Gehirn und Immunität

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Gehirn und Immunität
Ausgabe 2004
Ein Bericht über Fortschritte in der Hirnforschung
Gehirn und Immunität
Ein Bericht über Fortschritte
in der Hirnforschung
Gehirn und Immunität
Ausgabe 2004
THE EUROPEAN DANA ALLIANCE
FOR THE BRAIN EXECUTIVE COMMITTEE
William Safire, Chairman
Edward F. Rover, President
Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman
Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman
Carlos Belmonte, MD, PhD
Anders Björklund, MD, PhD
Joël Bockaert, PhD
Albert Gjedde, MD, FRSC
Sten Grillner, MD, PhD
Malgorzata Kossut, MSc, PhD
Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS
Dominique Poulain, MD, DSc
Wolf Singer, MD, PhD
Piergiorgio Strata, MD, PhD
Eva Syková, MD, PhD, DSc
Executive Committee
Barbara E. Gill, Executive Director
Die European Dana Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss
von rund 140 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus
27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB
hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit, der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit.
Für weitere Informationen :
The European Dana Alliance for the Brain
Dr Béatrice Roth, PhD
Centre de Neurosciences Psychiatriques
Site de Cery
1008 Prilly
e-mail : [email protected]
Visionen des Gehirns :
Ein Bericht über Fortschritte
in der Hirnforschung
Jahresbericht 2004
Gehirn und Immunität
5
11
Einleitung
von Eric R. Kandel, MD
Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren
von Guy M. McKhann, MD und Carolyn Asbury, PhD
Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2003
21
Neuroimmunologische Erkrankungen
27
In der Kindheit auftretende Störungen
35
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
41
Schädigungen des Nervensystems
49
Neuroethik
57
Schmerz
65
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
71
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
79
Stammzellen und Neurogenese
85
Denk- und Erinnerungsstörungen
95
Referenzen
103
Stelle Dir eine Welt vor...
Einleitung
von Eric R. Kandel, MD
A
ls ich die im vorliegenden Bericht zusammengefassten Fortschritte der Hirnforschung im Jahr 2003 betrachtete, war ich davon
beeindruckt, wie sehr sich die Dinge im Verlauf
der vier Jahrzehnte, seit ich auf diesem Gebiet
arbeite, verändert haben. Als ich das Medizinstudium im Jahr 1956 abschloss und mich der
Hirnforschung zuwandte, nahmen die meisten
Grundlagenforscher an, zwischen der klinischen
Bedeutung, die ein bestimmtes Problem für
die Neurologie oder Psychiatrie darstellte,
und der Möglichkeit, dieses Problem auf der zellulären oder molekularen
Ebene genau anzugehen, bestehe eine umgekehrte Beziehung. Wie die
Seiten des diesjährigen Berichts über bemerkenswerte Fortschritte deutlich
machen, hat sich dies geändert. Zwischen Grundlagenwissenschaft und
klinischer Forschung liegen nicht mehr Welten. Einige der interessantesten
wissenschaftlichen Fragen der Neurowissenschaft hängen unmittelbar mit
drängenden neurologischen und psychiatrischen Problemen zusammen.
Aus der Perspektive der Neurologie lauten diese Fragen: Auf welche Weise
trägt die Immunreaktion zu neurologischen Krankheiten bei ? Bestehen bei
den degenerativen Krankheiten gemeinsame Mechanismen ? Ist es möglich, nach einem Schädeltrauma, einer Verletzung des Rückenmarks oder
peripherer Nerven eine klinisch bedeutsame Regeneration zu erzielen ?
Aus psychiatrischer Sicht fragen wir : Welche spezifischen Systeme des
Gehirns vermitteln verschiedenartige höhere kognitive Funktionen ?
Inwiefern sind sie beim Autismus gestört ? Bei der Schizophrenie ? Bei der
Depression ? Welche Gene sind an diesen Krankheiten beteiligt ? Worin
bestehen insbesondere die biologischen Grundlagen von komplexen multigenen mentalen Störungen und welchen Einfluss haben unterschiedliche
Umweltbedingungen ?
Diese und weitere Fragen werden gegenwärtig auf grundlegende
Weise angegangen. Dies hat dazu geführt, dass die Umsetzung von
5
Forschungsergebnissen in die klinische Praxis nicht mehr einen begrenzten
Forschungsbereich darstellt, mit dem sich einige wenige Leute in weissen
Kitteln befassen. Sie ist vielmehr das eigentliche Motiv eines grossen Teils
der gegenwärtigen neurowissenschaftlichen Forschung. Während der 90er
Jahre, die als Dekade des Gehirns bezeichnet werden, wurden wir alle zu
Forschenden, welche die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen. Während
des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts verwandelt sich dieser Prozess
in die Dekade der therapeutischen Anwendung. Als Folge davon kommen
sich die Bereiche Psychiatrie und Neurologie näher. Es ist absehbar, dass in
nicht allzu ferner Zukunft der Tag kommt, an dem Spitalärzte beider Fachbereiche ein gemeinsames Praktikumsjahr absolvieren werden, vergleichbar der ärztlichen Weiterbildung in Innerer Medizin, an die sich dann die
Spezialisierung in völlig unterschiedliche Disziplinen wie Herzkrankheiten
oder Magendarmkrankheiten anschliesst. Ich plädiere nicht für den
Zusammenschluss von zwei völlig unterschiedlichen Spezialbereichen mit
völlig unterschiedlichen Verantwortlichkeiten für Patienten und unterschiedlichen Therapieverfahren. Vielmehr weise ich auf die offensichtliche Tatsache hin, dass sich Neurologie und Psychiatrie mit Problemen
befassen, die im selben Organ, dem Gehirn, ihren Ursprung haben.
Der vorliegende, hervorragende Bericht fasst die in vielen Bereichen
erzielten Fortschritte zusammen. Ich selbst beschränke mich hier auf
einige Beispiele, um sowohl die Vielfalt als auch die Tiefe der gewonnenen
Erkenntnisse zu illustrieren.
Der Bericht beginnt mit einem ausgezeichneten Aufsatz über Neuroimmunologie von Guy McKhann und Carolyn Asbury, die uns daran erinnern,
dass das Nerven- und das Immunsystem, die beiden grossen integrativen
Systeme des Körpers, drei Gemeinsamkeiten aufweisen : 1) einen hohen
Grad an Komplexität, 2) die Fähigkeit, neu gewonnene Informationen in
einer Art Gedächtnis zu speichern, und 3) die Fähigkeit, diese Informationen als Antwort auf einen entsprechenden externen Stimulus abzurufen.
Neu ist die Erkenntnis, dass diese beiden Systeme nicht nur über eine
gemeinsame Logik verfügen, sondern sogar auf verschiedene massgebliche Weise miteinander interagieren.
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Als Erstes möchte ich auf neue Befunde hinweisen, die belegen, dass
immunologisch wichtige Moleküle, von denen man früher angenommen hatte, sie kämen im Gehirn nicht vor, im Gehirn vorhanden und für
dessen Tätigkeit sogar unentbehrlich sind. In einer bemerkenswerten
Ausser dass das Nervensystem Moleküle des Immunsystems für eigene
Zwecke in Anspruch nimmt, kann auch eine Veränderung der Immunreaktion selbst bei Hirnkrankheiten eine entscheidende Rolle spielen.
Besonders aufschlussreiche Beispiele dafür sind die paraneoplastischen
neurologischen Erkrankungen. So beschrieb Jerome Posner das gleichzeitige Auftreten eines neurodegenerativen Syndroms und eines systemischen bösartigen Tumors bei völligem Fehlen von Metastasen. Posners
Arbeit zeigte auf, dass ein Tumor im Körper mittels molekularem Mimikry
zur Degeneration spezifischer Hirnregionen führen kann. Bestimmte Antigene in den Tumorzellen induzieren Antikörper, die Immunreaktionen auslösen, welche sowohl auf den Tumor als auch auf spezifische Hirnstrukturen gerichtet sind, die dieses Antigen ebenfalls exprimieren. Der sich
ergebende Immunangriff führt zur Degeneration von Nervenzellen. Posner konzentrierte sich zunächst auf die mit einer Krebserkrankung im Eierstock und im Uterus einhergehende Degeneration des Kleinhirns und entdeckte hohe Titer eines bestimmten Antikörpers gegen ein selektiv in den
Purkinje Neuronen des Kleinhirns exprimiertes neuronales Antigen. Als
Posner andere Krebserkrankungen in diese Untersuchungen einbezog,
entdeckte er, dass Tumorzellen das gleiche Protein exprimierten, das in
Neuronen das angegriffene Antigen darstellte. Da Patienten mit einer
paraneoplastischen neurologischen Erkrankung in erster Linie eine wirksame Immunreaktion gegen den Tumor aufbauen, reagieren sie besser auf
eine Behandlung des Tumors – eine Entdeckung, welche dazu beigetragen hat, dass heute Immunverfahren zur Bekämpfung von Krebs eingesetzt werden.
Einleitung
Untersuchungsreihe fand Carla Shatz heraus, dass das Haupthistokompatibilitätskomplex-Gen der Klasse I (MHC), das an der zellulären Immunerkennung beteiligt ist, in Neuronen exprimiert wird, ebenso wie andere
Komponenten des Signalwegs, an denen die Klasse I MHC-Moleküle
beteiligt sind. Shatz untersuchte eine Vielfalt genetisch veränderter Mäuse
und entdeckte, dass die Expression des Klasse I MHC-Proteins während
der Elimination von Synapsen und der Feinabstimmung von synaptischen
Verbindungen im Nucleus geniculatum laterale erforderlich ist, einem
Kern, der für die Entwicklung des normalen Sehens notwendig ist. Diese
aussergewöhnlichen Entdeckungen wurden in der Immunologie zuerst
mit Skepsis aufgenommen. Sie werden aber heute allgemein als eine
grundlegend neue Erkenntnis anerkannt, welche die Funktion von immunologisch bedeutenden Molekülen bei der in der Entwicklung erfolgenden Feinabstimmung von synaptischen Verbindungen im Gehirn aufzeigt.
7
Auch wenn keine Krebserkrankung vorliegt, gibt es spezifische gegen sich
selbst gerichtete Reaktionen, wie etwa die Autoimmun-Attacke auf die
Myelinscheide im Falle von Multipler Sklerose deutlich macht. Ausserdem
ist festzuhalten, dass die Beeinflussung in beide Richtungen verläuft. Es
gilt nicht nur, dass das Immunsystem im Gehirn präsent ist und Krankheiten verursachen kann, vielmehr hat Janice Kiecolt-Glaser nachgewiesen,
dass umgekehrt auch vom Gehirn gesteuerte Prozesse, etwa chronischer
Stress, eine Alterung des Immunsystems bewirken.
Auch im Bereich der schwer zu beeinflussenden Erkrankungen der kognitiven Funktionen – von Autismus und Dyslexie auf der einen Seite bis
hin zu Depression und Schizophrenie auf der anderen – haben unsere
Erkenntnisse grosse Fortschritte gemacht. Auch hier spielt die Genetik
eine führende Rolle.
Was Autismus anbelangt, sind Statistiken besorgniserregend, die zeigen,
dass diese Erkrankung das Ausmass einer kleineren Epidemie annimmt.
Die Häufigkeit, mit der diese verheerende Entwicklungsstörung mit den
Hauptsymptomen soziale Isolation, repetitive Bewegungen und Kommunikationsprobleme auftritt, scheint sich in den letzten 20 Jahren etwa verzehnfacht zu haben. Stephane Jamain hat jetzt zwei Autismus Kandidatengene auf dem X-Chromosom identifiziert. Bei zwei betroffenen Geschwistern
kodiert das mutierte Gen in ihren beiden Familien ein Neuroligin. Neuroligin-1 ist ein Protein in der postsynaptischen Zelle, das in der präsynaptischen Nervenzelle ß-Neurexin rekrutiert, was den Aufbau der präsynaptischen aktiven Zone und die Ansammlung von Bläschen zur Folge hat.
8
Im Gegensatz zu neurologischen Erkrankungen wie der Huntingtonschen
Krankheit oder dem Fragilen-X-Syndrom, bei denen ein einzelnes Gen die
Ursache ist, sind die meisten psychiatrischen Krankheiten polygenetisch.
Sie haben einen komplexen Erbgang und werden massgeblich durch
Umwelteinflüsse moduliert. In neueren Studien über Depression findet
man eindeutige Beispiele für eine Gen-Umwelt-Interaktion. Das 5-HTTGen kodiert ein Protein, das Serotonin aus dem synaptischen Spalt entfernt. Dieses Gen verfügt über einen Promotor, der in zwei allelen Formen
existiert : einer kurzen und einer langen. Die lange Form produziert mehr
Transporter und entfernt daher Serotonin wirksamer aus den Synapsen als
die kurze Form, die weniger Transporter produziert. Die bahnbrechende
Arbeit von A. Caspi hat nun gezeigt, dass Personen mit zwei Exemplaren
des kurzen Allels mehr zu Angstempfindungen neigen als jene mit zwei
Einleitung
Exemplaren des langen Allels oder mit je einer Kopie von den Allelen.
Zudem sind Personen mit zwei Exemplaren der kurzen Form empfänglicher für stressbedingte Depression, während jene mit zwei Exemplaren
der langen Form davor geschützt sind.
A. R. Hariri ist diesem Befund auf kreative Weise nachgegangen und
fragte : Worin unterscheidet sich die Verarbeitung von Umweltstimuli im
Gehirn bei Personen mit diesen beiden Varianten des Transportergens ? Er
fand, dass Personen mit den kurzen Allelen als Reaktion auf Angst erregenden Stimuli eine grössere neurale Aktivität in der Amygdala (einer für
die Reaktion auf Gefahr entscheidenden Hirnregion) aufweisen, als Personen mit dem langen Allel. Wie im vorliegenden Bericht dargestellt, zeigen
diese und andere Untersuchungen über die genetische Ursache von
Geisteskrankheiten, dass genetische Variationen einen grossen Einfluss
darauf haben, ob stressvolle Lebensereignisse zu Symptomen einer
Depression oder zu einem Suizidversuch führen. Diese Gen-UmweltInteraktionen erinnern an frühere Befunde des Laboratoriums von Caspi
bezüglich Varianten jenes Gens, das das Enzym Monoamin Oxidase A
(MAOA) kodiert. Eine Form des Gens prädisponiert Kinder, die missbraucht werden dazu, sich zu gewalttätigen Erwachsenen zu entwickeln,
eine andere Form hingegen tut dies nicht.
In gewissen Bereichen, etwa Sucht und Alzheimersche Krankheit, sind wir
im Verlauf des letzten Jahrzehnts von einem beschränkten Wissen zu
einem detaillierten Verständnis der Pathogenese verschiedener Krankheitsaspekte gelangt, und zwar auf Ebenen, die von der Epidemiologie bis
hin zur molekularen Ebene reichen. Dies hat dazu geführt, dass wir nun
auch im Bereich der Therapie entscheidende Entwicklungen erwarten.
Was Sucht anbelangt, wissen wir heute, dass Nikotin die vermutlich am
stärksten abhängig machende Droge ist, der Menschen im Allgemeinen
ausgesetzt sind. Wenn Ratten schon während der Adoleszenz Nikotin
erhalten, haben sie im Erwachsenenalter eine erhöhte Nikotinpräferenz im
Vergleich zu Ratten, die erst als Erwachsene exponiert werden. Zudem
behielten die Ratten, die den Nikotinkonsum während ihrer Adoleszenz
begonnen hatten, dieselben hohen Mengen als erwachsene Tiere bei.
Somit weisen diese und frühere Studien zur Einstiegs-Hypothese darauf
hin, dass es möglicherweise der stärkere Konsum von Adoleszenten ist,
der den Weg zur Sucht ebnet. Basierend auf der These von Berke und
Hyman, die in einer bedeutenden Übersichtsarbeit in Neuron vorgebracht
9
wurde, dass Rückfälle eine Form des Lernens darstellen, trainierte U. E.
Ghitza Ratten, einen bestimmten musikalischen Ton mit der Selbstverabreichung von Kokain zu assoziieren. Ableitungen von einzelnen Neuronen
ergaben in Hirnbereichen, die mit Sucht im Zusammenhang stehen, etwa
dem Nucleus accumbens, starke Reaktionen auf den mit der Droge assoziierten Ton und dies auch nach lang andauernder Abstinenz.
Wie also der vorliegende, ausführliche Bericht über die diesjährigen Fortschritte verdeutlicht, führt uns die Grundlagenwissenschaft allmählich
zu neuen Erkenntnissen von therapeutischer Tragweite. Diese von der
Stiftung und von David Mahoney schon lange zum Ausdruck gebrachte
Hoffnung erfüllt sich somit zunehmend.
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Neuroimmunologie :
Zwei Systeme interagieren
Guy M. McKhann, MD und Carolyn Asbury, PhD
I
n diesem Jahr würdigen wir einen Zweig der Neurowissenschaft, der sich
viele Jahre im Hintergrund, gleichsam im Gärstadium befand. Jetzt wird
die Neuroimmunologie zu einem immer wichtigeren und aufsehenerregenden Bereich.
Das Konzept, die Wechselbeziehungen von Neurologie und Immunologie
zu betrachten, ist etwa 25 Jahre alt und konzentrierte sich anfänglich auf
die Multiple Sklerose (MS), eine Autoimmunerkrankung des Gehirns.
Erkenntnisse der immunologischen Grundlage verschiedener neurologischer Krankheiten, unterstützt durch atemberaubende neue Techniken
der molekularen Bildgebung und der Genetik, führen zu neuen Ansätzen,
um die wechselseitige Beeinflussung des Nerven- und des Immunsystems
in Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen. Zudem eröffnen diese
Forschungsrichtungen vielversprechende Behandlungen von so unterschiedlichen Krankheiten wie Alzheimer und rheumatoide Arthritis.
Viele Beispiele bestätigen die Prämisse, dass die Neuroimmunologie die
ihr entgegengebrachte wachsende Aufmerksamkeit wohl verdient.
Das Nerven- und das Immunsystem sind zwei der kompliziertesten und
lebensnotwendigsten Systeme des menschlichen Körpers. Seit Jahren
erkannte die Wissenschaft, dass das Nerven- und das Immunsystem in
ihrer Komplexität vergleichbar sind. Aber man betrachtete sie als zwei
weitgehend unabhängige, funktionell und biochemisch unterschiedliche
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Systeme, wobei das Nervensystem als eher fest verkabelt und das Immunsystem als eher reaktiv galt. Heute erkennt die Forschung, dass diese
Systeme auf der biochemischen und zellulären Ebene miteinander auf
ungeahnte Weise in Beziehung stehen.
Weshalb wird die Zusammenarbeit von Wissenschaftern dieser beiden
Gebiete gerade jetzt als Strategie anerkannt, um das Gebiet voranzubringen ? Einesteils liegt dies daran, dass die technischen Fortschritte zu neuen
Forschungsrichtungen führen, denen nur mit Hilfe des Wissens und des
Instrumentariums beider Gebiete wirksam nachgegangen werden kann.
Andernteils könnte es daran liegen, dass diese neue Zusammenarbeit die
Forschenden beider Gebiete dazu veranlasst, lange gehegte Annahmen
ihres jeweils eigenen Fachbereichs in Frage zu stellen. Neuroimmunologie
bedingt, wie schon der Name sagt, eine Konvergenz von Perspektiven.
So wissen wir z. B. seit etwa einem Jahrhundert, dass Nervenzellen miteinander über Verbindungen, die sogenannten Synapsen, kommunizieren.
Jetzt zeigt sich, dass auch Immunzellen untereinander über Synapsen ähnliche Verbindungen kommunizieren, die anscheinend gemeinsame Merkmale, einschliesslich gewisser Moleküle, mit den Nervenzell-Synapsen
aufweisen. Und neuerdings weist vieles darauf hin, dass Hirnzell-Synapsen durch Immunreaktionen im Gehirn beeinflusst werden.
Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass dasselbe Molekül, das an der
Zellerkennung des Immunsystems beteiligt ist, auch bei der „Verkabelung“
des Gehirns eine bedeutende Rolle spielt. Man bezeichnet dieses Molekül
als „Haupt-Histokompatibilitätskomplex“ (major histocompatability complex, MHC). Im Immunsystem nehmen MHC-Moleküle ein Fragment der
Peptide eines eindringenden Erregers auf und präsentieren es bestimmten
Immunzellen, damit diese lernen, den Krankheitserreger zu identifizieren
und zu bekämpfen. Während der Entwicklung des Nervensystems scheinen MHC-Moleküle, wie Carla Shatz und Mitarbeitende von der Harvard
Medical School kürzlich festgestellt haben, notwendig zu sein, damit eine
Hirnzelle bei der „Verkabelung“ des Gehirns entscheiden kann, zu welcher
anderen sie eine Verbindung herstellt. Einige Forschende vermuten nun,
dass im Immunsystem und im Nervensystem dieselbe Genfamilie für das
Erkennen zuständig sein könnte.
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Es gibt tatsächlich immer mehr Beispiele dafür, dass einzelne Moleküle,
von denen einst angenommen worden war, ihr Vorkommen sei aufs
Grundlagen des Immunsystems verstehen
Um die Implikationen dieser konstanten zellulären Interaktion zu untersuchen, ist es aufschlussreich, zuerst einige Grundlagen des Immunsystems zu
beschreiben, die sich direkt auf dessen Interaktion mit dem Gehirn beziehen.
Das Immunsystem hat zwei Komponenten : eine angeborene und eine
adaptive. Die angeborene Immunkomponente ist die erste Verteidigungslinie des Körpers. Sie löst eine unmittelbare, generalisierte und rasche,
wenn auch nur kurz dauernde Reaktion gegen Eindringlinge aus, seien
diese nun Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze. Zu den wichtigsten Typen
der angeborenen Immunzellen gehören Makrophagen, deren Stärke es
ist, Bakterien zu erkennen ; Granulozyten, die Bakterien und Parasiten
erkennen ; dendritische Zellen, die sehr gut Viren erkennen ; natürliche
Killerzellen, die bei der Erkennung von Viren und Tumorzellen eine Rolle
spielen ; sowie Mastzellen, die an allergischen Reaktionen beteiligt sind.
Bei einer Entzündung beispielsweise setzen körpereigene Makrophagen,
wenn sie auf Bakterien stossen, Substanzen, so genannte Zytokine und
Chemokine frei, die dazu beitragen, dass Granulozyten an den Ort der
Infektion wandern und zum Angriff übergehen, was dann die für Infektionen typische Rötung, Schwellung, Erwärmung und den Schmerz verursacht. Die Makrophagen rufen auch die zweite Verteidigungslinie des Körpers, die adaptiven Immunzellen, zu Hilfe.
Eine Hauptaufgabe der Makrophagen und dendritischen Zellen des angeborenen Immunsystems besteht darin, den Körper auf Eindringlinge abzusuchen und, falls welche gefunden werden, die zweite Verteidigungslinie
des Körpers, die adaptiven Immunzellen, die so genannten „Lymphozyten“
zu aktivieren. Es gibt zwei Arten von Lymphozyten, „B“- und „T“-Zellen.
Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren
Nervensystem beschränkt, inzwischen auch im Immunsystem gefunden
wurden. Ausser den MHC-Molekülen gehört dazu auch ein „Semiphorin“
genanntes Molekül, das zur Steuerung von Prozessen bestimmter autonomer Nervenzellen im Körper beiträgt. Auch auf einigen Immunzellen sind
Semiphorine reichlich vorhanden, ihre Funktion dort ist allerdings noch
ein Rätsel. Ausserdem spielen möglicherweise „Neurotropine“ genannte
Substanzen, die von Nervenzellen produziert werden, eine Rolle bei der
Regulierung von MHC-Molekülen. Diese und ähnliche Befunde bezüglich
biochemischer und zellulärer Interaktionen zwischen Zellen in den beiden
Systemen beflügelten das Interesse weiter zu ergründen, wie sich die
beiden Systeme wechselseitig beeinflussen.
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Diese adaptiven Immunzellen führen einen höchst gezielten und präzisen
Angriff gegen einen spezifischen Eindringling. Im Allgemeinen ist jeder
Eindringling, der ausserhalb von Körperzellen gefunden wird, das Angriffsziel einer spezifischen B-Zelle, während jeder Eindringling, der in Körperzellen eindringt, das Angriffsziel einer spezifischen T-Zelle darstellt.
B-Zellen agieren, indem sie Antikörper genannte Moleküle ausscheiden,
die über den Blutkreislauf an die betreffenden Orte gelangen und den
Eindringling angreifen. Im Gegensatz dazu gibt es zwei Haupttypen von
T-Zellen mit unterschiedlichen Aufgaben. Den einen Typ nennt man „zytotoxische T-Zellen“. Diese Zellen greifen einen Eindringling direkt an. Der
andere Typ von T-Zellen trägt dazu bei, B-Zellen und Makrophagen
zum Angriff anzuregen. Deshalb bezeichnet man sie als „T-Helferzellen“.
Ist ein spezifischer Eindringling einmal besiegt – sei es durch B-Zellen oder
T-Zellen – werden sich einige der übrig gebliebenen B- oder T-Zellen an
sein Aussehen erinnern und eine raschere Reaktion auslösen, falls dieser
Eindringling den Körper irgendwann wieder angreift.
Immunzellen im Gehirn
Das Gehirn gilt als „immun-privilegierter“ Ort. Tatsächlich gibt es im
Gehirn nur eine Art von Immunzellen, die Mikroglia. Diese Mikrogliazellen
gleichen den angeborenen Immun-Makrophagen, die man im restlichen
Körper findet. Eine erste Überlegung könnte zur Ansicht führen, die
Mikroglia diene im Gehirn nur zur Erkennung von Eindringlingen wie Bakterien und Viren. Aber ganz offensichtlich löst die Mikroglia keine eigentliche Immunreaktion aus und kann in gewissen Fällen sogar Hirnzellen
schädigen. Die Frage nach der Aufgabe der Mikroglia im Gehirn liess den
Immunologen Ralph Steinman von der Harvard Universität vorschlagen,
Neuroimmunologen sollten Methoden entwickeln um die Funktionen dieser so zahlreichen Immunzellen im Gehirn kontinuierlich im so genannten
„steady-state“ zu registrieren, in einem Zustand, in welchem keine Infektion vorliegt. Um dieser Frage nachgehen zu können, werden neue Möglichkeiten geprüft, die Mikroglia zu markieren und ihre Aktivitäten sichtbar
zu machen.
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Zusätzlich zu den im Gehirn angesiedelten Mikroglia-Zellen des angeborenen Immunsystems bringen es auch adaptive Immunzellen – die Lymphozyten – fertig, im Gehirn „ein- und auszureisen“, um gegen Eindringlinge zu
patrouillieren. Diese Grenzpatrouillen bleiben normalerweise an der Oberfläche des Gehirns und greifen Viren oder Bakterien an, die versuchen
Aber auf welche Weise interagieren Hirnzellen und Immunzellen im Gehirn?
Ebenso wie Nervenzellen miteinander über Synapsen kommunizieren,
verwenden auch Immunzellen – laut Michael Dustin von der Universität
New York und David Colman von der McGill-Universität – Synapsen ähnliche Verbindungen um miteinander zu kommunizieren. Darüber hinaus
gibt es – Kevin Tracey und seinem Team vom North Shore Long Island
Jewish Hospital zufolge – verblüffende Hinweise darauf, dass Nerven- und
Immunzellen über eine gemeinsame molekulare Grundlage der Kommunikation verfügen, wobei jeweils Zellen des einen Systems Rezeptoren des
andern benutzen, um Signale wechselseitig zu übermitteln. Sollte dem so
sein, eröffnet dies einen völlig neuen Zugang, um die gegenseitige Beeinflussung der beiden Systeme zu erforschen.
Dustin und sein Mitarbeiter an der Universität New York, Wen-Biao Gan
fanden Hinweise, dass Hirnzellsynapsen durch Immunreaktionen im
Gehirn beeinflusst werden. Diese Untersuchungen zeigen nicht nur, wie
grundsätzlich die Neuroimmunologie unser Wissen zu erweitern vermag,
sondern auch wie sehr sich die Art der Forschung an sich verändert, indem
Forschungsergebnisse in wirksame Therapien und Präventionsmassnahmen umgesetzt werden.
Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren
ins Gehirn einzudringen. Nichtsdestoweniger stehen Wissenschafter der
Möglichkeit, dass auch Lymphozyten ins Hirngewebe gelangen könnten,
heute offener gegenüber.
Implikationen für viele Krankheiten
und deren Behandlung
Der immunprivilegierte Charakter des Gehirns zeigt sich wohl nie so deutlich wie dann, wenn Hirntumoren auftreten und ungehemmt wachsen. Bis
vor kurzem konzentrierte sich die Behandlung von Hirntumoren hauptsächlich auf Chemotherapie und Bestrahlung, um die Teilung und das
Wachstum von Krebszellen zu blockieren. Diese Verfahren sind jedoch
nicht präzis, so dass unbeabsichtigt einige nicht krebsartige Zellen getötet
werden, während einige Krebszellen übrig bleiben. Dies führt dazu, dass
der Krebs immer wieder auftritt und die Prognose trotz der Behandlungsansätze nicht besser wurde. Eine andere Möglichkeit könnte allerdings
darin bestehen, die Immunreaktion ausserhalb des Gehirns künstlich zu
stärken. Einige Forschende arbeiten im Laboratorium daran, adaptive
Immunzellen eines Patienten dazu zu bringen, dass sie einen bösartigen
Tumor erkennen ; anschliessend sollen diese instruierten Immunzellen die
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Fähigkeit erlangen, ins Gehirn des Patienten einzudringen und den Tumor
anzugreifen.
Andere Forschungsansätze sind jene der Neurochirurgen wie Robert Martuza von Harvard, die Moleküle gezielt einsetzen, um eine Gentherapie
gegen Hirntumoren zu entwickeln. Einen weiteren Weg hat die Forscherin
Jennifer Allport von Harvard eingeschlagen ; sie versucht zu ermitteln, ob
eine Tumorbehandlung auf eine „Progenitor“-Nervenzelle (eine Zelle, die
sich zu einer Hirnzelle entwickeln wird) geladen werden kann, die dann
zum Tumor wandern und die therapeutische Wirkung dort ausüben
könnte. Zudem werden individualisierte „therapeutische“ Impfstoffe
gegen den Hirntumor eines Patienten erprobt. Im Gegensatz zu präventiven Impfstoffen, die Menschen davor schützen, sich mit einer Krankheit
wie Masern anzustecken, sollen therapeutische Impfstoffe das Immunsystem des Patienten stimulieren, eine bereits bestehende Erkrankung wie
Hirntumor oder Alzheimersche Krankheit wirksamer zu bekämpfen.
Charakteristisch für die Alzheimersche Krankheit sind die Ansammlung
von Ablagerungen des Peptids Beta-Amyloid im Gehirn sowie ein Geflecht
von Nervenfasern, die so genannten „neurofibrillären Bündel“. Auch Entzündungen des Gehirns kommen vor. Wirkt die bei der Alzheimerschen
Krankheit auftretende Akkumulation von Amyloid direkt toxisch auf das
Gehirn oder verursacht sie im Gehirn eine Entzündungsreaktion ? Die Wissenschaft ist noch nicht in der Lage festzustellen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft. Es ist also unklar, ob eine Entzündung des Gehirns bei
der Alzheimerschen Krankheit zum Krankheitsverlauf gehört oder dessen
Folge ist. Eine neuartige Methode besteht darin, den Körper mittels eines
therapeutischen Impfstoffes so zu stimulieren, dass er Antikörper gegen
Beta-Amyloid produziert. Es gibt Hinweise dafür, dass diese Methode zu
einer geringeren Akkumulation von Beta-Amyloid führt. Nichtsdestoweniger entwickelten einige Kranke, die am klinischen Versuch eines therapeutischen Impfstoffes teilnahmen, eine verstärkte Entzündungsreaktion auf
den Impfstoff. Dies führte dazu, dass der klinische Versuch gestoppt
wurde. Die Verheissung – und die Probleme – der Impfmethode werden
in den Abschnitten „Neuroimmunologie“ sowie „Denken und Gedächtnis“
des vorliegenden Berichts dargestellt.
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Bei einer Entzündung im Körper handelt es sich um die lokalisierte Reaktion
von angeborenen Immun-Makrophagen auf Eindringlinge, oft Bakterien.
Makrophagen setzen Substanzen, so genannte „Zytokine“ frei, welche
Rheumatoide Arthritis ist eine von vielen „Autoimmun“-Krankheiten, bei
denen die Immunzellen des Körpers irrtümlich körpereigenes Gewebe für
„fremd“ halten und angreifen – ein Vorgang, der noch nicht völlig geklärt
ist. Im Falle der autoimmunen rheumatoiden Arthritis könnte das Problem
zum Teil vom Nervensystem, genauer vom Neurotransmitter Glutamat,
herrühren. Laut Terry McNearney, einem Forscher an der Universität von
Texas-Galveston, wird Glutamat durch sensorische periphere Nervenenden in Gelenke freigesetzt, was eine Entzündungsreaktion in den Gelenken hervorrufen könnte. Eine fortdauernde Entzündung kann dann zu
einer Schädigung des Gewebes führen.
Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren
die Durchlässigkeit von Blutgefässen erhöhen. Makrophagen setzen auch
„Chemokine“ genannte Substanzen frei, welche die Migration gewisser
angeborener Immunzellen (so genannte Neutrophile) an den Ort einer
Entzündung leiten. Die Akkumulation von Flüssigkeit und Neutrophilen
ruft das charakteristische rote, geschwollene, heisse und schmerzhafte
Symptom einer Entzündung hervor, wie es etwa auftritt, wenn wir uns das
Knie aufschlagen. Die Makrophagen rufen auch adaptive Immunantikörper
auf den Plan, allerdings dauert es einige Tage, bis diese Reaktion erfolgt.
Eine Entzündung tritt ausser bei der Alzheimerschen Krankheit auch bei
anderen Erkrankungen auf, an denen das Nervensystem beteiligt ist. Eine
dieser entzündlichen Krankheiten, an der das Nervensystem überraschenderweise beteiligt zu sein scheint, ist die rheumatoide Arthritis.
Autoimmunität wie im Falle der rheumatoiden Arthritis trägt ganz entscheidend zu Erkrankungen des Nervensystems bei. Das bekannteste
Beispiel dafür ist Multiple Sklerose (MS). Bei der MS führen Immunzellen
einen fehlgeleiteten Angriff gegen Myelin durch. Diese fetthaltige
Scheide umhüllt und isoliert Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark
und ist für das Weiterleiten von Signalen von einer Nervenzelle zur
andern unerlässlich. Eine vom kürzlich verstorbenen Charles Janeway Jr.
von Yale und seinem Kollegen Michael Carrithers postulierte Hypothese
besagt, die Migrationsroute, auf der Lymphozyten die Oberfläche des
Gehirns in beide Richtungen durchqueren, breche zusammen, so dass
Lymphozyten, die fälschlicherweise gelernt hätten, Myelin anzuvisieren,
über diese Bahn zirkulieren, um anzugreifen.
Ausserdem könnten, so die Forscher Thomas Misgeld und Martin
Kerschensteiner von der Universität Washington, auch die angeborenen
Immun-Mikrogliazellen im Gehirn eine Rolle spielen, indem sie die Axone
17
der Nervenzellen angreifen. Solche Autoimmunreaktionen im Gehirn führen zur wichtigen Frage, wie autoimmune Hirnkrankheiten verhindert werden könnten ohne dabei die Fähigkeit des Immunsystems preiszugeben,
Infektionen des Gehirns wie etwa Meningitis zu verhindern.
Die Verwendung ähnlicher Methoden
zur Untersuchung von Hirn- und Immunzellen
Methoden zur Untersuchung von Immuntherapien gegen Hirnkrankheiten wie etwa die Alzheimersche Krankheit eröffnen nicht nur die Möglichkeit, mehr über das Gehirn zu erfahren, sondern auch die Funktion des
Immunsystems im Gehirn genauer kennenzulernen. Verschiedene Methoden, die ursprünglich zur Untersuchung des einen Systems entwickelt
worden waren, werden heute auf das andere angewendet oder auf die
Interaktion dieser beiden Systeme. So benutzte man etwa die zelluläre und
molekulare Bildgebung zuerst im Rahmen der immunologischen Krebsforschung und wendet sie heute im Bereich der Neuroimmunologie an. Techniken der zellulären und molekularen Bildgebung erlauben es, einzelne
Nerven- und Immunzellen sowie deren Interaktionen sichtbar zu machen.
Einige dieser zellulären Bildgebungsverfahren erlauben es, die Aktivitäten
einer einzelnen Zelle fortlaufend zu verfolgen.
In ähnlicher Weise hat die Neurowissenschaft seit Jahrzehnten mittels
Elektrophysiologie zu verstehen gesucht, wie Substanzen dank Pumpen
und Kanälen in Nervenzellen ein- und ausströmen. Dies hat zu neuen
Erkenntnissen bezüglich verschiedener Krankheiten des Nervensystems
geführt. Inzwischen benutzt die Immunologie dieselben Methoden, um
die Dynamik von Immunzellen zu verstehen. Da wir gewisse Ähnlichkeiten des Nerven- und Immunsystems erkennen, beginnen wir auch, dieselben Verfahren anzuwenden, um die Funktionsweise von Zellen in beiden
Systemen zu verstehen. Dank dieser Methoden und der Zusammenarbeit
von Neurowissenschaft und Immunologie werden sich die Fragen und
Herausforderungen von heute in die Fortschritte von morgen verwandeln.
18
Fortschritte
in der
Hirnforschung
im Jahr 2003
Neuroimmunologische
Erkrankungen
Neue Wege der Behandlung von Multipler Sklerose
22
Zusammenhang mit Neuroimmunvorgängen bestätigt
24
Ein Impfstoff gegen die Alzheimersche Krankheit ?
26
21
I
m Bereich der Neuroimmunologie wurden im vergangenen Jahr bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Beispielsweise eröffneten sich 2003
einige viel versprechende neue Möglichkeiten zur Behandlung der Multiplen Sklerose und es ergaben sich auch neue Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Aktivierung des Immunsystems und der Entstehung
gewisser neurologischer Erkrankungen. Umgekehrt entdeckte man auch
eine Bahn, über die das Nervensystem auf das Immunsystem einzuwirken
vermag, was möglicherweise erklärt, auf welche Weise chronischer Stress
die Immunreaktion schwächen und eine Erkrankung verursachen kann.
Auch zwischen Immunzellen und Schmerz könnte ein Zusammenhang
bestehen (vgl. das Kapitel „Schmerz“, S. 57). Die weiteren Forschungsarbeiten zur Entwicklung eines sicheren und wirksamen Impfstoffs gegen
die Alzheimersche Krankheit haben ebenfalls zu einigen ermutigenden
Resultaten geführt.
Neue Wege der Behandlung von Multipler Sklerose
Bei der Multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um eine chronische, progressive neurologische Erkrankung, von der weltweit etwa eine Million
Menschen betroffen sind 1. Zwar sind die genauen Krankheitsprozesse
noch nicht völlig bekannt, doch entsteht MS, wenn das Immunsystem
einer Person ihr eigenes Zentralnervensystem (ZNS) angreift. Im Verlaufe
dieses Prozesses wird die Myelinscheide, jene fetthaltige Substanz, die
Nervenzellen isoliert, allmählich zerstört, was zu einem Zusammenbruch
der Kommunikation zwischen Neuronen führt.
Zurzeit gibt es kein Heilmittel für die MS und die Behandlung besteht
normalerweise darin, immunsuppressive Medikamente zu verabreichen,
die jedoch nur beschränkt wirksam sind und zahlreiche unerwünschte
Wirkungen haben. Aufgrund internationaler Anstrengungen, neue effizientere Behandlungsmethoden zu entwickeln, könnte sich diese Situation allerdings in einer nicht allzu fernen Zukunft ändern.
22
Eine neue Vorgehensweise besteht in der Transplantation von Stammzellen in die geschädigten Gebiete des ZNS, wo sie sich zu reifen Zellen
entwickeln und die zerstörte Myelinschicht ersetzen können. Um diese
Möglichkeit zu prüfen, injizierte ein Forschungsteam unter Gianvito
Martino am Spital San Raffaele in Milano adulte Nervenstammzellkulturen
entweder in den Blutkreislauf oder ins ZNS von Mäusen mit einer experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE), einem Tiermodell der MS 2.
Unabhängig vom Ort der Injektion zeigte sich nach dreissig Tagen, dass
Zwar lässt sich noch nicht sagen, ob dieses Verfahren bei Menschen mit
einer MS funktioniert, doch stellten die Forschenden fest, dass die durch
EAE hervorgerufene funktionelle Einbusse bei den transplantierten Mäusen beinahe völlig behoben war. Bevor sie diese revolutionäre Methode
bei Menschen anwenden, wollen sie sie an nicht menschlichen Primaten
wie etwa den Krallenaffen testen.
Ein weiterer viel versprechender Ansatz zur Behandlung der MS besteht
darin, die für ihre Entstehung verantwortlichen Gene zu identifizieren und
auszuschalten. Diesen Weg wählten Marcin Mycko und seine Mitarbeitenden von der Medizinischen Hochschule in Lodz, Polen, und wandten
eine relativ neue Technik, die so genannte „cDNA Mikroarray-Analyse“ an,
um eine Reihe von Genen zu identifizieren, die mit der Läsionsaktivität bei
MS in Zusammenhang gebracht werden 3.
Neuroimmunologische Erkrankungen
eine beträchtliche Zahl der Spenderzellen in die entzündeten Gebiete des
Gehirns gewandert waren, sich zu reifen Hirnzellen entwickelt hatten und
das geschädigte Myelin wirksam erneuerten.
Myckos Team analysierte Hirngewebsproben, die vier MS-Kranken weniger als acht Stunden nach ihrem Tod entnommen worden waren. Um herauszufinden, welche Gene aktiv (und vermutlich ursächlich) an jenem
destruktiven Prozess beteiligt sind, der bei MS auftritt, verglichen die
Forschenden die Aktivitätsmuster von Genen am Rand und im Zentrum
von MS-Läsionen. Frühere Untersuchungen liessen erwarten, dass die
„ursächlichen“ Gene am Rand von Läsionen, nicht aber im Zentrum
aktiviert würden. Aufgrund dieser Information (und dank der neuen
Mikroarray-Technik) konnten die Forschenden 14 Gene identifizieren, die
an der Entstehung der MS wahrscheinlich massgeblich beteiligt sind.
Wenn diese Gene ausgeschaltet oder blockiert werden, liesse sich nach
Ansicht der Forschenden das Fortschreiten der MS möglicherweise
verhindern.
Eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Neurowissenschafters
Lawrence Steinman von Stanford verwendete ebenfalls Mikroarrays (hunderte von winzigen Proteinteilen, die in Reihen und Spalten angeordnet
sind), um die Evolution von Autoantikörper-Reaktionen bei Mäusen mit
experimenteller Autoimmun-Enzephalomyelitis darzustellen und dann so
genannte „tolerisierende DNA-Impfstoffe“ (tolerizing DNA-vaccines) zu
entwickeln, die zur Bekämpfung der MS eingesetzt werden könnten 4. Im
23
Falle der MS könnten solche Impfstoffe das Immunsystem dazu bringen,
Myelin zu tolerieren und nicht länger fälschlich als eine nicht körpereigene
Substanz zu betrachten. Dieses Verfahren liesse sich mit den wiederholten
Injektionen zur Behandlung von Allergien vergleichen, die den Körper
gegenüber einer unbedenklichen Substanz desensibilisieren, die vordem
irgendwie eine allergische Reaktion hervorgerufen hatte.
Zwar ist das Konzept von tolerisierenden Impfstoffen nicht neu, doch sind
die von Steinmans Gruppe entwickelten tolerisierenden DNA-Impfstoffe
in der Lage, eine Immuntoleranz gegenüber einem ganzen Spektrum von
Myelin-Proteinen gleichzeitig zu induzieren, was mit den bestehenden auf
Peptiden und Proteinen basierenden tolerisierenden Therapien nicht
erreicht werden konnte.
Der Hauptvorteil von tolerisierenden DNA-Impfstoffen besteht darin, dass
sie „massgeschneidert“ einzelnen Patienten und Krankheiten angepasst
werden können. Ausserdem lassen sich die von Steinmans Team entwickelten Myelin-Protein-Arrays auch dazu verwenden, den Schweregrad
der Krankheit zu beurteilen. Den Wissenschaftern zufolge könnten
Protein-Arrays die Diagnose und Behandlung der MS sowie weiterer
Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis und Typ-1-Diabetes
revolutionieren.
Zusammenhang mit Neuroimmunvorgängen bestätigt
Letztes Jahr wurden neue Befunde erhoben, die die Beteiligung des
Immunsystems an einer Reihe von neurologischen Krankheiten bestätigen.
Beispielsweise berichteten Timothy Vartanian, ausserordentlicher Professor an der Harvard Medical School, und seine Mitarbeitenden in einem
Artikel in Proceedings of the National Academy of Sciences, dass die Aktivierung von Mikroglia (Zellen die zur angeborenen Immunität des Gehirns
gehören und es vor Infektionen schützen), verschiedene Wirkungen hat,
die schliesslich zur Zerstörung von ZNS-Neuronen führen können 5.
24
In einem Experiment setzten die Wissenschafter Mäuse während 30 Minuten einer unnatürlich tiefen Sauerstoffkonzentration (7,7 %) aus – eine Versuchsbedingung, von der sich Mäuse normalerweise erholen können.
Wenn allerdings gleichzeitig auch das angeborene Immunsystem aktiviert
wurde, trugen die Tiere einen irreversiblen Hirnschaden davon. Aufgrund
dieser Ergebnisse kamen die Forschenden zum Schluss, die Aktivierung des
Immunsystems trage zum Untergang von Zellen im Zentralnervensystem
Verschiedene neuere Untersuchungen mit einer ähnlichen Versuchsanordnung kamen zum Ergebnis, dass HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren, so
genannte Statine, auf etliche Neuroimmun-Krankheiten einen positiven
Einfluss auszuüben scheinen. Bei den Statinen handelt es sich um weit
verbreitete Medikamente zur Senkung eines hohen Cholesterinspiegels.
Statine wirken zudem entzündungshemmend und dies könnte erklären,
weshalb sie auch zur Behandlung vieler anderer Erkrankungen, einschliesslich der Alzheimerschen Krankheit (Alzheimer’s disease ; AD),
nützlich sein könnten.
Eine von Magnus Sjogren und seinen Mitarbeitenden an der Universität
Göteborg, Schweden, durchgeführte Untersuchung ergab, dass eine dreimonatige Behandlung mit Simvastatin bei 19 Alzheimer-Kranken die mit
dieser Krankheit einhergehende Ansammlung von amyloiden Plaques verzögerte 6. Den Autoren zufolge ist dies die erste Untersuchung, die den
direkten Nachweis erbringt, dass Statine das Fortschreiten der Alzheimerschen Krankheit verlangsamen könnten (dies vermutlich aufgrund ihrer
entzündungshemmenden Eigenschaften).
Während diese Forschungsarbeit die Beteiligung des Immunsystem an der
Entstehung gewisser neurologischer Erkrankungen nachweist, wurde
umgekehrt auch festgestellt, dass das Nervensystem einen starken Einfluss auf das Immunsystem ausüben kann. Beispielsweise entdeckte eine
Forschungsgruppe unter Janice Kiecolt-Glaser an der Ohio State University, dass chronischer Stress zu einer Überproduktion von IL-6 führen
kann ; diese Substanz wird vom Immunsystem produziert, fördert Entzündungen und wird mit altersbedingten Krankheiten einschliesslich kardiovaskulärer Erkrankungen, Osteoporose, Arthritis, Typ-2-Diabetes und
gewissen Arten von Krebs in Zusammenhang gebracht. In einer in Proceedings of the National Academy of Sciences publizierten Untersuchung
konnten die Forschenden nachweisen, dass bei einer Gruppe von älteren
Personen, die einen chronisch kranken Ehepartner betreuten, IL-6 signifikant erhöht war – dies im Vergleich zu einer Gruppe Gleichaltriger, die
keine solche Aufgabe zu erfüllen hatten 7. Da IL-6 mit einer Reihe altersbedingter Krankheiten in Zusammenhang steht, könnten die Ergebnisse
dieser Untersuchung zur Erklärung beitragen, wie chronischer Stress
Neuroimmunologische Erkrankungen
bei. Zudem könnte dieser Befund auch erklären, auf welche Weise
systemische Infektionen zu einer verstärkten Neurodegeneration führen
können, die bei etlichen neurologischen Erkrankungen auftritt.
25
(z. B. die Betreuung eines an der Alzheimerschen Krankheit leidenden
Ehepartners) zu Krankheiten führen kann.
Ein Impfstoff gegen die Alzheimersche Krankheit ?
Eine mögliche Methode, die Alzheimersche Krankheit zu behandeln,
basiert auf der Verwendung von therapeutischen Impfstoffen (vgl. das
Kapitel „Denk- und Erinnerungsstörungen“, S. 88). Dieser Ansatz beruht
auf der Annahme, eine Impfung von Alzheimer-Kranken mit dem BetaAmyloid (ßA)-Peptid, jener Substanz also, die für die Entwicklung der Alzheimerschen Krankheit als hauptverantwortlich gilt, könnte das Immunsystem der Patienten dazu veranlassen, die sich im Gehirn ansammelnden
amyloiden Plaques anzugreifen und zu zerstören. Forschende der Firma
Elan Pharmaceuticals in Kalifornien testeten diese Methode erstmals im
Jahr 1999 an einem Mausmodell von AD und begannen – durch die positiven Ergebnisse ermutigt – 2001 mit ersten klinischen Versuchen an Menschen. Allerdings mussten diese Versuche anfangs 2002 abgebrochen
werden, da es bei einigen Teilnehmenden zu einer Meningoenzephalitis
(einer Entzündung des Gehirns und des angrenzenden Gewebes) kam.
Obwohl die klinischen Versuche gestoppt wurden, konnten Christoph
Hock und Mitarbeitende an der Universität Zürich, Schweiz, die die Daten
einer kleinen Anzahl von Kranken analysierten, zeigen, dass sich bei diesen Kranken als Reaktion auf die Impfung tatsächlich Antikörper gegen
Beta-Amyloid gebildet hatten 8. Überdies war das Vorhandensein dieser
Antikörper auch mit einem verlangsamten kognitiven Abbau verbunden.
Ergebnisse einer Untersuchung von JoAnne McLaurin und ihrem Team an
der Universität Toronto in Kanada geben ebenfalls Anlass zu neuem Optimismus bezüglich der Entwicklung eines wirksamen Alzheimer-Impfstoffs,
der keine Entzündung im Gehirn hervorruft 9. Aufgrund einer Reihe von
Experimenten an Mäusen, konnten diese Forschenden feststellen, welche
spezifischen Bereiche des im ursprünglichen Impfstoff verwendeten Antigen-Moleküls für die Entstehung einer Entzündung verantwortlich waren.
Wenn es gelingt, diese Bereiche zu eliminieren, sollte der Entwicklung
eines sicheren und wirksamen Impfstoffs nichts mehr im Wege stehen.
26
In der Kindheit
auftretende Störungen
Neue Erkenntnisse zur zerebralen Grundlage
des Autismus
28
Bildgebende Verfahren decken die neurale Grundlage
des Lesens und der Dyslexie auf
30
Geistige Behinderung besser verstehen
32
Einen Mythos bezüglich Cerebralparetik ausräumen
33
27
I
n der Kindheit auftretende Hirnkrankheiten beruhen im Allgemeinen
auf einem grundlegenden Fehler in der normalen Entwicklung. Im
Jahr 2003 setzten die Forschenden ihre Bemühungen fort, diese Krankheiten auf der molekularen und genetischen Ebene zu verstehen. Unser
Verständnis des Autismus, der Dyslexie und der verschiedenen Formen
von geistiger Behinderung hat in dieser Zeitspanne bemerkenswerte
Fortschritte gemacht.
Neue Erkenntnisse zur zerebralen Grundlage des Autismus
Beim Autismus handelt es sich um eine verheerende Entwicklungsstörung
mit Symptomen wie emotionaler Rückzug, repetitive Bewegungen und
Schwierigkeiten, mit anderen zu kommunizieren. Verschiedene neuere
Berichte machen deutlich, dass die Diagnose Autismus immer häufiger
gestellt wird. Dies belegt auch ein Bericht, den Marshalyn Yeargin-Allsopp
und Mitarbeitende vom Center for Disease Control and Prevention im
Januar 2003 im Journal of the American Medical Association (JAMA) publizierten ; darin stellten sie fest, dass die allgemeine Verbreitung des
Autismus im Grossraum Atlanta im Jahr 1996 3,4 Promille betrug – also
ungefähr das zehnfache dessen, was in drei amerikanischen Untersuchungen der späten 80er und frühen 90er Jahre berichtet worden war, und
näher den Verhältnissen, wie sie 2001 in einer Untersuchung aus New
Jersey und in verschiedenen neueren europäischen Untersuchungen
festgestellt wurden 10. Die Frage, ob die Verbreitung des Autismus tatsächlich zunimmt, oder ob wir es mit der Kombination von einer grösseren
öffentlichen Aufmerksamkeit und verbesserten Diagnosetechniken zu tun
haben, ist noch offen.
28
Die Ursache des Autismus ist weiterhin unklar. Ein strittiger Punkt, den
die meisten Wissenschafter als irreführendes Argument betrachten – die
Ungefährlichkeit von Impfstoffen für Kinder – konnte immer noch nicht
aus der Welt geschafft werden. Allen überwältigenden gegenteiligen
Hinweisen zum Trotz behaupten gewisse lautstarke Befürwortergruppen,
Thimerosal, ein bis vor kurzem bei Impfstoffen für Kinder gebräuchliches
quecksilberhaltiges Konservierungsmittel, verursache Autismus. Zwei dieses Jahr in Pediatrics veröffentlichte Berichte liefern hingegen zusätzliche
Beweise dafür, dass Thimerosal nicht verantwortlich gemacht werden
kann : Karin B. Nelson und Margaret L. Bauman sichteten die bisherigen
wissenschaftlichen Befunde und kamen im März zum Schluss, Thimerosal
sei nicht die Ursache von Autismus 11 ; diese Schlussfolgerung wurde
im September durch einen Bericht von Kreesten M. Madsen und
Am besten belegt ist wohl die Annahme, Autismus werde durch die Interaktion verschiedener Gene verursacht. Forschende haben jahrelang Familien mit mehr als einem autistischen Kind untersucht und gehofft, Hinweise auf verantwortliche Chromosomen finden zu können – allerdings
ohne grossen Erfolg. Eine im März in Nature Genetics veröffentlichte
Untersuchung scheint jedoch viel versprechend zu sein. Ein französisches
Team unter der Leitung von Stéphane Jamain berichtete, es hätte zwei
Gene auf dem X-Chromosom identifiziert, die möglicherweise zu gewissen Fällen von Autismus beitrugen 14. Dieses Chromosom ist besonders
interessant, da viermal so viele Buben von Autismus betroffen sind wie
Mädchen, eine Geschlechtspräferenz, die für mit dem X-Chromosom in
Zusammenhang stehende Krankheiten typisch ist. Die Forschenden untersuchten 158 Personen, in deren Familie Autismus vorkam oder das Asperger Syndrom, eine zum autistischen Spektrum gehörende Erkrankung, die
durch eine normale oder überdurchschnittliche Intelligenz und ausgeprägte Schwierigkeiten im sozialen Bereich charakterisiert ist. Sie fanden
in einer Familie bei zwei betroffenen Geschwistern eine Mutation des
Gens NLGN3 und in einer anderen Familie bei zwei betroffenen Geschwistern eine Mutation des Gens NLGN4. Für beide Fälle gilt, dass diese
Mutationen bei Hunderten von Kontrollpersonen nicht zu finden waren.
Sowohl NLGN3 als auch NLGN4, kodieren für Proteine namens Neurologine, welche an der Kommunikation zwischen Neuronen beteiligt sind.
