roctrip china reinhold messner interview robert

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roctrip china reinhold messner interview robert
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Eur opean Clim bing Magazine
März / April / Mai 2012 / / /
CLIMAX MAGAZINE Ausgabe 14 AUT € 5,90 / GER € 6,90 / SUI CHF 12,50
PHILOSOPHICUM: BERND ZANGERL
& BEAT KAMMERLANDER
INES PAPERT
IN HARBIN
ROCTRIP CHINA
OIDA LECK:
DAVID LAMA AM CERRO TORRE
ROBERT BÖSCH PORTFOLIO
HIGH5: NALLE HUKKATAIVAL
REINHOLD MESSNER
DANIEL WOODS IN EUROPA
INTERVIEW
8
Ruth Taylor klettert an der
New Mills Torrs Bridge.
Pic Lukasz Warzecha
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Dieses Produkt entspricht dem Österreichischen Umweltzeichen
für schadstoffarme Druckprodukte (UZ 24), www.fairprint.at
Grasl Druck & Neue Medien, Bad Vöslau, UW-Nr. 715
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9
ONSEIT
CLIMA X IS T GRÜN
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ndlich. Die Apokalypse klopft an die
Tür. Behaupten zumindest diejenigen,
die vom Ende des berüchtigten MayaKalenders den Weltuntergang herleiten. Lasst
uns einfach damit kokettieren, dass dem wirklich so ist. Bleibt also nicht mehr allzuviel Zeit.
Wie immer, wenn ein Ablaufdatum vor der
Tür steht, wird die Prioritätenliste ordentlich
durcheinander gerüttelt. In was investieren wir die knappe, uns noch zu Verfügung
stehende Zeit?
E
Wir werden auf jeden Fall klettern gehen, so
oft wie nur irgendwie möglich. Denn wenn
die große Abrechnung kommt, welches Netto
möchtest du dann vorweisen? Zahlreiche
Überstunden im Büro, weil der Konsumzwang
die Vernunft zum Konsum zwang? Zahlreiche
Stunden vor dem Fernseher, weil sich die
Motivation gerade nicht ausreichend motiviert
gefühlt hat? Zahlreiche Stunden an belangloser Zerstreuung, weil der Fokus sich nicht fokussieren konnte? Nein. Das wollen wir nicht.
Da glauben wir lieber an den Weltuntergang,
der uns mit einem kräftigen Tritt in den Arsch
bewegt. Dazu bewegt, die Qualität von Zeit zu
erkennen. Dazu bewegt, uns zu bewegen und
wieder richtig wach zu werden.
Unser Netto soll in etwa so aussehen: Viele
Stunden am Fels. Viel Zeit mit Freunden in
der Natur. Viele gemeinsame Erlebnisse. Viel
geteilte Freude. Viel geteiles Leid. Kaltes Bier
im warmen Sonnenuntergang. Warmer Sonnenuntergang mit heißer Grillage. Schlaflose
Nächte aufgrund zu knackender Probleme.
Schlaflose Nächte aufgrund geknackter Probleme. Viele schöne Linien. Lange Touren mit
Genussfaktor. Boulder an der Schmerzgrenze.
Lagerfeuer am Fuß der Wand. Sternenklare
Nächte im Schlafsack. Offene Finger und
Chalk im Haar. Schweißtropfen am Rücken.
Schweißtropfen auf der Stirn. Lange Runouts.
Tonnenweise Muskelkater und Rasttage mit
Nonsensfaktor. Offene Straßen und neue
Gebiete. Neue Bekanntschaften. Neue Menschen. Neue Länder. Neue Erfahrungen. Das
neue Climax will dich mit seinen vielfältigen
Themen inspirieren, motivieren und bewegen,
genau diese Dinge zu tun.
Klimaneutrale Produktion
Erneuerbare Energie
Nachhaltiges Papier
Pflanzenölfarben
„Lebe dein Leben so, als wäre es dein letzter
Tag auf Erden“, ist ein Spruch, der sich an
dieser Stelle gut zitieren lässt, aber unvollständig, ja sogar banal ist ohne seinen Zusatz:
„Aber plane deine Zukunft so, als würdest du
ewig leben.”
Aus diesem Grund haben wir 2012 einen für
uns wichtigen Schritt gemacht. Und die Druckerei gewechselt. Climax ist ab sofort grün.
Grüner als unsere Mitbewerber, grüner als
die meisten Zeitschriften am Markt. Auf FSC
(Forest Stewardship Council) Papier, das aus
nachhaltiger und sozial gerechter Waldbewirtschaftung kommt, haben wir schon lange
gedruckt. Nun lassen wir Climax von einer der
nachhaltigsten Druckereien Europas (siehe
Greenpoint, Seite 76) produzieren. Das bringt
natürlich Veränderungen im Erscheinungsbild
mit sich. Veränderungen, die wir bewusst
eingegangen sind, weil wir als „European
Outdoor Conservation Association“- und „1%
for the planet“-Partner unsere Position ernst
nehmen. Aber Climax droht jetzt nicht mit erhobenem Zeigefinger. Wir planen die Zukunft
einfach so, als würde es Klettern ewig geben.
Und wollen unseren Beitrag leisten, dies in
möglichst intakter Natur tun zu können.
Der ganze Hype um 2012 ist daher ein guter
Katalysator. Wir sollten uns mehr den Dingen
widmen, die uns wirklich wichtig sind. Wir
sollten über unseren Tellerrand hinausdenken
beziehungsweise nachdenken. Daher haben
wir in dieses Heft auch ein paar kritische
Themen verpackt, wie zum Beispiel einen
spannenden Artikel von Dr. Volker Schöffl zum
Thema Magersucht und Klettern (Seite 82)
oder das Interview mit Reinhold Messner über
den Showalpinismus (Seite 68).
Fazit: Klettern macht uns zufrieden. Klettern
macht uns glücklich. Und wenn wir zufrieden
und glücklich sind UND durch unser Tun
überlegte Schritte setzen, dann wird es sich
die Welt wahrscheinlich nochmals überlegen,
ob sie wirklich untergehen will...
In diesem Sinne: Auf 2012!
Mike
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10
INSEIT
08
ONSEIT
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FLASHBACK
News from the past
22
OIDA LECK!
David Lama befreit die
Kompressor Route
28
ROCTRIP
Petzl RocTrip China
42
PHILOSOPHICUM
Bed & Breakfast. Beavis & Butthead.
Beat Kammerlander & Bernd Zangerl.
54
ROBERT BÖSCH PORTFOLIO
Der Großmeister und seine Bilder
68
REINHOLD MESSNER
INTERVIEW
Der Großmeister und seine Worte
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SPEAKERS CORNER
Steve McClure über die Grauzone des
Begehungsstils
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GREENPOINT
Climax ist grün
78
FRESH INDUSTRY
Climbers Paradise Tirol
80
TECHDOG
Was so an (altem) Zeugs in den Bergen
rumhängt
82
EMERGENCY ROOM
Light & Fast? Ist nicht immer gut, vor allem
wenn’s um’s Essen geht
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RETROSPEKT
These boots aren’t made for walking: Die
Geschichte des Kletterschuhs
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MATERIAL WÖRLD
Produkte der guten Sorte
98
MEDIA WÖRLD
Für die Downdayz
100
HIGH FIVE
So ein Wahnsinn, hier kommt der
Naaalle, NALLE, NALLE, NALLE!
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DIE WOODS IN EUROPA
Die exklusive Climax Foto-Love-Story
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MANDSCHURIAN BEAT
Kalt, Kälter, Papert
127
IMPRESSUM
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BOULDACOP
Krieg der Sterne
COVER STORY
Pic Big Bernie Fiedler
80 Meter ist die von Jorg Verhoeven im Zillertaler
Klettergebiet „Bergstation“ eröffnete Route Ichi
Ban. Bewertet hat sie der Jorg im Jahr 2008 mit
8c. Damals ist er das Unding in einem Stück mit
einem 200 Meter Seil geklettert. Ausdauerstrom
ohne Ende sagen wir dazu nur. 2011 nützte Jorg die
Route dagegen für ein kleines „Sturztraining“. Oder
um seinen Namen „Flying Dutchman“ gerecht zu
werden? Wie auch immer, Johannes Mair war mit
vor Ort und hat einen geilen Shot mitgebracht.
Pic Johannes Mair
valerien-werbung.com
Markus Bock rocks!
HABANERO VCR
www.redchili.de
by Stefan Glowacz
12
Pic Michele Francia
13
Euphorie, jedoch nicht für Realitätsverlust. Seine Abwertung auf 8B+ nimmt
sich bescheiden aus, schmälert das
herausragende dieses seltenen Bouldermoments jedoch keineswegs - hardest
flash in history.
