Die richtigen Daten zur richtigen Zeit an die richtige Person

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Die richtigen Daten zur richtigen Zeit an die richtige Person
Energieerzeugung
SPECIAL
Effizientes Datenmanagement in der Kraftwerksindustrie
Die richtigen Daten zur richtigen
Zeit an die richtige Person
DATENMANAGEMENT | Im Rahmen der
deutschen Energiewende spielen moderne
Gaskraftwerke mit ihrem hohen Wirkungsgrad eine sehr wichtige Rolle. Allerdings
wird ein wirtschaftlicher Betrieb durch
die sich ändernden Rahmenbedingungen
für die Kraftwerksbetreiber immer schwieriger. Neben dem Einsatz modernster
Kraftwerkstechnologie trägt ein effizientes
Datenmanagement zum produktiven
Anlagenbetrieb bei.
E
rneuerbare Energieformen werden
kurz- und mittelfristig den global
wachsenden Strombedarf noch
nicht alleine abdecken können. Bis es eines Tages soweit ist, müssen in der Übergangsphase neue Energiekonzepte realisiert werden. Dabei liefern insbesondere
moderne Gaskraftwerke einen wichtigen
Beitrag. Durch die Nutzung von regenerativen Energieformen ändert sich allerdings der Betrieb solcher Kraftwerke. In
Zukunft werden die Gaskraftwerke nicht
mehr zur Abdeckung der Grundlast eingesetzt, sondern vielmehr als Ergänzung
zu den so genannten „Must Runs“. Diese
Kraftwerke werden in Zeiten zugeschaltet, in denen der Energiebedarf nicht
mehr durch regenerative Energieformen
wie Sonne und Wind gedeckt werden
kann. Dies bedeutet wiederum ein
schnelles Hoch- und Herunterfahren der
Gaskraftwerke in nicht planbaren Zeitintervallen. Dabei unterliegen sie enormen Materialanforderungen durch die
auftretenden thermischen Spannungen.
Außerdem wird durch den unplanmäßigen Energiebedarf und wegen der Rolle
als Ergänzungsträger ein wirtschaftlicher Betrieb von Gaskraftwerken immer
schwieriger.
Herausforderung für
kommunale Energieversorger
Kommunale
Energieversorgungsunternehmen stehen vor der großen Herausforderung, den lokalen Energiebedarf von privaten Haushalten und der
Industrie jederzeit problemlos zu bedienen. Gleichzeitig müssen diese Unternehmen bei steigenden Kosten weiterBWK Bd. 65 (2013) Nr. 5
hin wirtschaftlich arbeiten. So auch das
kommunale Energieversorgungs- und
Dienstleistungsunternehmen „Stadtwerke Hannover AG (enercity)“. Das Unternehmen deckt die Grundversorgung von
650 000 Menschen und der lokalen Industrie mit Strom, Gas, Fernwärme und
Trinkwasser ab. Mit etwa 2 500 Mitarbeitern zählt es zu den zehn größten Energieversorgungsunternehmen Deutschlands und betreibt vier Kraftwerke in
und um Hannover. Dazu gehört auch
das Gemeinschaftskraftwerk Linden,
das wegen seiner drei Kesselhäuser mit
den 125 m hohen Schornsteinen innerhalb der Bevölkerung auch als „die drei
warmen Brüder“ bekannt ist. Das Kraftwerk ging 1962 in Betrieb und wurde
mehrfach modernisiert, um veraltete
Technologie auszutauschen und den
Wirkungsgrad zu erhöhen. Im Jahr 1998
wurde mit einer Gasturbine und der alten Dampfturbine aus dem Jahr 1962 die
erste Gas- und Dampfturbinenanlage
(GuD-Anlage) in Betrieb gesetzt. Im Jahr
2011 wurde eine weitere Gasturbine eingebaut und die Dampfturbine gegen eine deutlich größere gemeinsame
Dampfturbine ausgetauscht. Dadurch
werden in einem Jahr 210 000 t CO2 eingespart.
