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Cyan Magenta Gelb Tiefe
Cyan Magenta Gelb Tiefe
GLEITSCHIRM
Fotos: Norbert Aprissnig
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inseln sind oft Vulkankegel das
einzige Hindernis. Gute Soaringstellen sind dann zwar zu
finden, aber nur an wenigen
Stellen, wo beispielsweise eine
große Scharte oder eine Bucht
die Winde sammelt.
In Europa gibt es keine echten
Passatwinde, dafür aber so
manche rechtwinkelige Hügelflanke. Das Problem: Im Binnenland wird der Wind oft
nach seiner kilometerlangen
Reise übers Festland turbulent. Thermiken lagern sich
ein, hinter Hindernissen abgerissene
Leerotoren wirbeln umher und reisen weiter. Dementsprechend werden Soaringberge im Gebirge wegen
eingelagerter Turbulenzen oft recht
schnell ungenießbar.
Es muß nicht immer Thermik sein
V
o
n
D I E T H E R M I K I S T N I C H T D I E E I N Z I G E S O RT E V O N
AUFWIND , DIE UNS STUNDENLANGE F LÜGE
BESCHEREN KANN. AUCH DYNAMISCHE AUFWINDE
B I E T E N O F T E I N FA C H
ZUVERLÄSSIGE
Dynamisch hoch
Jeder Flugschüler weiß es: Dynamische Aufwinde entstehen, wenn
ein meteorologischer Wind oder eine
Brise gegen einen Hang strömt und
nach oben abgelenkt wird. Dabei
handelt es sich meistens um einen
relativ sanften Aufwind. Für viele
Anfänger bietet der dynamische
Aufwind sogar eine besonders leicht
zugängliche Methode, ihre Flüge
erstmals zu verlängern. Denn schließlich sind die Aufwindzonen relativ
scharf definiert, und ihre Stärke
bleibt um einiges konstanter als jene
der launischen Thermikblasen. Stundenlanges, ermüdungsfreies Soaren
gehört deswegen für viele Piloten
sogar mit zu den schönsten Aspekten
unseres Sportes. Auch und gerade
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ZU BEHERRSCHENDE UND
„AUFZÜGE“
FÜR JEDERMANN!
Könner bekommen nie genug davon,
mit ganz geringer Vorwärtsfahrt in
wenigen Metern Höhe über dem
Boden zu schweben, bei einem eleganten Touch and Go die Grasbüschel zu streifen, und dann wieder
den Aufzug in die höheren Etagen zu
nehmen.
Fliegen bis zum Abwinken
Solche bodennahen Spiele gehen
natürlich nur dort, wo das Aufwindband wirklich gleichmäßig ist
und durch eine möglichst laminare
Luftströmung entsteht. Das ist normalerweise am Meer bei auflandigem Wind der Fall. Die Luft strömt
ungehindert und in „parallelen
Linien“ ans Land heran, thermische
Störungen sind keine eingelagert.
Schon ein größerer Sandhügel kann
da ausreichen, um einen extrem verläßlichen, vorhersehbaren und meist
sanften Aufzug an den Hang zu stellen. Wer schulmäßige Achten fliegt
und dabei immer vom Hang wegdreht, hat fast automatisch gewonnen. In einem solchen Aufwind
wurde auch der Weltrekord im längsten Gleitschirmflug aufgestellt. Im
April 1989 eierte Jean-Yves Fauste
11 Stunden und 23 Minuten lang vor
einer Klippe auf Hawaii im Passatwind herum. Schon im Jahr darauf
beschloß die FAI, diese Rekorddisziplin zu streichen. Der Franzose
bleibt also bis in alle Ewigkeit
Rekordinhaber ...
Natürlich bot sich der verläßliche
Passatwind als Antriebsmotor für
diesen Flug an. Theoretisch müßte
man auch meinen, daß alle atlantischen und pazifischen Inseln im
Bereich der Passatwinde hervorragende Soaringspots liefern müßten.
Aber: Für ein gutes dynamisches
Aufwindband ist nicht nur ein
gleichmäßiger Wind mit idealen
Geschwindigkeiten um die 15-
20km/h nötig, sondern auch ein
geeignetes Hindernis, das den Wind
nach oben ablenkt.
Soaring-Gelände "Hochhaus": Achterkurven vorm Schlafzimmer
erhalten. Denn richtig gefährlich
sind für unsere Schirme mit ihrem
geringen Geschwindigkeitsumfang
eigentlich nicht die absoluten Wind geschwindigkeiten, sondern die Differenzen zwischen den Böen. Lieber
ein konstanter, laminarer Wind von
33 km/h als ein Windchen von 15
km/h, in dem urplötzliche Böen von
25 km/h eingelagert sind! Sonst sind
Schirm und Pilot nämlich schnell
überfordert. Ein plötzliches Abfallen
des „Gegenwindes“ hat tatsächlich
kurzzeitig direkte Auswirkungen auf
die Profilströmung und kann den
Schirm sogar zum Stallen bringen.