REGELWIDRIGKEITEN - BEWARE
THE LIST!
ICH WEISS, WAS
DU LETZTEN HERBST
GETAN HAST.
Mann/Frau Starkstrom hat zehn
Klettertage. Mit ein bisschen Wetterglück, Gebietskenntnis und guter Fingerhaut oder genügend Loctite zum Cuts
Kleben im Kulturbeutel kann an jedem
dieser zehn Tage angewerkt werden.
Stimmt die Form, wurde brav youtube
geschaut, die Sequenz gebüffelt, mit den
ErstbegeherInnen persönlich telefoniert
oder diese gar heimgesucht, um das
entscheidende Quäntchen Beta bei
einem Tête-à-tête herauszuquetschen,
dann kann es schon sein, dass in diesen
zehn Tagen eine Reihe harter Bouldernüsse geknackt werden. Zehn Prozent
davon befinden sich am oberen Rand der
Schwierigkeitsskala, sind „Boa, ey!“, „I
wear narrisch“ und „supersick“. 30 Prozent sind immer noch „Servas G‘schäft“,
„Brutal gsi“ und „Phät“. Und der Rest
hat auch noch jede Menge Swäg, der
newsworthy ist.
Allherbstlich, wenn die fallende
Lufttemperatur den Grip nach oben
schraubt, schwärmt die internationale
Superboulderer-Entourage (Dave
Graham, Adam Ondra, Daniel Woods,
Alex Puccio, Carlo Traversi, Alex
Johnson, Jimmy Webb, Anna Stöhr,
uva.) in sämtliche Top-Destinationen
vom Rocky Mountain National Park bis
nach Fountainebleau. Das hat unter
Berücksichtigung obiger Überlegungen
vor allem eines zufolge: Eine laaaaaange
Liste mit einer Meeeeenge beeindruckender, schwerwiegender, abartiger
Begehungen, die wir uuuunmöglich alle
veröffentlichen können. Unser Überlick
über die herausragenden Begehungen
des Herbstes und des Winters soll
genau deswegen kein reizüberflutender
8B-Hagel sein, sondern vielmehr ein
sinnliches Betrachten von Sternschnuppen, jenen hellen Seltenheiten, die aus
dem Boulderorbit herausleuchten.
(HARD)CORE MADE IN ITALIEN
Heutzutage muss man nicht ins Rampenlicht drängen, um sich dort wiederzufinden. Der italienische Boulderer Christian
Core gehört nicht unbedingt zu jenen
Kletterern, die viel Aufhebens um die
eigene Person machen. Nur von Zeit zu
Zeit taucht er mit der einen oder anderen
herausragenden Begehung im Streiflicht
des Ruhmes auf, um kurz darauf wieder
aus dem Blickfeld zu verschwinden
und die Bühne anderen zu überlassen.
Wer sich ein wenig ausführlicher mit
dem Kletterer Christian Core, übrigens
Weltcup-Gewinner 1999 und 2002 im
Bouldern sowie Weltmeister derselben
Disziplin anno 2003, beschäftigt, wird
beeindruckt sein, was der Mann schon
alles unter den starken Fingern hatte.
Gioia, seinen schwersten Boulder,
beging Christian anno 2008 in Varazze
(Italien) und bewertete ihn vorsichtig mit
dem seltenen Grad 8C.
Wird ein solcher Übergrad ausgeworfen,
dauert es meistens nicht lange, bis sich
potentielle Wiederholer einfinden. Im
Falle dieses Meisterstücks vergingen
drei Jahre, bis sich Adam Ondra, der
sich noch immer auf beeindruckender
Mission um die Welt befindet, um die
schwierigsten Felsprobleme zu lösen, die
Leistung des Christian Core ins rechte
Licht rücken konnte. Insgesamt elf Tage
benötigte der Ausnahmekletterer, um die
acht Züge von Gioia zu knacken, mehr als
ein Versuch pro Tag war einfach nicht
drin. Der Umstand, dass sich Adam in
ausgezeichneter Verfassung befand erst kurz vor seiner Fahrt nach Varazze
konnte er mit Terranova (8C+) in Holstejn
einen seiner schwersten Boulder
knacken - lässt die Schwierigkeit der
Züge noch beeindruckender erscheinen.
Wie so oft ließ es sich der tschechische
Ausnahmekletterer nicht nehmen, die
Bewertung nach erfolgreicher Begehung
zu korrigieren. Ausnahmsweise schlägt
Adam ein Upgrade vor und zollt Christian
Cores Leistung damit rückwirkend Respekt: „Wenn das 8C ist, dann würden die
Boulder-Grade nicht mehr stimmen. Man
müsste all die 8B+ Boulder abwerten und
viele der 8Cs auch“, so Adam. Adams
Bewertungsvorschlag mag auch nur einen subjektiven Eindruck widerspiegeln,
wenn auch einen gewichtigen. Nicht
zuletzt zeigt seine Leistung, dass sich ein
Blick auf vergangene Leistungen abseits
des Mainstreams lohnt und viel Freude,
Gioia, versprechen kann.
WOODS IN THE WOODS
Wenn die Bezeichnung Ausnahmekletterer fällt, dann kommt einem ein
weiterer Kletterer in den Sinn, dessen
Begehungen anmuten, als seien sie von
einem anderen Stern. Einzigartig unter
all diesen war der Flash des Boulders
Entlinge (8C) im schweizerischen
Murgtal, der vom Boulderpapst Fred
Nicole schon 2005 erstbegangen und
von Bernd Zangerl und Fritz Widmer
2009 mit der zweiten respektive dritten
Wiederholung beglückt wurde. Ein
Flash im unmöglichen Bereich 8B ist
zwar selten, doch er ist schon passiert.
Paul Robinson, James Pearson, Adam
Ondra, Tyler Landman und Fred Nicole
sind einige der wenigen, denen ein solch
perfekter Antritt schon gelungen ist.
Mit Gecko Assis (8B+) erweiterte Adam
die Dimension des Möglichen um ein
kleines Plus. 8C nimmt sich im Vergleich
dazu fast utopisch aus. Im Windschatten
dieser Ausnahmebegehung machte sich
sogleich Euphorie breit, die Türe in eine
neue Dimension des Bouldern wurde als
endgültig aufgestoßen angekündigt - alles sei ab jetzt möglich. Und Daniel? Der
war natürlich hocherfreut, schließlich
handelte es sich um seinen schwersten
Flash. Grund genug für zeitweilige
Den altklugen Sager, dass Ausnahmen
die Regeln bestätigen, kennt ein jeder.
Nicht selten wird dieser Euphemismus
herangezogen, um einen Regelverstoß
zu rechtfertigen. Bei Logikern beißt man
mit dieser Formel auf Granit. Mathematisch gesehen ist diese Aussage völliger
Schmarrn, sagen die. Ob sie Recht
haben, können wohl nur ebensolche
Logikhirne beurteilen, Climax hingegen
nicht. Wir brechen einfach die eingangs
auferlegte Regel, in diesem Artikel keine
endlos lange Liste zu erwähnen. Warum?
Wegen Guntram. Wegen Jörg.
Mittlerweile gibt es so viele talentierte
BoulderInnen, dass man mit dem Zählen
kaum nachkommt. Wie aus dem Nichts
tauchen sie auf und bügeln schwerste
Boulder nieder. Manchmal verschwinden
sie so schnell, wie sie aufgetaucht sind.
Der aus Nüziders in Vorarlberg stammende Boulderer Guntram Jörg fällt in
punkto Plötzlichkeit und überraschendes
Auftreten durchaus in diese Kategorie.
Gegen das Abgestempelt-Werden als
Eintagsfliege und one-hit-wonderProtagonist stehen eine Unzahl schwerer
Begehungen. Bis vor einem Jahr dürfte
er nur jenen bekannt gewesen sein, die
sich im Vorbeigehen gewundert haben,
wer der Typ ist, der scheinbar alles festhalten kann. Unterschiedlichsten Quellen
zufolge dürfte Herr Jörg anno 2011
mehr ab 8A aufwärts geklettert sein als
irgendwer sonst. Keine Frage, der Mann
ist viel am Werken, vor allem seit er sich
mit Daniel Woods auch noch auf eine
monatelange Boulderodyssee quer durch
Europa begeben hat. Nicht nur schiere
Quantität, sondern auch Qualität ist
Ergebnis und Maxime dieses Weges, der
vor allem sich selbst zum Ziel hat.