Investition in ein effizientes
Datenmanagement
Durch den Einsatz moderner Technologie, wie etwa solcher hochproduktiven GuD-Anlagen, steigt auch die Datenmenge innerhalb der Kraftwerke an, die
Im Gemeinschaftskraftwerk Linden setzen
die Stadtwerke Hannover neben neuester
Kraftwerkstechnologie auch die innovative, objektorientierte Softwarelösung
Comos für das Anlagenmanagement ein.
es zu verwalten gilt. Deshalb entschloss
sich enercity in ein elektronisches Anlagen- und Dokumentenmanagementsystem zu investieren, um einen noch effizienteren und wirtschaftlicheren Anlagenbetrieb zu ermöglichen. Im Jahr 2009
führte das Unternehmen einen Benchmark von fünf verschiedenen SoftwareProdukten durch. „Wir suchten kein reines Dokumentenablagesystem, sondern
ein intelligentes Datenmanagementsystem, mit dem wir schnell und einfach
die Anlage digital abbilden und weitere
Planungen vornehmen können“, kommentiert David Röbbing, Systemadministrator im Heizkraftwerk Linden die
Software-Anforderungen. Mit dem System sollte die komplette Bestands- und
Neu-Anlagendokumentation verwaltet
werden, wobei die prozessorientierte Dokumentenablage gemäß dem KraftwerkKennzeichensystem (KKS) erfolgt.
Nach intensiver Analyse der fünf ausgewählten Software-Produkte, entschied
sich enercity für die Softwarelösung Comos von Siemens. Diese Software basiert auf einer einheitlichen Datenplattform und verfolgt einen objektorientierten Ansatz. Damit wurde eine lückenlose, konsistente und navigierbare Datenbank zur Abbildung der Bestands- und
Erweiterungsanlage (beginnend mit der
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Energieerzeugung
SPECIAL
Anlagenübersicht
vom Gemeinschaftskraftwerk Linden.
Nach der Festlegung der Datenbankstruktur erfolgte die Eingabe der Daten
und Implementierung der Dokumente.
Bestehende Dokumente in Papierform
wurden gescannt und als digitale Dokumente in den neuen Datenbankstrukturen abgelegt. Lieferanten erhielten definierte Excel-Listen, die entsprechend
den Vorgaben ausgefüllt werden mussten. Danach wurden diese Listen mit
den nach VGB-Standard erarbeiteten Kapitelkarten in Comos abgeglichen. Bei
der Definition der Datenbankstruktur,
der Kapitelkartenentwicklung, dem Datenimport und der Dokumentenmigration unterstützte das Berliner Ingenieurbüro Thielert den Kraftwerksbetreiber.
neuen Gasturbine) realisiert. Das komplette Kraftwerk lässt sich mittlerweile
eins zu eins im aktuellen Ist-Zustand digital abbilden. Als übergeordnetes Anlagenkennzeichensystem wird das KKS in
der Datenbank verwendet. Dokumente,
die mit den Comos-Planungswerkzeugen erstellt wurden, werden nach Kennbuchstaben für Dokumentenartenklassen in Kraftwerken (DCC) benannt.
Fremddokumente erhalten einen bestehenden kraftwerksinternen Dokumentenschlüssel und sind nach DCC- und
KKS-Vorgaben referenziert und auch in
David Röbbing, Systemadministrator im
Heizkraftwerk Linden von enercity: „Bei
den vorliegenden Daten und Dokumenten
haben wir jederzeit die Sicherheit, dass
diese auch den As-Built-Zustand des
Kraftwerks abbilden.“
der zentralen Datenbank abgelegt. Die
Dateneingabe erfolgt über einen automatischen Massenimport in die Dokumenten- und Echtgerätewelt der Datenbank, wo sie mit der Anlagen- und Ortswelt verknüpft werden. Alle verfahrenstechnischen Komponenten besitzen so
genannte Kapitelkarten mit unterschiedlichen Attributen. Diese Attribute
sind gemäß der Richtlinie VGB R171 „Lieferung der technischen Dokumentation
für Kraftwerke“ in der Software implementiert.
