Wir brauchen eine agile Organisation

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Wir brauchen eine agile Organisation
IT-SYSTEME
Foto: Heiner Hamm
Ein Tischgespräch
von COIN MEDIEN
mit Chefredakteurin
Magaretha Hamm.
Gesprächsteilnehmer Grögeder, Ertle, Barkmann: Die Wertschöpfungskette ganz neu strukturieren.
„Wir brauchen eine agile Organisation“
Banken+Partner ∙ 5/2015
Einfach, effizient, agil, flexibel: So müssen IT-Architekturen heute aussehen. Darüber waren sich die
Experten bei einem Gespräch von „Banken+Partner“ einig. Um dieses Ziel zu erreichen, ist noch viel
zu tun. Denn es geht nicht alleine darum, die IT umzubauen. Auch die Prozesse und die Organsisation müssen angepasst werden.
Services zu kreieren. Das ist sicherlich keine neue Aufgabe –
durch die zunehmenden Möglichkeiten der Datengewinnung,
-haltung und -auswertung nimmt ihre Bedeutung allerdings zu.
Barkmann: Zumal wir es verstärkt mit Kundengruppen zu tun
haben, deren Erwartungshaltung sich stark verändert. Besonders die viel zitierte Gruppe der Millenials, junge Menschen,
die um das Jahr 2000 geboren sind, stellen neue Anforderungen
an die Vertriebskanäle. Darauf müssen die Banken und Sparkassen mit der Anpassung ihrer IT-Systeme reagieren. Neben
dem Druck der Regulatorik, der ja bereits angesprochen wur-
Vor welchen Herausforderungen stehen die Banken bei der
Erneuerung ihrer IT-Architektur?
Grögeder: In erster Linie geht es darum, agile und flexible Systeme zu bekommen, die es dem Institut ermöglichen,
schnell auf Veränderungen des Umfeldes zu reagieren. Ein weiteres Thema ist die Datenarchitektur. Auf der einen Seite steigen die regulatorischen Vorgaben an das Reporting und damit
auch die Anforderungen an die Aufarbeitung unserer Daten.
Auf der anderen Seite nutzen wir die Daten, die wir haben,
noch nicht ausreichend, um damit zusätzliche Angebote und
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Regulierung, Kundenwünsche, neue
Mitbewerber, Margendruck: Wie
schafft man es, alle diese Punkte unter
einen Hut zu bekommen?
Grögeder: Das Spannende ist ja, dass
die altbewährten Anforderungen wie
Stabilität, Verlässlichkeit und Informationssicherheit wegen der zusätzlichen
Aufgaben nicht plötzlich weniger werden. Und ihre Einhaltung wird ja auch
von der Aufsicht kontrolliert. Banken
verbindet man zudem immer mit Stabilität. Von daher ist es die Kunst, Stabilität
und Agilität unter einen Hut zu bekommen.
Barkmann: Mit den zunehmenden
Anforderungen wächst die Komplexität
und die muss beherrschbar bleiben. Das
bekommt man im Prozessmanagement
gut hin, wenn man von großen monolithischen Systemen weggeht und zu granularen Service-Funktionsbausteinen
kommt. Diese Bausteine sind dann zwar
standardisiert, können jedoch flexibel
zusammengesteckt werden. Damit können die Banken eine gewisse Prozessflexibilität erreichen.
Grögeder: Auch wenn der Begriff
„Digitalisierung“ inzwischen zu einem
Buzzword geworden ist – wir nehmen
sie natürlich auf der Konsumentenseite immer mehr wahr. Bei den Prozessen innerhalb der Bank ist sie wahrlich
nichts Neues. Inzwischen reicht sie
allerdings bis zum Kunden. Wir müssen
heute mehr denn je versuchen, End-toEnd-Prozesse ohne Medienbruch zu
erreichen.
