Gehirn und Immunität
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Gehirn und Immunität
Ausgabe 2004 Ein Bericht über Fortschritte in der Hirnforschung Gehirn und Immunität Ein Bericht über Fortschritte in der Hirnforschung Gehirn und Immunität Ausgabe 2004 THE EUROPEAN DANA ALLIANCE FOR THE BRAIN EXECUTIVE COMMITTEE William Safire, Chairman Edward F. Rover, President Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman Carlos Belmonte, MD, PhD Anders Björklund, MD, PhD Joël Bockaert, PhD Albert Gjedde, MD, FRSC Sten Grillner, MD, PhD Malgorzata Kossut, MSc, PhD Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS Dominique Poulain, MD, DSc Wolf Singer, MD, PhD Piergiorgio Strata, MD, PhD Eva Syková, MD, PhD, DSc Executive Committee Barbara E. Gill, Executive Director Die European Dana Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss von rund 140 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus 27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit, der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit. Für weitere Informationen : The European Dana Alliance for the Brain Dr Béatrice Roth, PhD Centre de Neurosciences Psychiatriques Site de Cery 1008 Prilly e-mail : [email protected] Visionen des Gehirns : Ein Bericht über Fortschritte in der Hirnforschung Jahresbericht 2004 Gehirn und Immunität 5 11 Einleitung von Eric R. Kandel, MD Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren von Guy M. McKhann, MD und Carolyn Asbury, PhD Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2003 21 Neuroimmunologische Erkrankungen 27 In der Kindheit auftretende Störungen 35 Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik 41 Schädigungen des Nervensystems 49 Neuroethik 57 Schmerz 65 Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten 71 Störungen der Sinnes- und Körperfunktion 79 Stammzellen und Neurogenese 85 Denk- und Erinnerungsstörungen 95 Referenzen 103 Stelle Dir eine Welt vor... Einleitung von Eric R. Kandel, MD A ls ich die im vorliegenden Bericht zusammengefassten Fortschritte der Hirnforschung im Jahr 2003 betrachtete, war ich davon beeindruckt, wie sehr sich die Dinge im Verlauf der vier Jahrzehnte, seit ich auf diesem Gebiet arbeite, verändert haben. Als ich das Medizinstudium im Jahr 1956 abschloss und mich der Hirnforschung zuwandte, nahmen die meisten Grundlagenforscher an, zwischen der klinischen Bedeutung, die ein bestimmtes Problem für die Neurologie oder Psychiatrie darstellte, und der Möglichkeit, dieses Problem auf der zellulären oder molekularen Ebene genau anzugehen, bestehe eine umgekehrte Beziehung. Wie die Seiten des diesjährigen Berichts über bemerkenswerte Fortschritte deutlich machen, hat sich dies geändert. Zwischen Grundlagenwissenschaft und klinischer Forschung liegen nicht mehr Welten. Einige der interessantesten wissenschaftlichen Fragen der Neurowissenschaft hängen unmittelbar mit drängenden neurologischen und psychiatrischen Problemen zusammen. Aus der Perspektive der Neurologie lauten diese Fragen: Auf welche Weise trägt die Immunreaktion zu neurologischen Krankheiten bei ? Bestehen bei den degenerativen Krankheiten gemeinsame Mechanismen ? Ist es möglich, nach einem Schädeltrauma, einer Verletzung des Rückenmarks oder peripherer Nerven eine klinisch bedeutsame Regeneration zu erzielen ? Aus psychiatrischer Sicht fragen wir : Welche spezifischen Systeme des Gehirns vermitteln verschiedenartige höhere kognitive Funktionen ? Inwiefern sind sie beim Autismus gestört ? Bei der Schizophrenie ? Bei der Depression ? Welche Gene sind an diesen Krankheiten beteiligt ? Worin bestehen insbesondere die biologischen Grundlagen von komplexen multigenen mentalen Störungen und welchen Einfluss haben unterschiedliche Umweltbedingungen ? Diese und weitere Fragen werden gegenwärtig auf grundlegende Weise angegangen. Dies hat dazu geführt, dass die Umsetzung von 5 Forschungsergebnissen in die klinische Praxis nicht mehr einen begrenzten Forschungsbereich darstellt, mit dem sich einige wenige Leute in weissen Kitteln befassen. Sie ist vielmehr das eigentliche Motiv eines grossen Teils der gegenwärtigen neurowissenschaftlichen Forschung. Während der 90er Jahre, die als Dekade des Gehirns bezeichnet werden, wurden wir alle zu Forschenden, welche die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen. Während des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts verwandelt sich dieser Prozess in die Dekade der therapeutischen Anwendung. Als Folge davon kommen sich die Bereiche Psychiatrie und Neurologie näher. Es ist absehbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft der Tag kommt, an dem Spitalärzte beider Fachbereiche ein gemeinsames Praktikumsjahr absolvieren werden, vergleichbar der ärztlichen Weiterbildung in Innerer Medizin, an die sich dann die Spezialisierung in völlig unterschiedliche Disziplinen wie Herzkrankheiten oder Magendarmkrankheiten anschliesst. Ich plädiere nicht für den Zusammenschluss von zwei völlig unterschiedlichen Spezialbereichen mit völlig unterschiedlichen Verantwortlichkeiten für Patienten und unterschiedlichen Therapieverfahren. Vielmehr weise ich auf die offensichtliche Tatsache hin, dass sich Neurologie und Psychiatrie mit Problemen befassen, die im selben Organ, dem Gehirn, ihren Ursprung haben. Der vorliegende, hervorragende Bericht fasst die in vielen Bereichen erzielten Fortschritte zusammen. Ich selbst beschränke mich hier auf einige Beispiele, um sowohl die Vielfalt als auch die Tiefe der gewonnenen Erkenntnisse zu illustrieren. Der Bericht beginnt mit einem ausgezeichneten Aufsatz über Neuroimmunologie von Guy McKhann und Carolyn Asbury, die uns daran erinnern, dass das Nerven- und das Immunsystem, die beiden grossen integrativen Systeme des Körpers, drei Gemeinsamkeiten aufweisen : 1) einen hohen Grad an Komplexität, 2) die Fähigkeit, neu gewonnene Informationen in einer Art Gedächtnis zu speichern, und 3) die Fähigkeit, diese Informationen als Antwort auf einen entsprechenden externen Stimulus abzurufen. Neu ist die Erkenntnis, dass diese beiden Systeme nicht nur über eine gemeinsame Logik verfügen, sondern sogar auf verschiedene massgebliche Weise miteinander interagieren. 6 Als Erstes möchte ich auf neue Befunde hinweisen, die belegen, dass immunologisch wichtige Moleküle, von denen man früher angenommen hatte, sie kämen im Gehirn nicht vor, im Gehirn vorhanden und für dessen Tätigkeit sogar unentbehrlich sind. In einer bemerkenswerten Ausser dass das Nervensystem Moleküle des Immunsystems für eigene Zwecke in Anspruch nimmt, kann auch eine Veränderung der Immunreaktion selbst bei Hirnkrankheiten eine entscheidende Rolle spielen. Besonders aufschlussreiche Beispiele dafür sind die paraneoplastischen neurologischen Erkrankungen. So beschrieb Jerome Posner das gleichzeitige Auftreten eines neurodegenerativen Syndroms und eines systemischen bösartigen Tumors bei völligem Fehlen von Metastasen. Posners Arbeit zeigte auf, dass ein Tumor im Körper mittels molekularem Mimikry zur Degeneration spezifischer Hirnregionen führen kann. Bestimmte Antigene in den Tumorzellen induzieren Antikörper, die Immunreaktionen auslösen, welche sowohl auf den Tumor als auch auf spezifische Hirnstrukturen gerichtet sind, die dieses Antigen ebenfalls exprimieren. Der sich ergebende Immunangriff führt zur Degeneration von Nervenzellen. Posner konzentrierte sich zunächst auf die mit einer Krebserkrankung im Eierstock und im Uterus einhergehende Degeneration des Kleinhirns und entdeckte hohe Titer eines bestimmten Antikörpers gegen ein selektiv in den Purkinje Neuronen des Kleinhirns exprimiertes neuronales Antigen. Als Posner andere Krebserkrankungen in diese Untersuchungen einbezog, entdeckte er, dass Tumorzellen das gleiche Protein exprimierten, das in Neuronen das angegriffene Antigen darstellte. Da Patienten mit einer paraneoplastischen neurologischen Erkrankung in erster Linie eine wirksame Immunreaktion gegen den Tumor aufbauen, reagieren sie besser auf eine Behandlung des Tumors – eine Entdeckung, welche dazu beigetragen hat, dass heute Immunverfahren zur Bekämpfung von Krebs eingesetzt werden. Einleitung Untersuchungsreihe fand Carla Shatz heraus, dass das Haupthistokompatibilitätskomplex-Gen der Klasse I (MHC), das an der zellulären Immunerkennung beteiligt ist, in Neuronen exprimiert wird, ebenso wie andere Komponenten des Signalwegs, an denen die Klasse I MHC-Moleküle beteiligt sind. Shatz untersuchte eine Vielfalt genetisch veränderter Mäuse und entdeckte, dass die Expression des Klasse I MHC-Proteins während der Elimination von Synapsen und der Feinabstimmung von synaptischen Verbindungen im Nucleus geniculatum laterale erforderlich ist, einem Kern, der für die Entwicklung des normalen Sehens notwendig ist. Diese aussergewöhnlichen Entdeckungen wurden in der Immunologie zuerst mit Skepsis aufgenommen. Sie werden aber heute allgemein als eine grundlegend neue Erkenntnis anerkannt, welche die Funktion von immunologisch bedeutenden Molekülen bei der in der Entwicklung erfolgenden Feinabstimmung von synaptischen Verbindungen im Gehirn aufzeigt. 7 Auch wenn keine Krebserkrankung vorliegt, gibt es spezifische gegen sich selbst gerichtete Reaktionen, wie etwa die Autoimmun-Attacke auf die Myelinscheide im Falle von Multipler Sklerose deutlich macht. Ausserdem ist festzuhalten, dass die Beeinflussung in beide Richtungen verläuft. Es gilt nicht nur, dass das Immunsystem im Gehirn präsent ist und Krankheiten verursachen kann, vielmehr hat Janice Kiecolt-Glaser nachgewiesen, dass umgekehrt auch vom Gehirn gesteuerte Prozesse, etwa chronischer Stress, eine Alterung des Immunsystems bewirken. Auch im Bereich der schwer zu beeinflussenden Erkrankungen der kognitiven Funktionen – von Autismus und Dyslexie auf der einen Seite bis hin zu Depression und Schizophrenie auf der anderen – haben unsere Erkenntnisse grosse Fortschritte gemacht. Auch hier spielt die Genetik eine führende Rolle. Was Autismus anbelangt, sind Statistiken besorgniserregend, die zeigen, dass diese Erkrankung das Ausmass einer kleineren Epidemie annimmt. Die Häufigkeit, mit der diese verheerende Entwicklungsstörung mit den Hauptsymptomen soziale Isolation, repetitive Bewegungen und Kommunikationsprobleme auftritt, scheint sich in den letzten 20 Jahren etwa verzehnfacht zu haben. Stephane Jamain hat jetzt zwei Autismus Kandidatengene auf dem X-Chromosom identifiziert. Bei zwei betroffenen Geschwistern kodiert das mutierte Gen in ihren beiden Familien ein Neuroligin. Neuroligin-1 ist ein Protein in der postsynaptischen Zelle, das in der präsynaptischen Nervenzelle ß-Neurexin rekrutiert, was den Aufbau der präsynaptischen aktiven Zone und die Ansammlung von Bläschen zur Folge hat. 8 Im Gegensatz zu neurologischen Erkrankungen wie der Huntingtonschen Krankheit oder dem Fragilen-X-Syndrom, bei denen ein einzelnes Gen die Ursache ist, sind die meisten psychiatrischen Krankheiten polygenetisch. Sie haben einen komplexen Erbgang und werden massgeblich durch Umwelteinflüsse moduliert. In neueren Studien über Depression findet man eindeutige Beispiele für eine Gen-Umwelt-Interaktion. Das 5-HTTGen kodiert ein Protein, das Serotonin aus dem synaptischen Spalt entfernt. Dieses Gen verfügt über einen Promotor, der in zwei allelen Formen existiert : einer kurzen und einer langen. Die lange Form produziert mehr Transporter und entfernt daher Serotonin wirksamer aus den Synapsen als die kurze Form, die weniger Transporter produziert. Die bahnbrechende Arbeit von A. Caspi hat nun gezeigt, dass Personen mit zwei Exemplaren des kurzen Allels mehr zu Angstempfindungen neigen als jene mit zwei Einleitung Exemplaren des langen Allels oder mit je einer Kopie von den Allelen. Zudem sind Personen mit zwei Exemplaren der kurzen Form empfänglicher für stressbedingte Depression, während jene mit zwei Exemplaren der langen Form davor geschützt sind. A. R. Hariri ist diesem Befund auf kreative Weise nachgegangen und fragte : Worin unterscheidet sich die Verarbeitung von Umweltstimuli im Gehirn bei Personen mit diesen beiden Varianten des Transportergens ? Er fand, dass Personen mit den kurzen Allelen als Reaktion auf Angst erregenden Stimuli eine grössere neurale Aktivität in der Amygdala (einer für die Reaktion auf Gefahr entscheidenden Hirnregion) aufweisen, als Personen mit dem langen Allel. Wie im vorliegenden Bericht dargestellt, zeigen diese und andere Untersuchungen über die genetische Ursache von Geisteskrankheiten, dass genetische Variationen einen grossen Einfluss darauf haben, ob stressvolle Lebensereignisse zu Symptomen einer Depression oder zu einem Suizidversuch führen. Diese Gen-UmweltInteraktionen erinnern an frühere Befunde des Laboratoriums von Caspi bezüglich Varianten jenes Gens, das das Enzym Monoamin Oxidase A (MAOA) kodiert. Eine Form des Gens prädisponiert Kinder, die missbraucht werden dazu, sich zu gewalttätigen Erwachsenen zu entwickeln, eine andere Form hingegen tut dies nicht. In gewissen Bereichen, etwa Sucht und Alzheimersche Krankheit, sind wir im Verlauf des letzten Jahrzehnts von einem beschränkten Wissen zu einem detaillierten Verständnis der Pathogenese verschiedener Krankheitsaspekte gelangt, und zwar auf Ebenen, die von der Epidemiologie bis hin zur molekularen Ebene reichen. Dies hat dazu geführt, dass wir nun auch im Bereich der Therapie entscheidende Entwicklungen erwarten. Was Sucht anbelangt, wissen wir heute, dass Nikotin die vermutlich am stärksten abhängig machende Droge ist, der Menschen im Allgemeinen ausgesetzt sind. Wenn Ratten schon während der Adoleszenz Nikotin erhalten, haben sie im Erwachsenenalter eine erhöhte Nikotinpräferenz im Vergleich zu Ratten, die erst als Erwachsene exponiert werden. Zudem behielten die Ratten, die den Nikotinkonsum während ihrer Adoleszenz begonnen hatten, dieselben hohen Mengen als erwachsene Tiere bei. Somit weisen diese und frühere Studien zur Einstiegs-Hypothese darauf hin, dass es möglicherweise der stärkere Konsum von Adoleszenten ist, der den Weg zur Sucht ebnet. Basierend auf der These von Berke und Hyman, die in einer bedeutenden Übersichtsarbeit in Neuron vorgebracht 9 wurde, dass Rückfälle eine Form des Lernens darstellen, trainierte U. E. Ghitza Ratten, einen bestimmten musikalischen Ton mit der Selbstverabreichung von Kokain zu assoziieren. Ableitungen von einzelnen Neuronen ergaben in Hirnbereichen, die mit Sucht im Zusammenhang stehen, etwa dem Nucleus accumbens, starke Reaktionen auf den mit der Droge assoziierten Ton und dies auch nach lang andauernder Abstinenz. Wie also der vorliegende, ausführliche Bericht über die diesjährigen Fortschritte verdeutlicht, führt uns die Grundlagenwissenschaft allmählich zu neuen Erkenntnissen von therapeutischer Tragweite. Diese von der Stiftung und von David Mahoney schon lange zum Ausdruck gebrachte Hoffnung erfüllt sich somit zunehmend. Literaturnachweis Berke, J.D. and Hyman, S.E. Addiction, dopamine, and the molecular mechanisms of memory. Neuron 2000 ; 25 : 515-532. Boulanger, L.M., Huh, G.S., and Shatz, C.J. Neuronal plasticity and cellular immunity : Common molecular mechanisms. Curr. Opin. Neurobiol. 2001 ; 11: 568-578. 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Giros, B., Leboyer, M., Gillberg, C., and Bourgeron, T. Mutations of the X-linked genes encoding neurlogins NLGN3 and NLGN4 are associated with autism. Nat. Genet. 2003 ; 34 : 27-29. Hariri, A.R., Mattay, V.S., Tessitore, A., Kolalchana, B., Fera, F., Goldman, D., Egan, M.F., and Weinberger, D.R. Serotonin transporter gene variation and the response of the human amygdala. Science 2002 ; 297 : 400-403. Huh, G.S., Du, H., Boulanger, L.M., Riquelme, P., Brotz, T.M., and Shatz, C.J. Functional requirement for Class I MHC in CNS development and plasticity. Science 2000 ; 290 : 2155-2159. Levin, E.D., Resvani, A.H., Montoya, D., Rose, J.E., and Swartzwelder, H.S. Adolescent-onset nicotine self-administration modeled in female rats. Psychopharmacol. (Berl.) 2003 ; 169 : 141-149. Perlmutter, J.S. Cortical and subcortical blood flow effects of subthalamic nucleus stimulation in PD. Neurology 2003 ; 61: 816-821. Posner, J.B. Neurologic Complications of Cancer. Philadelphia, PA, F.A. 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Erkenntnisse der immunologischen Grundlage verschiedener neurologischer Krankheiten, unterstützt durch atemberaubende neue Techniken der molekularen Bildgebung und der Genetik, führen zu neuen Ansätzen, um die wechselseitige Beeinflussung des Nerven- und des Immunsystems in Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen. Zudem eröffnen diese Forschungsrichtungen vielversprechende Behandlungen von so unterschiedlichen Krankheiten wie Alzheimer und rheumatoide Arthritis. Viele Beispiele bestätigen die Prämisse, dass die Neuroimmunologie die ihr entgegengebrachte wachsende Aufmerksamkeit wohl verdient. Das Nerven- und das Immunsystem sind zwei der kompliziertesten und lebensnotwendigsten Systeme des menschlichen Körpers. Seit Jahren erkannte die Wissenschaft, dass das Nerven- und das Immunsystem in ihrer Komplexität vergleichbar sind. Aber man betrachtete sie als zwei weitgehend unabhängige, funktionell und biochemisch unterschiedliche 11 Systeme, wobei das Nervensystem als eher fest verkabelt und das Immunsystem als eher reaktiv galt. Heute erkennt die Forschung, dass diese Systeme auf der biochemischen und zellulären Ebene miteinander auf ungeahnte Weise in Beziehung stehen. Weshalb wird die Zusammenarbeit von Wissenschaftern dieser beiden Gebiete gerade jetzt als Strategie anerkannt, um das Gebiet voranzubringen ? Einesteils liegt dies daran, dass die technischen Fortschritte zu neuen Forschungsrichtungen führen, denen nur mit Hilfe des Wissens und des Instrumentariums beider Gebiete wirksam nachgegangen werden kann. Andernteils könnte es daran liegen, dass diese neue Zusammenarbeit die Forschenden beider Gebiete dazu veranlasst, lange gehegte Annahmen ihres jeweils eigenen Fachbereichs in Frage zu stellen. Neuroimmunologie bedingt, wie schon der Name sagt, eine Konvergenz von Perspektiven. So wissen wir z. B. seit etwa einem Jahrhundert, dass Nervenzellen miteinander über Verbindungen, die sogenannten Synapsen, kommunizieren. Jetzt zeigt sich, dass auch Immunzellen untereinander über Synapsen ähnliche Verbindungen kommunizieren, die anscheinend gemeinsame Merkmale, einschliesslich gewisser Moleküle, mit den Nervenzell-Synapsen aufweisen. Und neuerdings weist vieles darauf hin, dass Hirnzell-Synapsen durch Immunreaktionen im Gehirn beeinflusst werden. Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass dasselbe Molekül, das an der Zellerkennung des Immunsystems beteiligt ist, auch bei der „Verkabelung“ des Gehirns eine bedeutende Rolle spielt. Man bezeichnet dieses Molekül als „Haupt-Histokompatibilitätskomplex“ (major histocompatability complex, MHC). Im Immunsystem nehmen MHC-Moleküle ein Fragment der Peptide eines eindringenden Erregers auf und präsentieren es bestimmten Immunzellen, damit diese lernen, den Krankheitserreger zu identifizieren und zu bekämpfen. Während der Entwicklung des Nervensystems scheinen MHC-Moleküle, wie Carla Shatz und Mitarbeitende von der Harvard Medical School kürzlich festgestellt haben, notwendig zu sein, damit eine Hirnzelle bei der „Verkabelung“ des Gehirns entscheiden kann, zu welcher anderen sie eine Verbindung herstellt. Einige Forschende vermuten nun, dass im Immunsystem und im Nervensystem dieselbe Genfamilie für das Erkennen zuständig sein könnte. 12 Es gibt tatsächlich immer mehr Beispiele dafür, dass einzelne Moleküle, von denen einst angenommen worden war, ihr Vorkommen sei aufs Grundlagen des Immunsystems verstehen Um die Implikationen dieser konstanten zellulären Interaktion zu untersuchen, ist es aufschlussreich, zuerst einige Grundlagen des Immunsystems zu beschreiben, die sich direkt auf dessen Interaktion mit dem Gehirn beziehen. Das Immunsystem hat zwei Komponenten : eine angeborene und eine adaptive. Die angeborene Immunkomponente ist die erste Verteidigungslinie des Körpers. Sie löst eine unmittelbare, generalisierte und rasche, wenn auch nur kurz dauernde Reaktion gegen Eindringlinge aus, seien diese nun Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze. Zu den wichtigsten Typen der angeborenen Immunzellen gehören Makrophagen, deren Stärke es ist, Bakterien zu erkennen ; Granulozyten, die Bakterien und Parasiten erkennen ; dendritische Zellen, die sehr gut Viren erkennen ; natürliche Killerzellen, die bei der Erkennung von Viren und Tumorzellen eine Rolle spielen ; sowie Mastzellen, die an allergischen Reaktionen beteiligt sind. Bei einer Entzündung beispielsweise setzen körpereigene Makrophagen, wenn sie auf Bakterien stossen, Substanzen, so genannte Zytokine und Chemokine frei, die dazu beitragen, dass Granulozyten an den Ort der Infektion wandern und zum Angriff übergehen, was dann die für Infektionen typische Rötung, Schwellung, Erwärmung und den Schmerz verursacht. Die Makrophagen rufen auch die zweite Verteidigungslinie des Körpers, die adaptiven Immunzellen, zu Hilfe. Eine Hauptaufgabe der Makrophagen und dendritischen Zellen des angeborenen Immunsystems besteht darin, den Körper auf Eindringlinge abzusuchen und, falls welche gefunden werden, die zweite Verteidigungslinie des Körpers, die adaptiven Immunzellen, die so genannten „Lymphozyten“ zu aktivieren. Es gibt zwei Arten von Lymphozyten, „B“- und „T“-Zellen. Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren Nervensystem beschränkt, inzwischen auch im Immunsystem gefunden wurden. Ausser den MHC-Molekülen gehört dazu auch ein „Semiphorin“ genanntes Molekül, das zur Steuerung von Prozessen bestimmter autonomer Nervenzellen im Körper beiträgt. Auch auf einigen Immunzellen sind Semiphorine reichlich vorhanden, ihre Funktion dort ist allerdings noch ein Rätsel. Ausserdem spielen möglicherweise „Neurotropine“ genannte Substanzen, die von Nervenzellen produziert werden, eine Rolle bei der Regulierung von MHC-Molekülen. Diese und ähnliche Befunde bezüglich biochemischer und zellulärer Interaktionen zwischen Zellen in den beiden Systemen beflügelten das Interesse weiter zu ergründen, wie sich die beiden Systeme wechselseitig beeinflussen. 13 Diese adaptiven Immunzellen führen einen höchst gezielten und präzisen Angriff gegen einen spezifischen Eindringling. Im Allgemeinen ist jeder Eindringling, der ausserhalb von Körperzellen gefunden wird, das Angriffsziel einer spezifischen B-Zelle, während jeder Eindringling, der in Körperzellen eindringt, das Angriffsziel einer spezifischen T-Zelle darstellt. B-Zellen agieren, indem sie Antikörper genannte Moleküle ausscheiden, die über den Blutkreislauf an die betreffenden Orte gelangen und den Eindringling angreifen. Im Gegensatz dazu gibt es zwei Haupttypen von T-Zellen mit unterschiedlichen Aufgaben. Den einen Typ nennt man „zytotoxische T-Zellen“. Diese Zellen greifen einen Eindringling direkt an. Der andere Typ von T-Zellen trägt dazu bei, B-Zellen und Makrophagen zum Angriff anzuregen. Deshalb bezeichnet man sie als „T-Helferzellen“. Ist ein spezifischer Eindringling einmal besiegt – sei es durch B-Zellen oder T-Zellen – werden sich einige der übrig gebliebenen B- oder T-Zellen an sein Aussehen erinnern und eine raschere Reaktion auslösen, falls dieser Eindringling den Körper irgendwann wieder angreift. Immunzellen im Gehirn Das Gehirn gilt als „immun-privilegierter“ Ort. Tatsächlich gibt es im Gehirn nur eine Art von Immunzellen, die Mikroglia. Diese Mikrogliazellen gleichen den angeborenen Immun-Makrophagen, die man im restlichen Körper findet. Eine erste Überlegung könnte zur Ansicht führen, die Mikroglia diene im Gehirn nur zur Erkennung von Eindringlingen wie Bakterien und Viren. Aber ganz offensichtlich löst die Mikroglia keine eigentliche Immunreaktion aus und kann in gewissen Fällen sogar Hirnzellen schädigen. Die Frage nach der Aufgabe der Mikroglia im Gehirn liess den Immunologen Ralph Steinman von der Harvard Universität vorschlagen, Neuroimmunologen sollten Methoden entwickeln um die Funktionen dieser so zahlreichen Immunzellen im Gehirn kontinuierlich im so genannten „steady-state“ zu registrieren, in einem Zustand, in welchem keine Infektion vorliegt. Um dieser Frage nachgehen zu können, werden neue Möglichkeiten geprüft, die Mikroglia zu markieren und ihre Aktivitäten sichtbar zu machen. 14 Zusätzlich zu den im Gehirn angesiedelten Mikroglia-Zellen des angeborenen Immunsystems bringen es auch adaptive Immunzellen – die Lymphozyten – fertig, im Gehirn „ein- und auszureisen“, um gegen Eindringlinge zu patrouillieren. Diese Grenzpatrouillen bleiben normalerweise an der Oberfläche des Gehirns und greifen Viren oder Bakterien an, die versuchen Aber auf welche Weise interagieren Hirnzellen und Immunzellen im Gehirn? Ebenso wie Nervenzellen miteinander über Synapsen kommunizieren, verwenden auch Immunzellen – laut Michael Dustin von der Universität New York und David Colman von der McGill-Universität – Synapsen ähnliche Verbindungen um miteinander zu kommunizieren. Darüber hinaus gibt es – Kevin Tracey und seinem Team vom North Shore Long Island Jewish Hospital zufolge – verblüffende Hinweise darauf, dass Nerven- und Immunzellen über eine gemeinsame molekulare Grundlage der Kommunikation verfügen, wobei jeweils Zellen des einen Systems Rezeptoren des andern benutzen, um Signale wechselseitig zu übermitteln. Sollte dem so sein, eröffnet dies einen völlig neuen Zugang, um die gegenseitige Beeinflussung der beiden Systeme zu erforschen. Dustin und sein Mitarbeiter an der Universität New York, Wen-Biao Gan fanden Hinweise, dass Hirnzellsynapsen durch Immunreaktionen im Gehirn beeinflusst werden. Diese Untersuchungen zeigen nicht nur, wie grundsätzlich die Neuroimmunologie unser Wissen zu erweitern vermag, sondern auch wie sehr sich die Art der Forschung an sich verändert, indem Forschungsergebnisse in wirksame Therapien und Präventionsmassnahmen umgesetzt werden. Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren ins Gehirn einzudringen. Nichtsdestoweniger stehen Wissenschafter der Möglichkeit, dass auch Lymphozyten ins Hirngewebe gelangen könnten, heute offener gegenüber. Implikationen für viele Krankheiten und deren Behandlung Der immunprivilegierte Charakter des Gehirns zeigt sich wohl nie so deutlich wie dann, wenn Hirntumoren auftreten und ungehemmt wachsen. Bis vor kurzem konzentrierte sich die Behandlung von Hirntumoren hauptsächlich auf Chemotherapie und Bestrahlung, um die Teilung und das Wachstum von Krebszellen zu blockieren. Diese Verfahren sind jedoch nicht präzis, so dass unbeabsichtigt einige nicht krebsartige Zellen getötet werden, während einige Krebszellen übrig bleiben. Dies führt dazu, dass der Krebs immer wieder auftritt und die Prognose trotz der Behandlungsansätze nicht besser wurde. Eine andere Möglichkeit könnte allerdings darin bestehen, die Immunreaktion ausserhalb des Gehirns künstlich zu stärken. Einige Forschende arbeiten im Laboratorium daran, adaptive Immunzellen eines Patienten dazu zu bringen, dass sie einen bösartigen Tumor erkennen ; anschliessend sollen diese instruierten Immunzellen die 15 Fähigkeit erlangen, ins Gehirn des Patienten einzudringen und den Tumor anzugreifen. Andere Forschungsansätze sind jene der Neurochirurgen wie Robert Martuza von Harvard, die Moleküle gezielt einsetzen, um eine Gentherapie gegen Hirntumoren zu entwickeln. Einen weiteren Weg hat die Forscherin Jennifer Allport von Harvard eingeschlagen ; sie versucht zu ermitteln, ob eine Tumorbehandlung auf eine „Progenitor“-Nervenzelle (eine Zelle, die sich zu einer Hirnzelle entwickeln wird) geladen werden kann, die dann zum Tumor wandern und die therapeutische Wirkung dort ausüben könnte. Zudem werden individualisierte „therapeutische“ Impfstoffe gegen den Hirntumor eines Patienten erprobt. Im Gegensatz zu präventiven Impfstoffen, die Menschen davor schützen, sich mit einer Krankheit wie Masern anzustecken, sollen therapeutische Impfstoffe das Immunsystem des Patienten stimulieren, eine bereits bestehende Erkrankung wie Hirntumor oder Alzheimersche Krankheit wirksamer zu bekämpfen. Charakteristisch für die Alzheimersche Krankheit sind die Ansammlung von Ablagerungen des Peptids Beta-Amyloid im Gehirn sowie ein Geflecht von Nervenfasern, die so genannten „neurofibrillären Bündel“. Auch Entzündungen des Gehirns kommen vor. Wirkt die bei der Alzheimerschen Krankheit auftretende Akkumulation von Amyloid direkt toxisch auf das Gehirn oder verursacht sie im Gehirn eine Entzündungsreaktion ? Die Wissenschaft ist noch nicht in der Lage festzustellen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft. Es ist also unklar, ob eine Entzündung des Gehirns bei der Alzheimerschen Krankheit zum Krankheitsverlauf gehört oder dessen Folge ist. Eine neuartige Methode besteht darin, den Körper mittels eines therapeutischen Impfstoffes so zu stimulieren, dass er Antikörper gegen Beta-Amyloid produziert. Es gibt Hinweise dafür, dass diese Methode zu einer geringeren Akkumulation von Beta-Amyloid führt. Nichtsdestoweniger entwickelten einige Kranke, die am klinischen Versuch eines therapeutischen Impfstoffes teilnahmen, eine verstärkte Entzündungsreaktion auf den Impfstoff. Dies führte dazu, dass der klinische Versuch gestoppt wurde. Die Verheissung – und die Probleme – der Impfmethode werden in den Abschnitten „Neuroimmunologie“ sowie „Denken und Gedächtnis“ des vorliegenden Berichts dargestellt. 16 Bei einer Entzündung im Körper handelt es sich um die lokalisierte Reaktion von angeborenen Immun-Makrophagen auf Eindringlinge, oft Bakterien. Makrophagen setzen Substanzen, so genannte „Zytokine“ frei, welche Rheumatoide Arthritis ist eine von vielen „Autoimmun“-Krankheiten, bei denen die Immunzellen des Körpers irrtümlich körpereigenes Gewebe für „fremd“ halten und angreifen – ein Vorgang, der noch nicht völlig geklärt ist. Im Falle der autoimmunen rheumatoiden Arthritis könnte das Problem zum Teil vom Nervensystem, genauer vom Neurotransmitter Glutamat, herrühren. Laut Terry McNearney, einem Forscher an der Universität von Texas-Galveston, wird Glutamat durch sensorische periphere Nervenenden in Gelenke freigesetzt, was eine Entzündungsreaktion in den Gelenken hervorrufen könnte. Eine fortdauernde Entzündung kann dann zu einer Schädigung des Gewebes führen. Neuroimmunologie : Zwei Systeme interagieren die Durchlässigkeit von Blutgefässen erhöhen. Makrophagen setzen auch „Chemokine“ genannte Substanzen frei, welche die Migration gewisser angeborener Immunzellen (so genannte Neutrophile) an den Ort einer Entzündung leiten. Die Akkumulation von Flüssigkeit und Neutrophilen ruft das charakteristische rote, geschwollene, heisse und schmerzhafte Symptom einer Entzündung hervor, wie es etwa auftritt, wenn wir uns das Knie aufschlagen. Die Makrophagen rufen auch adaptive Immunantikörper auf den Plan, allerdings dauert es einige Tage, bis diese Reaktion erfolgt. Eine Entzündung tritt ausser bei der Alzheimerschen Krankheit auch bei anderen Erkrankungen auf, an denen das Nervensystem beteiligt ist. Eine dieser entzündlichen Krankheiten, an der das Nervensystem überraschenderweise beteiligt zu sein scheint, ist die rheumatoide Arthritis. Autoimmunität wie im Falle der rheumatoiden Arthritis trägt ganz entscheidend zu Erkrankungen des Nervensystems bei. Das bekannteste Beispiel dafür ist Multiple Sklerose (MS). Bei der MS führen Immunzellen einen fehlgeleiteten Angriff gegen Myelin durch. Diese fetthaltige Scheide umhüllt und isoliert Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark und ist für das Weiterleiten von Signalen von einer Nervenzelle zur andern unerlässlich. Eine vom kürzlich verstorbenen Charles Janeway Jr. von Yale und seinem Kollegen Michael Carrithers postulierte Hypothese besagt, die Migrationsroute, auf der Lymphozyten die Oberfläche des Gehirns in beide Richtungen durchqueren, breche zusammen, so dass Lymphozyten, die fälschlicherweise gelernt hätten, Myelin anzuvisieren, über diese Bahn zirkulieren, um anzugreifen. Ausserdem könnten, so die Forscher Thomas Misgeld und Martin Kerschensteiner von der Universität Washington, auch die angeborenen Immun-Mikrogliazellen im Gehirn eine Rolle spielen, indem sie die Axone 17 der Nervenzellen angreifen. Solche Autoimmunreaktionen im Gehirn führen zur wichtigen Frage, wie autoimmune Hirnkrankheiten verhindert werden könnten ohne dabei die Fähigkeit des Immunsystems preiszugeben, Infektionen des Gehirns wie etwa Meningitis zu verhindern. Die Verwendung ähnlicher Methoden zur Untersuchung von Hirn- und Immunzellen Methoden zur Untersuchung von Immuntherapien gegen Hirnkrankheiten wie etwa die Alzheimersche Krankheit eröffnen nicht nur die Möglichkeit, mehr über das Gehirn zu erfahren, sondern auch die Funktion des Immunsystems im Gehirn genauer kennenzulernen. Verschiedene Methoden, die ursprünglich zur Untersuchung des einen Systems entwickelt worden waren, werden heute auf das andere angewendet oder auf die Interaktion dieser beiden Systeme. So benutzte man etwa die zelluläre und molekulare Bildgebung zuerst im Rahmen der immunologischen Krebsforschung und wendet sie heute im Bereich der Neuroimmunologie an. Techniken der zellulären und molekularen Bildgebung erlauben es, einzelne Nerven- und Immunzellen sowie deren Interaktionen sichtbar zu machen. Einige dieser zellulären Bildgebungsverfahren erlauben es, die Aktivitäten einer einzelnen Zelle fortlaufend zu verfolgen. In ähnlicher Weise hat die Neurowissenschaft seit Jahrzehnten mittels Elektrophysiologie zu verstehen gesucht, wie Substanzen dank Pumpen und Kanälen in Nervenzellen ein- und ausströmen. Dies hat zu neuen Erkenntnissen bezüglich verschiedener Krankheiten des Nervensystems geführt. Inzwischen benutzt die Immunologie dieselben Methoden, um die Dynamik von Immunzellen zu verstehen. Da wir gewisse Ähnlichkeiten des Nerven- und Immunsystems erkennen, beginnen wir auch, dieselben Verfahren anzuwenden, um die Funktionsweise von Zellen in beiden Systemen zu verstehen. Dank dieser Methoden und der Zusammenarbeit von Neurowissenschaft und Immunologie werden sich die Fragen und Herausforderungen von heute in die Fortschritte von morgen verwandeln. 18 Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2003 Neuroimmunologische Erkrankungen Neue Wege der Behandlung von Multipler Sklerose 22 Zusammenhang mit Neuroimmunvorgängen bestätigt 24 Ein Impfstoff gegen die Alzheimersche Krankheit ? 26 21 I m Bereich der Neuroimmunologie wurden im vergangenen Jahr bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Beispielsweise eröffneten sich 2003 einige viel versprechende neue Möglichkeiten zur Behandlung der Multiplen Sklerose und es ergaben sich auch neue Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Aktivierung des Immunsystems und der Entstehung gewisser neurologischer Erkrankungen. Umgekehrt entdeckte man auch eine Bahn, über die das Nervensystem auf das Immunsystem einzuwirken vermag, was möglicherweise erklärt, auf welche Weise chronischer Stress die Immunreaktion schwächen und eine Erkrankung verursachen kann. Auch zwischen Immunzellen und Schmerz könnte ein Zusammenhang bestehen (vgl. das Kapitel „Schmerz“, S. 57). Die weiteren Forschungsarbeiten zur Entwicklung eines sicheren und wirksamen Impfstoffs gegen die Alzheimersche Krankheit haben ebenfalls zu einigen ermutigenden Resultaten geführt. Neue Wege der Behandlung von Multipler Sklerose Bei der Multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um eine chronische, progressive neurologische Erkrankung, von der weltweit etwa eine Million Menschen betroffen sind 1. Zwar sind die genauen Krankheitsprozesse noch nicht völlig bekannt, doch entsteht MS, wenn das Immunsystem einer Person ihr eigenes Zentralnervensystem (ZNS) angreift. Im Verlaufe dieses Prozesses wird die Myelinscheide, jene fetthaltige Substanz, die Nervenzellen isoliert, allmählich zerstört, was zu einem Zusammenbruch der Kommunikation zwischen Neuronen führt. Zurzeit gibt es kein Heilmittel für die MS und die Behandlung besteht normalerweise darin, immunsuppressive Medikamente zu verabreichen, die jedoch nur beschränkt wirksam sind und zahlreiche unerwünschte Wirkungen haben. Aufgrund internationaler Anstrengungen, neue effizientere Behandlungsmethoden zu entwickeln, könnte sich diese Situation allerdings in einer nicht allzu fernen Zukunft ändern. 22 Eine neue Vorgehensweise besteht in der Transplantation von Stammzellen in die geschädigten Gebiete des ZNS, wo sie sich zu reifen Zellen entwickeln und die zerstörte Myelinschicht ersetzen können. Um diese Möglichkeit zu prüfen, injizierte ein Forschungsteam unter Gianvito Martino am Spital San Raffaele in Milano adulte Nervenstammzellkulturen entweder in den Blutkreislauf oder ins ZNS von Mäusen mit einer experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE), einem Tiermodell der MS 2. Unabhängig vom Ort der Injektion zeigte sich nach dreissig Tagen, dass Zwar lässt sich noch nicht sagen, ob dieses Verfahren bei Menschen mit einer MS funktioniert, doch stellten die Forschenden fest, dass die durch EAE hervorgerufene funktionelle Einbusse bei den transplantierten Mäusen beinahe völlig behoben war. Bevor sie diese revolutionäre Methode bei Menschen anwenden, wollen sie sie an nicht menschlichen Primaten wie etwa den Krallenaffen testen. Ein weiterer viel versprechender Ansatz zur Behandlung der MS besteht darin, die für ihre Entstehung verantwortlichen Gene zu identifizieren und auszuschalten. Diesen Weg wählten Marcin Mycko und seine Mitarbeitenden von der Medizinischen Hochschule in Lodz, Polen, und wandten eine relativ neue Technik, die so genannte „cDNA Mikroarray-Analyse“ an, um eine Reihe von Genen zu identifizieren, die mit der Läsionsaktivität bei MS in Zusammenhang gebracht werden 3. Neuroimmunologische Erkrankungen eine beträchtliche Zahl der Spenderzellen in die entzündeten Gebiete des Gehirns gewandert waren, sich zu reifen Hirnzellen entwickelt hatten und das geschädigte Myelin wirksam erneuerten. Myckos Team analysierte Hirngewebsproben, die vier MS-Kranken weniger als acht Stunden nach ihrem Tod entnommen worden waren. Um herauszufinden, welche Gene aktiv (und vermutlich ursächlich) an jenem destruktiven Prozess beteiligt sind, der bei MS auftritt, verglichen die Forschenden die Aktivitätsmuster von Genen am Rand und im Zentrum von MS-Läsionen. Frühere Untersuchungen liessen erwarten, dass die „ursächlichen“ Gene am Rand von Läsionen, nicht aber im Zentrum aktiviert würden. Aufgrund dieser Information (und dank der neuen Mikroarray-Technik) konnten die Forschenden 14 Gene identifizieren, die an der Entstehung der MS wahrscheinlich massgeblich beteiligt sind. Wenn diese Gene ausgeschaltet oder blockiert werden, liesse sich nach Ansicht der Forschenden das Fortschreiten der MS möglicherweise verhindern. Eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Neurowissenschafters Lawrence Steinman von Stanford verwendete ebenfalls Mikroarrays (hunderte von winzigen Proteinteilen, die in Reihen und Spalten angeordnet sind), um die Evolution von Autoantikörper-Reaktionen bei Mäusen mit experimenteller Autoimmun-Enzephalomyelitis darzustellen und dann so genannte „tolerisierende DNA-Impfstoffe“ (tolerizing DNA-vaccines) zu entwickeln, die zur Bekämpfung der MS eingesetzt werden könnten 4. Im 23 Falle der MS könnten solche Impfstoffe das Immunsystem dazu bringen, Myelin zu tolerieren und nicht länger fälschlich als eine nicht körpereigene Substanz zu betrachten. Dieses Verfahren liesse sich mit den wiederholten Injektionen zur Behandlung von Allergien vergleichen, die den Körper gegenüber einer unbedenklichen Substanz desensibilisieren, die vordem irgendwie eine allergische Reaktion hervorgerufen hatte. Zwar ist das Konzept von tolerisierenden Impfstoffen nicht neu, doch sind die von Steinmans Gruppe entwickelten tolerisierenden DNA-Impfstoffe in der Lage, eine Immuntoleranz gegenüber einem ganzen Spektrum von Myelin-Proteinen gleichzeitig zu induzieren, was mit den bestehenden auf Peptiden und Proteinen basierenden tolerisierenden Therapien nicht erreicht werden konnte. Der Hauptvorteil von tolerisierenden DNA-Impfstoffen besteht darin, dass sie „massgeschneidert“ einzelnen Patienten und Krankheiten angepasst werden können. Ausserdem lassen sich die von Steinmans Team entwickelten Myelin-Protein-Arrays auch dazu verwenden, den Schweregrad der Krankheit zu beurteilen. Den Wissenschaftern zufolge könnten Protein-Arrays die Diagnose und Behandlung der MS sowie weiterer Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis und Typ-1-Diabetes revolutionieren. Zusammenhang mit Neuroimmunvorgängen bestätigt Letztes Jahr wurden neue Befunde erhoben, die die Beteiligung des Immunsystems an einer Reihe von neurologischen Krankheiten bestätigen. Beispielsweise berichteten Timothy Vartanian, ausserordentlicher Professor an der Harvard Medical School, und seine Mitarbeitenden in einem Artikel in Proceedings of the National Academy of Sciences, dass die Aktivierung von Mikroglia (Zellen die zur angeborenen Immunität des Gehirns gehören und es vor Infektionen schützen), verschiedene Wirkungen hat, die schliesslich zur Zerstörung von ZNS-Neuronen führen können 5. 24 In einem Experiment setzten die Wissenschafter Mäuse während 30 Minuten einer unnatürlich tiefen Sauerstoffkonzentration (7,7 %) aus – eine Versuchsbedingung, von der sich Mäuse normalerweise erholen können. Wenn allerdings gleichzeitig auch das angeborene Immunsystem aktiviert wurde, trugen die Tiere einen irreversiblen Hirnschaden davon. Aufgrund dieser Ergebnisse kamen die Forschenden zum Schluss, die Aktivierung des Immunsystems trage zum Untergang von Zellen im Zentralnervensystem Verschiedene neuere Untersuchungen mit einer ähnlichen Versuchsanordnung kamen zum Ergebnis, dass HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren, so genannte Statine, auf etliche Neuroimmun-Krankheiten einen positiven Einfluss auszuüben scheinen. Bei den Statinen handelt es sich um weit verbreitete Medikamente zur Senkung eines hohen Cholesterinspiegels. Statine wirken zudem entzündungshemmend und dies könnte erklären, weshalb sie auch zur Behandlung vieler anderer Erkrankungen, einschliesslich der Alzheimerschen Krankheit (Alzheimer’s disease ; AD), nützlich sein könnten. Eine von Magnus Sjogren und seinen Mitarbeitenden an der Universität Göteborg, Schweden, durchgeführte Untersuchung ergab, dass eine dreimonatige Behandlung mit Simvastatin bei 19 Alzheimer-Kranken die mit dieser Krankheit einhergehende Ansammlung von amyloiden Plaques verzögerte 6. Den Autoren zufolge ist dies die erste Untersuchung, die den direkten Nachweis erbringt, dass Statine das Fortschreiten der Alzheimerschen Krankheit verlangsamen könnten (dies vermutlich aufgrund ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften). Während diese Forschungsarbeit die Beteiligung des Immunsystem an der Entstehung gewisser neurologischer Erkrankungen nachweist, wurde umgekehrt auch festgestellt, dass das Nervensystem einen starken Einfluss auf das Immunsystem ausüben kann. Beispielsweise entdeckte eine Forschungsgruppe unter Janice Kiecolt-Glaser an der Ohio State University, dass chronischer Stress zu einer Überproduktion von IL-6 führen kann ; diese Substanz wird vom Immunsystem produziert, fördert Entzündungen und wird mit altersbedingten Krankheiten einschliesslich kardiovaskulärer Erkrankungen, Osteoporose, Arthritis, Typ-2-Diabetes und gewissen Arten von Krebs in Zusammenhang gebracht. In einer in Proceedings of the National Academy of Sciences publizierten Untersuchung konnten die Forschenden nachweisen, dass bei einer Gruppe von älteren Personen, die einen chronisch kranken Ehepartner betreuten, IL-6 signifikant erhöht war – dies im Vergleich zu einer Gruppe Gleichaltriger, die keine solche Aufgabe zu erfüllen hatten 7. Da IL-6 mit einer Reihe altersbedingter Krankheiten in Zusammenhang steht, könnten die Ergebnisse dieser Untersuchung zur Erklärung beitragen, wie chronischer Stress Neuroimmunologische Erkrankungen bei. Zudem könnte dieser Befund auch erklären, auf welche Weise systemische Infektionen zu einer verstärkten Neurodegeneration führen können, die bei etlichen neurologischen Erkrankungen auftritt. 25 (z. B. die Betreuung eines an der Alzheimerschen Krankheit leidenden Ehepartners) zu Krankheiten führen kann. Ein Impfstoff gegen die Alzheimersche Krankheit ? Eine mögliche Methode, die Alzheimersche Krankheit zu behandeln, basiert auf der Verwendung von therapeutischen Impfstoffen (vgl. das Kapitel „Denk- und Erinnerungsstörungen“, S. 88). Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, eine Impfung von Alzheimer-Kranken mit dem BetaAmyloid (ßA)-Peptid, jener Substanz also, die für die Entwicklung der Alzheimerschen Krankheit als hauptverantwortlich gilt, könnte das Immunsystem der Patienten dazu veranlassen, die sich im Gehirn ansammelnden amyloiden Plaques anzugreifen und zu zerstören. Forschende der Firma Elan Pharmaceuticals in Kalifornien testeten diese Methode erstmals im Jahr 1999 an einem Mausmodell von AD und begannen – durch die positiven Ergebnisse ermutigt – 2001 mit ersten klinischen Versuchen an Menschen. Allerdings mussten diese Versuche anfangs 2002 abgebrochen werden, da es bei einigen Teilnehmenden zu einer Meningoenzephalitis (einer Entzündung des Gehirns und des angrenzenden Gewebes) kam. Obwohl die klinischen Versuche gestoppt wurden, konnten Christoph Hock und Mitarbeitende an der Universität Zürich, Schweiz, die die Daten einer kleinen Anzahl von Kranken analysierten, zeigen, dass sich bei diesen Kranken als Reaktion auf die Impfung tatsächlich Antikörper gegen Beta-Amyloid gebildet hatten 8. Überdies war das Vorhandensein dieser Antikörper auch mit einem verlangsamten kognitiven Abbau verbunden. Ergebnisse einer Untersuchung von JoAnne McLaurin und ihrem Team an der Universität Toronto in Kanada geben ebenfalls Anlass zu neuem Optimismus bezüglich der Entwicklung eines wirksamen Alzheimer-Impfstoffs, der keine Entzündung im Gehirn hervorruft 9. Aufgrund einer Reihe von Experimenten an Mäusen, konnten diese Forschenden feststellen, welche spezifischen Bereiche des im ursprünglichen Impfstoff verwendeten Antigen-Moleküls für die Entstehung einer Entzündung verantwortlich waren. Wenn es gelingt, diese Bereiche zu eliminieren, sollte der Entwicklung eines sicheren und wirksamen Impfstoffs nichts mehr im Wege stehen. 26 In der Kindheit auftretende Störungen Neue Erkenntnisse zur zerebralen Grundlage des Autismus 28 Bildgebende Verfahren decken die neurale Grundlage des Lesens und der Dyslexie auf 30 Geistige Behinderung besser verstehen 32 Einen Mythos bezüglich Cerebralparetik ausräumen 33 27 I n der Kindheit auftretende Hirnkrankheiten beruhen im Allgemeinen auf einem grundlegenden Fehler in der normalen Entwicklung. Im Jahr 2003 setzten die Forschenden ihre Bemühungen fort, diese Krankheiten auf der molekularen und genetischen Ebene zu verstehen. Unser Verständnis des Autismus, der Dyslexie und der verschiedenen Formen von geistiger Behinderung hat in dieser Zeitspanne bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Neue Erkenntnisse zur zerebralen Grundlage des Autismus Beim Autismus handelt es sich um eine verheerende Entwicklungsstörung mit Symptomen wie emotionaler Rückzug, repetitive Bewegungen und Schwierigkeiten, mit anderen zu kommunizieren. Verschiedene neuere Berichte machen deutlich, dass die Diagnose Autismus immer häufiger gestellt wird. Dies belegt auch ein Bericht, den Marshalyn Yeargin-Allsopp und Mitarbeitende vom Center for Disease Control and Prevention im Januar 2003 im Journal of the American Medical Association (JAMA) publizierten ; darin stellten sie fest, dass die allgemeine Verbreitung des Autismus im Grossraum Atlanta im Jahr 1996 3,4 Promille betrug – also ungefähr das zehnfache dessen, was in drei amerikanischen Untersuchungen der späten 80er und frühen 90er Jahre berichtet worden war, und näher den Verhältnissen, wie sie 2001 in einer Untersuchung aus New Jersey und in verschiedenen neueren europäischen Untersuchungen festgestellt wurden 10. Die Frage, ob die Verbreitung des Autismus tatsächlich zunimmt, oder ob wir es mit der Kombination von einer grösseren öffentlichen Aufmerksamkeit und verbesserten Diagnosetechniken zu tun haben, ist noch offen. 28 Die Ursache des Autismus ist weiterhin unklar. Ein strittiger Punkt, den die meisten Wissenschafter als irreführendes Argument betrachten – die Ungefährlichkeit von Impfstoffen für Kinder – konnte immer noch nicht aus der Welt geschafft werden. Allen überwältigenden gegenteiligen Hinweisen zum Trotz behaupten gewisse lautstarke Befürwortergruppen, Thimerosal, ein bis vor kurzem bei Impfstoffen für Kinder gebräuchliches quecksilberhaltiges Konservierungsmittel, verursache Autismus. Zwei dieses Jahr in Pediatrics veröffentlichte Berichte liefern hingegen zusätzliche Beweise dafür, dass Thimerosal nicht verantwortlich gemacht werden kann : Karin B. Nelson und Margaret L. Bauman sichteten die bisherigen wissenschaftlichen Befunde und kamen im März zum Schluss, Thimerosal sei nicht die Ursache von Autismus 11 ; diese Schlussfolgerung wurde im September durch einen Bericht von Kreesten M. Madsen und Am besten belegt ist wohl die Annahme, Autismus werde durch die Interaktion verschiedener Gene verursacht. Forschende haben jahrelang Familien mit mehr als einem autistischen Kind untersucht und gehofft, Hinweise auf verantwortliche Chromosomen finden zu können – allerdings ohne grossen Erfolg. Eine im März in Nature Genetics veröffentlichte Untersuchung scheint jedoch viel versprechend zu sein. Ein französisches Team unter der Leitung von Stéphane Jamain berichtete, es hätte zwei Gene auf dem X-Chromosom identifiziert, die möglicherweise zu gewissen Fällen von Autismus beitrugen 14. Dieses Chromosom ist besonders interessant, da viermal so viele Buben von Autismus betroffen sind wie Mädchen, eine Geschlechtspräferenz, die für mit dem X-Chromosom in Zusammenhang stehende Krankheiten typisch ist. Die Forschenden untersuchten 158 Personen, in deren Familie Autismus vorkam oder das Asperger Syndrom, eine zum autistischen Spektrum gehörende Erkrankung, die durch eine normale oder überdurchschnittliche Intelligenz und ausgeprägte Schwierigkeiten im sozialen Bereich charakterisiert ist. Sie fanden in einer Familie bei zwei betroffenen Geschwistern eine Mutation des Gens NLGN3 und in einer anderen Familie bei zwei betroffenen Geschwistern eine Mutation des Gens NLGN4. Für beide Fälle gilt, dass diese Mutationen bei Hunderten von Kontrollpersonen nicht zu finden waren. Sowohl NLGN3 als auch NLGN4, kodieren für Proteine namens Neurologine, welche an der Kommunikation zwischen Neuronen beteiligt sind. Neurologine sind den Zellen anhaftende oder „klebrige“ Moleküle, Proteine also, die es einem Neuron ermöglichen, die richtige Zielstruktur zu identifizieren und mit ihr eine funktionsfähige Synapse zu bilden. Die festgestellten Mutationen führen zu einer fehlerhaften Form des Proteins, das dann seinerseits die einwandfreie Bildung von Synapsen beeinträchtigt – ein grundlegender Defekt der neuralen Kommunikation, der die bei Autismus auftretenden Verhaltensauffälligkeiten erklären könnte. Sollte In der Kindheit auftretende Störungen Mitarbeitenden gestützt, die feststellten, dass Autismus in Dänemark nach 1992, dem Jahr, in dem dieses Land als eines der ersten thimerosalhaltige Impfstoffe verboten hatte, häufiger diagnostiziert wurde 12. Eine separate Untersuchung von Anders Hviid und Mitarbeitenden, die im Oktober in JAMA veröffentlicht wurde, analysierte die Krankengeschichten aller zwischen 1990 und 1996 in Dänemark geborenen Kinder und verglich den Gesundheitszustand von mit thimerosalhaltigen und thimerosalfreien Impfstoff behandelten Kindern 13. Autismus kam in den beiden Gruppen ungefähr gleich oft vor, ein weiterer Beweis dafür, dass Thimerosal das Krankheitsrisiko nicht erhöht. 