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PRAXIS | 02/2015
Die Markenpersönlichkeit gestalten im
Spannungsfeld von Kontinuität und Flexibilität
am Beispiel Germany’s next Topmodel
Erich Posselt
Geschäftsführer Erich Posselt
Brand Coach und Initiator
Forum Markentechnik,
Frankfurt/Main
✉ [email protected]
Schlagworte:
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Alle sprechen vom Wandel in der Markenführung. Das Fernsehen ist nach
wie vor ein wichtiger Schauplatz für Markenhersteller und zusammen mit
dem Internet Leitmedium für junge Konsumenten. Die Veränderung von sich
einsam abgrenzenden Marken hin zu Markengemeinschaften, die ihrer
Community ein gemeinsames Thema antragen, lässt sich am Beispiel der
Sendung Germany’s next Topmodel sehr gut nachvollziehen. Im Mittelpunkt
steht nicht mehr die Konkurrenz der Marken untereinander, sondern ein
kooperatives Konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Publikums.
� Markeninszenierung � Markenpersönlichkeit � Markengemeinschaft
Einleitung
Marken sind als Bestandteil unserer Wirtschafts- und Kon­
sumkultur nicht mehr wegzudenken. In einem überbordenden Warenangebot sorgen Marken für Orientierung und
Ver­trauen. Sie signalisieren Qualität und Status. Doch werden diese Funktionen durch das zunehmende Angebot an
Marken herausgefordert. Eine wachsende Markengemein­
schaft marginalisiert die Differenzierungsbemühungen der
einzelnen Marke. Gleichzeitig verändern sich nicht nur die
Gewohnheiten des Konsums, sondern auch die Techniken
der Konsumenten. Marken sind längst nicht mehr bloße
Leuchttürme, die ein einsames Dasein fristen. Sie sind vielmehr wie Lagerfeuer, um die sich Menschen gesellen und
dabei ihre Geschichten und Erfahrungen austauschen. Mar­
ken sind Attraktionspunkt und Bestandteil einer Gemein­
schaft, sie stiften Nutzen und Beziehungen. Marken sind
also auch eine kulturelle Leistung.
Damit hat das monokausale Markenmanagement früherer
Tage – hier die Deutungshoheit des Unternehmens als Sen­
der, dort die gläubige Zielgruppe als Empfänger – ausgedient. An seine Stelle tritt die soziokulturelle Verhand­lung,
bei der sich Unternehmen, Marke, Konsumenten und Öf­fent­
lichkeit auf Augenhöhe begegnen. Marken sind also zum
Bestandteil des Alltags geworden. Als solche stiften sie Sinn
und Kultur. Bei Red Bull zum Beispiel geht es nur nachgelagert um das Getränk. Biken, Motorsport, Musik, Games, eSports und Adventure sind Ausdruck der eigentlichen Mar­
ken­idee geworden: Körper und Geist zu beleben. Die Wahl
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einer Schönheitskönigin ist zwar noch immer Ziel und
Höhepunkt der Sendung „Germany’s next Topmodel by
Heidi Klum“, jedoch ist aus der Sendung selbst eine Marke
geworden, die das Thema „Schönheit“ über die Ausstrah­
lung hinaus beeinflusst.
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Die Sendung als Marke
Dominique Moïsi, französischer Politikwissenschaftler,
Autor und Publizist, schreibt in seinem Artikel über die
Bedeutung und den Erfolg solcher Fernsehformate: „Die
heutigen Fernsehprogramme haben sich zu einem Äqui­valent
der Feuilletons entwickelt, die ab dem 19. Jahrhundert in den
Abstract
Everybody is talking about change in brand management.
Television remains an important arena for brand makers
and, together with the internet, the lead medium for young
consumers. The change from brands defined in isolation to
brand communities, which offer a community a common
theme, can very well be understood, for example, from the
reality show Germany’s Next Topmodel. The focal point is
no longer competition between brands, but a cooperative
competition for the public’s attention.