Ertle: Dafür benötigen wir einfache,
effiziente, automatisierte Prozesse, die
möglicherweise ganz anders aufgebaut
sind als bisher. Das wirkt sich natürlich
auch auf die Organisation und die Mitarbeiter aus. Ein gutes Beispiel dafür ist
das Controlling: Da brauchen wir künftig ein ganz anderes Mindset als bei
der Arbeit in den einfachen Standardprozessen. Wir haben daher keine Mitarbeiter in der Fonds-Buchhaltung, die
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Ole Barkmann
Head of Business Development
Financial Solutions,
PASS Consulting Group
Achim Grögeder
Leiter IT/Operations,
Triodos Bank
Andreas Ertle
Geschäftsführer,
IntReal
nur buchen, ohne die Zusammenhänge
zu verstehen. Wir brauchen Mitarbeiter,
die sich mit dem jeweiligen Objekt auseinandersetzen und auch einmal eine
Rechnung hinterfragen. Damit steigen
die Anforderungen – die Arbeit wird
anspruchsvoller.
Verändert sich dadurch auch die Zusammenarbeit von Fachbereich und IT?
Ertle: Aber sicher. Die Anforderungen an die Qualität der Arbeit und die
Komplexitätsbewältigung durch die
Mitarbeiter werden steigen. Und alles
was standardisierbar ist, wird technisch
unterstützt. Und es wird nicht mehr ausreichen, einen analogen Prozess einfach
mithilfe der IT zu automatisieren. Digitalisierung ist viel mehr – es geht darum,
die Wertschöpfungskette ganz neu zu
strukturieren.
Grögeder: Tatsächlich gibt uns die
technologische Entwicklung die Möglichkeit, neue Wege zu gehen. Gleichzeitig haben wir den Effekt, die Process
Owner in den Fachbereichen tatsächlich
Banken+Partner ∙ 5/2015
de, kämpfen die Institute derzeit auch
noch mit sinkenden Margen. Und noch
etwas ist wichtig: Mit den FinTechs
entstehen neue Mitbewerber, die ganz
neue Services und Produkte anbieten.
Auch darauf müssen die Banken reagieren. Sie müssen sich überlegen, wie
sie trotzdem im Bankgeschäft bestehen
können, wie ihr künftiges Geschäftsmodell aussehen könnte und welche Kanäle sie bedienen müssen. Dafür benötigen
die Institute eine moderne IT-Infrastruktur, die eine schnelle Time-to-Market
und einen hohen Automatisierungsgrad
ermöglicht.
Ertle: Und vor allem auch standardisierte Prozesse und Schnittstellen. Die
sind für uns ganz besonders wichtig.
Ein wichtiges Beispiel ist das Reporting.
Wir müssen den Investoren, aber auch
den Aufsichtsbehörden, immer mehr
Informationen zur Verfügung stellen.
Das ist eine große Herausforderung.
Insgesamt betrachtet ist hier leider nur
sehr wenig standardisiert. Da helfen die
einheitlichen Reports von BaFin, Esma
und der Bundesbank leider nur sehr
wenig. Es wäre es sinnvoll gewesen,
wenn die Branche eine gemeinsame
Lösung entwickelt hätte, um die regulatorischen Anforderungen kosteneffizient
und schnell umzusetzen. Leider war das
nicht der Fall und jede Gesellschaft hat
ein eigenes Tool eingeführt.
Eine Standardisierung bei einzelnen
Werkzeugen bedeutet ja nicht, dass sich
die Institute nicht mehr von einander
unterscheiden. Die Vereinheitlichung
von Prozessen ist die Grundlage des digitalen Datenmanagements und im Backoffice durchaus machbar. Unser Fokus
liegt dabei auf der Schnittstelle. Durch
funktionierende Schnittstellen wird es
einfacher, die Geschäftsprozesse so zu
verändern, dass sie effizienter, schneller,
besser, stabiler und transparenter werden. Das ist Digitalisierung, die wirklich
substanzielle Veränderungen und Vorteile mit sich bringt.
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dazu zu befähigen, sich wirklich vollverantwortlich um ihre Prozesse kümmern
zu können. Damit wachsen natürlich
die Anforderung an die Mitarbeiter des
Fachbereiches.