29 sich dieser Befund bestätigen, wären dies die ersten Gene, die eindeutig mit Autismus in Zusammenhang gebracht werden können. Ein im Juli in JAMA erschienener Bericht eines anderen Teams lieferte weitere Hinweise darauf, dass Autismus auf einer frühen Abnormität der Hirnentwicklung beruhen könnte 15. Eric Courchesne und Mitarbeitende an der University of California, San Diego, sichteten die Krankengeschichten von 48 autistischen Vorschulkindern und gleichaltrigen gesunden Kontrollpersonen. Die Forschenden fanden heraus, dass der Kopfumfang von Kindern, bei denen später Autismus diagnostiziert wurde, bei der Geburt kleiner war als normal, sich jedoch während des ersten Lebensjahres plötzlich drastisch vergrösserte. Der Kopf von autistischen Kindern wuchs im Verlauf von 6 – 14 Monaten im Durchschnitt vom 25. aufs 84. Perzentil an. Das Wachstum korrelierte stark mit einem grösseren Hirnvolumen, das mittels MRI-Scans gemessen wurde, als die Kinder zwei bis fünf Jahre alt waren. Wie die Autoren schreiben, könnte die Messung des Kopfumfanges, falls diese Untersuchung bestätigt würde, einen einfachen Weg darstellen, um Risikokinder zu erfassen und die Diagnose zu verfeinern. Janet E. Lainhart von der Universität Utah hält jedoch in einem Kommentar zu diesem Bericht fest, auf diese Weise könnten pro 10 000 untersuchten Babys schätzungsweise nur 10 autistische Kinder gefunden werden, so dass der Befund wohl mehr den Forschenden als den klinischen Ärzten nützen werde 16. Bildgebende Verfahren decken die neurale Grundlage des Lesens und der Dyslexie auf Von einer Dyslexie oder „Wort-Blindheit“, die zu Lese- und Lernstörungen führen kann, sind etwa 5-10 % der amerikanischen Bevölkerung betroffen. Zwei im Jahr 2003 vorgestellte Untersuchungen verwendeten ein bildgebendes Verfahren in „Echtzeit“, die funktionelle Magnetresonanzbildgebung (fMRI), um die neurale Grundlage des Lesens zu dokumentieren und spezifische Abnormitäten, die diese Fähigkeit beeinträchtigen, zu identifizieren. 30 Guinevere Eden und Mitarbeitende berichteten in der Juli-Ausgabe von Nature Neuroscience über ihre fMRI Studie mit dem Ziel die Hirnregionen festzustellen, welche während des Lesens aktiviert sind und abzuklären, ob sich das Aktivitätsmuster verändert, wenn sich die Lesefähigkeit bessert 17. Die Forschenden untersuchten 41 Kinder und junge Erwachsene im Alter von 6 bis 22 Jahren und korrelierten den Befund der fMRI-Scans mit Ebenfalls im Juli berichteten Sally E. Shaywitz und Mitarbeitende von der Universität Yale in Biological Psychiatry, dass von Dyslexie Betroffene, die hinlänglich lesen lernen, ihr Gehirn anders einsetzen als jene, deren Leseschwierigkeiten bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben – und beide Gruppen unterscheiden sich von normalen Lesern 18. Die Forschenden untersuchten mittels fMRI drei Gruppen – normale Leser, von Dyslexie Betroffene, die gut lesen gelernt hatten sowie von Dyslexie Betroffene, die schlechte Leser geblieben waren. Dabei stellten sie fest, dass Dyslektiker, deren Lesefähigkeit sich im Laufe der Zeit gebessert hatte, nicht in der Lage waren, jene neuralen Systeme zu aktivieren, die normalerweise gebraucht werden, um Töne und Sprache zu verarbeiten, sondern die Aufgaben lösten, indem sie kompensatorisch auf andere Hirnbereiche zurückgriffen. Als Erwachsene lasen diese Personen zwar langsam, verstanden aber, was sie lasen. Zu ihrer Überraschung stellten die Forschenden fest, dass die zweite Gruppe der Dyslektiker, die schlechte Leser geblieben waren, den richtigen neuralen Schaltkreis zur Verfügung hatte, um Töne und Sprache zu verarbeiten, ihn aber nicht so aktivierte wie normale Leser. Vielmehr verliessen sich die schlechten Leser auf ihr Gedächtnis, um die Bedeutung von Wörtern zu verstehen – ein mühsamer und wenig effizienter Hirnprozess, der wahrscheinlich das fehlende Leseverständnis erklärt. Die Untersuchung ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie weitere Erkenntnisse zu jenen Anomalien des Gehirns liefert, welche Dyslexie verursachen, sondern auch, weil sie zeigt, dass eine verbesserte Lesefähigkeit eine neurale Grundlage haben könnte. Indirekt unterstreicht die Untersuchung, wie wichtig eine pädagogische Anleitung ist, In der Kindheit auftretende Störungen der Lesequalität. Sie stellten fest, dass Kinder, die lesen lernen, mehr und mehr den für Sprachverarbeitung verantwortlichen Teil der linken Hirnhälfte aktivieren. Je besser sie lesen können, umso mehr unterdrücken sie die Aktivität im „visuellen“ Teil der rechten Hirnhälfte. Diese Untersuchung liefert einen Hightech-Nachweis für eine Jahrzehnte alte Theorie des Dyslexie-Forschers Samuel Orton, der bereits 1925 angenommen hatte, normale Leser lernten, die visuellen Bilder der rechten Hirnhälfte zu unterdrücken, die die Sprachverarbeitung der linken Hirnhälfte stören könnten. Die Forschenden aus Georgetown liefern auch erstmals Beweise dafür, dass verschiedenen Arten der phonologischen Verarbeitung (der Fähigkeit, Wörter herauszuhören) unterschiedliche neurale Schaltkreise im Gehirn zugrunde liegen. Dies bedeutet, dass es verschiedene Unterarten der Dyslexie geben könnte, die auf spezifischen neuralen Defekten der phonologischen Verarbeitung beruhen. 31 die Kinder darin unterstützt, wie auch immer geartete angeborene Abnormitäten zu kompensieren. Geistige Behinderung besser verstehen Geistige Behinderung, zunehmend als allgemeine Entwicklungsverzögerung verstanden, ist ein weiter Begriff, der über tausend Krankheiten umfasst, die zu Beeinträchtigungen des Erkenntnisvermögens und der Entwicklung führen 19 und oft in unterschiedlicher Ausprägung auftreten sowie von zusätzlichen medizinischen Komplikationen begleitet werden. Die American Academy of Neurology und die Child Neurology Society gaben dieses Jahr neue Richtlinien zur Diagnose von geistiger Behinderung 20 heraus, um den Pädiatern die Unterscheidung der verschiedenen Krankheiten zu erleichtern. Diese soll ihnen behilflich sein, die geeigneten Untersuchungen anzuordnen, eine Prognose zu stellen, Eingriffe zu planen und mit Komplikationen umzugehen. 32 Gleichzeitig bemüht sich die Wissenschaft weiterhin herauszufinden, was eine geistige Behinderung verursacht. Verschiedene in diesem Jahr veröffentlichte Untersuchungen zeigen, dass die Forschung eine neue Richtung eingeschlagen hat. Die Forschenden sehen in den verschiedenen Arten geistiger Behinderung heute nicht mehr so sehr umfassend definierte chromosomale Erkrankungen (z. B. Trisomie- Erkrankungen wie das Down-Syndrom und mit dem X-Chromosom verbundene Erkrankungen wie das Fragile-X-Syndrom), sondern konzentrieren sich immer mehr auf spezifische molekulare Defekte, wobei sie bei scheinbar verschiedenartigen Krankheiten gewisse Überlappungen feststellen. Dieses Jahr veröffentlichten beispielsweise Michael V. Johnston und Mitarbeitende von der John Hopkins Universität in Pediatric Research eine Übersicht über neuere Berichte und fanden dabei ein gemeinsames Muster von molekularen Defekten bei so unterschiedlichen Krankheiten wie der Neurofibromatose Typ 1, dem Rett-Syndrom und verschiedenen mit dem X-Chromosom assoziierten Syndromen geistiger Behinderung 21. Die Autoren stellten fest, dass bei allen Krankheiten die für das Gedächtnis wichtige Abfolge molekularer Schritte (wissenschaftlich „Signalweg“ genannt) irgendwie unterbrochen war. Das Lernen kann erfolgen, wenn das Gehirn in der Lage ist, die unmittelbare Erinnerung an ein Ereignis oder eine Fertigkeit in langfristiges Wissen umzuwandeln. Auf der biologischen Ebene umfasst dies eine Reihe molekularer Signale, die zwischen den zahlreichen Synapsen eines Neurons und seinem Zellkern hin und her gesandt werden. Wenn dieser Vorgang korrekt abläuft, werden bestimmte Synapsen in einer Die molekulare Forschungsrichtung hat bei einer verbreiteten Art von angeborener geistiger Behinderung, dem Fragilen-X-Syndrom, bereits zu entscheidenden Erkenntnissen geführt. Seit einem Jahrzehnt steht wissenschaftlich fest, dass sich diese Störung entwickelt, wenn ein genetischer Defekt Hirnzellen daran hindert, das fragile X-Protein (FMRP) zu bilden ; es blieb jedoch unklar, auf welche Weise der Ausfall dieses Proteins zu Symptomen wie kognitiven Einbussen und Aufmerksamkeitsstörung führt. In einem Übersichtsartikel, der im März in Trends in Biochemical Science 22 erschien, berichten Stephen T. Warren und Peng Jin von der Universität Emory über neue Erkenntnisse, dass FMRP bei der Bildung von synaptischen Verbindungen im Gehirn eine entscheidende Rolle spielt. Der Ausfall des Proteins scheint die synaptische Plastizität, also jene Abfolge von Veränderungen, die Lernen überhaupt ermöglicht, zu beeinträchtigen. Die Forschenden konnten auch eine besondere molekulare Kaskade von Ereignissen identifizieren, die zur Bildung von FMRP führt. Nun wird untersucht, ob Medikamente, die bestimmte Substanzen in dieser Kaskade beeinflussen, die Bildung von FMRP auslösen und dadurch eine Behandlung der Krankheit ermöglichen könnten. In der Kindheit auftretende Störungen Weise verstärkt, die eine Langzeitspeicherung und das erneute Abrufen des Wissens ermöglicht. Verschiedene Arten von geistiger Behinderung entstehen, wenn genetische Fehler verhindern, dass dieses System richtig funktioniert. Vorläufig finden diese Untersuchungen zwar noch auf der Ebene der Grundlagenforschung statt, doch hoffen die Forschenden, die Bestimmung spezifischer Übertragungsfehler könnte schliesslich zu neuen Therapieansätzen führen. Einen Mythos bezüglich Cerebralparetik ausräumen Die meisten Leute und auch viele Ärzte gehen davon aus, dass ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, der medizinische Ausdruck lautet Hypoxie, im Allgemeinen für verschiedene Arten von frühkindlichen Hirnschädigungen, einschliesslich der Cerebralparetik, verantwortlich ist. Ein im Januar 2003 vom American College of Obstetricians and Gynecologists und der American Academy of Pediatrics erstellter Bericht räumt diesen Mythos aus und hält fest, dass nur eine von zehn frühkindlichen Hirnschädigungen auf eine Hypoxie zurückzuführen ist. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die meisten frühkindlichen Hirnschädigungen durch genetische Störungen, Stoffwechselanomalien, Infektionen, Traumata, vorgeburtlichen Hirnschlag oder durch eine Kombination von Faktoren im Mutterleib vor der Niederkunft verursacht werden 23. Darüber hinaus folgern die Autoren, 33 dass das meist gebräuchliche frühe Warnzeichen zur Beurteilung, ob eine Hypoxie eintritt – ein abnormaler Herzschlag des Fötus, der Stress anzeigt – aus einer ganzen Reihe von Gründen auftreten kann und deshalb für sich allein genommen nicht geeignet ist, einen Sauerstoffmangel festzustellen oder zu verhindern. Zwar lassen sich die meisten frühkindlichen Hirnschädigungen nicht verhindern, doch hoffen die Wissenschafter, der Bericht werde dazu beitragen, dass Forschende die Umstände, unter denen eine Hirnschädigung aufgrund einer Hypoxie erfolgt und die spezifischen frühen Warnsignale besser bestimmen können ; daraus sollen schliesslich Richtlinien für Ärzte erarbeitet werden, um diese 10 % der Fälle verhindern zu helfen. 34 Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik Wachsendes Interesse an Wachstumsfaktoren 36 Bemerkenswerte Erfolge und Misserfolge 38 Stimulierende Nachrichten 39 35 S chwierigkeiten mit der Bewegung kommen bei den verschiedensten Krankheiten vor, angefangen bei den „klassischen“ vom Gehirn ausgehenden Bewegungsstörungen der Neurologie, wie der Parkinsonschen Krankheit, bis hin zu degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, einschliesslich der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), bei der die Bewegungskontrolle auf der Ebene des Rückenmarks unterbrochen wird. Zu den Symptomen gehört entweder die Unfähigkeit, Willkürbewegungen zu beginnen und zu steuern, oder das Problem, unbeabsichtigte Bewegungen zu verhindern. Forschungsberichte aus diesen Bereichen widerspiegeln in den letzten Jahren das gewohnte Muster therapeutischer Fortschritte : eine Mischung von Begeisterung über das Vorankommen der Grundlagenwissenschaften, Enttäuschung über Therapieversuche, die der klinischen Erprobung nicht standhalten, und einige Berichte von tatsächlichen Erfolgen. Wachsendes Interesse an Wachstumsfaktoren Die Parkinsonsche Krankheit ist ein gutes Beispiel für die Aufgabe, ein im Laboratorium entwickeltes Therapieverfahren bei kranken Menschen zur Anwendung zu bringen. Im Vergleich zu vielen anderen Erkrankungen hatte die Erforschung der Parkinsonschen Krankheit den Vorteil, dass man weiss, dass die Bewegungsstörungen direkt durch den Untergang von Nervenzellen in einem umschriebenen Hirnbereich (der so genannten Substantia nigra) verursacht werden. Diese Neuronen kommunizieren über den Neurotransmitter Dopamin mit anderen Bewegungszentren des Gehirns. Aber das Gehirn ist dermassen komplex, dass nicht einmal diese Kenntnis zu einer Therapie führte, um den Untergang von Neuronen der Substantia nigra zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Die gängigen Therapien, einschliesslich Levodopa (L-Dopa) und Medikamenten, welche die Wirkungen von L-Dopa imitieren, wirken rein symptomatisch, wobei es allerdings zu einer jahrelang anhaltenden Besserung kommen kann. 36 Die meisten gebräuchlichen Therapien der Parkinsonschen Krankheit, seien sie bereits zugelassen oder noch im experimentellen Stadium, konzentrieren sich darauf, den durch die Degeneration der Neuronen in der Substantia nigra verursachten Dopaminmangel zu kompensieren. Inzwischen hat aber eine transatlantische Zusammenarbeit mit dem Ziel, vor allem die Degeneration dieser Neuronen zu verhindern, eine interessante therapeutische Perspektive eröffnet. Nachdem ein vorläufiger Kongressbericht anfangs 2002 erschienen war (vgl. unseren Jahresbericht 2003), erwartete man mit Spannung den ausführlichen Bericht des Klinikers Steven Gill Wachstumsfaktoren sind für die Reifung und das Überleben von Nervenzellen unerlässlich. In Tiermodellen gab es Hinweise, GDNF (glial cell linederived neurotrophic factor) könnte die Degeneration von Zellen der Substantia nigra verhindern. Erste Studien am Menschen waren allerdings zunächst enttäuschend ; GDNF, in die Liquorräume der Hirnventrikel verabreicht, erreichte einerseits nicht die kritischen Hirnregionen und führte anderseits wegen der zur grossen Verteilung im Gehirn zu Nebenwirkungen. Das Team von Gill und Svendsen ging noch direkter vor und platzierte einen winzigen Katheter direkt ins Putamen, ein Bewegungszentrum, das durch den Dopaminmangel besonders stark betroffen ist. Die Kanüle führt zu einer ins Abdomen implantierten Pumpe, die GDNF kontinuierlich in kleinen Mengen abgab. Die Ergebnisse scheinen die Theorie zu bestätigen, wonach der GDNF von Nervenfasern der Substantia nigra, die ins Putamen reichen, aufgenommen wird. Wenn der Wachstumsfaktor dann über die Fasern zurücktransportiert wird, unterstützt er die Funktionsfähigkeit der Dopamin produzierenden Neuronen. Da es sich dabei nicht um einen kontrollierten Blindversuch handelte und nur fünf Kranke ohne Kontrollgruppe einbezogen wurden, war das Fehlen von Nebenwirkungen von grösserer Bedeutung als die klinische Besserung. Weitere Versuche müssen nun die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Behandlung bestätigen. Zwar steht diese Forschung noch im Anfangsstadium, doch geben Wachstumsfaktoren auch Patienten mit ALS (in Amerika unter der Bezeichnung Lou Gehrig-Krankheit allgemein bekannt) neue Hoffnung. Die gegenwärtigen Verfahren zur Behandlung der ALS können die rasch fortschreitende Degeneration der motorischen Rückenmarksnerven, welche die Muskeln steuern, nur in geringem Masse verzögern. Die mit dem nicht rezeptpflichtigen Nahrungsergänzungsmittel Kreatin verbundenen Hoffnungen zerschlugen sich im Jahr 2003, als eine von Leonard H. van den Berg vom University Medical Center in Utrecht, Niederlande, durchgeführte Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik vom Frenchay Hospital in Bristol, Grossbritannien, und des Grundlagenwissenschafters Clive Svendsen von der University of Wisconsin in Madison über die erfolgreiche Verabreichung eines Wachstumsfaktors direkt in die an Dopamin verarmten Hirnregionen. In der Mai-Ausgabe von Nature Medicine berichteten die Forscher, dieses Verfahren habe bei minimalen Nebenwirkungen zu einer Verbesserung der motorischen Symptome geführt 24. 37 prospektive kontrollierte Doppelblindstudie bei ALS-Kranken mit Kreatin keine signifikante Besserung ergab 25. Klinische Studien sind indessen im Gange, um Wachstumsfaktoren durch einen gentherapeutischen Ansatz in die motorischen Rückenmarksnerven zu bringen (siehe auch das Kapitel „Schädigungen des Nervensystems“, S. 41). In der am 8. August erschienenen Ausgabe von Science berichteten Fred Gage und Mitarbeitende vom Salk Institute in La Jolla, Kalifornien, dass sie nahe daran sind eine besonders schwierige therapeutische Hürde zu überwinden, nämlich die fast undurchdringbare Blut-Hirn-Schranke. Die meisten Medikamente können diese Schranke nicht durchdringen, durch welche Gehirn und Rückenmark vor Giftstoffen im Blutkreislauf geschützt werden. Gage und Mitarbeitende entdeckten indessen, dass gewisse Viren über die Hintertüre der Muskulatur in die motorischen Rückenmarksnerven gelangen. Die Forschenden luden das Gen für den Insulinartigen Wachstumsfaktor-1 (IGF-1) im Huckepackverfahren auf ein unschädliches Virus und konnten so am Mäusemodell der ALS das Gen in motorische Nervenzellen bringen. Die Neuronen begannen, den Wachstumsfaktor zu produzieren und die Lebenserwartung der Mäuse wurde beinahe verdoppelt 26. Dieselben Forschenden planen nun eine Studie am Menschen. Bemerkenswerte Erfolge und Misserfolge Das jährliche Meeting über Bewegungsstörungen fand Ende 2002 in Miami statt, also nach Drucklegung unseres letztjährigen Jahresberichts ; wir berücksichtigen es hier, da an diesem Anlass über zwei mit Spannung erwartete klinische Studien an Parkinson-Kranken berichtet wurde. Die Ergebnisse waren uneinheitlich. Die gute Nachricht, dass eine frühzeitige Verabreichung von L-Dopa bei der Parkinsonschen Krankheit den Krankheitsverlauf nicht zu beschleunigen scheint, wurde von Stanley Fahn von der Universität Columbia als Vertreter der Parkinson’s Study Group vorgetragen. Der ELLDOPA-Versuch (Early vs. Late L-Dopa ; frühes vs. spätes L-Dopa) war aufgrund des Verdachts durchgeführt worden, eine frühzeitige Abgabe des Medikaments würde zwar einige Symptome vorübergehend scheinbar bessern, dabei aber den zugrunde liegenden Krankheitsprozess beschleunigen. Die Studie scheint diese Befürchtungen zerstreut zu haben 27. 38 Weniger ermutigend war ein Bericht von Warren Olanow von der Mount Sinai School of Medicine in New York City über fötale Zelltransplantate, Ebenso, wie bei der damals negativ ausgefallenen Untersuchung ging es auch diesmal um zweifelhafte methodische Aspekte im Zusammenhang mit früheren erfolgreichen Transplantationsstudien. Die Studie von Olanow und Mitarbeitenden war kontrolliert, d. h. einige Kranke erhielten fötale Zellen während bei anderen nur eine Scheinoperation durchgeführt wurde. Sie war auch doppelblind ; weder die Kranken noch die Ärzte, die den postoperativen Verlauf verfolgten wussten, welche Kranken fötale Zellen erhalten hatten und welche nicht. Die Krux bei diesen Ergebnissen bestand darin, dass sich gewisse Symptome bei einigen Kranken besserten, dass aber bei anderen Kranken motorische Störungen auftraten, die vor der Operation nicht bestanden hatten und wahrscheinlich eine Nebenwirkung der Transplantate darstellten 28. Während Experimente an Tiermodellen fortgeführt werden, sind viele Ärzte und Ärztinnen der Ansicht, eine Anwendung an Menschen solle vorderhand zurückgestellt werden. Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik der im September 2003 in den Annals of Neurology veröffentlicht wurde. Olanow und seine Kollegen stellten fest, dass bei der Transplantation von fötalen Dopamin-Neuronen als Ersatz der durch die Parkinsonsche Krankheit zugrunde gegangenen Nervenzellen die negativen Nebenwirkungen gegenüber den geringen positiven Wirkungen überwiegen; damit bestätigten sie die Ergebnisse einer ähnlichen vor zwei Jahren durchgeführten Untersuchung. Stimulierende Nachrichten Eine Ursache, weshalb es manchen Ärzten leicht fällt, sich von den Transplantaten abzuwenden, ist der Erfolg der tiefen Hirnstimulation (deep brain stimulation, DBS) durch den so genannten „Hirn-Schrittmacher“ bei der Parkinsonschen Krankheit und anderen Erkrankungen. Der Schrittmacher selbst wird ins Abdomen eingepflanzt, wobei ein Kabel bis in jene Bereiche tief im Innern des Gehirns reicht, welche die Bewegung steuern. Schwache, regelmässig in diese Bereiche abgegebene elektrische Impulse können Symptome wie Tremor, Starre, Bewegungsverlangsamung, Gehstörungen und das „Einfrieren“ mindern. Obgleich der Mechanismus dieser Wirkung noch im Dunkeln liegt, steht fest, dass die Stimulation die Aktivität in Hirnschaltkreisen verändert, die an der Bewegungssteuerung beteiligt sind. Im Jahr 2003 trug eine Vielzahl von Forschungsberichten dazu bei, Einsichten in diese Schaltkreise zu gewinnen. Vier verschiedene Forschungsgruppen 39 – geleitet von Marjorie E. Anderson an der University of Washington in Seattle ; Jerrold L. Vitek an der Emory University in Atlanta, Georgia ; Marc Savasta an der Université Joseph Fourier in Grenoble, Frankreich; und Joel S. Perlmutter an der Washington University in St. Louis, Missouri – verwendeten verschiedene Verfahren, die unter anderem die Registrierung der elektrischen Hirnaktivität in den Schaltkreisen 29, 30 sowie die Bestimmung der Konzentration von Neurontransmittern 31 und der Durchblutungsmuster in diesen Bereichen umfassten 32. Dank diesen neuen Erkenntnissen über die Wirkweise der DBS werden die Forschenden besser bestimmen können, welche Symptome durch die Stimulation unterschiedlicher Orte im Bewegungsschaltkreis am wirksamsten beeinflusst werden können. Diese Fortschritte dürften sich ausser auf die Parkinsonsche Krankheit auch auf andere Erkrankungen auswirken. Seit mehreren Jahren wenden Ärzte die DBS versuchsweise bei Patienten an, die an Dystonie leiden, eine Krankheit, bei der länger dauernde Muskelkontraktionen vorherrschen ; diese können von einem einfachen Schreibkrampf bis hin zu schwerwiegenden Verrenkungen ganzer Körperpartien reichen, die die Betroffenen zu einem Leben im Rollstuhl verurteilen. Einige Dystonien beruhen auf Verletzungen von Hirnbereichen, die Bewegungen steuern, andere haben eine genetische Ursache, treten oft schon in der Kindheit auf und verschlimmern sich progressiv. 40 Einzelbeobachtungen weisen deutlich darauf hin, dass DBS in denselben Bewegungsschaltkreisen, die bei der Parkinsonschen Krankheit stimuliert werden, bei Dystonie-Kranken zu einer entscheidenden Besserung führen kann. Da die Wissenschaft Einzelberichten stets skeptisch gegenübersteht, ist es für Dystonie-Kranke eine gute Nachricht, dass die erste grössere retrospektive Studie der Wirkung von DBS bei erwachsenen Dystoniepatienten die positive Wirkung bestätigt. Einem Bericht des Neurochirurgen Tipu Aziz und Mitarbeitenden vom Radcliffe Infirmary in Oxford, Grossbritannien zufolge, kam es bei den meisten der 25 DystonieKranken, die in ihrer Klinik mit DBS behandelt wurden, zu dauerhaften Besserungen. Eine interessante Beobachtung, die allerdings noch verifiziert werden muss, ist die, dass einige Kranke nach der Operation kontinuierlich Fortschritte zu machen scheinen. Dies lässt vermuten, dass die elektrische Stimulation nicht nur den geschädigten Bewegungsschaltkreis kompensiert, sondern darüber hinaus bis zu einem gewissen Grade eine Genesung ermöglichen könnte 33, 34. Schädigungen des Nervensystems Nervenfasern regenerieren 42 Fortschritte in der Gentherapie 43 Stammzellen nutzbar machen 44 Neuroprotektion 46 Akutbehandlung bei Hirnschlag 46 Risiko und Prävention von Hirnschlag 47 41 I m Jahr 2003 kam die Wissenschaft dem unfassbaren Ziel näher, traumatisiertes Nervengewebe, etwa infolge eines Hirnschlags oder einer Rükkenmarksverletzung, zu regenerieren und zu reparieren. Verschiedene neue Entdeckungen zeigten den Weg, wie Axone (die Fasern, die aus dem Nervenzellkörper herauswachsen und Impulse an andere Nervenzellen übertragen) zum Nachwachsen veranlasst werden können, um eine verloren gegangene Funktion wieder herzustellen ; dies lässt hoffen, dass die Wiederherstellungsmedizin ihre therapeutischen Versprechen wird einlösen können. Nervenfasern regenerieren Eines der grössten Hindernisse für die Genesung von Rückenmarksverletzungen ist die Unfähigkeit von Axonen, über die verletzte Stelle hinweg zu wachsen und wieder Verbindungen zwischen Nervenfasern des Rückenmarks und dem Hirn herzustellen. Neuere Befunde lassen uns besser verstehen, wie gewisse Proteine in der Myelinscheide, welche die Axone isoliert, das Nachwachsen entweder hemmen oder fördern; diese Fortschritte führten zu etlichen neuen Ansatzpunkten für therapeutische Interventionen. 