Gewalt im Namen der „Ehre“ und „Zwangsheirat“

Transcription

Gewalt im Namen der „Ehre“ und „Zwangsheirat“
„Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ in Österreich.
Der Diskurs zwischen Marginalisierung und Polarisierung.
MASTERARBEIT
zur Erlangung des akademischen Grades
„Master of Arts“ (M.A.)
an der Karl-Franzens-Universität Graz
vorgelegt von
Maga theol. Christina Rosina Kraker-Kölbl
Eingereicht für die Studienrichtung „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“
am Institut für Österreichische Rechtsgeschichte
und Europäische Rechtsentwicklung.
Begutachterin: Ao.Univ.-Profin Maga Drin phil. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer
Graz, 2013
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
5
1.
Einleitung
6
1.1.
1.2.
1.3.
Ausgangsthesen
Forschungsfragen
Aufbau der Masterarbeit
6
7
7
2.
Begriffsklärung und Definitionen
9
2.1.
2.1.1.
2.1.2.
Der Begriff Gewalt
Gewalt gegen Frauen aus der internationalen Perspektive
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen aus der europäischen
Perspektive
Häusliche Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum
Physische Gewalt
Psychische Gewalt
Sexualisierte Gewalt
Femizid – Tötung von Frauen
Umgang mit Gewaltbetroffenen in der Beratungspraxis
Feministische Gewaltdefinitionen
Strukturelle Gewalt
Kulturelle Gewalt
Intersektioneller Gewaltbegriff
„Gewalt im Namen der Ehre“ – Traditionelle Gewalt – „Honour-related
violence“
9
10
12
3.
Forschungsstand „Gewalt im Namen der Ehre“
25
4.
„Gewalt im Namen der Ehre“
30
4.1.
4.2.
4.3.
Der Ehrbegriff
Das Ehre-Scham-Konzept
Ehrbegriff und Geschlechterverhältnisse im Kontext von
Familienstrukturen
Religiös-traditionell orientierte Familien
Familien zwischen Moderne und Tradition
Moderne Familien
Exkurs: Verbrechen im Namen der Ehre (Ehrenmord)
30
34
35
5.
„Gewalt im Namen der Ehre“ im Kontext von PartnerInnenwahl,
Eheschließung, Trennung und Scheidung
48
5.1.
5.1.1.
5.1.1.1.
5.1.1.2.
5.1.1.3.
5.1.2.
Aspekte der PartnerInnenwahl
Unterschiedliche Formen und Einflussfaktoren der Eheschließung
Einflussfaktor Familiäre Biografie
Einflussfaktor Individuelle Biografie
Einflussfaktor Soziale Netzwerke
Exkurs: Europäische Heiratsmuster
48
49
49
50
50
51
2.1.3.
2.1.3.1.
2.1.3.2.
2.1.3.3.
2.1.3.4.
2.1.3.5.
2.2.
2.2.1.
2.2.2.
2.3.
2.4.
4.3.1.
4.3.2.
4.3.3.
4.4.
13
14
14
15
15
16
18
18
19
21
22
36
38
42
44
2
5.1.2.1.
5.1.2.3.
5.2.
5.2.1.
5.2.2.
5.2.2.1.
5.2.2.2.
5.2.2.3.
5.2.2.4.
5.2.2.5.
5.2.3.
5.3.
5.4.
5.5.
5.6.
5.7.
5.8.
5.9.
5.9.1.
5.9.2.
5.9.3.
5.9.4.
5.9.4.1.
5.9.4.2.
5.9.4.3.
5.9.4.4.
5.9.4.4.1.
5.9.4.4.2.
5.9.4.5.
5.9.4.6.
5.9.4.7.
5.9.4.8.
European marriage pattern
Entwicklungen bis zum 21. Jahrhundert
Arrangierte Ehen
Heiratsvermittlung
Idealtypischer Phasenverlauf einer arrangierten Ehe
Suche nach einer Partnerin
Familiäre Vorstellungsbesuche
Heiratsantrag, Brautwerbung und Entscheidungsfindung
Heiratsverhandlungen und -zeremonien
Hochzeitsfeier und eventuelle Heiratsmigration
Kritische Nachbemerkungen
Selbstorganisierte Ehe
Entführung der Braut
Verwandtschaftsehe
Transnationale Ehen und das Phänomen der Heiratsmigration
Inner- und interethnische Eheschließungen
Liebesehe
„Zwangsehe“
Definition „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“
Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“
„Zwangsverheiratung“ bei Männern
Rechtliche Situation
Grundsatzüberlegungen
Ehe im Migrationskontext
Völkerrechtliche Bestimmungen
Nationale zivilrechtliche Bestimmungen
Österreichisches Eherecht
Österreichisches Gewaltschutzgesetz und Sicherheitspolizeigesetz
Strafrechtliche Bestimmungen in Österreich
Fremdenrechtliche Bestimmungen in Österreich
Exkurs: „Zwangsheirat“ als juristischer „Unterfall“ von Menschenhandel
Exkurs: „Zwangsheirat“ als weltweite Erscheinung – Das Phänomen der
Kinderehe
52
53
54
54
56
57
57
58
59
59
60
62
63
63
64
65
65
66
66
70
73
74
74
75
77
79
79
81
81
84
89
91
6.
„Gewalt im Namen der Ehre“ – Der Diskurs in Österreich
94
6.1.
6.2.
6.3.
Politische Debatten und feministische Positionen
Medienberichterstattung
Datenlage
94
96
98
7.
Beratungs- und Präventionsarbeit
100
7.1.
7.1.1.
7.1.2.
7.2.
7.3.
Herausforderungen in der direkten Beratungsarbeit mit Betroffenen
Beratungsangebote in Deutschland
Beratungsangebote in Österreich
Präventionsmaßnahmen
Strategische Zugänge
100
103
104
106
108
8.
Zusammenfassung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Studien & Internetquellen
109
114
115
116
123
3
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt
habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken wurden als
solche kenntlich gemacht.
Diese Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen
Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.
Graz, am
Unterschrift:
4
VORWORT
Seit Herbst 2001 bin ich beruflich im Sozialbereich tätig und arbeite in der Praxis an der
Schnittstelle der Themenbereiche „Frauen (Gender) – Gewalt – Migration (Integration)“. Um
diese konkreten, beruflichen Herausforderungen in einem theoretischen Rahmen zu verorten
und damit die Praxiserfahrungen gut reflektieren zu können, habe ich den Weg des
berufsbegleitenden Studiums der „Interdisziplinären Geschlechterstudien“ gewählt.
Im Jahr 2010 stellte sich zusätzlich die berufliche Aufgabe, als Projektleiterin ein gänzlich
neues Angebot für „Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ in der Steiermark zu
entwickeln. Mittlerweile ist es gemeinsam mit meinen Kolleginnen aus unterschiedlichen
beruflichen Disziplinen gelungen, die Beratungsstelle DIVAN1 der Caritas Graz-Seckau als
anerkannte, spezialisierte Anlaufstelle zu etablieren. Vor allem der politische und mediale
Diskurs zur Thematik „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ erfordert ein
differenziertes und fundiertes Hintergrundwissen, damit man als Verantwortliche eines
frauenspezifischen Projektes nicht selbst in die Falle einer „ethnisierten“ Sexismusdebatte
gerät. Somit lag die Themenwahl der Masterarbeit auf der Hand.
Meiner Betreuerin, Ao.Univ.-Profin Maga Drin Anita Prettenthaler-Ziegerhofer danke ich an
dieser Stelle für die motivierende Begleitung meiner wissenschaftlichen Arbeit.
Ein besonderer Dank gilt meinem Mann Günther, meinem Sohn Paul und meiner Tochter, die
in einigen Wochen auf die Welt kommen wird, für das Verständnis, dass ich neben Familie,
Beruf und ehrenamtlichen, frauenpolitischem Engagement 2 auch Zeit für das Studium
investiert habe.
Der CARITAS Graz-Seckau danke ich für das Vertrauen und die Gestaltungsmöglichkeit, die
neu gelernte Theorie gleich in die Praxis umsetzen zu können: besonders Edith Pfeiffer, Franz
Waltl und meinen geschätzten Weggefährtinnen im Arbeitsfeld der CARITAS Frauen- und
Mädchenprojekte, vor allem meinen „Mitstreiterinnen“ bei DIVAN: Elif Yalcinkaya, Emina
Saric, Marie-Luise Fuchs, Royda Nori-Thamir und Alexandra Fasch.
1
Nach einer Pilotphase in der zweiten Jahreshälfte 2010 steht seit Jänner 2011 das Beratungsprojekt DIVAN
schutzbedürftigen Frauen und Mädchen in schwierigen Lebenssituationen unterstützend zur Seite. Online im
Internet: URL: http://www.caritas-steiermark.at/hilfe-einrichtungen/fuermigrantinnen/beratung/frauenspezifische-beratungsstelle-divan/ [Stand 2013 – 02 – 21].
2
Ein großer Dank für den persönlichen und beruflichen Austausch gilt den Vertreterinnen des Grazer
Frauenrates und jenen NGO-Vertreterinnen, mit denen ich vor allem österreichweit vernetzt bin.
5
1. EINLEITUNG
Die europäische Gesellschaft ist ethnisch, religiös und kulturell von einer starken Diversität
geprägt. Seit einigen Jahren sind die Auswirkungen auf die „soziale Kohäsionskraft“
innerhalb der Gesellschaft zentrales Thema politischer Debatten und Wahlkämpfe, aber auch
Gegenstand von wissenschaftlichen Diskursen. Die Politik des Multikulturalismus der 1990er
Jahre ist mittlerweile sehr umstritten: Terroranschläge in Europa, die globale „Islam-Debatte“
sowie die Angst vor Parallelgesellschaften gelten als Erklärung für restriktive „Integrationsvorgaben“.
Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahren die Fragestellungen in Richtung Privatleben
verschoben, so steht die Kontrolle über Sexualität, Eheschließungen und Familie und vor
allem der Blick auf „kulturbasierende, traditionsbedingte“ Gewalt, wie „Zwangsverheiratungen“, Menschenhandel, Genitalbeschneidung oder „Ehrenmorde“ im Fokus des medialen
und öffentlichen Interesses. Auch Gewalthandlungen an Frauen, die außerhalb von Europa
leben, erfahren in jüngster Zeit Aufmerksamkeit, wie aktuelle Beispiele aus Pakistan 3 ,
Indien4, Ägypten5 etc. zeigen, die wiederum in den genannten Ländern auch Diskussionen
über den Umgang mit diesen „Phänomenen“ nach sich ziehen und zivilgesellschaftliche
Widerstandskräfte mobilisieren.
1.1.Ausgangsthesen

Geschlechtergewalt ist ein universelles, globales Problem, das auf Unterdrückung von
Frauen basiert.

Zwangssituationen im Zusammenhang mit Partnerschaft, Heirat oder Scheidung
produzieren oder reproduzieren Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, sei es
3
Malala Yousafzai, die pakistanische Schülerin und Aktivistin setzte sich für das Recht auf Bildung für Frauen
ein und wurde zum Opfer der Taliban. Online im Internet: URL: http://diestandard.at/1358305399121/MalalaYousafzai-fuer-Friedensnobelpreis-nominiert
[Stand 2013 - 02 – 21].
4 Z. B. tragische Fälle über Gruppenvergewaltigungen von Frauen. Online im Internet: URL:
http://diestandard.at/1358305344308/Kaum-eine-Inderin-fuehlt-sich-sicher
bzw.
http://derstandard.at/1356426736126/Indien-Vergewaltigung-Proteste-Mittelschicht-Ursachen
[Stand 2013 - 02 – 21].
5
Vor allem die „Straffreiheit“ von sexueller Gewalt an Frauen wird von Menschenrechtsorganisationen
kritisiert. Online im Internet: URL: http://diestandard.at/1360160983632/Aegypten-Amnesty-beklagt-sexuelleUebergriffe-auf-Frauen [Stand 2013 - 02 – 21].
6
zwischen Männern und Frauen aber auch innerhalb von Familien. Eng damit
verbunden sind verschiedene Formen von Gewalt.

Zu den grundlegenden Werten unserer Gesellschaft gehört die Möglichkeit eines
gleichberechtigten und selbstbestimmten Lebens. Die Wertschätzung kultureller
Vielfalt ist keine Entschuldigung für die Toleranz von Menschenrechtsverletzungen in
Form von frauenverachtenden kulturellen und traditionell motivierten Praktiken.
1.2.Forschungsfragen

Wie lassen sich die Phänomene „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“
wissenschaftlich differenziert ohne kulturalistische und rassistische Verkürzungen
erklären?

Wie stellt sich die aktuelle Debatte in diesem Themenbereich dar und welche
(feministischen) Positionen gibt es?