Neurologine sind den Zellen anhaftende oder „klebrige“ Moleküle, Proteine also, die es einem Neuron ermöglichen, die richtige Zielstruktur zu
identifizieren und mit ihr eine funktionsfähige Synapse zu bilden. Die festgestellten Mutationen führen zu einer fehlerhaften Form des Proteins, das
dann seinerseits die einwandfreie Bildung von Synapsen beeinträchtigt –
ein grundlegender Defekt der neuralen Kommunikation, der die bei
Autismus auftretenden Verhaltensauffälligkeiten erklären könnte. Sollte
In der Kindheit auftretende Störungen
Mitarbeitenden gestützt, die feststellten, dass Autismus in Dänemark nach
1992, dem Jahr, in dem dieses Land als eines der ersten thimerosalhaltige
Impfstoffe verboten hatte, häufiger diagnostiziert wurde 12. Eine separate
Untersuchung von Anders Hviid und Mitarbeitenden, die im Oktober in
JAMA veröffentlicht wurde, analysierte die Krankengeschichten aller zwischen 1990 und 1996 in Dänemark geborenen Kinder und verglich den
Gesundheitszustand von mit thimerosalhaltigen und thimerosalfreien
Impfstoff behandelten Kindern 13. Autismus kam in den beiden Gruppen
ungefähr gleich oft vor, ein weiterer Beweis dafür, dass Thimerosal das
Krankheitsrisiko nicht erhöht.
29
sich dieser Befund bestätigen, wären dies die ersten Gene, die eindeutig
mit Autismus in Zusammenhang gebracht werden können.
Ein im Juli in JAMA erschienener Bericht eines anderen Teams lieferte weitere Hinweise darauf, dass Autismus auf einer frühen Abnormität der Hirnentwicklung beruhen könnte 15. Eric Courchesne und Mitarbeitende an
der University of California, San Diego, sichteten die Krankengeschichten
von 48 autistischen Vorschulkindern und gleichaltrigen gesunden Kontrollpersonen. Die Forschenden fanden heraus, dass der Kopfumfang von
Kindern, bei denen später Autismus diagnostiziert wurde, bei der Geburt
kleiner war als normal, sich jedoch während des ersten Lebensjahres plötzlich drastisch vergrösserte. Der Kopf von autistischen Kindern wuchs im
Verlauf von 6 – 14 Monaten im Durchschnitt vom 25. aufs 84. Perzentil an.
Das Wachstum korrelierte stark mit einem grösseren Hirnvolumen, das
mittels MRI-Scans gemessen wurde, als die Kinder zwei bis fünf Jahre alt
waren. Wie die Autoren schreiben, könnte die Messung des Kopfumfanges, falls diese Untersuchung bestätigt würde, einen einfachen Weg darstellen, um Risikokinder zu erfassen und die Diagnose zu verfeinern. Janet
E. Lainhart von der Universität Utah hält jedoch in einem Kommentar zu
diesem Bericht fest, auf diese Weise könnten pro 10 000 untersuchten
Babys schätzungsweise nur 10 autistische Kinder gefunden werden, so
dass der Befund wohl mehr den Forschenden als den klinischen Ärzten
nützen werde 16.
Bildgebende Verfahren decken die neurale Grundlage
des Lesens und der Dyslexie auf
Von einer Dyslexie oder „Wort-Blindheit“, die zu Lese- und Lernstörungen
führen kann, sind etwa 5-10 % der amerikanischen Bevölkerung betroffen.
Zwei im Jahr 2003 vorgestellte Untersuchungen verwendeten ein bildgebendes Verfahren in „Echtzeit“, die funktionelle Magnetresonanzbildgebung (fMRI), um die neurale Grundlage des Lesens zu dokumentieren und spezifische Abnormitäten, die diese Fähigkeit beeinträchtigen,
zu identifizieren.
30
Guinevere Eden und Mitarbeitende berichteten in der Juli-Ausgabe von
Nature Neuroscience über ihre fMRI Studie mit dem Ziel die Hirnregionen
festzustellen, welche während des Lesens aktiviert sind und abzuklären,
ob sich das Aktivitätsmuster verändert, wenn sich die Lesefähigkeit bessert 17. Die Forschenden untersuchten 41 Kinder und junge Erwachsene im
Alter von 6 bis 22 Jahren und korrelierten den Befund der fMRI-Scans mit
Ebenfalls im Juli berichteten Sally E. Shaywitz und Mitarbeitende von der
Universität Yale in Biological Psychiatry, dass von Dyslexie Betroffene, die
hinlänglich lesen lernen, ihr Gehirn anders einsetzen als jene, deren Leseschwierigkeiten bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben – und beide
Gruppen unterscheiden sich von normalen Lesern 18. Die Forschenden
untersuchten mittels fMRI drei Gruppen – normale Leser, von Dyslexie
Betroffene, die gut lesen gelernt hatten sowie von Dyslexie Betroffene, die
schlechte Leser geblieben waren. Dabei stellten sie fest, dass Dyslektiker,
deren Lesefähigkeit sich im Laufe der Zeit gebessert hatte, nicht in der
Lage waren, jene neuralen Systeme zu aktivieren, die normalerweise
gebraucht werden, um Töne und Sprache zu verarbeiten, sondern die
Aufgaben lösten, indem sie kompensatorisch auf andere Hirnbereiche
zurückgriffen. Als Erwachsene lasen diese Personen zwar langsam, verstanden aber, was sie lasen. Zu ihrer Überraschung stellten die Forschenden fest, dass die zweite Gruppe der Dyslektiker, die schlechte Leser
geblieben waren, den richtigen neuralen Schaltkreis zur Verfügung hatte,
um Töne und Sprache zu verarbeiten, ihn aber nicht so aktivierte wie normale Leser. Vielmehr verliessen sich die schlechten Leser auf ihr Gedächtnis, um die Bedeutung von Wörtern zu verstehen – ein mühsamer und
wenig effizienter Hirnprozess, der wahrscheinlich das fehlende Leseverständnis erklärt. Die Untersuchung ist nicht nur deshalb von Bedeutung,
weil sie weitere Erkenntnisse zu jenen Anomalien des Gehirns liefert, welche Dyslexie verursachen, sondern auch, weil sie zeigt, dass eine verbesserte Lesefähigkeit eine neurale Grundlage haben könnte. Indirekt unterstreicht die Untersuchung, wie wichtig eine pädagogische Anleitung ist,
In der Kindheit auftretende Störungen
der Lesequalität. Sie stellten fest, dass Kinder, die lesen lernen, mehr und
mehr den für Sprachverarbeitung verantwortlichen Teil der linken Hirnhälfte aktivieren. Je besser sie lesen können, umso mehr unterdrücken sie
die Aktivität im „visuellen“ Teil der rechten Hirnhälfte. Diese Untersuchung liefert einen Hightech-Nachweis für eine Jahrzehnte alte Theorie
des Dyslexie-Forschers Samuel Orton, der bereits 1925 angenommen
hatte, normale Leser lernten, die visuellen Bilder der rechten Hirnhälfte zu
unterdrücken, die die Sprachverarbeitung der linken Hirnhälfte stören
könnten. Die Forschenden aus Georgetown liefern auch erstmals Beweise
dafür, dass verschiedenen Arten der phonologischen Verarbeitung (der
Fähigkeit, Wörter herauszuhören) unterschiedliche neurale Schaltkreise
im Gehirn zugrunde liegen. Dies bedeutet, dass es verschiedene Unterarten der Dyslexie geben könnte, die auf spezifischen neuralen Defekten
der phonologischen Verarbeitung beruhen.
31
die Kinder darin unterstützt, wie auch immer geartete angeborene Abnormitäten zu kompensieren.
Geistige Behinderung besser verstehen
Geistige Behinderung, zunehmend als allgemeine Entwicklungsverzögerung verstanden, ist ein weiter Begriff, der über tausend Krankheiten
umfasst, die zu Beeinträchtigungen des Erkenntnisvermögens und der
Entwicklung führen 19 und oft in unterschiedlicher Ausprägung auftreten
sowie von zusätzlichen medizinischen Komplikationen begleitet werden.
Die American Academy of Neurology und die Child Neurology Society
gaben dieses Jahr neue Richtlinien zur Diagnose von geistiger Behinderung 20 heraus, um den Pädiatern die Unterscheidung der verschiedenen
Krankheiten zu erleichtern. Diese soll ihnen behilflich sein, die geeigneten
Untersuchungen anzuordnen, eine Prognose zu stellen, Eingriffe zu planen und mit Komplikationen umzugehen.
32
Gleichzeitig bemüht sich die Wissenschaft weiterhin herauszufinden,
was eine geistige Behinderung verursacht. Verschiedene in diesem Jahr
veröffentlichte Untersuchungen zeigen, dass die Forschung eine neue
Richtung eingeschlagen hat. Die Forschenden sehen in den verschiedenen Arten geistiger Behinderung heute nicht mehr so sehr umfassend definierte chromosomale Erkrankungen (z. B. Trisomie- Erkrankungen wie das
Down-Syndrom und mit dem X-Chromosom verbundene Erkrankungen
wie das Fragile-X-Syndrom), sondern konzentrieren sich immer mehr auf
spezifische molekulare Defekte, wobei sie bei scheinbar verschiedenartigen Krankheiten gewisse Überlappungen feststellen. Dieses Jahr veröffentlichten beispielsweise Michael V. Johnston und Mitarbeitende von der
John Hopkins Universität in Pediatric Research eine Übersicht über neuere
Berichte und fanden dabei ein gemeinsames Muster von molekularen
Defekten bei so unterschiedlichen Krankheiten wie der Neurofibromatose
Typ 1, dem Rett-Syndrom und verschiedenen mit dem X-Chromosom
assoziierten Syndromen geistiger Behinderung 21. Die Autoren stellten
fest, dass bei allen Krankheiten die für das Gedächtnis wichtige Abfolge
molekularer Schritte (wissenschaftlich „Signalweg“ genannt) irgendwie
unterbrochen war. Das Lernen kann erfolgen, wenn das Gehirn in der Lage
ist, die unmittelbare Erinnerung an ein Ereignis oder eine Fertigkeit in langfristiges Wissen umzuwandeln. Auf der biologischen Ebene umfasst dies
eine Reihe molekularer Signale, die zwischen den zahlreichen Synapsen
eines Neurons und seinem Zellkern hin und her gesandt werden. Wenn
dieser Vorgang korrekt abläuft, werden bestimmte Synapsen in einer
Die molekulare Forschungsrichtung hat bei einer verbreiteten Art von
angeborener geistiger Behinderung, dem Fragilen-X-Syndrom, bereits zu
entscheidenden Erkenntnissen geführt. Seit einem Jahrzehnt steht wissenschaftlich fest, dass sich diese Störung entwickelt, wenn ein genetischer Defekt Hirnzellen daran hindert, das fragile X-Protein (FMRP) zu bilden ; es blieb jedoch unklar, auf welche Weise der Ausfall dieses Proteins
zu Symptomen wie kognitiven Einbussen und Aufmerksamkeitsstörung
führt. In einem Übersichtsartikel, der im März in Trends in Biochemical
Science 22 erschien, berichten Stephen T. Warren und Peng Jin von der
Universität Emory über neue Erkenntnisse, dass FMRP bei der Bildung von
synaptischen Verbindungen im Gehirn eine entscheidende Rolle spielt.
Der Ausfall des Proteins scheint die synaptische Plastizität, also jene
Abfolge von Veränderungen, die Lernen überhaupt ermöglicht, zu beeinträchtigen. Die Forschenden konnten auch eine besondere molekulare
Kaskade von Ereignissen identifizieren, die zur Bildung von FMRP führt.
Nun wird untersucht, ob Medikamente, die bestimmte Substanzen in dieser Kaskade beeinflussen, die Bildung von FMRP auslösen und dadurch
eine Behandlung der Krankheit ermöglichen könnten.
In der Kindheit auftretende Störungen
Weise verstärkt, die eine Langzeitspeicherung und das erneute Abrufen
des Wissens ermöglicht. Verschiedene Arten von geistiger Behinderung
entstehen, wenn genetische Fehler verhindern, dass dieses System richtig
funktioniert. Vorläufig finden diese Untersuchungen zwar noch auf der
Ebene der Grundlagenforschung statt, doch hoffen die Forschenden, die
Bestimmung spezifischer Übertragungsfehler könnte schliesslich zu neuen
Therapieansätzen führen.
Einen Mythos bezüglich Cerebralparetik ausräumen
Die meisten Leute und auch viele Ärzte gehen davon aus, dass ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, der medizinische Ausdruck lautet Hypoxie, im
Allgemeinen für verschiedene Arten von frühkindlichen Hirnschädigungen, einschliesslich der Cerebralparetik, verantwortlich ist. Ein im Januar
2003 vom American College of Obstetricians and Gynecologists und der
American Academy of Pediatrics erstellter Bericht räumt diesen Mythos
aus und hält fest, dass nur eine von zehn frühkindlichen Hirnschädigungen
auf eine Hypoxie zurückzuführen ist. Die Autoren kommen zum Schluss,
dass die meisten frühkindlichen Hirnschädigungen durch genetische Störungen, Stoffwechselanomalien, Infektionen, Traumata, vorgeburtlichen
Hirnschlag oder durch eine Kombination von Faktoren im Mutterleib vor
der Niederkunft verursacht werden 23. Darüber hinaus folgern die Autoren,
33
dass das meist gebräuchliche frühe Warnzeichen zur Beurteilung, ob
eine Hypoxie eintritt – ein abnormaler Herzschlag des Fötus, der Stress
anzeigt – aus einer ganzen Reihe von Gründen auftreten kann und deshalb
für sich allein genommen nicht geeignet ist, einen Sauerstoffmangel festzustellen oder zu verhindern. Zwar lassen sich die meisten frühkindlichen
Hirnschädigungen nicht verhindern, doch hoffen die Wissenschafter, der
Bericht werde dazu beitragen, dass Forschende die Umstände, unter
denen eine Hirnschädigung aufgrund einer Hypoxie erfolgt und die spezifischen frühen Warnsignale besser bestimmen können ; daraus sollen
schliesslich Richtlinien für Ärzte erarbeitet werden, um diese 10 % der Fälle
verhindern zu helfen.
34
Bewegungsstörungen und
andere Störungen der Motorik
Wachsendes Interesse an Wachstumsfaktoren
36
Bemerkenswerte Erfolge und Misserfolge
38
Stimulierende Nachrichten
39
35
S
chwierigkeiten mit der Bewegung kommen bei den verschiedensten
Krankheiten vor, angefangen bei den „klassischen“ vom Gehirn ausgehenden Bewegungsstörungen der Neurologie, wie der Parkinsonschen
Krankheit, bis hin zu degenerativen Erkrankungen des Nervensystems,
einschliesslich der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), bei der die Bewegungskontrolle auf der Ebene des Rückenmarks unterbrochen wird. Zu
den Symptomen gehört entweder die Unfähigkeit, Willkürbewegungen
zu beginnen und zu steuern, oder das Problem, unbeabsichtigte Bewegungen zu verhindern. Forschungsberichte aus diesen Bereichen widerspiegeln in den letzten Jahren das gewohnte Muster therapeutischer Fortschritte : eine Mischung von Begeisterung über das Vorankommen der
Grundlagenwissenschaften, Enttäuschung über Therapieversuche, die
der klinischen Erprobung nicht standhalten, und einige Berichte von tatsächlichen Erfolgen.
Wachsendes Interesse an Wachstumsfaktoren
Die Parkinsonsche Krankheit ist ein gutes Beispiel für die Aufgabe, ein im
Laboratorium entwickeltes Therapieverfahren bei kranken Menschen zur
Anwendung zu bringen. Im Vergleich zu vielen anderen Erkrankungen
hatte die Erforschung der Parkinsonschen Krankheit den Vorteil, dass man
weiss, dass die Bewegungsstörungen direkt durch den Untergang von
Nervenzellen in einem umschriebenen Hirnbereich (der so genannten
Substantia nigra) verursacht werden. Diese Neuronen kommunizieren
über den Neurotransmitter Dopamin mit anderen Bewegungszentren
des Gehirns. Aber das Gehirn ist dermassen komplex, dass nicht einmal
diese Kenntnis zu einer Therapie führte, um den Untergang von Neuronen
der Substantia nigra zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Die gängigen Therapien, einschliesslich Levodopa (L-Dopa) und Medikamenten,
welche die Wirkungen von L-Dopa imitieren, wirken rein symptomatisch,
wobei es allerdings zu einer jahrelang anhaltenden Besserung kommen kann.
36
Die meisten gebräuchlichen Therapien der Parkinsonschen Krankheit,
seien sie bereits zugelassen oder noch im experimentellen Stadium, konzentrieren sich darauf, den durch die Degeneration der Neuronen in der Substantia nigra verursachten Dopaminmangel zu kompensieren. Inzwischen
hat aber eine transatlantische Zusammenarbeit mit dem Ziel, vor allem die
Degeneration dieser Neuronen zu verhindern, eine interessante therapeutische Perspektive eröffnet. Nachdem ein vorläufiger Kongressbericht
anfangs 2002 erschienen war (vgl. unseren Jahresbericht 2003), erwartete
man mit Spannung den ausführlichen Bericht des Klinikers Steven Gill
Wachstumsfaktoren sind für die Reifung und das Überleben von Nervenzellen unerlässlich. In Tiermodellen gab es Hinweise, GDNF (glial cell linederived neurotrophic factor) könnte die Degeneration von Zellen der Substantia nigra verhindern. Erste Studien am Menschen waren allerdings
zunächst enttäuschend ; GDNF, in die Liquorräume der Hirnventrikel verabreicht, erreichte einerseits nicht die kritischen Hirnregionen und führte
anderseits wegen der zur grossen Verteilung im Gehirn zu Nebenwirkungen.
Das Team von Gill und Svendsen ging noch direkter vor und platzierte
einen winzigen Katheter direkt ins Putamen, ein Bewegungszentrum, das
durch den Dopaminmangel besonders stark betroffen ist. Die Kanüle führt
zu einer ins Abdomen implantierten Pumpe, die GDNF kontinuierlich in
kleinen Mengen abgab. Die Ergebnisse scheinen die Theorie zu bestätigen, wonach der GDNF von Nervenfasern der Substantia nigra, die ins
Putamen reichen, aufgenommen wird. Wenn der Wachstumsfaktor dann
über die Fasern zurücktransportiert wird, unterstützt er die Funktionsfähigkeit der Dopamin produzierenden Neuronen. Da es sich dabei
nicht um einen kontrollierten Blindversuch handelte und nur fünf
Kranke ohne Kontrollgruppe einbezogen wurden, war das Fehlen von
Nebenwirkungen von grösserer Bedeutung als die klinische Besserung.
Weitere Versuche müssen nun die Wirksamkeit und Sicherheit dieser
Behandlung bestätigen.
Zwar steht diese Forschung noch im Anfangsstadium, doch geben Wachstumsfaktoren auch Patienten mit ALS (in Amerika unter der Bezeichnung
Lou Gehrig-Krankheit allgemein bekannt) neue Hoffnung. Die gegenwärtigen Verfahren zur Behandlung der ALS können die rasch fortschreitende
Degeneration der motorischen Rückenmarksnerven, welche die Muskeln
steuern, nur in geringem Masse verzögern. Die mit dem nicht rezeptpflichtigen Nahrungsergänzungsmittel Kreatin verbundenen Hoffnungen
zerschlugen sich im Jahr 2003, als eine von Leonard H. van den Berg
vom University Medical Center in Utrecht, Niederlande, durchgeführte
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
vom Frenchay Hospital in Bristol, Grossbritannien, und des Grundlagenwissenschafters Clive Svendsen von der University of Wisconsin in
Madison über die erfolgreiche Verabreichung eines Wachstumsfaktors
direkt in die an Dopamin verarmten Hirnregionen. In der Mai-Ausgabe
von Nature Medicine berichteten die Forscher, dieses Verfahren habe bei
minimalen Nebenwirkungen zu einer Verbesserung der motorischen
Symptome geführt 24.
37
prospektive kontrollierte Doppelblindstudie bei ALS-Kranken mit Kreatin
keine signifikante Besserung ergab 25.
Klinische Studien sind indessen im Gange, um Wachstumsfaktoren durch
einen gentherapeutischen Ansatz in die motorischen Rückenmarksnerven
zu bringen (siehe auch das Kapitel „Schädigungen des Nervensystems“,
S. 41). In der am 8. August erschienenen Ausgabe von Science berichteten Fred Gage und Mitarbeitende vom Salk Institute in La Jolla, Kalifornien,
dass sie nahe daran sind eine besonders schwierige therapeutische Hürde
zu überwinden, nämlich die fast undurchdringbare Blut-Hirn-Schranke.
Die meisten Medikamente können diese Schranke nicht durchdringen,
durch welche Gehirn und Rückenmark vor Giftstoffen im Blutkreislauf
geschützt werden. Gage und Mitarbeitende entdeckten indessen, dass
gewisse Viren über die Hintertüre der Muskulatur in die motorischen
Rückenmarksnerven gelangen. Die Forschenden luden das Gen für den
Insulinartigen Wachstumsfaktor-1 (IGF-1) im Huckepackverfahren auf ein
unschädliches Virus und konnten so am Mäusemodell der ALS das Gen in
motorische Nervenzellen bringen. Die Neuronen begannen, den Wachstumsfaktor zu produzieren und die Lebenserwartung der Mäuse wurde
beinahe verdoppelt 26. Dieselben Forschenden planen nun eine Studie
am Menschen.
Bemerkenswerte Erfolge und Misserfolge
Das jährliche Meeting über Bewegungsstörungen fand Ende 2002 in
Miami statt, also nach Drucklegung unseres letztjährigen Jahresberichts ;
wir berücksichtigen es hier, da an diesem Anlass über zwei mit Spannung
erwartete klinische Studien an Parkinson-Kranken berichtet wurde. Die
Ergebnisse waren uneinheitlich. Die gute Nachricht, dass eine frühzeitige
Verabreichung von L-Dopa bei der Parkinsonschen Krankheit den Krankheitsverlauf nicht zu beschleunigen scheint, wurde von Stanley Fahn
von der Universität Columbia als Vertreter der Parkinson’s Study Group
vorgetragen. Der ELLDOPA-Versuch (Early vs. Late L-Dopa ; frühes vs.
spätes L-Dopa) war aufgrund des Verdachts durchgeführt worden, eine
frühzeitige Abgabe des Medikaments würde zwar einige Symptome vorübergehend scheinbar bessern, dabei aber den zugrunde liegenden
Krankheitsprozess beschleunigen. Die Studie scheint diese Befürchtungen zerstreut zu haben 27.
38
Weniger ermutigend war ein Bericht von Warren Olanow von der Mount
Sinai School of Medicine in New York City über fötale Zelltransplantate,
Ebenso, wie bei der damals negativ ausgefallenen Untersuchung ging es
auch diesmal um zweifelhafte methodische Aspekte im Zusammenhang
mit früheren erfolgreichen Transplantationsstudien. Die Studie von Olanow und Mitarbeitenden war kontrolliert, d. h. einige Kranke erhielten
fötale Zellen während bei anderen nur eine Scheinoperation durchgeführt
wurde. Sie war auch doppelblind ; weder die Kranken noch die Ärzte, die
den postoperativen Verlauf verfolgten wussten, welche Kranken fötale
Zellen erhalten hatten und welche nicht. Die Krux bei diesen Ergebnissen
bestand darin, dass sich gewisse Symptome bei einigen Kranken besserten, dass aber bei anderen Kranken motorische Störungen auftraten, die
vor der Operation nicht bestanden hatten und wahrscheinlich eine Nebenwirkung der Transplantate darstellten 28.
Während Experimente an Tiermodellen fortgeführt werden, sind viele
Ärzte und Ärztinnen der Ansicht, eine Anwendung an Menschen solle
vorderhand zurückgestellt werden.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
der im September 2003 in den Annals of Neurology veröffentlicht wurde.
Olanow und seine Kollegen stellten fest, dass bei der Transplantation von
fötalen Dopamin-Neuronen als Ersatz der durch die Parkinsonsche Krankheit
zugrunde gegangenen Nervenzellen die negativen Nebenwirkungen gegenüber den geringen positiven Wirkungen überwiegen; damit bestätigten sie
die Ergebnisse einer ähnlichen vor zwei Jahren durchgeführten Untersuchung.
Stimulierende Nachrichten
Eine Ursache, weshalb es manchen Ärzten leicht fällt, sich von den Transplantaten abzuwenden, ist der Erfolg der tiefen Hirnstimulation (deep
brain stimulation, DBS) durch den so genannten „Hirn-Schrittmacher“ bei
der Parkinsonschen Krankheit und anderen Erkrankungen. Der Schrittmacher selbst wird ins Abdomen eingepflanzt, wobei ein Kabel bis in jene
Bereiche tief im Innern des Gehirns reicht, welche die Bewegung steuern.
Schwache, regelmässig in diese Bereiche abgegebene elektrische Impulse
können Symptome wie Tremor, Starre, Bewegungsverlangsamung, Gehstörungen und das „Einfrieren“ mindern. Obgleich der Mechanismus dieser Wirkung noch im Dunkeln liegt, steht fest, dass die Stimulation die
Aktivität in Hirnschaltkreisen verändert, die an der Bewegungssteuerung
beteiligt sind.
Im Jahr 2003 trug eine Vielzahl von Forschungsberichten dazu bei, Einsichten in diese Schaltkreise zu gewinnen. Vier verschiedene Forschungsgruppen
39
– geleitet von Marjorie E. Anderson an der University of Washington
in Seattle ; Jerrold L. Vitek an der Emory University in Atlanta, Georgia ;
Marc Savasta an der Université Joseph Fourier in Grenoble, Frankreich;
und Joel S. Perlmutter an der Washington University in St. Louis, Missouri –
verwendeten verschiedene Verfahren, die unter anderem die Registrierung der elektrischen Hirnaktivität in den Schaltkreisen 29, 30 sowie die
Bestimmung der Konzentration von Neurontransmittern 31 und der Durchblutungsmuster in diesen Bereichen umfassten 32. Dank diesen neuen
Erkenntnissen über die Wirkweise der DBS werden die Forschenden
besser bestimmen können, welche Symptome durch die Stimulation
unterschiedlicher Orte im Bewegungsschaltkreis am wirksamsten beeinflusst werden können.
Diese Fortschritte dürften sich ausser auf die Parkinsonsche Krankheit
auch auf andere Erkrankungen auswirken. Seit mehreren Jahren wenden
Ärzte die DBS versuchsweise bei Patienten an, die an Dystonie leiden, eine
Krankheit, bei der länger dauernde Muskelkontraktionen vorherrschen ;
diese können von einem einfachen Schreibkrampf bis hin zu schwerwiegenden Verrenkungen ganzer Körperpartien reichen, die die Betroffenen
zu einem Leben im Rollstuhl verurteilen. Einige Dystonien beruhen auf
Verletzungen von Hirnbereichen, die Bewegungen steuern, andere haben
eine genetische Ursache, treten oft schon in der Kindheit auf und verschlimmern sich progressiv.
40
Einzelbeobachtungen weisen deutlich darauf hin, dass DBS in denselben
Bewegungsschaltkreisen, die bei der Parkinsonschen Krankheit stimuliert
werden, bei Dystonie-Kranken zu einer entscheidenden Besserung führen
kann. Da die Wissenschaft Einzelberichten stets skeptisch gegenübersteht, ist es für Dystonie-Kranke eine gute Nachricht, dass die erste grössere retrospektive Studie der Wirkung von DBS bei erwachsenen Dystoniepatienten die positive Wirkung bestätigt. Einem Bericht des
Neurochirurgen Tipu Aziz und Mitarbeitenden vom Radcliffe Infirmary in
Oxford, Grossbritannien zufolge, kam es bei den meisten der 25 DystonieKranken, die in ihrer Klinik mit DBS behandelt wurden, zu dauerhaften
Besserungen. Eine interessante Beobachtung, die allerdings noch verifiziert werden muss, ist die, dass einige Kranke nach der Operation kontinuierlich Fortschritte zu machen scheinen. Dies lässt vermuten, dass die elektrische Stimulation nicht nur den geschädigten Bewegungsschaltkreis
kompensiert, sondern darüber hinaus bis zu einem gewissen Grade eine
Genesung ermöglichen könnte 33, 34.