42 Nogo, eine Gruppe von Myelin-Proteinen mit starken inhibitorischen Wirkungen auf das Nachwachsen von Axonen, weckt weiterhin grosses Interesse. Drei verschiedene Forschungsteams, die von Martin Schwab von der Universität Zürich, von Stephen Strittmatter von der Yale Medical School, bzw. von Marc Tessier-Lavigne von der Stanford University geleitet wurden, berichteten in der Ausgabe vom 24. April 2003 der Fachzeitschrift Neuron gleichzeitig über die Entwicklung von drei Stämmen von „knockout“-Mäusen, denen Subtypen von Nogo fehlten. Unerwarteter Weise berichteten die Gruppen widersprüchliche Ergebnisse : Strittmatter fand eine erhebliche Aussprossung der Axone und verbesserte motorische Funktion nach einer Rückenmarksverletzung 35, Schwab berichtete von einer gewissen Regeneration von Axonen 36 und Tessier-Lavigne fand überhaupt keine 37. Weshalb die Ergebnisse so verschiedenartig ausfielen, ist weiterhin unklar, könnte aber auf technische Unterschiede bei der Entwicklung der Mäuse zurückzuführen sein und darauf, welche weiteren Proteine möglicherweise betroffen waren. In derselben Ausgabe von Neuron berichtete ein anderes Team aus Stanford unter der Leitung von Chris Garcia über die molekulare Struktur des Nogo-Rezeptors und lieferte damit einen detaillierten Rahmen für weitere Untersuchungen, um die Wirkungen von durch Nogo vermittelten Interaktionen zwischen Proteinen zu bestimmen 38. Schwabs Team konnte später nachweisen, dass das Diese neuen Erkenntnisse über Nogo sollen zur Entwicklung neuer Therapien führen und die Wissenschaft hat bereits wichtige Schritte auf dieses Ziel hin unternommen. Aufbauend auf Schwabs früherer Arbeit, die ergeben hatte, dass die Hemmung von Nogo die axonale Regeneration fördert, wiesen Strittmatter und sein Kollege Shuxin Li nach, dass es bei Tieren, die mit einem Nogo-Rezeptor-Antagonisten (einem Peptid mit der Bezeichnung NEP1-40) behandelt wurden, nach einer Rückenmarksverletzung zu einem erheblichen Auswachsen von Axonen, einer Neubildung von Synapsen und einer wesentlichen Besserung der Motorik kam. Zudem fanden sie diese Ergebnisse selbst dann, wenn mit der Behandlung erst bis zu einer Woche nach der Verletzung begonnen wurde ; dies lässt auf ein therapeutisches Fenster hoffen, das klinisch praktikabler ist als eine unmittelbare Verabreichung 40. Schädigungen des Nervensystems Nogo-A-Protein über drei aktive Regionen verfügt, die je ganz bestimmte Aspekte der axonalen Inhibition regulieren 39. Im Gegensatz zu Nogo handelt es sich bei Semaphorin-7a um ein erst kürzlich entdecktes Protein, das das axonale Wachstum eher anregt als hemmt und damit unter den Geschwistern einer Proteinfamilie, die für das Abstossen von Axonen bestens bekannt ist, aus der Reihe tanzt. Ein Team von Johns Hopkins unter der Leitung von Jeroen Pasterkamp fand heraus, dass im Labor kultivierte Rattennerven mehr und längere Axone an der Stelle aussprossten, die einer Quelle von Semaphorin-7a am nächsten lag und dass Mäuse, denen dieses Protein fehlte, Nervenfasern entwickelten, die ihr Ziel verfehlten 41. Nun untersuchen die Forschenden, auf welche Weise das Protein das Wachstum von Axonen beeinflusst und hoffen, Mechanismen identifizieren zu können, die sich im Sinne einer therapeutischen Besserung manipulieren lassen. Fortschritte in der Gentherapie Forschende am Niederländischen Institut für Hirnforschung untersuchen die Durchführbarkeit einer Methode der Gentherapie, welche die Regeneration nach einer zervikalen Rückenmarksverletzung verbessern soll. Unter der Leitung von Joost Verhaagen beeinflussten die Forschenden zuerst mit genetischen Methoden Hirnzellen, die den olfaktorischen Nerv (die sogenannte olfaktorische umhüllende Glia; olfactory ensheathing glia, OEG) isolieren, so dass sie den Nervenwachstumsfaktor BDNF verstärkt exprimierten, und implantierten diese Zellen dann in ein Rattenmodell für Rückenmarksverletzungen. Im Vergleich mit unbehandelten Ratten wiesen 43 behandelte Ratten eine verbesserte funktionelle Erholung auf, was den Autoren zufolge darauf hinweist, dass die genetische Modifizierung von OEG nicht nur eine Zelle hervorbrachte, die das Auswachsen von Axonen wirksamer förderte, sondern dass es auch zu einer beschleunigten Heilung nach einer Verletzung führen konnte, möglicherweise indem es die nach einer Verletzung eintretende Degeneration von Rückenmarksgewebe verhinderte 42. Fred Gage und Mitarbeitende am Salk Institute benutzten ein adeno-assoziiertes Virus, um therapeutische Moleküle aus der Muskulatur ins Rückenmark zu transportieren (siehe auch das Kapitel „Bewegungsstörungen“ S. 35). Die Untersuchung konzentrierte sich zwar auf ein Mäusemodell der Amyotrophen Lateralsklerose, doch lassen die Ergebnisse vermuten, dass ein ähnliches Verfahren angewendet werden könnte, um wachstumsfördernde Proteine sicher und wirksam in verletztes Rückenmark zu transportieren 43. Es ist zwar sehr wichtig, die dem Rückenmark inhärenten Mechanismen, welche die Regeneration von Axonen hemmen, zu überwinden, doch stellt dies nur einen Teil eines komplizierten Problems dar. Das zweite Haupthindernis ist das Narbengewebe, das sich am Ort einer Verletzung bildet und für Axone eine Art Strassensperre darstellt. Diese „Glianarbe“ besteht aus dicht gewobenen Astrozyten, sternförmigen Zellen, die Neuronen nähren und stützen. Ein französisches Team unter der Leitung von Véronique Menet züchtete Knock-out-Mäuse ohne die beiden für den strukturellen Aufbau von Astrozyten entscheidenden Proteine (saures Gliafaserprotein ; glial fibrillary acidic protein, GFAP und Vimentin) und stellte fest, dass es bei diesen Tieren nach einer teilweisen Durchtrennung des Rückenmarks zu einer verbesserten anatomischen und funktionellen Erholung kam 44. In einer im August veröffentlichten Arbeit brachten Malika Boukhelifa und Mitarbeitende an der University of North Carolina at Chapel Hill ein weiteres Protein, Palladin, mit der Bildung des Narbengewebes in Zusammenhang. Palladin steigt nach Rückenmarksverletzungen schnell an ; dieser Anstieg scheint die Bildung einer Narbe zu ermöglichen, indem er die Form der Astrozyten beeinflusst 45. Stammzellen nutzbar machen 44 Einen Fortschritt mit Implikationen sowohl für Bewegungsstörungen als auch für Traumata stellt der von Forschenden am Salk Institut entwickelte erste Entwurf einer „Zell-Fabrik“ dar, die aus embryonalen Stammzellen Motoneuronen herstellt. Soo-Kyung Lee und Samuel L. Pfaff arbeiteten mit Küken-Embryos und bildeten ein detailliertes Modell dafür, wie Stammzellen Auch die Anpassung des Stickoxid-Spiegels im Gehirn könnte eine wirksame Strategie darstellen, um durch Hirnschlag oder Krankheit verloren gegangene Nervenzellen zu ersetzen. Forschende unter der Leitung von Michael Packer am Cold Spring Harbor Laboratory fanden heraus, dass Stickoxid ein entscheidender natürlicher Regulator für die Entstehung neuer Nervenzellen im adulten Gehirn ist. Wenn die Stickoxid-Produktion gehemmt wird, regt dies die Vermehrung neuraler Stammzellen an und führt dazu, dass die Zahl der Neuronen, die im Gehirn von adulten Ratten generiert werden, drastisch ansteigt 47. Schädigungen des Nervensystems reguliert und auf den Weg gebracht werden, dass sie sich zu jener Untergruppe von Nervenzellen entwickeln, die es dem Körper ermöglichen, sich zu bewegen. Sie machten zwei Bahnen (bezeichnet als bHLH und LIM-D) ausfindig, die zusammenwirken, um die Spezialisierung von Nervenzellen zu regeln und eröffneten damit die Möglichkeit, die zugrunde liegenden Mechanismen für therapeutische Zwecke zu nutzen 46. Die Verheissungen der Stammzellen in klinische Therapien bei Hirnschlag umzusetzen bleibt weiterhin eine bedeutende Herausforderung ; die vorklinische Forschung an Tiermodellen für Hirnschlag ist ein entscheidender Schritt, um die mit der Transplantation von Stammzellen zur Behandlung dieser Erkrankung einhergehenden potentiellen Vorteile – und Risiken – zu erkennen. Im Hinblick auf dieses Ziel wies ein Forschungsteam unter der Leitung von Michael Chopp vom Detroit’s Henry Ford Health Sciences Center an einem Rattenmodell für Hirnschlag nach, dass transplantierte Vorläuferzellen aus der subventrikularen Zone (der offensichtlichen Herkunft neuraler Stammzellen) in geschädigte Hirnbereiche wanderten und diese Tiere anschliessend bei Tests ihrer Funktionsfähigkeit entscheidend besser abschnitten 48. Unabhängig davon behandelte die Gruppe Mäuse mit Transplantaten einer anderen Art von Vorläuferzellen, Vorläufern des Endothels, die sich zu jenem Gewebe entwickeln, das die Herz- und Blutgefässe auskleidet. Sie stellten fest, dass die Zellen das Ausmass der Schädigung nach einem Schlaganfall begrenzten, indem sie das Wachstum neuer Blutgefässe rund um die verletzte Stelle förderten 49. Unterdessen erforschen Wissenschafter an der University of South Florida (USF) alternative Quellen für Stammzellen. Samuel Saporta und Mitarbeitende injizierten aus menschlicher Nabelschnur gewonnene Stammzellen in Ratten mit Rückenmarksverletzungen und wiesen nach, dass die Zellen an die geschädigte Stelle wanderten und die motorische Funktionsfähigkeit 45 bis zu einem gewissen Grad wiederherstellten 50. Eine andere Gruppe, die von Alison Willing von der USF geleitet wird, konzentriert sich auf stammzellartige Zellen, sogenannte periphere Blut-Progenitorzellen, die aus zirkulierendem menschlichen Blut gewonnen werden. Sie berichteten, dass die intravenöse Injektion dieser Zellen bei einem Rattenmodell für schweren Hirnschlag zu einer „entscheidenden Besserung des Verhaltens“ führte 51. Neuroprotektion Die Suche nach neuroprotektiven Therapien, welche die nach einem Hirnschlag oder einer anderen Hirnverletzung einsetzende Kaskade von Nervenschädigungen begrenzen könnte, blieb bisher weitgehend ohne Erfolg. In etlichen gross angelegten klinischen Studien wurden Medikamente getestet, von denen man sich aufgrund von Tierversuchen viel versprochen hatte, doch trat bei Menschen die gewünschte Wirkung nicht ein. Das vergangene Jahr brachte dennoch einige hoffnungsvolle Entwicklungen. An der International Stroke Conference im Februar wurde über klinische Befunde berichtet, wonach Hypothermie – das Herabsetzen der Hirntemperatur – Nervenzellen schützen könnte. Die Idee, das Gehirn durch Kühlung zu schützen, ist zwar mindestens 70 Jahre alt, doch lebte das Interesse an diesem Verfahren in den vergangenen Jahren wieder neu auf. Ein von Fritz Sterz von der Universität Wien geleitetes Team wies nach, dass 59 % der Kranken, die nach einem Herzstillstand mit Hypothermie behandelt wurden, bei anschliessenden neurologischen Tests „gut abschnitten“ ; in der Kontrollgruppe waren es 39 %. Die Behandlung wird nun in ersten klinischen Studien weiter untersucht 52. Forschende am gemeinnützigen Burnham Institut in Kalifornien berichteten in Nature, Humanin, ein kürzlich im Rahmen von Untersuchungen zur Alzheimerschen Krankheit entdecktes kleines Protein, könnte über potente neuroprotektive Eigenschaften verfügen. Humanin unterdrückt die Aktivität von Bax, einem Gen, das bei etlichen Krankheiten, einschliesslich Hirnschlag, den programmierten Zelltod („Apoptose“) auslöst. Dieser Befund des Erstautors Bin Guo und Mitarbeitenden weist darauf hin, dass Humanin synthetisch hergestellt und zu einem injizierbaren Medikament für die Akutbehandlung von Hirnschlag und Herzleiden entwickelt oder für Anwendungen in der Gentherapie genutzt werden könnte 53. Akutbehandlung bei Hirnschlag 46 Der Gewebe-Plasminogenaktivator (tissue plasminogenactivator, tPA) galt als Eckstein der Akuttherapie bei Hirnschlag, aber sein klinischer Nutzen Schädigungen des Nervensystems ist begrenzt, da tödliche Nebenwirkungen auftreten können und das therapeutische Fenster auf nur wenige Stunden nach einem Hirnschlag begrenzt ist. Anfangs 2003 berichteten Gabriel T. Liberatore und Mitarbeitende von der Monash University in Australien von einer wirkungsvollen Gerinnung lösenden Substanz, die ursprünglich aus dem Speichel von Vampir-Fledermäusen gewonnen worden war ; diese könne bis zu dreimal über das bisherige Therapiefenster hinaus verwendet werden und führe zu keinem erhöhten Risiko für weitere Hirnschädigungen. Das Enzym Desmoteplase (DSPA) ist genetisch mit dem Gerinnung lösenden tPA verwandt aber um ein Vielfaches wirksamer 54. Inzwischen fanden Juan-Carlos Murciano und Mitarbeitende an der University of Pennsylvania eine Möglichkeit, rote Blutkörperchen mit tPA zu überziehen, ein Verfahren, das angeblich die Verfügbarkeit des Gerinnung lösenden Wirkstoffs im Blutkreislauf bis auf das Zehnfache erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer starken Blutung, einem Hauptrisiko bei der Anwendung von tPA, verringert. Diese neue Methode der Wirkstoffabgabe war ursprünglich entwickelt worden, um der Bildung von inneren Blutgerinnseln nach chirurgischen Eingriffen vorzubeugen, doch die Forschenden glauben, dass sie auch bei Hirnschlag oder Herzinfarkt gute Dienste leisten könnte 55. Risiko und Prävention von Hirnschlag Etliche Untersuchungen tragen dazu bei, die Risikogruppen für Hirnschlag besser bestimmen zu können, um dadurch den gezielten Einsatz präventiver Massnahmen zu verbessern. Neue Ergebnisse der Women’s Health Initiative (WHI), einer von der amerikanischen Regierung gesponserten Untersuchung an 16 608 50-bis 79jährigen Frauen nach den Wechseljahren (das Durchschnittsalter lag bei 63) heizten eine anhaltende Diskussion über Hormonersatztherapien (hormone replacement therapy ; HRT) weiter an. Die Kontroverse brach aus, als die Untersuchung im Juli 2002 gestoppt wurde, nachdem Forschende festgestellt hatten, dass Frauen, die eine Kombination von Östrogen und Progestin (estrogen and progestin ; E+P), die gebräuchlichste Form der HRT, einnahmen, im Vergleich zu Frauen, die ein Placebo erhielten, gehäuft an Brustkrebs, Hirnschlag, Lungenembolie und Herzleiden erkrankten. Während der E+P-Teil des Versuchs abgebrochen wurde, ging die Auswertung der Ergebnisse weiter und in der Mai-Ausgabe des Journal of the American Medical Association wurden weitere Berichte publiziert, darunter auch ein Befund, wonach das Hirnschlagrisiko bei Frauen, die E+P einnahmen, um 31% höher war. Die Hauptautorin Sylvia Wassertheil-Smoller 47 und Mitarbeitende berichteten, das grösste Risiko betreffe den ischämischen Hirnschlag, die häufigste Form von Hirnschlag. Ein erhöhtes Risiko für alle Arten von Hirnschlag fand sich den Forschenden zufolge in allen Altersgruppen und in allen Risikogruppen für Hirnschlag unabhängig davon, ob die Frauen an Bluthochdruck litten, Herzkreislauferkrankungen durchgemacht hatten oder Hormone, Statine oder Aspirin eingenommen hatten. Kritiker behaupten, die Befunde der WHI seien in Medienberichten übermässig vereinfacht dargestellt worden und die Ergebnisse würden für jüngere Frauen, die HRT kurz nach der Menopause einnehmen, möglicherweise nicht gelten, da nämlich die an der Untersuchung teilnehmenden Frauen eher älter waren und viele von ihnen erst 10-15 Jahre nach der Menopause mit einer HRT begonnen hatten. Gewisse Fachleute bezweifeln auch, dass die Ergebnisse auf alle Präparate von E+P (der Versuch verwendete ein Präparat, das unter dem Namen Prempro im Handel ist) und auf alle Verabreichungsformen der HRT extrapoliert werden können (möglicherweise besteht ein ähnliches Risiko nicht bei Pflastern oder vaginaler Applikation) 56. Andernorts berichteten Joachim Schrader und Mitarbeitende vom St. Josefs Spital in Deutschland, das Medikament Atacand, ein selektiver Angiotensin-II-Typ 1-Rezeptorblocker, könne bei Patienten mit Bluthochdruck die Anzahl weiterer vaskulärer Komplikationen um 45 % senken, wenn es kurz nach einem akuten Hirnschlag verabreicht werde 57. Inzwischen ergab eine von Kristi Reynolds von der Tulane University durchgeführte Meta-Analyse von 35 Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen mässigem Alkoholkonsum und einem verminderten Risiko für totalen und ischämischen Hirnschlag, wohingegen starker Alkoholkonsum mit einem erhöhten Risiko dieser Hirnschlagformen sowie des hämorrhagischen Hinschlags verbunden war 58. 48 Neuroethik Komplexe Interaktionen 51 Die Leistung des Gehirns steigern 53 Klinische Fragen, kritische Entscheidungen 55 49 N euroethik, die Beschäftigung mit den ethischen Implikationen unserer wachsenden Fähigkeit das Gehirn zu verstehen und zu verändern, findet zunehmend Beachtung. Als Spezialgebiet der Ethik gibt es sie erst seit 2001 und die erste formelle Konferenz, die sich mit ihr befasste, wurde im Jahr 2002 von der Dana Foundation gesponsert und von der Universität Stanford und der Universität von Kalifornien, San Francisco, unter dem Titel „Neuroethik : Das Gebiet abstecken“ organisiert 59. Sie führte aber rasch zu einem grossen Interesse der Medien und der Wissenschaft, das auch 2003 anhielt. Zum einen befasst sich die Neuroethik damit, wie die Gesellschaft mit den bei Hirnkrankheiten möglichen Bewusstseinsstörungen und Kontrollverlusten umgehen kann, zum anderen erforscht sie auch die ethischen Implikationen von Methoden, die gewisse Funktionen wie Gedächtnis und Konzentration fördern könnten. Wie soll das Gesetz Personen behandeln, die keine Kontrolle über ihre Impulse haben – ist es gerecht, sie zu bestrafen, wenn sie sich gar nicht beherrschen können ? Und verschaffen sich umgekehrt Leute, die Medikamente wie Ritalin benutzen, das die Konzentration auch dann verbessern kann, wenn keine Krankheit festgestellt wurde, dadurch einen ungerechten Vorteil ? Was, wenn sie ein Gen erhielten, um eine permanente Verbesserung zu erreichen ? Neuroethische Fragen bezüglich Förderung und Beeinträchtigung wurden im Jahr 2003 an Meetings thematisiert und auch wissenschaftlich angegangen. Nicht nur das Medieninteresse an Neuroethik blieb gross, auch das Oberste Gericht schaltete sich mit einer Entscheidung ein ; es ging dabei um einen Fall, in dem sich das Interesse des Staates, einen Betrug strafrechtlich zu verfolgen, und das Recht eines psychotischen Angeklagten, keine psychoaktiven Medikamente einzunehmen, gegenüberstanden. 50 Im Juni organisierte die New York Academy of Sciences ein Meeting zur Ethik einer Leistungssteigerung des Gehirns ; die daraus resultierenden ethischen Richtlinien für Entscheidungsträger sollen dieses Jahr veröffentlicht werden. Im September führte die American Association for the Advancement of Science zum Thema Neurowissenschaft und Recht eine Konferenz für eingeladene Teilnehmende durch, die sich damit befasste, wie das Rechtssystem mit Beeinträchtigungen, etwa einer Sucht, umgehen sollte, die den freien Willen und die gesetzliche Haftung in Mitleidenschaft ziehen können. Die Teilnehmenden kamen zum Schluss, zurzeit Neuroethik bestehe kein Handlungsbedarf. Am Meeting der Society for Neuroscience im November hielt Donald Kennedy, der Chefredaktor von Science, einen Vortrag über die Zukunft der Neuroethik und unterschied zwischen ethischen Fragen bezüglich Forschung und Behandlung und solchen, die eine reine Leistungssteigerung betreffen. Er diskutierte auch das Problem der Privatsphäre, das durch Verfahren wie fMRI aufgeworfen wird, die eines Tages in der Lage sein könnten, „Gedanken zu lesen“ sowie ethische Fragen, die einen weiteren potentiellen Einsatz dieser Techniken betreffen : das Verhalten von Konsumenten vorherzusagen und möglicherweise gezielt zu steuern. Im Oktober veröffentlichte der Bioethikrat des Präsidenten den Bericht Jenseits der Therapie: Biotechnologie und die Suche nach Glück (Beyond Therapy: Biotechnology and the Pursuit of Happiness), der zum grossen Teil auf ausschliesslich neuroethische Fragen einging, wie Gedächtnissteigerung, Stimmungsaufhellung und den Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung des Verhaltens von Kindern. Zwei Herausgeber, Reganbooks und Dana Press, stellten diesen Bericht im Dezember in einer für den Verkauf in Buchläden bestimmten Neuauflage einem breiten Publikum zur Verfügung. Die Dana-Version enthielt verschiedene zusätzliche Punkte, darunter auch Kommentare von wissenschaftlichen Ratsmitgliedern, die zur Vorsicht mahnten und betonten, dieser Bericht „diene lediglich dazu, eine Diskussion anzuregen, könne aber keine Schlussfolgerungen vorlegen“. Der Bericht, so schrieben sie, sei ein Anfang, aber keine wissenschaftliche Analyse, und einige der darin als künftig möglich dargestellten ethischen Probleme, etwa die genetische Selektion von Embryonen bezüglich des Temperaments, seien in Wirklichkeit höchst unwahrscheinlich, da sich die wissenschaftliche Arbeit, die solche Bedenken rechtfertigen könnte, möglicherweise gar nicht als durchführbar erweisen werde. Komplexe Interaktionen Ein von Avshalom Caspi und Mitarbeitenden im Juli in Science 60 veröffentlichter Artikel (siehe auch das Kapitel „Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten“ S. 65) hat die Neuroethiker besonders fasziniert. Darin wurde festgestellt, dass Leute mit einer bestimmten Variante des Serotonin-Transporter-Gens 5-HTT auf entscheidende Lebenskrisen eher mit einer Depression reagierten als jene mit einer anderen Variante. Jene mit der längeren Form des Gens produzierten in grösserer Menge ein Protein, das Serotonin aus den Synapsen entfernt, 51 was zu einer effizienteren Übertragung führt. Die kürzere Form produziert weniger von diesem Protein. Da der Mensch von jedem Gen zwei Kopien bekommt, je eine von jedem Elternteil, bestehen zahlreiche Permutationen – wobei festgestellt wurde, dass die Mehrheit der Bevölkerung über je eine Kopie der kurzen und der langen Form verfügt. Jene mit zwei langen Genen sind vor stressinduzierter Depression besonders gut geschützt ; jene mit zwei kurzen sind dafür besonders anfällig. Die genetischen Unterschiede scheinen jedoch nur dann einen entscheidenden Einfluss zu haben, wenn die Forschenden die Zahl der stressigen Lebenserfahrungen in Betracht zogen, die die Personen gemacht hatten. Der Artikel zeigte eindeutig auf, wie kompliziert die Interaktion von Genen und Umwelt ist und machte klar, dass neuroethische Entscheidungen bezüglich Screening und Intervention alles andere als einfach sein werden. Würden Eltern beispielsweise erfahren wollen, ob ihr ungeborenes Kind zwei Kopien der kurzen Form hat ? Wie könnten sie im Voraus wissen, mit welchem Stress ihr Kind dereinst konfrontiert wird ? Würde ein solches Kind später durch Arbeitgeber oder Versicherungen diskriminiert werden, falls es eine mit hohem Stress verbundene Stelle anstreben sollte ? Zu Recht ? Frühere Forschungsarbeiten derselben Gruppe warfen sogar noch kniffligere neuroethische Fragen auf 61. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass sich Leute mit einer bestimmten Genvariante, falls sie als Kinder missbraucht wurden, mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu gewalttätigen Erwachsenen entwickelten als jene mit einer anderen Form dieses Gens. Beim betroffenen Gen handelte es sich um das Enzym MAO-A, das mehrere unterschiedliche Neurotransmitter beeinflusst. „Macht“ dieses Gen aus Leuten, die als Kind missbraucht wurden, Missbraucher ? Falls ja, sollte das Rechtssystem dies berücksichtigen ? Wie ? Im Jahr 2003 kamen Teilnehmende der American Association for the Advancement of Science zum Schluss, die Gerichte sollten sich nicht mit solchen Fragen beschäftigen. Aber ähnliche Fragen werden sich sicher stellen. 52 Der Beschluss des obersten Gerichts in Sachen Sell vs. United States zeigte, dass sich das Justizsystem bereits mit neuroethischen Fragen auseinandersetzt, wenn es um Behinderungen geht, die auf Hirnkrankheiten beruhen. Es befasste sich mit der Frage, wann der Staat Angeklagte, die infolge ihrer Hirnkrankheit schuldunfähig sind, zu einer medizinischen Behandlung zwingen darf. Neuroethik Der Angeklagte, Dr. Charles Sell, ein in St. Louis lebender Zahnarzt, wurde des Versicherungsbetrugs bezüglich der Medicaid beschuldigt, aber wegen seines paranoiden Wahns als unzurechnungsfähig eingestuft. Obwohl man davon ausging, er stelle für niemanden eine Gefahr dar, wollte Missouri ihn zwangsbehandeln, um ihn dann strafrechtlich verfolgen zu können. Das Gericht befand, das staatliche Interesse, einen Betrug strafrechtlich zu ahnden, sei nicht so zwingend, dass es dazu berechtige, eine ungefährliche Person medizinisch zu behandeln. Sell, der bereits inhaftiert war und auf die Gerichtsverhandlung wartete, verbrachte mehr Zeit im Gefängnis, bis seinem Anspruch, sich nicht behandeln zu lassen, stattgegeben wurde als wenn er wegen der Betrugsklage verurteilt worden wäre. Verschiedene Neuroethiker, die sich nachträglich mit dem Fall befassten, hielten diese Entscheidung für richtig : Da Sell die geltende Norm für eine zwangsmässige psychiatrische Behandlung nicht erfüllte (die Person muss für sich selbst oder für andere eine Gefahr darstellen), wiegt das Interesse des Staates, einen Betrug zu ahnden nicht schwerer als das Recht des Patienten zu entscheiden, welche medizinische Behandlung er akzeptiert. Die durch Sell aufgeworfenen Fragen – ob es sich bei der medizinisch behandelten Person und bei der, die das Verbrechen begangen hat, um die gleiche Person handelt und wann der Staat das Recht hat, mittels Beeinflussung der Hirnchemie die Denkabläufe einer Person zu verändern – zeigen, dass die Gerichte bereits beginnen, sich den Herausforderungen der Neuroethik zu stellen. Die Leistung des Gehirns steigern Eine andere im Jahr 2003 veröffentlichte Forschungsarbeit warf die Frage der Leistungssteigerung auf, da Wissenschafter bekannt gaben, sie hätten einen Chip entwickelt, der die Funktion eines für das Gedächtnis entscheidenden Gebietes, des Hippocampus, ausüben könne 62. Zwar wurde der Chip nur an Hirnzellen von Ratten demonstriert – nicht einmal an einer lebenden Ratte – da aber Menschen über eine gleichartige Hirnregion verfügen, sind die Implikationen sowohl verheissungsvoll als auch erschreckend. Woran wir uns erinnern wollen – und was wir vergessen wollen – macht einen entscheidenden Teil unserer Persönlichkeit aus ; und die Art und Weise, wie wir diese Erinnerungen färben, beeinflusst auch unsere zukünftigen Entscheidungen. Wie könnten wir im Voraus wissen, wie ein ins Gehirn eingebauter mechanischer Gedächtnis-Chip unser Denken 53 und Fühlen beeinflusst ? Ist es denkbar, dass irgendjemand eine Einverständniserklärung abgibt, dies auszuprobieren ? Ethiker vermuten, dass eine hochgradige Steigerung des Gedächtnisses sich auf Intelligenz und Persönlichkeit insgesamt auswirken würde ; und dies legt nahe, dass jemand, der eine solche Leistungssteigerung ausprobieren würde, tatsächlich eine andere Person werden könnte. Welche Auswirkungen hätte dies auf Beziehungen – lässt sich das im Voraus ausreichend abschätzen, so dass die betroffenen Personen eine entsprechende Entscheidung treffen können ? Ähnliche Fragen werden bereits im Zusammenhang mit dem Einsatz von Medikamenten zur Behandlung der Alzheimerschen Krankheit aufgeworfen. Neuroethiker stellen fest, dass einige Medikamente, die bei der Alzheimerschen Krankheit verabreicht werden – ihre Wirkung ist allerdings gering – auch das Gedächtnis von nicht an dieser Krankheit Leidenden verbessern können. Neue Medikamente mit stärkerer Wirkung und wenig Nebenwirkungen könnten zweifellos ebenfalls zur Leistungssteigerung benutzt werden. Ethiker betonen, dass die Leistungssteigerung seit Urzeiten ein Charakteristikum der menschlichen Gesellschaft darstellt. Fast jeder Gebrauch von Substanzen, vom Kaffeetrinken bis zum Kokain, geht zumindest kurzfristig mit dem Gefühl einer Steigerung der Emotion einher, etwa dem Gefühl von Erregung, Kraft sowie erhöhter Motivation, und viele Substanzen steigern die Konzentrationsfähigkeit. Aber wir sind immer noch unsicher, wo wir die Grenze ziehen sollen ; und so streiten wir endlos über den Einsatz von Ritalin bei Schulkindern, nehmen Leute fest, weil sie bestimmte Substanzen konsumieren und verschreiben gleichzeitig andere, die ebenfalls mit spezifischen Gefahren verbunden sind. 54 Ein neues Stimulans, Modafinil (Provigil), wird von Neuroethikern aufmerksam verfolgt, da zu erwarten ist, dass es bald schon nicht mehr ausschliesslich bei Narkolepsie verschrieben wird – jener Schlafstörung für die es von der Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen wurde – sondern auch im Zusammenhang mit normaler Ermüdung. Diesem Szenario ist man im Jahr 2003 tatsächlich einen Schritt näher gekommen, als die FDA empfahl, die Zulassung so auszuweiten, dass die pharmazeutische Firma das Mittel auch für Schichtarbeiter Neuroethik anwenden dürfe, deren Schlaf infolge der Nachtarbeit gestört ist. Zwar ist bisher noch kein Schwarzmarkt dafür entstanden, doch weisen Ethiker darauf hin, dass seine potentielle Leistungssteigerung durchaus dazu führen könnte. Klinische Fragen, kritische Entscheidungen Auch die Diskussion über die Grenzen der neuen Disziplin Neuroethik geht weiter. Einige sind der Ansicht, die klinische Neuroethik werde vernachlässigt. Die meisten Konferenzen und Diskussionen z. B. befassten sich mit den ethischen Implikationen von Fortschritten im Bereich der Neurowissenschaft, und vernachlässigten die Fragen, was für Patienten und ihre Familien getan werden sollte, die vor der Entscheidung stehen, wie Hirnkrankheiten behandelt (und wann sie nicht behandelt) werden sollten. Neuroethiker betonen, ethische Fragen im Zusammenhang mit einer Leistungssteigerung des Gehirns seien zurzeit viel dringlicher als jene, die mit Genetik zusammenhängen. Zwar würden die Vorstellung, menschliche Gene zu verbessern und die mit dieser Möglichkeit verbundenen ethischen Implikationen allgemein diskutiert, doch seien die verfügbaren Techniken noch weit davon entfernt, solches Realität werden zu lassen. Die Komplexität der Gen-Umwelt-Interaktionen, wie sie etwa in den Untersuchungen über Depression und Gewalttätigkeit deutlich wurde, zeigt, dass wir noch lange nicht in der Lage sein werden, glücklichere, gescheitere und nettere Menschen zu herzustellen. Aber Provigil, Ritalin und andere Medikamente zur Funktionssteigerung des Gehirns existieren schon heute – und führen unter Ethikern bereits zu Meinungsverschiedenheiten. 