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G E S I C H T E R & G E S C H I C H T E N ✍ A R I A N E G R U N D I ES ARIANES SEHNSUCHT NACH DER SEE Sie ist aus Stralsund und liebt das Meer. Weil sie in Berlin lebt, bleibt ihr nur der Wannsee. Auf dem Wasser, in der Stille fallen Ariane Grundies (27) dann diese atemraubend abgeklärten Geschichten ein wie der interessanteste Debütroman im Herbst. TEXT: JOST KAISER, FOTOS: CHRISTOPH OTTO Literarisches Fräuleinwunder? Wider Willen: Ariane Grundies sind solche Zuschreibungen zuwider. Überhaupt: Sie verabscheut Klischees. Und entlarvt in ihrem Romandebüt auf einmalig lakonische Art das ständige Palavern gegen die Stille, den Klangteppich der Republik. Die Autorin und das Meer: Ariane Grundies (27) kommt aus Stralsund, lebt in Berlin und findet: Eine Stadt braucht Hafen und Meer. Deshalb ist sie am liebsten draußen, am Wannsee. Ariane Grundies’ Welt ist zurzeit grün, mit einem blauen Band drin und vielen Containerschiffen drauf. Es ist nämlich so, dass das grüne Otterndorf an der Elbmündung eine Stadtschreiberin beschäftigt und dass Grundies, 27, Autorin des interessantesten Romandebüts in diesem Herbst und Wahlberlinerin das Meer liebt. In Berlin mag die gebürtige Stralsunderin nur die Seen vor der Stadt. Deshalb findet sie jetzt im Nordseebad Otterndorf ihre Geschichten, die sie im Gespräch so prächtig serviert: Gerade ist im Otterndorfer Hafen ein Krabbenkutter gesunken. Die Polizei will einen zweiten Radarwagen anschaffen, worüber es Streit gibt. Und dann gibt es da noch den Johann-Heinrich-Voss-Preis für Literatur. Vorsitzender der Jury: Stefan Aust. Preisträgerin war dieses Jahr Sarah Kirsch, die Laudatio hielt Ulrich Wickert. Grundies war auch eingeladen. »Am Ende hat sich Sarah Kirsch auf meine Brille gesetzt« – Grundies zeigt die Brille mit Sprung im Glas. »Die werde ich für immer behalten.« Dann hat auch der Sparkassendirektor noch eine Rede gehalten. »Und der hat dann der Giro, äh Jury gedankt, und diese 100.000 Männer in Anzügen und die arme Sarah Kirsch dazwischen.« Ariane Grundies freut sich über solche Geschichten, und es hat nie den Anschein, als wolle sie sich über das Provinzielle lustig machen, ihr geht es nur darum zu sagen: So ist es da. Darüber hinaus denkt man sich dann auch: Ulrich Wickert, Stefan Aust, der Sparkassendirektor und der Streit um den neuen Radarwagen: Das ist Deutschland. Otterndorf ist überall. Und das ist irgendwie auch Ariane 14 15 G E S I C H T E R & G E S C H I C H T E N ✍ A R I A N E G R U N D I ES Am Wannsee ist Ariane Grundies (27) in Berlin am liebsten. Die Stille, das Wasser – im Rest Berlins fühlt sie sich nicht heimisch. Ariane Grundies hasst Klischees. Nacktbadende Ossis? »Nö. Ich mag viel lieber Wind und Angezogensein.« enervierend, oft komisch, immer trefflich beobachtet. Und es endet schließlich anders als erwartet. Während Ariane Grundies das erzählt, sitzen wir am Rand von Berlin, am Wannsee. Ariane Grundies trägt eine SophieScholl-Frisur. So was ist ungewöhnlich in Berlin, dieser Stadt der Grundies Thema. Denn ein bisschen Otterndorf ist auch in Grunduniformierten Nonkonformität, genauso wie die Vorliebe für das ies' neuem Roman »Am Ende ich«. Es geht um einen altklugen, geWasser. »Obwohl ich seit über drei Jahren in Berlin lebe, fühle ich schwätzigen jungen Mann, um Lutz, der seinen Zwillingsbruder Max mich hier überhaupt nicht zu Hause und fahre sehr oft weg. Ich in Verdacht hat, die im Wachkoma Mutter lag, umgebracht zu mag Berlin, aber mir fehlen ein Hafen und richtige Schiffe. Ich finhaben. Am Ende ist aber alles ganz anders. Und zwischen Anfang de, das gehört zu einer Stadt«, erzählt Grundies. Und ihr Ton sagt: und Auflösung geht es um allerlei Verstrickung in der engen FamiSo ist es. Das ist keine Wertung, nur eine lakonischen Feststellung. lie, um Ausbrüche und deren Scheitern. Und dann geht es auch noch um den ganzen Quatsch