Schädigungen
des Nervensystems
Nervenfasern regenerieren
42
Fortschritte in der Gentherapie
43
Stammzellen nutzbar machen
44
Neuroprotektion
46
Akutbehandlung bei Hirnschlag
46
Risiko und Prävention von Hirnschlag
47
41
I
m Jahr 2003 kam die Wissenschaft dem unfassbaren Ziel näher, traumatisiertes Nervengewebe, etwa infolge eines Hirnschlags oder einer Rükkenmarksverletzung, zu regenerieren und zu reparieren. Verschiedene
neue Entdeckungen zeigten den Weg, wie Axone (die Fasern, die aus dem
Nervenzellkörper herauswachsen und Impulse an andere Nervenzellen
übertragen) zum Nachwachsen veranlasst werden können, um eine
verloren gegangene Funktion wieder herzustellen ; dies lässt hoffen, dass
die Wiederherstellungsmedizin ihre therapeutischen Versprechen wird
einlösen können.
Nervenfasern regenerieren
Eines der grössten Hindernisse für die Genesung von Rückenmarksverletzungen ist die Unfähigkeit von Axonen, über die verletzte Stelle hinweg zu
wachsen und wieder Verbindungen zwischen Nervenfasern des Rückenmarks und dem Hirn herzustellen. Neuere Befunde lassen uns besser verstehen, wie gewisse Proteine in der Myelinscheide, welche die Axone isoliert, das Nachwachsen entweder hemmen oder fördern; diese Fortschritte
führten zu etlichen neuen Ansatzpunkten für therapeutische Interventionen.
42
Nogo, eine Gruppe von Myelin-Proteinen mit starken inhibitorischen Wirkungen auf das Nachwachsen von Axonen, weckt weiterhin grosses Interesse. Drei verschiedene Forschungsteams, die von Martin Schwab von
der Universität Zürich, von Stephen Strittmatter von der Yale Medical
School, bzw. von Marc Tessier-Lavigne von der Stanford University geleitet wurden, berichteten in der Ausgabe vom 24. April 2003 der Fachzeitschrift Neuron gleichzeitig über die Entwicklung von drei Stämmen von
„knockout“-Mäusen, denen Subtypen von Nogo fehlten. Unerwarteter
Weise berichteten die Gruppen widersprüchliche Ergebnisse : Strittmatter
fand eine erhebliche Aussprossung der Axone und verbesserte motorische Funktion nach einer Rückenmarksverletzung 35, Schwab berichtete
von einer gewissen Regeneration von Axonen 36 und Tessier-Lavigne fand
überhaupt keine 37. Weshalb die Ergebnisse so verschiedenartig ausfielen,
ist weiterhin unklar, könnte aber auf technische Unterschiede bei der Entwicklung der Mäuse zurückzuführen sein und darauf, welche weiteren
Proteine möglicherweise betroffen waren. In derselben Ausgabe von Neuron berichtete ein anderes Team aus Stanford unter der Leitung von Chris
Garcia über die molekulare Struktur des Nogo-Rezeptors und lieferte
damit einen detaillierten Rahmen für weitere Untersuchungen, um die
Wirkungen von durch Nogo vermittelten Interaktionen zwischen Proteinen zu bestimmen 38. Schwabs Team konnte später nachweisen, dass das
Diese neuen Erkenntnisse über Nogo sollen zur Entwicklung neuer Therapien führen und die Wissenschaft hat bereits wichtige Schritte auf dieses
Ziel hin unternommen. Aufbauend auf Schwabs früherer Arbeit, die ergeben hatte, dass die Hemmung von Nogo die axonale Regeneration fördert,
wiesen Strittmatter und sein Kollege Shuxin Li nach, dass es bei Tieren, die
mit einem Nogo-Rezeptor-Antagonisten (einem Peptid mit der Bezeichnung NEP1-40) behandelt wurden, nach einer Rückenmarksverletzung zu
einem erheblichen Auswachsen von Axonen, einer Neubildung von Synapsen und einer wesentlichen Besserung der Motorik kam. Zudem fanden
sie diese Ergebnisse selbst dann, wenn mit der Behandlung erst bis zu
einer Woche nach der Verletzung begonnen wurde ; dies lässt auf ein therapeutisches Fenster hoffen, das klinisch praktikabler ist als eine unmittelbare Verabreichung 40.
Schädigungen des Nervensystems
Nogo-A-Protein über drei aktive Regionen verfügt, die je ganz bestimmte
Aspekte der axonalen Inhibition regulieren 39.
Im Gegensatz zu Nogo handelt es sich bei Semaphorin-7a um ein erst kürzlich entdecktes Protein, das das axonale Wachstum eher anregt als hemmt
und damit unter den Geschwistern einer Proteinfamilie, die für das Abstossen von Axonen bestens bekannt ist, aus der Reihe tanzt. Ein Team von
Johns Hopkins unter der Leitung von Jeroen Pasterkamp fand heraus, dass
im Labor kultivierte Rattennerven mehr und längere Axone an der Stelle
aussprossten, die einer Quelle von Semaphorin-7a am nächsten lag und
dass Mäuse, denen dieses Protein fehlte, Nervenfasern entwickelten, die
ihr Ziel verfehlten 41. Nun untersuchen die Forschenden, auf welche Weise
das Protein das Wachstum von Axonen beeinflusst und hoffen, Mechanismen identifizieren zu können, die sich im Sinne einer therapeutischen
Besserung manipulieren lassen.
Fortschritte in der Gentherapie
Forschende am Niederländischen Institut für Hirnforschung untersuchen
die Durchführbarkeit einer Methode der Gentherapie, welche die Regeneration nach einer zervikalen Rückenmarksverletzung verbessern soll.
Unter der Leitung von Joost Verhaagen beeinflussten die Forschenden
zuerst mit genetischen Methoden Hirnzellen, die den olfaktorischen Nerv
(die sogenannte olfaktorische umhüllende Glia; olfactory ensheathing glia,
OEG) isolieren, so dass sie den Nervenwachstumsfaktor BDNF verstärkt
exprimierten, und implantierten diese Zellen dann in ein Rattenmodell für
Rückenmarksverletzungen. Im Vergleich mit unbehandelten Ratten wiesen
43
behandelte Ratten eine verbesserte funktionelle Erholung auf, was den
Autoren zufolge darauf hinweist, dass die genetische Modifizierung von
OEG nicht nur eine Zelle hervorbrachte, die das Auswachsen von Axonen wirksamer förderte, sondern dass es auch zu einer beschleunigten
Heilung nach einer Verletzung führen konnte, möglicherweise indem es
die nach einer Verletzung eintretende Degeneration von Rückenmarksgewebe verhinderte 42. Fred Gage und Mitarbeitende am Salk Institute
benutzten ein adeno-assoziiertes Virus, um therapeutische Moleküle aus
der Muskulatur ins Rückenmark zu transportieren (siehe auch das Kapitel
„Bewegungsstörungen“ S. 35). Die Untersuchung konzentrierte sich zwar
auf ein Mäusemodell der Amyotrophen Lateralsklerose, doch lassen die
Ergebnisse vermuten, dass ein ähnliches Verfahren angewendet werden
könnte, um wachstumsfördernde Proteine sicher und wirksam in verletztes Rückenmark zu transportieren 43.
Es ist zwar sehr wichtig, die dem Rückenmark inhärenten Mechanismen,
welche die Regeneration von Axonen hemmen, zu überwinden, doch
stellt dies nur einen Teil eines komplizierten Problems dar. Das zweite
Haupthindernis ist das Narbengewebe, das sich am Ort einer Verletzung
bildet und für Axone eine Art Strassensperre darstellt. Diese „Glianarbe“
besteht aus dicht gewobenen Astrozyten, sternförmigen Zellen, die Neuronen nähren und stützen. Ein französisches Team unter der Leitung von
Véronique Menet züchtete Knock-out-Mäuse ohne die beiden für den
strukturellen Aufbau von Astrozyten entscheidenden Proteine (saures Gliafaserprotein ; glial fibrillary acidic protein, GFAP und Vimentin) und stellte
fest, dass es bei diesen Tieren nach einer teilweisen Durchtrennung des
Rückenmarks zu einer verbesserten anatomischen und funktionellen Erholung kam 44. In einer im August veröffentlichten Arbeit brachten Malika
Boukhelifa und Mitarbeitende an der University of North Carolina at Chapel Hill ein weiteres Protein, Palladin, mit der Bildung des Narbengewebes
in Zusammenhang. Palladin steigt nach Rückenmarksverletzungen schnell
an ; dieser Anstieg scheint die Bildung einer Narbe zu ermöglichen, indem
er die Form der Astrozyten beeinflusst 45.
Stammzellen nutzbar machen
44
Einen Fortschritt mit Implikationen sowohl für Bewegungsstörungen als
auch für Traumata stellt der von Forschenden am Salk Institut entwickelte
erste Entwurf einer „Zell-Fabrik“ dar, die aus embryonalen Stammzellen Motoneuronen herstellt. Soo-Kyung Lee und Samuel L. Pfaff arbeiteten mit Küken-Embryos und bildeten ein detailliertes Modell dafür, wie Stammzellen
Auch die Anpassung des Stickoxid-Spiegels im Gehirn könnte eine wirksame Strategie darstellen, um durch Hirnschlag oder Krankheit verloren
gegangene Nervenzellen zu ersetzen. Forschende unter der Leitung von
Michael Packer am Cold Spring Harbor Laboratory fanden heraus, dass
Stickoxid ein entscheidender natürlicher Regulator für die Entstehung
neuer Nervenzellen im adulten Gehirn ist. Wenn die Stickoxid-Produktion
gehemmt wird, regt dies die Vermehrung neuraler Stammzellen an und
führt dazu, dass die Zahl der Neuronen, die im Gehirn von adulten Ratten
generiert werden, drastisch ansteigt 47.
Schädigungen des Nervensystems
reguliert und auf den Weg gebracht werden, dass sie sich zu jener Untergruppe von Nervenzellen entwickeln, die es dem Körper ermöglichen,
sich zu bewegen. Sie machten zwei Bahnen (bezeichnet als bHLH und
LIM-D) ausfindig, die zusammenwirken, um die Spezialisierung von
Nervenzellen zu regeln und eröffneten damit die Möglichkeit, die zugrunde
liegenden Mechanismen für therapeutische Zwecke zu nutzen 46.
Die Verheissungen der Stammzellen in klinische Therapien bei Hirnschlag
umzusetzen bleibt weiterhin eine bedeutende Herausforderung ; die vorklinische Forschung an Tiermodellen für Hirnschlag ist ein entscheidender
Schritt, um die mit der Transplantation von Stammzellen zur Behandlung
dieser Erkrankung einhergehenden potentiellen Vorteile – und Risiken –
zu erkennen. Im Hinblick auf dieses Ziel wies ein Forschungsteam unter
der Leitung von Michael Chopp vom Detroit’s Henry Ford Health Sciences
Center an einem Rattenmodell für Hirnschlag nach, dass transplantierte
Vorläuferzellen aus der subventrikularen Zone (der offensichtlichen Herkunft neuraler Stammzellen) in geschädigte Hirnbereiche wanderten und
diese Tiere anschliessend bei Tests ihrer Funktionsfähigkeit entscheidend
besser abschnitten 48. Unabhängig davon behandelte die Gruppe Mäuse
mit Transplantaten einer anderen Art von Vorläuferzellen, Vorläufern des
Endothels, die sich zu jenem Gewebe entwickeln, das die Herz- und Blutgefässe auskleidet. Sie stellten fest, dass die Zellen das Ausmass der Schädigung nach einem Schlaganfall begrenzten, indem sie das Wachstum
neuer Blutgefässe rund um die verletzte Stelle förderten 49.
Unterdessen erforschen Wissenschafter an der University of South Florida
(USF) alternative Quellen für Stammzellen. Samuel Saporta und Mitarbeitende injizierten aus menschlicher Nabelschnur gewonnene Stammzellen
in Ratten mit Rückenmarksverletzungen und wiesen nach, dass die Zellen
an die geschädigte Stelle wanderten und die motorische Funktionsfähigkeit
45
bis zu einem gewissen Grad wiederherstellten 50. Eine andere Gruppe, die
von Alison Willing von der USF geleitet wird, konzentriert sich auf stammzellartige Zellen, sogenannte periphere Blut-Progenitorzellen, die aus zirkulierendem menschlichen Blut gewonnen werden. Sie berichteten, dass die
intravenöse Injektion dieser Zellen bei einem Rattenmodell für schweren
Hirnschlag zu einer „entscheidenden Besserung des Verhaltens“ führte 51.
Neuroprotektion
Die Suche nach neuroprotektiven Therapien, welche die nach einem
Hirnschlag oder einer anderen Hirnverletzung einsetzende Kaskade
von Nervenschädigungen begrenzen könnte, blieb bisher weitgehend
ohne Erfolg. In etlichen gross angelegten klinischen Studien wurden
Medikamente getestet, von denen man sich aufgrund von Tierversuchen
viel versprochen hatte, doch trat bei Menschen die gewünschte Wirkung
nicht ein. Das vergangene Jahr brachte dennoch einige hoffnungsvolle
Entwicklungen. An der International Stroke Conference im Februar wurde
über klinische Befunde berichtet, wonach Hypothermie – das Herabsetzen der Hirntemperatur – Nervenzellen schützen könnte. Die Idee, das
Gehirn durch Kühlung zu schützen, ist zwar mindestens 70 Jahre alt, doch
lebte das Interesse an diesem Verfahren in den vergangenen Jahren
wieder neu auf. Ein von Fritz Sterz von der Universität Wien geleitetes
Team wies nach, dass 59 % der Kranken, die nach einem Herzstillstand
mit Hypothermie behandelt wurden, bei anschliessenden neurologischen
Tests „gut abschnitten“ ; in der Kontrollgruppe waren es 39 %. Die Behandlung wird nun in ersten klinischen Studien weiter untersucht 52.
Forschende am gemeinnützigen Burnham Institut in Kalifornien berichteten in Nature, Humanin, ein kürzlich im Rahmen von Untersuchungen zur
Alzheimerschen Krankheit entdecktes kleines Protein, könnte über potente neuroprotektive Eigenschaften verfügen. Humanin unterdrückt die
Aktivität von Bax, einem Gen, das bei etlichen Krankheiten, einschliesslich Hirnschlag, den programmierten Zelltod („Apoptose“) auslöst. Dieser
Befund des Erstautors Bin Guo und Mitarbeitenden weist darauf hin, dass
Humanin synthetisch hergestellt und zu einem injizierbaren Medikament
für die Akutbehandlung von Hirnschlag und Herzleiden entwickelt oder
für Anwendungen in der Gentherapie genutzt werden könnte 53.
Akutbehandlung bei Hirnschlag
46
Der Gewebe-Plasminogenaktivator (tissue plasminogenactivator, tPA) galt
als Eckstein der Akuttherapie bei Hirnschlag, aber sein klinischer Nutzen
Schädigungen des Nervensystems
ist begrenzt, da tödliche Nebenwirkungen auftreten können und das therapeutische Fenster auf nur wenige Stunden nach einem Hirnschlag
begrenzt ist. Anfangs 2003 berichteten Gabriel T. Liberatore und Mitarbeitende von der Monash University in Australien von einer wirkungsvollen
Gerinnung lösenden Substanz, die ursprünglich aus dem Speichel von
Vampir-Fledermäusen gewonnen worden war ; diese könne bis zu dreimal
über das bisherige Therapiefenster hinaus verwendet werden und führe
zu keinem erhöhten Risiko für weitere Hirnschädigungen. Das Enzym
Desmoteplase (DSPA) ist genetisch mit dem Gerinnung lösenden tPA verwandt aber um ein Vielfaches wirksamer 54. Inzwischen fanden Juan-Carlos Murciano und Mitarbeitende an der University of Pennsylvania eine
Möglichkeit, rote Blutkörperchen mit tPA zu überziehen, ein Verfahren,
das angeblich die Verfügbarkeit des Gerinnung lösenden Wirkstoffs im
Blutkreislauf bis auf das Zehnfache erhöht und die Wahrscheinlichkeit
einer starken Blutung, einem Hauptrisiko bei der Anwendung von tPA,
verringert. Diese neue Methode der Wirkstoffabgabe war ursprünglich
entwickelt worden, um der Bildung von inneren Blutgerinnseln nach chirurgischen Eingriffen vorzubeugen, doch die Forschenden glauben, dass
sie auch bei Hirnschlag oder Herzinfarkt gute Dienste leisten könnte 55.
Risiko und Prävention von Hirnschlag
Etliche Untersuchungen tragen dazu bei, die Risikogruppen für Hirnschlag
besser bestimmen zu können, um dadurch den gezielten Einsatz präventiver Massnahmen zu verbessern. Neue Ergebnisse der Women’s Health
Initiative (WHI), einer von der amerikanischen Regierung gesponserten
Untersuchung an 16 608 50-bis 79jährigen Frauen nach den Wechseljahren (das Durchschnittsalter lag bei 63) heizten eine anhaltende Diskussion
über Hormonersatztherapien (hormone replacement therapy ; HRT) weiter an. Die Kontroverse brach aus, als die Untersuchung im Juli 2002
gestoppt wurde, nachdem Forschende festgestellt hatten, dass Frauen,
die eine Kombination von Östrogen und Progestin (estrogen and progestin ; E+P), die gebräuchlichste Form der HRT, einnahmen, im Vergleich zu
Frauen, die ein Placebo erhielten, gehäuft an Brustkrebs, Hirnschlag, Lungenembolie und Herzleiden erkrankten.
Während der E+P-Teil des Versuchs abgebrochen wurde, ging die Auswertung der Ergebnisse weiter und in der Mai-Ausgabe des Journal of the
American Medical Association wurden weitere Berichte publiziert, darunter
auch ein Befund, wonach das Hirnschlagrisiko bei Frauen, die E+P einnahmen, um 31% höher war. Die Hauptautorin Sylvia Wassertheil-Smoller
47
und Mitarbeitende berichteten, das grösste Risiko betreffe den ischämischen Hirnschlag, die häufigste Form von Hirnschlag. Ein erhöhtes Risiko
für alle Arten von Hirnschlag fand sich den Forschenden zufolge in allen
Altersgruppen und in allen Risikogruppen für Hirnschlag unabhängig
davon, ob die Frauen an Bluthochdruck litten, Herzkreislauferkrankungen durchgemacht hatten oder Hormone, Statine oder Aspirin eingenommen hatten.
Kritiker behaupten, die Befunde der WHI seien in Medienberichten übermässig vereinfacht dargestellt worden und die Ergebnisse würden für jüngere Frauen, die HRT kurz nach der Menopause einnehmen, möglicherweise nicht gelten, da nämlich die an der Untersuchung teilnehmenden
Frauen eher älter waren und viele von ihnen erst 10-15 Jahre nach der
Menopause mit einer HRT begonnen hatten. Gewisse Fachleute bezweifeln auch, dass die Ergebnisse auf alle Präparate von E+P (der Versuch verwendete ein Präparat, das unter dem Namen Prempro im Handel ist) und
auf alle Verabreichungsformen der HRT extrapoliert werden können
(möglicherweise besteht ein ähnliches Risiko nicht bei Pflastern oder vaginaler Applikation) 56.
Andernorts berichteten Joachim Schrader und Mitarbeitende vom St.
Josefs Spital in Deutschland, das Medikament Atacand, ein selektiver
Angiotensin-II-Typ 1-Rezeptorblocker, könne bei Patienten mit Bluthochdruck die Anzahl weiterer vaskulärer Komplikationen um 45 % senken,
wenn es kurz nach einem akuten Hirnschlag verabreicht werde 57. Inzwischen ergab eine von Kristi Reynolds von der Tulane University durchgeführte Meta-Analyse von 35 Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen mässigem Alkoholkonsum und einem verminderten Risiko für
totalen und ischämischen Hirnschlag, wohingegen starker Alkoholkonsum
mit einem erhöhten Risiko dieser Hirnschlagformen sowie des hämorrhagischen Hinschlags verbunden war 58.
48
Neuroethik
Komplexe Interaktionen
51
Die Leistung des Gehirns steigern
53
Klinische Fragen, kritische Entscheidungen
55
49
N
euroethik, die Beschäftigung mit den ethischen Implikationen unserer
wachsenden Fähigkeit das Gehirn zu verstehen und zu verändern, findet zunehmend Beachtung. Als Spezialgebiet der Ethik gibt es sie erst seit
2001 und die erste formelle Konferenz, die sich mit ihr befasste, wurde im
Jahr 2002 von der Dana Foundation gesponsert und von der Universität
Stanford und der Universität von Kalifornien, San Francisco, unter dem
Titel „Neuroethik : Das Gebiet abstecken“ organisiert 59. Sie führte aber
rasch zu einem grossen Interesse der Medien und der Wissenschaft, das
auch 2003 anhielt.
Zum einen befasst sich die Neuroethik damit, wie die Gesellschaft mit
den bei Hirnkrankheiten möglichen Bewusstseinsstörungen und Kontrollverlusten umgehen kann, zum anderen erforscht sie auch die ethischen
Implikationen von Methoden, die gewisse Funktionen wie Gedächtnis
und Konzentration fördern könnten. Wie soll das Gesetz Personen behandeln, die keine Kontrolle über ihre Impulse haben – ist es gerecht, sie
zu bestrafen, wenn sie sich gar nicht beherrschen können ? Und verschaffen sich umgekehrt Leute, die Medikamente wie Ritalin benutzen,
das die Konzentration auch dann verbessern kann, wenn keine Krankheit
festgestellt wurde, dadurch einen ungerechten Vorteil ? Was, wenn sie
ein Gen erhielten, um eine permanente Verbesserung zu erreichen ?
Neuroethische Fragen bezüglich Förderung und Beeinträchtigung
wurden im Jahr 2003 an Meetings thematisiert und auch wissenschaftlich
angegangen.
Nicht nur das Medieninteresse an Neuroethik blieb gross, auch das
Oberste Gericht schaltete sich mit einer Entscheidung ein ; es ging dabei
um einen Fall, in dem sich das Interesse des Staates, einen Betrug strafrechtlich zu verfolgen, und das Recht eines psychotischen Angeklagten,
keine psychoaktiven Medikamente einzunehmen, gegenüberstanden.
50
Im Juni organisierte die New York Academy of Sciences ein Meeting zur
Ethik einer Leistungssteigerung des Gehirns ; die daraus resultierenden
ethischen Richtlinien für Entscheidungsträger sollen dieses Jahr veröffentlicht werden. Im September führte die American Association for the
Advancement of Science zum Thema Neurowissenschaft und Recht eine
Konferenz für eingeladene Teilnehmende durch, die sich damit befasste,
wie das Rechtssystem mit Beeinträchtigungen, etwa einer Sucht, umgehen sollte, die den freien Willen und die gesetzliche Haftung in Mitleidenschaft ziehen können. Die Teilnehmenden kamen zum Schluss, zurzeit
Neuroethik
bestehe kein Handlungsbedarf. Am Meeting der Society for Neuroscience
im November hielt Donald Kennedy, der Chefredaktor von Science, einen
Vortrag über die Zukunft der Neuroethik und unterschied zwischen ethischen Fragen bezüglich Forschung und Behandlung und solchen, die eine
reine Leistungssteigerung betreffen. Er diskutierte auch das Problem der
Privatsphäre, das durch Verfahren wie fMRI aufgeworfen wird, die eines
Tages in der Lage sein könnten, „Gedanken zu lesen“ sowie ethische Fragen, die einen weiteren potentiellen Einsatz dieser Techniken betreffen :
das Verhalten von Konsumenten vorherzusagen und möglicherweise
gezielt zu steuern.
Im Oktober veröffentlichte der Bioethikrat des Präsidenten den Bericht
Jenseits der Therapie: Biotechnologie und die Suche nach Glück (Beyond
Therapy: Biotechnology and the Pursuit of Happiness), der zum grossen
Teil auf ausschliesslich neuroethische Fragen einging, wie Gedächtnissteigerung, Stimmungsaufhellung und den Einsatz von Medikamenten
zur Verbesserung des Verhaltens von Kindern. Zwei Herausgeber, Reganbooks und Dana Press, stellten diesen Bericht im Dezember in einer für
den Verkauf in Buchläden bestimmten Neuauflage einem breiten Publikum zur Verfügung. Die Dana-Version enthielt verschiedene zusätzliche
Punkte, darunter auch Kommentare von wissenschaftlichen Ratsmitgliedern, die zur Vorsicht mahnten und betonten, dieser Bericht „diene
lediglich dazu, eine Diskussion anzuregen, könne aber keine Schlussfolgerungen vorlegen“. Der Bericht, so schrieben sie, sei ein Anfang, aber
keine wissenschaftliche Analyse, und einige der darin als künftig möglich
dargestellten ethischen Probleme, etwa die genetische Selektion von
Embryonen bezüglich des Temperaments, seien in Wirklichkeit höchst
unwahrscheinlich, da sich die wissenschaftliche Arbeit, die solche Bedenken rechtfertigen könnte, möglicherweise gar nicht als durchführbar
erweisen werde.
Komplexe Interaktionen
Ein von Avshalom Caspi und Mitarbeitenden im Juli in Science 60 veröffentlichter Artikel (siehe auch das Kapitel „Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten“ S. 65) hat die Neuroethiker
besonders fasziniert. Darin wurde festgestellt, dass Leute mit einer
bestimmten Variante des Serotonin-Transporter-Gens 5-HTT auf entscheidende Lebenskrisen eher mit einer Depression reagierten als jene mit
einer anderen Variante. Jene mit der längeren Form des Gens produzierten
in grösserer Menge ein Protein, das Serotonin aus den Synapsen entfernt,
51
was zu einer effizienteren Übertragung führt. Die kürzere Form produziert
weniger von diesem Protein. Da der Mensch von jedem Gen zwei Kopien
bekommt, je eine von jedem Elternteil, bestehen zahlreiche Permutationen
– wobei festgestellt wurde, dass die Mehrheit der Bevölkerung über je
eine Kopie der kurzen und der langen Form verfügt. Jene mit zwei langen
Genen sind vor stressinduzierter Depression besonders gut geschützt ;
jene mit zwei kurzen sind dafür besonders anfällig.
Die genetischen Unterschiede scheinen jedoch nur dann einen entscheidenden Einfluss zu haben, wenn die Forschenden die Zahl der stressigen
Lebenserfahrungen in Betracht zogen, die die Personen gemacht hatten.
Der Artikel zeigte eindeutig auf, wie kompliziert die Interaktion von Genen
und Umwelt ist und machte klar, dass neuroethische Entscheidungen
bezüglich Screening und Intervention alles andere als einfach sein werden. Würden Eltern beispielsweise erfahren wollen, ob ihr ungeborenes
Kind zwei Kopien der kurzen Form hat ? Wie könnten sie im Voraus wissen, mit welchem Stress ihr Kind dereinst konfrontiert wird ? Würde ein
solches Kind später durch Arbeitgeber oder Versicherungen diskriminiert
werden, falls es eine mit hohem Stress verbundene Stelle anstreben
sollte ? Zu Recht ?
Frühere Forschungsarbeiten derselben Gruppe warfen sogar noch kniffligere neuroethische Fragen auf 61. Es hatte sich nämlich herausgestellt,
dass sich Leute mit einer bestimmten Genvariante, falls sie als Kinder missbraucht wurden, mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu gewalttätigen
Erwachsenen entwickelten als jene mit einer anderen Form dieses Gens.
Beim betroffenen Gen handelte es sich um das Enzym MAO-A, das mehrere unterschiedliche Neurotransmitter beeinflusst. „Macht“ dieses Gen
aus Leuten, die als Kind missbraucht wurden, Missbraucher ? Falls ja, sollte
das Rechtssystem dies berücksichtigen ? Wie ? Im Jahr 2003 kamen Teilnehmende der American Association for the Advancement of Science zum
Schluss, die Gerichte sollten sich nicht mit solchen Fragen beschäftigen.
Aber ähnliche Fragen werden sich sicher stellen.
52
Der Beschluss des obersten Gerichts in Sachen Sell vs. United States
zeigte, dass sich das Justizsystem bereits mit neuroethischen Fragen auseinandersetzt, wenn es um Behinderungen geht, die auf Hirnkrankheiten
beruhen. Es befasste sich mit der Frage, wann der Staat Angeklagte, die
infolge ihrer Hirnkrankheit schuldunfähig sind, zu einer medizinischen
Behandlung zwingen darf.
Neuroethik
Der Angeklagte, Dr. Charles Sell, ein in St. Louis lebender Zahnarzt, wurde
des Versicherungsbetrugs bezüglich der Medicaid beschuldigt, aber
wegen seines paranoiden Wahns als unzurechnungsfähig eingestuft.