Eines der Highlights der vergangenen
Saison gelang Gu mit der (fünften)
Begehung des von Bernd Zangerl erstbegangenen Boulders Anam Cara (8C) in
der Silvretta. Mit Wiederholungen des
Graham Testpieces Big Paw (8C) in Chironico sowie Fred Nicole‘s Sur De Fil (8B+)
zeigt er, dass dies keine Eintagsfliege
war. Beinahe allwöchentlich sickern
zudem Meldungen von Erstbegehungen
und Wiederholungen etlicher 8B-Boulder
durch, die Gu irgendwo in Europa
hergezockt hat. Alle zu erwähnen ist
weder sinnvoll noch möglich. Der Junge
ist heiß, glaubt es einfach!
Pic Francisco Taranto JR.
14
OB EXTENSION ODER ORIGINAL:
FLANIERT WIRD!
La Rambla im El Pati Sektor in Siurana
gehört zu den Veteranen im nach wie vor
sehr erlauchten Zirkel der 9a+ Routen.
Ursprünglich eingebohrt wurde die
Route bereits 1994 von Alexander Huber.
Weil Arbeit allein nicht glücklich macht,
verpasste er ihr neben funkelnagelneuen
Bolts auch gleich den roten Punkt. Die
8c+ Bewertung ließ aufhorchen und
machte die Route damals zu einer der
schwersten weltweit. Das blieb sie
dann eine Weile, um genau zu sein neun
Jahre, bis sich 2003 der Spanier Ramón
Julián Puigblanque die zweite Begehung
sicherte und im Zuge dessen die Route,
die in etwa auf drei Viertel der Wandhöhe endete, gleich um ein Stückchen
verlängerte, indem er in die Nachbarroute La Reina Mora traversierte. Ramón
bewertete das Ganze mit 9a+ und
steuerte auch ein Namensupdate bei: La
Rambla Extension (im Gegensatz zu La
Rambla Original). Gut, das leuchtet ein:
Da ist jetzt was länger geworden, also
muss es auch schwerer sein, umgekehrt
geht‘s ja nicht. Zudem wär‘s sinnlos
gewesen weiter zu klettern, wenn sich
die Schwierigkeit dadurch nicht geändert
hätte. Irgendwie logisch.
Wie das? Ein Erklärungsversuch: Bekanntlich hat Alex bei seiner damaligen
Begehung von La Rambla (ergänze:
Original) die Bewertung in Bezug zur
damaligen Benchmark-9a, Wolfgang
Güllich‘s Action Directe, gesetzt. Diese
konnte Alex nicht klettern, weswegen es
für ihn klar war, dass La Rambla (ergänze:
Original), die er klettern konnte, leichter
sein muss. Die Unterschiedlichkeit des
Routencharakters - die eine ein 45m
Ausdauergerät, die andere ein 12m Powerfest - hat in diese Überlegung nicht
Einzug gehalten. Weiters ist bekannt,
dass viele von Alex‘ Erstbegehungen
am Schleier Wasserfall (z.B. Weiße
Rose, Open Air... ) aufgewertet wurden.
Adam Ondra, der Weiße Rose (damals
8c+, jetzt 9a), Action directe (damals 9a,
immer noch 9a) und La Rambla (damals
wahrscheinlich nicht 8c+, jetzt ziemlich
wahrscheinlich 9a+) klettern konnte
und somit den ultimativen Vergleich
hat, meinte, dass ihm Weiße Rose am
schwersten gefallen ist. Man streue eine
Prise subjektive Bewertungsunschärfe
drüber und dann macht das Ganze schon
wieder mehr Sinn. Oder auch nicht.
Soviel jedenfalls zur Geschichte.
In den letzten Jahren wurde auf der La
Rambla Extension mehrfach erfolgreich
flaniert: Edu Marín Garcia (11/2006),
Chris Sharma (12/2006), Andreas
Bindhammer (05/2007) Patxi Usobiaga
(11/2007), Adam Ondra (02/2008) waren
bis Dezember letzten Jahres die Namen
derer, die nach 45 sturzfreien Klettermetern den Umlenker klippten. Dann
meldete sich Alexander Huber in einem
Interview zu Wort und behauptete,
dass die Traverse, die Puigblanque und
alle nach ihm vollführt hatten, für die
Schwierigkeit der Route „irrelevant“ (A.
Huber) sei. Also doch „nur“ 8c+?
Jeder kennt das Gefühl, eine Route
geklettert zu sein, um im Nachhinein
mitgeteilt zu bekommen, dass das Ganze
„eigentlich ja viiiiiel leichter ist“. Ein
5er statt einem 7er, das tut weh. 8c+
statt 9a+ täte es ebenso. Schmerzen
soll wegen einer Kletterroute niemand
leiden und Bewertungen sind ja nicht
zuletzt subjektiv, dennoch verwundert
die Ungleichheit der Ansichten.
Enzo Oddo, der sich die Wiederholung
der Route zu Weihnachten schenkte,
dürfte bei seiner Begehung von Auf- oder
Abrundungen unberührt und ungerührt
geblieben sein. Gut so, denn hätte er
sich auch noch damit auseinandersetzen
müssen, hätte er vielleicht mehr als 25
Versuche gebraucht, um die Route zu
klettern. Enzo, der mit 15 anno 2010 das
französische Felsheiligtum Biographie
bzw. Realization (9a+) punkten konnte,
ist kein Neuling im Übergrad 9a+.
2011 konnte er schon Aubade (9a+)
einheimsen. Etliche 9a‘s stehen sowieso
auf der Habenseite. Kurz nach der
erfolgreichen Begehung seiner dritten
9a+ legte das 16-jährige Musketier mit
den übernatürlichen Kräften noch eins
drauf. Der El Pati Sektor bot weiteres
Potential zum vertikalen Flanieren und so
kletterte Enzo auch noch Estado Critico
(9a). Einfach so, weil‘s schön war.
La Rambla 9a+, Siurana, Spanien
Erstbegehung: Ramón Julián
Puigblanque 2003
Wiederholungen: Edu Marín Garcia
(11/2006), Chris Sharma (12/2006),
Andreas Bindhammer (05/2007)
Patxi Usobiaga (11/2007), Adam Ondra
(02/2008), Enzo Oddo (12/2011)
Pic Håvard Gossé Bergseth
16
EIN FETTER
ROADTRIP, ZWEI
KUGELRUNDE
GESTALTEN
EDELRID PRESENTS
JORG VERHOEVEN UND KATHA
SAURWEIN AUF US-TOUR.
Zwei Dinge fallen mir zum Reisen ein: Man
braucht Zeit, um es zu tun und Geld, um sich diese
Zeit leisten zu können. Dieses Schicksal eint die
meisten Berufstätigen, auch wenn es nur die
wenigsten glücklich macht. Wenn die zwei, von
denen wir im Folgenden berichten, eine Reise tun,
für die der opulente Zeitrahmen von einem halben
Jahr veranschlagt wurde, dann will man schon
wissen, wie das geht: Lottogewinn, Erbschaft,
geschicktes Ausnutzen des Wohlfahrtsstaates?
Ein halbes Jahr? Dagegen nimmt sich der
Durchschnittsurlaub wie eine verlängerte
Mittagspause aus.
Keine Sorge, hier geht es mit rechten Dingen zu.
Denn für Jorg Verhoeven (übrigens Lead Weltcupgesamtsieger 2008) und seine Freundin Katha
Saurwein (übrigens Rockmasterin im Bouldern
2008) ist ein Kletterurlaub nicht nur unter dem
Aspekt des reinen Vergnügens zu sehen - dieser
hat ja unbestreitbar auch etwas mit ihrer Profession zu tun. So betrachtet befinden sich die
beiden eigentlich auf einer halbjährigen Arbeitsreise, die Armen.
Zum Auftakt ging es nach China. Beim JiangyinMasters konnten die beiden mit einem ersten
(Jorg) bzw. vierten Platz (Katha) das Reisebudget
ein wenig auffetten und so ging es frohen Mutes
nach Kentucky in die Red River Gorge. Das hört
sich in zweierlei Hinsicht besser an, als es war.
Denn das Wetter hieß die Reisenden mit Nebel,
Regen und fünf Grad kühl willkommen. Außerdem
residierten die beiden im Zelt. So gut bezahlt
China die KletterInnen auch nicht. Gegen das
Wetter kann man schwerlich was ausrichten und
manchmal haben schlechte Bedingungen etwas
Gutes: Sie schulen den Umgang mit dem inneren
Schweinehund und lassen dabei ungeahnte Kräfte zum Vorschein kommen. Trotz Regen bügelten
die beiden nieder, was ihnen unter die Finger kam.
