ExPERTENTREFFEN ZUM „TURM VoN HANoI
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ExPERTENTREFFEN ZUM „TURM VoN HANoI
profile Édouard Lucas (1842-1891) 3 Expertentreffen zum „Turm von Hanoi“ Mehr als mathematische Knobelei MUM 02 | 2009 14 Es sieht aus wie ein simples Kinderspiel: Drei Holzstäbe auf einem Brett und dazu unterschiedlich große gelochte Scheiben, die der Reihe nach aufgesteckt werden können. Was in fast jedem Kinderzimmer als einfache Steckpyramide im Regal steht, ist aber tatsächlich eine mathematische Meisterleistung aus dem Jahr 1883. Wissenschaftler weltweit versuchen noch immer ungelösten Rätseln auf die Spur zu kommen, die mit dem so genannten „Turm von Hanoi“ zusammenhängen. Bei diesem muss der Holzscheiben-Turm in mehreren Zügen vom ersten auf den dritten Stab versetzt werden. Allerdings ist folgende Regel stets zu berücksichtigen – es darf nie eine größere auf einer kleineren Scheibe liegen. Passend zum Spiel existiert eine spannende Geschichte. Sie handelt von indischen Mönchen, die im großen Tempel von Benares – dem Mittelpunkt der Welt – einen Turm aus 64 goldenen Scheiben versetzen müssen. Sobald sie dies geschafft haben, sei das Ende der Welt gekommen. Da dieser vorhergesagte Untergang noch auf sich warten lässt, ist des Rätsels Lösung anscheinend doch schwieriger als gedacht. Und genau deshalb beschäftigen sich schon seit Jahren Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen aus aller Welt mit dem Phänomen des „Turms von Hanoi“. Vom 5. bis zum 8. Februar 2009 kamen etwa 40 von ihnen in Paris zusammen, um Kontakte zu knüpfen und die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben. Der Titel der Veranstaltung: „La Tour d´Hanoï, un casse-tête mathématique d´Édouard Lucas (18421891)“. Einer der Initiatoren des Pariser Symposiums ist Andreas M. Hinz. Er lehrt an der LMU und an der Fernuniversität in Hagen Mathematik. Seit 20 Jahren, gerade als er seinen ersten Computer zuhause installiert bekam und zufällig im „Scientific American“ einen Artikel über den „Turm von Hanoi“ entdeckte, beschäftigt er sich mit der Thematik. Ihn lassen die ungelösten mathematischen Probleme förmlich nicht mehr los. Sind drei Stangen die Ausgangsbasis für das Spiel und benötigt man für einen Zug etwa eine Sekunde, so kommt man laut ermittelter Minimalzahl an Zügen auf fünf Milliarden Jahrhunderte Stapelarbeit. So viel Zeit wäre notwendig, um den Turm regelkonform von ganz links nach ganz rechts zu versetzen. „Die offenen mathematischen Fragen beginnen erst bei vier Stangen, wo die minimale Zugzahl unbekannt ist, man aber weiß, dass sie kleiner als 18.434 ist, und die Lösung daher weniger als sechs Stunden benötigt“, erklärt Hinz. Das zunächst scheinbar triviale Denkspiel mit dem außergewöhnlichen Namen hat sich der französische Zahlentheoretiker Édouard Lucas im November 1883 einfallen lassen. Dem Spiel liegt das Binärsystem zugrunde, welches auf den Zahlen 0 und 1 beruht und heute die Basis für jeden Computer ist. „Lucas war damit seiner Zeit weit voraus“, erklärt Hinz. Neben der Minimalzahl von Zügen sind auch noch weitere mathematische Aspekte in den Bereichen Zahlen- und Graphentheorie, endliche Automaten, quadratfreie Folgen oder Kombinatorik ungelöst. Doch am Turm von Hanoi sind längst nicht mehr nur die Mathematiker interessiert, sondern auch Wissenschaftshistoriker und vor allem Hirnforscher. Schon seit vielen Jahren wird das Denkspiel in der Kognitiven Neurologie eingesetzt. Unter anderem durch die Arbeiten des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Herbert A. Simon (1916-2001) hat sich die scheinbare Spielerei fest in der Psychologie des Planens und Problemlösens etabliert und wird seit Längerem intensiv erforscht. Eng zusammen arbeiten deshalb auch Andreas M. Hinz und der Professor für Kognitive Neurologie an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der LMU, Adrian Danek. Gemeinsam haben sie ein Computerprogramm entwickelt, mit dem Patienten den „Turm von Hanoi“ zu wissenschaftlichen Zwecken spielen können. Vom Krankenbett aus werden die Scheiben mittels eines digitalen Stiftes auf einem PC-Bildschirm gerückt. Besonders bei Verletzungen des Stirnlappens findet das Verfahren Anwendung. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Welche Strategien verwenden Menschen, um vom Ausgangspunkt zum Ziel zu kommen? Wie viel Zeit benötigen sie dafür und welche einzelnen Schritte werden in welcher Reihenfolge gemacht? Welche Unterschiede gibt es zu gesunden Probanden? Dabei spielt das Kurzzeitgedächtnis eine Rolle und die Fähigkeit, vorauszudenken. dem Jahr 1883. nur angebahnte Kontakte. Lucas´ Vermächtnis wird nun auf Initiative der deutschen Forschergruppe um Adrian Danek, Andreas M. Hinz und Dr. Florence Gauzy von der Bayerischen Forschungsallianz auf Papier gedruckt. Im Springer-Verlag soll noch dieses Jahr ein Buch zum „Turm von Hanoi“ erscheinen, das gesammeltes Wissen, verschiedene Perspektiven und Ansätze von Spezialisten mehrerer Fächer vereint. n hei „Für uns ist dabei der funktionelle Gedanke ebenso spannend: Welche Hirnregionen werden aktiv und in welchem Maße?“, sagt Adrian Danek. Mit dem Computerprogramm sind genaue Messungen möglich. Zudem kann mit ihm die Problemlöse-Struktur dokumentiert und analysiert werden. In den letzten Jahren wurden dadurch viele interessante Forschungsergebnisse zu Tage befördert. So haben etwa Schachspieler – anders als zunächst vermutet – beim „Turm von Hanoi“ keine besseren Karten. Soll heißen, sie brauchen für die Lösung genau so viel Zeit wie Nichtschachspieler. Eine weitere Untersuchung befasste sich mit Vietnamveteranen mit Hirnverletzungen und der Frage, inwieweit deren Problemlösungsverhalten gestört ist. Das Pariser Symposium bediente noch einen weiteren interessanten Forschungsansatz – den der Wissenschaftshistoriker: „Die weitgehend unbekannte Biographie von Lucas, einem Mathematiker, der durchaus an den Ereignissen der Zeit wie der Kolonialdebatte teil hatte und zugleich am Rande der wissenschaftlichen Netzwerke wirkte, wurde ebenfalls thematisiert“, erklärt Adrian Danek. Finanziell ermöglicht wurde das Symposium von der Deutsch-Französischen Hochschule, dem Institutionellen Kooperationsprogramm Bayern-Québec/Kanada/ International in der Bayerischen Forschungsallianz und von der Münchener Universitätsgesellschaft. Durch die Unterstützung der Société mathématique de France konnte die Tagung im traditionsreichen Institut Henri Poincaré stattfinden, das sich seit 1928 der französischen Forschung in Mathematik und Theoretischer Physik widmet. Ergebnisse der Zusammenkunft sind jedoch nicht Mittlerweile gibt es zum Turm von Hanoi mehrere Folgeversionen: • Turm von London: Dabei befinden sich auf einem Spielbrett 3 unterschiedlich lange vertikale Stäbe, auf die 3 Kugeln gleicher Größe und verschiedener Farbe aufgesteckt sind. Von der Startposition ausgehend soll mit möglichst wenigen, nur einzeln erlaubten Zügen ein neues Muster erreicht werden, was je nach Endposition eine unterschiedliche Zahl von Kugelbewegungen erfordert. • Turm von Toronto: Eine zum klassischen Turm von Hanoi mathematisch gleichwertige Variante, bei der die Scheiben nicht durch ihre Größe, sondern durch Farbabstufungen unterschieden sind. profile 15 MUM 02 | 2009 7 Das Deckelbild des originalen Spiels „La Tour d‘Hanoï “ aus ausgabe 02 • 2009 MünchnerUni Magazin zeitschrift der ludwig·maximilians·universität münchen essay wer baut uns jetzt die Arche ? Profile Profile Die uni für unterwegs dem inneren baumeister auf der spur Sichere ausbildung für Eltern Innig verbunden von anfang an Profile globale geistesblitze v f 6 mum AUSGABE 02 | 2009 ■ news 3meldungen ■ titel 6 innig verbunden von anfang an sichere ausbildung für eltern ■ essay 10 Wer baut uns jetzt die Arche? Ein utopischer blick auf unser zeitalter der katastrophe ■ profile Mehr als mathematische Knobelei Expertentreffen zum „Turm von Hanoi“ LMu on itunes u i n h a lt Sichere ausbildung für eltern 14 18 dem inneren baumeister auf der spur 5 Alexander von Humboldt-Professuren an der lmu 20 Jenseits des kulturellen rauschens geophysikalisches observatorium der Lmu 16Die uni für unterwegs 22bmlo – Im netz spielt die Musik 18 Bayerisches Musiker-lexikon online 24Die zukunft (er)zählt alexander von Humboldt-professuren an der lmu dem inneren baumeister auf der Spur Advanced investigator grants für lmu-forscher bode und knochel 26Globale geistesblitze Internationales Kolleg für Umweltforschung 28Durchstrukturiert zum Doktor LMU Academic Career Program 24 30Die vielfalt muss erhalten bleiben ehrendoktorwürde für Herzog franz von