Obwohl man davon ausging, er stelle für niemanden eine Gefahr dar,
wollte Missouri ihn zwangsbehandeln, um ihn dann strafrechtlich verfolgen zu können. Das Gericht befand, das staatliche Interesse, einen
Betrug strafrechtlich zu ahnden, sei nicht so zwingend, dass es dazu
berechtige, eine ungefährliche Person medizinisch zu behandeln. Sell, der
bereits inhaftiert war und auf die Gerichtsverhandlung wartete, verbrachte
mehr Zeit im Gefängnis, bis seinem Anspruch, sich nicht behandeln zu
lassen, stattgegeben wurde als wenn er wegen der Betrugsklage verurteilt
worden wäre.
Verschiedene Neuroethiker, die sich nachträglich mit dem Fall befassten,
hielten diese Entscheidung für richtig : Da Sell die geltende Norm für eine
zwangsmässige psychiatrische Behandlung nicht erfüllte (die Person muss
für sich selbst oder für andere eine Gefahr darstellen), wiegt das Interesse
des Staates, einen Betrug zu ahnden nicht schwerer als das Recht des
Patienten zu entscheiden, welche medizinische Behandlung er akzeptiert.
Die durch Sell aufgeworfenen Fragen – ob es sich bei der medizinisch
behandelten Person und bei der, die das Verbrechen begangen hat, um
die gleiche Person handelt und wann der Staat das Recht hat, mittels
Beeinflussung der Hirnchemie die Denkabläufe einer Person zu verändern
– zeigen, dass die Gerichte bereits beginnen, sich den Herausforderungen
der Neuroethik zu stellen.
Die Leistung des Gehirns steigern
Eine andere im Jahr 2003 veröffentlichte Forschungsarbeit warf die Frage
der Leistungssteigerung auf, da Wissenschafter bekannt gaben, sie hätten
einen Chip entwickelt, der die Funktion eines für das Gedächtnis entscheidenden Gebietes, des Hippocampus, ausüben könne 62. Zwar wurde der
Chip nur an Hirnzellen von Ratten demonstriert – nicht einmal an einer
lebenden Ratte – da aber Menschen über eine gleichartige Hirnregion verfügen, sind die Implikationen sowohl verheissungsvoll als auch erschreckend.
Woran wir uns erinnern wollen – und was wir vergessen wollen – macht
einen entscheidenden Teil unserer Persönlichkeit aus ; und die Art und
Weise, wie wir diese Erinnerungen färben, beeinflusst auch unsere
zukünftigen Entscheidungen. Wie könnten wir im Voraus wissen, wie
ein ins Gehirn eingebauter mechanischer Gedächtnis-Chip unser Denken
53
und Fühlen beeinflusst ? Ist es denkbar, dass irgendjemand eine Einverständniserklärung abgibt, dies auszuprobieren ? Ethiker vermuten, dass
eine hochgradige Steigerung des Gedächtnisses sich auf Intelligenz und
Persönlichkeit insgesamt auswirken würde ; und dies legt nahe, dass
jemand, der eine solche Leistungssteigerung ausprobieren würde, tatsächlich eine andere Person werden könnte. Welche Auswirkungen
hätte dies auf Beziehungen – lässt sich das im Voraus ausreichend abschätzen, so dass die betroffenen Personen eine entsprechende Entscheidung
treffen können ?
Ähnliche Fragen werden bereits im Zusammenhang mit dem Einsatz von
Medikamenten zur Behandlung der Alzheimerschen Krankheit aufgeworfen. Neuroethiker stellen fest, dass einige Medikamente, die bei der Alzheimerschen Krankheit verabreicht werden – ihre Wirkung ist allerdings
gering – auch das Gedächtnis von nicht an dieser Krankheit Leidenden
verbessern können. Neue Medikamente mit stärkerer Wirkung und wenig
Nebenwirkungen könnten zweifellos ebenfalls zur Leistungssteigerung
benutzt werden.
Ethiker betonen, dass die Leistungssteigerung seit Urzeiten ein Charakteristikum der menschlichen Gesellschaft darstellt. Fast jeder Gebrauch von
Substanzen, vom Kaffeetrinken bis zum Kokain, geht zumindest kurzfristig
mit dem Gefühl einer Steigerung der Emotion einher, etwa dem Gefühl
von Erregung, Kraft sowie erhöhter Motivation, und viele Substanzen steigern die Konzentrationsfähigkeit.
Aber wir sind immer noch unsicher, wo wir die Grenze ziehen sollen ;
und so streiten wir endlos über den Einsatz von Ritalin bei Schulkindern,
nehmen Leute fest, weil sie bestimmte Substanzen konsumieren und
verschreiben gleichzeitig andere, die ebenfalls mit spezifischen Gefahren
verbunden sind.
54
Ein neues Stimulans, Modafinil (Provigil), wird von Neuroethikern aufmerksam verfolgt, da zu erwarten ist, dass es bald schon nicht mehr ausschliesslich bei Narkolepsie verschrieben wird – jener Schlafstörung für
die es von der Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug
Administration) zugelassen wurde – sondern auch im Zusammenhang mit
normaler Ermüdung. Diesem Szenario ist man im Jahr 2003 tatsächlich einen
Schritt näher gekommen, als die FDA empfahl, die Zulassung so auszuweiten, dass die pharmazeutische Firma das Mittel auch für Schichtarbeiter
Neuroethik
anwenden dürfe, deren Schlaf infolge der Nachtarbeit gestört ist. Zwar ist
bisher noch kein Schwarzmarkt dafür entstanden, doch weisen Ethiker
darauf hin, dass seine potentielle Leistungssteigerung durchaus dazu führen könnte.
Klinische Fragen, kritische Entscheidungen
Auch die Diskussion über die Grenzen der neuen Disziplin Neuroethik
geht weiter. Einige sind der Ansicht, die klinische Neuroethik werde
vernachlässigt. Die meisten Konferenzen und Diskussionen z. B. befassten
sich mit den ethischen Implikationen von Fortschritten im Bereich
der Neurowissenschaft, und vernachlässigten die Fragen, was für Patienten und ihre Familien getan werden sollte, die vor der Entscheidung
stehen, wie Hirnkrankheiten behandelt (und wann sie nicht behandelt)
werden sollten.
Neuroethiker betonen, ethische Fragen im Zusammenhang mit einer
Leistungssteigerung des Gehirns seien zurzeit viel dringlicher als jene, die
mit Genetik zusammenhängen. Zwar würden die Vorstellung, menschliche Gene zu verbessern und die mit dieser Möglichkeit verbundenen
ethischen Implikationen allgemein diskutiert, doch seien die verfügbaren
Techniken noch weit davon entfernt, solches Realität werden zu lassen.
Die Komplexität der Gen-Umwelt-Interaktionen, wie sie etwa in den
Untersuchungen über Depression und Gewalttätigkeit deutlich wurde,
zeigt, dass wir noch lange nicht in der Lage sein werden, glücklichere,
gescheitere und nettere Menschen zu herzustellen. Aber Provigil, Ritalin
und andere Medikamente zur Funktionssteigerung des Gehirns existieren
schon heute – und führen unter Ethikern bereits zu Meinungsverschiedenheiten.
55
Schmerz
Opiate ohne die Schattenseite der Atemhemmung
58
Die Stimulierung von CB2-Cannabinoid-Rezeptoren
lindert neuropathischen Schmerz
59
Gen-Therapie zur Schmerzbekämpfung
60
Geschlechtsunterschiede bei Schmerz
und Analgesie erklärt
62
57
D
ie medizinische Forschung sucht intensiv nach besseren Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung. Die Schmerzforschung versucht, dieses
Ziel auf viele Weisen zu erreichen und macht dabei ermutigende Fortschritte;
doch erinnert uns die grosse Vielfalt ihrer Ergebnisse auch daran, wie kompliziert und facettenreich Schmerz ist. Die bemerkenswerten Erfolge des
vergangenen Jahres stützen diese Aussage. Ein Ergebnis weist darauf hin,
wie bei einer Überdosis Morphin eine Atemhemmung verhindert werden
kann ; ein anderes deckt einen Zusammenhang zwischen Schmerz, dem
Immunsystem und einem bestimmten Rezeptortyp auf, der mit Marihuana
zusammenhängt ; ein drittes demonstriert ein neues Schema, wie sich
Gentherapie zur Schmerzbekämpfung einsetzen lässt. Ausserdem gab es
2003 eine Entdeckung, mit der sicher niemand gerechnet hatte : der
Zusammenhang zwischen Schmerz, Geschlecht und – wer hätte das
gedacht – roten Haaren.
Opiate ohne die Schattenseite der Atemhemmung
Opiate sind ausgezeichnete Schmerzmittel, aber mit dem Risiko behaftet,
die Atmung zu verlangsamen oder gar völlig zu unterdrücken. Der Neurowissenschafter Diethelm Richter von der Universität Göttingen, Deutschland, versuchte herauszufinden, ob er die schmerzlindernden Wirkungen
des verbreiteten Opiats Fentanyl von der potentiell gefährlichen Atemdepression trennen könnte, von der angenommen wird, sie sei für viele
Todesfälle im Verlauf der Rettungsaktion von Geiseln in einem Moskauer
Theater im Jahr 2003 verantwortlich gewesen.
Zusammen mit seinem Team begann er, eine kleine Region im Hirnstamm
von Ratten zu untersuchen, die für die Generation der neuralen Aktivität
der Atmung verantwortlich ist, den Prä-Bötzinger Komplex (pre-Botzinger
complex, PBC). Dort fanden sie Serotoninrezeptoren – der endogene
Neurotransmitter Serotonin beeinflusst bekanntlich die Aktivität des
Atmungszentrums – und Mü-Opiat-Rezeptoren, bei denen man davon
ausging, dass sie mit der Mü-Opiat-Schmerzleitung interagieren. Sie
entdeckten, dass der Einsatz eines Agonisten, um einen Subtyp des Serotoninrezeptors, 5-HT4(a) zu aktivieren, die durch Fentanyl induzierte
Atemdepression verhinderte, ohne dessen schmerzlindernde Wirkung
zu verringern.
58
In diesen Experimenten behandelten sie Ratten mit dem 5-HT4(a)-Agonisten BIMU8. Zuerst verifizierten sie, dass durch Fentanyl aktivierte
Mü-Opiat-Rezeptoren zu Schmerzunempfindlichkeit führten (nachgewiesen
Schmerz
durch einen üblichen Schmerztest, bei dem der Schwanz einer Ratte
einem Hitzestimulus ausgesetzt wird) und die Atmung hemmten. Dann
gingen sie der Frage nach, ob eine Aktivierung der 5-HT4(a)-Rezeptoren
den durch Fentanyl induzierten Atemstillstand verhindern könnte. Tatsächlich : BIMU8, das den Ratten nach Fentanyl verabreicht wurde, stellte
wieder eine stabile Atemtätigkeit her. Und schliesslich untersuchten sie,
ob die Behandlung mit BIMU8 nach der Verabreichung von Fentanyl die
schmerzlindernde Reaktion zunichte machte, und stellten fest, dass dies
nicht der Fall war.
Ihre im Juli in Science 63 publizierten Experimente zeigen, dass es möglich
ist, bei den Wirkungen eines Opiat-Schmerzmittels Feinabstimmungen
vorzunehmen. Richter vermutet, dass für den Menschen entwickelte
selektive 5-HT4(a)-Serotonin-Agonisten bei einer Opiat-Überdosis die
Atmung wieder herstellen und chronische Schmerz-Patienten, die Opiate
hoch dosiert einnehmen, vor einer Atemdepression schützen können.
5-HT4(a)-Agonisten könnten auch nach einer in Opiatnarkose durchgeführten Operation die spontane Atmung der Kranken wieder herstellen.
Die Stimulierung von CB2-Cannabinoid-Rezeptoren
lindert neuropathischen Schmerz
CB1-Rezeptoren sind Cannabinoid-Rezeptoren innerhalb des Zentralnervensystems (ZNS) ; ausserhalb gibt es CB2-Rezeptoren, die sich auf peripheren Immunzellen und Mastzellen befinden. THC, der aktive Bestandteil von Cannabis sativa oder Marihuana, stimuliert beide Rezeptortypen ;
seine allgemein bekannte sedierende und euphorisierende Wirkung
beruht auf der Stimulierung von CB1-Rezeptoren im ZNS.
Von neuropathischem Schmerz, der bei krankhaften Vorgängen von
peripheren Nerven wie etwa bei Diabetes auftritt, sind etwa 1-2% der
Bevölkerung betroffen. Trotz dieser weiten Verbreitung war eine wirksame Behandlung bisher kaum möglich. Die gegen neuropathischen
Schmerz verfügbaren Medikamente wirken über das ZNS und können
unerwünschte Nebenwirkungen wie Schwindel und Schläfrigkeit hervorrufen. Philip Malan von der Universität Arizona wusste, dass eine
gezielte Wirkstofffreisetzung an den Cannabinoid-Rezeptoren neuropathischen Schmerz lindert, aber manchmal unerwünschte Wirkungen
im ZNS verursacht. Deshalb dachte er, ein Medikament, das auf Schmerzrezeptoren ausserhalb des ZNS einwirke, könnte diese Nebenwirkungen
nicht aufweisen.
59
Wie Malan und sein Team im August in Proceedings of the National Academy of Sciences 64 berichteten, hatten sie an einem experimentellen
Mäusemodell für neuropathischen Schmerz ein schmerzstillendes Mittel
namens AM1241 getestet, das von Alex Makriyannis von der Universität
Connecticut entworfen und synthetisiert worden war. Dabei entdeckten
sie, dass AM1241 bei Mäusen chirurgisch induzierten neuropathischen
Schmerz aufhob. Im Weiteren stellten sie fest, dass ein CB2-RezeptorAntagonist die Schmerzhemmung durch AM1241 blockierte, während
dies bei einem CB1-Rezeptor-Antagonisten nicht der Fall war. Dies war ein
Hinweis darauf, dass CB2-Rezeptoren die durch AM1241 bewirkte
Schmerzfreiheit vermitteln.
Sie verstehen zwar noch nicht genau, wie AM1241 wirkt, vermuten aber,
dass es über die Aktivierung von CB2-Rezeptoren die Freisetzung von
schmerz-sensibilisierenden Substanzen aus den umliegenden Mast- und
Immunzellen verhindert und so die Empfindlichkeit der afferenten Neuronen vermindert. Bemerkenswert ist dabei, dass sie keinerlei Hinweise
dafür fanden, dass AM1241 die Immuntätigkeit hemmt, obwohl der CB2Rezeptor auf Immunzellen vorkommt.
Malan untersuchte AM1241 bei zwei anderen Arten von Schmerz – dem
entzündungsbedingten und dem nozizeptiven – und stellte fest, dass es
auch bei diesen wirksam war. (Schmerz und weitere Entzündungszeichen
wie Rötung, Schwellung und Wärme werden durch biochemische Reaktionen innerhalb der Blutgefässe in der Umgebung von verletztem
Gewebe hervorgerufen. Nozizeptiver Schmerz, üblicherweise ein dumpfer Schmerz, ist auf einen krankhaften Vorgang oder eine Verletzung
ausserhalb des Nervensystems zurückzuführen – im Gegensatz zum neuropathischen Schmerz von geschädigtem Nervengewebe.) Malan stellte
fest, dass viele Schmerzzustände, etwa der Krebsschmerz, aus mehr als
einem Schmerztyp zusammengesetzt sind. Ein Schmerzmittel wie AM1241,
das gegen neuropathischen und andere Schmerztypen wirksam ist, würde,
wenn es der Überprüfung an Menschen standhält, einen enormen Fortschritt darstellen. Inzwischen haben Malan und seine Mitarbeitenden
vor, AM1241 an weiteren Tiermodellen für Schmerz zu testen, etwa dem
viszeralen Schmerz, der bei der entzündlichen Darm-Krankheit vorkommt.
Gen-Therapie zur Schmerzbekämpfung
60
Eine Schmerzbehandlung mittels Gentherapie könnte es Patienten ermöglichen, mit kleineren Mengen von Opiaten auszukommen, was mit weniger
Schmerz
Nebenwirkungen, einer längeren Wirksamkeit und einer kleineren Wahrscheinlichkeit der Toleranzentwicklung verbunden sein könnte. In einer
Forschungsarbeit, die im Mai in Proceedings of the National Academy of
Sciences 65 veröffentlicht wurde, haben Li-Yen Mae Huang und Mitarbeitende von der University of Texas Medical Branch in Galveston einen
Schritt in diese Richtung getan.
Frühere von anderen Forschenden an Tieren durchgeführte Experimente
mit Gentherapie lieferten Vorläufer-Gene für Opiat-Peptide und bewirkten
eine Schmerzlinderung von bis zu 8 Wochen – allerdings verbunden mit
einer gewissen Toxizität. Huang und ihr Team hofften sowohl die Nebenwirkungen als auch die Wirksamkeit verbessern zu können. Ihr Ansatz
war, Schmerzfreiheit nicht direkt über Vorläufer-Gene zu bewirken,
sondern über die Erhöhung der Zahl von Mü-Opiat-Rezeptoren eine
Schmerzlinderung bereits durch niedrig dosierte Opiate zu ermöglichen.
Als Gentherapie-Vektor wählte das Team ein rekombinantes adenoviralassoziiertes Virus (rAAV), da es eine relativ kleine Toxizität aufweist und
eine lang anhaltende Genexpression sicherzustellen vermag. Indem sie
den rAAV-Gentherapie-Vektor mit dem Mü-Opiat-Rezeptor-Gen (MOR)
und nicht mit einem Gen für ein schmerzlinderndes Opiat-Peptid koppelten, hofften sie, eine Toleranzentwicklung und Atemdepression vermeiden zu können.
Mittels Gentherapie führte Huang das MOR-Gen zusammen mit einem
Neuronen spezifischen Promoter direkt in die Spinalganglien (dorsal root
ganglia, DRG) von Ratten ein. Präsynaptische Neuronen der DRG leiten
Schmerzsignale über das Hinterhorn des Rückenmarks zum Gehirn.
Um den Einfluss des MOR-Gens auf die Schmerzreaktion der Ratten festzustellen, wurden die Tiere einem Test mit Wärmestimulation der Pfoten
unterzogen. Huang stellte fest, dass die MOR-Gentherapie eine langfristige Genexpression in DRG-Neuronen bewirkte, was die schmerzlindernde Wirkung von Morphin bei durch thermische Stimuli hervorgerufenen Schmerzen deutlich verbesserte.
Huang weist darauf hin, dass Gentherapie zur Schmerzlinderung bei
Menschen durchgeführt werden kann, wobei jedoch der besseren
Zugänglichkeit und Sicherheit wegen das Gen in den Ischiasnerv und nicht
in das DRG appliziert werden sollte. Von einem solchen genetischen
Verfahren der Schmerzbekämpfung könnten Patienten profitieren, die an
61
chronischen Krebs-Schmerzen oder anderen Erkrankungen leiden, die
eine Langzeittherapie mit Opiaten nötig machen.
Geschlechtsunterschiede bei Schmerz
und Analgesie erklärt
Es ist eine verbreitete ärztliche Erfahrung, dass Männer und Frauen
Schmerz unterschiedlich erleben. Beispielsweise wurde festgestellt, dass
gewisse Schmerzmittel bei Frauen anscheinend wirksamer sind als bei
Männern. In einer überraschenden neuen Forschungsarbeit identifizierte
Jeffrey Mogil von der McGill-Universität in Montreal ein Gen, das einen
der geschlechtsspezifischen neuralen Mechanismen steuert, die diesen
Unterschieden zugrunde liegen.
Vor zehn Jahren hatte Mogil entdeckt, dass männliche und weibliche
Mäuse Schmerz über zwei unterschiedliche Systeme verarbeiten. Er
fand heraus, dass ein experimentelles Medikament, MK-801, stressinduzierte Schmerzunempfindlichkeit bei männlichen Mäusen aufzuheben vermochte, nicht aber bei weiblichen. Demnach verfügten die
Weibchen über ein separates System der Schmerzverarbeitung.
Anschliessend wies er nach, dass das spezifisch weibliche Schmerzverarbeitungssystem durch zirkulierende Östrogenhormone ein- bzw. ausgeschaltet wird.
In seiner neuesten Forschungsarbeit, die im April in Proceedings of the
National Academy of Sciences 66 veröffentlicht wurde, untersuchte er ein
weiteres geschlechtsabhängiges Schmerzverarbeitungssystem. Er und sein
Team gingen den Geschlechtsunterschieden der Kappa-Opiat-Schmerzmittel nach, die vielen Berichten zufolge bei Frauen wirksam sind, nicht
aber bei Männern. Aufgrund der Genkartierung ordneten sie die KappaOpiat-Schmerzverarbeitung dem Melanocortin-1-Rezeptor (MC1R)-Gen
zu, das bei Mäusen auf Chromosom 8 lokalisiert ist. Dieser Rezeptor war
bereits wohl bekannt, jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang : Er
beeinflusst beim Menschen die Haar- und Hautfarbe und bei Mäusen die
Farbe des Fells.
62
Mogils Team entdeckte, dass MC1R nur bei Weibchen die Kappa-OpiatSchmerzhemmung vermittelt. Sie testeten männliche und weibliche
Mäuse mit Pentazocin, einem Kappa-Opiat, das bei ischämischem und
thermischem Schmerz wirkt. MC1R-Genvarianten beeinflussten die
Schmerzlinderung durch Pentazocin, jedoch nur bei Weibchen.
Schmerz
Bezüglich beider Arten von Schmerz war die Schmerzlinderung durch
Pentazocin ausgeprägter bei rothaarigen und hellhäutigen Frauen mit zwei
Varianten von MC1R-Allelen als bei jeder anderen Gruppe. Ganz allgemein zeigt Mogils Arbeit, die potentielle Bedeutung der Pharmakogenetik : dass nämlich die genetische Information über Patienten Ärzte helfen
kann, das richtige Medikament zu verschreiben. Und aufgrund derselben
Überlegung könnten neue Erkenntnisse über die Genetik der Schmerzkontrolle zur Entwicklung von Medikamenten beitragen, die bei besonderen Populationen eine bessere Wirkung zeigen.
63
Psychiatrische Erkrankungen,
Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
Depression
66
Manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie
67
Essstörungen
67
Alkoholismus
68
Nikotinabhängigkeit
68
Kokainabhängigkeit
69
Heroinabhängigkeit
70
Das Rätsel des Rückfalls
70
65
P
sychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
stellen für das amerikanische Gesundheitswesen eine grosse Herausforderung dar. Jedes Jahr entwickeln schätzungsweise 5-7% der Erwachsenen und 5-9% der Kinder eine schwere Geisteskrankheit oder eine ernsthafte
emotionale Störung, und insgesamt sind psychiatrische Erkrankungen
heute in den USA die Hauptursache für Invalidität. Zudem zeigen zwei im
November 2003 veröffentlichte Untersuchungen auf, dass Drogenmissbrauch oft mit anderen medizinischen oder psychiatrischen Störungen
einhergeht 67, 68. Glücklicherweise wird die Forschung weiterhin gut finanziert; das Jahr 2003 konnte Erfolge verzeichnen, was das Verständnis und die
Behandlung einiger Geisteskrankheiten anbelangt, sowie ständige Fortschritte in anderen Bereichen und auch faszinierende neue Erkenntnisse.
Depression
Eine von Ronald Kessler und Mitarbeitenden an der Harvard Medical
School erarbeitete epidemiologische Bestandesaufnahme ergab, dass die
Prävalenz schwerer depressiver Störungen im Verlauf eines Lebens in den
USA 16,2 % beträgt – also jede sechste Person – bzw. in jedem Jahr 6,6 % 69.
Diese Ergebnisse, die auf der direkten Befragung von über 9000 Erwachsenen beruhen, führten die universitäre Abteilung für Gesundheitsversorgung zum Schluss, schwere depressive Erkrankungen seien „in der Bevölkerung weit verbreitet und im Allgemeinen mit ernsthaften Symptomen
und Funktionseinbussen verbunden“. Die Autoren empfehlen, ergänzend
zum bereits intensiv durchgeführten Screening für Depression und ihrer
immer umfassenderen Behandlung sollten auch Anstrengungen unternommen werden, um die Behandlungsqualität zu verbessern, ein Gebiet,
das weitere Forschung erfordert.
66
Eine im Juli 2003 veröffentlichte Studie illustriert gut, wie die Lebensbedingungen eines Menschen und genetische Faktoren zusammenwirken
können und so die Entstehung einer psychischen Erkrankung, in diesem
Fall eine Depression, verursachen (vgl. auch das Kapitel „Neuroethik“,
S. 49). A. R. Hariri vom National Institute of Mental Health und Mitarbeitende erforschten die Auswirkungen einer genetischen Variation, die im
Jahr zuvor auf dem Serotonin-Transportergen lokalisiert worden war. (Es
handelt sich dabei um den Transporter, dem die entscheidende Aufgabe
zukommt, den Neurotransmitter Serotonin aus dem sie umgebenden
Raum in die Zelle hinein zu pumpen.) Der Promotorbereich dieses Gens
existiert sowohl als kurzes als auch als langes Allel und frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass Leute mit zwei Kopien des kurzen Allels
Manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie
Schizophrenie und die manisch-depressive Erkrankung, die je bei 1% einer
jeden Population vorkommen, werden üblicherweise als zwei verschiedene Krankheiten angesehen. Nun hat allerdings eine von Dmitri Tkachev
und Mitarbeitenden am Babraham Institute in Cambridge, England, durchgeführte Studie gezeigt, dass sie in Bezug auf die Genexpression erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen 72. Die Autoren verwendeten eine
Methode, die als Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction,
PCR) bezeichnet wird, sowie Microarray-Analyse und führten eine postmortem Untersuchung an 45 zur Verfügung gestellten Gehirnen durch :
15 stammten von Personen mit einer manisch-depressiven Erkrankung,
15 von solchen mit einer Schizophrenie und 15 von Kontrollpersonen. Im
Gehirn der schizophrenen und der manisch-depressiven Kranken fanden
sie im Vergleich zum Gehirn der Kontrollpersonen eine beträchtliche
Reduktion jener Gene, die für die Produktion von Myelin verantwortlich
sind, jenem fetthaltigen Material, das Nervenfasern isoliert ; sie stellten
auch signifikant tiefere Spiegel jener Proteine fest, die durch diese Gene
synthetisiert werden. Diese Reduktion war ähnlich im Gehirn von schizophrenen und manisch-depressiven Kranken. Diese Korrelationen sind
deutliche Hinweise dafür, dass manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie zumindest teilweise eine gemeinsame genetische Ursache
haben – eine, die es noch intensiv zu erforschen gilt.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
allgemein dazu neigen, mehr Angst zu haben als die Heterozygoten oder
als die Träger von zwei Kopien des langen Allels 70. Träger des kurzen Allels
reagieren auf angsterregende Stimuli auch mit einer grösseren Aktivität
in der Amygdala, jener Hirnregion, die für unsere Reaktion auf Gefahr
zuständig ist. Die Untersuchung aus dem Jahr 2003 71 ergab, dass
diese genetische Variation einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob
stresshafte Lebensereignisse bei jemandem depressive Symptome, eine
schwere Depression oder Suizidneigungen verursachen.
Essstörungen
Gene, die mit Anorexia nervosa verknüpft sind, fanden im Jahr 2003
grosse Aufmerksamkeit. Eine von Andrew Bergen und Mitarbeitenden
durchgeführte Linkage-Analyse rückte das Serotonin 1D Rezeptorgen
(HTR1D) und das Opiat Delta Rezeptorgen (OPRD1) in den Mittelpunkt,
die beide auf Chromosom 1 lokalisiert sind 73. Diese Ergebnisse bestätigen
frühere Hinweise darauf, dass die Neurotransmittersysteme für Serotonin
und für opiatartige Peptide bei der Entstehung von Essstörungen eine
67
wichtige Rolle spielen. Bezüglich der Bulimia nervosa deutete eine von
Cynthia M. Bulik und Mitarbeitenden durchgeführte Linkage-Analyse auf
ein Gen oder auf mehrere Gene auf Chromosom 14q hin, und möglicherweise auf ein weiteres auf Chromosom 10p 74. Der Hinweis auf Chromosom 10p passt besonders gut zum bereits bekannten Vererbungsmuster
von selbst herbeigeführtem Erbrechen, einem für Bulimie charakteristischen Verhalten. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass dieser
Bereich von Chromosom 10 ein Gen enthält, das Personen für Bulimie
anfällig machen könnte, wobei es jedoch nicht zwingend ist, dass sie die
Störung tatsächlich entwickeln.