Jorg holte sich unter anderen Pure Imagination
(9a), Southern Smoke (8c+) und 50 Words for Pump
(8c+). Die eher Boulder affine Katha knackte Ultra
Perm (8b). Drei Wochen waren vergangen, eilig
weiter war die Devise, es blieben nur noch 23
Wochen Resturlaub. Next stop: Yosemite. Der
Empfang war diesmal nicht nur kühl, sondern
frostig. Es gibt wahrlich Schöneres, als bei minus
15 Grad zu zelten und bei minus zehn Grad in Rissen herumzujammen. Immerhin spürt man es dann
nicht, wenn es einem die Haut von den Fingern
schabt. Teamspirit ist in solchen Momenten alles
und der passte bei K+J einfach. So gelang ihnen
der Ultraklassiker Astroman. Ein Versuch am noch
ultimativeren Klassiker, der Nose, wurde kältebedingt auf später verlegt. Wer will sich schon an
der Nase den Arsch abfrieren?
Goodbye, Yosemite, hello Bishop! Beim Bouldern
sind niedrige Temperaturen mehr von Vorteil
als beim Multi-Pitchen und so fanden Jorg und
Katha erstmals ideale Bedingungen vor. „Some
of the boulders are high, some hard and some
a bit too high“, fasst Jorg die Situation vor Ort
zusammen und zog mit einer Begehung von
Ambrosia (8A), dem gefürchteten Highball neben
dem Knöchelbrecher-Klassiker Evilution, positive
Konsequenzen. Katha holte sich dafür die zweite
Damenbegehung von This Side of Paradise (7C+)
nach Lisa Rands (2007). Nach knapp vier Wochen
vor Ort hatte auch das schöne Bishop das Höchstmaß an Zumutbarkeit erreicht. Abreise.
Zion, Moab, Redrocks: Viele Ziele standen noch
auf der Liste, doch die Spuren unserer eifrigen
Dienstreisenden begannen sich langsam im
Staub Nevadas zu verlieren. Ihr letzter Aufenthalt
dürfte in Las Vegas gewesen sein, wo sie sich in
ein Kurhotel begeben hatten. Der Umstand, dass
ihnen kaum mehr 20 Wochen, das sind nicht mal
140(!) Tage, bitte, Urlaub blieben, dürfte ihnen
aufs Gemüt geschlagen haben. Nach wenigen
Tagen verließen sie die pittoreske Stadt. Climax
hofft, dass sie der Krise Herr geworden sind und
weiterhin eine schöne Zeit haben, wo auch immer
sie sein mögen.
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18
Pic Jimmy Chin / The North Face
FLOSSENDIRETISSIMA
CONRAD ANKER, RENAN OZTURK UND JIMMY CHIN KLETTERN VIA DER SHARK FIN AUF DEN MERU CENTRAL.
Haifischflossen und Menschen - das
geht selten gut zusammen. Taucht eine
unversehens auf, ist man gut beraten,
schleunigst das Weite zu suchen und
sich ins Trockene zu vertschüssen. Die
Haifischflosse (a.k.a. „The Shark Fin“),
der 1.300 Meter hohe Zentralpfeiler der
Nordwestwand des im Garhwal-Himalaya Indiens gelegenen Meru Central
(6.310m), ist da keine Ausnahme. Auch
wenn man nicht befürchten muss in der
Mitte durchgebissen zu werden, kann es
Mensch gefährlich werden, wenn er sich
zu lange spielt.
Potentielle Gefahr wirkt nicht unbedingt
abschreckend, wenn man der Anziehungskraft des Objektes der Begierde
einmal erlegen ist und das Begehren
die Angst in den Hintergrund drängt.
Etlichen Alpinisten war die Flosse aufgefallen, etliche wollten an ihr hinauf,
den Pfeiler in direkter Linie klettern,
gelungen ist es lange Zeit keinem von
ihnen. Versuche gab es oft und wenn
sie nicht am schlechten Wetter oder
zu wenig Material scheiterten, dann
resultierten sie in einer neuen Route auf
den Meru Central. Wie im Fall von Valeri
Babanov, der nach einem gescheiterten
Versuch an der Flosse im Herbst 2001
an den Berg zurückkehrte und Shangri
La (ED 5.9/5.10 A1/A2 M5 75 Grad)
eröffnete. Im Solo.
Die nächsten Aspiranten waren die
amerikanischen Extremalpinisten Conrad
Anker, Doug Chabot und Bruce Miller
im Jahr 2003. Zuviel Schnee im oberen
Wandteil kombiniert mit zu wenig
Material für die technische Headwall
holte das Team auf den Boden der
Tatsachen zurück. 2004 beschäftigte
sich ein japanisches Team um Hiroyoshi
Manome, Yasushi Okada, Makoto Kuroda
and Yasuhiro Hanatani mit einer Route
an der Finne. Sie erreichten mit 6.100
Metern zwar einen neuen Highpoint,
mussten aber umkehren, da sich Hanatani bei einem Sturz beide Beine brach.
2006 kamen sie zurück und heimsten die
zweite Besteigung des Meru Central via
einer Variation der Babanov-Route ein.
Nur wenige Tage später gelang dies den
Tschechen Marek Holecek und Jan Kreisinger als dritter Seilschaft, nachdem
sie ihren Plan „Flosse direkt“ verworfen
hatten. Für ihre „Alternativroute“ Filkuv
nebesky smich (7a, M5, 2.000m) benötigten sie 13 Tage.
2008 kehrte auch Conrad Anker, diesmal
flankiert von Jimmy Chin und Renan
Ozturk, an den Meru Zentral zurück, um
die alte Rechnung zu begleichen. Das
Team war motiviert: Bald erreichten die
Kletterer den Highpoint Ankers aus dem
Jahre 2003, doch es half alles nichts:
Trotz strengster Rationierung ihrer für
zehn Tage veranschlagten Verpflegung
mussten sie nach 19 Tagen nur 150 Meterm unterhalb des Gipfels aufgeben.
Das knappe Scheitern der Amerikaner
rief ein weiteres hochkarätiges Team auf
den Plan, das heiß auf den First Ascent
war. Statt einer Materialschlacht im
Bigwall-Stil setzten Silvo Karo, Marko
Lukic und Andrej Grmovsek auf light-andfast im Alpinstil: In sechs Tagen wollte
das Team alles hinter sich gebracht
haben. Viele Wände konnten mit dieser
Taktik niedergerannt werden, doch sie
setzt ideale Bedingungen voraus, um
erfolgreich sein zu können, denn der
Spielraum ist gering. Die Konditionen
waren den Slowenen jedoch nicht hold.
Eine Kombination aus schlechtem Wetter und dem leichten Stil geschuldeten
Materialmangel vereitelte eine erfolgreiche Durchsteigung der Flosse.
Obwohl sich die Amerikaner 2008 nach
ihrem knappen Scheitern geschworen
hatten, nie wieder an diesen Berg zurück
zu kehren, bewirkte die Tatsache, dass
diese ikonische Linie noch immer nicht
geklettert werden konnte, ein Umdenken. Beschleunigt wurde dies durch
den Umstand, dass Ozturk, Anker und
Chin die Route bereits gut kannten und
daher wussten, womit zu rechnen war:
„We got so close in 2008; and having
that knowledge of the route, knowing
all the little things we would‘ve done
differently, it‘s hard not to go back and
throw ourselves at it again.“ Viele Teams
hatten die Haifischflosse im Alpinstil
probiert und genau darin schien auch
der Hund begraben: „Tons of teams have
tried the route alpine style. But you just
can‘t. You have to go aid climbing. It‘s
modern A4 up there,“ so Chin.
Das Team kehrte zurück und machte
dank dem guten Wetter schnell Höhe.
Die Temperaturen lagen zwar stets um
die minus 20 Grad, dennoch schafften
sie dank der stabilen Wetterlage und
dem aus vorherigen Expeditionen
angehäuften Detailwissen an einem Tag
eine Strecke, für die sie anno 2008 sechs
Tage benötigt hatten. Für den unteren
Wandteil brauchten sie insgesamt sechs
Tage - dem mitgebrachten Materialarsenal musste Tribut gezollt werden. Vor allem in der Headwall, der Schlüsselstelle
der Wand, wurde die Geduld der Sicherer
durch technische Schwierigkeiten bis
A4 auf die Probe gestellt: Für manche
Längen brauchte der Vorsteiger bis zu
sechs Stunden. Insgesamt verbrachte
das Team elf Tage in der Wand, bis die
Kletterer den Gipfel erreichten und mit
ihrer astreinen Begehung eines der
letzten großen Probleme im Gharwal-Himalaya lösen konnten. Diese Begehung
ist übrigens für den Piolet d‘Or 2012
nominiert.
www.skylotec.com
KEIN KRAMPF
MIT DEN ADERN
HIGH
PROTECTION
Pic Bjørn-Eivind Årtun
gurO Klettergurt
R.I.P. Bjørn-Eivind Årtun und
Stein-Ivar Gravdal sind am 7.