Welche Strategien sind hilfreich, um menschenrechtsverletzende Gewaltformen nicht
als „Spezifität von MigrantInnen“ zu kategorisieren?
1.3.Aufbau der Masterarbeit
Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, das Phänomen „Gewalt im Namen der Ehre“ und
„Zwangsheirat“ gleichzeitig aus einer genderspezifischen und intersektionellen Perspektive zu
bearbeiten.
Das Phänomen „kulturbasierende Gewalt“ ist eng mit der Geschlechterfrage sowie
verschiedenen Formen von Machtbeziehungen verbunden und als Form von „Gewalt im
sozialen Nahraum“ zu verstehen. Psychische, physische und sexuelle Gewalt wird von Eltern,
Geschwistern,
Großfamilienmitgliedern,
(zukünftigen)
EhepartnerInnen
und
deren
Familienmitglieder ausgeübt, insbesondere von jenen Personen, die ihre dominante Stellung
in einer Machtbeziehung behaupten können.
Aktuelle Studienergebnisse aus Österreich, Deutschland und der Schweiz werden
berücksichtigt sowie interdisziplinäre Zugänge, vor allem aus der Soziologie, der
Anthropologie
und
Literaturrecherche
hat
der
die
Rechtswissenschaft
Autorin,
aufgrund
gewählt.
ihres
Neben
einer
persönlichen
eingehenden
Zuganges
zum
7
Themenbereich
in
ihrer
beruflichen
Arbeit
auch
Publikationen
von
Frauenrechtsorganisationen und Beratungsstellen berücksichtigt.
Nach der Einleitung widmet sich das zweite Kapitel
den Begriffserklärungen und
Definitionen, um den Terminus „Gewalt im Namen der Ehre“ in den Kontext von
international gebräuchlichen Gewaltdefinitionen einzubetten.
Der aktuelle Forschungsstand im deutschsprachigen Bereich wird im dritten Kapitel erläutert
und es zeigt sich, dass die Auseinandersetzung mit diesen Formen von Gewalt noch relativ
jung ist.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Masterarbeit stehen die beiden Kapitel vier und fünf, wobei
das vierte Kapitel zentral den Ehrbegriff, das soziologische „Ehre-Scham-Konzept“ sowie
Zusammenhänge mit Familienstrukturen aufzeigt. Das Kapitel fünf soll die unterschiedlichen
Aspekte der PartnerInnenwahl darstellen, geht aber neben den idealtypischen Verläufen
zentral auf die Thematik „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“ ein, wobei dieser Abschnitt auch
die aktuelle rechtliche Situation in Österreich explizit beleuchtet.
In Form von „Exkursen“ werden zusätzliche Themenbereiche, die neue Aspekte oder
Hintergründe in die inhaltliche Auseinandersetzung einbringen, ergänzend in die Arbeit
eingeflochten. Dabei legt die Autorin den Fokus auf außereuropäische Länder, um
„geschlechtsspezifische Gewaltphänomene“ differenzierter abbilden zu können.
Das Kapitel sechs beinhaltet die Frage nach dem Diskurs über „Gewalt im Namen der Ehre“
und „Zwangsheirat“ in Österreich und verdeutlicht jene Gratwanderung in der Gewaltschutzarbeit, die sich in der konkreten Praxis, kurz dargestellt im abschließenden Kapitel sieben,
auch zeigt.
8
2. BEGRIFFSKLÄRUNG UND DEFINITION
2.1.Der Begriff Gewalt
Aufgrund von fehlenden, weltweit anerkannten Moralkodizes bleibt Gewalt ein „äußerst
diffuses und komplexes Phänomen, das sich einer exakten wissenschaftlichen Definition
entzieht.“6 „Die Vorstellung von akzeptablen und nicht akzeptablen Verhaltensweisen und die
Grenzen dessen, was als Gefährdung empfunden wird, unterliegen kulturellen Einflüssen und
sind fließend, da sich Wertvorstellungen und gesellschaftliche Normen ständig wandeln.“7
Dennoch sollen im ersten Kapitel der hier vorliegenden Masterarbeit internationale
Definitionen vorgestellt werden, um einen Rahmen für die nachfolgenden Erläuterungen zu
bilden und die Unterschiedlichkeit der Zugangsweisen8 zur Thematik aufzuzeigen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt folgendermaßen:
„Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder
physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder
Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod,
psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“9
Die von der Weltgesundheitsorganisation verwendete Typologie der Gewalt „gliedert Gewalt
in drei breite Kategorien, die darauf Bezug nehmen, von wem die Gewalt ausgeht: Gewalt
gegen die eigene Person, zwischenmenschliche Gewalt und kollektive Gewalt.“ 10 Die
nachfolgende Abbildung verdeutlicht die weitere Aufteilung in konkretere Gewaltformen,
wovon sich die Thematik „Gewalt im Namen der Ehre“ nach Einschätzung der Autorin auf
die „interpersonale Gewalt“ bezieht.
6
WELTGESUNDHEITSORGANISATION (2002): Weltbericht Gewalt und Gesundheit. Zusammenfassung.
Deutsche Übersetzung. 2003, S. 5. Online im Internet: URL:
http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/world_report/en/summary_ge.pdf [Stand 2012 - 08 –
01].
7
Ebd.
8
Die sozial- und politikwissenschaftliche Gewaltforschung berücksichtigt die Beziehungsdynamiken und die
gesellschaftspolitisch relevanten Aspekte wie Diskriminierung und Macht. Im Vergleich dazu stehen in der
kriminologischen Gewaltforschung vor allem die strafrechtlichen Handlungen und Sicherheitsaspekte im
Mittelpunkt und in der medizinisch und psychologisch orientierten Gewaltforschung die Aspekte der
Verletzungsfolgen und/oder psychischen Schädigungen oder Störungen. Siehe dazu: TROTHA, Trutz von
(1997): Zur Soziologie der Gewalt. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 37.
Jg. 49, S. 9 – 56. Sowie IMBUSCH, Peter (2002): Der Gewaltbegriff. In: HEITMEYER, Wilhelm/ HAGAN,
John (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, S. 26 – 57.
9
WHO, S. 6.
10
Ebd.
9
Abb.1: Typologie der Gewalt (WHO)11
2.1.1. Gewalt gegen Frauen aus der internationalen Perspektive
„Gewalt gegen Frauen im familiären Nahraum wurde lange Zeit nicht als Problem
wahrgenommen. Erst die Frauenbewegung sensibilisierte für körperliche und psychische
Gewalt in Intimbeziehungen und brach das konsensuelle Schweigen über diese Formen von
Gewalt“12,
konstatiert die in Wien tätige Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer. „Während in den ersten
globalen Übereinkommen zur Gleichstellung von Frauen (CEDAW 1979 - Convention on the
Elimination of All Forms of Discriminiation against Women 13 ) Gewalt nicht einmal als
Thema enthalten war, wurde in den UN-Dokumenten ab den 1990er Jahren explizit auf
11
WHO, S. 7.
SAUER, Birgit (2008): Gewalt, Geschlecht, Kultur. Fallstricke aktueller Debatten um „traditionsbedingte“
Gewalt. In: SAUER, Birgit/STRASSER, Sabine (Hrsg.): Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus.
Beiträge zur Historischen Sozialkunde/Internationale Entwicklung. Nr. 27. Wien, S. 49.
13
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Online im Internet: URL
http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07]. Die „Konvention zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frauen“ wurde am 18. Dezember 1979 von der Generalversammlung der
Vereinten Nationen angenommen. Österreich hat die Konvention im Jahr 1980 unterzeichnet und 1982
ratifiziert. Hauptziel der Konvention ist die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in sämtlichen
Lebensbereichen (Ehe und Familie, Arbeits- und Sozialbereich, Bildung und Ausbildung, im politischen und
öffentlichen Leben, Gesundheit und Schutz vor Gewalt). Die Vertragsstaaten haben dem Komitee für die
Beseitigung der Diskriminierung der Frauen (CEDAW-Komitee) mindestens alle vier Jahre Bericht über die
Umsetzung der Konvention zu erstatten, dies wird in Österreich vom Frauenministerium erstellt. Siehe dazu:
http://www.frauen.bka.gv.at/site/5548/default.aspx [Stand 2012 – 08 -07].
12
10
`Gewalt im Namen der Ehre` hingewiesen“ 14 , erwähnt die in Wien und Ankara wirkende
Sozialanthropologin Sabine Strasser weiterführend in ihrer Analyse.
Auf der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 15 in Wien wurde Gewalt
gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung anerkannt und gesetzliche Maßnahmen gegen die
bis dato als Privatangelegenheit wahrgenommene und tabuisierte Gewalttätigkeit waren die
Folge. „Geschlechtergewalt ist somit ein universelles, globales Problem, das auf der
Unterdrückung
von
Frauen
Mehrheitsgesellschaft teilen.“
basiert
und
das
Einwanderungsgruppen
mit
der
16
Im „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt“ 17 , das im Mai 2011 auch von Österreich unterzeichnet
wurde18,
„wird der Begriff `Gewalt gegen Frauen` als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form
der
Diskriminierung
der
Frau
geschlechterspezifischer Gewalt
20
19
verstanden
und
bezeichnet
alle
Handlungen
, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder
wirtschaftlichen Schäden oder Leiden der Frauen führen oder führen können, einschließlich
der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung,
sei es im öffentlichen oder privaten Leben.“21
Neben der expliziten Feststellung, dass es sich bei „Gewalt gegen Frauen“ um eine
Verletzung der Menschenrechte handelt sowie um eine Diskriminierungsform, werden in der
jüngsten Definition von „Gewalt gegen Frauen“ des Europarates die Wortlaute von bereits
14
STRASSER, Sabine (2008): Ist doch Kultur an allem schuld? Ehre und kulturelles Unbehagen in den Debatten
um Gleichheit und Diversität. In: SAUER/STRASSER, S. 65.
15
UN-Resolution 48/104 vom 20.12.1993. Online im Internet: URL:
http://www.humanrights.ch/upload/pdf/050330_erklarung_gg_gewalt.pdf [Stand 2012 - 08 – 06].
16
SAUER, S. 58.
17
COUNCIL OF EUROPE (2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Council of Europe Treaty Service Nr.
210. Istanbul, 11.5.2011. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/conventionviolence [Stand 2012 - 08 02].
Die
deutschsprachige
Version
findet
sich
online
im
Internet
unter
URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/conventionviolence/texts/Convention%20210%20German%20version%20&%20explanatory%20report.pdf [Stand 2012 –
10 – 09].
Das Übereinkommen „Convention on preventing and combating violence against women and domestic
violence“ wurde bisher von 25 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet [Stand 2013 – 01 – 19] und von
der Türkei als erstes Land (am 14.3.2012) ratifiziert.
18
Die Konvention wurde bislang von Österreich zwar am 11.5.2011 unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert.
19
Laut Art. 3f werden auch Mädchen unter achtzehn Jahren damit umfasst.
20
Laut Art. 3d bezeichnet der Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen“ „Gewalt, die gegen eine
Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft“.
21
Art. 3a, S. 5.
11
vorhandenen Deklarationen und Empfehlungen22 der Vereinten Nationen und des Europarates
übernommen und um den Passus „wirtschaftliche Schäden“23 ergänzt.
2.1.2. Geschlechtsspezifische
Gewalt
gegen
Frauen
aus
der
europäischen
Perspektive
Auch bei der Definition von „geschlechtsspezifischer Gewalt“ sei auf das jüngste EuroparatÜbereinkommen verwiesen, das auch die strukturelle Dimension dieser Form von Gewalt
betont:
„Der
Begriff
`geschlechtsspezifische
Gewalt
gegen
Frauen`
wird
im
gesamten
Übereinkommen24 immer wieder verwendet und bezeichnet eine Form der Gewalt, die gegen
eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark
betrifft.[…] Mit anderen Worten bezieht sich der Begriff geschlechtsspezifische Gewalt auf
jeden einer Frau widerfahrenen Schaden und stellt sowohl die Ursache als auch die Folge
ungleicher Machtverhältnisse dar, die auf zwischen Männern und Frauen wahrgenommenen
Unterschieden beruhen und zur Unterordnung der Frau in öffentlichen und privaten
Bereichen führen. Diese Form von Gewalt ist tief in den Strukturen, Normen und sozialen
sowie kulturellen Werten verwurzelt, welche die Gesellschaft prägen, und wird häufig von
einer Kultur der Leugnens und des Schweigens aufrecht gehalten.“25
Ergänzend soll auch die Definiton von geschlechtsspezifischer Gewalt aus NGO-Sicht
dargestellt werden. Das im Rahmen des DAPHNE-Programms im Jahr 2010 durchgeführte
Projekt „PROTECT – Good Practice in Preventing Serious Violence, Attempted Homicides,
Including Crimes in the Name of Honour, and in Protecting High Risk Victims of Gender
Based Violence“26 hatte zum Ziel, den Schutz von gewaltgefährdeten Frauen zu verbessern
und arbeitet mit folgender Definition aus der Perspektive der Praxis:
22
COUNCIL OF EUROPE (2002): Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Empfehlung Rec (2002) 5 des
MinisterInnenkomitees an die Mitgliedstaaten über den Schutz von Frauen vor Gewalt, verabschiedet am
30.4.2002
und
erläuterndes
Memorandum.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/Rec%282002%295_german.pdf [Stand 2012-08-02] sowie Allgemeine Empfehlung Nr. 19 des
CEDAW-Ausschusses zum Thema Gewalt gegen Frauen (1992) und der Art. 1 der Erklärung der Vereinen
Nationen zur Beseitigung jegliche Form von Gewalt gegen Frauen (1993).
23
COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 45.
24
Ebd., S. 46.
25
Ebd.
26
WAVE – WOMEN AGAINST VIOLENCE EUROPE (20112): PROTECT - Identifizierung und Schutz
hochgefährdeter Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Überblick. Wien, S. 2. Online im Internet: URL
http://www.wave-network.org/images/doku/wave_protect_german_0309.pdf [Stand 2013 - 01 – 14].
12
„Geschlechtsspezifische
schwerwiegende
Beziehungsgewalt
Formen
annehmen,
gegen
von
Frauen
schwerer
und
Mädchen
kann
Körperverletzung
über
Freiheitsberaubung durch tage- oder sogar jahrelanges Einsperren bis hin zu
Mordversuch und Mord. Diese Verbrechen scheinen durch unterschiedliche Faktoren und
Haltungen ausgelöst zu werden, etwa extreme Eifersucht, Besitzdenken oder den Vorwurf,
die Ehre der Familie verletzt zu haben, doch sie alle zielen letztlich darauf ab, Macht über
Frauen und Mädchen auszuüben und deren ganzes Leben unter Kontrolle zu haben. Setzt
eine Betroffene eine Handlung, die als Auflehnung gegen diese Verfügungsgewalt
aufgefasst wird, etwa weil sie einem gewalttätigen Vater oder Ehemann entkommen will,
kann das eine Gefahr für Leib und Leben und ihre Freiheit darstellen.“27
2.1.3. Häusliche Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum
Der Begriff „häusliche Gewalt“ bezeichnet laut dem genannten Europarats-Übereinkommen
„alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die
innerhalb der Familie 28 oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen
Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob
der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte.“29
Der Schweizer Psychologe und Soziologe Alberto Godenzi 30 hat sich intensiv mit dem
Geschlechterverhältnis im Kontext von Gewalt auseinandergesetzt und den Begriff „Gewalt
im sozialen Nahraum“ geprägt.
„Am häufigsten erleben Frauen Gewalt in ihrer Familie, 90 Prozent aller Gewalttaten werden
nach Schätzungen der Polizei in der Familie und im sozialen Nahraum ausgeübt. Die
Dunkelziffer bei familiärer Gewalt ist sehr hoch, Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf
hin, dass jede fünfte Frau bereits Gewalt in einer Beziehung erlebt hat.“31
Die Gewalt tritt in unterschiedlichen Formen auf, sie kann auf physischer, sexueller,
psychischer, ökonomischer oder sozialer Ebene ausgeübt werden und auch gegen Kinder32
27
Ebd.
Dazu zählt auch die generationenübergreifende Gewalt zwischen Eltern und Kindern.
29
Art. 3b, S. 5.
30
GODENZI, Alberto (19962): Gewalt im sozialen Nahraum. Basel.
31
Vgl. Homepage des Österreichischen Frauenministeriums. http://www.frauen.bka.gv.at/site/5463/default.aspx
[Stand 2013 - 01 -19].
32
„Häusliche Gewalt gegen Frauen stellt eine Form psychischer Gewalt gegen Kinder dar. Gewalt gegen eine
Bezugsperson mitzuerleben fügt Kindern massiven Schaden zu, gleichgültig ob sie direkt oder indirekt davon
betroffen sind. Wenn jener Ort, der Kindern Schutz und Geborgenheit bieten sollte, von Gewalt und Angst
geprägt ist, hinterlässt dies in der seelischen Entwicklung der Kinder schwerwiegende Schäden. Die häuslichen
28
13
oder ältere Personen (z. B. bei Pflegebedürftigkeit) ausgeübt werden. Im Katalog zur
Ausstellung über Gewalt in der Familie „Hinter der Fassade“33, die von Mitarbeiterinnen der
Gewaltschutzzentren bzw. Interventionsstellen aus den Bundesländern inhaltlich gestaltet
wurde, werden Beispiele aus der Praxis34 zu den unterschiedlichen Gewaltformen aufgezählt:
2.1.3.1.Physische Gewalt:
„Misshandlungen sind mit Gefühlen von Ohnmacht und Erniedrigung, großer Angst vor der
Unberechenbarkeit des gewalttätigen Mannes und häufig mit Todesangst verbunden.“ 35
Frauen werden geschlagen, gewürgt, zu Boden geworfen, am Essen oder am Schlafen
gehindert etc.
2.1.3.2.Psychische Gewalt:
Darunter werden Drohungen, Nötigungen, Angstmachen, Belästigungen, Terror, Verfolgung
(Stalking36), Beschimpfungen, Abwertungen und Diffamierungen verstanden. Dazu kommt
auch die ökonomische Gewalt, wenn die finanziellen Ressourcen nicht aufgeteilt werden,
Gewalterfahrungen erzeugen bei den Kindern tiefe Verletzungen. Gefühle der Schuld und Ohnmacht, Wut und
Hass können zu einer Beeinträchtigung der emotionalen, kognitiven und körperlichen Entwicklung führen.“ vgl.
GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH (Hrsg.) 2009 3: Hinter der Fassade. Broschüre zur
Ausstellung Gewalt in der Familie. Linz, S. 15 – 19. Online im Internet: URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=35407 [Stand 2013 – 01 -19].
33
Ebd.
34
„16 Tage gegen Gewalt an Frauen“: Die Zeit zwischen dem 25. November - dieser wurde 1999 von der UNO
als internationaler Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen und Mädchen anerkannt - und dem 10.
Dezember - Internationaler Tag der Menschenrechte -, ist ein Aktionszeitraum, in dem Gewalt gegen Frauen in
all ihren Ausprägungen thematisiert und in das Bewusstsein der Menschen gerückt werden soll. Vgl.
http://www.frauen.bka.gv.at/site/6863/default.aspx [Stand 2013 - 01 – 19]. Auch in Graz finden jährlich in
diesem Zeitraum Aktionen der NGOs, die im Gewaltschutzbereich tätig sind, statt. Vgl.
http://grazerfrauenrat.at/fb/frauenbeauftragte-der-stadt-graz/artikel [Stand 2013 – 01 – 19].
35
Ebd., S. 10.
36
Mit Stalking wird ein Verhaltensmuster bezeichnet, „bei dem jemand einem anderen Menschen nachspioniert,
ihn persönlich verfolgt, ihn brieflich oder telefonisch, oft auch per E-Mail oder SMS belästigt, bedroht,
diffamiert, einschüchtert und terrorisiert. Vor allem Frauen, die sich von ihrem gewalttätigen Partner trennen,
sind oftmals davon betroffen. Charakteristisch ist, dass Stalkinghandlungen eine gewisse Kontinuität und
Häufigkeit aufweisen. Ziel der TäterInnen ist es z. B., eine Beziehung aufzunehmen, die Beendigung einer
solchen rückgängig zu machen oder sich für erlittene Kränkungen zu rächen. Die Auswirkungen auf die Opfer
können von Schlaflosigkeit über Angst- und Panikattacken bis hin zu psychosomatischen Beschwerden reichen.
Manche Stalkinghandlungen können als Körperverletzung, gefährliche Drohung, Nötigung, Sachbeschädigung,
Verleumdung usw. verfolgt werden. Stalking ist dadurch gekennzeichnet, dass Personen durch ein Verhalten in
Angst und Schrecken versetzt werden, welches an der Oberfläche oft harmlos erscheint, jedoch in der Summe
der Einzelakte und der Dauer für die Betroffenen eine enorme Bedrohung und Einschränkung der
Lebensführung darstellt. Seit Juli 2006 ist dieses Verhalten als „beharrliche Verfolgung“ gemäß §107a StGB
strafbar und es ist möglich, mit einer Einstweiligen Verfügung StalkerInnen durch Aufenthalts- und
Kontaktverbote bis zu einem Jahr vom Opfer fernzuhalten, bei Zuwiderhandeln auch länger.“
Vgl. GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH, S. 13.
14
beispielsweise Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld nicht für die Familie und den
Haushalt verwendet werden, sondern für persönliche Bedürfnisse des Partners. Auch
Machtdemonstrationen (z. B. Missachtung des Briefgeheimnisses, Kontrolle über den
Tagesablauf der Frau, krankhafte Eifersucht, Verbot von sozialen Kontakten) oder Drohungen
mit dem eigenem
Selbstmord, mit der Wegnahme oder Entführung der Kinder, der
Nichtverlängerung des Visums etc. wirken bereits so einschüchternd, dass die „tatsächliche
Ausübung körperlicher Gewalt nicht mehr nötig [ist]“37. Gepaart ist dieses Verhalten oft mit
einer massiven Abwertung der Frau und ihrer Wertvorstellung gegenüber Dritten bzw. mit
einer „Problematisierung“ der betroffenen Frau, um – wie in vielen Fällen – von den eigenen
Taten abzulenken. Dazu zählt z. B. die Behauptung, die Frau sei psychisch krank oder labil
und somit unglaubwürdig.
2.1.3.3.Sexualisierte Gewalt:
„Motive für sexualisierte Gewalt sind nicht ausschließlich Sexualität oder wie so oft gemeint
Triebbefriedigung, sondern Machtmissbrauch bzw. Demonstration von Überlegenheit. […]
Die Erscheinungsformen sexualisierter Gewalt reichen von anzüglichen, aufdringlichen
Blicken, unerwünschten Kommentaren und Berührungen, „schmutzigen“ Witzen, sexistischen
Bemerkungen bis hin zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch.“38
Diese Gewalthandlungen werden gegen den Willen der Betroffenen vollzogen und sind
gepaart mit der Verletzung der körperlichen und psychischen Integrität, dazu zählen auch
Frauenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung und die
pornographische Darstellung von Minderjährigen.
2.1.3.4.Femizid - Tötung von Frauen:
„Femizid, d. h. die durch Männer verübte Tötung von Frauen, aufgrund der Tatsache, dass sie
Frauen sind, gehört zu den extremsten Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen. Für
Frauen aller Altersgruppen gilt, dass das größte Risiko tödlicher Gewalt von einem Täter aus
ihrem Umfeld ausgeht – von einem Familienmitglied oder dem Partner. Das Thema Femizid
wird in verschiedenen Zusammenhängen behandelt, etwa im Rahmen häuslicher Gewalt,
Gewalt durch unbekannte Täter, sexueller Gewalt, Ermordung weiblicher Babys, Gewalttaten
37
Ebd., S. 10f.
BERATUNGSSTELLE TARA (2010): Sexualisierte Gewalt und Trauma. Eine Informationsbroschüre der
Beratungsstelle
Tara.
Graz.
S.
10f.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.taraweb.at/cms/images/stories/informationsbroschuere%20sexualisierte%20gewalt%20und%20trau
ma.pdf [Stand 2013 – 01 – 19].
38
15
im Namen der „Ehre“, Mitgiftverbrechen, Mord im Zuge von Bandenkriminalität und
politischer Gewalt.“39
Europaweit ist ein Datenvergleich sehr schwierig, da z. B. Ehrenmorde und ähnliche Delikte
im Namen der „Ehre“ im Justizsystem der meisten EU-Länder keine eigenständigen Delikte
darstellen bzw. Justizstatistiken noch nicht immer vollständig nach Genderaspekten
ausgewertet werden. Da diese Situation aber mittlerweile bekannt ist, verbessert sich die
Lage, auch in der Forschung liegt ein Schwerpunkt auf sogenannte „High-Risk Victims“, also
stark gefährdete Frauen, die im Extremfall von ihrem Partner ermordet werden.
„Auch in Österreich, wo die Effektivität des Gewaltschutzgesetzes unbestritten ist, erfolgt
dennoch ein hoher Anteil aller Morde bzw. Mordversuche in der Familie40“, heißt es in der
2012 veröffentlichten Studie „High-RiskVictims“ 41 . Die quantitative als auch qualitative
Analyse von Landesgerichtsakten aus den Jahren 2008 bis 2010 berücksichtigt 39 (versuchte)
Tötungsdelikte im Zusammenhang mit (ehemaligen) Beziehungspartnern: in 18 Fällen
wurden Frauen getötet, 21 Frauen überlebten.
„Von den 39 Verfahren in den Jahren 2008 bis 2010 ausgehend, errechnet sich ein
Durchschnittswert von 13 Frauen, die jährlich von ihrem Beziehungspartner oder einem
ehemaligen Partner in Tötungsabsicht angegriffen werden. […] Jährlich ist rund eine von
300.000 Frauen von einem (versuchten) Tötungsdelikt durch einen (ehemaligen) Partner
betroffen.“42
2.1.3.5.Umgang mit Gewaltbetroffenen in der Beratungspraxis
Mit Hilfe der psychosozialen Beratung können Betroffene ihre Gewalterfahrungen
artikulieren und Auswege entwickeln. Vor allem parteilich und ganzheitlich arbeitende
Beratungsstellen im Gewaltschutz43- und Frauenbereich44 identifizieren hochgefährdete Opfer
39
WAVE, S. 74.
Neben der Kernfamilie sind auch andere Verwandtschaftsverhältnisse berücksichtigt.
41
BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST IM BUNDESKANZLERAMT
(2012): High-Risk Victims. Tötungsdelikte in Beziehungen. Verurteilungen 2008 – 2010. Verfasst von Birgitt
Haller,
Institut
für
Konfliktforschung.
Wien,
S.
7.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46530 [Stand 2013 – 01 – 14].
42
BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN, 2012, S. 11.
43
In jedem Bundesland gibt es ein Gewaltschutzzentrum bzw. eine Interventionsstelle gegen Gewalt in der
Familie. Als gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtungen sind sie im Auftrag des Bundesministeriums für
Inneres und der Frauensektion im Bundeskanzleramt tätig. Sie arbeiten in enger Abstimmung mit Exekutive und
40
16
von geschlechtsspezifischer Beziehungsgewalt. Diese Gefährdungseinschätzung geschieht im
persönlichen
Kontakt
mit
dem
Opfer
anhand
von
systematischen
Risiko-
einschätzungsinstrumenten (v.a. Fragebögen). In weiterer Folge wird in Zusammenarbeit mit
anderen NGO´s, Behörden und der Polizei der bestmöglichste Schutz für die betroffene
Person (und deren Kinder45) erarbeitet und ein „Sicherheitsplan“ gemeinsam mit der Klientin
erstellt, Normen wie z. B. Wegweisung, Betretungsverbot, einstweilige Verfügung führen
zum Kontaktabbruch mit dem/der BedroherIn.
Im
Krisenfall
werden
sichere
Unterbringungsmöglichkeiten
bereitgestellt
(z.
B.
Frauenhaus46), auch die österreichweite „Frauenhelpline gegen Männergewalt“47 bietet rund
um die Uhr und ganzjährig eine „kostenlose, [anonyme],
telefonische Erst- und
Krisenberatung für Frauen/Migrantinnen, Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen
sind“ und leitet an regionale48 Gewaltschutzeinrichtungen und Beratungsstellen weiter, auch
eine Online-Beratung49 ist möglich.
Justiz, damit die Sicherheit für Opfer familiärer Gewalt erhöht wird. Vgl. Auflistung auf der Homepage des
Bundesministeriums
für
Inneres.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx [Stand 2013 - 01 – 20].
44
In allen Bundesländern gibt es Frauenberatungsstellen. Vgl. Auflistung auf der Homepage des
Frauenministeriums.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.frauenratgeberin.at/cms/frauenratgeberin/adresse_thema.htm?thema=FT [Stand 2013 – 01 – 20].
45
In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, den Kinderschutzzentren, der Kinder- und Jugendanwaltschaft, der
Männerberatungsstelle etc.
46
In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser. Sie sind für betroffene Frauen und Kinder offen, unabhängig von
Nationalität, Einkommen oder Religion. Die Adressen der Frauenhäuser sind aus Sicherheitsgründen anonym.
Vgl. Homepage des Vereines Autonomer Frauenhäuser Österreichs. Online im Internet: URL:
http://www.aoef.at/cms/ [Stand 2013 – 01 – 20].
47
Frauenhelpline gegen Männergewalt: 0800/222 555. Diese Telefonberatung ist im Verein Autonome
Österreichische Frauenhäuser angesiedelt und wird vom Bundeskanzleramt/Frauenministerium finanziert. Im
Durchschnitt werden pro Tag 34 Anrufe entgegengenommen. Online im Internet: URL:
http://www.frauenhelpline.at/ [Stand 2013 – 01 -20].
Eine weitere Möglichkeit ist der „Opfer-Notruf“ 0800/112 112, der vom „Weißen Ring“ im Auftrag des
Justizministeriums betrieben wird. Online im Internet: URL: http://www.opfer-notruf.at/ [Stand 2013 – 01 – 20].
48
Laut Frauenhelpline könnte das Hilfsangebot vor allem in ländlichen Regionen Österreichs noch verbessert
werden. Vgl. VEREIN AUTONOME ÖSTERREICHISCHE FRAUENHÄUSER (2011): Frauenhelpline gegen
Männergewalt. Jahresbericht. Wien, S. 22. Online im Internet: URL:
http://www.haltdergewalt.at/frauenhelpline/new/Helpline_Taetigkeitsbericht_2011.pdf [Stand 2013 - 01 -20].
49
„Der Helpchat www.haltdergewalt.at wurde 2000 vom Verein autonome Österreichische Frauenhäuser ins
Leben gerufen und ist neben der Frauenhelpline ein weiteres Hilfsangebot für hilfesuchende Frauen.
Der Helpchat bietet anonyme und vertrauliche Hilfestellung und ist eine virtuelle Beratungsstelle für Frauen
und Mädchen, die in ihrem Lebensumfeld von Gewalt in jeder Form – psychisch, physisch, sexuell – betroffen
sind. Jeweils montags von 19:00 bis 22:00 Uhr stehen abwechselnd zwei Beraterinnen zur Verfügung, die
professionelle Hilfe und Rat anbieten. www.haltdergewalt.at bietet darüber hinaus die Möglichkeit, diese
Online-Beratungsstelle als Gesprächsforum zu nützen, Selbsthilfegruppen zu bilden sowie links,
Informationenüber die Gesetzeslage, Opferschutzeinrichtungen und parteiliche Frauenberatungsstellen
einzuholen.“
Vgl. VEREIN AUTONOME ÖSTERREICHISCHE FRAUENHÄUSER, S. 9.
17
2.2.Feministische Gewaltdefinitionen
Feministische
Gewaltdefinitionen
beruhen
auf
dem
Modell
„Gewaltdreieck“
des
50
Friedensforschers und Soziologen Johan Galtung , bereits aus den 1970er Jahren.
Abb. 2: Gewaltdreieck von
Johan Galtung51
2.2.1. Strukturelle Gewalt
Unter dem Begriff „strukturelle Gewalt“ versteht Johan Galtung „institutionalisierte soziale
Verhältnisse, die die aktuellen Chancen, Bedürfnisse zu realisieren unter das Niveau senken,
das potenziell möglich wäre.“ 52 „Während direkte Gewalt 53 ein Ereignis darstellt, ist
strukturelle Gewalt eine Institution.“
54
Gewalt gegen Frauen ist ein Ausdruck der
Herrschaftsverhältnisse zwischen Männern und Frauen und meint, „jede Verletzung der
körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, welche mit der Geschlechtlichkeit von
Opfer und Tätern zusammenhängt und unter Ausnutzung durch die strukturell stärkere Person
zugefügt wird“ 55 . Birgit Sauer resümiert in einem Artikel über Gewalt, Geschlecht und
Kultur:
50
GALTUNG, Johan (1990): Cultural Violence. In: Journal of Peace Research. Jg. 27, Nr. 3/1990. Oslo, S. 291
ff.
51
Ebd.
52
Ebd. S. 292.
53
Physische, psychische und sexualisierte Gewalt.
54
GALTUNG, S. 294.
55
HAGEMAN-WHITE, Carol (1992): Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis. Bestandsanalyse und
Perspektiven. Freiburg im Breisgau, S. 23.
18
„Gewalt ist eine Ordnungsform politischer, sozialer und kultureller Institutionalisierungen.
Auch staatliche Institutionen generieren Ausschluss und Benachteiligung, kurz: Verletzbarkeit.
Geschlechterverhältnisse sind ebenso wie Ausschluss aufgrund von Ethnizität historisch
institutionalisierte staatliche Gewaltverhältnisse. Gewalt ist deshalb nicht nur als direkte
intentionale Handlung zu begreifen. Auch wenn Geschlechtergewalt die Kontrolle von Frauen
und ihrer Sexualität, die Verhinderung von weiblicher Selbstbestimmung intendiert, so ist dies
nur möglich in asymmetrischen geschlechtsspezifischen Herrschaftsverhältnissen.“56
Von NGO`s wird die strukturelle Gewalterfahrung als „vermeidbare Beeinträchtigung
grundlegender menschlicher Bedürfnisse […],die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung
unter das herabsetzt, was potenziell möglich ist“57, beschrieben:
„Neben allen Formen der Diskriminierung zählt dazu ungleiche Einkommensverteilung.
Strukturelle Gewalt ist ein System von Regeln und Verpflichtungen, die Frauen in
Abhängigkeiten halten. Diese Abhängigkeit begünstigt die direkte Gewaltausübung gegen
Frauen in der Familie. Die Arbeitsmarktlage für Frauen wird zunehmend schlechter. Immer
mehr Alleinerzieherinnen fallen unter die Armutsgrenze, und Tendenzen wie `Frauen sollen zu
Hause bleiben` nehmen wieder zu.“ 58
2.2.2. Kulturelle Gewalt
Der Diskurs um „kulturelle Gewalt“ wird in Westeuropa politisch und juristisch in zwei
Richtungen geführt. Einerseits wird in der Rechtsprechung „die“ Kultur als Entschuldigung
oder Rechtfertigung von Gewalt herangezogen, „die Verankerung in bestimmten kulturellen
Normen kann strafmindernd für den Täter wirken, und der Verweis auf die verletzte
männliche oder familiäre Ehre soll Gewalt gegen Frauen zumindest verstehbar machen.“59 Da
Staaten herausgefordert sind, mit kulturell und religiös differenten Praktiken, Lebensformen
und Gewohnheiten umzugehen, passiert es, dass selbst „die Ursachen von Gewalt in der
Kultur, der Tradition oder der Religion von MigrantInnen gesucht“ werden, und nicht, „wie in
der Mehrheitsgesellschaft inzwischen Konsens, in ungleichen Geschlechterverhältnissen.“60
56
SAUER, S. 56.
GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH, S. 12.
58
Ebd.
59
SAUER, S. 53.
60
Ebd., S. 53.
57
19
Neben der unpräzisen Verwendung des Kulturbegriffes
61
im Sinne von fälschlich
angenommenen nebeneinander bestehenden homogenen Kulturkreisen ohne Differenzen oder
Austausch mit der Umwelt konstatiert Birgit Sauer, dass ein „kulturalistischer Gewaltbegriff
[…] der Komplexität des Gewalthandelns
Migration und Multikulturalismus
im Kontext von Geschlechterungleichheit,
nicht gerecht“ 62 wird. „Gewalt ist ein konstruiertes
Phänomen, das ohne die Berücksichtigung seiner `Kontextualität` nur unzureichend erklärt
ist“63, auch die Deutungen der von Gewalt betroffenen Frauen müssen als Konsequenz daraus
mitberücksichtigt werden.
In der Praxis stellt sich die konkrete, herausfordernde Frage, „kann eine Praktik als Gewalt
bezeichnet und verboten werden, wenn Frauen diese Praktiken freiwillig akzeptieren?“ 64 .
Oder führt es zu einer weiteren Entmündigung von betroffenen Frauen, wenn sie „angeblich
nicht wissen, dass sie durch Normen manipuliert sind und dass ihnen Gewalt angetan wird“65,
und ihnen somit abgesprochen wird, ein Bewusstsein über ihre konkrete Lebenssituation zu
haben. Birgit Sauer stellt diese provokante Frage folgendermaßen:
„Wie kann der Gewaltbegriff so definiert werden, dass er alle Dimensionen und Praktiken von
Gewalt gegen Frauen umfasst, dass er aber zugleich Freiheits- und Handlungspotenzial
ermöglicht und nicht zur weiteren Viktimisierung von Migrantinnen beiträgt?“66
Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Natalie Sokoloff und Ida Dupont, die sich mit
multikulturellen Aspekten von häuslicher Gewalt auseinandersetzen, bezeichnen es als
spannende, theoretische Herausforderung
„zu konzeptualisieren, wie die unterschiedlichen Differenz-, Ungleichheits- und Unterdrückungsstrukturen interagieren und wie sich daraus Gewalt gegen Frauen ohne
kulturalistische und rassistische Verkürzungen erklären lässt.“67
61
Siehe dazu: BENHABIB, Seyla (2002): The Claims of Culture. Equality and Diversity in the Global Era.
Princeton, S. 4.
62
SAUER, S. 55.
63
Ebd., S. 57.
64
Ebd.
65
Ebd.
66
SAUER, S. 52.
67
SOKOLOFF, Natalie/DUPONT, Ida (2005): Domestic Violence at the Intersections of Race, Class and
Gender. In: Violence Against Women 11/1. Jänner 2005, S. 39.
20
2.3.Intersektioneller Gewaltbegriff
Für die vorliegende Masterarbeit wird ein intersektioneller 68 Gewaltbegriff gewählt, um
verschiedene Differenzkategorien – wie Geschlecht, Ethnizität und Klasse - in ihrer
gleichzeitigen
und
interdependenten
Wirkung
miteinander
zu
analysieren.
Der
intersektionelle Begriff umfasst drei Aspekte:
„zum ersten das Zusammenspiel von Gewaltstrukturen und –diskursen, […] zum zweiten die
Interaktion der Ungleichheitsstrukturen sowohl in Minderheitengruppen wie in der
Mehrheitsgesellschaft. Diese beiden Aspekte konstituieren drittens die Intersektionalität von
Ungleichheits- und Gewaltstrukturen aufgrund von Geschlecht, Ethnizität und Religion.“69
Dieser intersektionelle Gewaltbegriff berücksichtigt auch die Tatsache, dass spezifische, so
genannte traditionelle Gewaltpraxen zum Teil im Migrationsprozess entstehen und „erst durch
interagierende Unterdrückungs- und Ausschließungsstrukturen und –diskurse der Mehrheitsgesellschaft geformt, gestärkt bzw. hervorgebracht werden“70 und es zu Verstärkungseffekten
von struktureller Gewalt aufgrund des Geschlechtes und aufgrund der Ethnie kommen kann.
Beispielhaft nennt Birgit Sauer für die österreichische Situation „geschlossene Grenzregime,
die
Beschränkung
von
Einwanderungsmöglichkeiten
und
die
Privilegierung
von
Familiennachzug“71, welche eine Heirat auch zu einem Bestandteil eines Migrationskalküls
machen. Daneben erhöhen fremden- und aufenthaltsrechtliche Regelungen die Vulnerabilität
von Migrantinnen und verstärken die Abhängigkeit vom Ehemann oder von der
Herkunftsfamilie.
68
Intersektionalität hat sich als Forschungsperspektive innerhalb der feministischen Wissenschaft im
englischsprachigen Raum in den 1990er entwickelt. Aus der Kritik an der Universalität der Analysekategorie
Gender heraus wurde diese Perspektive entwickelt und versucht, verschiedene Differenzkategorien in ihrer
gleichzeitigen und interdependenten Wirkung miteinander zu analysieren. Der Begriff „intersectionality“ geht
auf Kimberle Crenshaws Metapher zurück, wonach „race“, class und gender als Achsen der Macht sich wie
Straßen kreuzen.
Siehe dazu: CRENSHAW, Kimberle (1989): „Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist
critique of antidiscrimination doctrine“. In: The University of Chicago Legal Forum 139, S. 139 – 167 sowie zur
Debatte im deutschen Sprachraum: KNAPP, Gudrun-Axeli/WETTERER, Angelika (2003): Achsen der
Differenz. Gesellschaftsstheorie und feministische Kritik. Bd. 2, Münster, S. 14 – 48 und WINKER,
Gabriele/DEGELE, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld. „Mit diesem
Forschungsansatz kann die soziale Positionierung von Menschen innerhalb einer Gesellschaft im Sinne sozialer
Ungleichheit erfasst werden und ermöglicht die Analyse komplexer und flexibler Identitätskonstruktionen im
Spannungsfeld verschiedener gesellschaftlicher Machtverhältnisse.“ YUVAL-DAVIS, Nira (2006):
Intersectionality and Feminist Politics. In: European Journal of Women’s Studies 13 (2006) 3, S. 193-209.
69
SAUER, S. 58.
70
SOKOLOFF/DUPONT, S. 45.
71
SAUER, S. 59.
21
„Gewalt in migrantischen Milieus kann also nicht ohne die Erfahrung von Ausgrenzung72 und
Rassismus gemacht werden“ 73 , die Ähnlichkeiten zwischen westlichen Gesellschaften und
jenen
der
Einwanderungsgruppen
hinsichtlich
der
ungleichen
und
patriarchalen
Geschlechternormen und –bilder sind wesentlich und unterstützen diesen Prozess zusätzlich.
„Die Kombination eines strukturellen und diskursiven mit einem intersektionellen
[Gewaltkonzept-] Ansatz entgeht der Gefahr, Frauen aus Minderheiten zu entmächtigen und
zu marginalisieren“74, und ermöglicht den betroffenen Frauen, ihre eigene Definitions- und
Entscheidungsmacht zu entwickeln und diese auch in die öffentliche Debatte einzubringen um
sich gegen die empfundene Gewalt zu wehren.
2.4. „Gewalt im Namen der Ehre“ – Traditionelle Gewalt – „Honour-related
violence“
Die Begriffe „Gewalt im Namen der Ehre“ oder traditionelle Gewalt wurden Ende der 1990er
vermehrt verwendet, so bezeichnete auch die CEDAW in einem Monitoring Prozess mit der
Türkei und Israel „Ehre“ als Thema der Gewalt gegen Frauen und ab 2000 wurden zahlreiche
Aktivitäten und Forschungen initiiert.75
In Europa wurde 2003 die Thematik mit der Europarats-Resolution 1327 bekannter und in der
mit „So-called honour crimes” betitelten Resolution findet sich unter Punkt 1 auch eine kurze
Definition von „Gewalt im Namen der Ehre“:
”The Parliamentary Assembly is very concerned by the increase in so-called “honour
crimes”, committed against women in the name of honour, which constitute a flagrant
violation of human rights based on archaic, unjust cultures and traditions.“76
„Es wird betont, dass diese Gewalttaten nicht auf religiöse, sondern auf `kulturelle` Wurzeln
zurückzuführen seien, wobei aber die Mehrzahl der berichteten Fälle in Europa unter
72
Die fehlenden Erwerbschancen erhöhen die ökonomische und familiäre Abhängigkeit von Mädchen und
Frauen und können auch Identitäts- und Abschließungsprozesse von Einwanderungsgruppen beeinflussen.
73
SAUER, S. 59.
74
SOKOLOFF/DUPONT, S. 40.
75
SEN, Purna (2005): `Crimes of honour`, value and meaning. In: WELCHMAN, Lynn/HOSSAIN, Sara
(Hrsg.): `Honour`. Crimes, paradigms, and violence against women. London/New York, S. 56.
76
EUROPARATS-RESOLUTION
1327
(2003):
Online
im
Internet
unter:
URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/violence/Documents/Resolution%201327%20%282003%29.asp [Stand
2012 – 08 - 08].
22
muslimischen Gemeinschaften angesiedelt wird.“
77
In der Folge resultierten daraus
gesetzliche Maßnahmen und diverse Initiativen.
„Im österreichischen Kontext der Regierungsinitiative 200578 wurde eine enge Interpretation
des Begriffes gewählt, die `traditionelle Gewalt` als ein `importiertes Problem` ansah, das
MigrantInnen durch ihre Kultur und nicht durch ihre Religion haben“ 79 , kritisiert Sabine
Strasser. So heißt es in der Vorbemerkung in der vom Frauenministerium erstmals 2006
veröffentlichten Studie und Broschüre „Tradition und Gewalt an Frauen“80 folgendermaßen:
„`Honour-related violence`, `crimes of honour`, `harmful traditions against women` - wie so
oft
variieren
die
Begriffe
geschlechtsspezifischer
Gewalt,
im
Sprachgebrauch
in
denen
Frauen
–
gemeint
durch
sind
bestimmte
hier
Formen
Moral-
und
Wertvorstellungen zu Opfern werden. Durch das Festhalten an Traditionen werden
verschiedene Formen der `gendered violence` reproduziert und tradiert, sodass für das
Zustandekommen dieser Gewalt gegen Frauen nicht die Religion ausschlaggebend ist,
sondern vielmehr die Tradition. `Traditionsbedingte Gewalt an Frauen` beinhaltet ein breites
Spektrum an Gewaltformen, die in vielen Fällen auch eine spezielle Form häuslicher Gewalt
an Frauen repräsentieren, wie beispielsweise Femal Genital Mutilation/Cutting (FGM/C) und
`Verbrechen im Namen der Ehre`, wie Zwangsheirat, Ehrenmord, Steinigung. Gemein ist all
diesen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, dass sie in der Familie oder Gemeinschaft
praktiziert werden, weitgehend sozial legitimiert sind, sowie auf patriarchalischen Normen
und Werten aufbauen.“81
77
STRASSER, S. 65.
Unter der Federführung der damaligen Frauen- und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) setzten
folgende weitere Ministerkolleginnen des Kabinetts Schüssel II gesetzliche Maßnahmen gegen traditionsbedingte Gewalt um: Seitens der ÖVP Ursula Plassnik (Auswärtige Angelegenheiten), Elisabeth Gehrer
(Bildung), Liese Prokop (Inneres) sowie seitens des BZÖ Karin Gastinger (Justiz) und Ursula Haubner (Soziale
Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz).
79
STRASSER, S. 66.
80
Sabine Strasser bezeichnet die erwähnte Broschüre als „die `Spitze des Eisbergs` einer äußerst fragwürdigen
Debatte, die zwar auf real existierende Probleme reagiert, dies aber auf unzureichende oder gar inadäquate
Weise.“ Die „lieblos zusammen gewürfelte Ansammlung von Informationen“ kann nicht als „echte, hilfreiche
Intervention für Betroffene“ gelten. Vgl. dazu: STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 11.
81
BUNDESKANZLERAMT/BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST
(20092): Tradition und Gewalt an Frauen. Wien, S. 5. Online im Internet: URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=34583 [Stand 2012 – 08 – 08]. Im November 2008 wurde
vom Frauenministerium in Zusammenarbeit mit dem Verein „Orient Express“ die von der
Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes (http://www.terre-des-femmes.de/) zusammengestellte
Wanderausstellung
„Tatmotiv
Ehre“
in
Wien
gezeigt.
Siehe
dazu:
http://www.frauen.bka.gv.at/site/5479/default.aspx [Stand 2012 - 10 – 15].
78
23
Das Europaratsübereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
und häuslicher Gewalt benennt hingegen dezidiert, „dass Kultur, Sitten, Religion, Tradition
oder die sogenannte `Ehre` keinesfalls als Rechtfertigung für […] Gewalttaten angeführt
werden können“82. Im Artikel 42 mit dem Titel „Inakzeptable Rechtfertigungen für Straftaten,
einschließlich im Namen der sogenannten `Ehre` begangener Straftaten“ 83 werden die
Vertragsstaaten und deren Justiz ausdrücklich aufgefordert,
„dafür Sorge zu tragen, dass in ihrem Strafrecht und im Strafverfahrensrecht Behauptungen
des Angeklagten, nach denen er bestimmte Taten zur Verhütung oder Bestrafung vermuteter,
wahrgenommenerer oder aktueller Verletzungen seitens des Opfers von kulturellen,
religiösen, sozialen oder traditionellen Werten und Bräuchen im Hinblick auf ein
angemessenes Verhalten begangen hat“84,
nicht als Rechtfertigung zuzulassen. Im Falle der häufigen Tatsache, dass ein strafunmündiger
Familienangehöriger ein Ehr-Verbrechen begeht, wird die „strafrechtliche Verantwortlichkeit
der solche Verbrechen veranlassenden Person(en)“85 eingeführt.
Sabine Strasser kritisiert die geringe Wirksamkeit der Gesetzesänderungen dahingehend, dass
„die Frauen der ÖVP/BZÖ Regierungskoalition durch diese Aktivitäten im [EU] Präsidentschaftsjahr sowohl Frauen- und Minderheitenpolitik abdecken als auch die Legitimität ihrer
assimilatorischen Integrationspolitik bestätigen konnten.“86
82
COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 58.
COUNCIL OF EUROPE, S. 83 f.
84
Ebd., S. 84.
85
Ebd.
86
STRASSER, S. 65.
83
24
3. FORSCHUNGSSTAND „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“
Das Thema Zwangsheirat und „Gewalt im Namen der Ehre“ erfuhr eine „schnelle Karriere in
der öffentlichen Debatte“ 87 , dadurch sind die „Sozialwissenschaften mit einer seltenen
Situation großer Nachfrage seitens der Politik wie auch einem enormen medialen Interesse
konfrontiert.“88 In vielen europäischen Ländern wurden Auftragsstudien erstellt, deren Auswirkung auf die Politik kaum Inhalt des wissenschaftlichen Diskurses ist. Dabei zeigt die
Analyse von unterschiedlichen Auftragsstudien in europäischen Ländern „Rückschlüsse auf
die Auswirkungen von unterschiedlichen Integrationsregimes auf Lösungsvorschläge in
diesem Politikfeld“89 und es lässt sich ein „Einblick in die Verflechtungen von Wissenschaft
und Politik“
90
gewinnen, wie die in Brüssel tätige Sozialanthropologin Maria Schiller in
einem Vergleich von zehn Auftragsstudien91 über Zwangsheirat herausarbeitet.
Großteils werden Daten und Aussagen von ExpertInnen aus der Beratungspraxis herangezogen und mit vertiefenden Untersuchungen einzelner „communities“ mit Hilfe von Feldforschung ergänzt, daneben spielen Interviews mit Betroffenen und deren Angehörigen eine
Rolle. „Die meisten Studien konzentrieren sich dabei auf bestimmte Bevölkerungsgruppen,
von denen angenommen wird, dass sie verstärkt von Zwangsverheiratung betroffen seien.“92
Im Jahr 2006 wurde die von der Stadt Wien beauftragte Studie „Zwangsverheiratung und
arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens“ 93 publiziert, zwei
87
SCHILLER, Maria (2010): Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in europäischen
Ländern. In: STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen.
Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse).
Bd. 41. Frankfurt/New York, S. 48.
88
SCHILLER, S. 48.
89
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 15.
90
Ebd., S. 15.
91
Es handelt sich dabei um neun Studien zu Zwangsverheiratungen, die in den vergangenen Jahren im
städtischen, nationalen oder internationalen Kontext innerhalb Europas durchgeführt worden waren (Deutschland, 2 Studien aus Großbritannien, Norwegen, Niederlande, Österreich und der Schweiz), sowie um eine in der
Türkei durchgeführte Studie über Ehrenmorde sowie um die vergleichende Studie des Europarates. Vgl.
Auflistung: SCHILLER, S. 68f. bzw. die Auflistung im Literaturverzeichnis dieser Arbeit.
92
SCHILLER, S. 49.
93
LATCHEVA, Rossalina/EDTHOFER, Julia/GOISAUF, Melanie/OBERMANN, Judith (2006): Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens. Situationsbericht und
Empfehlungskatalog. Im Auftrag der Magistratsabteilung 57 der Stadt Wien. Wien. Online im Internet: URL:
http://www.wien.gv.at/menschen/frauen/pdf/zwangsheirat2007.pdf [Stand 2013 - 01 – 20].
25
Jahre später seitens des Frauenministeriums die Studie „So fern und doch so nah? Traditionsbedingte Gewalt an Frauen.“94
In den österreichischen Studien wird die „Auseinandersetzung mit Zwangsverheiratung in
eine Debatte zu Gewalt gegen Frauen ein[geordnet] und unterstützt einen feministischen
Diskurs“95. So heißt es in der Studie von Latcheva u.a. „Gewalt gegen Frauen ist ein lang
tradiertes Phänomen, das in seinen verschiedenen Formen ein weltweites Problem darstellt –
Zwangsverheiratung ist eine davon.“96 Zwar vermeiden die Studien die Problemverortung in
Religion oder Kultur, wenn gleich „vor deren Potential, zur Rechtfertigung von Missständen
missbraucht zu werden, gewarnt [wird].“97
„Ausgehend von der Prämisse, dass in diversen Herkunftsländern stärker patriarchale
Systeme herrschen als in Österreich, werden `Traditionen` der Gewalt gegen Frauen aus den
entsprechenden Ländern aber doch wieder zum problematischen Gepäck von MigrantInnen
gemacht.“98
In der vorliegenden Masterarbeit werden diese Studien berücksichtigt, insbesondere aber auch
die Forschungsergebnisse des Projektes „Multikulturalismus im Widerstreit: Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU.“99 Dieses Forschungsprojekt
zielte „auf ein besseres Verständnis des gegenwärtig häufig konstatierten Rückzugs vom
Multikulturalismus in der EU, der Beziehungen zwischen Feminismus und Multikulturalismus sowie der Beziehung zwischen Mainstream (in Minderheiten und Mehrheiten)
und den Personen oder Gruppen mit abweichenden Meinungen und Praktiken. „Diesen
Fragen sollen entlang der derzeit brisanten gesellschaftlichen Debatten zu freier Partnerwahl,
94
PRELLER, Camilla Cynthia (2008): So fern und doch so nah? – Traditionsbedingte Gewalt an Frauen. Wien.
Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/studien/tgf2008/studieTGF2008.pdf [Stand 2013 - 01 –
20].
95
Ähnlich auch in Großbritannien sowie in Norwegen, wo gefordert wird, das der Begriff `häusliche Gewalt`
auch Gewalt gegen Kinder umfassen müsse. Vgl. SCHILLER, S. 51.
96
LATCHEVA u.a., S. 9.
97
SCHILLER, S. 51.
98
Ebd.
99
Der englischsprachige Projekttitel lautet: Contesting Multiculturalism: Gender Equality, Cultural Diversity
and Sexual Autonomy in the EU. Das mehrjährige Forschungsprojekt wurde im Rahmen des internationalen
Forschungsschwerpunktes „New Orientations for Democracy in Europe“ (NODE) und unterstützt durch das
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie der Österreichischen Akademie für Wissenschaften
an der Universität Wien (Institut für Rechtsphilosophie und Institut für Sozialanthropologie) bis 2009
durchgeführt.
26
Eheschließung und Familiengründung nachgegangen werden“
100
, heißt es in der
Projektbeschreibung.
So bezieht sich ein zentrales Forschungs-Ergebnis101 auf die Kritik am laufenden Diskurs,
denn Gewalt darf nicht als „kulturelle Essenz von als homogen vorgestellten Minderheiten“102
gesehen werden. In Bezug auf Autonomie kam die Forschungsgruppe zur Erkenntnis, dass
diese nicht automatisch mit der Mehrheit verbunden werden kann, vor allem wenn
gleichzeitig die Handlungsfähigkeit von Minderheiten in Frage gestellt wird. 103 Aufgrund
dieser empirischen Ergebnisse wird die Bedeutung eines „kritischen Relativismus“
hervorgehoben, der nicht verallgemeinernde Gewaltmuster fortschreibt, sondern „Details,
kulturelle Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in den Prozessen der Grenzziehungen und
Zuschreibungen innerhalb und zwischen Minderheiten und Mehrheiten wahrnimmt.“ 104
Zeitlich noch neuere Forschungsergebnisse konnten für die vorliegende Masterarbeit durch
aktuelle Studien aus Deutschland (2011) und der Schweiz (2012) berücksichtigt werden.
In Deutschland wurde im Herbst 2011 die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland –
Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“105 veröffentlicht, nachdem im März des gleichen
Jahres strafrechtliche Gesetzesänderungen für Nötigungen zur Zwangsheirat und gegen
Scheinehen in Kraft traten. Die Sensibilität der Thematik und der politische Diskurs darüber
zeigt sich auch darin, dass der wissenschaftliche Beirat der gennannten Studie die Rezeption
100
Vgl. Projekthomepage. Online im Internet: URL: http://www.univie.ac.at/NODE-CMC/ [Stand 2013 – 01 –
20].
Das Projekt umfasste eine empirische Erhebung sowohl mit Methoden der ethnographischen Feldforschung wie
auch der „legal discourse analysis“.
101
Vgl. STRASSER, Sabine (2009): Kurzzusammenfassung des Endberichtes. Multikulturalismus im
Widerstreit: Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU. Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.univie.ac.at/NODECMC/pages/Kurzzusammenfassung%20Endbericht.pdf [Stand 2013 – 01-20].
Der Forschungsbericht wurde publiziert: STRASSER/HOLZLEITHNER.
102
Vgl. STRASSER, 2009, S. 1.
103
Vgl. Ebd.
104
Vgl. Ebd., S. 1f.
105
BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung
in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Wissenschaftliche Untersuchung der
Lawaetz-Stiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg.
Kurzfassung: Online im Internet: URL:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Zwangsverheiratung-in-DeutschlandAnzahl-und-Analyse-von-Beratungsf_C3_A4llen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
[Stand 2013 – 01 – 20].
MIRBACH, Thomas/SCHAAK, Torsten/TRIEBL, Katrin (2011): Zwangsverheiratungen in Deutschland.
Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Leverkusen-Opladen.
27
der Ergebnisse durch ihre Auftraggeberin, Familienministerin Kristina Schröder, öffentlich
kritisierte, vor allem die „Islamfeindlichkeit“ sowie „verzerrte Zahlenangaben“.106
In der Schweiz wurde vom Lehrstuhl für transnationale Studien und soziale Prozesse der
Universität
Neuenburg
im
Auftrag
des
Bundesamts
für
Migration
die
Studie
„`Zwangsheiraten` in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass“107 erstellt und im Sommer
2012 präsentiert. Mit dem Auftrag war auch die Entwicklung von
konkreten
Lösungsansätzen108 verbunden:

Strategischer Zugang zur Bekämpfung des Phänomens und Betreuung der Opfer unter
dem Gesichtspunkt geschlechtsspezifischer Machtbeziehungen und somit als Form
von häuslicher Gewalt und nicht als migrationsspezifisches Problem.

Verbesserung der Vernetzung der Interventionsketten zwischen und in den
Institutionen der Chancengleichheit, des Gewaltschutz- und Migrationsbereiches.

Steigerung der Kompetenzen der betroffenen Berufsgruppen in den Institutionen.

Berücksichtigung des Loyalitätskonfliktes und der rechtlichen und ökonomischen
Abhängigkeit der Opfer in der Betreuung.

Ausbau des externen Unterbringungsangebotes und der langfristigen Nachbetreuung,
um die Autonomiefindung der betroffenen Personen zu garantieren.

Zielgruppenspezifische Maßnahmen für Minderjährige in Bezug auf Unterbringung,
Betreuung, Prävention und Zusammenarbeit mit Schulen und Ausbildungsstätten.

Entwicklung von Maßnahmen für die UrheberInnen von Gewalt und Zwang, z. B. in
Form
von
Konfliktmediation
und
anderen
niederschwelligen,
kostenlosen
Beratungsangeboten.

Sensibilisierungsmaßnahmen und Betreuungsangebote für Männer.
106
Vgl. REIMANN, Anna (2011): Zwangsehen-Studie: Zank um Zahlen. In: Spiegel-Online vom 30.11.2011.
Online im Internet: URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/zwangsehen-studie-zank-um-zahlen-a800786.html [Stand 2013 - 01 – 20].
106
BUNDESAMT FÜR MIGRATION (2012): „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass.
Verfasst von Anna Neubauer und Janine Dahinden in Zusammenarbeit mit Pauline Brequet und Eric Crettaz.
Bern, S. 14. Online im Internet: URL:
http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/publikationen/zwangsheirat/studie-zwangsheirat-d.pdf
[Stand 2013 - 01 – 10].
106
Ebd., S. 92 – 111.
28