55 Schmerz Opiate ohne die Schattenseite der Atemhemmung 58 Die Stimulierung von CB2-Cannabinoid-Rezeptoren lindert neuropathischen Schmerz 59 Gen-Therapie zur Schmerzbekämpfung 60 Geschlechtsunterschiede bei Schmerz und Analgesie erklärt 62 57 D ie medizinische Forschung sucht intensiv nach besseren Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung. Die Schmerzforschung versucht, dieses Ziel auf viele Weisen zu erreichen und macht dabei ermutigende Fortschritte; doch erinnert uns die grosse Vielfalt ihrer Ergebnisse auch daran, wie kompliziert und facettenreich Schmerz ist. Die bemerkenswerten Erfolge des vergangenen Jahres stützen diese Aussage. Ein Ergebnis weist darauf hin, wie bei einer Überdosis Morphin eine Atemhemmung verhindert werden kann ; ein anderes deckt einen Zusammenhang zwischen Schmerz, dem Immunsystem und einem bestimmten Rezeptortyp auf, der mit Marihuana zusammenhängt ; ein drittes demonstriert ein neues Schema, wie sich Gentherapie zur Schmerzbekämpfung einsetzen lässt. Ausserdem gab es 2003 eine Entdeckung, mit der sicher niemand gerechnet hatte : der Zusammenhang zwischen Schmerz, Geschlecht und – wer hätte das gedacht – roten Haaren. Opiate ohne die Schattenseite der Atemhemmung Opiate sind ausgezeichnete Schmerzmittel, aber mit dem Risiko behaftet, die Atmung zu verlangsamen oder gar völlig zu unterdrücken. Der Neurowissenschafter Diethelm Richter von der Universität Göttingen, Deutschland, versuchte herauszufinden, ob er die schmerzlindernden Wirkungen des verbreiteten Opiats Fentanyl von der potentiell gefährlichen Atemdepression trennen könnte, von der angenommen wird, sie sei für viele Todesfälle im Verlauf der Rettungsaktion von Geiseln in einem Moskauer Theater im Jahr 2003 verantwortlich gewesen. Zusammen mit seinem Team begann er, eine kleine Region im Hirnstamm von Ratten zu untersuchen, die für die Generation der neuralen Aktivität der Atmung verantwortlich ist, den Prä-Bötzinger Komplex (pre-Botzinger complex, PBC). Dort fanden sie Serotoninrezeptoren – der endogene Neurotransmitter Serotonin beeinflusst bekanntlich die Aktivität des Atmungszentrums – und Mü-Opiat-Rezeptoren, bei denen man davon ausging, dass sie mit der Mü-Opiat-Schmerzleitung interagieren. Sie entdeckten, dass der Einsatz eines Agonisten, um einen Subtyp des Serotoninrezeptors, 5-HT4(a) zu aktivieren, die durch Fentanyl induzierte Atemdepression verhinderte, ohne dessen schmerzlindernde Wirkung zu verringern. 58 In diesen Experimenten behandelten sie Ratten mit dem 5-HT4(a)-Agonisten BIMU8. Zuerst verifizierten sie, dass durch Fentanyl aktivierte Mü-Opiat-Rezeptoren zu Schmerzunempfindlichkeit führten (nachgewiesen Schmerz durch einen üblichen Schmerztest, bei dem der Schwanz einer Ratte einem Hitzestimulus ausgesetzt wird) und die Atmung hemmten. Dann gingen sie der Frage nach, ob eine Aktivierung der 5-HT4(a)-Rezeptoren den durch Fentanyl induzierten Atemstillstand verhindern könnte. Tatsächlich : BIMU8, das den Ratten nach Fentanyl verabreicht wurde, stellte wieder eine stabile Atemtätigkeit her. Und schliesslich untersuchten sie, ob die Behandlung mit BIMU8 nach der Verabreichung von Fentanyl die schmerzlindernde Reaktion zunichte machte, und stellten fest, dass dies nicht der Fall war. Ihre im Juli in Science 63 publizierten Experimente zeigen, dass es möglich ist, bei den Wirkungen eines Opiat-Schmerzmittels Feinabstimmungen vorzunehmen. Richter vermutet, dass für den Menschen entwickelte selektive 5-HT4(a)-Serotonin-Agonisten bei einer Opiat-Überdosis die Atmung wieder herstellen und chronische Schmerz-Patienten, die Opiate hoch dosiert einnehmen, vor einer Atemdepression schützen können. 5-HT4(a)-Agonisten könnten auch nach einer in Opiatnarkose durchgeführten Operation die spontane Atmung der Kranken wieder herstellen. Die Stimulierung von CB2-Cannabinoid-Rezeptoren lindert neuropathischen Schmerz CB1-Rezeptoren sind Cannabinoid-Rezeptoren innerhalb des Zentralnervensystems (ZNS) ; ausserhalb gibt es CB2-Rezeptoren, die sich auf peripheren Immunzellen und Mastzellen befinden. THC, der aktive Bestandteil von Cannabis sativa oder Marihuana, stimuliert beide Rezeptortypen ; seine allgemein bekannte sedierende und euphorisierende Wirkung beruht auf der Stimulierung von CB1-Rezeptoren im ZNS. Von neuropathischem Schmerz, der bei krankhaften Vorgängen von peripheren Nerven wie etwa bei Diabetes auftritt, sind etwa 1-2% der Bevölkerung betroffen. Trotz dieser weiten Verbreitung war eine wirksame Behandlung bisher kaum möglich. Die gegen neuropathischen Schmerz verfügbaren Medikamente wirken über das ZNS und können unerwünschte Nebenwirkungen wie Schwindel und Schläfrigkeit hervorrufen. Philip Malan von der Universität Arizona wusste, dass eine gezielte Wirkstofffreisetzung an den Cannabinoid-Rezeptoren neuropathischen Schmerz lindert, aber manchmal unerwünschte Wirkungen im ZNS verursacht. Deshalb dachte er, ein Medikament, das auf Schmerzrezeptoren ausserhalb des ZNS einwirke, könnte diese Nebenwirkungen nicht aufweisen. 59 Wie Malan und sein Team im August in Proceedings of the National Academy of Sciences 64 berichteten, hatten sie an einem experimentellen Mäusemodell für neuropathischen Schmerz ein schmerzstillendes Mittel namens AM1241 getestet, das von Alex Makriyannis von der Universität Connecticut entworfen und synthetisiert worden war. Dabei entdeckten sie, dass AM1241 bei Mäusen chirurgisch induzierten neuropathischen Schmerz aufhob. Im Weiteren stellten sie fest, dass ein CB2-RezeptorAntagonist die Schmerzhemmung durch AM1241 blockierte, während dies bei einem CB1-Rezeptor-Antagonisten nicht der Fall war. Dies war ein Hinweis darauf, dass CB2-Rezeptoren die durch AM1241 bewirkte Schmerzfreiheit vermitteln. Sie verstehen zwar noch nicht genau, wie AM1241 wirkt, vermuten aber, dass es über die Aktivierung von CB2-Rezeptoren die Freisetzung von schmerz-sensibilisierenden Substanzen aus den umliegenden Mast- und Immunzellen verhindert und so die Empfindlichkeit der afferenten Neuronen vermindert. Bemerkenswert ist dabei, dass sie keinerlei Hinweise dafür fanden, dass AM1241 die Immuntätigkeit hemmt, obwohl der CB2Rezeptor auf Immunzellen vorkommt. Malan untersuchte AM1241 bei zwei anderen Arten von Schmerz – dem entzündungsbedingten und dem nozizeptiven – und stellte fest, dass es auch bei diesen wirksam war. (Schmerz und weitere Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung und Wärme werden durch biochemische Reaktionen innerhalb der Blutgefässe in der Umgebung von verletztem Gewebe hervorgerufen. Nozizeptiver Schmerz, üblicherweise ein dumpfer Schmerz, ist auf einen krankhaften Vorgang oder eine Verletzung ausserhalb des Nervensystems zurückzuführen – im Gegensatz zum neuropathischen Schmerz von geschädigtem Nervengewebe.) Malan stellte fest, dass viele Schmerzzustände, etwa der Krebsschmerz, aus mehr als einem Schmerztyp zusammengesetzt sind. Ein Schmerzmittel wie AM1241, das gegen neuropathischen und andere Schmerztypen wirksam ist, würde, wenn es der Überprüfung an Menschen standhält, einen enormen Fortschritt darstellen. Inzwischen haben Malan und seine Mitarbeitenden vor, AM1241 an weiteren Tiermodellen für Schmerz zu testen, etwa dem viszeralen Schmerz, der bei der entzündlichen Darm-Krankheit vorkommt. Gen-Therapie zur Schmerzbekämpfung 60 Eine Schmerzbehandlung mittels Gentherapie könnte es Patienten ermöglichen, mit kleineren Mengen von Opiaten auszukommen, was mit weniger Schmerz Nebenwirkungen, einer längeren Wirksamkeit und einer kleineren Wahrscheinlichkeit der Toleranzentwicklung verbunden sein könnte. In einer Forschungsarbeit, die im Mai in Proceedings of the National Academy of Sciences 65 veröffentlicht wurde, haben Li-Yen Mae Huang und Mitarbeitende von der University of Texas Medical Branch in Galveston einen Schritt in diese Richtung getan. Frühere von anderen Forschenden an Tieren durchgeführte Experimente mit Gentherapie lieferten Vorläufer-Gene für Opiat-Peptide und bewirkten eine Schmerzlinderung von bis zu 8 Wochen – allerdings verbunden mit einer gewissen Toxizität. Huang und ihr Team hofften sowohl die Nebenwirkungen als auch die Wirksamkeit verbessern zu können. Ihr Ansatz war, Schmerzfreiheit nicht direkt über Vorläufer-Gene zu bewirken, sondern über die Erhöhung der Zahl von Mü-Opiat-Rezeptoren eine Schmerzlinderung bereits durch niedrig dosierte Opiate zu ermöglichen. Als Gentherapie-Vektor wählte das Team ein rekombinantes adenoviralassoziiertes Virus (rAAV), da es eine relativ kleine Toxizität aufweist und eine lang anhaltende Genexpression sicherzustellen vermag. Indem sie den rAAV-Gentherapie-Vektor mit dem Mü-Opiat-Rezeptor-Gen (MOR) und nicht mit einem Gen für ein schmerzlinderndes Opiat-Peptid koppelten, hofften sie, eine Toleranzentwicklung und Atemdepression vermeiden zu können. Mittels Gentherapie führte Huang das MOR-Gen zusammen mit einem Neuronen spezifischen Promoter direkt in die Spinalganglien (dorsal root ganglia, DRG) von Ratten ein. Präsynaptische Neuronen der DRG leiten Schmerzsignale über das Hinterhorn des Rückenmarks zum Gehirn. Um den Einfluss des MOR-Gens auf die Schmerzreaktion der Ratten festzustellen, wurden die Tiere einem Test mit Wärmestimulation der Pfoten unterzogen. Huang stellte fest, dass die MOR-Gentherapie eine langfristige Genexpression in DRG-Neuronen bewirkte, was die schmerzlindernde Wirkung von Morphin bei durch thermische Stimuli hervorgerufenen Schmerzen deutlich verbesserte. Huang weist darauf hin, dass Gentherapie zur Schmerzlinderung bei Menschen durchgeführt werden kann, wobei jedoch der besseren Zugänglichkeit und Sicherheit wegen das Gen in den Ischiasnerv und nicht in das DRG appliziert werden sollte. Von einem solchen genetischen Verfahren der Schmerzbekämpfung könnten Patienten profitieren, die an 61 chronischen Krebs-Schmerzen oder anderen Erkrankungen leiden, die eine Langzeittherapie mit Opiaten nötig machen. Geschlechtsunterschiede bei Schmerz und Analgesie erklärt Es ist eine verbreitete ärztliche Erfahrung, dass Männer und Frauen Schmerz unterschiedlich erleben. Beispielsweise wurde festgestellt, dass gewisse Schmerzmittel bei Frauen anscheinend wirksamer sind als bei Männern. In einer überraschenden neuen Forschungsarbeit identifizierte Jeffrey Mogil von der McGill-Universität in Montreal ein Gen, das einen der geschlechtsspezifischen neuralen Mechanismen steuert, die diesen Unterschieden zugrunde liegen. Vor zehn Jahren hatte Mogil entdeckt, dass männliche und weibliche Mäuse Schmerz über zwei unterschiedliche Systeme verarbeiten. Er fand heraus, dass ein experimentelles Medikament, MK-801, stressinduzierte Schmerzunempfindlichkeit bei männlichen Mäusen aufzuheben vermochte, nicht aber bei weiblichen. Demnach verfügten die Weibchen über ein separates System der Schmerzverarbeitung. Anschliessend wies er nach, dass das spezifisch weibliche Schmerzverarbeitungssystem durch zirkulierende Östrogenhormone ein- bzw. ausgeschaltet wird. In seiner neuesten Forschungsarbeit, die im April in Proceedings of the National Academy of Sciences 66 veröffentlicht wurde, untersuchte er ein weiteres geschlechtsabhängiges Schmerzverarbeitungssystem. Er und sein Team gingen den Geschlechtsunterschieden der Kappa-Opiat-Schmerzmittel nach, die vielen Berichten zufolge bei Frauen wirksam sind, nicht aber bei Männern. Aufgrund der Genkartierung ordneten sie die KappaOpiat-Schmerzverarbeitung dem Melanocortin-1-Rezeptor (MC1R)-Gen zu, das bei Mäusen auf Chromosom 8 lokalisiert ist. Dieser Rezeptor war bereits wohl bekannt, jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang : Er beeinflusst beim Menschen die Haar- und Hautfarbe und bei Mäusen die Farbe des Fells. 62 Mogils Team entdeckte, dass MC1R nur bei Weibchen die Kappa-OpiatSchmerzhemmung vermittelt. Sie testeten männliche und weibliche Mäuse mit Pentazocin, einem Kappa-Opiat, das bei ischämischem und thermischem Schmerz wirkt. MC1R-Genvarianten beeinflussten die Schmerzlinderung durch Pentazocin, jedoch nur bei Weibchen. Schmerz Bezüglich beider Arten von Schmerz war die Schmerzlinderung durch Pentazocin ausgeprägter bei rothaarigen und hellhäutigen Frauen mit zwei Varianten von MC1R-Allelen als bei jeder anderen Gruppe. Ganz allgemein zeigt Mogils Arbeit, die potentielle Bedeutung der Pharmakogenetik : dass nämlich die genetische Information über Patienten Ärzte helfen kann, das richtige Medikament zu verschreiben. Und aufgrund derselben Überlegung könnten neue Erkenntnisse über die Genetik der Schmerzkontrolle zur Entwicklung von Medikamenten beitragen, die bei besonderen Populationen eine bessere Wirkung zeigen. 63 Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten Depression 66 Manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie 67 Essstörungen 67 Alkoholismus 68 Nikotinabhängigkeit 68 Kokainabhängigkeit 69 Heroinabhängigkeit 70 Das Rätsel des Rückfalls 70 65 P sychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten stellen für das amerikanische Gesundheitswesen eine grosse Herausforderung dar. Jedes Jahr entwickeln schätzungsweise 5-7% der Erwachsenen und 5-9% der Kinder eine schwere Geisteskrankheit oder eine ernsthafte emotionale Störung, und insgesamt sind psychiatrische Erkrankungen heute in den USA die Hauptursache für Invalidität. Zudem zeigen zwei im November 2003 veröffentlichte Untersuchungen auf, dass Drogenmissbrauch oft mit anderen medizinischen oder psychiatrischen Störungen einhergeht 67, 68. Glücklicherweise wird die Forschung weiterhin gut finanziert; das Jahr 2003 konnte Erfolge verzeichnen, was das Verständnis und die Behandlung einiger Geisteskrankheiten anbelangt, sowie ständige Fortschritte in anderen Bereichen und auch faszinierende neue Erkenntnisse. Depression Eine von Ronald Kessler und Mitarbeitenden an der Harvard Medical School erarbeitete epidemiologische Bestandesaufnahme ergab, dass die Prävalenz schwerer depressiver Störungen im Verlauf eines Lebens in den USA 16,2 % beträgt – also jede sechste Person – bzw. in jedem Jahr 6,6 % 69. Diese Ergebnisse, die auf der direkten Befragung von über 9000 Erwachsenen beruhen, führten die universitäre Abteilung für Gesundheitsversorgung zum Schluss, schwere depressive Erkrankungen seien „in der Bevölkerung weit verbreitet und im Allgemeinen mit ernsthaften Symptomen und Funktionseinbussen verbunden“. Die Autoren empfehlen, ergänzend zum bereits intensiv durchgeführten Screening für Depression und ihrer immer umfassenderen Behandlung sollten auch Anstrengungen unternommen werden, um die Behandlungsqualität zu verbessern, ein Gebiet, das weitere Forschung erfordert. 66 Eine im Juli 2003 veröffentlichte Studie illustriert gut, wie die Lebensbedingungen eines Menschen und genetische Faktoren zusammenwirken können und so die Entstehung einer psychischen Erkrankung, in diesem Fall eine Depression, verursachen (vgl. auch das Kapitel „Neuroethik“, S. 49). A. R. Hariri vom National Institute of Mental Health und Mitarbeitende erforschten die Auswirkungen einer genetischen Variation, die im Jahr zuvor auf dem Serotonin-Transportergen lokalisiert worden war. (Es handelt sich dabei um den Transporter, dem die entscheidende Aufgabe zukommt, den Neurotransmitter Serotonin aus dem sie umgebenden Raum in die Zelle hinein zu pumpen.) Der Promotorbereich dieses Gens existiert sowohl als kurzes als auch als langes Allel und frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass Leute mit zwei Kopien des kurzen Allels Manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie Schizophrenie und die manisch-depressive Erkrankung, die je bei 1% einer jeden Population vorkommen, werden üblicherweise als zwei verschiedene Krankheiten angesehen. Nun hat allerdings eine von Dmitri Tkachev und Mitarbeitenden am Babraham Institute in Cambridge, England, durchgeführte Studie gezeigt, dass sie in Bezug auf die Genexpression erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen 72. Die Autoren verwendeten eine Methode, die als Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) bezeichnet wird, sowie Microarray-Analyse und führten eine postmortem Untersuchung an 45 zur Verfügung gestellten Gehirnen durch : 15 stammten von Personen mit einer manisch-depressiven Erkrankung, 15 von solchen mit einer Schizophrenie und 15 von Kontrollpersonen. Im Gehirn der schizophrenen und der manisch-depressiven Kranken fanden sie im Vergleich zum Gehirn der Kontrollpersonen eine beträchtliche Reduktion jener Gene, die für die Produktion von Myelin verantwortlich sind, jenem fetthaltigen Material, das Nervenfasern isoliert ; sie stellten auch signifikant tiefere Spiegel jener Proteine fest, die durch diese Gene synthetisiert werden. Diese Reduktion war ähnlich im Gehirn von schizophrenen und manisch-depressiven Kranken. Diese Korrelationen sind deutliche Hinweise dafür, dass manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie zumindest teilweise eine gemeinsame genetische Ursache haben – eine, die es noch intensiv zu erforschen gilt. Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten allgemein dazu neigen, mehr Angst zu haben als die Heterozygoten oder als die Träger von zwei Kopien des langen Allels 70. Träger des kurzen Allels reagieren auf angsterregende Stimuli auch mit einer grösseren Aktivität in der Amygdala, jener Hirnregion, die für unsere Reaktion auf Gefahr zuständig ist. Die Untersuchung aus dem Jahr 2003 71 ergab, dass diese genetische Variation einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob stresshafte Lebensereignisse bei jemandem depressive Symptome, eine schwere Depression oder Suizidneigungen verursachen. Essstörungen Gene, die mit Anorexia nervosa verknüpft sind, fanden im Jahr 2003 grosse Aufmerksamkeit. Eine von Andrew Bergen und Mitarbeitenden durchgeführte Linkage-Analyse rückte das Serotonin 1D Rezeptorgen (HTR1D) und das Opiat Delta Rezeptorgen (OPRD1) in den Mittelpunkt, die beide auf Chromosom 1 lokalisiert sind 73. Diese Ergebnisse bestätigen frühere Hinweise darauf, dass die Neurotransmittersysteme für Serotonin und für opiatartige Peptide bei der Entstehung von Essstörungen eine 67 wichtige Rolle spielen. Bezüglich der Bulimia nervosa deutete eine von Cynthia M. Bulik und Mitarbeitenden durchgeführte Linkage-Analyse auf ein Gen oder auf mehrere Gene auf Chromosom 14q hin, und möglicherweise auf ein weiteres auf Chromosom 10p 74. Der Hinweis auf Chromosom 10p passt besonders gut zum bereits bekannten Vererbungsmuster von selbst herbeigeführtem Erbrechen, einem für Bulimie charakteristischen Verhalten. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass dieser Bereich von Chromosom 10 ein Gen enthält, das Personen für Bulimie anfällig machen könnte, wobei es jedoch nicht zwingend ist, dass sie die Störung tatsächlich entwickeln. Alkoholismus Ein Warnzeichen für möglichen Alkoholismus ist die Fähigkeit einer Person „trinkfest“ zu sein oder wissenschaftlich ausgedrückt, auf Alkoholeinnahme nur wenig zu reagieren. Dieses Merkmal beruht auf dem Metabolismus der betreffenden Person und den Reaktionen ihres Gehirns auf Ethanol, Faktoren, die ihrerseits von Genen bestimmt werden. Im Allgemeinen weisen Personen, die sich später zu Alkoholikern entwickeln, bereits früh eine Alkoholtoleranz auf und niedrige Dosen zeigen bei ihnen wenig Wirkung. Um die Suche nach den für eine geringe Reaktion auf Alkohol verantwortlichen Genen einzugrenzen, unterzogen Kirk Wilhelmsen vom Ernest Gallo Clinic and Research Center 139 Geschwisterpaare im frühen Erwachsenenalter einem Screening bezüglich neun chromosomalen Regionen ; das deutlichste Resultat betraf Regionen auf den Chromosomen 10, 11 und 22 75. Dieser Befund bildet erst den Anfang der Suche, denn jede chromosomale Region umfasst durchschnittlich etwa 200-300 Gene und davon dürften vermutlich nur wenige mit der Reaktion des Gehirns auf Alkohol zu tun haben. Das Gallo-Forscherteam hofft, die Suche werde sie zu einem Gen oder mehreren Genen führen, deren Funktionen bereits mindestens teilweise bekannt sind ; andernfalls werden die Wissenschafter alle Gene in den drei oben genannten Regionen systematisch untersuchen. Nikotinabhängigkeit 68 Bekanntlich haben die meisten langjährigen Raucher diese Gewohnheit während der Adoleszenz begonnen. Woran liegt es, dass sich eine Nikotinabhängigkeit in den Jahren vor dem Erwachsenwerden besonders leicht entwickelt ? Eine neue, am Duke University Medical Center durchgeführte Forschungsarbeit verwendete Ratten als Tiermodell, um herauszufinden, ob die Selbstverabreichung von Nikotin variiert, je nach dem in welchem Kokainabhängigkeit Eine neue Perspektive zur Behandlung der Kokainabhängigkeit eröffnete sich von einer ganz unerwarteten Seite, nämlich durch ein Medikament, dass zurzeit in vielen Ländern zur Behandlung epileptischer Anfälle verwendet wird. In den USA wurde Gamma-Vinyl-GABA (GVG) zwar für diese Anwendung noch nicht freigegeben, doch erforscht wird es schon seit langem, da es die Dopaminkonzentration in bestimmten Hirnbereichen reduziert und sowohl das auf Kokain ausgerichtete Verhalten hemmt als auch die Schwelle für Belohnung erhöht, welche durch Kokain induziert wird. Nun wurde in Baja California, Mexiko, unter der Leitung von Jonathan Brodie an einer kleinen Gruppe von Erwachsenen, die während mindestens drei Jahren täglich Kokain konsumiert hatten, eine von den USA gesponserte klinische Studie durchgeführt, bei der eine psychosoziale Therapie mit täglich zweimaliger Abgabe von GVG gekoppelt wurde ; Ziel war es, mindestens 28 Tage auf Kokain zu verzichten 78. Acht der 20 Versuchspersonen übertrafen das Ziel und lebten während 46 bis 58 Tagen kokainabstinent ; vier weitere gaben das Kokain zwar nicht ganz auf, reduzierten ihren Konsum jedoch um 50-80 % und gaben an, die Droge vermittle ihnen nicht mehr das gewohnte Hochgefühl. Bemerkenswert ist, dass jene acht Personen, die das 28-Tage-Ziel überboten, berichteten, GVG hätte ihr Verlangen nach Kokain innert zwei bis drei Wochen völlig beseitigt – ein Effekt, der sogar während der „Schlussphase“ der Studie anhielt, als die Dosierung von GVG allmählich auf Null reduziert wurde. Diese Kleinstudie zeigt die Wirksamkeit von GVG in Kombination mit psychosozialer Beratung auf und macht deutlich, dass es beim Kampf Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten Alter die Substanz erstmals eingenommen wird. Forschende unter der Leitung von Edward Levin wiesen in einer Reihe von Experimenten nach, dass das Alter, in dem Ratten mit dem Nikotinkonsum begannen, tatsächlich einen entscheidenden Einfluss hatte 76. Adoleszente (54-62 Tage alt) nahmen beinahe doppelt so viel Nikotin zu sich wie Adulte (84-90 Tage alt) und behielten dieses höhere Quantum dann auch im Erwachsenenalter bei. Die Forschenden nehmen an, der Weg zur Abhängigkeit werde durch den stärkeren Konsum der Adoleszenten gebahnt. In einer anderen Untersuchung befassten sich Kimberly Horn und Mitarbeitende mit Adoleszenten, die versuchten das Rauchen aufzugeben ; sie fanden heraus, dass das Resultat vom Ausmass der körperlichen Nikotinabhängigkeit einer Person abhängt : Während eine kurze Selbsthilfeaktion bei nur leicht abhängigen Rauchern wirksam war, sprachen Personen mit einer starken Abhängigkeit besser auf ein intensives Kursprogramm mit mehreren Sitzungen an 77. 