Alkoholismus
Ein Warnzeichen für möglichen Alkoholismus ist die Fähigkeit einer Person
„trinkfest“ zu sein oder wissenschaftlich ausgedrückt, auf Alkoholeinnahme nur wenig zu reagieren. Dieses Merkmal beruht auf dem Metabolismus der betreffenden Person und den Reaktionen ihres Gehirns auf
Ethanol, Faktoren, die ihrerseits von Genen bestimmt werden. Im Allgemeinen weisen Personen, die sich später zu Alkoholikern entwickeln,
bereits früh eine Alkoholtoleranz auf und niedrige Dosen zeigen bei ihnen
wenig Wirkung. Um die Suche nach den für eine geringe Reaktion auf
Alkohol verantwortlichen Genen einzugrenzen, unterzogen Kirk Wilhelmsen vom Ernest Gallo Clinic and Research Center 139 Geschwisterpaare im
frühen Erwachsenenalter einem Screening bezüglich neun chromosomalen
Regionen ; das deutlichste Resultat betraf Regionen auf den Chromosomen 10, 11 und 22 75. Dieser Befund bildet erst den Anfang der Suche,
denn jede chromosomale Region umfasst durchschnittlich etwa 200-300
Gene und davon dürften vermutlich nur wenige mit der Reaktion des
Gehirns auf Alkohol zu tun haben. Das Gallo-Forscherteam hofft, die
Suche werde sie zu einem Gen oder mehreren Genen führen, deren Funktionen bereits mindestens teilweise bekannt sind ; andernfalls werden die
Wissenschafter alle Gene in den drei oben genannten Regionen systematisch untersuchen.
Nikotinabhängigkeit
68
Bekanntlich haben die meisten langjährigen Raucher diese Gewohnheit
während der Adoleszenz begonnen. Woran liegt es, dass sich eine Nikotinabhängigkeit in den Jahren vor dem Erwachsenwerden besonders leicht
entwickelt ? Eine neue, am Duke University Medical Center durchgeführte
Forschungsarbeit verwendete Ratten als Tiermodell, um herauszufinden,
ob die Selbstverabreichung von Nikotin variiert, je nach dem in welchem
Kokainabhängigkeit
Eine neue Perspektive zur Behandlung der Kokainabhängigkeit eröffnete
sich von einer ganz unerwarteten Seite, nämlich durch ein Medikament,
dass zurzeit in vielen Ländern zur Behandlung epileptischer Anfälle verwendet wird. In den USA wurde Gamma-Vinyl-GABA (GVG) zwar für
diese Anwendung noch nicht freigegeben, doch erforscht wird es schon
seit langem, da es die Dopaminkonzentration in bestimmten Hirnbereichen reduziert und sowohl das auf Kokain ausgerichtete Verhalten hemmt
als auch die Schwelle für Belohnung erhöht, welche durch Kokain induziert
wird. Nun wurde in Baja California, Mexiko, unter der Leitung von Jonathan Brodie an einer kleinen Gruppe von Erwachsenen, die während mindestens drei Jahren täglich Kokain konsumiert hatten, eine von den USA
gesponserte klinische Studie durchgeführt, bei der eine psychosoziale
Therapie mit täglich zweimaliger Abgabe von GVG gekoppelt wurde ; Ziel
war es, mindestens 28 Tage auf Kokain zu verzichten 78. Acht der 20 Versuchspersonen übertrafen das Ziel und lebten während 46 bis 58 Tagen
kokainabstinent ; vier weitere gaben das Kokain zwar nicht ganz auf, reduzierten ihren Konsum jedoch um 50-80 % und gaben an, die Droge vermittle ihnen nicht mehr das gewohnte Hochgefühl. Bemerkenswert ist,
dass jene acht Personen, die das 28-Tage-Ziel überboten, berichteten,
GVG hätte ihr Verlangen nach Kokain innert zwei bis drei Wochen völlig
beseitigt – ein Effekt, der sogar während der „Schlussphase“ der Studie
anhielt, als die Dosierung von GVG allmählich auf Null reduziert wurde.
Diese Kleinstudie zeigt die Wirksamkeit von GVG in Kombination mit
psychosozialer Beratung auf und macht deutlich, dass es beim Kampf
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
Alter die Substanz erstmals eingenommen wird. Forschende unter der Leitung von Edward Levin wiesen in einer Reihe von Experimenten nach, dass
das Alter, in dem Ratten mit dem Nikotinkonsum begannen, tatsächlich
einen entscheidenden Einfluss hatte 76. Adoleszente (54-62 Tage alt) nahmen
beinahe doppelt so viel Nikotin zu sich wie Adulte (84-90 Tage alt) und
behielten dieses höhere Quantum dann auch im Erwachsenenalter bei.
Die Forschenden nehmen an, der Weg zur Abhängigkeit werde durch den
stärkeren Konsum der Adoleszenten gebahnt. In einer anderen Untersuchung befassten sich Kimberly Horn und Mitarbeitende mit Adoleszenten,
die versuchten das Rauchen aufzugeben ; sie fanden heraus, dass das
Resultat vom Ausmass der körperlichen Nikotinabhängigkeit einer Person
abhängt : Während eine kurze Selbsthilfeaktion bei nur leicht abhängigen
Rauchern wirksam war, sprachen Personen mit einer starken Abhängigkeit
besser auf ein intensives Kursprogramm mit mehreren Sitzungen an 77.
69
gegen Missbrauch und Abhängigkeit ganz entscheidend darum geht, das
Verlangen nach der Droge zu beseitigen. Als Nächstes sollte, so die Autoren, ein grösserer, Placebo kontrollierter Doppelblindversuch folgen.
Heroinabhängigkeit
Auch in der Behandlung der Heroinabhängigkeit stösst eine überraschende neue Perspektive auf beachtliches Interesse : Bei abhängigen Personen, die mit Methadon allein ohne Erfolg behandelt wurden, scheint der
überwachte Konsum von Heroin und Methadon substantielle Verbesserungen der körperlichen, mentalen und/oder sozialen Funktionsfähigkeit
(einschliesslich einer signifikanten Abnahme des kriminellen Verhaltens)
zu bewirken. In einer in den Niederlanden unter der Leitung von Wim van
den Brink 79 durchgeführten multizentrischen Studie wurden 549 Heroinabhängige zufällig einer von drei Gruppen zugeteilt : Gruppe A erhielt
während 12 Monaten nur Methadon, Gruppe B erhielt Methadon plus
Heroin (entweder als Injektion oder als Inhalation) und Gruppe C erhielt
6 Monate lang nur Methadon und anschliessend 6 Monate lang Methadon
plus Heroin. Unabhängig davon, ob das Heroin injiziert oder inhaliert
wurde, war die Kur mit Methadon plus Heroin signifikant wirksamer als die
Behandlung mit Methadon allein und erwies sich als ebenso sicher. Die
kombinierte Behandlung bleibt umstritten, sollte jedoch unbedingt weiter
erforscht werden.
Das Rätsel des Rückfalls
70
Was geschieht im Gehirn, wenn mit dem Drogenkonsum assoziierte
visuelle oder auditive Auslöser ehemals Abhängige zu einem Rückfall verleiten ? Unter der Leitung von Udi E. Ghitza trainierten Psychologen an der
Rutgers University Ratten darauf, einen bestimmten musikalischen Ton mit
der Selbstverabreichung von Kokain zu assoziieren ; dann, nach drei- bis
vierwöchiger Abstinenz, kontrollierten die Forschenden mittels EinzelNeuron-Ableitungen die Reaktion in einem Hirnbereich, der mit Sucht in
Verbindung gebracht wird, dem so genannten Nucleus accumbens 80. Die
Neuronen des Nucleus accumbens reagierten nur auf den mit der Droge
assoziierten Ton und zwar ebenso stark, wie vor der langen Abstinenzperiode – obwohl die Ratten die Erfahrung machten, dass die Betätigung des
Hebels, der sie ursprünglich mit Kokain belohnt hatte, jetzt nur Salzwasser
lieferte. Die Identifizierung jener spezifischen Neuronen, die Assoziationen speichern, welche einen Rückfall auslösen, könnte den Weg zu einer
zielgerichteten Behandlung der Abhängigkeit und zur Prävention von
Rückfällen ebnen.
Störungen der Sinnesund Körperfunktion
Stabilität und Instabilität im visuellen
System erkennen
72
Die Retina als Verarbeitungsstation
72
Die Übertragung des Signals vom Auge zum Hirn
74
Kartierung von funktionellen Regionen
in den visuellen Systemen
75
Die zirkadiane Uhr stellen
76
71
I
m Bereich der Sinnes- und Körperfunktion stand im Jahr 2003 die Erforschung des Sehens im Vordergrund ; es kam zu neuen Erkenntnissen
darüber wie das visuelle System verschaltet ist, welche Aufgabe die Retina
bei der Signalverarbeitung erfüllt und wie verschiedene Regionen der
Grosshirnrinde unterschiedliche visuelle Signale verarbeiten.
Stabilität und Instabilität im visuellen System erkennen
Im Jahr 2000, 40 Jahre nachdem Michael May im Alter von drei Jahren auf
beiden Augen erblindet war, wurde bei ihm eine kombinierte Transplantation von Stammzellen des Limbus und der Hornhaut im rechten Auge
durchgeführt. Heute kann er mit diesem Auge sehen, aber auch zwei Jahre
nach der Operation ist seine visuelle Wahrnehmung mangelhaft. Er
erkennt zwar Bewegung, Farbe und einfache Umrisse, jedoch keine komplizierten oder dreidimensionalen (3-D) Formen. Er hat Mühe, Gegenstände oder Gesichter zu erkennen. Die seit der Operation festgestellte
Besserung seiner visuellen Fähigkeiten beruht grösstenteils auf kognitiven
Fortschritten und nicht auf Steigerungen der visuellen Verarbeitung per
se ; dies wird in einem Bericht über die Genesung und den funktionellen
Status von May beschrieben, den Ione Fine und Mitarbeitende an der
University of Southern California veröffentlicht haben 81. Zwar hat May
gelernt, das Gesehene besser zu interpretieren, doch sind viele der visuellen Verarbeitungssysteme, über die er verfügt hatte bis er mit 3 Jahren
seine Sehfähigkeit verlor, im Verlauf der 40 Jahre, in denen er sie nicht
benutzen konnte, zugrunde gegangen und bilden sich nicht neu.
Die Untersuchung der von May gemachten Fortschritte gibt Fachleuten
die seltene Gelegenheit herauszufinden, welche Teile des Gehirns fest
verkabelt sind oder sich in der frühen Kindheit entwickeln, und welche
weiterhin auf Inputs aus der Umwelt angewiesen sind, um normal zu funktionieren. Im Fall von May wurde deutlich, dass unterschiedliche Teile des
visuellen Systems in unterschiedlichen Zeitperioden zugrunde gehen –
dies hatte niemand erwartet. Die Verarbeitung von Bewegung beispielsweise scheint im Alter von dreieinhalb Jahren voll entwickelt zu sein und
sie überdauert auch eine 40 Jahre lange Deprivation. Im Gegensatz dazu,
ging die Fähigkeit, Information über Gesichter visuell zu verarbeiten und
diese zu erkennen ohne fortdauernde Stimulation verloren.
Die Retina als Verarbeitungsstation
72
Das visuelle System besteht aus dem Auge als sensorischem Organ und aus
den grösstenteils in der Grosshirnrinde gelegenen Verarbeitungsstrukturen.
Licht dringt durch die Linse ein und wird in der Retina, die aus lichtempfindlichen Stäbchen und Zapfen zusammengesetzt ist, gebündelt. Die
in diesen Photorezeptoren vorhandene Information wird an zwischengeschaltete Neuronen in der Retina, deren Existenz erst vor kurzem
nachgewiesen wurde, und dann zu den Ganglienzellen der Netzhaut
weitergeleitet, welche die Information ins Gehirn übermitteln. Diese
zwischengeschalteten Neuronen scheinen der Retina bisher nicht vermutete Verarbeitungsfähigkeiten zu verleihen.
Im Jahr 2003 entdeckten Markus Meister und Mitarbeitende an der Harvard Universität, dass die Interneuronen entscheidend dazu beitragen,
dass ein Tier zwischen ruhenden und sich bewegenden Objekten unterscheiden kann. Diese Unterscheidung ist deshalb so kompliziert, da sich
das Auge selbst dann, wenn das Tier bewusst ein Objekt oder einen
Bereich in seiner Umgebung fixiert, in zufälligen kleinen Bewegungen hin
und her bewegt. So muss das visuelle System irgendwie zwischen diesen
kleinen zufälligen Bewegungen, die das Auge selbst generiert, und einer
tatsächlich in der Umgebung auftretenden Bewegung unterscheiden, und
dies selbst dann, wenn die Unterschiede subtil sind.
Indem die Forschenden die speziellen Eigenschaften der visuellen Systeme
mehrerer unterschiedlicher Wirbeltiere miteinander verglichen, erkannten
sie, dass diese Aufgabe logischerweise der Retina selbst zufallen müsste 82.
Um diese Möglichkeit zu untersuchen, mass das Team die elektrischen
Impulse, die eine Ganglienzelle durchliefen, wenn der isolierten Netzhaut
eines Salamanders oder eines Kaninchens entweder ein gestreiftes Hintergrundmuster präsentiert wurde, das sich in zufälliger Weise bewegte und
so die intakten Bewegungen eines fixierten Auges imitierte, oder derselbe
Hintergrund, auf dem ein kontrastreiches gestreiftes Objekt lag. Sie stellten fest, dass bei der blossen Bewegung des Hintergrunds kein Signal in
die Ganglienzellen abgegeben wurde – als fände in diesem Sehfeld überhaupt keine Bewegung statt. Dasselbe geschah, wenn sich das Objekt und
der Hintergrund in koordinierter Weise bewegten. Wenn sich aber Objekt
und Hintergrund in einer nicht aufeinander abgestimmten Weise bewegten, feuerten die neuralen Ganglienzellen und zeigten so Bewegung an.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
Allerdings wurde die Grenze zwischen der Aufnahme und Verarbeitung
von Signalen in letzter Zeit weniger klar, nachdem festgestellt worden war,
dass die im hinteren Augenabschnitt lokalisierte Retina nicht nur als Relaisstation dient, sondern auch selber Informationsverarbeitung initiiert.
73
Insgesamt schliessen die Forschenden aus diesen Beobachtungen, dass
etwas in der Retina jede festgestellte Bewegung des Hintergrundes wirksam kompensiert. Als sie einige der intervenierenden Neuronen untersuchten, fanden sie, dass eine Zellklasse „polyaxonal“ ist, d. h. dass diese
Zellen viele Projektionsbereiche des Axons haben, die sowohl ein enges
Gebiet der Retina umfassen, was dem rezeptiven Feld der Zelle entspricht,
als auch ein viel grösseres Gebiet der angrenzenden Retina. Sobald das
polyaxonale Zwischenneuron sowohl im rezeptiven Feld als auch im weiteren Bereich der Retina eine kohärente Bewegung feststellt, sendet es
einen inhibitorischen Impuls aus, der die Übertragung eines Signals an die
Ganglienzelle blockiert und jede wahrgenommene Bewegung wirksam
ausblendet. Falls das Zwischenneuron jedoch nur von einigen Axonen
elektrische Impulse erhält, von anderen aber nicht, wird kein inhibitorisches Signal abgegeben und die retinale Ganglienzelle kann dem Hirn ein
Warnsignal senden, dass sich irgendetwas im visuellen Feld bewegt.
Die Übertragung des Signals vom Auge zum Hirn
Sobald Licht auf der Netzhaut verarbeitet wird, senden retinale Ganglienzellen elektrische Signale an das corpus geniculatum laterale, CGL des
Thalamus, der diese seinerseits an den primären visuellen Kortex (V1) der
Grosshirnrinde weiterleitet, die erste wichtige Station der visuellen Verarbeitung. Von dort werden die neuralen Signale an die kortikalen Areale
V2, V3, V4 und den mittleren temporalen (MT) Bereich weitergeleitet.
Zwar war die allgemeine Verschaltung des visuellen Systems bereits
bekannt, doch im Jahr 2003 konnte nachgewiesen werden, welchen Einfluss eine einzige retinale Zelle auf ein einzelnes Neuron im primären
visuellen Kortex hat. Prakash Kara und R. Clay Reid von der Harvard Medical School massen gleichzeitig die elektrische Aktivität von Neuronenpaaren, einem in der Retina und einem im primären visuellen Cortex 83. Bei
jedem Paar reagierten beide Zellen auf den selben Bereich des Gesichtsfelds und sind über zwei sequentielle Synapsen miteinander verbunden,
von denen eine die retinale Ganglienzelle mit einer Relaiszelle im CGL verbindet und die andere diese Zelle an die V1-Zelle selbst anschliesst. Kara
und Reid stellten fest, dass ein Aktionspotential einer retinalen Zelle für 3 %
der Aktivität des V1-Neurons verantwortlich ist, was darauf hinweist, dass
jede kortikale Zelle von etwa 30 CGL-Neuronen gleichzeitig Inputs erhält.
74
Im weiteren fand das Team heraus, dass ein einzelnes Aktionspotential in
der Retina mit grösserer Wahrscheinlichkeit im visuellen Kortex exakt
Kartierung von funktionellen Regionen
in den visuellen Systemen
Obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, welche Hirnregionen dafür verantwortlich sind, dass elektrische Impulse in ein Bild der Aussenwelt umgewandelt werden, ist immer noch unklar, wie und wo die einzelnen Aspekte
der Bildverarbeitung erfolgen. Die Forschung ist weiterhin daran abzuklären, wie die Struktur der visuellen rezeptiven Felder von einzelnen Neuronen im Gehirn zu den charakteristischen Eigenschaften der visuellen Wahrnehmungen, also dem Sehen, führt. Zu diesem Thema erscheinen jedes
Jahr viele wissenschaftliche Arbeiten, die jeweils eine spezifische Funktion
einem lokalisierten Bereich im Kortex zuordnen ; zwei der diesjährigen
Untersuchungen ragen als besonders interessante Beispiele heraus.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
repliziert wird, wenn die retinale Zelle innert 4-9 Millisekunden wiederholt
feuert. Diese Verstärkung durch paarweise Aktionspotentiale führt dazu,
dass das visuelle System auf einen starken Input heftig reagiert und
„störende“ Signale von schwachen visuellen Stimuli auf natürliche Weise
ausfiltern kann.
Dass kleine repetitive Segmente des sekundären visuellen (V2) Kortex, so
genannte dünne Streifen, für die Wahrnehmung von Farbe verantwortlich
sind, war bereits bekannt. In diesem Jahr berichteten Daniel J. Felleman
und Mitarbeitende vom University of Texas Medical Center in Houston, sie
könnten Gruppen von Zellen unterscheiden, die besonders stark auf verschiedene Farben reagierten 84. Beispielsweise reagiere eine Gruppe von
Zellen intensiv, wenn in ihrem Gesichtsfeld gelb vorkomme, eine andere
dagegen reagiere nur schwach auf gelb, jedoch stark auf grün.
Ausserdem stellte das Team fest, dass die Zellgruppen innerhalb der dünnen
Streifen in systematischer Weise angeordnet sind, wobei benachbarte Gruppen auf ähnliche Farben reagieren. Felleman hebt hervor, die Organisation
der benachbarten Farben widerspiegle, wie wir Farbe wahrnehmen: Zellen,
die auf purpur reagieren liegen nämlich in der Nähe von solchen, die auf rot
und blau reagieren ; sie sind also weder zufällig angeordnet noch reflektieren sie die physikalischen Eigenschaften des Lichts, da sonst purpur und
rot aufgrund der Verschiedenheit ihrer Wellenlängen an gegenüberliegenden Enden des Spektrums zu finden wären. Diese geordnete räumliche
Organisation der Farbwahrnehmung in V2 entspricht dem, was in anderen
Bereichen des visuellen Systems gefunden wurde, wo benachbarte Zellen
ebenfalls eng miteinander verwandte Aufgaben und Charakteristika haben.
75
In einer weiteren Kartierungsstudie zeigten Forschende, dass Neuronen
im mittleren temporalen (MT) Bereich des Gehirns, der bekanntlich zur
Verarbeitung von Informationen über Bewegung und räumliche Tiefe beiträgt, auch detailliert darüber Informationen vermitteln, wie dreidimensionale Objekte in die Umgebung eingebettet sind 85. Primaten vermögen
innerhalb von etwa hundert Fuss zu unterscheiden, wie weit das eine Auge
von einem bestimmten Gegenstand entfernt ist und wie weit das andere.
Zwar nehmen wir diese binokulare Disparität, wie dieser Unterschied
genannt wird, nicht bewusst wahr, doch verwenden Neuronen im visuellen Kortex diese Information, um Entfernung und Tiefe im Gesichtsfeld
abzuschätzen. Jerry D. Nguyenkim und Gregory C. DeAngelis von der
Washington University Medical School in St. Louis, Missouri, stellten fest,
dass bestimmte MT-Neuronen aktiv werden, wenn in dieser binokularen
Disparität innerhalb des rezeptiven Felds der Zellen ein Gradient besteht
oder eine Veränderung erfolgt. Mit anderen Worten, diese Neuronen sind
besonders geeignet, die Neigung eines Objekts zu erkennen, etwa die
Ecke eines Bilderrahmens auf einem Pult und eine Verdrehung, bei der
die Oberfläche eines Objekts ein wenig auf die eine oder andere Seite
verdreht ist.
Ausserdem, werden einzelne MT-Neuronen, ebenso wie die farbempfindlichen Neuronen in V2, jeweils vorzugsweise von einem spezifischen Neigungs- oder Drehwinkel aktiviert. Betrachtet man also einen Bilderrahmen, der nur ein klein wenig aus der Vertikalen gekippt ist, wird eine
Gruppe von Neuronen aktiviert, befindet sich jedoch die daneben liegende Fotografie in einer stärkeren Schieflage, so wird eine andere Gruppe
von Neuronen aktiviert.
Die Tatsache, dass das Team eine Selektivität auf Schieflage und Neigung
feststellte, ohne dass der visuelle Stimulus in Bewegung war, weist darauf
hin, dass MT bei der Bestimmung der 3-D-Struktur einer Situation ganz
allgemein involviert ist, auch unabhängig von einer Bewegungsanalyse.
Die zirkadiane Uhr stellen
76
Im Verlauf der letzten paar Jahre haben Wissenschafter in der Retina von
Säugetieren einen neuen Typ von Photorezeptoren entdeckt. Zusätzlich
zu den längst bekannten Stäbchen- und Zapfen-Rezeptoren, die für die
visuelle Wahrnehmung verantwortlich sind, gibt es etwa 600 Photorezeptoren, die Melanopsin, ein photoreaktives Pigment, enthalten. Seit der
Entdeckung dieser neuartigen Photorezeptoren wurde nachgewiesen,
Mittels Gentechnik schalteten beide Teams das Melanopsin-Gen und
damit die spezialisierten Photorezeptoren aus. Unter diesen Bedingungen
zeigte sich, dass die Stäbchen- und Zapfen-Photorezeptoren die Funktion
des Melanopsin-Rezeptors kompensieren können, indem sie als Ersatzsystem die nicht-visuellen Reaktionen auf Licht steuern.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
dass die Melanopsin enthaltenden Zellen bei der Verarbeitung von Reaktionen auf Licht mitwirken, die nicht mit Bildern zusammenhängen ;
dazu gehört etwa die Phasenverschiebung des zirkadianen Rhythmus
eines Tieres und die durch Licht hervorgerufene Kontraktion der Pupille.
Zwei Forschungsgruppen, die eine unter der Leitung von King-Wai Yau an
der Johns Hopkins University und die andere unter John Hogenesch am
Scripps Research Institute und dem Genomics Institute der Novartis Research Foundation in San Diego, fanden inzwischen unabhängig voneinander klare Hinweise, dass die Stäbchen- und Zapfen- sowie die Melanopsin-Photorezeptor-Systeme die einzigen sind, die es in der Retina gibt und
gemeinsam für sämtliche durch Licht bedingten Verhaltensweisen verantwortlich sind 86, 87.
Als die Forschenden anschliessend eine Mutation erzeugten, die bei diesen Tieren mit fehlendem Melanopsin auch das Stäbchen- und Zapfensystem beeinträchtigte, stellten sie fest, dass die Tiere praktisch überhaupt
nicht mehr auf Licht reagierten. Ihre Aktivitätszyklen verkürzten sich auf
etwas weniger als 24 Stunden, was für Mäuse typisch ist, die in konstanter
Dunkelheit gehalten werden. Hielt man sie unter zyklischem Lichtbedingungen mit 8 Stunden Licht und 16 Stunden Dunkelheit, waren die Tiere
zu zufälligen Zeiten aktiv ; Wildtyp-Mäuse, bei denen eines der beiden
Rezeptorsysteme intakt ist, sind unter solchen Bedingungen nur während
der dunklen Stunden aktiv. Ausserdem zeigten die mutierten Tiere
keinerlei Pupillenreaktion auf Licht, obwohl das neurale System, das eine
Puppillenkontraktion bewirkt, funktionsfähig war.
Bei den einfachsten Systemen ist eine einzelne Funktion jeweils nur einem
Zelltyp zugeordnet. Aber anstatt den einfachsten Weg einzuschlagen,
versah die Evolution das visuelle System mit einem eleganteren und
widerstandsfähigeren System und fügte in den Ablauf eine gewisse
Redundanz sowie Funktionen ein, die einander ergänzen.
77
Stammzellen
und Neurogenese
Stammzellen-Debatte : Pluripotenz oder Verschmelzung
80
Neues „Stemness“-Gen identifiziert
82
Antidepressiva und Neurogenese im Gehirn
82
79
D
er Nachweis, dass es Stammzellen (unreife Zellen, die sich theoretisch
zu jedem Zelltyp entwickeln können) bei Erwachsenen gibt, hat Hoffnungen geweckt, dass diese Zellen zur Behandlung vieler Krankheiten,
einschliesslich degenerativer Erkrankungen des Nervensystems verwendet werden können. Dadurch liessen sich sowohl die ethischen Probleme
vermeiden, die mit der Verwendung von Zellen von Embryonen verbunden sind als auch Probleme der Gewebeabstossung bei Transplantaten
von tierischen Zellen.
Stammzellen-Debatte : Pluripotenz oder Verschmelzung
Untersuchungen der letzten Jahre weisen auf eine hohe Anpassungsfähigkeit von Stammzellen, die so genannte Pluripotenz, hin und zeigen, dass
dem Knochenmark entnommene Zellen, Lebergewebe wieder besiedeln
oder Neuronen im Gehirn generieren können. Die Forschung hat jedoch
eine neue Wende genommen, denn verschiedene Berichte stellen die
Idee der Pluripotenz in Frage und nehmen an, dass Stammzellen zwar verschiedene Gewebearten hervorbringen können, dass sie dies aber durch
die Verschmelzung mit bestehenden Zellen des Gewebes tun und nicht
durch einen geänderten Verlauf ihrer eigenen Differenzierung. Mehrere
Untersuchungen stützen diese neue Vorstellung. So wurden etwa „hämatopoetische“ Stammzellen oder Blutzellen produzierende Stammzellen
aus dem Knochenmark transplantiert und Spuren dieser Zellen im Lebergewebe gefunden. Anfangs 2003 erbrachte ein Team den Nachweis, dass
dies über den Weg der Zellverschmelzung und nicht der Pluripotenz
erfolgt. Die Forschenden untersuchten das Gewebe von Mäusen mit
einer Lebererkrankung, die Knochenmarktransplantate erhalten hatten.
Die Analyse ergab, dass sowohl Zellen mit der genetischen Signatur der
Spendermäuse als auch solche der Empfänger die geschädigte Leber wieder besiedelten. Zudem wiesen die Leberzellen der Empfängermäuse,
alles Männchen, sowohl X als auch Y Chromosomen auf, was anzeigt, dass
es sich bei den neuen Zellen um ein zusammengesetztes Produkt der
hämatopoetischen Stammzellen (hematopoietic stem cells, HSC) der
weiblichen Spender und der Empfänger handelte 88.