Unter der Voraussetzung also, daß
der Pilot seinen Schirm beherrscht
und am Soaringhügel überall hindernisfreies und gefahrloses Landen
möglich ist, gehört das Spielen im
dynamischen Aufwind zu den genußreichsten Flugformen. Es ist ein unvergleichliches Erlebnis, in ölglatter
Luft über dem Meer zu kleben, während die Sonne langsam untergeht.
Berühmte Spots liefern Dünen und
Klippen in Holland und Frankreich,
Strömung sammeln
Hoch braucht es nicht unbedingt zu
sein: Ein paar Dutzend Meter können ausreichen. Die Höhe ist über- Dauerbrenner statt
haupt kein Garant. Der fast 4.000 Differenzen
Meter hohe Fujiyama beispielsweise Am Meeresrand dagegen darf ein
bietet nicht unbedingt einen guten wirklich laminarer Wind sogar ruhig
dynamischen Aufwind. Denn der einen Tick stärker sein als im Inland,
Vulkan ist kegelförmig, und der um noch das Prädikat „fliegbar“ zu
Wind streicht eher um ihn
herum als oben darüber. Die
Form ist also bedeutend wichtiger. Am besten ist eine fast senkrechte Wand, die rechtwinkelig
zum Wind steht. Idealerweise
biegt sich die Wand sogar in der
Mitte noch ein bißchen ins
Landesinnere und sammelt die
Winde wie ein Trichter an dieser
Stelle. Dann darf die Luftströmung auch ein bißchen schräger
kommen und wird trotzdem in
Steigvergnügen umgewandelt.
Besonders ergiebig sind dynamische Aufwinde oberhalb von Scharten - wie durch einen Trichter werden die
Auf den Pazifik- und AtlantikKräfte gesammelt. Unter Umständen wird die Strömung sogar gefährlich schnell
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Aufwind
Cyan Magenta Gelb Tiefe
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Piloten schon ungeduldig erwartet wird.
Ein typischer Tagesablauf an
einem südlich orientierten
Flugberg in Meeresnähe kann
so aussehen: Am späten Vormittag hängt der Windsack
oft noch minutenlang schlaff
Links die einfache, normale Seewindzirkulation. Rechts davon eine durch gegensätzliche, überregionale Winde erzeugte
herunter. Bisweilen zeigt er
Konvergenz: Kräftige Aufwinde garantiert!
sogar talabwärts, wenn ein
leichter
meteorologischer
Nordwind weht. Zwischendurch
dabei gilt vor allem die französische nach. Diese wird in einen Kreislauf kommen vereinzelte Thermikböller
Dune du Pyla als das Soaringparadis eingegliedert. Sie steigt in höhere herauf, blähen den Windsack fast
schlechthin. 2.700 Meter lang, 500 Schichten auf, strömt dort wieder in zum Platzen. Einige Minuten bleibt
Meter breit und 118 Meter hoch ist Meeresrichtung zurück, und dann er so, dann atmet er wieder aus und
diese Wanderdüne. Ein gigantischer auf dem offenen Meer wieder herab.
Soaring-Sandhaufen und Schirm- Dieser Kreislauf ist an der Dune du
Eine ebenfalls äußerst ungewöhnliche,
Spielplatz am Meeresrand. Häufige Pyla deutlich schwächer als beiaber durchaus mögliche SoaringgeleWestwinde kommen genau „richtig“, spielsweise an der kalifornischen
genheit befindet sich vor großen
Cumuluswolken. Die stehen nämlich
allerdings können sie auch schnell zu Küste, wo kalte Meeresströmungen
oft „dem Wind im Weg” und driften
stark werden.
starke thermische Kontraste zum
nicht ab, sondern „stützen“ sich am
Denn dem Paradies fehlt noch das Festland und damit weltberühmte
Boden ab. Dementsprechend kann ein
„Tüpfelchen auf dem i“: eine wirk- Flugbedingungen schaffen.
geschickter Pilot tatsächlich den Kopf
lich verläßliche thermische Brise, die In Europa können solche Bedingunals Soaringgelände mißbrauchen. Für
auch ohne meteorologischen Wind gen noch am ehesten im sonnenverGleitschirme ist das aber extrem
täglich wehen würde. Doch dafür ist wöhnten Mittelmeerraum anzutrefschwierig zu realisieren. Erstens gehödas Hinterland der Düne vergleichs- fen sein, obwohl sich dieses relativ
ren unsere Tücher nicht in die Nähe
weise zu flach und zu feucht, und „kleine“ Meer natürlich im Sommer
von solchen großen Blumenkohlgewächsen, zweitens kommen sie in der
der Temperaturgegensatz zwischen schnell aufheizt und die Kontraste
Praxis kaum so hoch, drittens überdem Festland und dem warmen zum Land wieder abnehmen. Densteigt die Windgeschwindigkeit in dieMeereswasser nicht groß genug. Zur noch ist die „Brise de Mer“ mit vielen
sen Höhen oft ihre EigengeschwinErinnerung: Eine Meeresbrise ent- südfranzösischen Flugbergen undigkeit.
steht an Küsten mit großen Tempe- trennbar verbunden. Sie wacht meiraturgegensätzen zwischen Land und stens gegen Mittag auf und dringt
Wasser. Die im Hinterland aufstei- dann bis zu 50 Kilometer ins sinkt in sich zusammen. Übliches
gende Luft saugt kühlere Meeresluft
Landesinnere hinein, wo sie von den
Thermikspiel also. Doch gegen drei
Uhr passiert es dann auf einmal: Der
Windsack bleibt fast senkrecht, und
Piloten drehen auf, Brisen drehen um
die Luft, die vorher nur den heißen
Meeresbrisen wehen nicht immer genau rechtAtem von Kalkfelsen und süßlich
winklig aufs Land zu. Im Idealfall ist beispielsweise
duftendem Buschwerk trug, riecht
eine isolierte, runde Insel natürlich von einem
auf
einmal salzig-feucht nach Meer.