Berücksichtigung der transnationalen Dimension der Problematik und Entwicklung
von Hilfssystemen, die über die Landesgrenzen hinaus reichen.
Im Juni 2012 wurde das „Bundesgesetz über Maßnahmen gegen Zwangsheiraten“ 109
verabschiedet, um einerseits Zwangsheiraten zu verhindern bzw. andererseits die Auflösung
von bestehenden Zwangsehen zu erleichtern. Ehenötigung wird jetzt in der Schweiz mit bis zu
fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft.
109
Vgl. Homepage
der
Schweizerischen
Eidgenossenschaft.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/2012-08-090.html [Stand 2013 - 01 – 20].
29
4. „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“
4.1.Der Ehrbegriff
Laut Werner Schiffauer, dem Pionier der kulturanthropologischen Forschung über
Türk[Inn]en in Deutschland, bestimmt der Ehrbegriff sowohl das „Verhältnis von Innen und
Außen als auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau“110.
„Dem Wert der Ehre (türk. namus) unterliegt die Vorstellung einer klaren Grenze, die das
`Innen`, den Bereich der Familie, vom `Außen`, der – männlichen – Öffentlichkeit des Dorfes
oder der Stadt, scheidet. Die Ehre des Mannes ist beschmutzt, wenn diese Grenze
überschritten wird, wenn jemand von außen einen Angehörigen der Familie, womöglich eine
der Frauen, belästigt oder angreift. […] Die Ethik der Ehre ist partikularistisch: Letzter
Prüfstein des Handelns ist das Wohl der eigenen Gruppe.“111
Die männliche Ehre ist sehr stark geprägt von der Machtausübung über weibliche
Haushaltsmitglieder. „Die Kontrolle des Mannes über den weiblichen Körper geht dabei mit
dem Zeitpunkt der Hochzeit nahtlos vom Vater - beziehungsweise dessen Stellvertreter, dem
Bruder - zum Ehemann über.“112
Werner Schiffauer beschreibt, am Beispiel der Türkei, eine „prekäre Balance“:113
„Einerseits versucht man, die Mitglieder der eigenen Familie zum Gehorsam gegen die
allgemeinen Normen und Werte anzuhalten; andererseits kann man es sich nicht erlauben,
gegen sie Stellung zu beziehen, wenn sie diese Normen verletzt haben.“114
Das Familiensystem ist äußerst hierarchisch strukturiert, der Vater – in seiner Abwesenheit
der älteste Sohn – verantwortet die Einhaltung der Regeln durch seine Familie, kurz gesagt:
110
SCHIFFAUER, Werner (1983): Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt. Frankfurt/Main.
111
Ebd., S. 65. „Als `ehrlos`(türk. namussuz) gilt der Mann, der dann nicht bedingungslos und entschieden den
Angehörigen verteidigt.
112
BAUMGÄRTNER, Ester (2009 ): Widder und Ziegenbock. Zum kulturellen Konzept von Ehre und Schande.
In: Journal Ethnologie. Nr. 2.
Frankfurt. Online im Internet: URL: http://www.journalethnologie.de/Deutsch/Schwerpunktthemen/Schwerpunktthemen_2009/Ehre_und_Schande/Widder_und_Ziegen
bock/index.phtml [Stand 2012 – 10 – 16].
113
SCHIFFAUER, S. 66.
114
Ebd.
30
„Wie er [der Vater] nach außen seine Familie vor dem Gemeinwesen vertritt, vertritt er nach
innen das Gemeinwesen gegenüber seiner Familie.“115
Wesentlich sind auch „gestufte Autoritätsbeziehungen“
116
die Achtung (türk. saygi)
ausdrücken und Gehorsam und Solidarität garantieren.
„Der Sohn schuldet dem Vater, die Frau dem Mann, der jüngere Bruder dem älteren Achtung.
Sie kann unterschiedlich bekundet werden: Der Höherstehende darf nicht mit Vornamen
angesprochen, ihm darf nicht widersprochen werden, in der Öffentlichkeit muss man in seiner
Gegenwart schweigen, man darf nicht in seiner Gegenwart rauchen oder trinken usw.“117
Offensichtlich sind die Kriterien für die Rangordnung das Alter und das Geschlecht und
erklären auch die Vertrautheit unter Geschwister, die Positionen „relativer Gleichheit“ 118
einnehmen.
Zu Widersprüchlichkeiten im Kontext der „Ehre“ kommt es im Alltag zwischen der
Solidarität zu den Verwandten bzw. zum Gemeinwesen und zur Religion (Islam) sowie der
staatlichen Rechtsordnung, welche sich in einem pragmatischen Verhalten je nach Anlassfall
äußern: „Unter Berufung auf die eigene Ehre kann man die im Namen des Islam erhobene
Forderung, Frieden zu schließen, in den Wind schlagen; unter Berufung auf die Religion kann
man sich gegen die eigenen Verwandten stellen, wenn sie den Bogen überspannen.“119
Prinzipielle Gleichheit bestimmt die Beziehungen zwischen Männern außerhalb der Familien,
dabei spielen der Gabentausch und festgelegte Rituale der Gastfreundschaft 120 und der
Sitzordnung nach Status etc. eine wichtige Rolle. Der Gabentausch kann
„die Form von Arbeits- und Nachbarschaftshilfe, Verleih von Geld und anderen
Gegenständen, Gastfreundschaft annehmen; am wichtigsten aber ist die Verheiratung, die als
Gabe der Tochter an einem fremden Haushalt angesehen wird.“121
115
SCHIFFAUER, S. 66.
Ebd., S. 67.
117
Ebd.
118
Ebd.
119
Ebd., S. 69.
120
Das Ausziehen der Schuhe beim Betreten des Raumes, Begrüßungsformel, Reinigungsritual. Ein Fremder
wird im öffentlichen Teil des Hauses empfangen, symbolisch werden die Grenzen zwischen Innen und Außen
auch im Haus dargestellt. Frauen sind vom Gastritual ausgeschlossen. Vgl. Ebd., S. 69.
121
Ebd., S. 70.
116
31
Zentral beim Gabentausch ist der Aspekt der zeitweiligen Ungleichheit zwischen Schuldner
und Gläubiger.
Sabine Strasser, die auch als Kennerin der türkischen Situation gilt und eng mit türkischen
WissenschafterInnen, Frauenorganisationen und –beratungsstellen zusammenarbeitet, trifft
eine Unterscheidung
„in eine vertikale und damit akkumulierbare Form von Ehre (türk. seref) die Männer durch
ihre Handlungen anstreben und in eine horizontale sexuelle Ehre (türk. namus), die an den
Frauen gemessen und von den Männern durch sie verloren werden kann, [dies] zeigt, dass wir
im Kontext der Gewaltdebatte nur von horizontaler Ehre reden.“122
Wie oben bereits erwähnt, bestimmt der Ehrbegriff wesentlich das Verhältnis zwischen Mann
und Frau und „legt die eigene Ehre jeweils in die Hand des anderen Geschlechts“ 123: „So
definiert sich die Ehre eines Mannes im wesentlichen über die Ehre der ihm anvertrauten
Frauen, der Mutter, der Schwester, der Tochter und Ehefrau“124 und erfordert eine permanente
Selbstkontrolle, ausgedrückt in Stärke und Selbstbewusstsein.
„Während für die Beurteilung und das Selbstverständnis eines Mannes die Dichotomie starkschwach entscheidend ist, gilt für die Frau der Gegensatz rein – unrein.“125
So soll sich das Verhalten einer „sauberen und ehrenhaften Ehe-Frau“ 126 wie auch des
jungfräulichen Mädchens konkret folgendermaßen zeigen, um keine Gefahr für die politische
und soziale Position des Mannes bzw. Vaters zu riskieren:
„Sie darf nicht mit fremden Männern sprechen, darf nicht allein spazieren gehen und nachts
nicht ohne Begleitung des Mannes das Haus verlassen; sie muss die Kleidervorschriften
beachten, Arme und Beine bedeckt halten und das Haar, ein sexuelles Symbol, verhüllen; eine
`saubere` Frau ist gehalten, nicht zu schreien oder zu rennen, sie wird es vermeiden, auf die
122
STRASSER, 2008, S. 71.
SCHIFFAUER, S. 75.
124
Ebd., S. 74.
125
Ebd., S. 75.
126
Als Gegenteil wird die ehrlose und schmutzige Frau mit außerehelichen Beziehungen als Hure dargestellt.
Vgl. Ebd., S. 75.
123
32
Toilette zu gehen, wenn Männer im Raum sind. Schließlich wird sie auf ihre Kleidung achten,
um nicht schlampig oder schmutzig zu erscheinen.“127
Die wesentliche Bedeutung der Jungfräulichkeit ist schon angeklungen, die Ehre der Frau
wird über die Keuschheit definiert.
„Eine beständige und dauerhafte Ehe ist für eine Frau viel wichtiger als für einen Mann: Eine
geschiedene Frau hat größere Schwierigkeiten, wieder einen Mann zu finden, als umgekehrt;
ein unverheirateter Mann z. B. könnte keine Ehe mit ihre eingehen, ohne dass im
Gemeinwesen seine Männlichkeit bezweifelt würde: Es hieße, dass er sich offenbar nicht traut,
die Jungfräulichkeit eines Mädchens zu `zerstören`.“128
In seinen Untersuchungen kommt Werner Schiffauer auch zum Schluss, dass „das islamische
Eherecht, das in den Dörfern weitgehend Gewohnheitsrecht ist, die Entscheidung über den
Fortbestand einer Ehe im wesentlichen in die Hände der Männer legt.“129 Da aber, vor allem
auf dem Land, die Ehe auch einen politischen Charakter im Sinne des Bündnisses zwischen
zwei Familien hat, komme, laut Schiffauer, Verstoßung und Polygamie nur aufgrund einer
Kinderlosigkeit vor. 130 Für die Frauen bedeutet dies konkret eine latente Angst vor der
Scheidung in den ersten Ehejahren. Bereits den jungen Mädchen wird in der Erziehung
vermittelt, dass die Ehe einen hohen Stellenwert hat und dass sich eine Frau ständig für ihre
Familie beschäftigen müsse: „Von drei Jahren an sollen die Mädchen nicht einfach ruhig
dasitzen, sondern häkeln und andere Handarbeiten machen oder wenigstens eines der
Geschwister auf dem Schoß halten.“131
Im Laufe des Lebens erfolgt ein Wandel des Vater-Tochter-Verhältnisses, dass sich mit
ansteigendem Lebensalter der Tochter aus Furcht vor Schande verschlechtert und erst mit der
Eheschließung - und der damit verbundenen Übergabe der Verantwortung für die Ehre der
Tochter an den Schwiegersohn - wieder verbessert.
Zu wenig Berücksichtigung findet die Tatsache der Unterscheidung zwischen dem
ethnografisch gut dokumentierten Ideal und gelebter Praxis. Nancy Lindisfarne,
Anthropologin mit Arbeits- und Lebenserfahrung in Afghanistan, Syrien und der Türkei,
127
SCHIFFAUER, S. 75.
Ebd., S. 76.
129
Ebd.
130
Vgl. Ebd., S. 76.
131
Ebd., S. 77.
128
33
erläutert die Komplizenschaft von Eltern, Schwiegereltern und Verwandten sowohl bei der
Vortäuschung von Deflorationen als auch bei der Vortäuschung der männlichen Potenz und
merkt zudem kritisch an, dass die „Herstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit durch
Sexualität“ bei der Diskussion zu Ehre und Schande stark vernachlässigt wird. „Auch wenn
alle von der Jungfräulichkeit als Voraussetzung von Ehre ausgehen, so wird sie in der Praxis
in vielen Ländern trotzdem nicht in die Ehe eingebracht.“132
4.2.Das Ehre – Scham – Konzept
„`Im Namen der Ehre` wird Frauen in weiten Teilen der Erde Gewalt angetan.
Zurückzuführen ist dies auf ein System von Normen und Werten, das auf Ehre basiert,
womit die kollektive Identität und das öffentliche Ansehen in einer Gemeinschaft
konstruiert oder beibehalten werden.“133
Die „vorschnellen Erklärungen von `Gewalt im Namen der Ehre` in den Debatten der EULänder“ werden von AnthropologInnen134 kritisiert, ebenso die Normierung auf dem Mittelmeerraum und die Vernachlässigung der genauen Untersuchungen von Begriffen und
Systemen im jeweiligen konkreten Kontext. Seit fünf Jahrzehnten beschäftigt sich die
Forschung mit dem „Ehre-Scham-Konzept“, aus diesem Grund nimmt die Autorin die
Erkenntnisse der Anthropologie und Ethnologie auch als Hilfestellung für einen
Definitionsversuch des Begriffes „Ehre“.
Zentral ist die „Frage der Bewertung von sozialem Verhalten in den Augen der
Öffentlichkeit“135, wobei in vielen Fällen ein tatsächlich erfolgtes abweichendes Verhalten
nachrangig ist und – in Verbindung mit Macht – je nach Position in der Gesellschaft auch
andere Normen und Sanktionen gelten können.
In den 1960er Jahren war die Erwartungshaltung, „dass Fragen zu `Ehre` mit zunehmender
Modernisierung, Differenzialisierung und Anonymisierung der Gesellschaft an Bedeutung
132
LINDISFARNE, Nancy (1994): Variant Masculinities, Variant Virginities: Rethinking `Honour and Shame`.
In: CODRWALL, Andrea/ LINDISFARNE, Nancy (Hrsg.): Dislocating Masculinity. Comparative
Ethnographics.
Oxon/New
York,
S.
91.
Online
im
Internet:
URL:
http://wxy.seu.edu.cn/humanities/sociology/htmledit/uploadfile/system/20110424/20110424005928254.pdf
[Stand 2012 - 10 – 16].
133
Ebd., S. 8.
134
Z. B. von Sabine Strasser. Vgl.: STRASSER, 2010, S. 72.
135
Vgl. die Forschungen von Pierre Bourdieu im berberischen Gebiet in Marokko. BOURDIEU, Pierre (1966):
The Sentiment of Honour in Kabyle Society. In: PERISTIANY, John G. (Hrsg.): Honour and Shame. London.,
S. 191 – 241.
34
verlieren würden. Doch Anerkennung in den Augen der relevanten Umgebung spielt bis heute
in allen Lebensbereichen und in unterschiedlichen Gesellschaften mit jeweils unterschiedlichen Inhalten eine wichtige Rolle“136, fasst Sabine Strasser ihren Rückblick auf die
ersten Forschungsarbeiten im „Ehre-Scham-Diskurs“ zusammen und definiert Ehre als „die
Verbindung der Ideale einer Gesellschaft mit deren Reproduktion durch das Individuum.“137
4.3.Ehrbegriff und Geschlechterverhältnisse im Kontext von Familienstrukturen
Im folgenden Abschnitt soll der Ehrbegriff im Kontext von Geschlechterverhältnissen
beleuchtet werden, in differenzierter Weise nach unterschiedlichen Familienstrukturen, die
sich bei jüngeren Untersuchungen des türkischstämmigen Psychotherapeuten und
promovierten Psychologen Ilhami Atabay tendenziell herauskristallisieren und sich vor allem
auf MigrantInnen der zweiten Generation beziehen. Trotz der Problematik von
Klassifizierungen soll die nachfolgende Einteilung - als Resultat einer qualitativen
Untersuchung in Bezug auf Tradition und Assimilation - die Abstrahierung einer Analyse
erleichtern138 aber gleichzeitig vor voreiligen Schlussfolgerungen warnen. „Genau betrachtet
hat jede Familie ihre eigene Kultur, Tradition und Umgang mit diesen Dingen“139, benennt
der Studienautor die methodische Herausforderung. Erwähnenswert ist auch die Tatsache,
dass sich in der deutschsprachigen Literatur im Kontext von „Ehre“ die meisten Beispiele und
Forschungsergebnisse auf die Türkei beziehen.
Ilhami Atabay stellt tendenziell drei verschiedenen Familientypen fest, deren Bindungs- und
Beziehungsmuster sich einerseits unterscheiden, andererseits aber auch durch fließende
Übergänge gekennzeichnet sind:140
136
STRASSER, 2010, S. 71.
Ebd., S. 72.
138
Vgl. ATABAY, Ilhami (2010): „Ich bin Sohn meiner Mutter“. Elterliches Bindungsverhalten und männliche
Identitätsentwicklung in türkeistämmigen Familien. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kulturund Sozialpsychologie. Bd. 19. Freiburg. S. 129.
139
ATABAY, Ilhami (2011): Die Kinder der „Gastarbeiter“. Familienstrukturen türkeistämmiger MigrantInnen
zweiter Generation. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Bd. 20.
Freiburg. S. 58.
140
Vgl. Ebd., S. 129. Die Gruppe der „Assimilierten“ wird von Atabay in seiner Untersuchung auch erwähnt und
nach seiner Einschätzung als kleinste Gruppe beschrieben. Kennzeichnet ist, dass alles, was mit der Herkunft zu
tun hat, gemieden wird.
137
35
1. Religiös-traditionell orientierte Familien
2. Familien zwischen Moderne und Tradition
3. Moderne Familien/Paare
4.3.1. Religiös-traditionell orientierte Familien
Die Orientierung an traditionellen „türkisch“-islamischen Vorschriften, Werten und Normen
ist zentral. So ist
„z. B. ein Zusammenleben von Paaren ohne Heirat fast nicht denkbar, die Ehe wird als etwas
Selbstverständliches angesehen. In der traditionellen türkischen Erziehungsvorstellung wird
die Zeit zwischen Kindheit und Ehe lediglich als Übergang zum Erwachsensein angenommen,
die Jugendzeit also nicht als eigenständige Phase gesehen.“141
In diesen beschriebenen Familien ist die Vermittlung einer Heirat seitens der Eltern und/oder
Verwandten üblich, hauptsächlich spielen ökonomische Gründe eine große Rolle sowie das
Kriterium, dass die Braut aus einer „sauberen“ Familie kommt.142 „Die Gabe einer Tochter an
einen anderen Haushalt gilt als der wichtigste und bedeutsamste Tauschakt im Dorf“ 143 und
die Heirat wird als „gesellschaftlicher Akt“ betrachtet. 144 Das betroffene junge Paar kann
keine eigenständige Meinung vertreten.
Traditionell übernimmt der Mann in der Ehe die Rolle des Familienoberhauptes und des
Ernährers145 sowie des Repräsentanten nach außen. Der als „schützenswert“ definierten Frau
wird eine untergeordnete Rolle ohne Entscheidungs- und Mitspracherecht zugewiesen. „Der
Islam verbietet das Arbeiten von Frauen nicht definitiv, aber die Arbeitsbedingungen im
Kapitalismus passen nicht zur islamischen Konzeption, weil dort eine Zusammenkunft von
Männern und Frauen verboten ist.“146
141
Ebd., S. 129.
Vgl. ATABAY, 2010, S. 130.
143
SCHIFFAUER, S. 181.
144
Vgl. ATABAY, 2011, S. 59.
145
Nach islamischer Vorschrift ist der Mann seiner Frau gegenüber unterhaltspflichtig. Vgl. DENFFER, von
Ahmad (1981): Die Rechte und Pflichten von Mann und Frau im Islam. Köln.
146
ATABAY, 2011, S. 82.
142
36
Bei sehr religiös orientierten Familien ist
„das Verhalten der Frau ihrem Mann gegenüber durch Zurückhaltung und Respekt geprägt.
Äußere Anzeichen einer partnerschaftlichen Ehe oder gar der gegenseitigen Zuneigung zu
zeigen, ist ungewöhnlich. Das Gelingen einer Ehe wird nach alter Anschauung nicht so sehr
an der Harmonie im Zusammenleben gemessen, sondern an der Arbeitsgemeinschaft und der
Anzahl gesunder Kinder.“147
Zusätzlich prägt eine autoritäre „Frauenhierarchie“ in Form von rigider Kontrolle und
größerer Arbeitsbelastung das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter,148
daneben übernimmt die Schwiegermutter auch die Ratgeberinnenfunktion hinsichtlich Pflegeund Erziehungsfragen und wird als Unterstützung und Bereicherung wahrgenommen.
Oft wohnt man mit der Großfamilie auch zusammen in der Annahme,
„dass die in relativ jungem Alter verheirateten Ehepartner die Reife für eine Ehe, die sie allein
gestalten könnten, noch nicht erlangt hätten. Jung verheiratet werden sie, damit ihre sexuellen
Impulse gestillt werden. Sie sollen dadurch offenbar vor dem `sündigen` Leben geschützt
werden und gleichzeitig die islamischen Werte nicht in Frage stellen.“149
„Die Liebe zur Mutter [ist] ein höchst ehrbares Gefühl, einer anderen Frau aber in der
Öffentlichkeit bzw. in Gegenwart der Eltern und Verwandten Gefühle zu zeigen, das wird
geächtet.“150 Ilhami Atabay beschreibt dieses Phänomen als klare Festlegung der „Trennung
von Liebe und Sexualität“ in der islamischen Kultur.151
Eine Loslösung von den Eltern passiert nicht und die (Schwieger)eltern treffen im Alltag die
wichtigsten Entscheidungen. Der Sohn bleibt in der Rolle des Kindes. „Durch das behütende
Verhalten der Eltern wird es ihnen unmöglich gemacht, zu lernen, Verantwortung für sich und
die Familie zu tragen.“152
147
Vgl. FINGERLIN, Erika/MILDENBERG, Michael (1983): Ehen mit Muslimen. Frankfurt/Main, S. 18.
Vgl. ATABAY, 2010, S. 130f.
149
ATABAY, 2011, S. 60.
150
Ebd., S. 79.
151
Vgl. Ebd.
152
Vgl. FINGERLIN, S. 18.
148
37
Die Frau ist für die Geburt sowie für die geschlechtsspezifische Erziehung der Kinder
zuständig, weiters für die Haushaltsorganisation, für ein geborgenes Zuhause sowie für die
sexuelle Befriedigung des Mannes.
„Die Männer leben gerne in Anlehnung an die traditionellen türkisch-islamischen
Vorstellungen, weil ihnen das Leben dadurch um einiges leichter gemacht wird. Zugleich zeigt
sich jedoch, dass einige der festgestellten Phänomene nicht allein mit dem Hinweis auf die
Tradition erklärt werden können“ 153 und „aufgrund vielfältiger Verunsicherungen bei
Migrant[Inn]en dieses `Modell` der Herkunftsfamilie“ kopiert wird.154
Sehr ausgeprägt ist der Familiensinn155 und die Fürsorge für die Verwandtschaft, die auch finanzielle
Unterstützung im Falle von Arbeitslosigkeit und Krankheit umfasst. „Für die Eltern und die
unversorgten Geschwister trägt der älteste Sohn eine besondere Verantwortung.“156
Im Kontext von Migration bedeutet das für zugezogene Frauen (im Rahmen der
Familienzusammenführung)
eine
mehrfache
Abhängigkeit.
Punkto
Aufenthalt,
Arbeitserlaubnis und somit eigenem Einkommen sind diese Frauen vom Ehemann abhängig,
zusätzlich wird ihre Situation durch eine eingeschränkte Mobilität und die oft rigide Kontrolle
der Schwiegereltern und dem Druck der eigenen Herkunftsfamilie, kein Scheitern der Ehe zu
verursachen, erschwert.157 Das Thema Rückkehr bleibt somit ein Wunsch, um die Situation
erträglicher zu machen.
Ehefrauen, die die Rolle des Familienoberhauptes aufgrund ihrer Sozialisation in Westeuropa
übernehmen und deren Männer aus der Türkei nachkommen, sind in traditionellen Familien
oft vor unlösbaren Konflikten gestellt, die nur durch Trennung oder Scheidung ausgeräumt
werden können158, da ihre Ehemänner gegenüber Lösungsmöglichkeiten nicht aufgeschlossen
sind und manchmal auf Alkohol oder Gewalt zurückgreifen.159
153
ATABAY, 2010, S. 131.
Vgl. ATABAY, 2011, S. 82.
155
Z. B. Unangemeldete Besuche der Verwandtschaft, auch über längere Zeit, sind selbstverständlich.
156
FINGERLIN, S. 18.
157
ATABAY, 2010, S. 132.
158
Ebd., S. 131.
159
Vgl. ATABAY, 2011, S. 130.
154
38
4.3.2. Familien zwischen Moderne und Tradition
Bei vielen dieser Familien sind „Werte und Normen wie Ehre, Würde, Ansehen und
Jungfräulichkeit u.a.m. trotz kritischen Einstellungen diesen Wertvorstellungen gegenüber
immer noch sehr wichtig“160, konstatiert Ilhami Atabay und beruft sich auf seine Erfahrung
als Familientherapeut.
„Die Grenzen zwischen traditionellen und modernen Lebens- und Handlungsweisen sind oft
nur schwer zu ziehen, zumal der Begriff `modern` geschichtlich gesehen von einer westlichen
Wertevorstellung, von Individualismus, Laizismus und Gleichberechtigung als Ergebnis von
Aufklärung und pluralistischer Demokratie geprägt ist.“161
Im Hinblick auf die Eheschließung wird vorwiegend der traditionelle Weg gewählt, um
Nachteile für die Frau in Form eines Beziehungsverzichtes zur Herkunftsfamilie zu
vermeiden. „Erst vom Zeitpunkt der Heirat an gelten Erwachsene als voll anerkannte
Personen; Männer erwerben sich mit der Heirat den Status der Ehre“
162
und der
Geschlechtsverkehr wird legitimiert 163 . Ein zentraler Unterschied der „Paare zwischen
Moderne und Tradition“ zu den „religiös-traditionell orientierten Familien“ ist die Thematik
der „romantischen Liebe“, es kommt zu einer höheren Zahl an Liebesheiraten, häufig auch
gegen den Willen der Eltern. „Auffallend bei dieser Gruppe ist, dass keiner der Ehepartner
zwecks Heirat aus der Türkei nachgeholt wurde“164, der Lebensmittelpunkt wird also nicht
verändert. Das Zusammenleben „ohne Trauschein“ oder die Zeit der Bekanntschaft ist nur in
geheim gehaltenen Beziehungen möglich und kann bei Bekanntwerden zum Ausschluss aus
der Familie bzw. zum Abbruch der familiären Kontakte führen, im äußersten Fall zur
Gefährdung des Lebens.165 Gerade im Kontext von Migration kommt aber der Familie eine
wesentliche Bedeutung zu, die Inanspruchnahme von Beratungsstellen wird oft nur als letzter
Ausweg gesehen.
160
ATABAY, 2011, S. 173.
Ebd., S. 174.
162
ATABAY, 2011, S. 136.
163
Während der Verlobungszeit ist der Geschlechtsverkehr bereits erlaubt, eine Schwangerschaft hat aber eine
rasche Hochzeit zur Folge.
164
ATABAY, 2011, S. 173.
165
Vgl. ATABAY, 2011, S. 138.
161
39
Interessant ist, dass es wiederum Geschlechterunterschiede gibt:
Frauen „sehen in der Eheschließung fast so etwas wie eine `Erlösung` von den traditionellen
und elterlichen Verboten und Zwängen. Sie erhoffen und erwarten vieles von der Ehe; sie
glauben mit dem Ehemann Dinge zu erleben und Erfahrungen zu machen, die ihnen im
Elternhaus verwehrt blieben“166.
Ilhami Atabay charakterisiert „die Ehe als `Fluchtort`, als `Ort der Freiheit` vor der
väterlichen, männlichen Dominanz und Autorität“ obwohl es tatsächlich einen Wechsel zur
ehemännlichen Dominanz bedeutet und ein Scheitern der Ehe als Schuld der Frau verstanden
wird, verbunden mit Nachteilen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres
Ansehens.167
Das Einverständnis zur Eheschließung wird als positives Resultat von Nachforschungen über
die Familiensituation und Religionszugehörigkeit seitens der Eltern gegeben, für die das
Miterleben der Hochzeit der Kinder
äußerst wichtig ist. Der Wunsch der Eltern wird
respektiert, daneben ist für Frauen die „Furcht vor Diskriminierung oder Verleumdung“168 mit
dem Übertritt in den Ehestand nicht mehr gegeben.
„Die Rollenaufteilung ist geprägt durch traditionelle Vorstellungen einerseits und durch ein
pragmatisches Durchbrechen dieser Vorstellungen andererseits.“169
Der Wunsch nach Freiheit, z. B. im Sinne von sportlichen und kulturellen Aktivitäten, kann
in der Realität oft nicht gelebt werden, da das Familienleben der sogenannten zweiten
Generation – vergleichbar mit der Elterngeneration – sich zwischen Arbeitswelt, Familie und
Freundeskreis abspielt und einer starken sozialen Kontrolle unterliegt.170
Durch die „Zwickmühle der Tradition“ wird das Lebensschicksal weiterhin durch die
Kategorie Geschlecht determiniert. 171 „Neben der Keuschheit der Braut wird auch großer
Wert auf ihre mitgebrachten Fertigkeiten gelegt“172, so wird das traditionelle Rollenbild der
166
Ebd., S. 137.
Vgl. ATABAY, 2011. S. 174.
168
Vgl. Ebd., S. 141.
169
ATABAY, 2011, S. 174.
170
Bei Paaren ohne enge Familienbindung ist der Alltag deutlich anders und gemeinsame Unternehmungen
haben einen anderen Stellenwert.
171
Vgl. ATABAY, 2011, S. 148.
172
Ebd.
167
40
Mutter und Hausfrau fortgeschrieben, traditionelle Wertvorstellungen sind internalisiert. 173
Daneben sind für Frauen eine lebenslange Berufstätigkeit - nur unterbrochen durch
Kinderbetreuungspflichten - und berufliche Entfaltungsmöglichkeiten identitätsstiftend und
bedeuten eine Unabhängigkeit von ihren Ehemännern sowie das Durchbrechen der
„traditionell-islamischen Vorstellungen“174, obwohl die Frauen die Mehrfachbelastung tragen
müssen.
Zwischen Moderne und Tradition nehmen Männer „die traditionellen Vorstellungen in
Anspruch, weil die ihnen als Mann mehr Freiräume und Möglichkeiten und darüber hinaus
viele Vorteile bieten“175, berichtet Ilhami Atabay aus seiner Beratungspraxis. Daneben kann –
der Tradition entsprechend – die Solidarisierung des Sohnes mit der eigenen Mutter aufgrund
des Gehorsames und Respektes sowie die verpflichtende Unterstützung im Alter zu
Konflikten in der Kernfamilie führen.
Bezüglich Sexualität und Moralvorstellungen kommt es auch zu einem weiteren Konflikt
zwischen Moderne und Tradition. Obwohl es den Wunsch nach mehr Freizügigkeit gibt,
bleiben viele den traditionellen Wertvorstellungen und Normen treu, zeigt die Befragung von
Ilhami Atabay. 176 Die traditionelle Widersprüchlichkeit wird deutlich, weil Sexualität
„einerseits tabuisiert und verdrängt wird, andererseits sollen die Mädchen in der
Hochzeitsnacht ihre Sexualität zur Schau stellen.“177
Auffallend ist bei den Familien dieser Kategorie, „dass sie sich mit der Zahl der gewünschten
Kinder an die hiesigen Lebensverhältnisse anpassen“178 und auch die „Tendenz, Kinder erst
nach zwei oder drei Ehejahren zu bekommen“
179
, deutlich zunimmt, aufgrund der
Lebensqualität, der Anforderungen an die Elternschaft sowie der sozialen und
wirtschaftlichen Situation. Herausfordernd bleibt die Frage nach der kulturellen Identität der
Kinder im Kontext der Wertvorstellungen, die in den Institutionen (z. B. Kindergarten und
Schule) der Aufnahmegesellschaft vermittelt werden.
173
Vgl. Ebd., S. 174.
Vgl. ATABAY, 2011, S. 151.
175
ATABAY, 2011, S. 148.
176
Vgl. Ebd., S. 160.
177
Ebd.
178
Ebd., S. 163.
179
Ebd., S. 164.
174
41
Bemerkenswert ist, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland der Großfamilie von den befragten
Frauen dieser Familiengruppe abgelehnt wird, da sie eine rechtliche Schlechterstellung und
die Rückkehr in eine traditionelle Frauenrolle befürchten.180
4.3.3. Moderne Familien
Die Ehe als gesellschaftlich akzeptierte Institution ist nicht die einzige Option des
Zusammenlebens in dieser Familiengruppe, in deren Mittelpunkt die sogenannte romantische
Liebe steht. Die Paare distanzieren sich von den traditionellen Normen bzw. befinden sich in
einem „Prozess der Auseinandersetzung mit Wert- und Normvorstellungen ihrer
Herkunftskultur“ 181 , auch bezüglich der Geschlechterrollen. Als Folge des Individualisierungsprozesses greifen diese Menschen nicht auf die Vorgaben ihrer Herkunftsfamilie
zurück, sondern handeln miteinander aus, wie eine gleichberechtigte, partnerschaftliche
Beziehung gelebt werden kann. In Abgrenzung zu den gelebten Geschlechterrollen der
Elterngeneration „wächst der individuell abzuarbeitende Handlungsbedarf, es werden
Abstimmungs-, Koordinations- und Integrationsleistungen nötig.“182 Dazu kommt auch eine
wandelnde Einstellung zur Sexualität, welche nicht mehr als Tabuthema behandelt wird.
„Tendenziell lösen sich die Frauen durch die Veränderungen in Ausbildung, Beruf,
Familienzyklus und Gesetzgebung von der Familienbindung. Sie erwarten immer weniger
Versorgung durch die Männer und entwickeln zunehmend eigene Erwartungen, Wünsche und
Lebenspläne.“183
Auch die Männer „schließen sich dem Trend der gesellschaftlichen Entwicklung an.“184
Für moderne Familien ist auch die Familienplanung ein Faktor, um auf die sozialen und
beruflichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Auffallend ist, dass die zweite Generation
stärker an Erziehungsfragen interessiert ist und auch diesbezügliche Beratungen in Anspruch
nimmt, um die Kinder auf die Gesellschaft und Zukunft im Aufnahmeland vor zu bereiten.
180
Ebd., S. 170.
Ebd., S. 183.
182
BECK-GERNSHEIM, Elisabeth (1994): Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der
Moderne. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Zugänge zum Subjekt. Frankfurt/Main, S. 138
183
ATABAY, 2011, S. 195.
184
Ebd.
181
42
Trotz all der genannten Veränderungen im Familienbild von MigrantInnen resultieren aus
diesem Tabubruch auch Spannungen, resümiert Ilhami Atabay,
„weil sie weder in der Gesellschaft, aus der sie kommen, noch, in der sie leben, ganz zu Hause
sind. Aus der Sicht der Herkunftskultur sind sie diejenigen, die das Boot verlassen, die
kulturelle Grenzen und Vorgaben sprengen. Aus der Sicht der Aufnahmekultur sind sie jedoch
immer noch die `Türken`.“185
In der Praxis zeigt sich hinsichtlich der Eheschließung, „dass diese Form des
Zusammenlebens nicht einfach auf eigener Entscheidung beruht, sondern sich an den
traditionellen Normen orientiert.“186
185
186
Ebd., S. 201.
Ebd., S. 202.
43
4.4.Exkurs: Verbrechen im Namen der Ehre (Ehrenmord)
„Gewalt im Namen der Ehre umfasst nicht nur Tötungsdelikte, sondern auch unterschiedliche
Formen physischer und psychischer Gewalt an Mädchen und Frauen: Zur physischen Gewalt
gehören die Unterdrückung, Bedrohung und Erpressung im Namen der Ehre. Zur physischen
Gewalt sind neben Misshandlung, Folter und Mord auch Verstoßung und Zwangsheirat zu
zählen“187,
wird in eine Studie über „Ehrenmord“ von Terre des Femmes erläutert.
„Obwohl Ehrverbrechen seit langem existieren, ist die Öffentlichkeit erst seit relativ kurzer
Zeit darauf aufmerksam geworden: Seit den 1990er Jahren werden Ehrverbrechen in
Berichten und Resolutionen der UN regelmäßig erwähnt und verurteilt.188 Die Berichterstatter
drücken dabei ihre große Besorgnis aus, dass diese Verbrechen in mindestens 14 Ländern
weltweit geschehen und in einigen Ländern sogar gesetzlich legitimiert sind, obwohl das
jeweilige Land verschiedenste Menschenrechtsabkommen unterschrieben hat. Daher wird an
die betroffenen Regierungen appelliert, alles in ihrer Macht Stehende gegen Ehrverbrechen zu
unternehmen.“189
Laut der erwähnten UN-Resolution beschränkt sich das Phänomen nicht ausschließlich auf die
islamische Welt, folgende Länder werden aufgezählt: Pakistan, Jordanien, Afghanistan, Irak,
Libanon, Israel/Palästina, Türkei sowie Brasilien, Ecuador und Indien. „In Europa geschehen
diese Verbrechen innerhalb von Migrantenfamilien.190 „In der Türkei sind nach Regierungsangaben in den vergangenen sechs Jahren etwa 1800 Frauen im Namen der Ehre ermordet
worden - das heißt fast jeden Tag eine. Die UNO schätzt die Zahl der Ehrenmorde jährlich
weltweit auf etwa 5000. Die höchste Ehrenmordrate hat Pakistan.“191
187
TERRE DES FEMMES (2005): Studie: Ehrenmord. Erstellt von Myria Böhmecke im Auftrag von Feleknas
Uca, Mitglied des Europäischen Parlaments. Tübingen, S. 6.
188
Z. B. UN GENERAL ASSEMBLY (2002): Working towards the elimination of crimes against women
committed in the name of honour. UN Doc: A/57/169 vom 2. 7. 2002., S. 8. Online im Internet: URL:
http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N02/467/90/PDF/N0246790.pdf?OpenElement [Stand 2013 –
01 – 27].
189
TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 3.
190
Ebd., S. 7.
191
HANS, Barbara: „Ehrenmord“ in Hamburg: Das lange Leiden der Morsal Obeidi. In: Spiegel Online vom
29.5.2008. Online im Internet: URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/ehrenmord-in-hamburg-das-langeleiden-der-morsal-obeidi-a-556404.html [Stand 2013 - 01 – 27].
44
Verstöße gegen die sogenannte Familienehre „werden mit physischer und psychischer Gewalt
bis hin zum `Ehrenmord` bestraft.“192
„Sowohl Männer als auch Frauen stehen im Zusammenhang mit Ehrverbrechen unter
enormem gesellschaftlichen Druck. Wird der Mann seiner Aufpasser- und Schutzfunktion nicht
gerecht, oder führt er seine Pflicht zur Verteidigung oder Wiederherstellung der Familienehre
nicht aus, gilt er als unmännlich und wird von der Gesellschaft als nutzlos ausgestoßen. […]
Frauen sind oftmals in der Tatvorbereitung beteiligt“ 193,
oft steht der gesamte `Familienrat` hinter dem Beschluss, die Ausführenden sind aber die
Männer194, wird in der Studie über „Ehrenmord“ von „Terre des Femmes“ erläutert.
Der Begriff „Ehrenmord“ wird von internationalen Gremien und Fachleuten kontrovers
diskutiert, da kein Mord „ehrenvoll“ sein kann, alternative Bezeichnungen setzen sich aber
nicht durch.195
Auch wenn Ähnlichkeiten zu „Beziehungstaten“ in der Motivlage bestehen, wie verletzte
„Ehre“ und Männlichkeit, so gibt es einen großen Unterschied im Blick auf die TäterInnen:
Beziehungstaten werden fast ausschließlich von (Ex)-Männern verübt, Verbrechen „im
Namen der Ehre“ hingegen von (männlichen) Verwandten, wie Vätern, Onkeln, Cousins und
Brüdern. Somit ist das Bedrohungsszenario unterschiedlich und die Betroffenen finden kaum
Unterstützung in der eigenen Community. 196 Auch wenn die bedrohte Frau rechtzeitig aus
192
Ebd., S. 4.
Ebd., S. 5.
194
Laut der Studie von „Terres des Femmes“ können, zwar selten, auch Männer Opfer von Verbrechen „im
Namen der Ehre“ sein, wenn sie z. B. ein außereheliches Verhältnis haben. Als Konsequenz der Ermordung
eines Mannes kann dieser Mord durch einen Mord an einem Familienmitglied des Mörders gerächt werden. Eine
Abgrenzung zur sogenannten „Blutrache“ (Mord aus der Sippe des Mörders im Sinne von Vergeltung) ist
notwendig.
195
TERRE DES FEMMES (20112): Im Namen der Ehre. zwangsverheiratet, mißhandelt, ermordet. Hilfsleitfaden für die Arbeit mit von Zwangsheirat/Gewalt im Namen der Ehre bedrohten oder betroffenen Mädchen und
Frauen. Erstellt von BÖHMECKE, Myria/ MICHELL, Monika/ WALZ-HILDENBRAND, Marina. Berlin, S. 7.
Online im Internet: URL: http://frauenrechte.de/online/images/downloads/ehrgewalt/Hilfsleitfaden.pdf [Stand
2013 - 02 – 02].
196
Vgl. Homepage „Ehrenmord“. Die Münchener Verlagsgruppe Random House betreibt eine eigene Homepage
zur Dokumentation der Ehrenmorde, die in Deutschland bekannt geworden sind. Die Informationen stammen aus
den Medien, aus Gerichtsurteilen oder persönlichen Hinweisen. Der erste dokumentierte Fall stammt aus dem
Jahr 1981. Online im Internet: URL: http://www.ehrenmord.de/ [Stand 2013 – 01 – 27].
193
45
dem Familienverband flieht und der „Sanktion“ entkommt, besteht weiterhin das ganze Leben
die Gefahr, umgebracht zu werden.197
„Ein weiterer Unterschied zwischen einem Ehrenmord und einer Beziehungstat liegt im
Unrechtsbewusstsein: Ein Ehrenmörder ist sich in der Regel keiner (moralischen) Schuld
bewusst. Im Gegenteil: Er hat etwas in seinen Augen sehr wertvolles getan.“198 In manchen
Fällen werden minderjährige Verwandte zur Straftat angestiftet, da das Alter als strafmildernd
berücksichtigt wird.
Das Umfeld teilt diese Meinung und zeigt keine Kooperationsbereitschaft mit Polizei und
Justiz, was die Aufklärung der Tat noch schwerer macht. Eine Zeugenaussage durch ein
Mitglied der Familie würde auch diese Person in Gefahr bringen. So werden die „meisten
Ehrenmorde niemals bekannt, weil sie als Unfall oder Selbstmord getarnt werden.“199
„Ehrenmorde werden auf unterschiedlichste Art und Weise begangen, wobei die Tötungsart
regional variieren kann. Die Frau oder das Mädchen kann z. B. durch Erschießen, Erwürgen
oder Erstechen zu Tode kommen. Eine andere Form der Ermordung ist die Steinigung.“200
In Bangladesch und Pakistan werden Säureattentate zur Wiederherstellung der Familienehre
oder aufgrund gekränkter Ehre von abgewiesenen Verehrern begangen, dabei wird ätzende
Säure über Kopf und Körper der Frau gegossen. Sofern sie diese Attacke überlebt, bleibt sie
gesellschaftlich als „unreine Frau“ stigmatisiert.201
Aus Indien sind „Mitgiftmorde“ bekannt, die auch zu Verbrechen „im Namen der Ehre“
gezählt werden. Den offenen finanziellen Forderungen der Schwiegerfamilie kann oft nach
einer Hochzeit nicht nachgekommen werden, gleichzeitig wäre eine Rückkehr der Tochter in
die Herkunftsfamilie eine Ehrverletzung, ein Mord aus Rache wird deshalb toleriert. 202 In der
Praxis darf nicht automatisch wegen der ethnischen Zugehörigkeit des Mörders von einem
„Ehrenmord“ ausgegangen werden, da die Grenzen zu Beziehungstaten aus Leidenschaft oder
Eifersucht oft fließend sind.
197
Vgl. TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 10.
Vgl. Homepage „Ehrenmord“.
199
Ebd.
200
Die Steinigung wird nicht nur von Seiten der Familie durchgeführt, sondern kann auch von staatlichen
Gerichten angeordnet werden. Vgl. KRÖHN, Silvana (2004): „Der Kampf gegen Steinigung“. Steinigung im
Iran. In: TERRE DES FEMMES (2004): Tatmotiv Ehre. Tübingen, S. 55ff.
201
Vgl. TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 6f.
202
Ebd., S. 7.
198
46
In Österreich werden „Ehrenmorde“ statistisch nicht erhoben, „die Zahl dürfte
vergleichsweise gering sein.“203 In der „High-Risk Victims Studie“204 über Tötungsdelikte in
Beziehungen aus dem Jahr 2012 wird ein Fall angesprochen, „bei dem es sich aus Sicht des
Gerichtes möglicherweise um einen versuchten Ehrenmord handelte.“
205
In der
österreichischen Rechtssprechung wird verneint, „dass ein anderer kultureller Hintergrund für
die Festlegung `der allgemeinen Begreiflichkeit` eines Affektes zu berücksichtigen ist.
Aufgrund dessen wird `die Einordnung eines Ehrenmordes als Totschlag206 in Österreich für
unzulässig angesehen.“207
„Das österreichische Strafrecht tut sich bei der Einbeziehung von Bestimmungstätern
(`Anstiftern`) und Beitragstätern (Beihilfe Leistenden) im Vergleich zum Strafrecht anderer
europäischer Staaten etwas leichter, da es die Straftat in ihrer Gesamtheit in den Blick
nimmt.“208
Trotz der Dramatik dieser Gewaltform im Einzelfall muss festgehalten werden, dass im Blick
auf Europa „im Vergleich zur Gesamtzahl im Bereich von Tötungsdelikten“ 209 sogenannte
Ehrenmorde nur einen geringen Anteil ausmachen.
„Ob Gewalt, Mord oder erzwungener Selbstmord im sozialen Nahraum auf moderner Eifersucht
oder auf traditionellen Normen basiert, ändert nichts an den Folgen für die Opfer dieser
Variationen von männlicher Ehre [...], die von der Gesellschaft und ihren Institutionen nicht
ausreichend geschützt werden.“210
203
HEINE, Susanne/LOHLKER, Rüdiger/POTZ, Richard (2012):
Muslime in Österreich.
Geschichte/Lebenswelt/Religion. Grundlagen für den Dialog. Innsbruck, S. 152.
204
BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIESNT IM BUNDESKANZLERAMT
(2012): High-Risk Victims. Tötungsdelikte in Beziehungen. Verurteilungen 2008 – 2010. Verfasst von Birgit
Haller,
Institut
für
Konfliktforschung.
Wien,
S.
10.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46530 [Stand 2013 – 02 – 02].
205
Ebd.
206
Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 76) wird ein Tötungsdelikt aufgrund einer allgemein
begreiflichen heftigen Gemütsbewegung als Totschlag bezeichnet, im Vergleich zum vorsätzlichen Mord.
207
ZEHETGRUBER, Christoph (2007): Der Ehrenmord in Österreich, Deutschland und der Türkei ,
Strafrechtliche Fragen eines gesellschaftlichen Phänomens. In: KRIEGER Heike (Hrsg.): Berliner OnlineBeiträge zum Völker- und Verfassungsrecht Nr. 6/2007, S. 30 – 35.
208
HEINE, S. 154.
209
Ebd., S. 154.
210
STRASSER, Sabine/TUNCER, Irem/SUNGUR, Altan (2010): Ehe und Ehre im Wandel: Arrangement und
Zwang in der Türkei. In: Strasser, Sabine/Holzleithner (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat
und gleichgeschlechtliche Ehe im pluralen Gesellschaften. Politik der Geschlechterverhältnisse. Bd. 41.
Frankfurt/New York, S. 216.
47
5. „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ IM KONTEXT VON
PARTNER/INNEN/WAHL , EHESCHLIESSUNG, TRENNUNG
UND SCHEIDUNG
5.1.Aspekte der PartnerInnenwahl
Im Rahmen der Studie „Verschieden – Gleich - Anders?“211 aus dem Jahr 2010, wurden auch
die Aspekte der PartnerInnenwahl bei Menschen mit Migrationshintergrund abgefragt,
„insgesamt erleben sich die jüngeren Befragten in der Partnerwahl als selbstbestimmt.“212
„Gemeinsam ist den Befragten der Wunsch nach Vertrauen, Liebe, Zuwendung, Treue und
Verständnis in einer Paarbeziehung. Zudem zeigt sich ein verbreiteter Wunsch der Jüngeren,
mit der Partnerin/dem Partner möglichst viele Gemeinsamkeiten zu haben. Für die meisten
Befragten (in allen Herkunftsgruppen) ist Bildung ein wichtiges Kriterium bei der
Partnerwahl – meistens wünscht man sich bei dem Partner/der Partnerin eine gute Bildung,
häufig ein vergleichbares (überwiegend hohes) Bildungsniveau.“213
Nur eine kleine Gruppe von jungen Befragten, die sich als Vertreter eines konservativen oder
nur bedingt egalitären Geschlechterarrangements sehen, erachtet den Bildungsgrad in der
Partnerwahl als nachrangig.
Erfahrungen aus dem Familien- und Freundeskreis fließen auch bei der PartnerInnenwahl mit
ein, die eigene Bildungsbiografie steht wiederum in engem Zusammenhang mit dem
Heiratsalter. Laut der Studie von Gaby Straßburger ist auch anzunehmen, „dass Personen mit
zunehmender
Berufserfahrung
oder
mit
Studienabschluss
eher
elternunabhängige
Entscheidungen treffen.“214
211
FARROKHZAD, Scharzad/OTTERSBACH, Marus/ TUNC, Michael/ MEUER-WILLUWEIT, Anne (2010):
Verschieden – Gleich – Anders? Geschlechterarrangements im integrativen und interkulturellen Vergleich.
Wiesbaden.
212
Ebd., S. 229.
213
Ebd. Die Gruppe der Befragten türkischer Herkunft fällt besonders durch ihre Betonung der Bedeutung von
Bildung des Partners/der Partnerin auf. Gründe für die insgesamt hohe Bedeutung von Bildung sind (neben der
Hoffnung auf materielle Sicherheit) u.a. die Hoffnung auf eine gleiche `Wellenlänge`, eine reibungslose