Februar beim Versuch eine neue
Eisroute am Kjerag in Norwegen
zu klettern tödlich verunglückt.
Norwegen hat damit zwei absolute Topalpinisten verloren. Colin
Haley, mit dem Bjørn-Eivind Årtun
2011 für den Piolet d‘Or nominiert
war und die Climax Olga gewonnen
hatte, fast zusammen: „I might die
climbing. You might, too. We can
make efforts to minimize the risks,
but ultimately we either accept the
possibility of dying on a mountain,
fool ourselves that the possibility
doesn‘t exist - or we quit.“
Die Präsenz norwegischer Kletterer in
Patagonien ist in der Vergangenheit eine
eher spärliche gewesen. Aslak Aastrop
and Øivind Vadla waren zwar schon in
den 80ern vor Ort, blieben aber lange die
Einzigen. In Norwegen gibt es schließlich
auch Berge, eisig kalt und verflucht
stürmisch ist es obendrein. Wenn das
Schöne so nah ist, dann erübrigt es
sich in die Ferne zu schweifen und um
die Welt zu fliegen. Zehn Jahre später,
Anfang der 90er, ließ sich wieder ein
Landsmann blicken. Trim Atle Saeland
gelang zusammen mit Ole Lied dabei
einige beeindruckende Erstbegehungen
wie etwa der Cork-Screw (6b A1 MI6,
1.200m) am Cerro Torre. Dies führte nicht
zuletzt dazu, dass, angeregt von seinen
Erzählungen über das immense alpine
Potential, immer mehr norwegische
Kletterer nach Patagonien pendelten und
die Routenbücher mit neuen Begehungen
zu füllen begannen.
Einer der talentiertesten von ihnen war
und ist Bjørn-Eivind Årtun aus Oslo.
Bjørn-Eivind hat zwar schon zweieinhalb
Kletterjahrzehnte auf dem Buckel und
war in seinem Heimatland Norwegen
an so ziemlich allen harten Trad-Routen
erfolgreich, ins alpine Mixed-Gelände
wechselte der Fels-Afficionado aber erst
2007. Aufgrund einer Ellenbogenverletzung musste er seine Felsprojekte auf Eis
legen. Wer Fels auf oder unter Eis sucht,
für den gibt’s nur eins und so dauerte
es nicht lange, bis sich Bjørn-Eivind als
„Alternative“, wie er es bezeichnete,
dem Alpinklettern zuwandte. Und das
mit ziemlichem Erfolg. Während seiner
bislang fünf Patagonien-Stippvisiten
verbuchte er eine Reihe anspruchsvoller
Begehungen wie Los Tiempos Perdidos
(Marsigny-Parkin 1994, M5 AI5+ MI6,
1.500m) am Cerro Torre, Supercanaleta
(Comesaña-Fonrouge 1965, 6a+ 85°,
1.600m) am Fitz Roy oder Pilar Rojo
(Albert-Arnold 1999, 450m 7b+). Im
Jahr 2011 wurde Bjørn-Eivind durch die
71-Stunden Non-stop-Begehung der
Route Dracula (AI4+ M6R A0, ca. 3.100m)
am Mt. Foraker (zusammen mit Colin
Haley) für den Piolet d‘Or nominiert und
der Climax Olga ausgezeichnet.
2011 ging es zusammen mit Ole Lied
wieder nach Patagonien. Die Linie, die
sie versuchen wollten, befand sich in der
Südwand des Torre Egger und war ihnen
schon 2008 aufgefallen: Ein Geflecht aus
Eislinien, so dünn, dass man die Augen
zusammenkneifen musste, um es sehen
zu können. Nicht viel Gefrorenes klebte
da in der Wand, doch gerade genug, um
hoffentlich eine durchgehende Kletterei
entlang einer völlig neuen Linie zu
ermöglichen. Dennoch blieben Zweifel,
ob sie den Beobachtungen rückhaltlos
trauen konnten und ob nicht vielleicht
doch der Wunsch die Sinne verunklärte.
Letztlich wurden alle Unsicherheiten
durch eine gesunde Dosis Euphorie
wettgemacht und die beiden stiegen ein.
Immer wieder schien es, als würden die
Eisvenen versiegen, doch ebenso oft tat
sich ein Schlupfloch in Form einer neuen,
versteckten Eispassage auf. Nach zwei
Tagen erreichten Bjørn-Eivind und Ole
den Gipfel des Torre Egger. Hinter bzw.
unter ihnen lag Venas Azules (6b+ A1
AI6, 950m).
grid61 Helm
Innovative Technologie
gepaart mit modernem
Design
Der Klettergurt gurO ist mit seinem geringen
Gewicht ein wahrer Allrounder. Comfort Shield
Technologie mit reißfestem SkyDura Gewebe
und 3D Mesh für optimale Lastenverteilung.
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20
SALEWA ROCKSHOW 2012
Rock & Roll: Ehrlicher Schweiß, ehrlicher Sound, ehrliche Helden, ehrliches Lebensgefühl. Rock & Roll: Die ehrliche
Antipode zur androgynen Musik aus der Konserve. Salewa Rockshow: Die ehrliche Antipode zur androgynen Kletterei
auf Plastik. Weil sich das von Salewa ins Leben gerufene und mittlerweile in der vierten Runde befi ndliche Format
primär dort abspielt, wo sich Klettern eben abspielen soll: An interessanten Plätzen, direkt am Fels.
Das Herz ist die Rockshow, eine intensive Kletterreise mit den Profis aus dem
Salewa alpineXtrem Team wie Roger
Schaeli oder Johanna Ernst zu den geilsten Kletterspots in Europa. Letztes Jahr
ging’s durch Deutschland, Frankreich,
Italien, Österreich, Polen, Russland,
Tschechien und die Schweiz. Und heuer
wird noch mal eines draufgelegt. Du
möchtest dabei sein? Du denkst, das ist
dein großer Auftritt? Kein Problem, hier
ist die dazu notwendige To-Do-Liste...
1) Werde Fan von www.facebook.
com/salewa.rockshow
Weil da gibt’s die notwendigen Infos,
die notwendigen Termine. Und die
brauchst du.
2) Die brauchst du, damit du dich
bei den Rockcallings qualifizieren
kannst. Rockcallings finden ab März
in Deutschland, der Schweiz und
Österreich (und auch in anderen Ländern) statt. Dort erscheinst du dann,
kletterst so hart wie möglich, bist so
smart wie möglich und wenn du das
gut machst, dann bist du dabei.
3) Rein in den Salewa Tourbus, ran an
den Fels. In den jeweiligen Destinationen wird dann geklettert. Wieder
gilt: Klettere so hart wie möglich, sei
so smart wie möglich. Weil dann hast
du gute Chancen „Climber of the Day“
zu werden. Als solcher geht’s in die
nächste Runde.
4) Die „Climbers of the Day“ treffen sich
beim großen Finale auf der Fachmesse
Outdoor in Friedrichshafen. Wieder
gilt... Nein diesmal gilt es nicht mehr,
diesmal heißt es anprügeln was geht
und sich den Titel „Climber of the
Tour“ einzuheimsen. Als solcher geht’s
in die nächste Runde.
Pics Claudia Ziegler / Salewa
5) You made it! Willkommen beim
Rockmaster in Arco. Und natürlich
Gratulation!
Weitere Infos unter:
www.salewa.com/rockshow
SALEWA UND CLIMAX
WANT YOU:
Rockshow Reporter
gesucht!
Dir liegt nicht nur das
Klettern, sondern auch das
Schreiben im Blut? Gut so,
denn Salewa und Climax
suchen den RockshowReporter. Wer auf der
Rockshow dabei sein und
live berichten will, bewirbt
sich ab sofort auf
www.climax-magazine.com
MARMOT
FRANKENJURA
KLETTERFESTIVAL
Deutscher Bouldercup Auerbach, Kletterer-Camp Betzenstein und Outdoortag Pegnitztal bilden zusammen das Marmot-Frankenjura-Kletterfestival.
Dieses fi ndet vom 25. bis 28. Mai 2012 im Gebiet der FrankenPfalz statt und ist
auf jeden Fall einen Besuch wert.
