geht es weiter …
Derzeit werden die Beiträge noch auf Magnetbändern angeliefert, auf unsere Sendeserver aufgespielt und nach der Sendung gelöscht – eine
wenig effektive Methode. Unser Ziel: weg von
den Bändern. Deshalb ist es mit der technischen
Umsetzung alleine nicht getan, es bedarf auch
weitreichender Anpassungen bei den Arbeitsabläufen. Die Basis dazu wird das zukünftige
Content-Management-System (CMS) bilden. Ein
CMS in einer modernen Sendeinfrastruktur erfüllt
im Wesentlichen folgende Aufgaben: singuläre
Erfassung von Metadaten, Vermeidung doppelter Handgriffe, weitgehende Automatisierung von
Routinetätigkeiten, ergonomisches Handling.
Es muss offen sein für Weiterentwicklungen im
Rahmen veränderter Programmanforderungen.
Parallel dazu wird die Anbindung an das digitale
Archivsystem (Projekt »DAS II«) realisiert. Bänder ade, Fernsehsendungen werden zu Dateien.
Darin enthalten sind Bilder, Töne und so genannte
Metadaten: Titel, Längen, Beschreibungen, Untertitel, technische Daten.
Der Herbst 2010 steht im Zeichen der Projektphase zwei. Neben dem CMS entstehen zwei
weitere Sendeabwicklungen mit den zugehörigen
Sendebüros der Sendeleitung. Drei weitere Sendeabwicklungen und Sendebüros wie auch das
Multiplex-Compression-Center (MCC) folgen in
der Phase drei, aber darüber berichten wir zu gegebener Zeit. Es gibt noch viel zu tun, wir packen
es an.
Die neue Sendeabwicklung
Havarie und Test, in der Arbeitsabläufe und Schulungsmaßnahmen
durchgeführt werden
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Sendeleitung und einer Projektassistentin. Daran
schließt sich die ganze Kompetenz der fernsehsystemtechnischen Planung, der Netzwerktechnik
und der Montageleitung an. Der Aufbau eines
so komplexen Systems ist nur mit geballtem
Teamwissen zu stemmen. Baumaßnahmen, Montagen, Inbetriebnahmen, Bugfixing, Systeme stabilisieren, Vertrauen schaffen, das ist bislang gut
gelungen.
2010.Jahrbuch