Kommunikation, Konfliktvermeidung und eine gemeinsame Erfahrungswelt.
214
STRASSBURGER, Gaby (2003):
Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext:
Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: BUSCH, Friedrich W./NAUCK,
Bernhard/NAVE-HERZ, Rosemarie (Hrsg.): Familie und Gesellschaft. Bd. 10. Würzburg, S. 173.
48
5.1.1. Unterschiedliche Formen und Einflussfaktoren der Eheschließung
Mangels österreichischer Untersuchungen bezieht sich die Autorin auch in diesem Abschnitt
wieder auf Studien, die in Deutschland, groß teils mit Angehörigen der zweiten und dritten
Generation türkischer Herkunft, durchgeführt wurden.
In der Familien- und Migrationsforschung wird zwischen Ehen unterschieden
„in denen die Ehepartner gleicher Staatsangehörigkeit sind oder nicht, also zwischen
nationalitätsinternen oder nationalitätsexternen bzw. binationalen Ehen. Des Weiteren wird
zwischen der Herkunft der Ehepartner differenziert“215,
zwischen herkunftsendogamer oder interethnischer und herkunftsexogamer oder innerethnischer Ehe.
Ina Jeske geht in ihrem Buch „verliebt – verlobt – verkauft?“216 der Forschungsfrage nach,
welche Einflussfaktoren in Hinblick auf die EhepartnerInnenwahl im Migrationskontext
vorhanden sind.
„Neben der […] rechtlichen und politischen Lage sind auch soziale und kulturelle Motive für die
Partnerwahl ausschlaggebend. Sowohl die individuelle als auch die familiäre Biografie sind in
dieser Hinsicht von großer Bedeutung, da diese Faktoren sich wiederum auf die sozialen
Netzwerke auswirken. Insbesondere auch die individuellen Erwartungen der jeweiligen
Heiratskandidaten beeinflussen die Partnerwahl. Dabei ist auch zu beachten, dass diese
Einflussfaktoren je nach Geschlecht unterschiedliche Gewichtungen haben können.“217
5.1.1.1.Einflussfaktor Familiäre Biografie
Ein großer Einflussfaktor ist die Eingliederung der Eltern in die neue Aufnahmegesellschaft,
damit im Zusammenhang stehen auch die Kontaktpflege und die sozialen Netzwerke der
nächsten Generation. Wenn der Plan einer Rückwanderung ins Herkunftsland präsent ist,
wirkt sich diese Tatsache auf die Qualität der Beziehungspflege mit Verwandten und
Bekannten in der früheren Heimat aus und könnte eine transnationale Eheschließung
beeinflussen.
215
JESKE, Ina (2009): verliebt – verlobt – verkauft? Formen der Eheschließung von Frauen türkischer Herkunft
in Deutschland. Marburg, S. 63.: „In der Regel überschneiden sich interethnische und binationale Ehen“, so z. B.
wenn trotz anderer Staatsbürgerschaft (aufgrund einer Einbürgerung) die eigentliche Herkunft gleich ist.
216
Ebd., S. 63.
217
Ebd., S. 64.
49
„Denn je nachdem, ob eine Migrantenfamilie eine Frau `gibt` oder `nimmt`, können
transnationale Ehen bestehende Verpflichtungen gegenüber der Herkunftsfamilie erfüllen oder
aber neue Verpflichtungen erzeugen, die bei späteren Eheschließungen aktuell werden.“218
5.1.1.2.Einflussfaktor Individuelle Biografie
Zentral sind die Faktoren Geburtsort und Kontext der Kindheit sowie die institutionalisierte
Sozialisation durch Kindergarten- und Schulbesuch. Diese Faktoren haben neben den
Auswirkungen auf die Sprachkenntnisse auch eine Auswirkung auf das Nähe/DistanzVerhältnis zur Mehrheitsbevölkerung und haben in weitere Folge Einfluss darauf,
„ob und in welchem Maße sich der- oder diejenige persönlich für das Wohlergehen der
Herkunftsgruppe verantwortlich fühlt oder sich eine Aufrechterhaltung dieser Kontakte wünscht
und deshalb eine transnationale Ehe eingeht oder nicht.“219
5.1.1.3.Einflussfaktor Soziale Netzwerke
Soziale Netzwerke bestimmen den Möglichkeitsgrad mit, potentiellen EhepartnerInnen zu
begegnen. Der jeweilige Aktionsradius ist abhängig von der familiären und individuellen
Biografie, konkret ob man nur zur ethnischen Gruppe Kontakte pflegt oder auch in der
Aufnahmegesellschaft integriert ist und unterschiedliche Bekanntenkreise durch Ausbildung
oder Berufsausübung pflegen kann.
Gaby Straßburger erläutert in diesem Zusammenhang die Unterschiedlichkeit von
Moralvorstellungen:
„Oft führt auch eine unterschiedliche Auffassung über voreheliche intime Beziehungen zwischen
Mehrheitsbevölkerung und türkischstämmiger Bevölkerung dazu, dass insbesondere bei Mädchen,
aber auch bei Jungen türkischer Herkunft, der eigenethnische Freundeskreis an Bedeutung
gewinnt, und sich langfristig der Zugang zu potentiellen interethnischen Partnern reduziert.“220
218
STRASSBURGER, S. 170.
JESKE, S. 65.
220
STRASSBURGER, S. 171 ff.
219
50
5.1.2. EXKURS: Europäische Heiratsmuster
Aus Sicht des österreichischen Wirtschafts- und Sozialhistorikers Michael Mitterauer „stellt
der Kontinent Europa keine Einheit dar“ 221 , als „entscheidender Bezugsrahmen spezifisch
europäischer Familienformen“ ist aber jener Sozialraum zu verstehen, „der bis ins
Spätmittelalter von der römischen Kirche erfasst und von in ihr entwickelten
charakteristischen Sozialformen geprägt wurde.“222 „Die im Mittelalter ausgebildete Grenze
zwischen West- und Ostkirche erscheint aus sozialgeschichtlicher Sicht als die wichtigste
Strukturgrenze Europas.“223
Dem 2008 in London verstorbenen Statistiker John Hajnal gelang es, im Zuge der
Auswertung von demografischen Daten, bereits im Jahr 1965 unterschiedliche Heiratsmuster
in europäischen Großräumen festzustellen, die nach ihm benannt auch als „Hajnal line“
bezeichnet wird:
„Westlich einer Linie, die er grob nach den Endpunkten St. Petersburg und Triest bestimmte,
fand er ein im interkulturellen Vergleich einmalig hohes Heiratsalter junger Männer und vor
aller auch junger Frauen sowie ungewöhnlich hohe Anteile an Ledigen in der Bevölkerung.
Östlich dieser Linie lagen Heiratsalter und Ledigenquoten bedeutend niedriger und
entsprachen viel eher demografischen Gegebenheiten in außereuropäischen Regionen.“224
Michael Mitterauer betont auch, dass die erwähnte „Hajnal line“ in etwa jener Grenze
entspricht, „bis zu der durch die mittelalterliche Ostkolonisation im Westen entwickelte
Modelle der Agrarverfassung verbreitet wurden.“225
221
MITTERAUER, Michael (1997): „Das moderne Kind hat zwei Kinderzimmer und acht Großeltern“ – Die
Entwicklung in Europa. In: MITTERAUER, Michael/ORTMAYER Norbert (Hrsg.): Familie im 20. Jahrhundert.
Traditionen, Probleme, Perspektiven. (= Historische Sozialkunde, Bd. 9), Wien, S. 13.
222
Vgl. Ebd., S. 13.
223
Ebd., S. 13.
224
Zitiert nach MITTERAUER, S. 13.
225
Ebd., S. 13.
51
5.1.2.1. European marriage pattern
Abb. 3: Europäische Heiratsmuster226
Westeuropa
Süd- und Osteuropa
Hauptkennzeichen
Hauptkennzeichen
Dominanz der auf Eltern und Kinder beschränkten
Kernfamilie.
Die Verwandtschaft wird durch Abstammung in
männlicher Linie von einem gemeinsamen Ahnherren
gedacht.
Spätes Heiratsalter der Männer und Frauen, wodurch
sich ein großer Generationenabstand ergab.
Der geringe Altersabstand zwischen den Ehegatten
bedingt die Tendenz zu mehr Partnerschaft.
Die Ahnenzentrierung 227 kann nur durch frühe
Heirat und Ausschöpfung der Fruchtbarkeit der
Frauen gesichert werden.
Prinzipien
Prinzipien
Neolokalität: Die Gründung eines eigenen Haushaltes bei der Heirat war der Regelfall.
Patrilokalität: Patrilinearer Familienaufbau in Form
der Orientierung an der väterlichen Linie. 228
Senioritätsprinzip: Die Autorität liegt beim ältesten
Mann.
Verwandtschaftssystem
Verwandtschaftssystem
Zentral ist ein bilineares Verwandtschaftssystem mit
väterlicher und mütterlicher Linie.
Unterscheidung zwischen den Geschwistern des
Vaters und der Mutter. Fehlende Gleichstellung
zwischen Bluts- und Heiratsverwandten.
Orientierung
Orientierung
Gattenbeziehung: Die Hochbewertung der Gattenbeziehung war durch die Kirche beeinflusst. 229
Weiters gab es die Möglichkeit der Zweitheirat von
Ver-witweten
und
damit
verbunden
das
Zusammenleben
von
Geschwistern
aus
unterschiedlichen Ehen.
Familienkontinuität: Die Familienkontinuität wurde
auch durch die Adoption von Söhnen fortgesetzt.230
226
Diese Abbildung basiert auf Forschungsergebnisse von Michael Mitterauer. Vgl. MITTERAUER, Michael
(2009): Europäische Familienformen im interkulturellen Vergleich. In: Verein für Geschichte und Sozialkunde
(Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie. Kulturvergleich und Entwicklungsperspektiven. (= Basistexte Wirtschaftsund Sozialgeschiche, Bd.1), Wien, S. 14ff.
227
Die Familie fungiert auch als Kultgemeinschaft. Später wurde die Ahnenzentrierung durch das Christentum
zurück gedrängt.
228
Nur im Mannestamm miteinander verwandte Männer mit ihren Frauen und Kindern leben zusammen. Der
Zusammenhalt der in der Vaterslinie miteinander verwandten Männer über die engere Haushaltsgemeinschaft
hinaus geht bis zur sogenannten Klanverfassungen (z. B. Albanien, Montenegro), männerrechtlichen Sozialordnungen und der Praxis der Blutrache. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 16f.
229
Z. B. Ehesakrament und Konsensehe.
230
Das Levirat als kultische Verpflichtung, dem söhnelos verstorbenen Bruder durch Heirat der Witwe
Nachkommen zu zeugen, gab es nur vereinzelt, z. B. in Rückzugsgebieten des Karpaten- bzw. Balkanraums mit
ausgeprägtem Geblütsdenken sowie im Kaukasus. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 16f.
52
Westeuropa
Süd- und Osteuropa
Weitere Spezifika
Weitere Spezifika
Zur Familie gehörte auch das nicht mit dem Ehepaar
blutsverwandte Gesinde.
Der Gesindedienst wird als altersspezifische Durchgangsphase gesehen und diese ausgeprägte
Die Virginität der Töchter erscheint „vor allem im
Mittelmeerraum als ein zentrales Element der
Familienehre“, verbunden mit scharfen „Sanktionen
gegen voreheliche Sexualverbindungen.
Jugendphase gilt als Besonderheit der europäischen
Gesellschaftsentwicklung.231
Bei einer Wiederverheiratung der Witwe mussten die
Kinder in der Familie des ersten Mannes
zurückbleiben.
Mehrgenerationenfamilien gab es fast nur in Form der
bäuerlichen „Ausgedingefamilie“232.
Die Familienautorität geht an jenen Sohn über, der
den Hof übernimmt.233
5.1.2.2.Entwicklungen bis zum 21. Jahrhundert
Die aktuellen Familienverhältnisse wurden durch den „Sonderweg der Gesellschaftsentwicklung im `Sozialraum Europa`“234 beeinflusst. „Für die meisten Regionen Mittel- und
Westeuropas gilt […] vom Mittelalter bis in die neuere Zeit, dass die Durchschnittsgröße der
Familie nicht über vier bis fünf Personen hinausging“235, abgesehen von Schwankungen durch
die Agrarrevolution oder durch Epidemien oder Vertreibungen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ein „radikales Absinken der
durchschnittlichen Haushaltsgrößen in der Gesamtbevölkerung“236 beobachten. Als Argument
wird der Rückgang der nicht verwandten MitbewohnerInnen 237 genannt. Damit sind jene
Personen gemeint, die im Sinne einer Produktionsgemeinschaft als DienstbotInnen bzw. als
231
Die Selbstbestimmung in der PartnerInnenwahl war hoch, da in vielen Fällen die Eltern der Brautleute zum
Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr am Leben waren oder aufgrund des Gesindedienstes räumlich weit
entfernt lebten, zudem waren die ökonomischen Bedingungen für eine Heirat oft erst in späteren Lebensjahren
erfüllt. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 21f.
232
MITTERAUER, 2009, S. 15.
233
„Eine solche Abgabe der Familienautorität im Alter ist eine im interkulturellen Vergleich einmalige
Erscheinung“, beschreibt Michael Mitterauer und beruft sich auf die Erfordernisse der Arbeitsorganisation. Vgl.
MITTERAUER, 2009, S. 15. „[Auch] die Frau kann als Witwe durchaus zum Familienoberhaupt werden“, und
ihre Hausgemeinschaft in der politischen Öffentlichkeit vertreten. Vgl. Ebd., S. 26.
234
Mitterauer, 1997, S. 16.
235
Ebd., S. 17.
236
Ebd.
237
Im Sinne einer Produktionsgemeinschaft wohnten auch nicht verwandte Personen im Haushalt, z. B. Knechte
und Mägde sowie DienstbotInnen.
53
Knechte und Mägde im Haushalt wohnten. Ein weiteres Argument ist der Geburtenrückgang,
der mit den Möglichkeiten der Familienplanung im Zusammenhang steht. Die „Tendenz zur
Singularisierung und Individualisierung“ 238 und der damit einhergehende Anstieg von
Einzelhaushalten ist bedingt durch das eigenständige Wohnen von unverheirateten
Jugendlichen, alleinlebenden Geschiedenen und von alleinlebenden alten Frauen, die eine
höhere Lebenserwartung haben.
Nach einer kurzen Hochblüte des „Kernfamilien-Modelles“ in den 1950er Jahren gewannen
historisch neue Familienmodelle zunehmend an Bedeutung: der Anstieg von Stieffamilien
(Patchworkfamilien) aufgrund der Zunahme von Scheidungen und Wiederverheiratungen,
zentrierte
Familienformen
um
alleinerziehende
Elternteile
sowie
„nichteheliche“
Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kinder ab den 1960er Jahren.239
„Die Deinstitutionalisierung der Ehe bedeutet so auch eine Deinstitutionalisierung von
Verwandtschaft“240, konstatiert Michael Mitterauer und begründet die radikale Veränderung
der Formen des familialen Zusammenlebens mit „gewandelten Aufgaben und Aktivitäten“
sowie der klaren Trennung zwischen Freizeit und Arbeitszeit sowie Hausarbeit und
Erwerbsarbeit.241
5.2.
Arrangierte Ehen
Die öffentliche Debatte über arrangierte Ehen ist einerseits geprägt durch die geschlechtliche
Differenzierung der Vor- und Nachteile, andererseits „wird diese Form der Eheschließung
einem patriarchalisch, generationshierarchisch strukturierten Familiensystem zugeordnet.“242
5.2.1. Heiratsvermittlung
Arrangierte Hochzeiten gibt es seit Jahrhunderten und die Heiratsvermittlung ist
wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. So wurden zum Beispiel „im 17. und 18.
Jahrhundert […] Europäerinnen als Bräute nach Nordamerika vermittelt. Zwischen 1663 und
238
Ebd.
Vgl. Ebd., S. 23f.
240
MITTERAUER, 1997, S. 25.
241
Vgl. Ebd., S. 29f.
242
JESKE, S. 66.
239
54
1673 unterstützte König Ludwig XIV. die Reise von fast 800 Mädchen im heiratsfähigen
Alter nach Kanada, wo sie mit Franzosen verheiratet wurden.“243
Anfang des 20. Jahrhunderts fanden japanische Migranten mit Unterstützung von
Bildkatalogen Frauen aus ihrer Heimat. „Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1980er
Jahren dominierten Filipinas den transnationalen Heiratsmarkt. Und in den frühen Neunziger
Jahren eröffnete der Kollaps der Sowjetunion für Frauen aus Osteuropa und Zentralasien die
Möglichkeit, auf diesem Weg in reiche Länder Westeuropas und Nordamerikas
auszuwandern.“244
Kritisch anzumerken bleibt, dass sich mit den neuen Kommunikationsmedien der „Brautmarkt
als weltumspannendes Business“245 entwickeln konnte und die Agenturen sich hauptsächlich
auf äußere Erscheinungsmerkmale konzentrieren, was zur Folge hat, dass sich potentielle
Heiratskandidatinnen selbst mit stark sexualisierten Bildern präsentieren.
Die sogenannte „Mail-order Bride Industry“, also das Anbieten von „Bräuten“ durch Kataloge
im Internet, boomt seit den Ende der 1990er vor allem in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie zum Beispiel Russland, Ukraine und Kirgistan. Die Industrie dahinter zeigt sich in
Heiratsagenturen, manchmal auch in Form von Webseiten zur Anbahnung von Brieffreundschaften.
„Während Dating-Agenturen von Frauen wie Männern die Bezahlung ihrer Dienste
verlangen, sind es bei den Heiratsagenturen nur die Männer, die dafür zahlen müssten. Nur
20 % aller Kontakte würden auch wirklich in eine Heirat münden“246,
schildert die Politologin Yuliya Zabyelina anlässlich der Konferenz „Cyber trafficking and
mail order brides“, die im Herbst 2012 in Wien stattfand.
Einerseits haben Frauen durch das Leben im Ausland oft materielle Vorteile, andererseits
birgt der digitale Heiratsmarkt auch ein hohes Risiko an Ausbeutung, Täuschung und Zwang
243
ZABYELINA, Yuliya (2012): Braut auf Bestellung. In: WISINGER, Marion/ HELIGE, Barbara (Hrsg.):
Liga. Magazin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Jg. 63. Heft 2. Wien, S. 28.
244
ZABYELINA, S. 28.
245
Ebd.
246
WIENER INSTITUT FÜR INTERNATIONALEN DIALOG UND ZUSAMMENARBEIT (2012): Conference Report. Cyber trafficking and mail order brides. 5.10.2012, Wien, S. 15 – 19. Online im Internet: URL:
http://www.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/Nadja/Documentation_cyber_trafficking_mailorder_brides_05_10-2013.pdf [Stand 2013 - 02 – 03].
55
sowie sexuellem Missbrauch. „Besonders besorgniserregend sind mögliche Verbindungen
zwischen Heiratsvermittlern und Menschenhändlern.“247
5.2.2. Idealtypischer Phasenablauf einer arrangierten Ehe
Im aktuellen öffentlichen Diskurs wird die arrangierte Ehe fast ausschließlich dem
islamischen Kontext zugeordnet, „der angeblich die Entscheidungsfreiheit von Frauen
minimiert.“248
Laut den Untersuchungen von Gaby Straßburger wäre, im Idealfall, das Ziel einer
arrangierten Ehe das Finden einer Lösung, die „für alle Beteiligten angesichts der ihnen zur
Verfügung stehenden Ressourcen und in Anbetracht ihrer individuellen Erwartungen mit
möglichst großen Vorteilen verbunden ist.“249 Somit kann davon ausgegangen werden, dass
nicht alle arrangierten Ehen „sich durch elterlichen Druck und durch eingeschränkte
Selbstbestimmung auszeichnen“ 250 , sondern dass der Übergang von arrangierter Ehe zur
„selbst organisierten Partner[Innen]wahl fließend ist.“251
In weiterer Folge definiert Gaby Straßburger, aufgrund ihrer Studienergebnisse, „fünf
idealtypische Phasen der arrangierten Partnerwahl“252, die als „flexibles Schema mit vielen
Varianten“253 zu verstehen sind.
247
ZAYELINA, S. 28.
JESKE, S. 66.
249
STRASSBURGER, S. 181.
250
JESKE, S. 67.
251
Ebd.
252
STRASSBURGER, S. 218.
253
Ebd.
248
56
Abb. 4: Idealtypischer Phasenablauf einer arrangierten Ehe254
Verhalten der Seite
Verhalten der Seite
des Mannes
der Frau
1. Suche nach einer Partnerin
aktiv
reaktiv
2. Familiäre Vorstellungsbesuche
Besucher
Gastgeber
3. Antrag und Entscheidung
werbend
zögernd
4. Verhandlungen und Zeremonien
aktiv
aktiv
5. Feier (und Heiratsmigration)
aktiv
aktiv
Phase
5.2.2.1.Suche nach einer Partnerin
Neben dem Mann sind auch seine Familie und hauptsächlich die Frauen aus dem
Verwandten- und Bekanntenkreis aktiv in die Partnerinnensuche involviert. Die Wahl wird
wesentlich davon bestimmt, „welche Interessenten von den Eltern generell akzeptiert und
empfangen werden.“255 Für Frauen hingegen „ist die aktive Auswahl an potentiellen Partnern
nicht vorgesehen.“256
5.2.2.2.Familiäre Vorstellungsbesuche
Bei einem ersten, formellen Besuch des Mannes mit seinen Eltern zum Moccatrinken 257
erfolgt die Begegnung der potentiellen Ehepartner. Die von den Männern geführten
Gespräche haben einen repräsentativen, respektvollen und achtsamen Charakter und „sind
durch das Bewusstsein geprägt, zueinander Beziehungen von Gleichheit und Gegenseitigkeit
anzustreben“
258
, offene Konflikte werden vermieden und Meinungsverschiedenheiten
diplomatisch durch ausweichende Antworten umgangen. Auch bei der Ablehnung einer
Heiratsanfrage wird auf standardisierte Formeln, die sich z. B. auf das junge Alter der Frau
beziehen, zurückgegriffen.
254
STRASSBURGER, S. 218.
JESKE, S. 69.
256
STRASSBURGER, S. 218.
Gaby Straßburger nimmt an, „dass aufgrund des Männerüberschusses innerhalb der türkischstämmigen
Bevölkerung in Deutschland und der gleichzeitig vorhandenen Nachfrage aus der Türkei, Frauen türkischer
Herkunft in der Regel zahlreiche Heiratsanfragen erhalten.“ Vgl. STRASSBURGER, S. 219.
257
Die kompetente Zubereitung des Moccas durch die zukünftige Braut wird in der Türkei als Zeichen für eine
gut erzogene Hausfrau gewertet. Vgl. TOPRAK, Ahmet (2005): Das schwache Geschlecht – die türkischen
Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Freiburg, S. 75f.
258
JESKE, S. 69.
255
57
Die eigentlichen Hauptakteure kommen kaum zu Wort, ihre „Gefühle werden in den
Gesprächen nicht thematisiert“ 259 aber nonverbal ausgedrückt. „Ausschlaggebend für die
Fortsetzung des Eheanbahnungsprozesses sind also insbesondere die individuellen Ansichten
und Gefühle der Heiratskandidaten“ 260 , resümiert Gaby Straßburger basierend auf einer
Analyse von Interviews mit 14 verheirateten Frauen und Männern aus Ostanatolien zu ihrer
Partnerwahl und Beziehungsgeschichte.
5.2.2.3.Heiratsantrag, Brautwerbung und Entscheidungsfindung
„Mit dem offiziellen Heiratsantrag261 [von der Seite des Mannes] beginnt nun die Phase der
endgültigen Entscheidungsfindung, in der die entscheidenden Aktivitäten auf der Seite der
Frau liegen.“ 262 Stellvertretend für und „im Interesse der Braut“ 263 erfolgt seitens ihrer
Familie ein taktisches Hinauszögern der Entscheidung, das Ina Jeske damit begründet, dass
„dadurch das Ansehen des Haushaltes und somit auch ihrer Tochter“264 gestärkt wird.
In Anwesenheit einer verwandten Anstandsperson trifft sich das potentielle Paar, um seine
Vorstellungen zu besprechen, laut Aussage der interviewten türkischstämmigen Paare gibt es
in der Praxis oft auch heimliche Treffen.265
„Nachdem sichergestellt ist, dass die Braut einer Heirat zustimmt, wird die endgültige
Entscheidung innerhalb der Familie unter Ausschluss der Tochter gefällt, da befürchtet wird,
dass die Diskussion in Anwesenheit der potentiellen Braut nicht offen geführt werden könnte,
ohne deren Gefühle zu verletzen.“266
259
Ebd., S. 70.
STRASSBURGER, S. 218f.
261
Der Heiratsantrag kann sowohl bereits beim ersten als auch bei späteren Familienbesuchen gestellt werden,
die Antwort erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.
262
JESKE, S. 70.
263
Ebd.
264
Ebd.
265
Vgl. JESKE, S. 71.
266
STRASSBURGER, S. 222ff.
260
58
5.2.2.4.Heiratsverhandlungen und –zeremonien
Die Heiratsverhandlungen, das Festlegen der Zeremonien und die Klärung der
organisatorischen und finanziellen Fragen im Zusammenhang mit den geplanten
Feierlichkeiten liegen wieder in den Händen der Eltern. Während dieser geschilderten Phase
können, „sollten die potentiellen Ehepartner gewichtige Zweifel haben, […] die
Heiratsverhandlungen und somit auch das Ehearrangement beendet werden.“267
Die einzelnen Stationen, „Verlobung, standesamtliche Trauung und gegebenenfalls religiöse
Trauung“ können sich individuell unterscheiden. Zum Teil wird die standesamtliche Trauung
als Verlobung gesehen, allerdings darf es vor der eigentlichen (religiösen) Hochzeitsfeier
keine intimen Kontakte der Ehepartner geben, ein Treffen ist weiterhin nur im Familienkreis
möglich. Im Falle einer Heiratsmigration erfolgt in dieser Zeit die Antragstellung für eine
Aufenthaltsberechtigung als „Familienangehörige/r“, oft ist das Paar aufgrund dieser
Formalitäten räumlich getrennt.
Am Vorabend zur Hochzeitsfeier wird im Haus der Braut der „Hennaabend“ 268
im
Frauenkreis begangen, symbolisch für den Abschied aus dem Elternhaus bzw. für das
Abschiednehmen vom Status der jungen, ledigen Frau.
5.2.2.5.Hochzeitsfeier und eventuelle Heiratsmigration
„Das Paar gilt erst mit der Hochzeitsfeier und der darauf folgenden Hochzeitsnacht als
offiziell verheiratet. Dieser Statuswechsel wird traditionell mit dem Einzug der Frau in den
Haushalt ihres Mannes bzw. seiner Eltern auch äußerlich symbolisiert.[…] Im Allgemeinen
gilt der Prozess der Eheschließung mit der Schwangerschaft und Geburt des ersten Kindes als
abgeschlossen.“269
Gaby
Straßburger
bezieht
sich
in
der
oben
genannten
Feststellung
auf
ihre
InterviewpartnerInnen, die ihre jeweiligen biografischen Erzählungen mit dem Ereignis der
Geburt ihres ersten Kindes abschlossen. Eine eventuelle Migration zum Partner bzw. zur
Partnerin nach Österreich kann nach der positiven Erledigung des Antrages auf
267
JESKE, S. 71.
Das Henna (Pflanzenextrakt des Hennastrauches zur Körperbemalung) wird als Glücksbringer betrachtet und
soll der Frau helfen, mit ihren Händen fromme Taten zu verrichten. Die Männer nehmen an der Zeremonie nicht
teil und halten sich in einem Nebenraum auf. Vgl. JESKE, S. 72.
269
STRASSBURGER, S. 226f.
268
59
Familiennachzug und der Ausstellung der Aufenthaltsberechtigung 270 für den/die nachziehende/ n Ehepartner/in bzw. eingetragene/n Partner/in erfolgen.
5.2.3. Kritische Nachbemerkungen
Am Ende dieses Abschnittes über „arrangierte Ehen“ soll nochmals zusammenfassend, auch
im Hinblick auf die Thematik Zwangsheirat, eine kurze, kritische Analyse erfolgen. Laut
Gaby Straßburger
„basieren also arrangierte Ehen in der Regel darauf, dass Familienorientierung und Selbstbestimmung sich die Waage halten und als einander ergänzend empfunden werden. Die
individuellen Wünsche der potentiellen Ehepartner werden durchaus berücksichtigt und sind
ausschlaggebend für die durch Dritte unterstützte Entscheidung.“271
Kritisch gibt aber Ina Jeske zu bedenken:
„Zwar kann der äußere Ablauf den Eindruck erwecken, die betroffene Frau könnte lediglich
im letzten Augenblick ein Veto gegen die bereits von ihrer Familie getroffene Vereinbarung
einlegen. Allerdings kann diese Kommunikation auch unterschwellig erfolgen und
Zustimmung oder Ablehnung können auch indirekt geäußert werden. So kann die Frau den
Entscheidungsprozess durchaus steuern, ohne dabei offen als Akteurin in Erscheinung zu
treten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass alle Beteiligten den Code der indirekten
273
Verständigung272 beherrschen.“
Äußerst schwierig wird die Situation dann, wenn die indirekten Signale nicht verstanden oder
nicht berücksichtigt werden. Die Betroffenen sind dann gezwungen, ihre Meinung explizit zu
vertreten, was einem Tabubruch gleichkommt. Für diesen genannten Fall gilt, dass „es
manchen schwer fallen [wird], sich gegen den indirekt ausgeübten Druck der Familie zu
wehren und durch den Bruch der Kommunikationsform gleichzeitig auch den Bruch mit der
Familie zu riskieren.“ 274 Dies wird vor allem mit innerfamiliären Machtverhältnissen und
270
Gemäß dem gültigen österreichischen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz. Online im Internet: URL:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/start.aspx#t_Aufenthaltstitel2 [Stand 2013 – 02 -03].
271
Vgl. STRASSBURGER, S. 226 f.
272
Gemeint sind traditionelle Kommunikations- und Handlungsmuster sowie eine formell distanzierte und
diplomatisch gehaltene Verständigung.
273
JESKE, S. 73.
274
Vgl. STRASSBURGER, S. 207 ff.
60
nicht mit dem Faktum der arrangierten Ehe begründet, wo „Selbstbestimmung und
Familienorientierung“275 durch die aktive Teilnahme der Eheschließenden ausbalanciert seien.
Der genannte Druck wird als „Konformitätsdruck“276 seitens der Angehörigen beschrieben.
Der Schutz des eigenen Ansehens und der Reputation der eigenen Familie wird dem Wunsch
nach einer selbstbestimmten Eheschließung vorangestellt und kann in der Einwilligung einer
„ungewollten Ehe“
277
münden. In der Praxis korreliert die konkrete strafrechtliche
Konsequenz mit dem Ausmaß der eingesetzten und nachweisbaren Druckmittel.278
Bei Interessenskonflikten bezüglich der PartnerInnenwahl werden zum Teil umfangreiche
Strategien eingesetzt, um selbstbestimmt zu entscheiden, ohne den Familienzusammenhalt zu
gefährden. Oft lässt sich durch Gespräche der familiäre Konflikt lösen. Nach Auskunft von
interviewten Betroffenen 279 kommt es immer wieder vor, dass es „vorübergehend oder
dauerhaft“ 280 keine Kontaktpflege zu Familienmitgliedern gibt, da man sich wegen der
PartnerInnenwahl zerstritten hat.
Die „verabredete freiwillige Entführung“ oder das „Weglaufen aus dem Elternhaus“ sind
Strategien, die historisch in der bäuerlichen (Liebes)Heiratspraxis verankert sind281, aber auch
aktuell noch angewandt werden, um eine Heiratseinwilligung von den Eltern zu erzwingen.282
Somit konstatiert Gaby Straßburger als Ergebnis ihrer empirischen Studien, dass es sich bei
arrangierten Ehen um - in einer erweiterten Begrifflichkeit - moderne Ehen handelt, die
durchaus auch Liebesehen sein können:
„Der Mainstream-Diskurs, der arrangierte Ehen allgemein als traditionell und
frauenfeindlich beschreibt, geht damit eindeutig an den empirischen Befunden über die
Partnerwahlpraxis von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation vorbei. Bei
diesen Ehen handelt es sich nicht um traditionelle, sondern um moderne Ehen. Sie folgen
allerdings nicht dem westlichen Verständnis von Moderne. Das spricht dafür, den
275
STRASSBURGER, Gaby (2003): Nicht westlich und doch modern. Partnerwahlmodi türkischer
Migrant(inn)en in Diskurs und Praxis. In: Verein Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn
Heimat global wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg. Heft 63/64. Köln, S. 25.
276
JESKE, S. 74.
277
Vgl. JESKE, S. 74.
278
BECLIN, S. 144.
279
STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 25.
280
Ebd.
281
Vgl. SCHIFFAUER, Werner (1987): Die Bauern von Subay: Das Leben in einem türkischen Dorf. Stuttgart,
S. 205 f.
282
STRASSBURGER, S. 235.
61
Modernitätsbegriff
um
eine
nicht-westliche
Dimension
zu
erweitern,
bei
der
Familienorientierung und Selbstbestimmung nicht als Gegensatz konstruiert, sondern als
einander ergänzend eingestuft werden.“283
Für die AutorInnen der aktuellen Schweizer Studie über Zwangsheirat (2012) steht fest,
„dass Zwangssituationen im Zusammenhang mit Heirat ihre Wurzeln in der Regel in
arrangierten Ehen haben. Umgekehrt gipfeln aber keineswegs alle arrangierten Ehen in
Zwangssituationen.“284 Christelle Hamel schlägt deshalb vor, „die Beziehung zwischen einer
arrangierten Heirat und einer Zwangsheirat als ein Kontinuum zwischen den zwei Polen des
freien Willens und des Zwangs zu betrachten.“285
5.3. Selbst organisierte Ehe
Ehen, die nicht den für arrangierte Ehen typischen Phasenverlauf (vgl. Abb. 4) zeigen und
durch
Dritte
einzuordnen.“
mit
286
organisiert
werden,
sind
„eindeutig
als
selbst
organisiert
Eine Abgrenzung ist allerdings nicht exakt festzumachen, da die
unterschiedlichen Partnerwahlmodi „als kontinuierlich ineinander übergehende Konzepte zu
betrachten sind“ 287 und teilweise auch Rituale analog zur arrangierten Eheschließung
eingehalten werden, z. B. ein symbolisches Vetorecht der Familie. Der grundlegende
Unterschied wird in der selbst organisierten Partnerwahl darin festgemacht, dass „der
individuelle Anspruch im Vordergrund steht.“288
Interessant ist ein weiteres Ergebnis der Studie über Partnerwahlmodi der deutschen
Kulturwissenschaftlerin Claudia Eisenrieder, wonach „kein linearer Zusammenhang zwischen
dem Muster der Eheanbahnung und dem Autonomie- oder Abhängigkeitsverständnis der
Frauen im weiteren Verlauf der Ehe festgestellt werden kann.“289
Auch bei der PartnerInnensuche im Internet gibt es spezielle muslimische Angebote, die
„islamische Werte und Grundsätze“ berücksichtigen sowie das „ausschließliche Ziel der
283
STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 25.
SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 16.
285
HAMEL, Christelle (2011): Immigrées et filles d`immigrés: le recul des mariages forcés. Population et
Sociètés., S. 1 ff.
286
JESKE, S. 75.
287
Vgl. EISENRIEDER, Claudia (2009): Arrangierte Autonomie? Über Eheerfahrungen von Migrantinnen
türkischer Herkunft. Tübingen, S. 151.
288
JESKE, S. 75.
289
EISENRIEDER, S. 151.
284
62
Familiengründung“ verfolgen.
290
So wird zum Beispiel auf der Homepage von
„Muslimlife“291 auch vor Gefahren, die mit der PartnerInnensuche verbunden sind gewarnt,
denn „nur eine hauchdünne Linie trennt im Internet das Erlaubte (arab. halal) vom
Verwehrten (arab. haram)“292. Die Heiratsbörse verpflichtet sich selbst zur Einhaltung des
islamischen Verhaltenskodex und ermöglicht auch die Einschaltung eines Vertreters, um die
PartnerInnenfindung sicher zu machen.
5.4. Entführung der Braut293
Diese „Heiratsform“ der Entführung der Braut oder des Weglaufens der Braut aus dem
Elternhaus „wird dann praktiziert, wenn ein Antrag von vornherein aussichtslos erscheint,
oder Verhandlungen zwischen zwei Familien gescheitert sind.“294
Drei Formen werden unterschieden, je nach Interessenskonflikt bzw. der Frage nach der Ehre
der Frau: „Erstens ist es die Entführung gegen den Willen der Frau“ 295, zweitens kann es auch
bedeuten, „dass beide Partner gemeinsam weglaufen, um gegen den Willen beider Familien
zu heiraten“296 und drittens kann auch „das Weglaufen der Frau zum Mann, um sich gegen
ihre Familie durchzusetzen“297, gemeint sein.
Bei der ersten genannten Form handelt es sich explizit um eine Zwangsehe, da „Entführung“
und Heirat gegen den Willen der Frau passieren, die beiden weiteren Formen können der
Kategorie „selbst organisierte Ehe“ zugerechnet werden.
5.5. Verwandtschaftsehe
Eine weitere Form der Ehe ist die sogenannte Verwandtschaftsehe, meistens zwischen Cousin
und Cousine. In Studien298 (großteils mit MigrantInnen der zweiten Generation) lehnen die
290
HEINE, Susanne/LOHLKER, Rüdiger/POTZ, Richard (2012): Muslime in Österreich. Geschichte/
Lebenswelt/Religion. Grundlagen für den Dialog. Innsbruck, S. 140.
291
Die Homepage „Muslimlife“ wird von der Clicktrend Media GmbH in Deutschland betrieben. Online im
Internet: URL: http://www.muslimlife.eu/ [Stand 2013 – 03 – 02].
292
Ebd.
293
Türk. kiza kacirma. In der Praxis der Beratungsstelle DIVAN zeigt sich „Brautraub“ in der Beratungsarbeit
im Kontext mit tschetschenischen Klientinnen.
294
JESKE, S. 76.
295
Ebd.
296
Ebd.
297
Ebd.
298
Z. B. die bereits erwähnten Studien von Claudia Eisenrieder und Gaby Straßburger.
63
meisten Befragten „Eheschließungen mit Verwandten aus dem Herkunftsort“ 299 ab und
„verurteilen diese als rückständig“300, obwohl sie in der Praxis noch vorkommen:
„Es ist anzunehmen, dass mit der Zunahme der Vertrautheit zu Nachbarn, Kollegen und auch
zur türkischstämmigen Bevölkerung […] immer weniger Anlass und auch Interesse besteht,
eine Ehe mit Verwandten einzugehen. Dieser Prozess wurde auch durch massive
Aufklärungskampagnen seitens der Türkei über eventuelle Folgeschäden für Kinder
beeinflusst.“301
5.6. Transnationale Ehen und das Phänomen der Heiratsmigration
„Der Großteil der Heiratsmigrantinnen und –migranten aus der Türkei ist dort aufgewachsen
und kommt erst im Rahmen des Ehegattennachzuges“302 nach Europa. Eine weitere Variante
der transnationalen Eheschließung ist die Heiratsmigration in die Türkei sowie die
Eheschließung von Personen, die aus westeuropäischen Ländern remigriert sind.
Gaby Straßburger beurteilt aufgrund ihrer Forschung die Kategorie der transnationalen
Eheschließung als „zweite Wahl“303 und die eigenständige Partnerwahl – mit Ausnahme von
Einzelfällen – als die häufigste Form. Eine wichtige Rolle spielen die sozialen und zum Teil
transnationalen Netzwerke und die negative Einschätzung der Sozialisation türkischer
Jugendlicher in Deutschland.304 Bemerkenswert ist, dass „das Bild der abhängigen Heiratsmigrantin aus dem türkischen Dorf, die in Deutschland eingesperrt ist, sich nicht wehren kann
und ihre Schwiegermutter bedienen muss“ 305 , in Interviews als Abgrenzung zur eigenen
emanzipierten Haltung sowohl von Männern als auch von Frauen strapaziert wird.
Gaby Straßburger, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit „Heiratsverhalten und Partnerwahl
im Einwanderungskontext“ beschäftigte,
„kritisiert das immer wiederkehrende stereotype Bild des `allgemeinen Diskurses` über die
Gründe, weshalb in Deutschland aufgewachsene, türkischstämmige Frauen und Männer
transnationale Ehen eingehen. Demnach versprechen sich Männer von einer Frau aus der
299
JESKE, S. 77.
STRASSBURGER, Gaby (1999): „Er kann deutsch und kennt sich hier aus“: Zur Partnerwahl der zweiten
Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: JONKER, Gerdien (Hrsg.) Kern und Rand: Religiöse Minderheiten
aus der Türkei in Deutschland. Berlin, S. 159f.
301
Ebd.
302
JESKE, S. 78.
303
Vgl. STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 256 ff.
304
Vgl. JESKE, S. 80.
305
JESKE, S. 81.
300
64
Türkei eine Partnerin, die traditionell aufgewachsen und entsprechend fügsam ist. Deshalb
wird den Männern mangelnde Integration in die moderne Gesellschaft unterstellt. Frauen
werden angeblich von der Familie in eine transnationale Ehe gedrängt, da die
Heiratsmigration die einzige legale Einwanderungsmöglichkeit bietet und sich die
Angehörigen dadurch eine finanzielle Unterstützung […] versprechen. Ähnlich wie bei der
Diskussion über arrangierte Ehen wird den Heiratskandidaten[Innen] hinsichtlich der
Partner[Innen]wahl und Eheschließung eine ohnmächtige Position zugewiesen.“306
5.7. Inner- und interethnische Eheschließungen
„Die
grundlegende
Akzeptanz
interethnischer
Ehen
steht
[…]
mit
der
starken
Familienorientierung in Konflikt“307, da z. B. in Umfragen das deutsche Familienverständnis
mit liberaler Erziehung, viel (sexueller) Freiheit und höheren Scheidungsraten gleichgesetzt
wird. Eine hohe Bildungsorientierung, ein gemischtes Wohnumfeld sowie Netzwerke zur
autochthonen Gleichaltrigen, die eine interethnische Eheschließung begünstigen 308 , werden
als Faktoren genannt. Da sich Standesamtsstatistiken nur auf die Staatsbürgerschaft und nicht
auf den ethnischen Hintergrund beziehen, kann die Entwicklung der interethnischen Ehen als
„Indikator für Annäherungsprozesse“309 nur in qualitativen Studien erfasst werden.
5.8. Liebesehe
Alle erwähnten ParnterInnen-Wahlkonzepte und Formen der Eheschließung „können gleichzeitig auch Liebessehen sein.“ 310 Auch wenn in einer arrangierten Ehe „das Muster der
romantischen Liebe“ 311 eine Rolle spielen kann, unterscheiden sich die Konzepte von
Partnerschaft und Liebe von den vorherrschenden Einstellungen in Westeuropa vor allem
durch den Faktor der Familienorientierung.
„Während sich in der […] Mehrheitsbevölkerung (aber auch Teilen der türkischstämmigen
Bevölkerung […]) der Gedanke an eine Heirat im Laufe einer vorehelichen, intimen
Beziehung entwickelt, ist beim dem `familienorientierten Partnerwahlkonzept` dieser Gedanke
bereits Ausgangs- und nicht erst Höhepunkt der Beziehung.“312
306
JESKE, S. 79.
Ebd., S. 85.
308
Vgl. STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 286 ff.
309
JESKE, S. 86.
310
Ebd., S. 87., vgl. EISENRIEDER, 2009, S. 27 und STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 208.
311
EISENRIEDER, 2009, S. 27.
312
JESKE, S. 87.
307
65
5.9. Zwangsehe
„Bereits der Begriff `Zwang` impliziert, dass die Heirat gegen den Willen der Frau, des
Mannes oder auch beider Heiratskandidaten geschlossen wird.“313 Wie bereits erörtert, stellt
die freie PartnerInnenwahl, unabhängig vom ethnischen Hintergrund, den Normalfall dar,
allerdings gibt es auch in Österreich immer wieder Fälle von Zwangsverheiratungen. Die
Wiener Juristin und Expertin für Gender im Strafrecht, Katharina Beclin, erinnert, dass
„auch `indigene` ÖsterreicherInnen keineswegs völlig frei in ihrer Entscheidung [sind]. Von
wohlgemeinten Ratschlägen bis zu starkem sozialen Druck kennen auch sie zahlreiche
Spielarten der Einmischung. So kann eine ungewollte Schwangerschaft oder aber auch der
Verdacht homosexueller Neigungen von der Familie zum Anlass genommen werden, auf die
Betroffenen mehr oder weniger sanften Druck auszuüben, jemanden zu ehelichen. Hier leben
zumindest in Teilbereichen Praktiken fort, die oft vorschnell ausschließlich bestimmten
ethnischen oder religiösen Gruppen, insbesondere solchen südosteuropäischer, afrikanischer
oder asiatischer Herkunft, zugeschrieben werden.“314
In diesem Kapitel der vorliegenden Masterarbeit soll nun auf die „Vielschichtigkeit des
Phänomens Zwangsheirat“315 eingegangen werden.
5.9.1. Definition „Zwangsehe“ und „Zwangsheirat“
„Der Terminus `Zwangsheirat` ist problematisch, nicht nur weil es sich um einen politisch
konnotierten Begriff handelt, der soziale Realitäten extrem vereinfacht, sondern auch weil er
die Vielfalt und Komplexität der zugrunde liegenden Probleme und Situationen verbirgt.“316
Der Begriff Zwangsehe ist ein Überbegriff, der – laut einer vergleichenden EU-Studie317 - für
unterschiedliche Formen und Nuancen der Nichtbeachtung des Konzeptes der Zustimmung
313
Ebd., S. 88.
BECLIN Katharina (2010): Rechtliche und politische Strategien gegen Zwangsehen in Österreich. In:
STRASSER /HOLZLEITHNER, S. 144.
315
Vgl. Beclin, S. 145.
316
BUNDESAMT FÜR MIGRATION (2012): „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass.
Verfasst von Anna Neubauer und Janine Dahinden in Zusammenarbeit mit Pauline Brequet und Eric Crettaz.
Bern, S. 14. Online im Internet: URL:
http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/publikationen/zwangsheirat/studie-zwangsheirat-d.pdf
[Stand 2013 - 01 – 10].
314
317
Vgl. COUNCIL OF EUROPE (2005): Forced marriages in Council of Europe member states. A comparative
study of legislation and political initiatives. Strassburg. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/CDEG%282005%291_en.pdf [Stand 2012 – 11- 20].
66
zur Ehe verwendet wird: arrangierte Ehe, traditionelle Ehe, Ehe aufgrund von Sitte und
Brauch oder einer zu erwartenden Ehrbarkeit, Kinderehen, Frühehen, Scheinehen, Vernunftoder
Zweckehe,
nicht
vollzogene
Ehen,
Eheschließungen
zum
Erwerb
einer
Staatsbürgerschaft, unerwünschte Ehe etc.318
Der Begriff „Zwangsheirat“ hat keinen exakten gesetzlichen Inhalt und wird auch in den EUMitgliedsstaaten unterschiedlich definiert. Die Schwierigkeit besteht offenbar darin, dass ohne
sichtbaren Beweis der persönlichen Freiheitseinschränkung in Bezug auf eine Zustimmung
zur Ehe durch (physische) Gewalt eine Zwangsheirat nicht ohne Zweifel festgestellt werden
kann. Auch konkrete Hintergrundüberlegungen für einen Ehevertrag sind nicht immer
festzumachen. Fakt ist, dass die eigentliche Intention der Eheschließung oft bei näherer
Betrachtung an den äußeren Umständen ersichtlich ist, wie Angst und Frucht, Widerstand und
fehlende Zustimmung.319
Gleichermaßen ist es nicht immer möglich, emotionale Drohungen nachzuweisen, die die
individuelle Vulnerabilität erhöhen und den Widerstand gegen eine Ehe de facto unmöglich
machen. Daneben zeigen Studien auch Tendenzen auf, wonach mit Zwangsehen
ausländerrechtliche Bestimmungen umgangen werden.320
Im Artikel 16 der CEDAW haben sich die 178 Vertragspartner verpflichtet „Mindestalter,
Registrierung der Ehe und die Zustimmung beider Partner zu garantieren.“ 321 In einer
Publikation der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes wird daraus der Schluss
gezogen, dass
„alle Ehen, die nicht mit der freien und vollen Zustimmung beider erwachsener Brautleute
geschlossen werden, Zwangsehen sind. Dazu gehören Ehen,
318
Vgl. Ebd., S. 7.
Vgl. Ebd., S. 7.
320
Vgl. Ebd., S. 7.
321
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Part IV. Artikel 16. Online im
Internet: URL http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07].
319
67