Anbindung des kraftwerksspezifischen Informationssystems
Daneben hat der Kraftwerksbetreiber
schon vor einigen Jahren damit begonnen, ein spezifisches Informationssystem für die Mitarbeiter im Kraftwerk
Linden aufzubauen. Der Hintergrund für
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diese Maßnahme war primär der Erhalt
und die bessere Nutzung des vorhandenen Mitarbeiter-Know-hows. Das Informations-System basiert auf einer
Oracle-Datenbank mit einer aufgesetzten Forum-Anwendung. Im System sind
unterschiedlichste Ereignisse, wie etwa
Alarmmeldungen und deren Behandlung, abgelegt. Mittlerweile beinhaltet
dieses so genannte elektronische
Schichtbuch über 145 000 Einträge, auf
die Mitarbeiter über Freitextsuche zugreifen können. Das Informationssystem ist zudem mit der Softwarelösung
über eine Schnittstelle verknüpft.
Dadurch können
die
Mitarbeiter
bei Bedarf recht
schnell
weitere
Informationen zu
in Comos abgelegten Objekten
bzw. Anlagenbauteilen
aufrufen
und somit wesentlich schnellere und
bessere Entscheidungen treffen.
Kundenspezifische Anpassung
und Datenimplementierung
Bevor im Kraftwerk Linden mit der
Datenimplementierung der Anlagendokumentation begonnen wurde, entwickelten die zuständigen Mitarbeiter
gemeinsam ein Konzept für das spätere
Dokumentenmanagement-System. Dabei definierten sie eine Grundstruktur,
auf die dann die Standard-Softwarelösung kundenspezifisch angepasst wurde. „Ein großer Vorteil von Comos ist,
dass die Software flexibel an die gegebenen Arbeitsprozesse angepasst wird und
nicht umgekehrt, wie es sonst bei anderen Software-Produkten üblich ist“, beschreibt Systemadministrator Röbbing
die Softwareanpassung.
In die Datenbank wurden Blockdiagramme, Verfahren-Schemata, Rohrleitungs- und Instrumenten (R&I)-Schemata, Lagepläne, Freischaltpläne, SingleLine-Pläne, Regelschemata, das Brandmeldeanlagesystem, Daten von Aggregaten (z. B. Armaturen, Pumpen und Behälter) und diverse weitere Dokumente implementiert. So wurden beispielsweise
für die neue GuD-Anlage alleine 400
A4-Ordner mit rund 300 000 Dokumenten integriert. Die Datenmenge hierfür
beläuft sich auf insgesamt 500 GB. Trotz
der enormen Datenmenge kann aufgrund der leistungsstarken Software
schnell und einfach mit den Daten gearbeitet werden. So können zum Beispiel
Schaltanlagen je nach Informationsbedarf dargestellt und weitere Informationen darüber angezeigt werden: wie
etwa der Ort der Teilanlage, Stromlaufpläne, Schaltschrankansicht und -pläne.
Die Mitarbeiter im Kraftwerk Linden
erhalten somit sehr schnell und mit wenigen Klicks die gewünschten Informationen. Dadurch können sie sich mehr
auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren, anstelle durch Suchaktionen
wertvolle Zeit zu verlieren. „Bei den vorliegenden Daten und Dokumenten haben
wir jederzeit die Sicherheit, dass diese
auch den As-Built-Zustand des Kraftwerks abbilden“, beschreibt Röbbing einen weiteren Vorteil der Softwarelösung.
Neben der Nutzung als Dokumentenmanagementsystem wird Comos auch
für die Projekt- und Anlagenplanung verwendet. Dies hat den Vorteil, dass Bearbeitungen und Informations-Exporte in
nur einem System erfolgen müssen und
mehrgleisige Nutzerschulungen entfallen. Es war lediglich eine zweitägige Intensivschulung der Nutzer notwendig,
um mit der Software erfolgreich zu arbeiten.
i
www.siemens.com/comos
BWK Bd. 65 (2013) Nr. 5
© Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf 2013
Gefüllte Datenbank, einfache
Navigation und viele Vorteile