Kranz konvergierender „Windpfeile“ umgeben, und
„Sie ist da!“, stellen dann die wartenüber dem Zentrum der Insel steht ein „Megaden Piloten zufrieden fest. „Sie“, das
schlauch“.
An den Küsten großer Festlandsmassen saugen
ist die Meeresbrise, jene Windfront,
aber oft „große Gebirge“ an den Strömungen und
die mittags am Meer erwacht und
lenken sie ab: die Brisen wehen manchmal aus unerwarteten Richtungen. Auch werunaufhaltsam ins Landesinnere marden große Brisensysteme von Corioliskraft und Sonnenstand beeinflußt: im Tagesschiert, um dann am Nachmittag die
verlauf dreht die Richtung der Brisen (auf der Nordhalbkugel) meistens nach rechts,
Flugberge zu erreichen. Wenn sie
dabei werden als durchschnittliche Werte 20 Grad Drehung pro Stunden genannt.
eintrifft, vermischt sie sich mit den
(Die Sonne selber dreht in
Thermiken
und ist oft 40 km/h stark.
17 h jeder Stunde 15 Grad weiter).
14 h
Die, die schon in der Luft sind, verEin eher westlich orientierter
tauschen die Jojo-Bahn des ThermikSoaringhügel kann also abends
dank einer besseren Orienfluges mit einem komfortablen Statitierung, trotz abschwächenonärflug hoch über den Gipfeln. Sie
der Windgeschwindigkeiten,
nutzen den Zusammenfluß von
noch mal „den richtigen Kick“
Thermik, meteorologischem Wind
bekommen.
und Meeresbrise für ungeahnte Hö-
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Aufwind
Entspanntes Küstensoaring gehört mit zu den schönsten Flugerlebnissen
henflüge aus. Kleine Cumuluswolken verraten oft deutlich die Position
dieser Konvergenz. Die anderen
Piloten können wegen des starken
Windes nicht starten und müssen
noch warten, bis der Thermikanteil
wieder etwas nachläßt und sich die
Brise in einen gleichmäßigen dynamischen Aufwind um die 25 km/h
verwandelt. Ab dem Moment ist das
angenehme und streßfreie Soaring in
abendlicher Luft meist garantiert.
Nachts dreht sich der Zyklus um, das
Land kühlt schneller aus als das
Unwort „Thermodynamik“
Das Wort „Thermodynamik“ verkommt
schon fast zum Unwort. Schuld daran tragen unzählige Piloten, darunter sogar
Fluglehrer und Wettkampfpiloten, die sich
zu einer wissenschaftlichen Ungenauigkeit
hinreißen lassen und mit diesem Begriff
eine Mischung aus thermischen und dynamischen Aufwinden bezeichnen. Dabei hat
die Thermodynamik damit nur entfernt zu
tun. Sie ist laut Fremdwörterbuch des Duden das „Teilgebiet der Physik, das sich mit
der Untersuchung des Verhaltens physikalischer Systeme bei Temperaturänderung,
besonders beim Zuführen und Abführen
von Wärme, befaßt.“ Wenn sich eine Thermik-Luftblase beim Aufstieg ausdehnt,
handelt es sich beispielsweise um einen
thermodynamischen Vorgang - mit einem
dynamischen Aufwind hat dieser aber nicht
das Geringste zu tun! Zur Verteidigung der
Sprach-Sünder muß aber auch gesagt werden: Es gibt keine schöne und kurze
Bezeichnungen für Mischlings-Aufwinde
aus Thermikblasen und dynamischen
Aufwinden. Wer eine gute Idee hat, darf sie
gerne unter [email protected] der Redaktion melden!
Meer, und die Landbrise weht. Sie
ist aber schwächer als die Seebrise sonst könnte man sich sogar vorstellen, auf einem Inselchen vor der
Küste zu soaren. Ganz wie die
Piloten, die die „Unverfrorenheit“
besaßen, spät abends selbst noch
den Talwind einer eiskalten Alpenlandschaft minutenlang auszunutzen. Nach einem Skistart in größerer
Höhe sollen sie beim Landeanflug
vor den langgezogenen Bauten eines
riesigen Hotels festgestellt haben,
daß die großen Mengen kalter
Luftmassen auf ihrem Weg in
Richtung Tal gegen die Bergseite des
U-förmigen Wohnkomplexes strömten und so einen hervorragenden
Soaringhügel daraus machten!