in denen ein Partner zur Zustimmung gezwungen oder gar nicht gefragt wurde,

die nicht dem Ziel einer Lebensgemeinschaft dienen,

die mit einem minderjährigen Partner geschlossen wurden.“322
Für die vorliegende Arbeit dient jene Definition, die der aktuellen deutschen Untersuchung323
über Zwangsverheiratungen zugrunde liegt und mit dem wissenschaftlichen Beirat 324 der
Studie abgestimmt wurde. Sie wird auch deshalb gewählt, weil sie der Definitions-Praxis der
österreichischen Beratungsstellen325 entspricht.
„Zwangsverheiratungen liegen dann vor, wenn mindestens einer der Eheleute durch die
Ausübung von Gewalt oder durch die Drohungen mit einem empfindlichen Übel zum Eingehen
einer formellen oder informellen (also durch eine religiöse oder soziale Zeremonie
geschlossenen) Ehe gezwungen wird und mit seiner Weigerung kein Gehör findet oder es nicht
wagt, sich zu widersetzen.“326
Weiters wird eine Unterscheidung327 zwischen den Zwangssituationen getroffen, die vor der
Eheschließung entstehen (Zwangsverheiratung) und jenen, die sich nachher entwickeln
(Zwangsehe), da beide Fälle andere Problemlagen mit sich bringen und aus diesem Grund
nach unterschiedlichen Massnahmen verlangen:
„Der Status der Zwangsverheiratung bezieht sich auf den Zeitpunkt der Eheschließung, hier
wird zwischen angedrohter sowie bereits erfolgter Zwangsverheiratung unterschieden.“328
„Eine Zwangsverheiratung betrifft Situationen, die sich dadurch auszeichnen, dass die jungen
Personen

sich unter Zwang befinden, eine Heirat einzugehen, die sie nicht möchten, oder

eine Liebesbeziehung nicht aufrechterhalten oder sich nicht mit der Person ihrer Wahl
verheiraten dürfen.
322
LEHNHOFF, Liane (2006): Sklavinnen der Tradition. Zwangsheirat als weltweite Erscheinung. In: Terre des
femmes (Hrsg.): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. (= Schriftenreihe NEIN zu Gewalt an Frauen).
Tübingen, S. 10.
323
BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung
in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Wissenschaftliche Untersuchung der
Lawaetz-Stiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg.
324
Ebd., S. 51. u. a. VertreterInnen von Universitäten und Fachhochschulen, NGO`s und Bundesministerien.
325
ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011. Wien, S. 22 und CARITAS GRAZ-SECKAU (2010):
Frauenspezifische Beratung für Migrantinnen mit spezialisiertem Angebot für „Betroffene von Gewalt im
Namen der Ehre“ (DIVAN). Konzept. Graz, S. 7f.
326
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18.
327
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 15.
328
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18.
68
Eine Zwangsehe hingegen bedeutet, dass