Barkmann: Dadurch kann es auch
zu einer Gewichtsverschiebung zwischen Fachbereich und IT kommen. Bei
vielen Instituten steckt unglaublich viel
Fachkompetenz in den IT-Abteilungen.
Das ist auch notwendig, damit neue Prozesse und Produkte schnell umgesetzt
werden können. Manche Banken brauchen immer noch einige Monate, um
ein neues Produkt einzuführen. Das ist
heute nicht mehr angemessen. Es muss
schneller gehen.
Sind die Anforderungen an die IT auch
durch das Aufkommen neuer Mitbewerber gestiegen? Welchen Einfluss haben
FinTechs auf die Entwicklung der Banken und ihrer IT?
Barkmann: FinTechs bewirken eine
große Veränderung. Wenn eine Bank
heute mit einem FinTech kooperiert,
dann möchte sie natürlich auch dessen
Business-Case umsetzen und davon
profitieren – das muss allerdings schnell
gehen, denn sonst ist ein eventuell vorhandener Marktvorsprung verloren.
Und so etwas ist nur mit einer agilen ITArchitektur möglich.
Grögeder: Doch agile IT-Systeme
reichen nicht aus. Was die Institute
eigentlich brauchen, ist eine agile Organisation. Die gesteigerten Anforderungen an die IT-Architekturen speisen
sich am stärksten aus dem geänderten
Kundenverhalten. Gleichzeitig gibt es
auf der regulatorischen Ebene gestiegene Anforderungen an Reports. Dazu
benötigt die Bank eine andere Datenhaltung und muss die Nachvollziehbarkeit
der Ergebnisse sicherstellen. Die Kunst
besteht jetzt darin, beides unter einen
Hut zu bringen.
Ertle: Deshalb ist es wichtig zu fragen, wo es Geschäftsprozesse gibt, die
man mithilfe der Technik vereinfachen
kann – oder bei denen man dadurch
einen Mehrwert erzeugt. Gerade in
unserem Spezialgebiet, der Immobilienverwaltung, sind einige Unternehmen
noch ganz weit von effizienten Prozessen entfernt. In den einzelnen Bereichen
hat jeder versucht, möglichst effizient zu
arbeiten, doch nun geht es darum, die
Grenzen zu überschreiten und durchgängige Prozesse zu etablieren.
Wird es dadurch zu einer verstärkten
Arbeitsteilung kommen?
Barkmann: Sicherlich. Früher haben
Banken alles gemacht. Das hat sich
schon geändert und wird sich weiter
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ändern. Wir sehen bei vielen Häusern
den Trend, dass sie häufiger bereit sind,
einzelne Leistungsblöcke nach draußen zu geben. Es gibt Service-CenterAnbieter, Kreditfabriken und BackofficeDienstleister und auch die IT selbst wird
teilweise ausgelagert. Das bringt eine
sehr viel stärkere Fragmentierung mit
sich. Die Banken stehen damit verstärkt vor der Herausforderung, trotz der
Arbeitsteilung effiziente Gesamtprozesse zu etablieren. Das funktioniert nur,
wenn die Organisation flexibel auf Veränderungen reagieren kann.
Grögeder: Finanzdienstleister werden damit in viel stärkerem Maße als
früher Gestalter eines Netzwerks. Sie
müssen bei ihren Partnern bestimmte
Kompetenzen voraussetzen und benötigen ein gemeinsames Mindset, um Aufgaben partnerschaftlich zu lösen.
Sie betonen immer wieder, dass flexible Strukturen geschaffen werden müssen. Wäre es also am besten, die IT von
Grund auf zu erneuern?
Ertle: Wir standen ja vor einigen Jahren vor der Aufgabe, unsere Architektur
neu aufzusetzen. In einem ersten Schritt
haben wir überlegt, wie unser Zielsys­
tem aussehen soll. Dann haben wir die
bestehenden Lösungen mit unserer Zielvorstellung verglichen. Von drei vorhan-
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denen Systemen ist eines geblieben und
wir haben zusätzlich eine neue Lösung
implementiert, die Anforderungen erfüllt,
die das Altsystem nicht abdeckt.