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Zeitungen erschienen. Serien wie „Game of Thrones“ und
„Downton Abbey“ dienen wie Balzac und Dickens vor ihnen als Quelle der Unterhaltung und als Diskussionsstoff.“
(Moïsi 2015). Er betrachtet aktuelle Formate in der
Tradition dessen, was wir heute als Klassiker und Bestand­
teil unserer Hochkultur bezeichnen. Weiter führt er aus:
„Natürlich wurzelt die Verfügbarkeit derartiger Vergleiche
in etwas, das häufig die Popularität einer Fernsehserie mit
ausmacht: ihrer Fähigkeit, einer Gesellschaft den Spiegel
vorzuhalten – ihre Ängste und Sehnsüchte widerzuspiegeln
– und ein Fenster zu schaffen, durch das Außenstehende einen Blick hinein erhaschen können.“ (Moïsi 2015).
Martina Hildebrandt, Senior Product Managerin bei Pro­
Sieben, beschreibt das Wesen der Marke „Germany´s next
Topmodel (GNTM)“ wie folgt: „Ger­many‘s next Topmodel
ist aktuell das einzige Modelformat im deutschen Fern­
sehen. Germany‘s next Topmodel ist emotional, sexy, provokant, spannend, humorvoll, authentisch und glamourös.
Germany‘s next Topmodel bringt Lifestyle und Trends zu
den Zuschauern nach Hause und ist Talk of Town – über
1,05 Million Likes auf Facebook.“ (persönliches Interview
mit dem Autor).
Die Castingshow im Reality-TV-Format des Privatsenders
ProSieben läuft nun im zehnten Jahr. Mit durchschnittlich
1,25 Millionen Zu­schauern und einem Marktanteil von 20,2
Prozent bei den Frauen von 14 bis 49 Jahren (SevenOne
Media 2014) gehört die Sendung zu den erfolgreichsten ihrer Kategorie. Die Sendung wird von Heidi Klum moderiert
und ist ein Ableger des amerikanischen Next TopmodelKonzepts, kreiert von Supermodel Tyra Banks.
Ziel der Sendung ist es, Deutschlands nächstes Topmodel
zu finden. Dazu wird aus allen Bewerberinnen für eine Staf­
fel eine zweistellige Anzahl von Kandidatinnen ausgewählt.
Die Model-Aspirantinnen treten in speziellen Auf­
gaben
(„Challenges“) gegeneinander an, um „Jobs“ (Buchungen
für den Laufsteg eines Designers oder für Wer­be­aufnah­
men) oder Preise zu ergattern. In jeder Sendung findet außerdem ein „Shooting“ (Fotoaufnahmen) unter einem ungewöhnlichen Motto statt. Die Jurymitglieder sind gleichzeitig die Coaches der Kandidatinnen. In einer Finalshow mit
den letzten drei Kandidatinnen kürt die Jury die Siegerin.
Neben Geld- und Sachpreisen erhält sie einen Vertrag bei
der Klum-Modelagentur OneEins.
Dabei geht es um weit mehr als „nur“ triviale Unterhaltung.
Die Sendung bietet Kommunikationsmöglichkeiten zur In­ter­
aktion mit anderen. Den Zuschauern geht es darum, sich mitzufreuen, wenn der eigene Favorit seine Sache gut gemacht
hat und zu sehen, ob man mit der eigenen Ein­schätzung der
Kandidatinnen richtig lag. Es geht darum, schöne Menschen
zu sehen und um das Vergnügen, deren Inszenierung mit zu
verfolgen. Aus dem Ursprungs­gedan­ken „Wer ist die Schönste
im ganzen Land?“ hat sich über die Zeit ein lebendiger
Ideenorganismus entwickelt, der die Menschen um sich herum zu einer geordneten Masse formiert. Das anfangs noch
heterogene Publikum hat sich zu einer klar umrissenen
Anhängerschaft verdichtet. Die Marke hat Gestalt angenommen. Darüber hinaus bietet sie ihren Werbepartnern
eine integrierte, fast schon gemeinschaftliche Kooperation
an, um das Thema insgesamt dem Lebensalltag der Ziel­
grup­pen näher zu bringen. Daraus ergeben sich die folgenden beiden Thesen:
(1)
(2)
Über die Wahrnehmung von Verlässlichkeit, Aktuali­
tät und Kreativität einer Marke entscheidet die Art
der Inszenierung. Grundlage ist eine klassische Mar­
ken­bildung mit dem Ergebnis einer Marken­persön­
lichkeit.