69 gegen Missbrauch und Abhängigkeit ganz entscheidend darum geht, das Verlangen nach der Droge zu beseitigen. Als Nächstes sollte, so die Autoren, ein grösserer, Placebo kontrollierter Doppelblindversuch folgen. Heroinabhängigkeit Auch in der Behandlung der Heroinabhängigkeit stösst eine überraschende neue Perspektive auf beachtliches Interesse : Bei abhängigen Personen, die mit Methadon allein ohne Erfolg behandelt wurden, scheint der überwachte Konsum von Heroin und Methadon substantielle Verbesserungen der körperlichen, mentalen und/oder sozialen Funktionsfähigkeit (einschliesslich einer signifikanten Abnahme des kriminellen Verhaltens) zu bewirken. In einer in den Niederlanden unter der Leitung von Wim van den Brink 79 durchgeführten multizentrischen Studie wurden 549 Heroinabhängige zufällig einer von drei Gruppen zugeteilt : Gruppe A erhielt während 12 Monaten nur Methadon, Gruppe B erhielt Methadon plus Heroin (entweder als Injektion oder als Inhalation) und Gruppe C erhielt 6 Monate lang nur Methadon und anschliessend 6 Monate lang Methadon plus Heroin. Unabhängig davon, ob das Heroin injiziert oder inhaliert wurde, war die Kur mit Methadon plus Heroin signifikant wirksamer als die Behandlung mit Methadon allein und erwies sich als ebenso sicher. Die kombinierte Behandlung bleibt umstritten, sollte jedoch unbedingt weiter erforscht werden. Das Rätsel des Rückfalls 70 Was geschieht im Gehirn, wenn mit dem Drogenkonsum assoziierte visuelle oder auditive Auslöser ehemals Abhängige zu einem Rückfall verleiten ? Unter der Leitung von Udi E. Ghitza trainierten Psychologen an der Rutgers University Ratten darauf, einen bestimmten musikalischen Ton mit der Selbstverabreichung von Kokain zu assoziieren ; dann, nach drei- bis vierwöchiger Abstinenz, kontrollierten die Forschenden mittels EinzelNeuron-Ableitungen die Reaktion in einem Hirnbereich, der mit Sucht in Verbindung gebracht wird, dem so genannten Nucleus accumbens 80. Die Neuronen des Nucleus accumbens reagierten nur auf den mit der Droge assoziierten Ton und zwar ebenso stark, wie vor der langen Abstinenzperiode – obwohl die Ratten die Erfahrung machten, dass die Betätigung des Hebels, der sie ursprünglich mit Kokain belohnt hatte, jetzt nur Salzwasser lieferte. Die Identifizierung jener spezifischen Neuronen, die Assoziationen speichern, welche einen Rückfall auslösen, könnte den Weg zu einer zielgerichteten Behandlung der Abhängigkeit und zur Prävention von Rückfällen ebnen. Störungen der Sinnesund Körperfunktion Stabilität und Instabilität im visuellen System erkennen 72 Die Retina als Verarbeitungsstation 72 Die Übertragung des Signals vom Auge zum Hirn 74 Kartierung von funktionellen Regionen in den visuellen Systemen 75 Die zirkadiane Uhr stellen 76 71 I m Bereich der Sinnes- und Körperfunktion stand im Jahr 2003 die Erforschung des Sehens im Vordergrund ; es kam zu neuen Erkenntnissen darüber wie das visuelle System verschaltet ist, welche Aufgabe die Retina bei der Signalverarbeitung erfüllt und wie verschiedene Regionen der Grosshirnrinde unterschiedliche visuelle Signale verarbeiten. Stabilität und Instabilität im visuellen System erkennen Im Jahr 2000, 40 Jahre nachdem Michael May im Alter von drei Jahren auf beiden Augen erblindet war, wurde bei ihm eine kombinierte Transplantation von Stammzellen des Limbus und der Hornhaut im rechten Auge durchgeführt. Heute kann er mit diesem Auge sehen, aber auch zwei Jahre nach der Operation ist seine visuelle Wahrnehmung mangelhaft. Er erkennt zwar Bewegung, Farbe und einfache Umrisse, jedoch keine komplizierten oder dreidimensionalen (3-D) Formen. Er hat Mühe, Gegenstände oder Gesichter zu erkennen. Die seit der Operation festgestellte Besserung seiner visuellen Fähigkeiten beruht grösstenteils auf kognitiven Fortschritten und nicht auf Steigerungen der visuellen Verarbeitung per se ; dies wird in einem Bericht über die Genesung und den funktionellen Status von May beschrieben, den Ione Fine und Mitarbeitende an der University of Southern California veröffentlicht haben 81. Zwar hat May gelernt, das Gesehene besser zu interpretieren, doch sind viele der visuellen Verarbeitungssysteme, über die er verfügt hatte bis er mit 3 Jahren seine Sehfähigkeit verlor, im Verlauf der 40 Jahre, in denen er sie nicht benutzen konnte, zugrunde gegangen und bilden sich nicht neu. Die Untersuchung der von May gemachten Fortschritte gibt Fachleuten die seltene Gelegenheit herauszufinden, welche Teile des Gehirns fest verkabelt sind oder sich in der frühen Kindheit entwickeln, und welche weiterhin auf Inputs aus der Umwelt angewiesen sind, um normal zu funktionieren. Im Fall von May wurde deutlich, dass unterschiedliche Teile des visuellen Systems in unterschiedlichen Zeitperioden zugrunde gehen – dies hatte niemand erwartet. Die Verarbeitung von Bewegung beispielsweise scheint im Alter von dreieinhalb Jahren voll entwickelt zu sein und sie überdauert auch eine 40 Jahre lange Deprivation. Im Gegensatz dazu, ging die Fähigkeit, Information über Gesichter visuell zu verarbeiten und diese zu erkennen ohne fortdauernde Stimulation verloren. Die Retina als Verarbeitungsstation 72 Das visuelle System besteht aus dem Auge als sensorischem Organ und aus den grösstenteils in der Grosshirnrinde gelegenen Verarbeitungsstrukturen. Licht dringt durch die Linse ein und wird in der Retina, die aus lichtempfindlichen Stäbchen und Zapfen zusammengesetzt ist, gebündelt. Die in diesen Photorezeptoren vorhandene Information wird an zwischengeschaltete Neuronen in der Retina, deren Existenz erst vor kurzem nachgewiesen wurde, und dann zu den Ganglienzellen der Netzhaut weitergeleitet, welche die Information ins Gehirn übermitteln. Diese zwischengeschalteten Neuronen scheinen der Retina bisher nicht vermutete Verarbeitungsfähigkeiten zu verleihen. Im Jahr 2003 entdeckten Markus Meister und Mitarbeitende an der Harvard Universität, dass die Interneuronen entscheidend dazu beitragen, dass ein Tier zwischen ruhenden und sich bewegenden Objekten unterscheiden kann. Diese Unterscheidung ist deshalb so kompliziert, da sich das Auge selbst dann, wenn das Tier bewusst ein Objekt oder einen Bereich in seiner Umgebung fixiert, in zufälligen kleinen Bewegungen hin und her bewegt. So muss das visuelle System irgendwie zwischen diesen kleinen zufälligen Bewegungen, die das Auge selbst generiert, und einer tatsächlich in der Umgebung auftretenden Bewegung unterscheiden, und dies selbst dann, wenn die Unterschiede subtil sind. Indem die Forschenden die speziellen Eigenschaften der visuellen Systeme mehrerer unterschiedlicher Wirbeltiere miteinander verglichen, erkannten sie, dass diese Aufgabe logischerweise der Retina selbst zufallen müsste 82. Um diese Möglichkeit zu untersuchen, mass das Team die elektrischen Impulse, die eine Ganglienzelle durchliefen, wenn der isolierten Netzhaut eines Salamanders oder eines Kaninchens entweder ein gestreiftes Hintergrundmuster präsentiert wurde, das sich in zufälliger Weise bewegte und so die intakten Bewegungen eines fixierten Auges imitierte, oder derselbe Hintergrund, auf dem ein kontrastreiches gestreiftes Objekt lag. Sie stellten fest, dass bei der blossen Bewegung des Hintergrunds kein Signal in die Ganglienzellen abgegeben wurde – als fände in diesem Sehfeld überhaupt keine Bewegung statt. Dasselbe geschah, wenn sich das Objekt und der Hintergrund in koordinierter Weise bewegten. Wenn sich aber Objekt und Hintergrund in einer nicht aufeinander abgestimmten Weise bewegten, feuerten die neuralen Ganglienzellen und zeigten so Bewegung an. Störungen der Sinnes- und Körperfunktion Allerdings wurde die Grenze zwischen der Aufnahme und Verarbeitung von Signalen in letzter Zeit weniger klar, nachdem festgestellt worden war, dass die im hinteren Augenabschnitt lokalisierte Retina nicht nur als Relaisstation dient, sondern auch selber Informationsverarbeitung initiiert. 73 Insgesamt schliessen die Forschenden aus diesen Beobachtungen, dass etwas in der Retina jede festgestellte Bewegung des Hintergrundes wirksam kompensiert. Als sie einige der intervenierenden Neuronen untersuchten, fanden sie, dass eine Zellklasse „polyaxonal“ ist, d. h. dass diese Zellen viele Projektionsbereiche des Axons haben, die sowohl ein enges Gebiet der Retina umfassen, was dem rezeptiven Feld der Zelle entspricht, als auch ein viel grösseres Gebiet der angrenzenden Retina. Sobald das polyaxonale Zwischenneuron sowohl im rezeptiven Feld als auch im weiteren Bereich der Retina eine kohärente Bewegung feststellt, sendet es einen inhibitorischen Impuls aus, der die Übertragung eines Signals an die Ganglienzelle blockiert und jede wahrgenommene Bewegung wirksam ausblendet. Falls das Zwischenneuron jedoch nur von einigen Axonen elektrische Impulse erhält, von anderen aber nicht, wird kein inhibitorisches Signal abgegeben und die retinale Ganglienzelle kann dem Hirn ein Warnsignal senden, dass sich irgendetwas im visuellen Feld bewegt. Die Übertragung des Signals vom Auge zum Hirn Sobald Licht auf der Netzhaut verarbeitet wird, senden retinale Ganglienzellen elektrische Signale an das corpus geniculatum laterale, CGL des Thalamus, der diese seinerseits an den primären visuellen Kortex (V1) der Grosshirnrinde weiterleitet, die erste wichtige Station der visuellen Verarbeitung. Von dort werden die neuralen Signale an die kortikalen Areale V2, V3, V4 und den mittleren temporalen (MT) Bereich weitergeleitet. Zwar war die allgemeine Verschaltung des visuellen Systems bereits bekannt, doch im Jahr 2003 konnte nachgewiesen werden, welchen Einfluss eine einzige retinale Zelle auf ein einzelnes Neuron im primären visuellen Kortex hat. Prakash Kara und R. Clay Reid von der Harvard Medical School massen gleichzeitig die elektrische Aktivität von Neuronenpaaren, einem in der Retina und einem im primären visuellen Cortex 83. Bei jedem Paar reagierten beide Zellen auf den selben Bereich des Gesichtsfelds und sind über zwei sequentielle Synapsen miteinander verbunden, von denen eine die retinale Ganglienzelle mit einer Relaiszelle im CGL verbindet und die andere diese Zelle an die V1-Zelle selbst anschliesst. Kara und Reid stellten fest, dass ein Aktionspotential einer retinalen Zelle für 3 % der Aktivität des V1-Neurons verantwortlich ist, was darauf hinweist, dass jede kortikale Zelle von etwa 30 CGL-Neuronen gleichzeitig Inputs erhält. 74 Im weiteren fand das Team heraus, dass ein einzelnes Aktionspotential in der Retina mit grösserer Wahrscheinlichkeit im visuellen Kortex exakt Kartierung von funktionellen Regionen in den visuellen Systemen Obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, welche Hirnregionen dafür verantwortlich sind, dass elektrische Impulse in ein Bild der Aussenwelt umgewandelt werden, ist immer noch unklar, wie und wo die einzelnen Aspekte der Bildverarbeitung erfolgen. Die Forschung ist weiterhin daran abzuklären, wie die Struktur der visuellen rezeptiven Felder von einzelnen Neuronen im Gehirn zu den charakteristischen Eigenschaften der visuellen Wahrnehmungen, also dem Sehen, führt. Zu diesem Thema erscheinen jedes Jahr viele wissenschaftliche Arbeiten, die jeweils eine spezifische Funktion einem lokalisierten Bereich im Kortex zuordnen ; zwei der diesjährigen Untersuchungen ragen als besonders interessante Beispiele heraus. Störungen der Sinnes- und Körperfunktion repliziert wird, wenn die retinale Zelle innert 4-9 Millisekunden wiederholt feuert. Diese Verstärkung durch paarweise Aktionspotentiale führt dazu, dass das visuelle System auf einen starken Input heftig reagiert und „störende“ Signale von schwachen visuellen Stimuli auf natürliche Weise ausfiltern kann. Dass kleine repetitive Segmente des sekundären visuellen (V2) Kortex, so genannte dünne Streifen, für die Wahrnehmung von Farbe verantwortlich sind, war bereits bekannt. In diesem Jahr berichteten Daniel J. Felleman und Mitarbeitende vom University of Texas Medical Center in Houston, sie könnten Gruppen von Zellen unterscheiden, die besonders stark auf verschiedene Farben reagierten 84. Beispielsweise reagiere eine Gruppe von Zellen intensiv, wenn in ihrem Gesichtsfeld gelb vorkomme, eine andere dagegen reagiere nur schwach auf gelb, jedoch stark auf grün. Ausserdem stellte das Team fest, dass die Zellgruppen innerhalb der dünnen Streifen in systematischer Weise angeordnet sind, wobei benachbarte Gruppen auf ähnliche Farben reagieren. Felleman hebt hervor, die Organisation der benachbarten Farben widerspiegle, wie wir Farbe wahrnehmen: Zellen, die auf purpur reagieren liegen nämlich in der Nähe von solchen, die auf rot und blau reagieren ; sie sind also weder zufällig angeordnet noch reflektieren sie die physikalischen Eigenschaften des Lichts, da sonst purpur und rot aufgrund der Verschiedenheit ihrer Wellenlängen an gegenüberliegenden Enden des Spektrums zu finden wären. Diese geordnete räumliche Organisation der Farbwahrnehmung in V2 entspricht dem, was in anderen Bereichen des visuellen Systems gefunden wurde, wo benachbarte Zellen ebenfalls eng miteinander verwandte Aufgaben und Charakteristika haben. 75 In einer weiteren Kartierungsstudie zeigten Forschende, dass Neuronen im mittleren temporalen (MT) Bereich des Gehirns, der bekanntlich zur Verarbeitung von Informationen über Bewegung und räumliche Tiefe beiträgt, auch detailliert darüber Informationen vermitteln, wie dreidimensionale Objekte in die Umgebung eingebettet sind 85. Primaten vermögen innerhalb von etwa hundert Fuss zu unterscheiden, wie weit das eine Auge von einem bestimmten Gegenstand entfernt ist und wie weit das andere. Zwar nehmen wir diese binokulare Disparität, wie dieser Unterschied genannt wird, nicht bewusst wahr, doch verwenden Neuronen im visuellen Kortex diese Information, um Entfernung und Tiefe im Gesichtsfeld abzuschätzen. Jerry D. Nguyenkim und Gregory C. DeAngelis von der Washington University Medical School in St. Louis, Missouri, stellten fest, dass bestimmte MT-Neuronen aktiv werden, wenn in dieser binokularen Disparität innerhalb des rezeptiven Felds der Zellen ein Gradient besteht oder eine Veränderung erfolgt. Mit anderen Worten, diese Neuronen sind besonders geeignet, die Neigung eines Objekts zu erkennen, etwa die Ecke eines Bilderrahmens auf einem Pult und eine Verdrehung, bei der die Oberfläche eines Objekts ein wenig auf die eine oder andere Seite verdreht ist. Ausserdem, werden einzelne MT-Neuronen, ebenso wie die farbempfindlichen Neuronen in V2, jeweils vorzugsweise von einem spezifischen Neigungs- oder Drehwinkel aktiviert. Betrachtet man also einen Bilderrahmen, der nur ein klein wenig aus der Vertikalen gekippt ist, wird eine Gruppe von Neuronen aktiviert, befindet sich jedoch die daneben liegende Fotografie in einer stärkeren Schieflage, so wird eine andere Gruppe von Neuronen aktiviert. Die Tatsache, dass das Team eine Selektivität auf Schieflage und Neigung feststellte, ohne dass der visuelle Stimulus in Bewegung war, weist darauf hin, dass MT bei der Bestimmung der 3-D-Struktur einer Situation ganz allgemein involviert ist, auch unabhängig von einer Bewegungsanalyse. Die zirkadiane Uhr stellen 76 Im Verlauf der letzten paar Jahre haben Wissenschafter in der Retina von Säugetieren einen neuen Typ von Photorezeptoren entdeckt. Zusätzlich zu den längst bekannten Stäbchen- und Zapfen-Rezeptoren, die für die visuelle Wahrnehmung verantwortlich sind, gibt es etwa 600 Photorezeptoren, die Melanopsin, ein photoreaktives Pigment, enthalten. Seit der Entdeckung dieser neuartigen Photorezeptoren wurde nachgewiesen, Mittels Gentechnik schalteten beide Teams das Melanopsin-Gen und damit die spezialisierten Photorezeptoren aus. Unter diesen Bedingungen zeigte sich, dass die Stäbchen- und Zapfen-Photorezeptoren die Funktion des Melanopsin-Rezeptors kompensieren können, indem sie als Ersatzsystem die nicht-visuellen Reaktionen auf Licht steuern. Störungen der Sinnes- und Körperfunktion dass die Melanopsin enthaltenden Zellen bei der Verarbeitung von Reaktionen auf Licht mitwirken, die nicht mit Bildern zusammenhängen ; dazu gehört etwa die Phasenverschiebung des zirkadianen Rhythmus eines Tieres und die durch Licht hervorgerufene Kontraktion der Pupille. Zwei Forschungsgruppen, die eine unter der Leitung von King-Wai Yau an der Johns Hopkins University und die andere unter John Hogenesch am Scripps Research Institute und dem Genomics Institute der Novartis Research Foundation in San Diego, fanden inzwischen unabhängig voneinander klare Hinweise, dass die Stäbchen- und Zapfen- sowie die Melanopsin-Photorezeptor-Systeme die einzigen sind, die es in der Retina gibt und gemeinsam für sämtliche durch Licht bedingten Verhaltensweisen verantwortlich sind 86, 87. Als die Forschenden anschliessend eine Mutation erzeugten, die bei diesen Tieren mit fehlendem Melanopsin auch das Stäbchen- und Zapfensystem beeinträchtigte, stellten sie fest, dass die Tiere praktisch überhaupt nicht mehr auf Licht reagierten. Ihre Aktivitätszyklen verkürzten sich auf etwas weniger als 24 Stunden, was für Mäuse typisch ist, die in konstanter Dunkelheit gehalten werden. Hielt man sie unter zyklischem Lichtbedingungen mit 8 Stunden Licht und 16 Stunden Dunkelheit, waren die Tiere zu zufälligen Zeiten aktiv ; Wildtyp-Mäuse, bei denen eines der beiden Rezeptorsysteme intakt ist, sind unter solchen Bedingungen nur während der dunklen Stunden aktiv. Ausserdem zeigten die mutierten Tiere keinerlei Pupillenreaktion auf Licht, obwohl das neurale System, das eine Puppillenkontraktion bewirkt, funktionsfähig war. Bei den einfachsten Systemen ist eine einzelne Funktion jeweils nur einem Zelltyp zugeordnet. Aber anstatt den einfachsten Weg einzuschlagen, versah die Evolution das visuelle System mit einem eleganteren und widerstandsfähigeren System und fügte in den Ablauf eine gewisse Redundanz sowie Funktionen ein, die einander ergänzen. 77 Stammzellen und Neurogenese Stammzellen-Debatte : Pluripotenz oder Verschmelzung 80 Neues „Stemness“-Gen identifiziert 82 Antidepressiva und Neurogenese im Gehirn 82 79 D er Nachweis, dass es Stammzellen (unreife Zellen, die sich theoretisch zu jedem Zelltyp entwickeln können) bei Erwachsenen gibt, hat Hoffnungen geweckt, dass diese Zellen zur Behandlung vieler Krankheiten, einschliesslich degenerativer Erkrankungen des Nervensystems verwendet werden können. Dadurch liessen sich sowohl die ethischen Probleme vermeiden, die mit der Verwendung von Zellen von Embryonen verbunden sind als auch Probleme der Gewebeabstossung bei Transplantaten von tierischen Zellen. Stammzellen-Debatte : Pluripotenz oder Verschmelzung Untersuchungen der letzten Jahre weisen auf eine hohe Anpassungsfähigkeit von Stammzellen, die so genannte Pluripotenz, hin und zeigen, dass dem Knochenmark entnommene Zellen, Lebergewebe wieder besiedeln oder Neuronen im Gehirn generieren können. Die Forschung hat jedoch eine neue Wende genommen, denn verschiedene Berichte stellen die Idee der Pluripotenz in Frage und nehmen an, dass Stammzellen zwar verschiedene Gewebearten hervorbringen können, dass sie dies aber durch die Verschmelzung mit bestehenden Zellen des Gewebes tun und nicht durch einen geänderten Verlauf ihrer eigenen Differenzierung. Mehrere Untersuchungen stützen diese neue Vorstellung. So wurden etwa „hämatopoetische“ Stammzellen oder Blutzellen produzierende Stammzellen aus dem Knochenmark transplantiert und Spuren dieser Zellen im Lebergewebe gefunden. Anfangs 2003 erbrachte ein Team den Nachweis, dass dies über den Weg der Zellverschmelzung und nicht der Pluripotenz erfolgt. Die Forschenden untersuchten das Gewebe von Mäusen mit einer Lebererkrankung, die Knochenmarktransplantate erhalten hatten. Die Analyse ergab, dass sowohl Zellen mit der genetischen Signatur der Spendermäuse als auch solche der Empfänger die geschädigte Leber wieder besiedelten. Zudem wiesen die Leberzellen der Empfängermäuse, alles Männchen, sowohl X als auch Y Chromosomen auf, was anzeigt, dass es sich bei den neuen Zellen um ein zusammengesetztes Produkt der hämatopoetischen Stammzellen (hematopoietic stem cells, HSC) der weiblichen Spender und der Empfänger handelte 88. 80 Diese auf einem überzeugenden Bericht von Ende 2002 in Science beruhenden Ergebnisse stellen die Theorie in Frage, wonach HSC die Fähigkeit haben, sich in andere Zelltypen zu verwandeln. In dieser Untersuchung transplantierten die Forschenden Mäusen, bei denen die Bildung von Blutzellen durch Bestrahlung verhindert worden war, eine einzelne hämatopoetische Stammzelle ; diese wurde einem Stamm von Spendermäusen Stammzellen und Neurogenese entnommen, der gentechnisch so verändert worden war, dass die Tiere in all ihren Genen ein grün fluoreszierendes Protein exprimierten. Als die Forschenden bei den Empfängermäusen nach Anzeichen des grünen Proteins suchten, stellten sie fest, dass, obwohl die einzelne Stammzelle die Blutzellen der bestrahlten Tiere regeneriert hatte, in anderen Geweben keine Spur des grünen Proteins zu finden war. In einem verwandten Experiment mit Mäusen, deren Blutversorgung durch einen chirurgischen Eingriff zusammengeschlossen worden war, wurden grün-markierte Blutzellen der Spendermaus den Blutzellen des Empfängers eingepflanzt, aber auch in diesem Fall stellte man in anderen Geweben keinen entsprechenden „Chimärismus“ fest 89. Im Februar 2003 zeigte eine weitere Untersuchung, dass Knochenmarkzellen in spezifische Neuronen, die so genannten Purkinje Zellen, im menschlichen Gehirn inkorporiert werden können. Die Forschenden untersuchten Hirngewebe, das bei der Autopsie von weiblichen Leukämiekranken entnommen worden war, die Knochenmarktransplantate von männlichen Spendern erhalten hatten. Da Purkinje Neuronen gross sind und eine eindeutige Form aufweisen, liessen sich ihre Kerne leicht auf das Vorhandensein von Chromosomen des anderen Geschlechts überprüfen. Das Team fand vier Neuronen, die sowohl ein X- als auch ein Y-Chromosom enthielten und zwei weitere mit mehr als der üblichen Anzahl an Chromosomen. Zwar scheint die Zahl klein zu sein, doch betonen die Forschenden, jegliches Vorkommen sei überraschend, da zuvor noch nie etwas Ähnliches dokumentiert worden war. Sie kamen zum Schluss, dass zwei Erklärungen möglich waren : Entweder hatten sich Stammzellen vom Knochenmark – die einzig mögliche Quelle des falsch zugeordneten Chromosoms – in neue Purkinje Neuronen verwandelt, oder die Stammzellen hatten sich mit den Neuronen verschmolzen. In einer solchen Verschmelzung liegt ein therapeutisches Potential. Es ist nicht bekannt, dass sich Purkinje Neuronen, die für Funktionen wie Gleichgewicht und Bewegung eine Schlüsselfunktion ausüben, im adulten Gehirn reproduzieren ; ihr Untergang führt zu verschiedenen charakteristischen Erkrankungen wie der Bewegungsstörung Ataxie, zu alkoholischer Demenz, bekannt als Wernicke-Korsakoff-Syndrom, und zu Prionenerkrankungen, etwa den Creutzfeldt-Jakob Erkrankungen 90. Insgesamt weisen die Untersuchungen darauf hin, dass Zellverschmelzung der Weg ist, über den Stammzellen verschiedene Gewebearten wieder besiedeln. Diese Erkenntnis vermindert den therapeutischen Wert von 81 Stammzellen nicht, zeigt indessen, dass sich Wissenschafter mit neuen Grundsätzen vertraut machen müssen, um dieses Potential therapeutisch zu nutzen. Ausserdem könnte Zellverschmelzung die Anwendungsmöglichkeiten von Stammzellen erweitern, einschliesslich jener, eine geschädigte Zelle durch Zufuhr von vollständigen, gesunden Chromosomen zu „retten“. Neues „Stemness“-Gen identifiziert Um Stammzellen in einen gewünschten Zelltyp zu transformieren, muss man die Signale, die die Zelldifferenzierung steuern, kennen und verstehen. Im Mai 2003 identifizierten Forschende einen neuen genetischen Faktor, der embryonale Stammzellen dazu bringt, sich zu teilen und gleichzeitig verhindert, dass sie sich ausdifferenzieren. Da dieser Faktor Zellen in ihrem unreifen Zustand bewahrt, nannten ihn die in Schottland beheimateten Forschenden Nanog, dies nach Tir nan Og, dem Land der Jugend in der keltischen Mythologie. Das Team nimmt an, Nanog könnte eines von einer ganzen Gruppe von „Stemness“-Genen sein ; weitere Forschungsarbeiten sind notwendig um zu ermitteln, ob es bei der Pluripotenz eine Rolle spielt und ob es einzig bei embryonalen Stammzellen vorkommt. Ausserdem könnte es nun, nachdem Nanog identifiziert wurde, möglich sein, jene Gene genau zu bestimmen, auf die es einwirkt – dies würde Wissenschafter in die Lage versetzen, Stammzellen so zu animieren, dass sie auf dem gewünschten Weg der Ausdifferenzierung bleiben 91. Antidepressiva und Neurogenese im Gehirn 82 Die Wissenschaft ist dabei, das Potential der Neurogenese – die Geburt von neuen Neuronen im adulten Gehirn – zur Behandlung jener Krankheiten nutzbar zu machen, bei denen es zum Untergang von Hirnzellen kommt, etwa der Alzheimerschen und der Parkinsonschen Krankheit. Neurogenese könnte aber auch bei Erkrankungen eine Rolle spielen, die nicht so offensichtlich mit dem Verlust von Hirnzellen zusammenhängen. Die Forschung deutet darauf hin, dass Depression teilweise auf der Abwesenheit von Neurogenese in Hirnregionen beruht, in denen sie normalerweise vorkommt ; Untersuchungen an Tieren zeigen, dass Antidepressiva dadurch wirksam sein könnten, dass sie das Wachstum neuer Hirnzellen anregen. Ein in der Ausgabe vom 8. August 2003 in Science erschienener Bericht gibt einen ersten Hinweis darauf, dass eine durch Antidepressiva ausgelöste Neurogenese zur Heilung einer Depression führen könnte. Die Forschenden verwendeten einen Standardtest und zeigten einer Gruppe von hungrigen Mäusen eine Schüssel mit Futterkörnern unter einem hellen Licht, das Mäuse gewöhnlich zu meiden trachten. Mäuse, die sich trotz Stammzellen und Neurogenese ihres Hungers nicht ans Licht wagen, gelten als Tiere mit einer für Mäuse charakteristischen Angst oder Depression. Eine vierwöchige Behandlung mit Fluoxetin (Prozac) oder einer anderen Klasse von Antidepressiva brachte die Mäuse dazu, Mut zu fassen und ihre hell erleuchteten Mahlzeiten zu essen ; bei diesen Mäusen nahm auch die Zahl der sich teilenden Zellen im Hippocampus um 60 % zu, einer Verbindungsstelle von Gedächtnis und räumlicher Orientierung und einem Bereich, in dem Neurogenese stattfindet. In der nächsten Phase des Experiments wurden die Mäuse Röntgenstrahlen exponiert, wodurch die sich teilenden Zellen, also Stammzellen und neuronale Vorläuferzellen, die sich zu neuen Neuronen entwickeln, vernichtet wurden. Diesmal führte dieselbe Behandlung nicht zur Neurogenese und die Mäuse blieben so ängstlich wie zuvor, was deutlich darauf hinweist, dass die Antidepressiva die Entstehung neuer Zellen ausgelöst hatten und dass diese Neurogenese das Verhalten und (so die Folgerung) die Stimmung der Tiere veränderte. Zwar könnte eine Bestrahlung neben der Zerstörung von sich teilenden Zellen auch andere Auswirkungen auf das Gehirn haben, doch erbringt die Untersuchung den ersten überzeugenden Hinweis auf Ursache und Wirkung. Wenn wir Depression als ein Ausbleiben der Neurogenese und nicht nur als Ungleichgewicht der Hirnchemie betrachten, könnte dies das Verständnis dieser Krankheit vertiefen und zu besseren Behandlungsmöglichkeiten führen 92. 