Eine Bewegung, die keine Festivals aufzuweisen hat, kann als solche nicht ernst
genommen werden. Bei Klettern gibt
es viele Zusammenkünfte unterschiedlichster Couleur, zum Woodstock der
Vertikalen hat sich aber noch keines emporgeschwungen. Das sollte und könnte
sich nun ändern. Denn in der Heimat des
roten Punktes feiert das Frankenjura
Kletterfestival Premiere. Die Idee
basiert auf der heiligen Dreifaltigkeit von
Klettern, Party und Wettbewerb.
KLETTERN: Geklettert wird, keine
Frage. Immerhin: An den nahe gelegenen
Felsen wurde Klettergeschichte
geschrieben! Zentrale Anlaufstelle ist
das Kletterer-Camp in Betzenstein.
Dort gibt es bis in den Vormittag hinein
frischen Kaffee und Brötchen für die
Camper. Kletter- und Outdoorfirmen sind
mit ihren Ständen, Klamotten, Hardware
und Schnäppchenangeboten präsent.
Im Freibad wartet am Sprungturm eine
DWS-Kletterwand. Außerdem werden
Magazine, Verlage, Touristiker und
Organisationen vertreten sein.
WETTBEWERB: Auerbach löst hier
Frankfurt als Veranstaltungsort ab.
Dazu wird in der modernen Helmut-OttHalle die Kletterwand des Deutschen
Alpenvereins aufgebaut. Am Samstag
findet die Deutsche Jugend Meisterschaft im Bouldern statt, am Sonntag
der Deutsche Bouldercup.
PARTY: Am Samstag Abend dann das
volle Programm im Freibad: Die Band
„Night Nurses“ spielt live, für das
leibliche Wohl ist bestens gesorgt, an
der DWS-Wand werden extra für diesen
Abend knackige Routen geschraubt. Am
Sonntag folgt nach der Siegerehrung ein
Multivisions-Vortrag von Abenteurer und
Kletterer Stefan Glowacz, danach wird
wieder gefeiert.
Termin 25. - 28. Mai 2012
Orte Betzenstein, Auerbach
Eintritt Minimaler Obolus für Zelten,
Duschen, Toiletten, Live-Musik, DWS...
Zeitplan
Freitag, 25. Mai:
Anreise, kleine Welcome-Party
Samstag, 26. Mai:
Ab 10:00: Deutsche Jugend Meisterschaft im Bouldern, am Abend: Party
Sonntag, 27. Mai:
Ab 09:00: Deutscher Bouldercup, am
Abend: Party
Montag, 28. Mai:
Entspannter Festival-Betrieb
www.kletterfestival.com
WOMEN’S HYPER JACKET
EIN ÄUSSERST GEWICHTSREDUZIERTES
STRETCH-GEWEBE KOMBINIERT MIT DER
LEISTUNGSSTARKEN MEMBRAIN® STRATA™
TECHNOLOGIE ERZEUGT EINE VÖLLIG NEUE
GENERATION VON SHELLS FÜR EIN BREITES
OUTDOOR-EINSATZSPEKTRUM.
Bei der Hyper Jacket hat Marmot die wasserdampfdurchlässigste
Version seines MEMBRAIN® strata™ mit einem Leistungsprofil von
32.000 g/m 2/24h und einer 20.000 mm Wassersäule verwendet.
STRATA™ SCHÜTZT DIE WASSERDICHTE MEMBRAIN® LAGE
Marmot MEMBRAIN® strataTM
Marmots eigenes 2,5 Lagen Polyurethan-(PU)-Laminat.
Kleine, nicht-organische Partikel auf der Membran wehren
externe Teilchen ab und schützen so die Membran vor
Abrieb und Verschleiß.
REINHARD FICHTINGER
MARMOT MEMBRAIN®
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LEICHTGEWICHTIGES
AUSSENMATERIAL
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22
OIDA
LECK!
FREE AT LAST
DAVID LAMA KLETTERT DIE KOMPRESSOR-ROUTE
AM CERRO TORRE FREI
Wörds Flo Scheimpflug
Wenn Berge in puncto Ästhetik seit jeher
prädestinierter als andere Naturerscheinungen sind, um das Unnahbare und Unmögliche zu verkörpern, dann ist der Cerro
Torre in Patagonien mit Sicherheit eine
ihrer Ikonen. Manche sind der Ansicht,
dass der Nimbus dieser Naturschönheit
nur von einem Makel, dem menschlichen,
getrübt wurde. Obwohl zum damaligen
Zeitpunkt noch unbestiegen ließ die
Kompressor-Route Caesare Maestris den
Cerro Torre zur Bühne für eine der größten
Verfehlungen des modernen Alpinismus
werden, deren Resonanzen auch ein
halbes Jahrhundert danach noch für emotionalen Zündstoff sorgen. Ein schweres
Erbe, dem Kletterer versucht haben, sich
mit allen Mitteln zu entledigen.
D
och Geschichte ist nicht ausradierbar
und kann nur schwerlich überschrieben
werden. „Was also tun?“, war lange
Zeit die Frage. Viele Kletterer sind in den letzten Jahrzehnten angetreten um den Berg zu
reinigen, die Route zu befreien, zu reparieren
oder zu retten. Im Nachhinein bleibt die Frage:
Ist sie Spielfeld individueller Selbstverwirklichung oder ein Schlachtfeld individueller
Willkür? Die Antwort: Wohl beides.
Lionel Terray und Guido Magnone standen
anno 1952 erstmals auf dem Fitz Roy. Der
Cerro Torre türmte sich in Sichtweite auf, die
Nähe tat seiner Unnahbarkeit jedoch keinen
Abbruch. Keine logische Linie ließ sich erkennen, keine Schwachstelle ausmachen. Viel
versprechende Risssysteme tauchten wie aus
einer Laune plötzlich ins Nirvana glatter Plattenfluchten ab. Terray und Magnone waren
sich einig: Dieser Berg ist unmöglich. Es mag
ihnen nicht bewusst gewesen sein, doch jenes
kleine Attribut setzte einen Magnetismus in
Gang, der Bergsteiger zu Eisenspänen werden
ließ. Viele wurden vom Cerro Torre angezogen, ebensoviele scheiterten. Walter Bonatti,
die Koryphäe unter den Erstbesteigern, war
der Prominenteste unter ihnen. Und dann kam
Caesare.
Der 1929 in Trient geborene Caesare Maestri
hatte sich durch zahllose Erstbegehungen in
der Brenta einen Namen gemacht und galt als
einer der besten Kletterer seiner Zeit. Mit der
Via delle Guide am Crozzon di Brenta war er
gar eine Route im sechsten Grad - damals die
höchste Schwierigkeit - abgeklettert. „Ragno
delle Dolomiti“ (Spinne der Dolomiten) nannte
man ihn seither ehrfürchtig und schaudernd.
1959 kam Maestri zusammen mit dem Österreicher Toni Egger und Landsmann Cesarino
Fava nach Patagonien. Das Ziel war klar: Das
Unmögliche möglich zu machen und den Berg
über den Südostgrat zu besteigen. Als die
Seilschaft das Col of Conquest, die Scharte
zwischen Cerro Torre und dem erst später so
getauften Torre Egger erreicht hatte, stieg
Fava ab, Egger und Maestri blieben noch am
Berg. Dann nahm das Schicksal seinen Lauf.
Egger wurde von einer Eislawine getötet,
Maestri Tage später am Wandfuß gefunden,
halb begraben im Schnee, aber lebendig.
Was passiert war, weiß seither nur er. Was
er zu erzählen begann, ist eine ganz andere
Geschichte geworden.
Es war die Geschichte der Erstbegehung des
Cerro Torre, die tragisch endete und die er,
Maestri, als einziger Zeuge überlebt hatte.
Die italienische Presse feierte Maestri ab
und rührte die patriotische Trommel. Die
Spinne der Dolomiten wurde zur Ikone der
Leistungsfähigkeit eines ganzen Landes und
Pic Corey Rich / Red Bull
Content Pool
23
24
Pic Lincoln Else/Red Bull Content Pool
der Gipfelsieg am Cerro Torre auf eine Stufe
mit der Erstbegehung des Mount Everest
gehievt. Maestri gab Interviews und hielt
Vorträge, doch Insiderkreise ließen sich von
Showgehabe und Ruhmesbekundungen nicht
blenden und wollten immer genauere Details
von jener Begehung wissen, die ihrer Zeit
vielleicht Lichtjahre voraus war. Wenn sie
denn stattgefunden hatte. Zwischen 1959
und 1961 publizierte Maestri drei Artikel,
in denen er Routencharakter, Taktik und
verwendetes Material eingehend beschrieb,
zur Transparenz der Affäre trugen sie jedoch
nicht bei, ganz im Gegenteil. Die Anhäufung
vermeintlicher Indizien ging nach hinten los,
das Lügennetz wurde immer enger geknüpft,
fein genug war es dennoch nicht gesponnen.