Wo Marken innerhalb einer Produktkategorie miteinander konkurrieren, ergeben sich in der gemeinschaftlichen Bearbeitung eines Themas für Marken
unterschiedlicher Produktkategorien Synergieeffekte.
Die Basis dafür ist ein gemeinsamer Repräsentant.
2.1 Die Gestaltung der Markenpersönlichkeit
Dem deutschen Universalgelehrten, Juristen, Mathematiker
und Philosophen, Christian Wolff (1679–1754) zufolge
stellt die Gestalt die Einkleidung eines Gedankens dar. Er
kann in verschiedenen Inszenierungen verarbeitet werden,
sei es in Form eines Gedichtes oder eines Dramas. Gleiches
gilt für die Sphäre der Konsumkultur. Das Thema „Schön­
heit“ zum Beispiel kann in ganz unterschiedlichen Produkt­
gestalten Ausdruck finden, sei es als Anti-Gravity Firming
Lift Cream oder als Castingshow. In der Konsumkultur
spricht man anstatt von „Lifestyle“ und „Luxus“ von Schön­
heit. Das verkauft sich besser.
Jedenfalls kommt die moderne Form des Dramas heute in
der Gestalt einer Reality-Soap daher. Ihre Inszenierung unterliegt festgelegten Regeln und Ritualen, die zur charakteristischen Erscheinungsform der Sendung gehören. Die
Sendung bietet durch eine Mixtur aus Comedy, Soap und
Elementen des Musikfernsehens Unterhaltung für ein sehr
breites und heterogenes Publikum. Die Identifikations- und
Aneignungsflächen der Sendung führen zu zahlreichen
Gesprächen in der Familie, auf den Schulhöfen, in Büros
und auf als Small-Talk-Thema auf Partys.
Zentrales Element der Castingshow „Germany’s next
Topmodel by Heidi Klum“ ist, wie der Name schon nahelegt, Heidi Klum. Selbst schon zur Markenpersönlichkeit
geworden, verleiht sie dem Format Bekanntheit und Bedeu­
tung. „Bei keiner anderen Castingshow bekommt der Zu­
schauer so intime Einblicke in das Leben eines Super­stars
wie bei Heidi Klum.“, erklärt Martina Hildebrandt von
ProSieben im Interview mit dem Autor. Sie ist Model,
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Abb. 1: Germany’s next Topmodel by Heidi Klum 2006
Quelle: Eigene Abbildung.
Werbegesicht für bekannte Beauty- und Fashion-Labels, sie
moderiert diverse Shows, tritt als Schauspielerin und als
Sängerin in Erscheinung. Unter ihrem Namen verkaufen
sich Düfte und Babykleidung. Sie ist Grundlage für den
Kosmos rund um das Thema „Schönheit“. Ihre Karriere von
dem Mädchen aus Bergisch Gladbach, selbst beim Casting
entdeckt, hin zum internationalen Topmodel, steht für das
Versprechen, das Kandidatinnen und Publikum eint: Der
Mädchentraum, einmal hübsch, beliebt und berühmt zu sein.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Konzepts ist die Jury.
In allen Staffeln, geleitet von Heidi Klum, wird sie ergänzt
durch zwei weitere Jurymitglieder, die im Laufe der Jahre
immer wieder ausgewechselt wurden, jedoch stets aus dem
Modell- bzw. Modebusiness stammten. Sie dienen als objektive moralische Instanz. Sie sind gleichzeitig Richter und
Coach der Kandidatinnen. Kritik, Kommentare, Schwer­
punkte und am Ende das Auswahlverfahren obliegen der
Jury. Sie gibt den Kandidatinnen Tipps, sie provoziert und
steht in strittigen Situationen als Autorität bereit. Damit ermöglicht die Jury dem Publikum, an den gezielten Provo­
kationen teilzuhaben und gleichzeitig in Distanz zu ihnen zu
treten. Dem Publikum ist es möglich, die moralischen Grenz­
überschreitungen ohne negative Konsequenzen zu genießen.