bayern ■ alumni 32Ausgezeichnet von freunden advanced investigator grants für LMU-forscher bode und knochel die zukunft (er)zählt ■ menschen Die Meldungen über mangelnden Ingenieurnachwuchs, das Schattendasein der Naturwissenschaften in der Schule oder über die schwach besiedelte Techniker-Landschaft in Deutschland reißen nicht ab. Jüngst forderte Bundesbildungsministerin Annette Schavan, Ingenieure für den Trischler (Deutsches Museum) das Projekt. Sie haben sich vorgenommen, über „Natur als kulturelle Herausforderung“ zu forschen und dabei ein breites Spektrum an Wissenschaftsdisziplinen einzubeziehen. Neben der Kerndisziplin der Geschichtswissenschaft unter anderem auch Politologie, Soziologie, Theologie, Amerikanistik, Ethnologie, Regionalstudien sowie Natur- und Ingenieurwis- neuberufen 37 preise & ehrungen 41 verstorben ■ service 42 PROFILE internationales kolleg für umweltforschung globale geistesblitze 34 tipps & termine 27 ■ impressum Ab dem 1. August wird es konkret. Gleich in der Auftaktwoche wird das „Rachel Carson Center“ auf dem World Congress for Environmental History in Kopen- MUM 02 | 2009 26 INTERNATIONALES KOLLEG FÜR UMWELTFORSCHUNG GLOBALE GEISTESBLITZE Preise und stipendien von alumni-vereinen MUM 02 | 2009 Innig verbunden von Anfang an ■89. Deutscher Juristen- Die Münchner Philharmoniker geben im Sommersemester wieder ein Konzert exklusiv für Studierende und Mitarbeiter der Universität. Das vierte „Uni-Konzert“ findet am Dienstag, 5. Mai, um 20.00 Uhr statt. Auf dem Programm stehen „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas, Sergej Prokofjews Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 g-Moll op.63 sowie Modest Mussorgskijs „Bilder einer Ausstellung“ (Instrumentierung: Maurice Ravel). Für das Uni-Konzert in der Philharmonie gibt es Karten zum ermäßigten Preis von 10 Euro bei München Ticket unter Tel.: 01 80 / 548 18 10 oder im Internet unter www.muenchenticket.de. Jeder Besucher darf pro Mitarbeiterausweis eine Karte erwerben. Begleitpersonen, die keinen Studenten- oder LMUDienstausweis besitzen, können im Vorverkauf und an der Abendkasse Karten mit Aufpreis erwerben. Fakultätentag in München Am 11. und 12. Juni 2009 findet der 89. Deutsche Juristen-Fakultätentag in München statt. Dekane der Juristischen Fakultäten unter anderem aus Deutschland, Österreich und anderen Mitgliedstaaten der EU sowie Vertreter der Justizministerien, der anwaltlichen Ständeorganisationen, der Hochschulrektorenkonferenz und der Deutschen Forschungsgemeinschaft kommen hier zusammen, um über rechts- und hochschulpolitische Fragen zu beraten. Im Fokus stehen unter anderem die Qualitätssicherung in der Juristenausbildung oder die Gründung von Law Schools. Den Vorsitz führt Professor Peter M. Huber vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie der LMU. service ■Uni-Konzert der Philharmoniker MUM 02 | 2009 44 7 Am 5. Mai findet das vierte „Uni-Konzert“ der Münchner Philharmoniker statt. impressum Herausgeber Präsidium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Redaktion Kommunikation und Presse LMU Luise Dirscherl (dir) (Chefredaktion), Clemens Grosse (cg) (stellv. Chefredaktion), Anja Burkel (ajb) Mitarbeiter dieser Ausgabe Katrin Gröschel (kat), Cindy Heinkel (hei), Eva Kittel (ki), Marcus Simon (ms), Susanne Wedlich (suwe) Onlineredaktion Thomas Pinter (thp) Bildredaktion Christoph Olesinski Redaktionsadresse Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München Tel.: +49 (0) 89 21 80-34 23 Fax: +49 (0) 89 33 82 97 [email protected] www.lmu.de/presse/mum Designkonzept und Layout HAAK & NAKAt [www.haak-nakat.de] Distribution Kommunikation und Presse LMU: Mathias Schiener Anzeigen Alpha Informationsgesellschaft mbH Finkenstraße 10 68623 Lampertheim Tel.: + 49 (0) 62 06 / 939-0 ISSN 0940-0141 Titelgrafik: [www.haak-nakat.de] Umschlagfoto: Marcus Lechner (Werkstatt 15) Fotos im Heft: Christoph Olesinski/Friedrich Schmidt (S. 3); Karl-Heinz Brisch/ SAFE (S. 7); Archiv (S. 14/15); Humboldt-Stiftung/Ulrike Gaul (S.19); Joachim Wassermann/Geophysikalisches Observatorium (S. 20/21); Paula-Irene Villa (S. 35); Therese von Bayern-Stiftung (S. 40); Bayerische Staatsbibliothek (S. 43); Münchner Philharmoniker (S. 44) Alle weiteren Bilder: LMU bzw. 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