80
Diese auf einem überzeugenden Bericht von Ende 2002 in Science beruhenden Ergebnisse stellen die Theorie in Frage, wonach HSC die Fähigkeit
haben, sich in andere Zelltypen zu verwandeln. In dieser Untersuchung
transplantierten die Forschenden Mäusen, bei denen die Bildung von Blutzellen durch Bestrahlung verhindert worden war, eine einzelne hämatopoetische Stammzelle ; diese wurde einem Stamm von Spendermäusen
Stammzellen und Neurogenese
entnommen, der gentechnisch so verändert worden war, dass die Tiere in
all ihren Genen ein grün fluoreszierendes Protein exprimierten. Als die
Forschenden bei den Empfängermäusen nach Anzeichen des grünen Proteins suchten, stellten sie fest, dass, obwohl die einzelne Stammzelle die
Blutzellen der bestrahlten Tiere regeneriert hatte, in anderen Geweben
keine Spur des grünen Proteins zu finden war. In einem verwandten Experiment mit Mäusen, deren Blutversorgung durch einen chirurgischen Eingriff zusammengeschlossen worden war, wurden grün-markierte Blutzellen der Spendermaus den Blutzellen des Empfängers eingepflanzt, aber
auch in diesem Fall stellte man in anderen Geweben keinen entsprechenden „Chimärismus“ fest 89.
Im Februar 2003 zeigte eine weitere Untersuchung, dass Knochenmarkzellen in spezifische Neuronen, die so genannten Purkinje Zellen, im
menschlichen Gehirn inkorporiert werden können. Die Forschenden
untersuchten Hirngewebe, das bei der Autopsie von weiblichen Leukämiekranken entnommen worden war, die Knochenmarktransplantate von
männlichen Spendern erhalten hatten. Da Purkinje Neuronen gross sind
und eine eindeutige Form aufweisen, liessen sich ihre Kerne leicht auf das
Vorhandensein von Chromosomen des anderen Geschlechts überprüfen.
Das Team fand vier Neuronen, die sowohl ein X- als auch ein Y-Chromosom enthielten und zwei weitere mit mehr als der üblichen Anzahl an
Chromosomen. Zwar scheint die Zahl klein zu sein, doch betonen die Forschenden, jegliches Vorkommen sei überraschend, da zuvor noch nie
etwas Ähnliches dokumentiert worden war. Sie kamen zum Schluss, dass
zwei Erklärungen möglich waren : Entweder hatten sich Stammzellen vom
Knochenmark – die einzig mögliche Quelle des falsch zugeordneten Chromosoms – in neue Purkinje Neuronen verwandelt, oder die Stammzellen
hatten sich mit den Neuronen verschmolzen. In einer solchen Verschmelzung liegt ein therapeutisches Potential. Es ist nicht bekannt, dass sich Purkinje Neuronen, die für Funktionen wie Gleichgewicht und Bewegung
eine Schlüsselfunktion ausüben, im adulten Gehirn reproduzieren ; ihr
Untergang führt zu verschiedenen charakteristischen Erkrankungen wie
der Bewegungsstörung Ataxie, zu alkoholischer Demenz, bekannt als
Wernicke-Korsakoff-Syndrom, und zu Prionenerkrankungen, etwa den
Creutzfeldt-Jakob Erkrankungen 90.
Insgesamt weisen die Untersuchungen darauf hin, dass Zellverschmelzung
der Weg ist, über den Stammzellen verschiedene Gewebearten wieder
besiedeln. Diese Erkenntnis vermindert den therapeutischen Wert von
81
Stammzellen nicht, zeigt indessen, dass sich Wissenschafter mit neuen
Grundsätzen vertraut machen müssen, um dieses Potential therapeutisch
zu nutzen. Ausserdem könnte Zellverschmelzung die Anwendungsmöglichkeiten von Stammzellen erweitern, einschliesslich jener, eine geschädigte
Zelle durch Zufuhr von vollständigen, gesunden Chromosomen zu „retten“.
Neues „Stemness“-Gen identifiziert
Um Stammzellen in einen gewünschten Zelltyp zu transformieren, muss
man die Signale, die die Zelldifferenzierung steuern, kennen und verstehen. Im Mai 2003 identifizierten Forschende einen neuen genetischen
Faktor, der embryonale Stammzellen dazu bringt, sich zu teilen und gleichzeitig verhindert, dass sie sich ausdifferenzieren. Da dieser Faktor Zellen in
ihrem unreifen Zustand bewahrt, nannten ihn die in Schottland beheimateten Forschenden Nanog, dies nach Tir nan Og, dem Land der Jugend in
der keltischen Mythologie. Das Team nimmt an, Nanog könnte eines von
einer ganzen Gruppe von „Stemness“-Genen sein ; weitere Forschungsarbeiten sind notwendig um zu ermitteln, ob es bei der Pluripotenz eine
Rolle spielt und ob es einzig bei embryonalen Stammzellen vorkommt.
Ausserdem könnte es nun, nachdem Nanog identifiziert wurde, möglich
sein, jene Gene genau zu bestimmen, auf die es einwirkt – dies würde Wissenschafter in die Lage versetzen, Stammzellen so zu animieren, dass sie
auf dem gewünschten Weg der Ausdifferenzierung bleiben 91.
Antidepressiva und Neurogenese im Gehirn
82
Die Wissenschaft ist dabei, das Potential der Neurogenese – die Geburt
von neuen Neuronen im adulten Gehirn – zur Behandlung jener Krankheiten nutzbar zu machen, bei denen es zum Untergang von Hirnzellen
kommt, etwa der Alzheimerschen und der Parkinsonschen Krankheit.
Neurogenese könnte aber auch bei Erkrankungen eine Rolle spielen, die
nicht so offensichtlich mit dem Verlust von Hirnzellen zusammenhängen.
Die Forschung deutet darauf hin, dass Depression teilweise auf der Abwesenheit von Neurogenese in Hirnregionen beruht, in denen sie normalerweise vorkommt ; Untersuchungen an Tieren zeigen, dass Antidepressiva
dadurch wirksam sein könnten, dass sie das Wachstum neuer Hirnzellen
anregen. Ein in der Ausgabe vom 8. August 2003 in Science erschienener
Bericht gibt einen ersten Hinweis darauf, dass eine durch Antidepressiva
ausgelöste Neurogenese zur Heilung einer Depression führen könnte. Die
Forschenden verwendeten einen Standardtest und zeigten einer Gruppe
von hungrigen Mäusen eine Schüssel mit Futterkörnern unter einem hellen Licht, das Mäuse gewöhnlich zu meiden trachten. Mäuse, die sich trotz
Stammzellen und Neurogenese
ihres Hungers nicht ans Licht wagen, gelten als Tiere mit einer für Mäuse
charakteristischen Angst oder Depression. Eine vierwöchige Behandlung
mit Fluoxetin (Prozac) oder einer anderen Klasse von Antidepressiva
brachte die Mäuse dazu, Mut zu fassen und ihre hell erleuchteten Mahlzeiten zu essen ; bei diesen Mäusen nahm auch die Zahl der sich teilenden
Zellen im Hippocampus um 60 % zu, einer Verbindungsstelle von Gedächtnis und räumlicher Orientierung und einem Bereich, in dem Neurogenese
stattfindet. In der nächsten Phase des Experiments wurden die Mäuse
Röntgenstrahlen exponiert, wodurch die sich teilenden Zellen, also
Stammzellen und neuronale Vorläuferzellen, die sich zu neuen Neuronen
entwickeln, vernichtet wurden. Diesmal führte dieselbe Behandlung nicht
zur Neurogenese und die Mäuse blieben so ängstlich wie zuvor, was deutlich darauf hinweist, dass die Antidepressiva die Entstehung neuer Zellen
ausgelöst hatten und dass diese Neurogenese das Verhalten und (so die
Folgerung) die Stimmung der Tiere veränderte. Zwar könnte eine Bestrahlung neben der Zerstörung von sich teilenden Zellen auch andere Auswirkungen auf das Gehirn haben, doch erbringt die Untersuchung den ersten
überzeugenden Hinweis auf Ursache und Wirkung. Wenn wir Depression
als ein Ausbleiben der Neurogenese und nicht nur als Ungleichgewicht
der Hirnchemie betrachten, könnte dies das Verständnis dieser Krankheit
vertiefen und zu besseren Behandlungsmöglichkeiten führen 92.
83
Denk- und
Erinnerungsstörungen
Veränderungen in der
Therapie der Alzheimerschen Krankheit
86
Bildgebung und Gedächtnis
88
Die normale Gedächtnistätigkeit verstehen
90
85
E
s ist zu erwarten, dass die Zahl der Amerikaner, die an der Alzheimerschen Krankheit (Alzheimer’s disease, AD) leiden, von 4,5 Millionen
im Jahr 2000 auf 13 Millionen im Jahr 2050 ansteigen wird, falls nicht neue
Möglichkeiten gefunden werden, diese Krankheit zu verhindern oder zu
behandeln ; zu diesem Schluss kommt ein Bericht, der 2003 von Denis
Evans und Mitarbeitenden am Rush Institute on Healthy Aging in Chicago
veröffentlicht wurde 93. Die meisten AD-Forschenden sind jedoch weiterhin optimistisch, dass neue Strategien verhindern werden, dass die Krankheit einen derart grossen Tribut fordert.
Bereits im Verlauf des Jahres 2003 wurde ein neues Medikament zur
Behandlung der Alzheimerschen Krankheit zugelassen und das Verständnis der normalen Gedächtnisfunktion und seiner Störungen nimmt weiterhin zu.
Veränderungen in der
Therapie der Alzheimerschen Krankheit
Am 24. September empfahl die für Medikamente des peripheren und zentralen Nervensystems zuständige beratende Kommission der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, Memantin zur Behandlung der leichten
bis schweren AD (siehe auch das Kapitel „Neuroethik“, S. 49) zuzulassen 94. Es wird das erste in den USA erhältliche Medikament zur Behandlung der fortgeschrittenen Alzheimerschen Krankheit sein.
86
Memantin steht für eine völlig neue Klasse von Medikamenten zur
Behandlung der AD. Bei allen vier bisher auf dem Markt befindlichen
Medikamenten handelt es sich um Cholinesterase Inhibitoren, einschliesslich Donepezil (mit dem Handelsnamen Aricept). Schon früh im
Verlauf der AD nimmt das im Gehirn vorhandene Acetylcholin ab, ein
für die Signalübertragung zwischen gewissen Neuronen im Gehirn notwendiger Neurotransmitter ; die Cholinesterase Inhibitoren wirken diesem
Defizit dadurch entgegen, dass sie den Abbau von Acetylcholin verlangsamen und so die Verfügbarkeit des Neurotransmitters vorübergehend
erhöhen. Im Gegensatz dazu wirkt Memantin auf eine andere Untergruppe von Neuronen ein, die durch den Neurotransmitter Glutamat
stimuliert werden. Abnorm hohe Glutamatspiegel, wie sie bei einigen
degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, einschliesslich der AD,
vorkommen, können die Neuronen zerstören. Memantin verhindert diesen
Zelltod, indem es die NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartate), an die
Glutamat bindet, blockiert.
Denk- und Erinnerungsstörungen
In einer der drei Studien, die vom Beratungskomitee der FDA geprüft wurden, hatten Pierre Tariot vom University of Rochester Medical Center und
seine Mitarbeitenden festgestellt, dass die Kombination von Memantin
und Donepezil zur Behandlung von Kranken mit moderater bis schwerer
AD wirksamer war als Donepezil allein 95. In dieser Untersuchung hatte
man 403 Patienten mit moderater bis schwerer AD, die seit mindestens
sechs Monaten mit Donepezil behandelt worden waren, zufällig einer von
zwei Untersuchungsgruppen zugeteilt. Eine Patientengruppe bekam täglich Donepezil und Memantin, während Patienten der zweiten Gruppe
Donepezil und eine Placebo-Tablette erhielten, die ähnlich aussah wie
Memantin, aber keine Wirkstoffe enthielt. Während der 24 Wochen dauernden Studie wussten weder die Kranken noch ihre Ärzte, wer Placebo
und wer Memantin erhielt. Bei Abschluss der Untersuchung hatten sich
die kognitiven Fähigkeiten der Kranken, die beide Medikamente erhalten
hatten, im Vergleich zu denen, die die Placebo-Kombination eingenommen hatten, statistisch signifikant verbessert. Bei den Kranken mit der
Kombinationstherapie hatte auch die Fähigkeit, tägliche Aufgaben zu
bewältigen, etwa sich selbst anzuziehen, weniger abgenommen.
Im Gegensatz zu den erfolgreichen Versuchen mit Memantin, war der allererste klinische Versuch mit einer Impftherapie gegen AD anfangs 2002
vorzeitig abgebrochen worden, da 17 von 300 Kranken Symptome einer
Meningoenzephalitis, einer Entzündung des Gehirns und des angrenzenden Gewebes, entwickelt hatten 96. Im April 2003 veröffentlichten James
Nicoll und Mitarbeitende von der Universität Southampton, Grossbritannien, die Ergebnisse der Autopsie eines Patienten, der nach der Behandlung mit dem Impfstoff AN-1792 an Meningoenzephalitis erkrankt war 97.
Nicoll’s Team stellte fest, dass bei diesem Patienten ganze Bereiche der
Grosshirnrinde frei von Plaques waren, was man im Gehirn von unbehandelten Patienten in einem vergleichbaren Stadium der AD nie gesehen
hatte. Allerdings wiesen dieselben Hirnregionen dennoch andere mit AD
zusammenhängende Pathologien auf, etwa Alzheimer Fibrillen (neurofibrillary tangles) ; somit hatten die durch den Impfstoff induzierten Antikörper zwar beta-amyloides (ßA) Protein beseitigt, jedoch nicht das
ganze potentiell schädigende Material aufgelöst. Forschende auf diesem
Gebiet betonen, dass dies ein besonders wichtiger Punkt sei ; bisher steht
nämlich nicht fest, ob ßA Plaques den kognitiven Verfall verursachen oder
mit ihm bloss in einer nicht ursächlichen Weise zusammenhängen. Selbst
wenn also die Behandlung mit einem Impfstoff die gesamten ßA Plaques
87
beseitigen würde, könnte sie möglicherweise die normale Gedächtnisleistung nicht wiederherstellen.
Bezeichnenderweise ergab die Autopsie auch Hinweise auf eine schädigende Immunreaktion. Der Impfstoff scheint nicht nur die Produktion von
Antikörpern ausgelöst sondern auch eine Reaktion der T-Zellen hervorgerufen zu haben, was zu einer Entzündung führt und den kognitiven Verfall
des Kranken beschleunigte. (Für weitere follow-up Untersuchungen, vgl.
das Kapitel „Neuroimmunologische Erkrankungen“, S. 26.)
Aufgrund dieser verschiedenartigen Ergebnisse – offensichtliche Beseitigung der Plaques und durch den Impfstoff induzierte Schädigung –
sind viele in diesem Bereich Forschende der Ansicht, man müsse die
immuntherapeutischen Schemata zwar anpassen, jedoch nicht völlig aufgeben 98, 99. Eine Möglichkeit besteht darin, von einer aktiven Impfung, bei
der dem Patienten ein Protein injiziert wird, das sein eigenes Immunsystem
stimuliert, wie dies bei AN-1792 der Fall war, zu einer passiven Therapie zu
wechseln, bei der einem Patienten bereits produzierte Antikörper verabreicht werden, die das schädigende Agens erkennen. Die Hoffnung bei
einer solchen passiven Immunisierung ist, die Vorteile der durch Antikörper induzierten Beseitigung der ßA Plaques zu erlangen, ohne jedoch die
eine Entzündung induzierende zelluläre Immunreaktion zu aktivieren. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die passive Immunisierung mit
Antikörpern gegen ßA die Plaques im Gehirn von Mäusemodellen der AD
zu beseitigen vermag 100.
Bildgebung und Gedächtnis
Eine der Schwierigkeiten, Behandlungen der AD zu entwickeln besteht
darin, dass wir die Pathophysiologie dieser Krankheit noch nicht ganz verstehen. Allerdings wurden in den letzten Jahren die bildgebenden Verfahren verbessert, dank denen Ärzte und Ärztinnen sehen können, was im
Gehirn von Demenzkranken vor sich geht, und die Forschenden beginnen
nun, die einzelnen Schritte des Krankheitsprozesses aufzudecken.
88
In einer solchen Untersuchung verwendeten Reisa Sperling und Mitarbeitende von der Universität Harvard das bildgebende Verfahren der
funktionellen Magnetresonanz (functional magnetic resonance imgaging ;
fMRI), bei dem der Blutfluss im Gehirn dargestellt wird, um herauszufinden, wie sich die Hirnaktivität von Kranken mit leichter AD von der
junger und älterer gesunder Kontrollpersonen unterscheidet, während sie
Im Vergleich zur älteren Kontrollgruppe wurde bei AD-Kranken eine signifikant verminderte Aktivität in der Region des Hippokampus festgestellt.
Eine Vermutung ist, diese Reduktion beruhe zum Teil auf dem mit dem
Fortschreiten der Krankheit einhergehenden Verlust von Neuronen des
Hippokampus. Allerdings liessen sich weitere Unterschiede erkennen, die
zudem auf eine Fehlfunktion der verbleibenden Neuronen hinweisen.
Demgegenüber fanden die Forschenden, beim Vergleich der Hirnaktivität
von jungen und gesunden älteren Kontrollpersonen, dass die Aktivität im
Hippokampus ähnlich war, wobei sie allerdings bei jungen Personen symmetrischer und über ein etwas grösseres Gebiet verteilt auftrat. Diese beiden Gruppen unterschieden sich in Bezug auf das Ausmass der Aktivität
im präfrontalen Kortex und in der parietalen Region. Aufgrund all dieser
Ergebnisse kommen die Forschenden zum Schluss, der während des normalen Alterns auftretende Gedächtnisverlust habe eine andere Ursache
als der bei AD auftretende. Allerdings mahnen sie zur Vorsicht, da ihre
Untersuchung mit nur 27 Personen klein war und eindeutige Schlüsse erst
aufgrund einer grösseren Studie gezogen werden können.
Denk- und Erinnerungsstörungen
assoziative Gedächtnisaufgaben lösen 101. Man zeigte den Leuten eine
Reihe von Gesichtern, wobei unter jeder Fotografie in leicht lesbarer
Schrift ein Vorname stand und stellte ihnen die Aufgabe, sich den zum
jeweiligen Gesicht gehörenden Namen zu merken. Während sich die
Patienten die Fotografien ansahen, machte der MRI-Apparat Bilder ihres
Gehirns. Durch den Vergleich der Bilder, können die Forschenden feststellen, welcher Teil des Gehirns bei einer bestimmten Aufgabe tätig ist
und herausfinden, ob diese Aktivität bei den verschiedenen Versuchsgruppen mit gleicher Intensität und am selben Ort auftritt.
Um solche Projekte zu fördern, kündigte das National Institute on Aging im
Jahr 2003 eine neue Initiative an, welche Untersuchungen an Kranken mit
einer leichten kognitiven Störung (mild cognitive impairment ; MCI) und
AD sowie an gesunden Kontrollpersonen mittels bildgebenden Verfahren
unterstützen soll. Die Initiative wird durch öffentliche und private Mittel
finanziert. Sämtliche gesammelten Informationen, sowohl das Bildmaterial
als auch die Blut- und Liquorproben sollen so rasch wie möglich allen interessierten Forschergruppen zugänglich gemacht werden.
Im Zuge dieser Initiative werden Wissenschafter in rund 25 über die ganzen USA verteilten klinischen Institutionen 150 Patienten im Anfangsstadium der AD, 350 Personen mit einer leichten kognitiven Behinderung
89
(MCI) und 150 gesunde Kontrollpersonen evaluieren und untersuchen.
Die Teilnehmenden werden alle drei Monate einer Positronen-Emissionstomographie (PET) und dem bildgebenden Verfahren der Magnetresonanz (magnetic resonance imgaging ; MRI) unterzogen. Die Forschenden
werden die MCI-Kranken und die gesunden Kontrollpersonen während
drei, die AD-Kranken während zwei Jahren verfolgen.
Zusätzlich zu den PET und MRI-Scans werden im Liquor potentielle Biomarker wie Serumproteine und die Konzentration des Beta-Amyloid-Proteins bestimmt, um sowohl dem biologischen Krankheitsverlauf als auch
diagnostischen und prognostischen Markern auf die Spur zu kommen.
PET-Bildgebung misst die Menge der in verschiedenen Hirnregionen vorhandenen Glukose und bildet die Stoffwechselaktivität im ganzen Gehirn
ab. Es ist bereits bekannt, das AD-Patienten in einigen Hirnregionen eine
herabgesetzte Stoffelwechseltätigkeit aufweisen ; aufgrund der geplanten
Longitudinalstudie, die Patienten über längere Zeit hinweg verfolgt, wird
man bestimmen können, wann solche Veränderung in Bezug auf kognitive
Einbussen auftreten. MRI dagegen, vermittelt ein anatomisches Bild des
Gehirns. Im Verlauf der AD verringern sich der Umfang der Grosshirnrinde
und des Hippokampus, die für Gedächtnis und Lernen wichtig sind. Aber
auch hier gilt, dass zurzeit nicht bekannt ist, wie diese Veränderungen mit
den kognitiven Leistungen korreliert sind ; wir wissen nicht einmal, ob die
Reduktion der Hirnsubstanz dem Gedächtnisverlust vorausgeht oder auf
ihn folgt.
Die neue Initiative wird es den Forschenden ermöglichen, den natürlichen
Verlauf der Krankheit zu verfolgen und darüber hinaus die Wirkungen verschiedener potentieller Medikamente und Interventionen zu untersuchen.
Möglicherweise vermag ein neues Medikament die im Gehirn eines ADPatienten auftretenden Veränderungen rückgängig zu machen oder zu
verlangsamen, ohne unmittelbar kognitive Verbesserungen zu induzieren.
In diesem Fall wären Verfahren zur Bestimmung anatomischer Veränderungen, was durch die Initiative realisiert werden soll, für die Entwicklung
von Medikamenten besonders wichtig.
Die normale Gedächtnistätigkeit verstehen
90
Forschende, welche die durch die Demenz bedingten Gedächtnisstörungen untersuchen, wollen auch wissen, wie das normale Gedächtnis
zustande kommt. Im Jahr 2003 gab es diesbezüglich mehrere wichtige
Befunde, einschliesslich einer Reihe von Untersuchungen, die neue
Larry Squire und seine Kollegen an der University of California, San Diego,
und am San Diego Veteran’s Affairs Medical Center konnten aufgrund
ihrer Untersuchung an Amnesiepatienten verschiedene, seit langem
bestehende Fragen beantworten, welche die Rolle des Hippokampus und
der angrenzenden Hirnregionen, etwa der entorhinalen, perirhinalen und
parahippocampalen Kortizes bei der Kodierung und Abfrage des Gedächtnisses betreffen. So wurde etwa vermutet, die kortikalen Bereiche rund
um den Hippokampus reichten aus, um einen Gegenstand als bekannt
oder unbekannt einzuordnen, dass jedoch für die komplexere Aufgabe,
sich daran zu erinnern woher man einen Gegenstand kennt, die Tätigkeit
des Hippokampus nötig sei 102. Zur Prüfung dieser Hypothese untersuchte
die Gruppe von Squire sieben Amnesiepatienten, deren neurale Schädigung auf den Hippokampus selbst beschränkt war und sich nicht auf die
angrenzenden Kortizes erstreckte. Squires Team zeigte den Patienten eine
Reihe von Gegenständen und fragte zuerst, ob sie diese erkannten und
dann, ob sie sich erinnern könnten, woher sie sie kannten. Die Kranken
schnitten bei beiden Aufgaben gleich schlecht ab, was darauf hinweist,
dass der Hippokampus sowohl für die grundlegende Aufgabe, ein Objekt
zu erkennen notwendig ist als auch für die komplexere, sich zu erinnern,
woher man ihn kennt.
In zwei nachfolgenden Untersuchungen, in denen ebenfalls Amnesiepatienten getestet wurden, konnte das Team die Rolle des Hippokampus
näher eingrenzen. Neurobiologen sind sich einig, dass die Tätigkeit des
Hippokampus für die Kodierung episodischer Gedächtnisinhalte (Erinnerungen an Ereignisse, die mit einem bestimmten Ort und einer bestimmten
Zeit verknüpft sind) nötig ist, aber es war weniger klar, ob das semantische
Gedächtnis (Erinnerungen an Sachinformationen, etwa den Namen des
Präsidenten oder die Hauptstadt von Süddakota) auch auf dem Hippokampus beruht. Als die Forschenden Amnesiepatienten über Sachinformationen befragten, die entweder vor oder nach dem Insult aufgetreten
waren, stellte das Team fest, dass sich die Patienten an lange vor dem Insult
gespeicherte Informationen erinnern konnten, aber nach dem Insult im
Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen signifikant weniger Sachinformationen aufgenommen hatten 103. Dies weist darauf hin, dass die Kodierung
und Erinnerung des semantischen Gedächtnisses den Hippokampus erfordert, dass aber das Altgedächtnis unabhängig von ihm besteht. Ähnlich
Denk- und Erinnerungsstörungen
Einsichten in die Rolle des Hippokampus bei der Bildung und Abfrage von
Gedächtnisinhalten brachten.
91
werden autobiographische Erinnerungen zwar ursprünglich durch den
Hippokampus kodiert, doch werden diese Gedächtnisinhalte, wie Squires
Gruppe feststellte, schliesslich ausserhalb des Hippokampus gespeichert
und können auch ohne ihn abgerufen werden 104.
Die Fachleute sind sich zwar einig, dass zwischen den verschiedenen
Hirnregionen eine Arbeitsteilung bestehen muss, doch zeigen diese
drei Untersuchungen, dass einfache Unterscheidungen, etwa ob man
erkennt, dass einem ein Objekt bekannt ist, bzw. ob man sich erinnert,
woher man diese Information hat, nicht exakt wiedergeben, was in welcher Hirnregion geschieht.
Man weiss, dass der Hippokampus auch bei der Kodierung von Erinnerungen, die auf einmaligen Erlebnissen beruhen, eine entscheidende Rolle
spielt ; welcher Teil dieser Struktur für die Aneignung einer solchen Erinnerung nötig ist, war jedoch bis 2003 unklar. Rasches Lernen spielt in unserem täglichen Leben eine entscheidende Rolle, da die meisten Ereignisse
nur einmal vorkommen ; nur so können wir uns daran erinnern, was wir
heute zum Frühstück gegessen oder welche Leute wir bei der gestrigen
Party getroffen haben. Um zu bestimmen, welche Zellen des Hippokampus für eine solche rasche Aneignung eines Gedächtnisinhalts nötig
sind, untersuchten Susumu Tonegawa und Mitarbeitende am Massachusetts Institute of Technology eine Gruppe von Zellen, die als CA3-Neurone
bezeichnet werden ; diese sind nämlich untereinander in Form einer
Schlaufe verbunden, was die rasche Verstärkung eines Signals ermöglicht und die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, dass einmalige
Ereignisse als Erinnerungen kodiert werden. Um diese Möglichkeit
zu überprüfen, wurden gentechnisch veränderte Mäuse verwendet,
denen funktionsfähige NMDA-Rezeptoren in den CA3-Neuronen
fehlten. Ohne diese Rezeptoren sind die Zellen gegenüber dem Neurotransmitter NMDA unempfindlich und können nicht mit ihren Nachbarn
kommunizieren 105.
92
Als die Forschenden testeten, ob sich die Tiere in einem Wasserlabyrinth
an den Ort einer unter Wasser gelegenen Plattform erinnern konnten,
stellten sie fest, dass diese in einer raschen Test-WiederholungstestAnordnung signifikant schlechter abschnitten als Kontrolltiere, was impliziert, dass funktionsfähige CA3-Synapsen für eine rasche Gedächtniskodierung nötig sind. Die Tiere konnten mit der Zeit lernen, wo sich die
Plattform befand, benötigten dazu aber zahlreiche Trainingsdurchgänge.
Denk- und Erinnerungsstörungen
Diese Ergebnisse stützen die These, dass die schlaufenförmige Verkabelung, welche die CA3-Zellen untereinander verbindet, eine rasche
Kodierung von Erinnerungen ermöglicht, und dass ohne diese interne
Verstärkung des Signals ein langsamerer Prozess verwendet werden
muss, um sich eine solche Information anzueignen.