Maestris Beschreibungen des unteren, eher
leichten Wandteils waren extrem detailliert, bezüglich des oberen blieben sie vage,
unscharf und widersprüchlich. Man begann
Verdacht zu schöpfen.
Die Zeit hat ihre eigene Art Schulden
einzutreiben und so mussten erst zehn Jahre
vergehen bis Maestri, wohl heimgesucht von
den Geistern, die er einst rief, 1970 wieder
nach Patagonien kam. Die Ausgangsposition
war denkbar schlecht: Als Erstbesteiger war
er diskreditiert, seine bergsteigerischen
Fähigkeiten waren in Zweifel gezogen, er
selbst im Beweisnotstand. Erneut wollte
Maestri den Berg versuchen, über eine andere
Route und diesmal mit einer Taktik, die jedes
Scheitern ausschließen und jeden Zweifel im
Motorenlärm untergehen lassen sollte.
Doch der Stil, den Maestri herbeiphantasiert
hatte, war im eigentlichen Sinn keiner. Von
Erfolgssucht getrieben hatte er ein Attentat
geplant. Mit Hilfe eines 180-Kilogramm
schweren und mit Benzin betriebenen Kompressors bohrte sich das Team Maestri (mit
dabei Ezio Alimonta, Daniele Angeli, Claudio
Baldessarri, Carlo Claus und Pietro Vidi)
schließlich mit 360 Bolts über die grifflosen
Platten bis 60 Meter unter den Gipfel. Dort
versperrte den Italienern der berüchtigte
Schneepilz den Weiterweg. Wohl weil es
ihnen an geeigneter Ausrüstung fehlte, erklärten sie die Route für beendet und seilten ab.
Der Frage, warum er diese letzten Meter nicht
geklettert war, entgegnete Maestri damit,
dass dieser „Haufen Schnee“ seiner Meinung
sowieso nicht „wirklich Teil des Berges sei
und irgendwann davon geblasen werde.“ Für
Maestri war die Operation gelungen, doch er
war wohl der Einzige, der das so sah. Denn der
Patient war tot, dem „Mord am Unmöglichen“
zum Opfer gefallen.
Ein unmöglicher Berg, ein Toter, ein gefeiertes
Genie, das an sich selbst scheitert, die
Niederlage jedoch bis zum Schluss nicht
wahrhaben wollte: Das erste Kapitel der
Erstbegehungsgeschichte des Cerro Torre
glich einem Drama menschlicher Existenz.
Der Hauptdarsteller Maestri zog sich in Folge
aus der Öffentlichkeit zurück - zuviel war
Pic Franz Hinterbrantner/
Red Bull Content Pool
25
Pic Corey Rich/Red Bull Content Pool
der Route das, was sie erst zu einer solchen
machen sollte: Ein Ende in Form des Gipfels.
Maestris Behauptungen wurde im Zuge
dieser Begehung weiter nach unten korrigiert.
Bridwell zufolge habe Maestri nicht einmal
das Ende der Headwall erreicht, verwendete
Haken wieder herausgeschlagen und den
Kompressor einfach an Ort und Stelle in der
Wand hängen gelassen.
Der Status der Kompressor-Route ist nach wie
vor prekär, Anerkennung blieb ihr stets versagt. Die zynische Bemerkung: „If you are interested in getting to the top of the mountain
without climbing it“ wird der 1.200m langen,
mit 6a A2 AI3 bewerteten Route auf der wichtigsten Informationsseite für das Klettern in
Patagonien vorangestellt. Die Route mag das
Stiefkind unter den Erstbegehungen im wilden
Patagonien sein, von vielen wird die „glorified
version of a Via Ferrata“ nicht einmal als
wirkliche Kletterroute angesehen. Doch
die Vergangenheit wollte nicht ruhen und
meldete sich von Zeit zu Zeit zurück. Manch
ein Kletterer der Gegenwart hörte, begann
ihrem Flüstern zu lauschen und machte sich
auf den Makel zu bereinigen, beseelt von der
Idee, den Schaden von Maestris Attentat zu
begrenzen und zumindest einen versöhnlichen
Schlusspunkt unter ein unrühmliches Kapitel
Alpingeschichte setzen zu können. Vor allem
eine Frage geisterte durch den Raum und
auch so machen Kopf: Ist die Route durch die
abweisende Headwall nicht vielleicht doch
frei kletterbar?
passiert. Der Ereignisstrang war dadurch nicht
gekappt, die Geschichte ging weiter, weniger
dramatisch, dafür erfolgreich. Am 13. Januar
1974 standen die Italiener Daniele Chiappa,
Mario Conti, Casimiro Ferrari und Pino Negri
nach Durchsteigung der Westwand am Gipfel
des Cerro Torre. Sie gelten seither als dessen
Erstbesteiger.
Der Turmberg war bestiegen, doch bis sich
jemand an jene Route wagte, die als ihr
Schandfleck galt, vergingen bis 1979 fast
zehn Jahre. Die Techno-Spezialisten Steve
Brewer and Jim Bridwell aus dem Yosemite
durchkletterten sie im Jänner 1979 in drei
Tagen und ließen im Gegensatz zu Maestri
auch den Eispilz nicht aus. Dadurch gaben sie
1999 unternahmen die Italiener Ermanno
Salvaterra and Mauro Mabboni einen ersten
Versuch. Sie kletterten eine Variation zu
Maestris originaler Routenführung, die es
ihnen erlaubte 200 seiner Bolts auszusparen.
2007 kletterten die Amerikaner Zach Smith
and Josh Wharton entlang der MabboniSalvaterra Variation bis vier Seillängen vor
Headwall-Ende. Trotz kreativer Versuche blieb
es ihnen letzten Endes nicht erspart aufgrund
des schlechten Wetters doch noch einige von
Maestris Bolts zu verwenden, um den Sattel
unter dem Eispilz zu erreichen. Ihre Variation
galt lange als eine der viel versprechendsten
Indikatoren für die Möglichkeit einer freien
Begehung. „All told, a route with over 360
bolts could be brought down to less then 20
very reasonably, and it would without doubt
change the nature of the peak and its difficulty considerably“, so Wharton. 20 Bohrhaken
sind im Vergleich zu den 360 zweifellos ein
Fortschritt. Das Problem, den Cerro Torre zu
befreien, war jedoch nur verkleinert worden.
Zur Gänze gelöst war es deswegen noch lange
nicht. Zweifellos tauchten jene ambitionierten
Versuche die Route in ein Licht, in dem sie ansprechender und möglicher erscheinen konnte
als vielleicht je zuvor. Neue Möglichkeiten
bedingen neue Anforderungen, vor allem an
diesem Berg: Für eine freie Begehung war von
nun an nicht nur alpinistisches Know-How
gefragt um in den extremen patagonischen
Wetterbedingungen bestehen zu können, sondern auch die Fähigkeiten komplexe Stellen
zu entschlüsseln und zu klettern. Es war vielleicht nicht mehr ein „Schrei aus Stein“ - mit
jener expressiven Metapher betitelte Werner
Herzog anno 1992 seinen Film um das Drama
des Cerro Torre - der da aus Patagonien drang.
Der Ruf dieses Berges war aber dennoch
weithin hörbar geblieben.
2009 folgte ihm schließlich auch David Lama.
Doch er war nicht allein gekommen: Das
Filmteam seines Hauptsponsors begleitete
ihn. Zwei Dinge standen auf der Agenda: Den
Cerro frei zu klettern und das Ganze auf Film
zu bannen. Eine unter Umständen unheilvolle
Kombination, die im Zeitalter des notorischen
„Live-dabei“ jedoch übliche Praxis ist. Um die
Sicherheit des Filmteams zu gewährleisten
wurden an der Route zusätzliche Bolts angebracht. In einem Gelände, das dermaßen durch
das Setzen von Bohrhaken vorbelastet war,
wirkte dieser Akt wie ein doppeltes Sakrileg
und fühlte sich an wie das Aufkratzen nie zur
Gänze verheilter Wunden. Zu allem Überdruss
vereitelte das Wetter jeglichen Besteigungsversuch. Wieder am Boden traf David, das
mediale Aushängeschild der Aktion, die Kritik
mit voller Wucht und von allen Seiten. Auf
Facebook und den Foren weltweit tobte der
Mob.