83 Denk- und Erinnerungsstörungen Veränderungen in der Therapie der Alzheimerschen Krankheit 86 Bildgebung und Gedächtnis 88 Die normale Gedächtnistätigkeit verstehen 90 85 E s ist zu erwarten, dass die Zahl der Amerikaner, die an der Alzheimerschen Krankheit (Alzheimer’s disease, AD) leiden, von 4,5 Millionen im Jahr 2000 auf 13 Millionen im Jahr 2050 ansteigen wird, falls nicht neue Möglichkeiten gefunden werden, diese Krankheit zu verhindern oder zu behandeln ; zu diesem Schluss kommt ein Bericht, der 2003 von Denis Evans und Mitarbeitenden am Rush Institute on Healthy Aging in Chicago veröffentlicht wurde 93. Die meisten AD-Forschenden sind jedoch weiterhin optimistisch, dass neue Strategien verhindern werden, dass die Krankheit einen derart grossen Tribut fordert. Bereits im Verlauf des Jahres 2003 wurde ein neues Medikament zur Behandlung der Alzheimerschen Krankheit zugelassen und das Verständnis der normalen Gedächtnisfunktion und seiner Störungen nimmt weiterhin zu. Veränderungen in der Therapie der Alzheimerschen Krankheit Am 24. September empfahl die für Medikamente des peripheren und zentralen Nervensystems zuständige beratende Kommission der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, Memantin zur Behandlung der leichten bis schweren AD (siehe auch das Kapitel „Neuroethik“, S. 49) zuzulassen 94. Es wird das erste in den USA erhältliche Medikament zur Behandlung der fortgeschrittenen Alzheimerschen Krankheit sein. 86 Memantin steht für eine völlig neue Klasse von Medikamenten zur Behandlung der AD. Bei allen vier bisher auf dem Markt befindlichen Medikamenten handelt es sich um Cholinesterase Inhibitoren, einschliesslich Donepezil (mit dem Handelsnamen Aricept). Schon früh im Verlauf der AD nimmt das im Gehirn vorhandene Acetylcholin ab, ein für die Signalübertragung zwischen gewissen Neuronen im Gehirn notwendiger Neurotransmitter ; die Cholinesterase Inhibitoren wirken diesem Defizit dadurch entgegen, dass sie den Abbau von Acetylcholin verlangsamen und so die Verfügbarkeit des Neurotransmitters vorübergehend erhöhen. Im Gegensatz dazu wirkt Memantin auf eine andere Untergruppe von Neuronen ein, die durch den Neurotransmitter Glutamat stimuliert werden. Abnorm hohe Glutamatspiegel, wie sie bei einigen degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, einschliesslich der AD, vorkommen, können die Neuronen zerstören. Memantin verhindert diesen Zelltod, indem es die NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartate), an die Glutamat bindet, blockiert. Denk- und Erinnerungsstörungen In einer der drei Studien, die vom Beratungskomitee der FDA geprüft wurden, hatten Pierre Tariot vom University of Rochester Medical Center und seine Mitarbeitenden festgestellt, dass die Kombination von Memantin und Donepezil zur Behandlung von Kranken mit moderater bis schwerer AD wirksamer war als Donepezil allein 95. In dieser Untersuchung hatte man 403 Patienten mit moderater bis schwerer AD, die seit mindestens sechs Monaten mit Donepezil behandelt worden waren, zufällig einer von zwei Untersuchungsgruppen zugeteilt. Eine Patientengruppe bekam täglich Donepezil und Memantin, während Patienten der zweiten Gruppe Donepezil und eine Placebo-Tablette erhielten, die ähnlich aussah wie Memantin, aber keine Wirkstoffe enthielt. Während der 24 Wochen dauernden Studie wussten weder die Kranken noch ihre Ärzte, wer Placebo und wer Memantin erhielt. Bei Abschluss der Untersuchung hatten sich die kognitiven Fähigkeiten der Kranken, die beide Medikamente erhalten hatten, im Vergleich zu denen, die die Placebo-Kombination eingenommen hatten, statistisch signifikant verbessert. Bei den Kranken mit der Kombinationstherapie hatte auch die Fähigkeit, tägliche Aufgaben zu bewältigen, etwa sich selbst anzuziehen, weniger abgenommen. Im Gegensatz zu den erfolgreichen Versuchen mit Memantin, war der allererste klinische Versuch mit einer Impftherapie gegen AD anfangs 2002 vorzeitig abgebrochen worden, da 17 von 300 Kranken Symptome einer Meningoenzephalitis, einer Entzündung des Gehirns und des angrenzenden Gewebes, entwickelt hatten 96. Im April 2003 veröffentlichten James Nicoll und Mitarbeitende von der Universität Southampton, Grossbritannien, die Ergebnisse der Autopsie eines Patienten, der nach der Behandlung mit dem Impfstoff AN-1792 an Meningoenzephalitis erkrankt war 97. Nicoll’s Team stellte fest, dass bei diesem Patienten ganze Bereiche der Grosshirnrinde frei von Plaques waren, was man im Gehirn von unbehandelten Patienten in einem vergleichbaren Stadium der AD nie gesehen hatte. Allerdings wiesen dieselben Hirnregionen dennoch andere mit AD zusammenhängende Pathologien auf, etwa Alzheimer Fibrillen (neurofibrillary tangles) ; somit hatten die durch den Impfstoff induzierten Antikörper zwar beta-amyloides (ßA) Protein beseitigt, jedoch nicht das ganze potentiell schädigende Material aufgelöst. Forschende auf diesem Gebiet betonen, dass dies ein besonders wichtiger Punkt sei ; bisher steht nämlich nicht fest, ob ßA Plaques den kognitiven Verfall verursachen oder mit ihm bloss in einer nicht ursächlichen Weise zusammenhängen. Selbst wenn also die Behandlung mit einem Impfstoff die gesamten ßA Plaques 87 beseitigen würde, könnte sie möglicherweise die normale Gedächtnisleistung nicht wiederherstellen. Bezeichnenderweise ergab die Autopsie auch Hinweise auf eine schädigende Immunreaktion. Der Impfstoff scheint nicht nur die Produktion von Antikörpern ausgelöst sondern auch eine Reaktion der T-Zellen hervorgerufen zu haben, was zu einer Entzündung führt und den kognitiven Verfall des Kranken beschleunigte. (Für weitere follow-up Untersuchungen, vgl. das Kapitel „Neuroimmunologische Erkrankungen“, S. 26.) Aufgrund dieser verschiedenartigen Ergebnisse – offensichtliche Beseitigung der Plaques und durch den Impfstoff induzierte Schädigung – sind viele in diesem Bereich Forschende der Ansicht, man müsse die immuntherapeutischen Schemata zwar anpassen, jedoch nicht völlig aufgeben 98, 99. Eine Möglichkeit besteht darin, von einer aktiven Impfung, bei der dem Patienten ein Protein injiziert wird, das sein eigenes Immunsystem stimuliert, wie dies bei AN-1792 der Fall war, zu einer passiven Therapie zu wechseln, bei der einem Patienten bereits produzierte Antikörper verabreicht werden, die das schädigende Agens erkennen. Die Hoffnung bei einer solchen passiven Immunisierung ist, die Vorteile der durch Antikörper induzierten Beseitigung der ßA Plaques zu erlangen, ohne jedoch die eine Entzündung induzierende zelluläre Immunreaktion zu aktivieren. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die passive Immunisierung mit Antikörpern gegen ßA die Plaques im Gehirn von Mäusemodellen der AD zu beseitigen vermag 100. Bildgebung und Gedächtnis Eine der Schwierigkeiten, Behandlungen der AD zu entwickeln besteht darin, dass wir die Pathophysiologie dieser Krankheit noch nicht ganz verstehen. Allerdings wurden in den letzten Jahren die bildgebenden Verfahren verbessert, dank denen Ärzte und Ärztinnen sehen können, was im Gehirn von Demenzkranken vor sich geht, und die Forschenden beginnen nun, die einzelnen Schritte des Krankheitsprozesses aufzudecken. 88 In einer solchen Untersuchung verwendeten Reisa Sperling und Mitarbeitende von der Universität Harvard das bildgebende Verfahren der funktionellen Magnetresonanz (functional magnetic resonance imgaging ; fMRI), bei dem der Blutfluss im Gehirn dargestellt wird, um herauszufinden, wie sich die Hirnaktivität von Kranken mit leichter AD von der junger und älterer gesunder Kontrollpersonen unterscheidet, während sie Im Vergleich zur älteren Kontrollgruppe wurde bei AD-Kranken eine signifikant verminderte Aktivität in der Region des Hippokampus festgestellt. Eine Vermutung ist, diese Reduktion beruhe zum Teil auf dem mit dem Fortschreiten der Krankheit einhergehenden Verlust von Neuronen des Hippokampus. Allerdings liessen sich weitere Unterschiede erkennen, die zudem auf eine Fehlfunktion der verbleibenden Neuronen hinweisen. Demgegenüber fanden die Forschenden, beim Vergleich der Hirnaktivität von jungen und gesunden älteren Kontrollpersonen, dass die Aktivität im Hippokampus ähnlich war, wobei sie allerdings bei jungen Personen symmetrischer und über ein etwas grösseres Gebiet verteilt auftrat. Diese beiden Gruppen unterschieden sich in Bezug auf das Ausmass der Aktivität im präfrontalen Kortex und in der parietalen Region. Aufgrund all dieser Ergebnisse kommen die Forschenden zum Schluss, der während des normalen Alterns auftretende Gedächtnisverlust habe eine andere Ursache als der bei AD auftretende. Allerdings mahnen sie zur Vorsicht, da ihre Untersuchung mit nur 27 Personen klein war und eindeutige Schlüsse erst aufgrund einer grösseren Studie gezogen werden können. Denk- und Erinnerungsstörungen assoziative Gedächtnisaufgaben lösen 101. Man zeigte den Leuten eine Reihe von Gesichtern, wobei unter jeder Fotografie in leicht lesbarer Schrift ein Vorname stand und stellte ihnen die Aufgabe, sich den zum jeweiligen Gesicht gehörenden Namen zu merken. Während sich die Patienten die Fotografien ansahen, machte der MRI-Apparat Bilder ihres Gehirns. Durch den Vergleich der Bilder, können die Forschenden feststellen, welcher Teil des Gehirns bei einer bestimmten Aufgabe tätig ist und herausfinden, ob diese Aktivität bei den verschiedenen Versuchsgruppen mit gleicher Intensität und am selben Ort auftritt. Um solche Projekte zu fördern, kündigte das National Institute on Aging im Jahr 2003 eine neue Initiative an, welche Untersuchungen an Kranken mit einer leichten kognitiven Störung (mild cognitive impairment ; MCI) und AD sowie an gesunden Kontrollpersonen mittels bildgebenden Verfahren unterstützen soll. Die Initiative wird durch öffentliche und private Mittel finanziert. Sämtliche gesammelten Informationen, sowohl das Bildmaterial als auch die Blut- und Liquorproben sollen so rasch wie möglich allen interessierten Forschergruppen zugänglich gemacht werden. Im Zuge dieser Initiative werden Wissenschafter in rund 25 über die ganzen USA verteilten klinischen Institutionen 150 Patienten im Anfangsstadium der AD, 350 Personen mit einer leichten kognitiven Behinderung 89 (MCI) und 150 gesunde Kontrollpersonen evaluieren und untersuchen. Die Teilnehmenden werden alle drei Monate einer Positronen-Emissionstomographie (PET) und dem bildgebenden Verfahren der Magnetresonanz (magnetic resonance imgaging ; MRI) unterzogen. Die Forschenden werden die MCI-Kranken und die gesunden Kontrollpersonen während drei, die AD-Kranken während zwei Jahren verfolgen. Zusätzlich zu den PET und MRI-Scans werden im Liquor potentielle Biomarker wie Serumproteine und die Konzentration des Beta-Amyloid-Proteins bestimmt, um sowohl dem biologischen Krankheitsverlauf als auch diagnostischen und prognostischen Markern auf die Spur zu kommen. PET-Bildgebung misst die Menge der in verschiedenen Hirnregionen vorhandenen Glukose und bildet die Stoffwechselaktivität im ganzen Gehirn ab. Es ist bereits bekannt, das AD-Patienten in einigen Hirnregionen eine herabgesetzte Stoffelwechseltätigkeit aufweisen ; aufgrund der geplanten Longitudinalstudie, die Patienten über längere Zeit hinweg verfolgt, wird man bestimmen können, wann solche Veränderung in Bezug auf kognitive Einbussen auftreten. MRI dagegen, vermittelt ein anatomisches Bild des Gehirns. Im Verlauf der AD verringern sich der Umfang der Grosshirnrinde und des Hippokampus, die für Gedächtnis und Lernen wichtig sind. Aber auch hier gilt, dass zurzeit nicht bekannt ist, wie diese Veränderungen mit den kognitiven Leistungen korreliert sind ; wir wissen nicht einmal, ob die Reduktion der Hirnsubstanz dem Gedächtnisverlust vorausgeht oder auf ihn folgt. Die neue Initiative wird es den Forschenden ermöglichen, den natürlichen Verlauf der Krankheit zu verfolgen und darüber hinaus die Wirkungen verschiedener potentieller Medikamente und Interventionen zu untersuchen. Möglicherweise vermag ein neues Medikament die im Gehirn eines ADPatienten auftretenden Veränderungen rückgängig zu machen oder zu verlangsamen, ohne unmittelbar kognitive Verbesserungen zu induzieren. In diesem Fall wären Verfahren zur Bestimmung anatomischer Veränderungen, was durch die Initiative realisiert werden soll, für die Entwicklung von Medikamenten besonders wichtig. Die normale Gedächtnistätigkeit verstehen 90 Forschende, welche die durch die Demenz bedingten Gedächtnisstörungen untersuchen, wollen auch wissen, wie das normale Gedächtnis zustande kommt. Im Jahr 2003 gab es diesbezüglich mehrere wichtige Befunde, einschliesslich einer Reihe von Untersuchungen, die neue Larry Squire und seine Kollegen an der University of California, San Diego, und am San Diego Veteran’s Affairs Medical Center konnten aufgrund ihrer Untersuchung an Amnesiepatienten verschiedene, seit langem bestehende Fragen beantworten, welche die Rolle des Hippokampus und der angrenzenden Hirnregionen, etwa der entorhinalen, perirhinalen und parahippocampalen Kortizes bei der Kodierung und Abfrage des Gedächtnisses betreffen. So wurde etwa vermutet, die kortikalen Bereiche rund um den Hippokampus reichten aus, um einen Gegenstand als bekannt oder unbekannt einzuordnen, dass jedoch für die komplexere Aufgabe, sich daran zu erinnern woher man einen Gegenstand kennt, die Tätigkeit des Hippokampus nötig sei 102. Zur Prüfung dieser Hypothese untersuchte die Gruppe von Squire sieben Amnesiepatienten, deren neurale Schädigung auf den Hippokampus selbst beschränkt war und sich nicht auf die angrenzenden Kortizes erstreckte. Squires Team zeigte den Patienten eine Reihe von Gegenständen und fragte zuerst, ob sie diese erkannten und dann, ob sie sich erinnern könnten, woher sie sie kannten. Die Kranken schnitten bei beiden Aufgaben gleich schlecht ab, was darauf hinweist, dass der Hippokampus sowohl für die grundlegende Aufgabe, ein Objekt zu erkennen notwendig ist als auch für die komplexere, sich zu erinnern, woher man ihn kennt. In zwei nachfolgenden Untersuchungen, in denen ebenfalls Amnesiepatienten getestet wurden, konnte das Team die Rolle des Hippokampus näher eingrenzen. Neurobiologen sind sich einig, dass die Tätigkeit des Hippokampus für die Kodierung episodischer Gedächtnisinhalte (Erinnerungen an Ereignisse, die mit einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verknüpft sind) nötig ist, aber es war weniger klar, ob das semantische Gedächtnis (Erinnerungen an Sachinformationen, etwa den Namen des Präsidenten oder die Hauptstadt von Süddakota) auch auf dem Hippokampus beruht. Als die Forschenden Amnesiepatienten über Sachinformationen befragten, die entweder vor oder nach dem Insult aufgetreten waren, stellte das Team fest, dass sich die Patienten an lange vor dem Insult gespeicherte Informationen erinnern konnten, aber nach dem Insult im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen signifikant weniger Sachinformationen aufgenommen hatten 103. Dies weist darauf hin, dass die Kodierung und Erinnerung des semantischen Gedächtnisses den Hippokampus erfordert, dass aber das Altgedächtnis unabhängig von ihm besteht. Ähnlich Denk- und Erinnerungsstörungen Einsichten in die Rolle des Hippokampus bei der Bildung und Abfrage von Gedächtnisinhalten brachten. 91 werden autobiographische Erinnerungen zwar ursprünglich durch den Hippokampus kodiert, doch werden diese Gedächtnisinhalte, wie Squires Gruppe feststellte, schliesslich ausserhalb des Hippokampus gespeichert und können auch ohne ihn abgerufen werden 104. Die Fachleute sind sich zwar einig, dass zwischen den verschiedenen Hirnregionen eine Arbeitsteilung bestehen muss, doch zeigen diese drei Untersuchungen, dass einfache Unterscheidungen, etwa ob man erkennt, dass einem ein Objekt bekannt ist, bzw. ob man sich erinnert, woher man diese Information hat, nicht exakt wiedergeben, was in welcher Hirnregion geschieht. Man weiss, dass der Hippokampus auch bei der Kodierung von Erinnerungen, die auf einmaligen Erlebnissen beruhen, eine entscheidende Rolle spielt ; welcher Teil dieser Struktur für die Aneignung einer solchen Erinnerung nötig ist, war jedoch bis 2003 unklar. Rasches Lernen spielt in unserem täglichen Leben eine entscheidende Rolle, da die meisten Ereignisse nur einmal vorkommen ; nur so können wir uns daran erinnern, was wir heute zum Frühstück gegessen oder welche Leute wir bei der gestrigen Party getroffen haben. Um zu bestimmen, welche Zellen des Hippokampus für eine solche rasche Aneignung eines Gedächtnisinhalts nötig sind, untersuchten Susumu Tonegawa und Mitarbeitende am Massachusetts Institute of Technology eine Gruppe von Zellen, die als CA3-Neurone bezeichnet werden ; diese sind nämlich untereinander in Form einer Schlaufe verbunden, was die rasche Verstärkung eines Signals ermöglicht und die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, dass einmalige Ereignisse als Erinnerungen kodiert werden. Um diese Möglichkeit zu überprüfen, wurden gentechnisch veränderte Mäuse verwendet, denen funktionsfähige NMDA-Rezeptoren in den CA3-Neuronen fehlten. Ohne diese Rezeptoren sind die Zellen gegenüber dem Neurotransmitter NMDA unempfindlich und können nicht mit ihren Nachbarn kommunizieren 105. 92 Als die Forschenden testeten, ob sich die Tiere in einem Wasserlabyrinth an den Ort einer unter Wasser gelegenen Plattform erinnern konnten, stellten sie fest, dass diese in einer raschen Test-WiederholungstestAnordnung signifikant schlechter abschnitten als Kontrolltiere, was impliziert, dass funktionsfähige CA3-Synapsen für eine rasche Gedächtniskodierung nötig sind. Die Tiere konnten mit der Zeit lernen, wo sich die Plattform befand, benötigten dazu aber zahlreiche Trainingsdurchgänge. Denk- und Erinnerungsstörungen Diese Ergebnisse stützen die These, dass die schlaufenförmige Verkabelung, welche die CA3-Zellen untereinander verbindet, eine rasche Kodierung von Erinnerungen ermöglicht, und dass ohne diese interne Verstärkung des Signals ein langsamerer Prozess verwendet werden muss, um sich eine solche Information anzueignen. 93 Referenzen 1 Steinman L. Multiple sclerosis : a two stage disease. Nature Immunology 2003 ; 2 : 762-765. 2 Pluchino S, Quattrini A, Brambilla E, et al. Injection of adult neurospheres induces recovery in a chronic model of multiple sclerosis. Nature 2003 ; 422 : 688-694. 3 Mycko MP, Papoian R, Boschert U, et al. cDNA microarray analysis in multiple sclerosis lesions : detection of genes associated with disease activity. Brain 2003 ; 126 : 1048-1057. 4 Robinson WH, Fontoura P, Lee BJ, et al. Protein microarrays guide tolerizing DNA vaccine treatment of autoimmune encephalomyelitis. 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Neuron 2003 Apr. 24 ; 38(2) : 305-15. 101 Stelle Dir eine Welt vor . . . … in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa und andere Ursachen von Erblindung jeweils in einem frühen Stadium erkannt und umgehend mit Medikamenten behandelt werden, die eine Verschlimmerung, noch vor dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen verhindern. … in der die genetischen Bahnen und die umweltbedingten Auslöser, die Menschen für Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind, so dass entsprechende diagnostische Tests und zielgerichtete Therapien – einschliesslich Medikamente, Beratung und vorbeugende Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung stehen und umfassend angewendet werden. … in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns dazu verwendet werden, die entscheidenden Vorteile des Lernens in den ersten Lebensjahren zu fördern und mit dem Altern zusammenhängende Krankheiten zu bekämpfen. … in der Rückenmarksverletzungen nicht länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen, da das Nervensystem dazu gebracht werden kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen. … in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus das Leben von Menschen nicht länger im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen jene Veränderungen im Gehirn beeinflussen können, die für das Absetzen von Abhängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich sind, aber auch Sucht und Verlangen hervorrufen können. … in der das tägliche Leben der Menschen 104 nicht mehr von depressiven Episoden oder Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere Medikamente zur Behandlung dieser Krankheiten verfügbar werden. Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass wir gegenwärtig in einer ausserordentlich aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft leben. Die im vergangenen Jahrzehnt erfolgten Fortschritte in der Forschung haben uns weiter gebracht als wir gehofft hatten. Wir verstehen die grundlegenden Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich besser und sind nun an dem Punkt angelangt, an dem wir diese Erkenntnisse für therapeutische Zwecke fruchtbar machen können. Wir haben bereits angefangen, Strategien, neue Techniken und Behandlungsformen zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer Krankheiten und Störungen zu entwickeln. Indem wir Therapieziele festlegen und unser Wissen anwenden, werden wir wirksame Behandlungen und in einigen Fällen wohl auch Heilmethoden entwickeln. Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht wissen. Dadurch wird es immer dringlicher, dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben, die sich mit der weiterreichenden Frage, wie lebende Organismen überhaupt funktionieren, befasst. Dies wird dazu beitragen, jene komplexen Fragestellungen anzugehen, welche zu wissenschaftlichen Entdeckungen führen. Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die in den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine grosse Menge an Informationen gebracht ; sie umfassen so unterschiedliche Gebiete wie die Strukturanalyse von Molekülen, die gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genomforschung, bildgebende Untersuchungen des Gehirns, kognitive Neurowissenschaft und klinische Studien. Dieses ganze Wissen Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen, sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Forschende und Laien müssen daher aus den neuen Erkenntnissen der Hirnforschung entstehenden ethischen und sozialen Konsequenzen gemeinsam erörtern. Die Dana Alliance for Brain Initiatives und die European Dana Alliance for the Brain ist eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern und Neurowissenschaftlerinnen, die sich hochgesteckte Ziele gesetzt haben ; dies zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als die neu gebildete europäische Gruppe sich auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete. Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre konkreten Zielvorstellungen so anzupassen, dass sie die erreichten Fortschritte optimal ausnützen können. Wir stecken uns auch neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem weisen, und stellen langfristige Pläne auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven Auswirkungen diese neue Ära der Neurowissenschaft voraussichtlich haben wird, beschleunigen wir die auf das Erreichen unserer Ziele ausgerichteten Entwicklungen. Die Ziele Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zur Ansammlung eines Proteinfragments von Amyloid, welches die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus dieser Ansammlung wurde inzwischen in Tierversuchen biochemisch genetisch untersucht. Aufgrund dieser Tiermodelle werden gegenwärtig therapeutische Substanzen und ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt, die die Anhäufung dieser schädlichen Substanz verhindern oder ihren Abbau beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien, die schon bald an Menschen erprobt werden können, wecken die begründete Hoffnung, dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll behandelt werden kann. Stelle Dir eine Welt vor ... können wir nun breit zur Behandlung neurologischer Krankheiten und Störungen einsetzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden wir auch weiterhin nicht nur individuell und ausgerichtet auf die das eigene spezifische Interessengebiet weiterführen, sondern gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit suchen. Die optimale Behandlung der ParkinsonKrankheit herausfinden. Medikamente, die auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken, wurden erfolgreich zur Behandlung der motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische Effekt bei vielen Patienten nach 5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente entwickelt ; sie sollen die Wirkung der auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern und den für die Krankheit verantwortlichen selektiven Untergang von Nervenzellen verzögern. Patienten, die auf die medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, könnten von chirurgischen Methoden, etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren. Dank neueren Formen der Bildgebung des Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Behandlungsformen tatsächlich Nervenzellen vor dem Untergang bewahren und die normalen Schaltkreise wieder herstellen können. Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren und die Therapie des Hirnschlags verbessern. Herzkrankheiten und Hirnschlag treten beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel achten, durch Diät und sportliche Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten und wenn ein vorhandener Diabetes 105 diagnostiziert und behandelt wird. Wenn ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die rasche Erhebung des Befunds und sofortige Behandlung eine erstaunliche Verbesserung mit weniger Folgeerscheinungen bewirken. Neue Behandlungsmethoden, um die akuten Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium. Weitere Verbesserungen erwarten wir von neuen Rehabilitationsverfahren, die auf der neuen Erkenntnis von Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach Schädigungen beruhen. Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung der Multiplen Sklerose finden. Heute stehen uns erstmals Medikamente zur Verfügung, die erlauben, den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen. Neue Medikamente, die die Immunreaktion des Körpers verändern, werden Anzahl und Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose weiter vermindern. Ausserdem werden wir neue Methoden anwenden, um die langfristige Progression aufzuhalten, die durch den Untergang von Nervenfasern verursacht wird. Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten entwickeln wie Depression, Schizophrenie, Zwangserkrankung und manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten verantwortlichen Gene noch nicht gefunden, doch dürfte die Sequenzierung des menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende Verfahren gepaart mit Erkenntnissen über die Aktivitäten dieser Gene im Gehirn werden erkennen lassen, was bei diesen Erkrankungen des Gemüts und des Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine bessere Diagnose, für eine wirksamere Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Medikamente und für die Entwicklung völlig neuartiger therapeutischer Substanzen bilden. Bessere Behandlungen bei Hirntumoren entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor allem die bösartigen und solche, die durch Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des Gehirns zustande kommen, lassen sich nur schwer behandeln. Bildgebende Verfahren, die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung, verschiedene Methoden, um Medikamente in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung von genetischen Markern, die zur Diagnose beitragen werden, bilden die Grundlage zur Entwicklung innovativer Therapien. Die genetischen und neurobiologischen Ursachen der Epilepsie aufdecken und die Behandlung verbessern. Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Epilepsie und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete Therapien ermöglichen. Die Fortschritte der elektronischen und chirurgischen Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungs106 möglichkeiten erwarten. Die Erholung nach traumatischen Hirn- und Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu erproben, die unmittelbar nach einer Verletzung den Umfang des verletzten Gewebes verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern wiederherzustellen. Techniken zur Förderung der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen und beschädigten Nervenzellen zu ersetzen, werden ausgehend von Tiermodellen schon bald auch an Menschen klinisch erprobt werden. Gegenwärtig werden elektronische Prothesen entwickelt, die die Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise zu steuern und dadurch die Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen wieder zu ermöglichen. Die Ursachen der Abhängigkeit auf der Ebene des Gehirns behandeln. Forschende konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn bestimmen, die an der Abhängigkeit aller gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden die neurobiologischen Mechanismen feststellen lassen, die ein normales Gehirn in ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die Entwicklung von Therapien ermöglichen, um diese Veränderung entweder rückgängig zu machen oder zu kompensieren. Die Hirnmechanismen verstehen, die der Reaktion auf Stress, Angst und Depression zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität. Stress, Angst und Depression schaden nicht nur dem Leben der davon betroffenen Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wenn es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus sowie die an Angst und Depression beteiligten Hirnschaltkreise besser zu verstehen, werden wir wirksamere präventive Massnahmen entwickeln können und auch bessere Behandlungsverfahren, um ihre Auswirkungen zu lindern. Die Strategie Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms ausnützen. Die vollständige Sequenz aller Gene, des menschlichen Genoms wird schon bald zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten 10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für jeden Bereich des Gehirns und für jedes Lebensstadium – vom frühen embryonalen Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen, welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen können, welche Gene bei verschiedensten neurologischen und psychiatrischen Krankheiten verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte entweder ganz fehlen oder auf eine abnorme Weise funktionieren. Dank dieser Methode ist es bereits möglich, die genetische Grundlage von Krankheiten wie Huntington, spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie und fragiles X-Syndrom zu bestimmen. Stelle Dir eine Welt vor ... Neue Methoden für den Umgang mit Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen werden. Die Erforschung der Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität, die für ihn verantwortlich ist, wird den Neurowissenschaftlern Mittel in die Hand geben, um wirksamere und zielgerichtete Therapien zur Schmerzbekämpfung zu entwickeln. Insgesamt verspricht die Entdeckung von Genen und ihre Anwendung zur klinischen Diagnose die Neurologie und Psychiatrie grundlegend zu verändern und stellt eine der grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft dar. Zum Glück verfügen wir über Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese Entwicklungen sehr beschleunigen und uns sowohl für die Diagnose als auch für die Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle Mittel in die Hand geben. Unser Wissen über die Entwicklung des Gehirns anwenden. Von der Empfängnis bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz bestimmte Entwicklungsstadien mit jeweils unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen, die entweder gefördert oder gehemmt werden können. Um die Behandlung von Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern, wird die Neurowissenschaft eine detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung mit anderen Entwicklungsphasen 107 wie der Adoleszenz oder dem Altern zusammenhängen, wird uns das Verständnis der Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser Perioden neue Therapien ermöglichen. Das riesige Potential der Plastizität des Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns sich selbst wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen, kann die Neurowissenschaft Behandlungen von degenerativen neurologischen Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur Verbesserung von gesunden und kranken Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden zehn Jahren werden Zellen therapeutisch ersetzt werden und die Förderung der Neubildung von Zellen wird zu neuen Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarksverletzungen und der Parkinson Krankheit führen. Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen vergrössern. Wie funktioniert das Gehirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit, dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten. Welche Mechanismen und grundlegenden Nervenschaltkreise ermöglichen es uns, Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und auszudrücken, Entscheidungen zu treffen, Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein ? Die Bemühungen, eine „einheitliche Feldtheorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden grosse Möglichkeiten eröffnen, das menschliche Potential zu maximieren. Die Methoden Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle können sich nicht replizieren, um die durch eine Krankheit oder eine Verletzung verloren gegangenen Zellen zu ersetzen. Methoden, die sich die Fähigkeit der Nerven108 stammzellen (den Vorläufern von Nervenzel- len) zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen zu differenzieren, werden die Behandlung neurologischer Erkrankungen möglicherweise revolutionieren. Die Verpflanzung von Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen durchgeführt wird, wird schon bald das Stadium von klinischen Studien an Menschen erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen Ort gebracht und veranlasst werden können, die geeigneten Verbindungen zu bilden, sind aktuelle Themen der Forschung. Reparaturmechanismen von Nervenzellen. Dank der dem Nervensystem innewohnenden Fähigkeit der Wiederherstellung – in gewissen Fällen werden neue Nervenzellen regeneriert, in andern die Verkabelung wiederhergestellt – hat das Gehirn die Möglichkeit, sich selbst „wieder in Ordnung zu bringen“. Wenn es uns gelingt, diese Prozesse zu fördern, dürfen wir hoffen, Patienten mit Rückenmarks- oder Kopfverletzungen heilen zu können. Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems aufzuhalten oder ihr vorzubeugen. Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington und ALS sind die Folge einer Degeneration spezifischer NervenzellPopulationen in bestimmten Hirnbereichen. Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen zwar die Symptome einer Krankheit wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden Untergang der Nervenzellen. Techniken, die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu Methoden führen, die die Degeneration von Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten können. Verfahren, um die Expression von Genen im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von Versuchstieren entweder zu verstärken oder zen Chemie erlauben es Forschenden, neue Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass hervorzubringen, von welchen viele in der klinischen Anwendung von beträchtlichem Nutzen sein könnten. Die Entwicklung neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf „Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen das Zeitintervall zwischen der Entdeckung einer neuen Substanz und ihrer klinischen Erprobung von mehreren Jahren auf einige Monate reduzieren. Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen sowohl der Hirnstrukturen wie auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert. Dank der Entwicklung von Verfahren, die Hirnfunktionen ebenso rasch und genau abbilden wie sie stattfinden, sind „Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen möglich geworden. Diese Techniken erlauben es den Forschenden genau zu verfolgen, welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen und Erleben von Emotionen beteiligt sind. Die heutige neurowissenschaftliche Forschung profitiert von einem nie dagewesenen Ausmass an Möglichkeiten. Unser Verständnis der Funktionsweise des Gehirns, vom Beginn und der Progredienz von Krankheiten hat zugenommen. Ein ausgeklügeltes Arsenal von Hilfsmitteln erlaubt es uns, unser Wissen anzuwenden und die Fortschritte der Hirnforschung zu beschleunigen. Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung von Multielektroden-Implantaten und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und in Signale übersetzen, die ans Rückenmark, an die motorischen Nerven oder direkt an die Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen dürfen. Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken. Fortschritte der strukturellen Biologie, der Genomforschung und der rechnergestüt- Stelle Dir eine Welt vor ... zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen, die neurologische Krankheiten wie Huntington und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren eingesetzt, um die Entwicklung neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration voranzutreiben. Solche Techniken haben uns bereits wertvolle Informationen über normale Vorgänge wie die Entwicklung des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten uns die Möglichkeit, normale und abnorme Hirnprozesse wesentlich intensiver als je zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener Hirnkrankheiten angewendet werden. Unsere Verpflichtung : Vom Labor zum Krankenbett Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind wir verpflichtet, am Laborplatz auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Zur Bekämpfung der schweren Hirnkrankheiten wie Alzheimer-Krankheit, Hirnschlag oder Parkinson-Krankheit ist es notwendig, die Grundlagenforschung kontinuierlich weiterzuführen, so dass Kliniker auf ihr aufbauen und neue Behandlungsmethoden und Therapien entwickeln können. Es ist unsere Verantwortung, die Forschungsarbeiten fortzusetzen und zu versuchen, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu erlangen. Ausserdem ist es unsere Pflicht, jene Bereiche der wissenschaftlichen Forschung verständlich zu machen, die schon bald konkrete Anwendungsmöglichkeiten für den Menschen bieten könnten. Um über das Laboratorium 109 hinaus Fortschritte zu erzielen, müssen wir die nächsten klinischen Schritte partnerschaftlich mit der Öffentlichkeit zusammen unternehmen – es gilt also, die wissenschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar zu machen, um aus ihnen wirkliche und echte Fortschritte „am Krankenbett“ zu erzielen. Da unsere Methoden und Techniken immer raffinierter werden, können sie, wenn man den möglichen Missbrauch ins Auge fasst, auch als bedrohlich empfunden werden. Es ist wichtig, dass wir die verständlichen Ängste wahrnehmen, die Hirnforschung könnte zu Möglichkeiten führen, die zentralsten Aspekte unseres Gehirns und Verhaltens, also genau das, was unsere menschliche Einzigartigkeit ausmacht, zu verändern. Das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in die Integrität der wissenschaftlich Tätigen, in die Sicherheit der klinischen Versuche – den Eckstein angewandter Forschung – und in die Sicherstellung der Vertraulichkeit von Patientendaten muss ständig aufrecht erhalten werden. Die Wissenschaft in den Zusammenhang des wirklichen Lebens zu stellen, ist immer eine Herausforderung. Die Leute wollen nicht nur wissen, wie und warum Forschung betrieben wird, sie wollen auch wissen, inwieweit sie für sie von Belang ist. Es ist daher sehr wichtig, den Bedenken der Öffentlichkeit, die Erkenntnisse der Hirnforschung könnten auf schädigende oder ethisch fragwürdige Weise angewendet werden, entgegenzutreten. So gilt es, beiden Herausforderungen gerecht zu werden, damit die von einer neurologischen oder psychiatrischen Krankheit Betroffenen von den Errungenschaften der Hirnforschung voll profitieren können. Der Auftrag der Neurowissenschaftler und Neurowissenschaftlerinnen reicht über die Hirnforschung hinaus. Wir stellen uns auch 110 der Verantwortung, in einer verständlichen Sprache zu erklären, wohin uns unsere Wissenschaft mit ihren neuen Verfahren und Techniken vermutlich führen wird. Wir, die Mitglieder der amerikanischen Dana Alliance und der Europäischen Dana Alliance, sind gerne bereit, beim Aufbruch in ein neues Jahrzehnt der Hoffnung, der harten Arbeit und der Partnerschaft mit der Öffentlichkeit diese Aufgabe zu übernehmen. Members of EDAB Yves Agid*, Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France Kay Davies*, University of Oxford, UK Adriano Aguzzi, University of Zurich, Switzerland Jose Maria Delgado-Garcia, Universidad Pablo de Olavide, Seville, Spain Per Andersen*, University of Oslo, Norway João Lobo Antunes, University of Lisbon, Portugal Carlos Avendaño, University of Madrid, Spain Alan Baddeley, University of Bristol, UK Yves-Alain Barde*, Friedrich Miescher Institute, Basel, Switzerland Carlos Belmonte, Instituto de Neurosciencias, Alicante, Spain Yehezkel Ben-Ari, INSERM-INMED, France Michael Berger, University of Vienna, Austria Giovanni Berlucchi*, Università degli Studi di Verona, Italy Johannes Dichgans, University of Tübingen, Germany Ray Dolan, University College London, UK Yadin Dudai*, Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel Károly Elekes, Hungarian Academy of Sciences, Tihany, Hungary; President of the Hungarian Neuroscience Society Ulf Eysel, Ruhr-Universität Bochum, Germany Alberto Ferrus*, Instituto Cajal, Madrid, Spain Cesare Fieschi, University of Rome, Italy Giorgio Bernardi, University Tor Vergata-Roma, Italy Russell Foster, Imperial College of Science and Technology, London, UK Alain Berthoz*, Collège de France, Paris, France Richard Frackowiak*, University College, London, UK Konrad Beyreuther*, University of Heidelberg, Germany Anders Björklund*, University of Lund, Sweden Colin Blakemore*, University of Oxford, UK Joel Bockaert, CNRS, Montpellier, France Alexander Borbély, University of Zurich, Switzerland Thomas Brandt, University of Munich, Germany Herbert Budka, University of Vienna, Austria Jan Bureš*, Academy of Sciences, Prague, Czech Republic Irina Bystron, University of St Petersburg, Russia Arvid Carlsson, University of Gothenburg, Sweden Hans-Joachim Freund*, University of Düsseldorf, Germany Tamás Freund, University of Budapest, Hungary Willem Gispen*, University of Utrecht, The Netherlands Albert Gjedde*, Aarhus University, Denmark Jacques Glowinski, Collège de France, Paris, France Susan Greenfield, The Royal Institution of Great Britain, London, UK Sten Grillner*, Karolinska Institute, Stockholm, Sweden Jean-Pierre Changeux, Institut Pasteur, Paris, France Riitta Hari*, Helsinki University of Technology, Finland Marina Chernisheva, University of St Petersburg, Russia Anton Hermann, University of Salzburg, Austria François Clarac, CNRS, Marseille, France Francesco Clementi*, Unversity of Milan, Italy Graham Collingridge*, University of Bristol, UK Michel Cuénod*, University of Lausanne, Switzerland Milka Culic, University of Belgrade, Yugoslavia Norbert Herschkowitz*, University of Bern, Switzerland Florian Holsboer*, Max-Planck-Institute of Psychiatry, Munich, Germany Sir Andrew Huxley*, University of Cambridge, UK Giorgio Innocenti, Karolinska Institute, Stockholm, Sweden Leslie Iversen, University of Oxford, UK Susan Iversen*, University of Oxford, UK Manuel Nieto-Sampedro*, Instituto Cajal, Madrid, Spain Julian Jack*, University of Oxford, UK Alexander Nozdrachev, State University of Marc Jeannerod*, Institut des Sciences Cognitives, Bron, France St Petersburg, Russia Barbro Johansson, Lund University, Sweden Markku Kaste, University of Helsinki, Finland Ann Kato, Centre Médical Universitaire, Geneva, Switzerland Christopher Kennard, Imperial College School of Medicine, London, UK Hubert Kerschbaum, University of Salzburg, Austria Helmut Kettenmann, Max-Delbrück-Centre for Molecular Medicine, Berlin, Germany Malgorzata Kossut*, Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland Wolfgang Oertel*, Philipps-University, Marburg, Germany Guy Orban*, Catholic University of Leuven, Belgium Gonul Peker, University of Ege Medical School, Izmir, Turkey; President of Turkish Neuroscience Society Roland Pochet, Université Libre de Bruxelles, Belgium Werner Poewe, Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck, Austria Dominique Poulain, Institut Francois Magendie, France Elias Kouvelas, University of Patras, Greece Elzbieta Pyza, Jagiellonian University, Krakow, Poland Oleg Krishtal*, Bogomoletz Institute of Physiology, Kiev, Ukraine Martin Raff*, University College London, UK Theodor Landis*, University Hospital Geneva, Switzerland Martin Lauritzen, University of Copenhagen, Denmark Geoffrey Raisman, National Institute for Medical Research, London, UK Joaquim Alexandre Ribeiro, University of Lisbon, Portugal Giacomo Rizzolatti*, University of Parma, Italy Willem Levelt*, Max-Planck-Institute for Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands Steven Rose, The Open University, Milton Keynes, UK Rita Levi-Montalcini*, Institute of Neurobiology, CNR, Rome, Italy Sir Michael Rutter, University of London, UK José Lopez-Barneo*, University of Seville, Spain Pierre J. Magistretti*, University of Lausanne, Switzerland; President of the Federation of European Neuroscience Societies Rafael Malach, Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel William McDonald*, Royal College of Physicians, London, UK Sir Martin Roth*, University of Cambridge, UK Bert Sakmann, Max-Planck-Institute for Medical Research, Heidelberg, Germany Martin Schwab*, University of Zurich, Switzerland Menahem Segal, Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel Idan Segev, Hebrew University, Jerusalem, Israel Tim Shallice*, University College London, UK Jacques Mehler*, CNRS/EHESS, Paris, France Wolf Singer*, Max-Planck-Institute for Brain Research, Frankfurt, Germany Eldad Melamed, Tel Aviv University, Israel David Smith, University of Oxford, UK Hannah Monyer*, University Hospital of Neurology, Heidelberg, Germany The Netherlands Richard Morris*, University of Edinburgh, Scotland Günther Sperk, University of Innsbruck, Austria Erwin Neher, Max-Planck-Institute for Biophysical Chemistry, Göttingen, Germany Michael Stewart, The Open University, Milton Keynes, UK Henk Spekreijse*, University of Amsterdam, Petra Stoerig*, Heinrich-Heine University, Düsseldorf, Germany Dieter Heiss, European Federation of Neurological Societies, University of Köln, Germany Piergiorgio Strata*, University of Turin, Italy Ferdinand Hucho, European Society for Neurochemistry, Freie Universität Berlin, Germany Eva Sykova, Institute of Experimental Medicine ASCR, Prague, Czech Republic Hans Thoenen*, Max-Planck-Institute for Psychiatry, Martinsried, Germany József Toldi, University of Szeged, Hungary Eduardo Tolosa, University of Barcelona, Spain Simon Khechinashvili, Georgian Neuroscience Association, Beritsashvili Institute of Physiology, Tbilisi, Republic of Georgia Ivicia Kostovic, Croatian Society for Neuroscience, Zagreb, Croatia Jerzy Vetulani, Institute of Pharmacology, Poland Ada Mitsacos, Hellenic Society for Neuroscience, University of Patras, Greece Sylvester Vizi*, Hungarian Academy of Sciences, Budapest, Hungary Katarzyna Nalecz, Polish Neuroscience Society, Lord Walton of Detchant*, University of Oxford, UK Hans Winkler*, University of Innsbruck, Austria Semir Zeki*, University College London, UK Karl Zilles*, Heinrich-Heine-University, Düsseldorf, Germany *original signatory to the EDAB Declaration Federation of European Neuroscience Societies Presidents / Term Members Francesc Artigas, Spanish Society of Neuroscience, University of Barcelona, Spain Fabio Benfenati, Italian Neuroscience Society, University of Genova, Italy Eero Castrén, Brain Research Society of Finland, University of Helsinki, Finland Giuseppe Chiarenza, Federation of European Psychophysiology, RHO Hospital, Milan, Italy Alexander Cools, Stichting Neurofederatie, University of Nijmegen, The Netherlands Erik de Schutter, Belgian Society for Neuroscience, University of Antwerp, Belgium Mara Dierssen, International Behavioural & Genetic Society, Barcelona, Spain Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland Jes Olesen, European Brain Council, Glostrup Hospital, Copenhagen, Denmark Geneviève Rougon, Société des Neurosciences, UMR-CNRS, Marseille, France Terje Sagvolden, Norwegian Neuroscience Society, University of Oslo, Norway Susan Sara, European Brain and Behaviour Society, Université Pierre et Marie Curie, Paris, France Ana Sebastião, Portuguese Society for Neuroscience, University of Lisbon, Portugal Werner Sieghart, Austrian Neuroscience Association, Medical University Vienna, Austria Josef Syka, Czech Neuroscience Society, Academy of Sciences, Prague, Czech Republic Jan M. van Ree, European College of Neuropsychopharmacology, Utrecht, The Netherlands Marta Weinstock-Rosin, Israel Society for Neuroscience, Hebrew University, Jerusalem, Israel Leon Zagrean, National Neuroscience Society of Romania, Carol Davila University of Medicine, Bucharest, Romania Herbert Zimmermann, German Neuroscience Society, Biozentrum der J. W. Goethe-Universität, Frankfurt, Germany Barry Everitt, European Behavioural Pharmacology Society, University of Cambridge, UK Aase Frandsen, Danish Society for Neuroscience, Copenhagen University Hospital, Denmark Jean-Marc Fritschy, Swiss Society for Neuroscience, University of Zurich, Switzerland March 2004 A Dana Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB, the European subsidiary of DABI Gedruckt in der Schweiz 7.2004