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101
Stelle Dir
eine Welt vor . . .
… in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa und andere Ursachen von Erblindung jeweils in einem frühen Stadium erkannt
und umgehend mit Medikamenten behandelt
werden, die eine Verschlimmerung, noch vor
dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen verhindern.
… in der die genetischen Bahnen und die
umweltbedingten Auslöser, die Menschen für
Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind,
so dass entsprechende diagnostische Tests
und zielgerichtete Therapien – einschliesslich
Medikamente, Beratung und vorbeugende
Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung
stehen und umfassend angewendet werden.
… in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns dazu verwendet werden,
die entscheidenden Vorteile des Lernens in
den ersten Lebensjahren zu fördern und mit
dem Altern zusammenhängende Krankheiten
zu bekämpfen.
… in der Rückenmarksverletzungen nicht
länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen,
da das Nervensystem dazu gebracht werden
kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und
die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen.
… in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus das Leben von Menschen nicht länger
im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen jene Veränderungen im Gehirn beeinflussen können, die für das Absetzen von
Abhängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich sind, aber auch Sucht und Verlangen hervorrufen können.
… in der das tägliche Leben der Menschen
104
nicht mehr von depressiven Episoden oder
Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere Medikamente zur Behandlung dieser
Krankheiten verfügbar werden.
Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch
vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass
wir gegenwärtig in einer ausserordentlich
aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft leben. Die im vergangenen Jahrzehnt erfolgten Fortschritte in der Forschung
haben uns weiter gebracht als wir gehofft
hatten. Wir verstehen die grundlegenden
Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich
besser und sind nun an dem Punkt angelangt,
an dem wir diese Erkenntnisse für therapeutische Zwecke fruchtbar machen können.
Wir haben bereits angefangen, Strategien,
neue Techniken und Behandlungsformen
zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer Krankheiten und Störungen zu entwickeln. Indem wir Therapieziele festlegen
und unser Wissen anwenden, werden wir
wirksame Behandlungen und in einigen Fällen wohl auch Heilmethoden entwickeln.
Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich
der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht
wissen. Dadurch wird es immer dringlicher,
dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben, die sich mit der weiterreichenden Frage,
wie lebende Organismen überhaupt funktionieren, befasst. Dies wird dazu beitragen,
jene komplexen Fragestellungen anzugehen,
welche zu wissenschaftlichen Entdeckungen
führen.
Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die
in den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung
wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine
grosse Menge an Informationen gebracht ;
sie umfassen so unterschiedliche Gebiete
wie die Strukturanalyse von Molekülen, die
gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genomforschung, bildgebende Untersuchungen
des Gehirns, kognitive Neurowissenschaft
und klinische Studien. Dieses ganze Wissen
Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen,
sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Forschende und Laien
müssen daher aus den neuen Erkenntnissen
der Hirnforschung entstehenden ethischen
und sozialen Konsequenzen gemeinsam
erörtern.
Die Dana Alliance for Brain Initiatives und
die European Dana Alliance for the Brain ist
eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern und Neurowissenschaftlerinnen, die sich
hochgesteckte Ziele gesetzt haben ; dies
zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold
Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan
aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als
die neu gebildete europäische Gruppe sich
auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete.
Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre
konkreten Zielvorstellungen so anzupassen,
dass sie die erreichten Fortschritte optimal
ausnützen können. Wir stecken uns auch
neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem weisen, und stellen langfristige Pläne
auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven Auswirkungen diese neue Ära der Neurowissenschaft voraussichtlich haben wird, beschleunigen wir die auf das Erreichen unserer
Ziele ausgerichteten Entwicklungen.
Die Ziele
Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zur Ansammlung
eines Proteinfragments von Amyloid, welches
die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus
dieser Ansammlung wurde inzwischen in
Tierversuchen biochemisch genetisch untersucht. Aufgrund dieser Tiermodelle werden
gegenwärtig therapeutische Substanzen und
ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt, die die Anhäufung dieser schädlichen Substanz verhindern oder ihren Abbau
beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien,
die schon bald an Menschen erprobt werden
können, wecken die begründete Hoffnung,
dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll behandelt werden kann.
Stelle Dir eine Welt vor ...
können wir nun breit zur Behandlung neurologischer Krankheiten und Störungen einsetzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden
wir auch weiterhin nicht nur individuell und
ausgerichtet auf die das eigene spezifische
Interessengebiet weiterführen, sondern gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit suchen.
Die optimale Behandlung der ParkinsonKrankheit herausfinden. Medikamente, die
auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken, wurden erfolgreich zur Behandlung der
motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische Effekt bei vielen Patienten nach
5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente entwickelt ; sie sollen die Wirkung der
auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern und den für die Krankheit verantwortlichen selektiven Untergang von Nervenzellen verzögern. Patienten, die auf die
medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, könnten von chirurgischen Methoden,
etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren.
Dank neueren Formen der Bildgebung des
Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Behandlungsformen tatsächlich Nervenzellen vor dem
Untergang bewahren und die normalen Schaltkreise wieder herstellen können.
Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren
und die Therapie des Hirnschlags verbessern. Herzkrankheiten und Hirnschlag treten
beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel achten, durch Diät und sportliche
Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten und wenn ein vorhandener Diabetes 105
diagnostiziert und behandelt wird. Wenn
ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die
rasche Erhebung des Befunds und sofortige
Behandlung eine erstaunliche Verbesserung
mit weniger Folgeerscheinungen bewirken.
Neue Behandlungsmethoden, um die akuten
Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium. Weitere Verbesserungen erwarten wir von neuen Rehabilitationsverfahren, die auf der neuen Erkenntnis von
Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach
Schädigungen beruhen.
Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung der Multiplen Sklerose finden. Heute stehen uns erstmals
Medikamente zur Verfügung, die erlauben,
den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen.
Neue Medikamente, die die Immunreaktion
des Körpers verändern, werden Anzahl und
Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose
weiter vermindern. Ausserdem werden wir
neue Methoden anwenden, um die langfristige Progression aufzuhalten, die durch
den Untergang von Nervenfasern verursacht
wird.
Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten entwickeln wie Depression,
Schizophrenie, Zwangserkrankung und
manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten verantwortlichen Gene noch nicht gefunden, doch dürfte die Sequenzierung des
menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende Verfahren gepaart mit Erkenntnissen über die Aktivitäten dieser Gene im
Gehirn werden erkennen lassen, was bei
diesen Erkrankungen des Gemüts und des
Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen
schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine
bessere Diagnose, für eine wirksamere Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Medikamente und für die Entwicklung
völlig neuartiger therapeutischer Substanzen
bilden.
Bessere Behandlungen bei Hirntumoren
entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor
allem die bösartigen und solche, die durch
Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des
Gehirns zustande kommen, lassen sich nur
schwer behandeln. Bildgebende Verfahren,
die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung,
verschiedene Methoden, um Medikamente
in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung von genetischen Markern, die zur Diagnose beitragen werden, bilden die Grundlage zur Entwicklung innovativer Therapien.
Die genetischen und neurobiologischen
Ursachen der Epilepsie aufdecken und die
Behandlung verbessern. Das Verständnis
der genetischen Grundlagen der Epilepsie
und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen
führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete Therapien ermöglichen. Die Fortschritte der elektronischen und chirurgischen
Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungs106 möglichkeiten erwarten.
Die Erholung nach traumatischen Hirn- und
Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir
sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu erproben, die unmittelbar nach einer Verletzung den Umfang des verletzten Gewebes
verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen
darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern
wiederherzustellen. Techniken zur Förderung
der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen und beschädigten Nervenzellen
zu ersetzen, werden ausgehend von Tiermodellen schon bald auch an Menschen klinisch erprobt werden. Gegenwärtig werden
elektronische Prothesen entwickelt, die die
Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise zu steuern und dadurch die
Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen
wieder zu ermöglichen.
Die Ursachen der Abhängigkeit auf der
Ebene des Gehirns behandeln. Forschende
konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn
bestimmen, die an der Abhängigkeit aller
gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die
wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe
geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden die neurobiologischen Mechanismen
feststellen lassen, die ein normales Gehirn in
ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die
Entwicklung von Therapien ermöglichen, um
diese Veränderung entweder rückgängig zu
machen oder zu kompensieren.
Die Hirnmechanismen verstehen, die der
Reaktion auf Stress, Angst und Depression
zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist
eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität. Stress, Angst und Depression schaden
nicht nur dem Leben der davon betroffenen
Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wenn
es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus sowie die an Angst und Depression
beteiligten Hirnschaltkreise besser zu verstehen, werden wir wirksamere präventive
Massnahmen entwickeln können und auch
bessere Behandlungsverfahren, um ihre Auswirkungen zu lindern.
Die Strategie
Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms ausnützen. Die vollständige Sequenz
aller Gene, des menschlichen Genoms wird
schon bald zur Verfügung stehen. Dies
bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten
10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für
jeden Bereich des Gehirns und für jedes
Lebensstadium – vom frühen embryonalen
Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz
bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen,
welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen
können, welche Gene bei verschiedensten
neurologischen und psychiatrischen Krankheiten verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte entweder ganz fehlen oder auf eine
abnorme Weise funktionieren. Dank dieser
Methode ist es bereits möglich, die genetische
Grundlage von Krankheiten wie Huntington,
spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie
und fragiles X-Syndrom zu bestimmen.
Stelle Dir eine Welt vor ...
Neue Methoden für den Umgang mit
Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss
heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen werden. Die Erforschung der
Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität, die für ihn verantwortlich ist, wird
den Neurowissenschaftlern Mittel in die
Hand geben, um wirksamere und zielgerichtete Therapien zur Schmerzbekämpfung
zu entwickeln.
Insgesamt verspricht die Entdeckung von
Genen und ihre Anwendung zur klinischen
Diagnose die Neurologie und Psychiatrie
grundlegend zu verändern und stellt eine der
grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft dar. Zum Glück verfügen wir über
Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese
Entwicklungen sehr beschleunigen und uns
sowohl für die Diagnose als auch für die
Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle
Mittel in die Hand geben.
Unser Wissen über die Entwicklung des
Gehirns anwenden. Von der Empfängnis
bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz
bestimmte Entwicklungsstadien mit jeweils
unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen, die entweder gefördert oder gehemmt
werden können. Um die Behandlung von
Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie
Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern, wird die Neurowissenschaft eine
detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung
erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung mit anderen Entwicklungsphasen 107
wie der Adoleszenz oder dem Altern zusammenhängen, wird uns das Verständnis der
Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser
Perioden neue Therapien ermöglichen.
Das riesige Potential der Plastizität des
Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns sich selbst
wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen, kann die Neurowissenschaft Behandlungen von degenerativen neurologischen
Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur
Verbesserung von gesunden und kranken
Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden zehn Jahren werden Zellen therapeutisch ersetzt werden und die Förderung
der Neubildung von Zellen wird zu neuen
Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarksverletzungen und der Parkinson Krankheit
führen.
Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen vergrössern. Wie funktioniert das Gehirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit,
dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur
stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten. Welche Mechanismen und grundlegenden Nervenschaltkreise ermöglichen es uns,
Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu
sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und
auszudrücken, Entscheidungen zu treffen,
Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein ?
Die Bemühungen, eine „einheitliche Feldtheorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden
grosse Möglichkeiten eröffnen, das menschliche Potential zu maximieren.
Die Methoden
Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle können sich nicht replizieren, um die
durch eine Krankheit oder eine Verletzung
verloren gegangenen Zellen zu ersetzen.
Methoden, die sich die Fähigkeit der Nerven108 stammzellen (den Vorläufern von Nervenzel-
len) zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen zu differenzieren, werden die Behandlung neurologischer Erkrankungen möglicherweise revolutionieren. Die Verpflanzung von
Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen durchgeführt wird, wird schon bald das
Stadium von klinischen Studien an Menschen
erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen
gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen Ort gebracht und veranlasst werden können, die geeigneten Verbindungen zu bilden,
sind aktuelle Themen der Forschung.
Reparaturmechanismen von Nervenzellen.
Dank der dem Nervensystem innewohnenden Fähigkeit der Wiederherstellung – in
gewissen Fällen werden neue Nervenzellen
regeneriert, in andern die Verkabelung wiederhergestellt – hat das Gehirn die Möglichkeit,
sich selbst „wieder in Ordnung zu bringen“.
Wenn es uns gelingt, diese Prozesse zu
fördern, dürfen wir hoffen, Patienten mit
Rückenmarks- oder Kopfverletzungen heilen
zu können.
Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems aufzuhalten oder ihr vorzubeugen. Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington und ALS sind die Folge
einer Degeneration spezifischer NervenzellPopulationen in bestimmten Hirnbereichen.
Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen zwar die Symptome einer Krankheit
wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden Untergang der Nervenzellen. Techniken,
die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen
des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu
Methoden führen, die die Degeneration von
Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten können.
Verfahren, um die Expression von Genen
im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die
Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von
Versuchstieren entweder zu verstärken oder
zen Chemie erlauben es Forschenden, neue
Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass hervorzubringen, von welchen viele in
der klinischen Anwendung von beträchtlichem Nutzen sein könnten. Die Entwicklung
neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf
„Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten
Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen das Zeitintervall zwischen der Entdeckung
einer neuen Substanz und ihrer klinischen
Erprobung von mehreren Jahren auf einige
Monate reduzieren.
Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen sowohl der Hirnstrukturen wie
auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert. Dank der Entwicklung von Verfahren, die Hirnfunktionen ebenso rasch und
genau abbilden wie sie stattfinden, sind
„Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen
möglich geworden. Diese Techniken erlauben es den Forschenden genau zu verfolgen,
welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen
und Erleben von Emotionen beteiligt sind.
Die heutige neurowissenschaftliche Forschung
profitiert von einem nie dagewesenen Ausmass an Möglichkeiten. Unser Verständnis
der Funktionsweise des Gehirns, vom Beginn
und der Progredienz von Krankheiten hat
zugenommen. Ein ausgeklügeltes Arsenal
von Hilfsmitteln erlaubt es uns, unser Wissen
anzuwenden und die Fortschritte der Hirnforschung zu beschleunigen.
Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht
funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit
wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung von Multielektroden-Implantaten
und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und
in Signale übersetzen, die ans Rückenmark,
an die motorischen Nerven oder direkt an die
Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit
bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen
dürfen.
Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken. Fortschritte der strukturellen Biologie,
der Genomforschung und der rechnergestüt-
Stelle Dir eine Welt vor ...
zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen,
die neurologische Krankheiten wie Huntington und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren eingesetzt, um die Entwicklung
neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration voranzutreiben. Solche Techniken
haben uns bereits wertvolle Informationen
über normale Vorgänge wie die Entwicklung
des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer
Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten uns die Möglichkeit, normale und abnorme Hirnprozesse wesentlich intensiver als je
zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der
Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener Hirnkrankheiten angewendet werden.
Unsere Verpflichtung :
Vom Labor zum Krankenbett
Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind wir verpflichtet, am Laborplatz
auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Zur
Bekämpfung der schweren Hirnkrankheiten
wie Alzheimer-Krankheit, Hirnschlag oder
Parkinson-Krankheit ist es notwendig, die
Grundlagenforschung kontinuierlich weiterzuführen, so dass Kliniker auf ihr aufbauen
und neue Behandlungsmethoden und Therapien entwickeln können. Es ist unsere Verantwortung, die Forschungsarbeiten fortzusetzen und zu versuchen, die Unterstützung der
Öffentlichkeit zu erlangen.
Ausserdem ist es unsere Pflicht, jene Bereiche der wissenschaftlichen Forschung verständlich zu machen, die schon bald konkrete
Anwendungsmöglichkeiten für den Menschen
bieten könnten. Um über das Laboratorium 109
hinaus Fortschritte zu erzielen, müssen wir
die nächsten klinischen Schritte partnerschaftlich mit der Öffentlichkeit zusammen
unternehmen – es gilt also, die wissenschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar zu machen, um
aus ihnen wirkliche und echte Fortschritte
„am Krankenbett“ zu erzielen.
Da unsere Methoden und Techniken immer
raffinierter werden, können sie, wenn man
den möglichen Missbrauch ins Auge fasst,
auch als bedrohlich empfunden werden. Es ist
wichtig, dass wir die verständlichen Ängste
wahrnehmen, die Hirnforschung könnte zu
Möglichkeiten führen, die zentralsten Aspekte
unseres Gehirns und Verhaltens, also genau
das, was unsere menschliche Einzigartigkeit
ausmacht, zu verändern. Das Vertrauen der
breiten Öffentlichkeit in die Integrität der wissenschaftlich Tätigen, in die Sicherheit der klinischen Versuche – den Eckstein angewandter Forschung – und in die Sicherstellung der
Vertraulichkeit von Patientendaten muss ständig aufrecht erhalten werden.
Die Wissenschaft in den Zusammenhang des
wirklichen Lebens zu stellen, ist immer eine
Herausforderung. Die Leute wollen nicht nur
wissen, wie und warum Forschung betrieben
wird, sie wollen auch wissen, inwieweit sie für
sie von Belang ist. Es ist daher sehr wichtig,
den Bedenken der Öffentlichkeit, die Erkenntnisse der Hirnforschung könnten auf schädigende oder ethisch fragwürdige Weise angewendet werden, entgegenzutreten. So gilt es,
beiden Herausforderungen gerecht zu werden, damit die von einer neurologischen oder
psychiatrischen Krankheit Betroffenen von
den Errungenschaften der Hirnforschung voll
profitieren können.
Der Auftrag der Neurowissenschaftler und
Neurowissenschaftlerinnen reicht über die
Hirnforschung hinaus. Wir stellen uns auch
110 der Verantwortung, in einer verständlichen
Sprache zu erklären, wohin uns unsere Wissenschaft mit ihren neuen Verfahren und
Techniken vermutlich führen wird. Wir, die
Mitglieder der amerikanischen Dana Alliance
und der Europäischen Dana Alliance, sind
gerne bereit, beim Aufbruch in ein neues
Jahrzehnt der Hoffnung, der harten Arbeit
und der Partnerschaft mit der Öffentlichkeit
diese Aufgabe zu übernehmen.
Members of EDAB
Yves Agid*, Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France
Kay Davies*, University of Oxford, UK
Adriano Aguzzi, University of Zurich, Switzerland
Jose Maria Delgado-Garcia, Universidad Pablo
de Olavide, Seville, Spain
Per Andersen*, University of Oslo, Norway
João Lobo Antunes, University of Lisbon, Portugal
Carlos Avendaño, University of Madrid, Spain
Alan Baddeley, University of Bristol, UK
Yves-Alain Barde*, Friedrich Miescher Institute,
Basel, Switzerland
Carlos Belmonte, Instituto de Neurosciencias,
Alicante, Spain
Yehezkel Ben-Ari, INSERM-INMED, France
Michael Berger, University of Vienna, Austria
Giovanni Berlucchi*, Università degli Studi di
Verona, Italy
Johannes Dichgans, University of Tübingen,
Germany
Ray Dolan, University College London, UK
Yadin Dudai*, Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
Károly Elekes, Hungarian Academy of Sciences,
Tihany, Hungary; President of the Hungarian
Neuroscience Society
Ulf Eysel, Ruhr-Universität Bochum, Germany
Alberto Ferrus*, Instituto Cajal, Madrid, Spain
Cesare Fieschi, University of Rome, Italy
Giorgio Bernardi, University Tor Vergata-Roma,
Italy
Russell Foster, Imperial College of Science and
Technology, London, UK
Alain Berthoz*, Collège de France, Paris, France
Richard Frackowiak*, University College,
London, UK
Konrad Beyreuther*, University of Heidelberg,
Germany
Anders Björklund*, University of Lund, Sweden
Colin Blakemore*, University of Oxford, UK
Joel Bockaert, CNRS, Montpellier, France
Alexander Borbély, University of Zurich,
Switzerland
Thomas Brandt, University of Munich, Germany
Herbert Budka, University of Vienna, Austria
Jan Bureš*, Academy of Sciences, Prague, Czech
Republic
Irina Bystron, University of St Petersburg, Russia
Arvid Carlsson, University of Gothenburg, Sweden
Hans-Joachim Freund*, University of Düsseldorf,
Germany
Tamás Freund, University of Budapest, Hungary
Willem Gispen*, University of Utrecht, The
Netherlands
Albert Gjedde*, Aarhus University, Denmark
Jacques Glowinski, Collège de France, Paris,
France
Susan Greenfield, The Royal Institution of Great
Britain, London, UK
Sten Grillner*, Karolinska Institute, Stockholm,
Sweden
Jean-Pierre Changeux, Institut Pasteur, Paris, France
Riitta Hari*, Helsinki University of Technology,
Finland
Marina Chernisheva, University of St Petersburg,
Russia
Anton Hermann, University of Salzburg, Austria
François Clarac, CNRS, Marseille, France
Francesco Clementi*, Unversity of Milan, Italy
Graham Collingridge*, University of Bristol, UK
Michel Cuénod*, University of Lausanne,
Switzerland
Milka Culic, University of Belgrade, Yugoslavia
Norbert Herschkowitz*, University of Bern,
Switzerland
Florian Holsboer*, Max-Planck-Institute of
Psychiatry, Munich, Germany
Sir Andrew Huxley*, University of Cambridge, UK
Giorgio Innocenti, Karolinska Institute, Stockholm,
Sweden
Leslie Iversen, University of Oxford, UK
Susan Iversen*, University of Oxford, UK
Manuel Nieto-Sampedro*, Instituto Cajal,
Madrid, Spain
Julian Jack*, University of Oxford, UK
Alexander Nozdrachev, State University of
Marc Jeannerod*, Institut des Sciences Cognitives,
Bron, France
St Petersburg, Russia
Barbro Johansson, Lund University, Sweden
Markku Kaste, University of Helsinki, Finland
Ann Kato, Centre Médical Universitaire, Geneva,
Switzerland
Christopher Kennard, Imperial College School of
Medicine, London, UK
Hubert Kerschbaum, University of Salzburg,
Austria
Helmut Kettenmann, Max-Delbrück-Centre for
Molecular Medicine, Berlin, Germany
Malgorzata Kossut*, Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
Wolfgang Oertel*, Philipps-University, Marburg,
Germany
Guy Orban*, Catholic University of Leuven,
Belgium
Gonul Peker, University of Ege Medical School,
Izmir, Turkey; President of Turkish Neuroscience
Society
Roland Pochet, Université Libre de Bruxelles,
Belgium
Werner Poewe, Universitätsklinik für Neurologie,
Innsbruck, Austria
Dominique Poulain, Institut Francois Magendie,
France
Elias Kouvelas, University of Patras, Greece
Elzbieta Pyza, Jagiellonian University, Krakow,
Poland
Oleg Krishtal*, Bogomoletz Institute of Physiology,
Kiev, Ukraine
Martin Raff*, University College London, UK
Theodor Landis*, University Hospital Geneva,
Switzerland
Martin Lauritzen, University of Copenhagen,
Denmark
Geoffrey Raisman, National Institute for Medical
Research, London, UK
Joaquim Alexandre Ribeiro, University of Lisbon,
Portugal
Giacomo Rizzolatti*, University of Parma, Italy
Willem Levelt*, Max-Planck-Institute for
Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands
Steven Rose, The Open University, Milton Keynes, UK
Rita Levi-Montalcini*, Institute of Neurobiology,
CNR, Rome, Italy
Sir Michael Rutter, University of London, UK
José Lopez-Barneo*, University of Seville, Spain
Pierre J. Magistretti*, University of Lausanne,
Switzerland; President of the Federation of European
Neuroscience Societies
Rafael Malach, Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
William McDonald*, Royal College of Physicians,
London, UK
Sir Martin Roth*, University of Cambridge, UK
Bert Sakmann, Max-Planck-Institute for Medical
Research, Heidelberg, Germany
Martin Schwab*, University of Zurich, Switzerland
Menahem Segal, Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
Idan Segev, Hebrew University, Jerusalem, Israel
Tim Shallice*, University College London, UK
Jacques Mehler*, CNRS/EHESS, Paris, France
Wolf Singer*, Max-Planck-Institute for Brain
Research, Frankfurt, Germany
Eldad Melamed, Tel Aviv University, Israel
David Smith, University of Oxford, UK
Hannah Monyer*, University Hospital of
Neurology, Heidelberg, Germany
The Netherlands
Richard Morris*, University of Edinburgh, Scotland
Günther Sperk, University of Innsbruck, Austria
Erwin Neher, Max-Planck-Institute for Biophysical
Chemistry, Göttingen, Germany
Michael Stewart, The Open University, Milton
Keynes, UK
Henk Spekreijse*, University of Amsterdam,
Petra Stoerig*, Heinrich-Heine University,
Düsseldorf, Germany
Dieter Heiss, European Federation of Neurological
Societies, University of Köln, Germany
Piergiorgio Strata*, University of Turin, Italy
Ferdinand Hucho, European Society for
Neurochemistry, Freie Universität Berlin, Germany
Eva Sykova, Institute of Experimental Medicine
ASCR, Prague, Czech Republic
Hans Thoenen*, Max-Planck-Institute for
Psychiatry, Martinsried, Germany
József Toldi, University of Szeged, Hungary
Eduardo Tolosa, University of Barcelona, Spain
Simon Khechinashvili, Georgian Neuroscience
Association, Beritsashvili Institute of Physiology,
Tbilisi, Republic of Georgia
Ivicia Kostovic, Croatian Society for Neuroscience,
Zagreb, Croatia
Jerzy Vetulani, Institute of Pharmacology, Poland
Ada Mitsacos, Hellenic Society for Neuroscience,
University of Patras, Greece
Sylvester Vizi*, Hungarian Academy of Sciences,
Budapest, Hungary
Katarzyna Nalecz, Polish Neuroscience Society,
Lord Walton of Detchant*, University of
Oxford, UK
Hans Winkler*, University of Innsbruck, Austria
Semir Zeki*, University College London, UK
Karl Zilles*, Heinrich-Heine-University, Düsseldorf,
Germany
*original signatory to the EDAB Declaration
Federation of European Neuroscience Societies
Presidents / Term Members
Francesc Artigas, Spanish Society of
Neuroscience, University of Barcelona, Spain
Fabio Benfenati, Italian Neuroscience Society,
University of Genova, Italy
Eero Castrén, Brain Research Society of Finland,
University of Helsinki, Finland
Giuseppe Chiarenza, Federation of European
Psychophysiology, RHO Hospital, Milan, Italy
Alexander Cools, Stichting Neurofederatie,
University of Nijmegen, The Netherlands
Erik de Schutter, Belgian Society for
Neuroscience, University of Antwerp, Belgium
Mara Dierssen, International Behavioural & Genetic
Society, Barcelona, Spain
Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw,
Poland
Jes Olesen, European Brain Council, Glostrup
Hospital, Copenhagen, Denmark
Geneviève Rougon, Société des Neurosciences,
UMR-CNRS, Marseille, France
Terje Sagvolden, Norwegian Neuroscience
Society, University of Oslo, Norway
Susan Sara, European Brain and Behaviour Society,
Université Pierre et Marie Curie, Paris, France
Ana Sebastião, Portuguese Society for
Neuroscience, University of Lisbon, Portugal
Werner Sieghart, Austrian Neuroscience
Association, Medical University Vienna, Austria
Josef Syka, Czech Neuroscience Society, Academy
of Sciences, Prague, Czech Republic
Jan M. van Ree, European College of Neuropsychopharmacology, Utrecht, The Netherlands
Marta Weinstock-Rosin, Israel Society for
Neuroscience, Hebrew University, Jerusalem, Israel
Leon Zagrean, National Neuroscience Society
of Romania, Carol Davila University of Medicine,
Bucharest, Romania
Herbert Zimmermann, German Neuroscience
Society, Biozentrum der J. W. Goethe-Universität,
Frankfurt, Germany
Barry Everitt, European Behavioural Pharmacology
Society, University of Cambridge, UK
Aase Frandsen, Danish Society for Neuroscience,
Copenhagen University Hospital, Denmark
Jean-Marc Fritschy, Swiss Society for
Neuroscience, University of Zurich, Switzerland
March 2004
A Dana Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB,
the European subsidiary of DABI
Gedruckt in der Schweiz 7.2004