Zusätzlich schafft die Belustigung über Herabwürdi­gungen
und Beleidigungen sowie das „Ablästern“ über Kan­di­daten
eine Distanz, von der aus die dargestellten Provo­kationen die
eigene Lebenswelt nicht bedrohen. Damit ist es für das
Publikum möglich, über Beleidigungen zu lachen und sich –
im Bewusstsein der immanenten moralischen Grenz­verlet­
zung des Gezeigten – mit den eigenen Grenzen auseinanderzusetzen (Luenenbort/Toepper 2011).
Schließlich sind die Kandidatinnen selbst natürlich wesentlicher Bestandteil der Inszenierung. Sie werden in der aktuellen Staffel in sogenannten „live castings“ in verschiedenen Städten Deutschlands ausgewählt. Für Klum kommt es
besonders auf die „Größe, die Maße und das Gesicht“ der
Mädchen an, wie sie in einem ProSieben-Interview sagte.
„Und auf das gewisse Etwas“, das sich nicht in Worte fassen lasse (Kalfat 2015). Wichtig scheint auch, dass die
Kandidatinnen von Beginn an einen Durchschnitt der Ziel­
gruppe repräsentieren. In Live-Castings werden sie inzwischen in verschiedenen Stationen in Deutschland „gecastet“. Die Sendung verlässt damit den Bildschirm und wird
von einem Massen­publikum hautnah erlebbar. Die Grenzen
zwischen medial und non-medial, zwischen fiktional und
real verschwimmen bzw. werden dadurch aufgehoben. Das
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Markenerlebnis wird nicht nur multimedial, sondern gleichfalls multisenusal. Zum Beispiel, wenn die Juroren auf dem
Marktplatz gleichsam wie Rockstars aus dem Tourbus aussteigen, um ein Bad in der Menge zu nehmen und Auto­
gramme zu geben.
Die schließlich für die Show ausgewählten Kandidatinnen
werden auf das Modelbusiness vorbereitet. Auf dieser
Heldenreise müssen sie die unterschiedlichsten Abenteuer
bestehen, Grenzen überwinden und sich durchsetzen. Das
Publikum verfolgt dies an den Bildschirmen. Sie fiebern
mit und identifizieren sich mit den Protagonisten. In der
Entwicklung der Kandidatinnen spielen die Beziehungen
untereinander eine elementare Rolle. Von Beginn an werden
Charaktere eingeführt und etabliert. Dies verleiht der Show
ihren Soap Charakter (Keppler 2010). Ein Hintergrund­
skript der Produzenten legt dabei Charaktere und narrative
Strukturen fest. Die Kandidatinnen fungieren als Serien­
figuren und erfahren im Verlauf der Sendung eine Stereo­
typisierung, die für Wiedererkennbarkeit und Differenzier­
barkeit innerhalb des Kandidatenkreises sorgt (Mikat 2010).
So können sie als Projektionsfläche und Identifikations­
figuren dienen. Grenzerfahrung, Leistungsdruck und Kon­
flikte werden dabei bewusst in Szene gesetzt.
Zum Start der Sendung im Jahr 2006 waren die Rollen zwischen TV-Sendung, Werbepartner und Zielgruppe noch klar
getrennt (� Abbil­dung 1). Die Platzierung der Werbung fand
im Umfeld der Sendung statt. Lediglich ausgewählte Partner
tauchten als potenzielle Auftraggeber während der Sendung
auf.
Das Spiel mit Bedeutungen, Inhalten und Formen hat Tra­
dition. Schon der Dichter, Philosoph und Historiker Friedrich
Schiller (1759–1805) erkennt in der Gestalt das ästhetische
Spiel, in dem sich die beiden Grundtriebe des Menschen, der
sinnliche Trieb und der Formtrieb, vereinen, so dass aus dem
Gegenstand eine lebende Gestalt wird. Dies gilt ebenso für
Marken. Neben dem Produkt spielt die Kommunikation über
das Produkt in der Konsumkultur eine entscheidende Rolle.