Am 17. Jänner 2012 gelang es dem Amerikaner Hayden Kennedy zusammen mit dem
Kanadier Jason Kruk die ethische Debatte um
den Cerro Torre mit einer Begehung „by fair
means“ scheinbar endgültig zu lösen. In blitzschnellen 13 Stunden kletterten sie entlang
Pic Corey Rich/Red
Bull Content Pool
einer Kombination verschiedener Variationen
(Mabboni-Salvaterra 1999 und Geisler-Kruk
2010) bei Freikletter-Schwierigkeiten bis zum
achten Grad und einer Stelle A1 zum Gipfel
des Cerro Torre. Dabei gelang es ihnen Maestris Bolt-Leitern gänzlich unangetastet zu
lassen, um das Belasten einiger seiner Standbohrhaken kamen sie dennoch nicht herum.
Außerdem hängten sie fünf Bolts, vier in der
Mabboni-Salvaterra Variation sowie einen in
einer weiteren Variation, die Hayden Kennedy
mit Chris Geisler 2010 versucht hatte, ein.
Als sich die Neuigkeiten nach ihrem Erfolg
in Windeseile erst im Basislager, dann in El
Chalten und schließlich um die ganze Welt
verbreiteten, war klar, dass hier zwei Kletterer
an der vielleicht umstrittendsten Route der
Welt mit einer stiltreuen Begehung ein gewichtiges Statement abgegeben hatten. Zwar
wurde im Nachhall dieser Sensation auch
rumort. Vor allem die Bezeichnung „by fair
means“ stieß Traditionalisten auf. Schließlich
hatten die beiden ja Bolts verwendet. Andererseits schließt das moderne Verständnis von
„by fair means“ die Verwendung von Bolts
nicht aus, es bedeutet nur sie ausschließlich
da zu verwenden, wo es nicht anders geht,
das heißt, wo eine Route nicht mit mobilen
Sicherungsmitteln absicherbar ist. Hayden
und Kruk dazu: „Reasonable use of bolts has
been a long-accepted practice in this mountain range. Often, steep, blank granite would
be folly without the sparing using of this type
of protection.“
Die Begehung der Route durch Hayden und
Kruk war aber nur ein Teil ihrer Geschichte.
Der Umstand, dass sie beim Abseilen rund 125
Bolts aus der Kompressor-Route entfernten, ein anderer. Auch Smith und Wharton
hatten bei ihrer Begehung 2007 ähnliche
Bereinigungsgedanken gehegt, waren sich
der ethischen Implikationen derselben aber
unsicher und wollten die Konsequenzen nicht
verantworten. Sicher ist, dass Hayden und
Kennedy die Diskussion um richtig und falsch
mit ihrer Entscheidung erneut mit Brennstoff
versorgten.
Maestris Tat war zweifellos ein Akt der
Gewalt. Viele KletterInnen fragen sich jedoch,
ob es richtig ist, darauf wiederum mit Gewalt
zu antworten? Kann die Kalkulation, den Berg
durch Entfernen einiger, aber nicht aller Bohrhacken, in einen wünschenswerten Zustand
zurückzuführen, aufgehen oder handelt es sich
dabei doch nur um eine Milchmädchenrechnung? Hayden und Kruk‘s Erklärung: „After a
lengthy introspection on the summit, we knew
the act needed to be initiated by one party,
without consensus“, riecht ein wenig nach
Selbstjustiz und wirft die Frage auf, was zu
erwarten wäre, wenn ein jeder so vorgehen
würde und Routen, mit deren Ausstattung
er nicht zufrieden ist, einfach demontiert.
Der bergsteigerische Ethos des Respekts vor
dem Erstbegeher und seiner Tat wäre damit
Geschichte. Nicht zuletzt haben Hayden und
Kruk nicht alle Bolts entfernt, sondern nur
jene, die sie für „falsch“ hielten. Manch einer
fragt zurecht, wieviel individuelle Willkür hier
gewaltet hat. Welche Entwicklung damit auf
den Plan gerufen wird, bleibt abzuwarten.
Pic Corey Rich/Red Bull Content Pool
Pic Lincoln Els
e/R ed Bull Co
ntent Pool
26
Trotz aller Diskussion um das Entfernen der
Bolts schien die „fair means“ Begehung des
Cerro Torre durch Hayden und Kruk vorerst der
Schlusspunkt einer langen Geschichte. Eine
Wand von solcher Dimension mit nur fünf(!)
Bolts und einer kurzen, technischen Stelle zu
klettern, schien der Plafond des Menschenmöglichen. Dennoch, eine technische Stelle
ist und bleibt eine technische Stelle - das
Problem einer freien Begehung blieb auch
angesichts der „fairen“ Begehung bestehen.
Drei Jahre lang war David Lama von der
Vision einer freien Begehung des Cerro
Torre „getrieben“. Der erste Versuch schoss
deswegen über das Ziel hinaus. Oder daran
vorbei. Denn er endete mit bereits erwähntem
medialen GAU. Es wäre ein Leichtes gewesen,
einfach eine Pressemeldung vom Stapel zu
lassen und sich der Kritik zu entziehen, bis
sie von selbst an Rückenwind verliert. Doch
David übernahm die volle Verantwortung für
die Aktion, stellte sich den Diskussionen, auch
wenn es unangenehm war und ihm am Podium
oft ein harter Wind entgegenschlug. David
gestand die Fehler des Projekts ein und entschuldigte sich. Dafür gebührt ihm Respekt.
2010 kehrte er nach Patagonien zurück und
bestieg den Cerro Torre. Das Ziel, im Zuge
dessen eine Freikletterlinie auszuchecken, fiel
jedoch dem Wetter zum Opfer. Nichtsdestrotz:
Zeit am Berg ist Zeit am Berg. Das Jahr 2011
kam und die Sterne standen gut. Von Pan Aroma (8c)/Westliche Zinne bis zu Paciencia (8a)/
Eiger Nordwand, wiederholte und erstbeging
(Catwalk, 8b+/Tessin) David circa 15 alpine
Touren im zehnten Grad. Eine Darbietung die
in puncto Konstanz ihresgleichen sucht.
Die Tage wurden kürzer und irgendwann war
es an der Zeit zurückzukehren, zurück nach
Patagonien. Als David zusammen mit Peter
Ortner am 19. Januar in El Chalten stand, sah
das Wetter zum ersten Mal richtig gut aus und
die beiden machten sich auf nach Nipo Nino,
dem ersten Camp. Von da ging es zum Col de
Paciencia. Am darauffolgenden Tag stiegen
sie gegen 13 Uhr in die Route ein, doch wie
sie nach der Entfernung der Bohrhaken genau
aussah, ob die unterzubringenden Absicherungen ausreichend sein würden, wussten die
beiden nicht. „Wir kletterten zum Beginn der
Bohrhakentraverse, doch anstatt dieser nach
rechts zu folgen, kletterten wir geradeaus
weiter an einer technisch schwierigen Kante,
nur einige Meter links der Salvaterra-Variante.
Ich stürzte mehrmals, bevor ich die richtige
Griffabfolge fand, dann konnte ich die Länge
im zweiten Versuch vom Standplatz weg
punkten. Einige Seillängen weiter oben
erreichten wir die „Iced Towers“, wo wir uns
eine schmale Stufe zum Biwakieren ins Eis
pickelten. Am nächsten Morgen kletterten
wir früh los und erreichten den Beginn der
Headwall. Dadurch, dass Hayden und Jason
einige Tage zuvor dort Bohrhaken entfernt
hatten, wurde meine Unternehmung noch
anspruchsvoller - speziell mental, da die
Absicherung nun sehr bescheiden war und ich
lange Runouts hinlegen musste. An hohlen
und lockeren Schuppen kletternd folgten
wir der originalen Kompressor-Route für drei
Seillängen. Etwa 20 Meter unterhalb des
Kompressors traversierten wir nach rechts
und erreichten ein System aus Rissen und
Verschneidungen, dem wir zum Gipfel folgten.
Für unsere Begehung im Alpinstil benötigten
wir vom Col aus 24 Stunden“, so David.
Ein großes, weil jahrzehntelang unlösbares
Problem ist mit dieser Begehung, die ohne
technische Hilfsmittel von statten ging, gelöst
worden: Cerro Torre, 8a rotpunkt, basta.
Gleichzeitig geht damit ein Kapitel Alpingeschichte an einem der heiß umfehdetsten
Berge zu Ende. Einzigartig wie dieses ist auch
der Kompressor, der immer noch an Ort und
Stelle hängt. Seiner ursprünglichen Funktion
ist er längst entbunden, nutzlos deswegen
noch lange nicht: Als stummes Mahnmal wird
er auch in Zukunft Besteigerinnen und Besteigern ins Gedächtnis rufen, was ein falsch
gepolter Geist anrichten kann.
Nur eins noch, bevor auch hier der Schlusspunkt gesetzt wird: Respekt, David & Peter.
Und: Oida Leck!