eines leeren Alltags, um die Won- Berlin – keine Stadt! Grundies nerven Klischees. Klischees wie das nen und Gefahren des Coca-Cola-Trinkens, ums Handballspielen literarische »Fräuleinwunder«, unter dem Kritiker sie mit anderen und – als Gipfel der Leere – um Kommunismus als Beispiel für eine Autorinnen unter dem Titel »Leipziger Schule« gern zusammenArt Privatphilosophie, deren Weisheiten die Tante des Ich-Erzäh- fassen, weil sie am dortigen Literaturinstitut studierte. Klischees über den Osten, mit dem sie sich der Meilers unablässig im Munde führt, beim Abnung einiger Kritiker nach nicht genug bespülen, beim Essenmachen, beim Kaffeeschäftige. So lebt der »Osten« als literaritrinken, und die über all den leeren, alten, ZU GEWINNEN: sche Kategorie nun – und nur – in den verbrauchten Sätzen völlig das Leben, ihr 10 signierte Bücher Köpfen der Rezensenten fort, die ihn so am Leben übersieht. »Politik findet in der FaLeben erhalten, obwohl er bereits verstormilie statt«, sagt Grundies. Die Politik in Gewinnen Sie eine von zehn signierten ben ist, so wie in Grundies' Buch die Tante »Am Ende ich« ist ein ständiges, leeres PaAusgaben von »Am Ende ich«. Senden Silvia den Kommunismus beim Teekochen lavern gegen die Stille. Es wird unablässig Sie uns bis zum 15.11. mit dem Sticham Leben erhält: als Gequassel. Nicht mal gesprochen, denn, wie der Ich-Erzähler am wort »Grundies« eine E-Mail an das Nacktbaden, angeblich eine Ossi-SpeAnfang sagt: »Das große Nichts, das [email protected] oder eine zialität, pflegt Grundies jetzt, wo sie da tet. Mit dieser Erkenntnis lebt es sich entPostkarte an: VVA Kommunikation oben an der Nordsee die Gelegenheit hätschieden leichter.« Es scheinen alle gegen GmbH, bücher, Postfach 230 140, te. »Nacktbaden? Ja – aber nö. Ich mag viel die Leere ansprechen zu wollen, Ich-Erzäh45069 Essen. lieber Wind und Angezogensein.« ler Lutz, seine Tante. Das ist manchmal 16 ✍ Jedenfalls, alles, was ich weiß, weiß ich von Sandra höchstpersönlich. Unser Vater hatte sich nie zu erklären versucht, jedenfalls mir gegenüber nicht, mag sein, Max ist besser im Bilde. Sandra lehnte zu jener Zeit gerne mal am Schultor und sagte: Tja, geht er jetzt fremd oder nicht? Man weiß es nicht. Ist er ein Betrüger oder nicht? Wer weiß das schon! Und immer schob sie den Rock hoch und kratzte sich am Oberschenkel oder rieb sich einen Fleck von der Bluse in Höhe ihrer kleinen Brüste. Kennen gelernt hatten sich die beiden ein Jahr nach dem Unfall unserer Mutter in der Schulaula, bei einem Diskussionsabend. Im Grunde ging es darum, wer Schuld an unserer misslungen Erziehung trug. Ich glaube, es tragen immer diejenigen die Schuld, die nicht da sind, um das mal zu vereinfachen. Wir langweilten uns in den letzten Reihen, aßen Chips und Weingummi und reichten unter den Stühlen die Bierdosen herum. Unser Vater setzte sich in die erste Reihe. Die Tussi Sandra war sofort zur Stelle und setzte sich gleich neben ihn, Leseprobe schlug die Beine übereinander und wiegte ihren Fuß, um den sie ein silbernes Kettchen trug, an dessen Verschluss ein Herz baumelte. Es dauerte tatsächlich nicht besonders lang, bis unser Vater interessiert zu ihr hinüberblickte. Sie flüsterten sich einander Dinge über die Schulter zu und verschwanden im Anschluss an die Diskussion, gemeinsam. Am nächsten Tag gab es eine Menge Behauptungen; von Vergewaltigung, einem Pornodreh und selbst von einer Schwangerschaft war die Rede, doch die einzige Aussage, die von mehr als einem Beobachter gemacht worden war, bezog sich auf ein angeregtes Gespräch der beiden in einem Bierkeller. Sollte das wahr sein, dann verwette ich meinen Autogrammhandball dafür, dass er im Bierkeller Korn getrunken hat, etwas Klares, etwas ohne Kohlensäure, denn unser Vater ist viel zu langweilig, um in der Öffentlichkeit mal richtig ordentlich zu rülpsen. Aus: Ariane Grundies »Am Ende ich«, Kein & Aber, 144 Seiten, 16,90 €