Dabei umfasst der Begriff Kommunikation nicht nur die
schriftliche oder bildliche Kommunikation, sondern auch das
Erleben der Marke sowie das Teilen des Erlebten – zum
Beispiel in sozialen Netzwerken. Die öffentlich ausgestellten
Provokationen werden im Rahmen der Alltagsgespräche über
die Sendungen in den Bereich des Privaten überführt, der an
die diskursive Struktur des Klatsches anschließt. So tragen die
medial erzählten Grenzverletzungen der Show dazu bei, dass
sich das Publikum der gemeinsamen Regeln und Normen vergewissert: Was gilt als peinlich? Was ist gewagt und mutig?
Diskurse des Reality-TV bieten somit den Raum zur beständigen Neuverhandlung gesellschaftlicher Normen und Werte.
Sinn und Form müssen in einem einheitlichen Markenerlebnis
zusammenspielen. Ziel ist es, dem Thema – in unserem
Beispiel der Schönheit – eine lebendige Gestalt zu verleihen.
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Im Idealfall wird die Gestalt zum Repräsentanten des Themas.
Diese Repräsentationsfunktion ermöglicht es, die Fläche zur
ökonomischen Nutzung durch Dritte anzubieten.
2.2 Die Markenplattform
Die Sendung Germany’s next Topmodel hat sich im Laufe
der letzten zehn Jahre sowohl zu einer Marke entwickelt als
auch zu einem Repräsentanten des Themas „Schönheit“ in
der weiblichen Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren. Erwachsen
ist ein Ideenorganismus, der Menschen um sich herum zu einer geordneten Masse formiert. Zur Stellung in der Psyche
der Kundschaft hat die offensive crossmediale Vermarktung
provokativer Szenen beigetragen, die in sendereigenen
Magazinen wiederholt und in Printmedien aufgegriffen werden. Dies schafft erfolgreich hohe Aufmerksamkeit und
macht die Sendungen zum alltäglichen Gesprächsthema.
Gerade diese Anschlusskommunikation stellt einen besonderen Reiz für Werbetreibende dar.
„Die Sendung bietet ein optimales Umfeld zur Marken­posi­
tio­nierung und zum Abverkauf für die Branchen Lifestyle und
Luxusprodukte. Die Sendung ist attraktives, hochwertiges
Wer­be­umfeld und ein Garant für Imagetransfer, Markenauf­
bau und Markenstärkung.“, so Martina Hildebrandt (persönliches Interview mit dem Autor). Dabei hat sich die Sendung
im Lauf der Jahre vom bloßen Werbeumfeld für klassische
TV-Spots und Sponsoring zu einer Markenplattform entwickelt, die es der Kundschaft ermöglicht, Bestandteil der Sen­
dung zu werden. „Die Möglichkeiten der Sonderwerbeformen
werden im Rahmen des rechtlich Zulässigen den Werbe­kun­
den angeboten und mit ihnen entwickelt“, beschreibt Petra
Dandl, Senior Redakteurin PR Entertainment bei ProSieben­
Sat.1, das Vorgehen. „Die Integration gelingt bei Germany’s
next Topmodel besonders gut, da in dem Format die typische
Modelwelt abgebildet wird und dazu gehören die unterschiedlichsten Formen der Zusammenarbeit mit einem
Werbetreibenden“, so Dandl weiter (persönliches Interview
mit dem Autor). Die Grenzen zwischen Markenplattform
(GNTM), Markenpartnern (Werbetreibende) und den Dialog­
gruppen verschmelzen (� Abbil­dung 2).
Der Reality-Soap Charakter der Sendung unterstützt die
Repräsentationsfunktion des Sujets Schönheit zusätzlich.