Barkmann: Tatsächlich muss man ab
und zu überlegen, ob man alles abreißen
und neu bauen soll. Das gilt auch für uns
als Anbieter. Wir haben gerade unser
komplettes Darlehensmodul neu gebaut,
um angesichts der zunehmenden Globalisierung auch im Kreditgeschäft flexibler zu sein. Der Weg geht zu standardisierten Lösungen, die so konfiguriert
werden können, dass über sehr viele
Einstellungen letztlich das jeweilige
Geschäftsmodell des Kunden abgebildet
wird. Nur so schafft man es, eine Lösung
effizient zu gestalten. Der Trend geht
also hin zu Product Engines, bei denen
viele Parameter vorkonfiguriert sind,
die sich allerdings auch granular an
die Bedürfnisse des jeweiligen Instituts
anpassen lassen.
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Prozesse, sondern zusätzlich standardisierte Schnittstellen. Nur so können
wir Flexibilität und Agilität tatsächlich
sicherstellen.
Bieten offene Schnittstellen wirklich
die Möglichkeit, Geschäftsmodelle flexibel anzupassen?
Grögeder: Aber sicher. Gerade indem
sie dafür sorgen, dass Architekturen
offener sind und über Schnittstellen
verfügen, haben die Banken tatsächlich
die Möglichkeit, ihre Geschäftsstrategie
rasch anzupassen, Dienste hinzu- oder
auch wegzunehmen sowie SourcingStrategien umzusetzen. Das wird immer
wichtiger. Die Institute suchen den
besten Partner, um mit ihm gemeinsam
neue Produkte und Services umzusetzen.
Barkmann: Das sehe ich genauso. Deshalb haben wir beispielsweise
zusammen mit Kunden eine Schnittstelle gebaut, an der sich vornehmlich
FinTechs andocken können. Das Ganze
funktioniert über Web-Services und
andere Standard-Austausch-Formate.
In Deutschland sind wir ja in der glücklichen Lage, Standards wie HBCI-FinTS zu haben, die man durchaus nutzen
kann, um den Austausch mit externen
Partnern zu befeuern.
Margaretha Hamm/Dr. Thomas Leims
Banken+Partner ∙ 5/2015
Nun verändert sich die Welt immer
schneller. Was wir uns heute noch nicht
vorstellen können, ist morgen Realität.
Wie kann man sich auf Herausforderungen vorbereiten, von denen man
überhaupt noch nicht weiß, wie sie
aussehen werden?
Barkmann: Das kriegen Sie nur hin,
indem Sie wirklich ein neues System
aufbauen, wie ich es eben beschrieben
habe. Dazu braucht man natürlich eine
Menge Erfahrung, um beispielsweise zu
wissen, was die gängigen Produkte sind,
die abgebildet werden müssen. Dann
muss man das Ganze so konzipieren,
dass eine Lösung entsteht, die in der
Lage ist, die heute denkbaren Produkte
und Prozesse abzubilden und auch ein
bisschen in die Zukunft zu blicken.
Bei unserem Darlehensmodul haben
wir uns zum Beispiel viele Gedanken
darüber gemacht, was heute im deutschen Markt noch nicht üblich ist, was
es aber in anderen Ländern bereits gibt.
Dazu gehören Tilgungsstop oder veränderliche Tilgungsraten, dafür haben wir
bereits die Voraussetzungen geschaffen. Doch natürlich kann es sein, dass
übermorgen ein FinTech auftritt und
etwas ganz Neues anbietet – darauf
muss man im System flexibel reagieren
können – das ist der einzige Weg. Dafür
braucht man dann Schnittstellen.
Grögeder: Offenheit und Schnittstellen sind tatsächlich ein ganz wichtiges
Thema. In diesem Zusammenhang
kommt auch die Standardisierung der
Schnittstellen zum Tragen. Sie erfüllt den
alten Traum der IT, neue Lösungen problemlos in bestehende Systeme integrieren zu können. Wir brauchen also nicht
in erster Linie eine Standardisierung der