Das ist wichtige Voraussetzung zur Integration der Werbe­
partner in die Story. Nur indem die Zielgruppe Germany’s
next Topmodel als glaubwürdigen Vertreter der Wertevor­
stellung Schönheit akzeptiert, ist es Werbepartnern möglich,
davon zu profitieren. Die Integrationsmöglichkeiten haben
sich in den zehn Jahren der Staffel – einmal durch rechtliche Rahmenbedingungen, ebenso aber auch durch den
selbstverständlicheren Umgang mit dem Thema Konsum
seitens der Zielgruppe – erheblich verändert. Werbepartner
schalten nicht mehr nur Anzeigen oder TV-Spots. Die statische Produktplatzierung, wie das Wort vermuten lässt, ist
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Abb. 2: Germany’s next Topmodel by Heidi Klum 2015
Quelle: Eigene Abbildung.
sicherlich noch immer von Bedeutung, jedoch gehen die
Strategien der Integration weiter. Die Marken der Werbe­
partner werden zum Bestandteil der Erzählung.
Der Modelauftrag für „Gillette Venus“ ist einer der größten
Jobs bei „Germany‘s Next Topmodel“. Darüber hinaus findet
das Produkt inzwischen auch Einzug in die Gespräche der
Models untereinander. In der aktuellen Staffel 2015 unterhalten sich zwei Kandidatinnen darüber, was sie wohl zum
nächsten Casting anziehen. Nach einer kurzen Diskussion
geht die eine von ihnen erst einmal ins Bad und rasiert sich
die Beine, denn das sei ja ohnehin das Wich­
tigste. Die
Kamera folgt der Kandidatin und der Zuschauer kann die
Benutzung des Produkts miterleben. Eine Kamera­fahrt auf
das Produkt schließt die Szene ab. Sonderwerbeform und
Sendeskript gehen hierbei nahtlos ineinander über.
Im Umfeld der Sendung werden eigens an das Format angepasste Werbesendungen produziert. Auch hier sind Sen­
deskript und Werbebotschaft eng miteinander verwoben.
Beispielhaft ist hier die Marke „Maybelline“ zu nennen. Ein
Make Up-Artist des Unternehmens schminkt Kandidatinnen
passend zum Motto der jeweiligen Sendung. Die Spots wurden bisher nach der Sendung ausgestrahlt. Inzwischen ist
das „gebrandete“ Schminken auch Bestand­teil im Um­feld
eines großen Shootings innerhalb der Sendezeit. Die verwendeten Kosmetikartikel werden in dem an die Sendung
anschließenden Werbeformat nochmals angewendet und
dann namentlich genannt. Kreiert wird dabei immer ein
spezieller Look für einen besonderen Anlass, der mit dem
Motto der Sendung korreliert.
Auch die Marke Opel beteiligt sich an der Story „Ger­many’s
next Topmodel“. Das Modell Opel Adam ist nicht nur
Bestandteil des Gewinns zum Ende der Sendung, vielmehr
taucht die Marke mit ihrem Modell auch während der
Sendung als Auftraggeber auf. Die ausführliche Darstellung
des Castings sowie der Produktion erzeugt dabei eine Pene­
tration der Marke, die mit herkömmlichen TV-Spots im Um­
feld der Sendung nicht zu erzielen wäre. Gleichzeitig verhilft
die Integration in das Format zu einer zielgenauen Ansprache
und gewährt Anschluss an das zeitgemäße, für Automobile ungewöhnliche Sujet. Mit Zach King, einem international anerkannten Produzenten sogenannter Vines – 7-Sekunden-Videos
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zur viralen Verteilung in Netzwerken – findet zudem eine zusätzliche Anbindung an die Erlebnis­
welt der Zielgruppe
statt. Verlängert wird das Engagement von Opel bei
„Germany’s next Topmodel“ über verschiedene Kanäle bis
hin in den Produktbereich durch ein Sondermodell „Opel
Adam Germany’s next Topmodel“.
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Literatur
Götz, S. (2011): Inszenierungstrategie in Germany’s next Topmodel, Grin
Verlag GmbH, Norderstedt.
Hackenberg, A.; Hajok, D.; Selg, O. (2011): Orientierung auf Augenhöhe.
Nutzung und Aneignung von Castingshows durch Heranwachsende, in:
JMS-Report, Heft 1, 2-7.
Die Verlängerung des Engagements in weitere Formate
und Kanäle bis hin zur Integration in die Produktpolitik
kennzeichnet alle drei Werbepartner aus. Die hier dargestellten Aktivitäten stellen nur einen Ausschnitt der
Möglichkeiten dar, welche die Werbepartner in der
Vermarktung nutzen.
Kalfat, H. (2015): Die Model-Mama und ihr Millionen-Imperium, in: http://
www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/heidi-klum-die-modelmama-und-ihr-millionen-imperium/11114174.html, Abruf am 30.04.2015.
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Kilian, K. (2001): Determinanten der Markenpersönlichkeit. Relevante
Einflussgrößen und mögliche Transfereffekte, Gabler Verlag, Wiesbaden.
Fazit
Schwer vorzustellen, dass „Germany’s next Topmodel by
Heidi Klum“ die Laufzeit von 33 Sendejahren „Wetten
dass..?“ einholen wird. Was die Qualität der Vermarktung der
Sendung angeht, ist das jedoch schon geschehen. In den zehn
Jahren der Ausstrahlung ist es dem Format trotz Kritik und
zeitweise rückläufiger Quoten gelungen, sich als SendungsMarke im deutschen Fernsehen zu etablieren. Jedes Jahr aufs
Neue liefert die Sendung verlässlich beim Publikum ab und
hält das Thema „Schönheit“ in den Medien aktuell, indem sie
den immer gleichen Kern kreativ erweitert.
Gelungen ist dies auch durch die innovative und zunehmend
stärkere Integration von Werbepartnern über den reinen
Werbespot hinaus. Diese drei Beispiele deuten an, dass ein
gemeinsames Thema zum Nutzen für alle inszeniert werden
kann. Eine Gemeinschaft aus Marken kann so in einer immer stärker zerklüfteten Medienlandschaft mehr Durch­
dringung erfahren.
Die Beispiele zeigen, dass Marken mehr sind als bloße
Leistungsbündel, deren Aufgabe darin besteht, sich gegeneinander abzugrenzen und mit der Statik eines Leuchtturms
in der Landschaft zu platzieren. Um in der Konsumkultur
den Anforderungen an die veränderten Konsumtechniken
der Menschen gerecht zu werden, müssen markenführende
Unternehmen ihre Perspektive verändern und ihren Hori­
zont erweitern. Alle, die sich heute ernsthaft mit Marken
und Markenführung beschäftigen, sind gleichzeitig Marken­
kulturschaffende.
Um das volle Potenzial von Marken zu realisieren, muss
sich der Markenmanager heute immer mehr zum Com­mu­
nity-Manager wandeln. Er muss die ihm anvertraute Marke
mit Respekt behandeln. Starke Marken sind eigenständige
Wesen mit einer höchst vitalen Identität. Ihr klar erkennbares Anderssein, ihre unverwechselbaren Werte, Haltungen
und Leistungen müssen erkannt, entwickelt und gepflegt
werden.
Keppler, A. (2010): Variationen des Selbstverständnisses. Das Fernsehen
als Schauplatz der Formung sozialer Identität, in: Hartmann, M.; Hepp, A.
(Hrsg.): Die Mediatisierung der Alltagswelt, VS Verlag, Wiesbaden, 111126.
Luenenborg, M.; Toepper, C. (2011): Gezielte Grenzverletzungen –
Castingshows und Werteempfinden, in: Aus Politik und Zeitgeschichte,
Heft 3, 35-41.
Mikat, C. (2010): Die Landschaft der Castingshows. Freiwillige Selbst­kon­trol­
le Fernsehen, in: http://www.jugendschutz-niedersachsen.de/wordpress/wpcontent/uploads/2010/10/castingshows_mikat.pdf, Abruf am 30. April 2015.
Moïsi, D. (2015): Glücklich in Serie, in: Die Welt kompakt, 21.04.2015, 31.
Müller, A. (2010): Vermarktung von Unterhaltung bei Germany’s next
Topmodel, Grin Verlag GmbH, Norderstedt.
SevenOne Media (2014): Opel Adam. Begleitforschung „Germany’s next
Topmodel“ (Staffel 9), in: https://www.sevenonemedia.de/c/document_
library/get_file?uuid=cf68f294-e2db-4e66-9ad2-466c60a2e3bb&group
Id=10143, Abruf am 30.04.2015.
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