eine Ehe gegen den Willen von mindestens einem der Ehegatten aufrechterhalten wird – selbst
wenn diese Ehe vielleicht freiwillig geschlossen wurde. Eine Trennung oder Scheidung wird
entweder vom Ehepartner selbst oder der Familie der Ehefrau oder des Ehemannes nicht
akzeptiert. Die Zwangslage beginnt somit erst nach der Eheschließung.“329
Die erwähnte Definition von Zwangsheirat aus der aktuellen Schweizer Studie 330 zählt
ergänzend noch die Erscheinungsarten von Zwang auf, „der auf die zur Heirat gezwungene
Person ausgeübt wird“331:
Genannt werden Formen von „Drohungen, emotionaler Erpressung oder anderen
„kann von physischer, sexueller oder
erniedrigenden Handlungen“ oder der Zwang
psychologischer Gewalt begleitet sein:“
332
Eine erzwungene Heirat „verletzt das
Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person in schwerwiegender Weise und stellt eine
Verletzung der Menschenrechte dar.“333
Arrangierte Ehen wurden von Verwandten, Bekannten oder von EhevermittlerInnen initiiert,
werden aber im vollen Einverständnis der Eheleute geschlossen, bei Zweifeln in der
Zuordnung sollte die Perspektive der Betroffenen zugrunde gelegt werden.“334
In der Schweizer Studie wird deutlich festgestellt, dass „Zwangssituationen im
Zusammenhang mit Heirat ihre Wurzeln in der Regel in arrangierten Ehen haben. Umgekehrt
gipfeln aber keineswegs alle arrangierte Ehen in Zwangssituationen“ 335 . Die Beziehung
zwischen einer arrangierten Heirat und einer Zwangsheirat könne „als ein Kontinuum
zwischen den zwei Polen des freien Willens und des Zwangs“336 betrachtet werden.
In der Praxis zeigt sich, dass Mädchen und junge Frauen „durch Entführung,
Freiheitsberaubung, Einschüchterung, psychischen Druck, emotionale Erpressung oder
körperliche Gewalt“337 bis hin zur Vergewaltigung338 gefügig gemacht werden. Auch ohne
329
SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 15.
Ebd.
331
Ebd., S. 14.
332
Ebd.
333
Ebd.
334
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18.
335
SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S.16.
336
Ebd.
337
LEHNHOFF, S. 11.
330
69
offene Weigerung vor oder während der Hochzeit kann es sich um eine Zwangsehe handeln,
wenn die Frau „subjektiv unter Zwang gehandelt [hat] und eventuell erst Jahre später den Mut
hat, sich zu wehren“339.
5.9.2. Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“
Die Motive und Ursachen von Zwangsheirat sind unterschiedlich. Der Blick auf die Situation
der Herkunftsländer, wo die Tradition der Zwangsheirat von oft armen Familien am Land
praktiziert wird, differiert von der Situation in den EU-Ländern, wo hauptsächlich Familien
mit Migrationshintergrund 340 involviert sind. 341 Im Falle der Herkunftsländer scheinen die
Hintergründe - laut der EU-Studie - mit kulturellem Druck verbunden zu sein, wie die
Wichtigkeit der Ehre und die Bewahrung der Jungfräulichkeit, der Absicherung für das Alter,
der Wunsch Vermögen und Grundbesitz innerhalb der Familie zu erhalten, sowie die
Verfestigung der elterlichen Autorität.342
In Bezug auf die gegenwärtige Situation in den EU-Ländern (und der Schweiz) wird als erstes
Motiv der elterliche Wunsch nach dem Schutz ihrer Kinder vor einer „Europäisierung“ 343
genannt, ein beginnender Generationenkonflikt kann sich in weiterer Folge zu einer sich
immer schneller drehenden Gewaltspirale entwickeln.
„Die Probleme zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern beginnen in der Regel in der
Pubertät, wenn nämlich die jungen Erwachsenen eigene Vorstellungen über Liebe, Heirat,
Leben und Arbeit zu formulieren beginnen“344 und diese von den elterlichen Vorstellungen
338
VOLZ, Rahel (2003): Zwangsheirat in Deutschland – eine tolerierte Menschenrechtsverletzung. In: VEREIN
BEITRÄGE ZUR FEMINISTISCHEN THEORIE UND PRAXIS (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge
zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg., Heft 63/64. Köln, S. 199.
339
LEHNHOFF, S. 11.
340
Der Begriff „Migrationshintergrund“ wurde in Österreich auf Empfehlung der United Nations Economic
Commission for Europe (UNECE) mit dem Mikrozensus 2008 offiziell eingeführt, erstmals wurden Fragen nach
dem Geburtsland der Eltern gestellt. Als Personen mit Migrationshintergrund werden hier Menschen bezeichnet,
wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Bei „MigrantInnen der ersten Generation“ liegt der eigene
Geburtsort wie jener der Eltern im Ausland, Kinder von zugewanderten Personen, die aber selbst im Inland zur
Welt gekommen sind werden als „zweite Generation“ bezeichnet. Die „Variable Migrationshintergrund“ ist
ambivalent zu bewerten, da einerseits z. b. sozioökonomische Unterschiede letztendlich auf einen strukturellen
Rassismus zurückzuführen sind, wenn der Migrationshintergrund sichtbar gemacht wird, andererseits wird der
Migrationshintergrund als gesellschaftliches Unterscheidungsmerkmal manifestiert. Vgl. Zebratl (2012):
Migrationshintergrund. Lexikon. In: JANUSCH, Herbert (Hrsg.): ZEBRATL. Zeitschrift des Interkulturellen
Beratungs- und Therapiezentrums Zebra. Graz. Nr. 2, S. 22.
341
Vgl. COUNCIL OF EUROPE, Forced Marriages, S. 8.
342
Ebd., S. 8.
343
Ebd., S. 8. „ […] wish to prevent children from becoming `Europeanised`.“
344
SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 16.
70
über eine/n „gute/n Partner/in“ divergieren. Wenn diese Generationenkonflikte nicht in einem
früheren Stadium345 gelöst werden, kann es in weiterer Folge zu Zwangssituationen führen.
„Eltern, die ihre Kinder sehr früh oder gegen ihren Willen verheiraten, sind zumeist
überzeugt, dass dies zum Wohl des Kindes geschieht. Selbst Eltern, die versuchen, ihre
Kinder in die Entscheidung mit einzubinden, beugen sich dem Druck der Verwandtschaft.“346
Rahel Volz, Mitarbeiterin von „Terre des femmes“, nennt es den
„aufrichtige[n] Glauben vieler Eltern, letztlich im Interesse der eigenen Kinder zu handeln.
Eltern wollen ihre Töchter auf den vermeintlich richtigen Weg zurückführen, wenn diese
`unpassende` Verbindungen eingegangen sind. Oder aber sie handeln aus der Überzeugung
heraus, dass ihre Lebenserfahrung und das Wissen über die Bedeutung der eigenen Kultur sie
zu einer geeigneteren Auswahl des zukünftigen Ehegatten befähigt.“347
Weitere Motive sind das Bestreben, die Identität zu erhalten, oder eine offene Schuld an ein
Mitglied der eigenen Gemeinschaft auszugleichen. Dazu kommen noch Faktoren wie das oft
ungleiche Geschlechterverhältnis, der Anstieg des religiösen Fundamentalismus und der
Versuch, die eigenen Kinder an einer Mischehe zu hindern.348
Die öffentlich diskutierten Erklärungsansätze – „wie sozioökonomische Diskriminierung,
mangelnde
Integrationsbereitschaft,
ethnische
Unterschichtung
oder
rigider
Traditionalismus“349 entsprechen nicht der Praxis. Vielmehr liegt es an „spezifischen, kaum
generalisierbaren Mischungen und unterschiedlichen Faktoren“ 350 in der Genese bzw. dem
Vollzug
von
Zwangsverheiratungen,
die
in
weitere
Folge
zu
unterschiedlichen
Verarbeitungsweisen führen. Damit ist gemeint, dass sich Betroffene Hilfe bei einer
Beratungsstelle oder bei Dritten (im Freundes-, Bekannten- und Verwandtenkreis) holen.
Festgehalten muss an dieser Stelle werden, dass es im Kontext der Androhung von
Zwangsverheiratungen „überdurchschnittlich oft zum Einsatz manifester Gewalt“ 351 kommt
345
So wenden sich junge Menschen an Beratungsstellen, die eine negative Reaktion bzw. massive Vorbehalte
ihrer Eltern über die Bekanntgabe einer Liebesbeziehung befürchten.
346
LEHNHOFF, S. 12. Britische Expertinnen nennen diese Vorgangsweise „loving manipulation“. Vgl. UK
GOVERNMENT, HOME OFFICE (2000): A choice by right – The Report of the Working Group on Forced
Marriage. London, S. 11.
347
VOLZ, S. 199.
348
Ebd.
349
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 44.
350
Ebd.
351
Ebd., S. 45.
71
und diese seitens der Eltern als „legitimes Mittel“ 352 angesehen wird.
Oft fehlt das
Bewusstsein über das gesetzliche Verbot von Gewalt und über das Unrecht, dass man den
eigenen Kindern antut. Dahinter stehen Tradition, Brauchtum und Ehrvorstellungen sowie ein
Frauenbild, dass die Selbstbestimmung der Töchter nicht akzeptiert.
Zwangsheirat bekommt in der Migration eine „neue Brisanz“353, „die Angst vor Verlust der
eigenen Identität und Kultur gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sowie die fremdartigen und
oftmals als negativ empfundenen Einflüsse“354 spielen dabei eine Rolle. Heiraten innerhalb
der Familie (z. B. Cousin und Cousine) sollen die Familienbande über die große räumliche
Distanz hinweg stärken.
Zentral ist die Kontrolle über die weibliche Sexualität und der damit verbundene Anspruch,
die Familienehre aufrecht zu erhalten, „da die Ehre am sittlichen Verhalten der Frauen
gemessen wird“ 355 und „eine Heirat zum Zeitpunkt der Geschlechtsreife oder sogar davor
erleichtert den Eltern die Kontrolle.“356
Wie schon in der zentralen Aussage der Studie von Sinus Sociovision357 über MigrantInnenMilieus, kann „weder von der Herkunftskultur auf das Milieu noch vom Milieu auf die
Herkunftskultur geschlossen werden.“
358
Bezüglich Zwangsheirat sind keine objektiv
beschreibbaren sozioökonomische Lagen als „belastbare Zusammenhänge“359 für Motive und
Ursachen von Zwangsverheiratung zu erkennen, d.h. das Phänomen Zwangsheirat lässt sich
nicht auf ärmere, bildungsferne Schichten begrenzen.
Auch ökonomische und aufenthaltsrechtliche Gründe können eine Rolle spielen, da
Heiratsstrategien in transnationalen Familien auch als Reaktion auf die bedeutenden sozialen
und ökonomischen Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen der Welt
352
VOLZ, S. 199.
Ebd.
354
Ebd., S. 200.
355
LEHNHOFF, S. 12.
356
Ebd. „Je jünger das Mädchen ist, umso geringer ist die Gefahr, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Eine
Frühehe bannt somit auch die Gefahr eine unehelichen Schwangerschaft.“
357
SINUS SOCIOVISION (2008): Zentrale Ergebnisse der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland.
Berlin
–
Heidelberg
–
Zürich.
Im
Internet
unter
URL:
http://www.sinusinstitut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/MigrantenMilieus_Zentrale_Ergebnisse_09122008.pdf [Stand 2012 10 – 05].
358
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 45.
359
Ebd., S. 44.
353
72
verstanden werden können und eine Ehe mit einer sich im Ausland aufhaltenden Person somit
auch eine Migrationsstrategie ist.360
„In Kulturen, in denen die Familie des Bräutigams einen Brautpreis zahlt, kann diese
Tradition dazu führen, dass junge Mädchen in eine Ehe verkauft werden. In den Ländern der
Europäischen Union erhalten Eltern junger Bräute oft hohe Zahlungen 361 . Der sichere
Aufenthaltsstatus der Braut ermöglicht Männern die Einreise in das jeweilige Land. Dies ist
eine moderne Form des Menschenhandels in die Ehe.“362
Noch kaum untersucht ist das Motiv, die gleichgeschlechtliche Orientierung der Kinder
„durch Androhungen von Zwangsverheiratung zu brechen oder zu verbergen.363
5.9.3. „Zwangsverheiratung“ bei Männern
Der türkischstämmige Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak beschäftigt sich in seiner
Forschung mit jungen Männern, die zu einer Eheschließung gezwungen werden, stellt aber
auch deutlich klar „dass die Männer von einer Eheschließung profitieren, da die
administrativen Aufgaben und die Alltagslasten auf die Ehefrau übertragen werden“364.
Ahmet Toprak entwickelt die These, „dass die Eheschließung aus Sicht der Eltern eine
Disziplinarmaßnahme darstellt, wenn andere Maßnahmen nicht (mehr) greifen“ 365 . Als
Hintergrund wird die geschlechtsspezifische Erziehung genannt, die die Jungen im Vergleich
zu den Mädchen bevorzugt und mehr Freiheiten lässt sowie Fehlverhalten mit der
Jugendlichkeit entschuldigt.
„Die Jungen werden wie kleine Kinder behandelt, sie tragen für ihr Verhalten selten
Verantwortung, und erst ab einem bestimmten Alter müssen sie auf `Knopfdruck` erwachsen
werden. Wenn die Jungen sich nicht diszipliniert verhalten366, ergreifen die Eltern ab einem
gewissen Alter Maßnahmen, um das Erwachsenwerden der Jungen zu forcieren. Diese
360
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 17.
VOLZ, S. 200. „Bis zu 8000 Euro werden geboten, um das Einwanderungsticket „Ehefrau“ zu erwerben.“
362
LEHNHOFF, S. 12.
363
DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 45.
364
TOPRAK, Ahmet (2006): Zwangsverheiratete türkische Männer? Die Verheiratung der Männer als
Disziplinarmaßnahme. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre.
Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 27.
365
Ebd., S. 27.
366
Z.B. wechselnde Freundinnen, Fernbleiben von zuhause, strafrechtliche Delikte, Alkohol oder
Drogenmissbrauch.
361
73
Maßnahmen sind der Militärdienst in der Türkei, die Verheiratung 367 und schließlich die
Vaterschaft.“368
Als Ergebnis der qualitativen Forschung zeigt sich aber, dass die Zwangsheirat als
Disziplinierungsmaßnahme aufgrund der „inkonsequenten Umsetzung“ 369 keine Wirkung
zeigt, da es dem Mann erlaubt ist, „seine Sexualität anderweitig auszuleben.“370
So kann zusammenfassend festgehalten werden, dass
„die oben beschriebenen Disziplinierungsmaßnahmen, die vor allem in der ländlichen Türkei
sehr erfolgreich sein können, […] in der Migration erfolglos [bleiben], denn sie beruhen auf
der sozialen Kontrolle, die [z. B.] in Deutschland nicht in der Form vorhanden ist.“371
5.9.4. Rechtliche Situation
5.9.4.1.Grundsatzüberlegungen
In den verschiedensten Rechtsbereichen (Völkerrecht, Verfassungsrecht, Eherecht, Strafrecht,
Allgemeines Privatrecht) gilt die Ausübung von Zwang zur Eheschließung als ungerechtfertigt, wobei der `Zwangsbegriff` unterschiedlich ausgestaltet ist.
Nach wie vor wird in den meisten europäischen Staaten das Verbot der Eheschließung von
gleichgeschlechtlichen Paaren praktiziert und im Gegenzug die Privilegierung von verheirateten Paaren im Vergleich zu unverheirateten Paaren unterstützt. Im Migrationskontext
besteht die Ambivalenz, dass einerseits verstärkte Anreize zur Heirat bestehen, andererseits
aber Aufenthaltsehen (sogenannte Scheinehen) massiv geahndet werden.372
„Allgemein betrachtet gelten strukturelle Zwangslagen (beispielsweise auch in Hinblick auf
die faktischen Möglichkeiten, eine Ehe aufzulösen), denen Personen aufgrund ihrer sexuellen
367
TOPRAK, S. 30. Die Eltern gehen davon aus, „dass der Sohn anhand der Beispiele in seinem Umfeld, wie
sich ein verheirateter Mann zu verhalten hat, seine Haltung ändern wird. Wenn die gewünschte Änderung nicht
unmittelbar erfolgt, wird die Braut seitens der weiblichen Familienmitglieder angehalten, ein Kind zu
bekommen.“
368
TOPRAK, S. 29.
369
Ebd., S. 31.
370
Ebd.
371
Ebd.
372
Vgl. RÖSSL, Ines (2010): Zwangsverheiratung: Zur rechtlichen Matrix in Österreich. In: STRASSER/
HOLZLEITHNER, S. 140.
74
Orientierung oder ihrer Staatsangehörigkeit unterliegen, nicht als `Zwang` im rechtlichen
Sinn.“373
5.9.4.2.Ehe im Migrationskontext
Die Familienzusammenführung und damit vorangegangene Eheschließung stellt für viele
MigrantInnen die einzige Einwanderungsmöglichkeit nach Europa dar. Die restriktive Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetzgebung der europäischen Staaten ist somit ausschlaggebend für Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Zusammenhang mit der Lebens- und Familienplanung.374
Einerseits bietet die Eheschließung in weiterer Folge den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum
Sozialsystem und langfristig auch zu einer Staatsbürgerschaft, andererseits „unterliegt das
grenzüberschreitende Zusammenziehen von EhepartnerInnen Beschränkungen“ 375 , die für
heiratswillige
InländerInnen
nicht
vorgesehen
sind.
So
bedarf
es
neben
der
Eheschließungsfreiwilligkeit bei Ehen von MigrantInnen „eines spezifischen Ehewillens, der
auf das Führen einer Intimbeziehung gerichtet ist“
376
und nicht auf sogenannte
„Staatsbürgerschaftsehen“ oder „Aufenthaltsehen“ hindeutet.
Kritisch hinsichtlich der aktuell geltenden österreichischen Rechtsordnung kommentiert Ines
Rössl, dass
„mit der massiven Bekämpfung von Aufenthaltsehen […] die Rechtsordnung gewissermaßen
`die Geister zu vertreiben`[versucht], die sie rief. Denn schließlich ist das Phänomen, dass
Ehen aus aufenthaltsrechtlichen Überlegungen geschlossen werden, ein Nebeneffekt des
immer restriktiver werdenden Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts und der Privilegierung
von verheirateten Paaren.“377
In der Frage nach einer möglichen Veränderung der Geschlechterrollen durch Migration bzw.
Integration lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Formen der Zuwanderung. 378
373
RÖSSL, S. 140.
Vgl. PLATZER Florina (2006): Das neue Fremdenrecht aus feministischer Sicht. In: SCHACHENREITER
Judith/ STUEFER , Alexia/ KETTEMANN, Matthias/OBERNDORFER, Lukas (Hrsg.): Juridikum. Zeitschrift
im Rechtsstaat. Jg. 17. H. 3, S. 168.
375
RÖSSL, S. 139.
376
§ 23 EheG iVm § 28 EheG.
377
RÖSSL, S. 140.
378
Im Jahr 2011 wanderten etwas über 130.000 Personen nach Österreich zu, während zugleich knapp 95.000
Menschen das Land verließen. Daraus ergab sich eine Netto-Zuwanderung von 35.000 Personen. Vgl.
STATISTIK AUSTRIA/BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERS (2012): Migration & Integration. Zahlen.
374
75
Konkret ist in Österreich die größte Zuwanderungsform die sogenannte EU-Binnenmigration
(72.000 Menschen 379 ), gefolgt von der Rückkehr von österreichischen Staatsangehörigen
(15.000 Menschen), den AsylwerberInnen (14.400 Menschen), den SaisonarbeiterInnen aus
Nicht-EU-Staaten (7.800 Menschen) und den InhaberInnen der „Rot-Weiß-Rot-Card“
(900).380 Verhältnismäßig hoch ist der quotenfreie Zuzug aus Nicht-EU-Staaten im Rahmen
der Familienzusammenführung, die im Jahr 2011 in Österreich 13.600 Menschen betrug, die
in weiterer Zukunft ihr Familienleben in Österreich gestalten. Nicht in Zahlen ausgedrückt
werden kann jene psychisch belastende Zeit des Familienlebens, die in zwei (oder mehr)
Ländern stattfindet, bevor es zu einer Zusammenführung kommt.
„Stabile Partnerschaften oder sichere Bindungen in der Familie haben das Potential, einen
Teil der allgemeinen Verunsicherung im Migrationsprozess abzufedern, und werden als
emotional sehr bedeutsam empfunden“381,
heißt ein zentrales Ergebnis des „Salomon Next Step“382 – Forschungsprojektes, das erstmals
die subjektive Bedrohungswahrnehmung von Migrantinnen untersuchte.
Laut der von der Statistik Austria erstellten Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 2011 über die
Bevölkerung in österreichischen Privathaushalten ergibt sich folgendes Bild: 383 Von den
insgesamt 8,3 Mill. in Österreich lebenden Menschen haben 1,6 Mill. einen „Migrationshintergrund“, konkret sind es 1,2 Mill. ZuwanderInnen der ersten Generation und 415.369
ZuwanderInnen der zweiten Generation.384
„Zu Jahresbeginn 2012 lebten rund 773.100 Frauen ausländischer Herkunft in Österreich,
das entsprach 17,9% der weiblichen Gesamtbevölkerung. 44% der Frauen ausländischer
Daten. Indikatoren 2012. Erstellt von Statistik Austria und der Kommission für Migrations- und
Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien, S.34.
379
Davon u.a. 18.000 aus Deutschland, 14.500 aus dem ehemaligen Jugoslawien und 3.900 aus der Türkei. Vgl.
STATISTIK AUSTRIA, 2012, S. 20f.
380
Die konkreten Daten stammen aus: STATISTIK AUSTRIA, 2012, S. 20f.
Online im Internet: URL:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Service/Integration_2012/migration_integration_2012_72dpi.pdf [Stand 2013 02 – 13].
381
ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana (2011): Angst und Bedrohung aus der Perspektive von
MigrantInnen: Ergebnisse der Forschungsprojekts SALOMON Next Step. In: DAHLVIK, Julia/FASSMANN,
Heinz/SIEVERS, Wiebke (Hrsg.): Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich.
(= Migrations- und Integrationsforschung 2). Jahrbuch 1/2011. Wien, S. 226.
382
ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana/SPICKER, Ingrid/KLEIN, Christina (2009): SALOMON
Next Step. Bedrohungswahrnehmung von MigrantInnen. Eine Studie im Rahmen der österreichischen
Sicherheitsforschung. Projektendbericht. Wien.
383
Angaben in 1.000, deshalb buchhalterisch gerundet.
384
STATISTIK AUSTRIA/BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, S. 20f.
76
Herkunft
stammten
Drittstaatsangehörige.
aus
Die
EU-/EWR-Staaten
meisten
Frauen
oder
der
Schweiz,
ausländischer
Herkunft
56%
waren
stammten
aus
Deutschland. Weitere wichtige Herkunftsländer stellten Serbien, Montenegro und Kosovo, die
Türkei, Bosnien und Herzegowina sowie Rumänien dar.“385
5.9.4.3.Völkerrechtliche Bestimmungen
Das Menschenrecht auf Eheschließung – für heterosexuelle Paare386 – ist im Artikel 16 der
UN-Menschenrechtskonvention 387 sowie im Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich im Verfassungsrang steht388, verankert:
„Mit Erreichung des Heiratsalters haben Männer und Frauen gemäß den einschlägigen
nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.“389
Somit ist „das Prinzip der Eheschließungsfreiheit [ein] fixer Bestandteil des internationalen
Menschenrechtsschutzes“390 und von völkerrechtlichen Konventionen391, zentral erwähnt soll
die UN-Marriage-Convention
392
werden. Ursprünglich entstanden im Kontext von
internationalen Initiativen gegen Sklaverei und sklavereiähnlichen Praktiken betont der
Artikel 1 der Marriage-Convention die Willensfreiheit bei der Eheschließung, die „persönlich
385
ÖSTERREICHISCHER INTEGRATIONSFONDS (2012): Migration und Integration. Schwerpunkt Frauen.
Zahlen.
Daten.
Indikatoren.
Wien,
S.
8.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.integrationsfonds.at/zahlen_und_fakten/femigration_integration_2012/ [Stand 2013 – 02 – 13].
386
Historisch fungierten in der österreichischen Geschichte „Ehehindernisse/Eheverbote immer wieder dazu, die
unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Ziele zu erreichen“. Die Bandbreite der Bestimmungen reichte vom
Ehehindernis der Religionsverschiedenheit über das Erfordernis einer obrigkeitlichen Heiratsbewilligung für die
soziale Unterschicht, Ehebeschränkungen für öffentlich Bedienstete und gesundheitliche Kontrollen der
zukünftigen EheparnterInnen“. Vgl. LEHNER, Oskar (1987): Familie – Recht – Politik. Die Entwicklung des
österreichischen Familienrechts im 19. und 20. Jahrhundert, Wien, S. 33 – 35.
387
UN-Menschenrechtserklärung: Artikel 16 Abs 2 (10.12.1948). Online im Internet: URL:
http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html [Stand 2012 - 11- 26].
388
BVG BGBl Nr. 59/1964.
389
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Rom 4.11.1950. In
Österreich in Kraft seit 3.9.1958, in der Verfassung seit 1.11.1998, Protokoll Nr. 11. Online im Internet: URL:
http://www.emrk.at/emrk.htm [Stand 2012-11-22].
390
Rössl, S. 125.
391
Z. B. Artikel 16 der CEDAW. Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against
Women.
Ratifikation
in
Österreich
am
31.3.1982.
Online
im
Internet:
URL
http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07].
392
UNITED NATIONS (1962): Convention on Consent for Marriage. Minimum Age for Marriage an
Registration of Marriages vom 7.11.1962. New York. (in Österreich seit 9.12.1964 ratifiziert, seit 1.10.1969 in
Kraft). Online im Internet: URL: http://www2.ohchr.org/english/law/convention.htm [Stand 2013 - 02 -12].
77
gegenüber einer zu Eheschließung befugten Person und vor Zeugen geäußert werden
muss.“393
Laut Artikel 16 der CEDAW394 treffen die Vertragsstaaten „alle geeigneten Maßnahmen zur
Beseitigung der Diskriminierung der Frau in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten“
395
wie auch in Artikel 23 des „Internationalen Pakts über bürgerliche und politische
Rechte.“396 In der UN-Kinderrechtskonvention397, insbesondere im „Zusatzprotokoll gegen
Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie“ wird die Heiratsvermittlung
explizit geächtet.
Im Blick auf die völkerrechtlichen Verträge kann festgehalten werden, dass die jeweiligen
Formulierungen ähnlich sind. Es wird festgehalten, dass eine Ehe nur aufgrund einer freien
Willenseinigung der beiden zukünftigen EhepartnerInnen geschlossen werden darf.“398
„Die Verletzung dieses Rechts [ist] potentiell mit gravierenden Folgen für die künftige
Lebensgestaltung der Betroffenen verbunden.“399
393
Vgl. RÖSLL, S. 126.
CEDAW, Artikel 16: 1. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der
Diskriminierung der Frau in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten und gewährleisten insbesondere
folgende Rechte auf der Grundlage der Gleichheit von Mann und Frau:
a)gleiches Recht auf Eheschließung;
b)gleiches Recht auf freie Wahl des Ehegatten sowie auf Eheschließung nur mit freier und voller Zustimmung;
c)gleiche Rechte und Pflichten in der Ehe und bei deren Auflösung;
d)gleiche Rechte und Pflichten als Eltern, ungeachtet ihres Familienstands, in allen ihre Kinder betreffenden
Angelegenheiten; in jedem Fall haben die Interessen der Kinder Vorrang;
e)gleiches Recht auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über die Anzahl und Altersunterschiede
ihrer Kinder und auf Zugang zu den zur Ausübung ihrer Rechte erforderlichen Informationen,
Bildungseinrichtungen und sonstigen Mitteln;
f)gleiche Rechte und Pflichten in Fragen der Vormundschaft, Pflegschaft, Treuhandschaft und Adoption von
Kindern oder ähnlicher Einrichtungen, soweit das innerstaatliche Recht derartige Rechtsinstitute kennt; in
jedem Fall haben die Interessen der Kinder Vorrang;
g)dieselben persönlichen Rechte der Ehegatten, einschließlich des Rechts auf Wahl des Familiennamens, eines
Berufs und einer Beschäftigung;
h)gleiche Rechte beider Ehegatten hinsichtlich Eigentum, Erwerb, Bewirtschaftung, Verwaltung, Nutzung und
Verfügung über Vermögen, gleichgültig, ob diese Rechte unentgeltlich oder entgeltlich sind.
2. Die Verlobung und Verheiratung eines Kindes hat keine Rechtswirksamkeit; es werden alle erforderlichen
Maßnahmen, einschließlich der Erlassung von Rechtsvorschriften, unternommen, um ein Mindestalter für die
Ehefähigkeit festzulegen und die Eintragung der Eheschließung in ein offizielles Register zur Pflicht zu machen.
395
CEDAW, Artikel 16.
396
UN Zivilpakt: ICCPR-International Covenant on Civil and Political Rights. Ratifikation in Österreich:
10.9.1978. Online im Internet: URL: http://www.institut-fuermenschenrechte.de/de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/zivilpakticcpr.html#c1407 [Stand 2013 – 02 – 12].
397
„Kinderrechtskonvention“, BGBl. Nr. 7/1993, in Österreich in Kraft getreten: 5.9.1992.
398
RÖSSL, S. 126.
394
78
Es wurde in der vorliegenden Arbeit schon mehrfach erwähnt, dass seit dem
Jahrtausendwechsel der „Kampf gegen traditionell motivierter Gewalt“ europaweit
intensiviert wurde. Im Jahr 2005 verabschiedete der Europarat die „Resolution gegen
Zwangsheirat und Kinderehen“ 400 , welche das Problem möglicher Zwangsausübung im
Zusammenhang mit Eheschließungen in „migrantischen Communities“ verortet. Folgende
Empfehlungen wurden ausgesprochen 401 und sind in vielen Mitgliedsstaaten mittlerweilen
bereits umgesetzt:

Nicht-Anerkennung von im Ausland geschlossenen Zwangsehen

Erleichterung der Eheaufhebung

Einführung des spezifischen Straftatbestandes „Zwangsehe“

Festlegung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre
5.9.4.4.Nationale zivilrechtliche Bestimmungen
5.9.4.4.1. Österreichisches Eherecht
Die Eheschließung begründet in Österreich einerseits „eine Rechtsbeziehung zwischen den
EhepartnerInnen, andererseits verleiht sie den Beteiligten den Status `verheiratet`, der
gegenüber der Allgemeinheit wirkt und bestimmte Rechtsfolgen nach sich zieht.“ 402 Die
Freiwilligkeit von Eheschließungen ist in Österreich geschützt, so muss z. B. nach § 17 des
Ehegesetzes die Willenserklärung persönlich durch die zukünftigen EhepartnerInnen
abgegeben werden.
„Die rechtspolitischen Reformbestrebungen im Kontext der Debatten über „Zwangsverheiratung“ in Österreich konzentrieren sich auf das Strafrecht, während das Eherecht
wenig bis gar nicht thematisiert wurde.“ 403 Aber auch im Eherecht gilt das Prinzip der
Eheschließungsfreiheit, so findet sich im § 39 des Ehegesetzes die Bestimmung, „wonach
399
BECLIN, S. 162.
EUROPARAT (2005): Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1468. Online im Internet:
URL: http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/200510/Sept.05_Entschl1468_Zwangsheirat_Empf1723.asp [Stand 2012 - 11 – 26]. Sowie EUROPARAT (2005):
Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1723. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/2005-10/Empfehlung1723-Heirat.asp#TopOfPage
401
Vgl. Ebd.
402
RÖSSL, S. 123f.
403
Ebd., S. 128.
400
79
eine Ehe, die aufgrund von Drohung zustande gekommen ist, binnen eines Jahres ab Wegfall
der Zwangslage (§ 40 EheG) aufgehoben werden kann.“404
In diesem Zusammenhang zweifelt Ines Rössl an, „ob die österreichische Rechtslage in
diesem Punkt den Vorgaben der Marriage-Convention entspricht“405, die im Artikel 1 besagt,
„dass eine unter Zwang geschlossene Ehe von Anfang an rechtlich ungültig sein soll.“406
„In der Rechtspraxis kommt § 39 EheG allerdings kaum zur Anwendung“ 407 , in der
Beratungspraxis – z. B. der Beratungsstelle DIVAN
408
– gab es seit Bestehen des
Beratungsangebotes keine Eheaufhebung aufgrund einer Drohung im Sinn von § 39 EheG,
wonach ein „körperliches, psychisches, vermögensrechtliches oder gesellschaftliches Übel“409
droht,
wenn
die
Heirat
nicht
zustande
kommt.
„Insbesondere
aufgrund
der
Beweisschwierigkeiten wählen betroffene Personen eher den Weg einer Scheidung, um eine
Zwangsehe zu beenden.“410
Der Schutz der Eheschließungsfreiheit gilt auch als Argument im Zusammenhang mit eigentlich sittenwidrigen – Geldzahlungen („Brautpreis“) unter Erziehungsberechtigten
anlässlich einer Verlobung. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofes in Österreich411 aus
dem Jahr 2000 könne eine Geldleistung „einen ernsthaften Druck auf die Motivation der
Minderjährigen zur Eheschließung“412 ausüben.
„ […] Übertragen auf analoge Situationen bedeutet das Urteil: Ein Mädchen, das gegen Geld
verlobt wurde, muss damit rechnen, dass ein Verlöbnisbruch zu einem finanziellen Nachteil
ihre Eltern führt, da diese bereits empfangene Geldleistungen zurückzahlen müssen. Diese
Konsequenz könnte eine junge Frau dazu bewegen, eine ungewollte Ehe einzugehen, anstatt
das Verlöbnis aufzulösen. Damit wird der Ausstieg aus derartigen Konstellationen erschwert
404
§ 39 und § 40 EheG.
RÖSSL, S. 129.
406
UN, Convention on consent for marriage.
407
RÖSSL, S. 130.
408
Vgl. CARITAS, Bericht DIVAN 2012 bzw. Klientinnen-Dokumentation.
409
Vgl. OGH, 6 Ob 232/69, vom 8.10.1969. Aktuelle Kommentare und Rechtsprechungen zur Thematik
Eheaufhebung wegen Drohung sind nicht vorhanden bzw. vier Jahrzehnte alt. Interessant ist auch der Hinweis,
dass im 19. Jh. der rechtswissenschaftliche Diskurs zu dieser Fragestellung präsenter war. Vgl. dazu: RÖSSL, S.
129f.
410
Ebd., S. 130. In Bezug auf die Beratungsstelle „Divan“ bedeutet das z. B. für 2012, dass von 14 Klientinnen,
die zum Zeitpunkt des Erstgespräches in einer „aufrechten Zwangsehe“ standen neun Frauen die Scheidung
einreichten. Vgl. CARITAS, Bericht DIVAN 2012, S. 21.
411
Anlassfall im Roma-Kontext, wo nach der Auflösung der Verlobung die Rückzahlung des Geldbetrages
eingeklagt wurde.
412
OGH, 4 Ob 199/00v, vom 13.9.2000.
405
80
und indirekter Zwang ausgeübt, wenn auch diesmal nicht in Bezug auf das Zustandekommen
des Verlöbnisses, sondern hinsichtlich seiner Auflösung.“413
Gemäß § 16 des Internationalen Privatrechtes 414 werden in Österreich auch jene Ehen
anerkannt, die im Ausland nach dem Recht des Ortes gültig415 geschlossen wurden.
5.9.4.4.2. Österreichisches Gewaltschutzgesetz und Sicherheitspolizeigesetz
Im Artikel 32 des Europaratsübereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häuslicher Gewalt416 wird auf die zivilrechtlichen Folgen der Zwangsheirat
Bezug genommen. Diese sind die Nichtigkeitserklärung oder die Auflösung der Ehe, die den
Entzug der rechtlichen Wirksamkeit zur Folge haben bzw. die Anfechtbarkeit der Ehe, im
Falle der Infrage-Stellung der Rechtsgültigkeit von einer der Parteien.“417
5.9.4.5.Strafrechtliche Bestimmungen in Österreich
Laut § 106 des Österreichischen Strafgesetzbuches sind (seit 2006)418 „Zwangsheiraten“ als
„schwere Nötigung“ strafbar. 419 „Eine Nötigung bedeutet eine `Willensbeugung mittels
Gewalt` oder `gefährlicher` Drohung.“420 Für alle Beteiligten an einer Zwangsverheiratung
413
RÖSSL, S. 136.
§ 16 Abs 2 IPR. „Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten
zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.“
Online im Internet: URL:
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002426 [Stand
2012 – 12 -05].
415
Ausgenommen bei Verletzung der Grundsätze des österreichischen Rechtssystems („ordre public“), z. B. bei
Polygamie.
416
COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 76.
417
Ebd. Im Privatrecht der Vertragsparteien werden verschieden Konzepte zur Anwendung kommen, diese
sollen aber für die Betroffenen leicht verfügbar sein und keine „übermäßige finanzielle oder administrative
Belastung“ darstellen.
418
Mit der am 1.7.2006 in Kraft getretenen Novellierung wurde die Zwangsverheiratung aus dem
Geltungsbereich des § 193 StGB herausgenommen und somit sämtliche einschlägige Privilegierungen der
Ehegatten beseitigt, die bis dato eine verhältnismäßig niedrige Strafe für Ehetäuschung und Ehenötigung
bekamen. Eine Nötigung durch Dritte wurde bereits als schwere Nötigung gesehen. Näheres zur gerichtlichen
Strafbarkeit von Zwangsheirat nach der alten Rechtslage: BECLIN, S. 151 – 153.
419
§
106
StGB.
BGBl.
I
Nr.
56/2006
(1.7.2006).
Online
im
Internet:
URL:
http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR40077295 [Stand
2012 – 12 – 05].
420
§ 106 StGB: (1) Wer eine Nötigung begeht, indem er
mit dem Tod, mit einer erheblichen Verstümmelung oder einer auffallenden Verunstaltung, mit einer
1. Entführung, mit einer Brandstiftung, mit einer Gefährdung durch Kernenergie, ionisierende Strahlen oder
Sprengmittel oder mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz oder gesellschaftlichen Stellung droht,
die genötigte oder eine andere Person, gegen die sich die Gewalt oder gefährliche Drohung richtet, durch
2.
diese Mittel längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt oder
414
81
gilt ein einheitlicher Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Durch
die Gestaltung als „Offizialsdelikt“ lastet die Verantwortung für die Strafverfolgung nicht auf
dem Opfer, dessen Aussage aber als zentrales Beweismittel gilt, wenn nicht vom
Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht wird.421
Im Kontext von Zwangsheirat fühlen sich die Betroffenen oft bedroht, strafrechtlich lautet die
Definition des Begriffes Drohung laut § 74 StGB 422 laut taxativer Aufzählung folgendermaßen:
Eine „Drohung mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen, die geeignet
ist, dem Bedrohten423 mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit
424
oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse einzuflößen.“
Als Schwachpunkt der strafrechtlichen Bekämpfung von Zwangsverheiratungen wird in
einem Kommentar zum Strafgesetzbuch die Nichterfassung von „Drohungen, die
ausschließlich auf die psychische Integrität abzielen, wie etwa die emotionale Erpressung
damit, dass im Fall des Widerstandes des Opfers jeder Kontakt zur Familie abreißen
werde“425 aufgezeigt. Weiters wird eingeschätzt, dass es eher unwahrscheinlich sei, „dass die
im Kontext von Zwangsheirat typischen Konstellationen der Willensbeugung künftig als
gefährliche Drohungen gegen das Rechtsgut der Ehre gesehen werden könnten“ 426, da die
ausjudizierten Beispiele „für einschlägige angedrohte Übel“ den Tatbestand eines Deliktes
erfüllen, „das dem vierten Abschnitt des StGB unter der Überschrift `Strafbare Handlungen
gegen die Ehre` zuzuordnen ist.“427
die genötigte Person zur Eheschließung, zur Prostitution oder zur Mitwirkung an einer pornographischen
3. Darbietung (§ 215a Abs. 3) oder sonst zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung veranlasst, die
besonders wichtige Interessen der genötigten oder einer dritten Person verletzt,
ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
(2) Hat die Tat den Selbstmord oder einen Selbstmordversuch der genötigten oder einer anderen Person, gegen
die sich die Gewalt oder gefährliche Drohung richtet, zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von einem
bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
421
RÖSSL, S. 128.
422
§ 74 Abs 1 Z 5 StGB.
423
Der Gesetzestext ist (noch) nicht gegendert.
424
§ 74 Abs 1 Z 5 StGB.
425
JERABEK, Robert/REINDL-KRAUSKOPF, Susanne/SCHROLL, Hans Valentin (2008): § 74. In: HÖPFEL,
Frank/RATZ, Eckart (Hrsg.): Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Auflage. Wien. §§ 68 – 74. Rz 31.
426
Ebd.
427
§§ 111 – 117 StGB.
82
Im Dezember 2011 wurde auf Initiative von Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz und
Justizministerin Beatrix Karl die Gesetzesnovelle zur „Nicht-Anerkennung von im Ausland
geschlossenen Zwangsehen“ – so der in den Medien428 kommunizierte Titel - im Nationalrat
verabschiedet429 und somit ein langjähriger Schwachpunkt der strafrechtlichen Bekämpfung
von Zwangsverheiratungen beseitigt.
„Wer
jemanden
bestraft,
und
in
auch
entweder
Österreich
zur
wenn
Täter
haben.
Ehe
diese
oder
Der
zwingt,
wird
künftig
Zwangsverheiratung
Opfer
Österreicher
Strafrahmen
dafür
im
sind
liegt
in
jedem
Ausland
oder
bei
ihren
sechs
Fall
stattfindet
Aufenthalt
Monaten
bis fünf Jahren Freiheitsentzug.“430
Die Strafgesetznovelle 2011431, „im Sinne einer Fortschreibung der Maßnahmen des Zweiten
Gewaltschutzgesetzes“ 432 trat mit 1. Jänner 2012 in Kraft und spricht nicht explizit von
Zwangsehen, sondern von der
„Strafverschärfung bei Gewaltdelikten von volljährigen gegen unmündige Personen. Künftig
wird ein besonderer Erschwerungsgrund bei Tatbegehung unter Anwendung von Gewalt oder
gefährlicher Drohung durch eine volljährige gegen eine unmündige Person gesetzlich
verankert. Die österreichische Gerichtsbarkeit wird auf bestimmte Straftatbestände, z.B.
auf sexuellen Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person oder auf
Genitalverstümmelungen, bei Tatbegehung im Ausland ausgedehnt (unabhängig von der
Strafbarkeit am Tatortstaat), wenn die Täterin/der Täter oder das Opfer die österreichische
Staatsangehörigkeit besitzt oder ihren/seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.“433
428
FRITZL, Martin (2011): Auch Zwangsheirat im Ausland bestrafen. In: Die Presse. Onlineausgabe vom
22.10.2011. Online im Internet: URL: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/703253/Kurz_AuchZwangsheirat-im-Ausland-bestrafen [Stand 2013 -02 -12].
429
Die Novellierung ist auch für den Bereich „Genitalverstümmelung“ gültig.
430
Vgl. Pressesaussendung von Staatssekretär Sebastian Kurz:
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20111206_OTS0279/kurz-erfreut-ueber-heutigen-beschluss-gegenzwangsehe-im-nationalrat [Stand 2012 - 12 – 09].
431
BGBl I Nr. 130/2011.
432
REPUBLIK ÖSTERREICH (2011): Parlamentskorrespondenz Nr. 1194 vom 06.12.2011. Online im Internet:
URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2011/PK1194/ [Stand 2012 – 11 – 26].
433
Vgl. BGBl I Nr. 130/2011.
83
Abschließend soll noch kritisch bemerkt werden, dass die Bedeutung des Strafrechtes
„im Hinblick auf die plakative Normverdeutlichung unbestritten [ist], da die Androhung
gerichtlicher Strafen einerseits die schärfste Form staatlicher Missbilligung darstellt und
andererseits das Strafrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten aufgrund der medialen
Berichterstattung einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreicht.“434
Fakt ist aber, dass die „Effizienz des Strafrechts“ in jenen Bereichen minimal bleibt, „in
denen die Anzeigenbereitschaft gering ist.“435
Ines Rössl gibt auch zu bedenken, dass der „bei der Nötigung angewandte Gewaltbegriff“
nicht unumstritten sei:436
„Er tendiert dazu, ein körperlicher Gewaltbegriff zu sein, jedoch nicht ausschließlich, da in
manchen Fällen auch Freiheitsentzug (zum Beispiel Einsperren), psychische Gewalt und
komplette Willensausschaltung (z. B. durch Hypnose oder Betäubung) als Gewalt betrachtet
werden kann.“437
Aufgrund des massiven Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Genötigten und NötigerInnen
gibt es auch viele Fälle, wo manifeste Gewalt keine Rolle spielt.
„Vielmehr führen in aller Regel weit subtilere Nötigungsmittel zum Ziel, die weniger
`sichtbar`, daher schwerer beweisbar und insofern sogar `effektiver` sind als physische
Gewalt.“438
5.9.4.6.Fremdenrechtliche Bestimmungen in Österreich
Die aufenthaltsrechtliche Situation ist für den Ausstieg aus einer Ehe, neben verschiedenen
anderen Faktoren, sehr relevant. „Drittstaatsangehörige, die ihre/n (drittstaatsangehörigen
oder österreichischen) EhepartnerIn nach Österreich nachgezogen sind, leiten ihr
Aufenthaltsrecht 439 während der ersten fünf Jahre in Österreich von ihrem/r EhepartnerIn
ab,“440 hieß es in der alten Regelung, die bis Ende Juni 2011 gültig war. Die mit 1.7.2011 in
434
BECLIN, S. 150.
Ebd.
436
Vgl. HOCHMAYER, Gudrun/SCHMOLLER, Kurt (2003): Die Definition der Gewalt im Strafrecht. In:
Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung (Hrsg.): Österreichische Juristen Zeitung. Wien. Jg. 58, S.
36ff.
437
RÖSSL, S. 128.
438
BECLIN, S. 153.
439
Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" (befristete Niederlassung mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang).
440
RÖSSL, S. 130. Ausgenommen sind Familienangehörige von InhaberInnen einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“,
einer „Blaue Karte EU“ und bereits dauerhaft in Österreich niedergelassenen Drittstaatsangehörigen. Vgl.
435
84
Kraft getretene Novelle des Fremdenrechts441 räumt nun die Möglichkeit eines eigenständigen
Aufenthaltstitels ein, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug wegfallen. Damit
wurde einer langjährigen Forderung von Beratungsstellen in Bezug auf die rechtliche Abhängigkeit
vom Partner Rechnung getragen. 442
Wenn eine Frau die Voraussetzungen für eine eigenständige Niederlassung443 erfüllt, hat sie
ein Recht auf eine Niederlassungsbewilligung.444 Die derzeitigen Erteilungsbedingungen für
einen Aufenthaltstitel sind für Frauen mit geringem oder ohne eigenständigem Einkommen445
in der Praxis schwer erfüllbar. Bedingung sind „ausreichende Existenzmittel 446 , Krankenversicherungsschutz, ortsübliche Unterkunft und Kenntnisse der deutschen Sprache auf A1 Niveau des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.“447
Mit den letzten Novellierungen des NAG wurden auch Bestimmungen eingeführt, wonach
unter
anderem
Familienangehörige,
die
entweder
Opfer
einer
Zwangsehe
oder
BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, Informationsblatt Familienzusammenführung. Wien. 2011. Online
im Internet: URL:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/Allgemeine_Informati/Beilage_Familienzusammenfuehrung_.pdf [Stand
2012 - 11 – 29].
441
BGBl. I Nr. 38/2011: Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - FrÄG 2011. Online im Internet: URL:
http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=BgblAuth&Dokumentnummer=BGBLA_2011_I_38 [Stand
2013 – 02 – 12].
442
LOGAR, Rosa/WEISS, Klara/STICKLER, Maja/GURTNER, Anja (2010): Migrantinnen und familiäre
Gewalt. In: Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie (Hrsg.): Tätigkeitsbericht 2009. Wien.
Überarbeitete
Version,
S.
1.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.interventionsstellewien.at/images/doku/migrantinnen_familiaere_gewalt_ttb2009.pdf [Stand 2012 - 12 – 05].
443
nach § 11 Abs. 2 NAG.
444
Auch bei einer Trennung vom Ehepartner.
445
Z. B. aufgrund von Kinderbetreuungspflichten oder der Nichtanerkennung von beruflichen Qualifikationen
aus dem Herkunftsland. Aus dem Bericht des Bundesministeriums für Inneres geht hervor, dass das Lohnniveau
der im Ausland geborenen Bevölkerung 84% des durchschnittlichen Nettojahreseinkommens in Österreich
beträgt. Die Armutsgefährdung von nicht in Österreich geborenen Menschen liegt bei 24%, gleichzeitig ist auch
die Wohnkostenbelastung für MigrantInnen im Schnitt wesentlich höher. Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR
INNERES (2011): Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren. Erstellt von Statistik Austria und der
Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie für Wissenschaften.
Wien, S. 62f.
446
Sozialleistungen werden nicht berücksichtigt. Die Höhe des Richtsatzes beträgt für das Jahr 2013 für
Alleinstehende 837,63 Euro, für Ehepaare 1.255,89 Euro und für jedes Kind zusätzlich 129,24 Euro. Online im
Internet: URL: http://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/dauerhafte-zuwanderung-rot-weiss-rotkarte/familienzusammenfuehrung.html#c2444 [Stand 2013 – 02 - 12].
447
Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, Informationsblatt Familienzusammenführung. Wien. 2011,
S. 2f. Online im Internet: URL:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/Allgemeine_Informati/Beilage_Familienzusammenfuehrung_201
2_02_07.pdf [Stand 2012 - 12 - 05].
85
Zwangspartnerschaft
448
sind oder in anderer Weise Opfer von Gewalt wurden, eine
eigenständige Niederlassung erhalten. § 27 449 des NAG regelt, dass „eine Frau, die ihr
Aufenthaltsrecht von ihrem Ehepartner ableitet“, das Anrecht auf weiteren Aufenthalt in
Österreich hat, „wenn `besonders berücksichtigungswürdige Gründe` vorliegen.“450
Opfer von „Gewalt in der Familie“ müssen glaubhaft machen, „dass die Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung `zum Schutz vor weiterer Gewalt in der Familie erforderlich` ist und
nachweisen, dass Gewaltschutzmaßnahmen 451 (z. B. Betretungsverbot bzw. Wegweisung)
erlassen wurden oder erlassen hätten werden können.“ 452 Bei diesen genannten Voraussetzungen kann eine „Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz“ nach § 69 a NAG
beantragt werden. Eine Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft der Betroffenen – trotz
angedrohter Konsequenzen - familiäre Gewalt zur Anzeige zu bringen. Die Hürde ist „für eine
Gruppe, die in aller Regel behördliches Einschreiten im familiären Umfeld als Tabubruch
sieht, schon für den Fall manifester Gewalt sehr hoch.“453
„Migrantinnen scheuen sich zum Teil, die Polizei zu rufen, und flüchten eher zu Verwandten,
Bekannten oder ins Frauenhaus. Daher sind ihre Chancen, eine Einstweilige Verfügung zu
erhalten, geringer. Werden die betroffenen Frauen von einer Opferschutzeinrichtung betreut,
sind ihre Aussichten auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach §27 erheblich höher: viele
erfahren erst in der Beratung von ihren [neuen] 454 Rechten und der Möglichkeit, sich vor dem
Ablauf von fünf Jahren von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen.“ 455
448
§ 30 a NAG.
§ 27 Abs. 2 NAG: Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des Abs. 2 Z 3 liegen insbesondere
vor, wenn
1. der Familienangehörige Opfer einer Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) ist;
der Familienangehörige Opfer von Gewalt wurde und gegen den Zusammenführenden eine einstweilige
2.
Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder
der Verlust des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden die Folge einer fremdenpolizeilichen Maßnahme
3. war, die auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung des Zusammenführenden wegen einer vorsätzlich
begangenen gerichtlich strafbaren Handlung gesetzt wurde.
449
450
Ebd.
In der Praxis handelt es sich um Stellungnahmen des Gewaltschutzzentrums sowie weiterer Beratungsstellen
(z. B. DIVAN).
452
Vgl. §69 a NAG.
453
BECLIN, S. 149.
454
Die häufigen Neuerungen des österreichischen Fremdenrechtes sind für Betroffene ohne die Unterstützung
einer Beratungsstelle nicht überblickbar.
455
LOGAR, S. 1f.
451
86
Die Aufenthaltsbewilligung wird für ein Jahr erteilt und muss immer wieder neu beantragt
werden. Die damit verbundenen Unsicherheiten wirken sich negativ auf die Betroffenen aus,
wie die Mitarbeiterinnen des Wiener Gewaltschutzzentrums schildern:
„Neben dem ohnehin sehr schwierigen Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung und den
zahlreichen Folgen wird durch diese Politik der Druck auf Frauen erhöht und wirkt sich
negativ auf ihre Gesundheit, das Familienleben und die Integration aus.“456
Folgende „Kann-Bestimmungen“ gelten für die Betroffenen:
„Für
InhaberInnen
einer
solchen
Aufenthaltsbewilligung
kann
eine
Beschäftigungsbewilligung ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt werden. Fremde, die bereits
zwölf Monate im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung „Besonderer Schutz“ sind, können eine
quotenfreie
„Rot-Weiß-Rot – Karte plus“
mit
unbeschränktem
Arbeitsmarktzugang
erhalten.“457
In der Praxis sind neben den aufenthaltsrechtlichen Fragen noch weitere Aspekte zu
berücksichtigen:
„Die prekäre Lage von Frauen, die im Zuge der Familienzusammenführung nach Österreich
gekommen sind und sich in der Folge scheiden lassen wollen, entspricht selbstredend nicht
nur aufenthaltsrechtlichen Schwierigkeiten, sondern ist das Zusammentreffen mehrerer
Umstände
(Familienstruktur,
Geschlechterhierarchien,
Ausbildung,
Sprache,
Sozial-
versicherungsrecht und Arbeitsmarktsituation), das mitunter zu existenzbedrohenden
Konstellationen führen kann.“458
Das Mindestalter für den/die nachziehende Ehegatten/in bzw. für den/die nachziehende
eingetragene PartnerIn beträgt 21 Jahre459, diese Regelung ist seit 1. Jänner 2010 in Kraft und
456
LOGAR, S. 2.
Vgl. die offizielle Information des Bundesministeriums für Inneres. Online im Internet: URL:
http://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/aufenthaltsbewilligung-fuer-betriebsentsandteselbstaendige-kuenstlerinnen-schuelerinnen-studierende-und-forscherinnen.html#c2616 [Stand 2013 – 02 – 13].
458
MARKOM, Christa/RÖSSL, Ines (2008): Exit-Möglichkeiten in Theorie und Praxis. Bedingungen für
Ausstiegsmöglichkeiten am Beispiel von Zwangsverheiratungen. In: SAUER/STRASSER, S. 91.
459
Von dieser Regelung ausgenommen sind – laut EuGh-Urteil, dass im April 2012 vom Österreichischen
Verfassungsgerichtshof übernommen wurde - TürkInnen, die mit in Österreich wohnhaften UnionsbürgerInnen
verheiratet sind. Ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei besagt, dass sämtliche
457
87
sollte „als
präventive
Jugendlichen“
460
Sicherungsmaßnahme
gegen
sogenannte
Zwangsehen
unter
dienen, vorher gab es keine Altersbeschränkungen im Rahmen des
Familiennachzuges.
So muss zum Abschluss der Auseinandersetzung mit fremdenrechtlichen Aspekten
festgehalten werden, dass aufenthaltsrechtliche Regelungen auch dazu beitragen, „dass sich
Personen dazu gezwungen sehen, in einer ungewollten Ehe zu bleiben, anstatt eine Scheidung
anzustreben.“461
„Die dringend notwendigen Anpassungen des österreichischen Fremdenrechtes wiederum, die
auf
eine
Liberalisierung
der
aufenthaltsrechtlichen
Bestimmungen
Arbeitsmarktzuganges hinauslaufen müssten, sind politisch umstritten.“
und
des
462
Verschärfungen des Fremdenrechts seit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 nicht anzuwenden sind
(„Verschlechterungsverbot“).
Vgl. EUROPÄISCHER GERICHTSHOF (2011): Beschluss C-256/11 vom 9.9.2011. Online im Internet: URL:
http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=T%25C3%25BCrkei&docid=111461&pageIndex=0&d
oclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=924887#ctx1 [Stand 2012 – 12 – 03].
460
Vgl. Materialien zur Regierungsvorlage. 952 der Beilagen XXII. GP, S. 115. Online im Internet: URL:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/I/I_00952/fname_040777.pdf [Stand 2012 - 12 – 04].
461
RÖSSL, S. 132.
462
BECLIN, S. 150.
88
5.9.4.7. EXKURS: Zwangsheirat als juristischer „Unterfall“ von Menschenhandel
Die Vermittlung von Zwangsehen bzw. die Nötigung zu einer Zwangsheirat entsprechen dem
Tatbestand § 104a StGB463 (Menschenhandel), da „die Zwangsehe als Form der sexuellen
Ausbeutung oder der Ausbeutung der Arbeitskraft interpretiert werden kann.“
Strafdrohung
für
jene
Person,
„die
eine
minderjährige
Person
mit
464
dem
Die
auf
Zwangsverheiratung gerichtetem Vorsatz `anwirbt, beherbergt oder sonst aufnimmt, befördert
oder einem anderen anbietet oder weitergibt`“ 465 ist um das Dreifache höher als beim
Tatbestand der einfachen Nötigung.
Der „große Umfang möglicher Tatmittel ermöglicht es, […] [die] ´emotionale Erpressung` zu
einer
Eheschließung
auch
hinsichtlich
erwachsener
Opfer
unter
den
Voraussetzungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu sanktionieren.“
gegebenen
466
Bemerkenswert sind in der Frage der „Anwendbarkeit des § 104a StGB auf Zwangsehen“467
die „Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage“468, die unter anderem auch festlegen,
dass das „Vorbereitungsstadium“ 469 der aufgezählten Verhaltensweisen „im Vorfeld der
eigentlichen Ausbeutung“ 470 strafbar sei (Vorbereitungsdelikt) und dass unter Ausbeutung
„eine weitgehende und nachhaltige Unterdrückung vitaler Interessen des Opfers“ 471 zu
verstehen seien.
463
§ 104a. StGB. BGBl. I Nr. 15/2004 vom 1.3.2004.
(1) Wer 1.eine minderjährige Person oder 2.eine volljährige Person unter Einsatz unlauterer Mittel (Abs. 2)
gegen die Personmit dem Vorsatz, dass sie sexuell, durch Organentnahme oder in ihrer Arbeitskraft ausgebeutet
werde, anwirbt, beherbergt oder sonst aufnimmt, befördert oder einem anderen anbietet oder weitergibt, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(2) Unlautere Mittel sind die Täuschung über Tatsachen, die Ausnützung einer Autoritätsstellung, einer
Zwangslage, einer Geisteskrankheit oder eines Zustands, der die Person wehrlos macht, die Einschüchterung
und die Gewährung oder Annahme eines Vorteils für die Übergabe der Herrschaft über die Person.
(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer die Tat unter Einsatz von
Gewalt oder gefährlicher Drohung begeht.
(4) Wer die Tat gegen eine unmündige Person, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, unter Anwendung
schwerer Gewalt oder so begeht, dass durch die Tat das Leben der Person vorsätzlich oder grob fahrlässig
gefährdet wird oder die Tat einen besonders schweren Nachteil für die Person zur Folge hat, ist mit
Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“
464
BECLIN, S. 156.
465
Vgl. § 104 a (1) StGB.
466
BECLIN, S. 157.
467
Ebd.
468
Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage (EBRV) zum StRÄG 2004. Beilage 294 der XXII.
Gesetzgebeungsperiode
(2003).
Wien,
S.
11.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/I/I_00294/fname_010159.pdf [Stand 2012 - 12 – 12].
469
EBRV, S. 12.
470
BECLIN, S. 157.
471
EBRV, S. 12.
89
Katharina Beclin stellt auch einen Vergleich der Zwangsehe mit der sogenannten
„dirigierenden Zuhälterei“ 472 her, der – aber nur auf den ersten Blick - als weit hergeholt
erscheint. In Anbetracht dessen,
„dass zwangsverheiratete Menschen gezwungen werden, eine Sexualbeziehung – und zwar oft die
erste ihres Lebens – zu einem Menschen einzugehen, den sie ablehnen, und von ihnen weiters
implizit erwartet wird, ungeschützten Verkehr mit ihm oder ihr zu haben, da das Zeugen
beziehungsweise Gebären eines oder mehrerer Kinder ebenfalls als ihre Pflicht betrachtet wird,
werden zumindest aus Opfersicht Parallelen zwischen Zwangsheirat und dirigierender Zuhälterei,
wenn nicht sogar `Zwangsprostitution`, offensichtlich. (Unerwünschte) Schwangerschaften stellen
in solchen Konstellationen ein zusätzliches schwerwiegendes Element der Ausbeutung weiblicher
473
Opfer dar.“
Die vitalen Interessen der Betroffenen und eine autonome Lebensgestaltung, wie
„PartnerInnenwahl, Beziehungsgestaltung, Sexualleben und Familienplanung“474 werden den
Betroffenen verwehrt.
In Bezug auf die Ausbeutung der Arbeitskraft nennt Katharina Beclin das Beispiel einer
zwangsverheirateten Schwiegertochter, die angehalten wird, „im ´eigenen´ und im Haushalt
der Schwiegereltern ohne entsprechende Abgeltung zu arbeiten, und dabei beispielsweise in
ihrer Zeiteinteilung oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, also etwa nicht ohne
Begleitung die Wohnung verlassen darf.“475
472
Dirigierende Zuhälterei: „Hierunter fällt das Erteilen von Anweisungen an Prostituierte, die diese in ihrer
Selbstbestimmung beeinträchtigen, seien es Bedingungen hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Ausübung sowie des
zu verlangenden Entgelts.“ Vgl. PHILIPP, Thomas (2008): Zuhälterei § 216. In: HÖPFEL, Frank/RATZ, Eckart
(Hrsg.): Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Auflage. Wien, §§ 213 – 220 a, Rz. 14.
473
BECLIN, S. 158.
474
Ebd.
475
BECLIN, S. 159.
90
5.9.4.8. EXKURS: Zwangsheirat als weltweite Erscheinung - Das Phänomen der
Kinderehe
Das Phänomen Zwangsheirat beruht auf lange Traditionen und ist weltweit verbreitet.
International gibt es kaum Datenmaterial, „da Ehe und Geburten in etlichen Ländern nicht
registriert werden“476, alarmierende Zahlen und Schätzungen gibt es über die Verheiratung
von Kindern.
Dem aktuellen Bericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) 477 aus dem
Jahr 2012 zufolge, treten Kinderehen in allen Regionen der Welt auf, wobei verhältnismäßig
mehr Mädchen betroffen sind und diese in Südasien und in afrikanischen Ländern südlich der
Sahara leben. 46 Prozent der jungen Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren waren 2010 in
Südasien an ihrem 18. Geburtstag bereits verheiratet, wovon in Bangladesch der höchste
Prozentsatz (66 %) an Kinderehen festgestellt wird. Sollte sich der gegenwärtige Trend
fortsetzen, rechnet UNFPA im Jahr 2030 mit ca. 130 Millionen Mädchen, die in Südasien
bereits im Kindesalter verheiratet sein werden.478
Weiters wird im Bericht die Situation der afrikanischen Länder südlich der Sahara erwähnt,
wo 37 Prozent der jungen Frauen in der Altersgruppe 20 bis 24 Jahre mit 18 Jahren bereits
verheiratet war, besonders negativer Spitzenreiter ist der Niger mit 75 Prozent. Für die
nächsten zwei Jahrzehnte liegt die Einschätzung des Bevölkerungsfonds über das Risiko der
Kinderehe bei zirka 70 Millionen Mädchen.
In Lateinamerika und den Karibischen Staaten sind in der erwähnten Altersgruppe 29 %
betroffen und die Schätzungen für die nächsten zwei Dekaden belaufen sich auf 45,5
Millionen betroffene Mädchen. 479
„Girls not Brides“ – „The Global Partnerschip to End Child Marriages“480, ein Zusammenschluss von rund 190 Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel 481 Kinderhochzeiten
476
LEHNHOFF, Liane (2006): Sklavinnen der Tradition. Zwangsheirat als weltweite Erscheinung. In: TERRE
DES FEMMES (Hrsg.): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen.
Tübingen, S. 11.
477
UNITED NATIONS POPULATION FUNDS (2012): Marrying to young. End child marriage. Report. New
York. Online im Internet: URL:
http://www.unfpa.org/webdav/site/global/shared/documents/publications/2012/MarryingTooYoung.pdf [Stand
2012 - 11 – 19].
478
Vgl. Ebd., S. 1.
479
Ebd.
91
einzudämmen und die Selbstbestimmung sowie das eigentliche Potential von Mädchen zu
fördern, schreibt auf der eigenen Homepage, „dass jährlich geschätzte 10 Millionen Mädchen
unter 18 Jahren heiraten.“482
Der am 11. Oktober 2012 erstmals weltweit begangene, von der UN ausgerufene, „Girls
Day“483 hatte deshalb auch die zentrale Forderung nach der Abschaffung von Kinderehen. Die
Vereinten Nationen verweisen zudem bei den sogenannten Entwicklungsländern neben der
hohen schulischen Dropout-Quote aufgrund der frühen Eheschließung auch auf das hohe
Risiko der Müttersterblichkeit in der Gruppe der 15 bis 19jährigen im Zusammenhang mit
Schwangerschaftskomplikationen. Der Schlüssel zur Veränderung der Lebenssituation dieser
betroffenen Mädchen liegt in verbesserten Bildungschancen und der Bewusstseinsarbeit über
diese traditionell motivierte Gewaltform.
Für Europa werden aktuelle UNICEF Zahlen angeführt, die sowohl für die Gruppe der
15jährigen als auch für die Gruppe der 18jährigen die Eheschließungen mit jeweils einem
Prozent beziffern.484
Im Blick auf jene Herkunftsgruppen, die sich nach ihrer Migration bzw. in der zweiten
Generation an österreichische Beratungsstellen mit der Thematik Zwangsheirat wenden, soll
die nachfolgende Aufstellung, basierend auf dem Datenmaterial von „Girls not Brides“ 485
bzw. UNICEF486, die Situation im jeweiligen Herkunftsland veranschaulichen.
480
Girls not Brides. Online im Internet: URL: http://www.girlsnotbrides.org/where-does-it-happen/ [Stand 2012
– 11 – 19].
481
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass sich erstaunlicherweise in der UN-Kinderrechte-Konvention
keine explizite Bestimmung gegen Kinderehen findet. Vgl. ASKARI, Ladan (1998): The Convention on the
Rights of the Child. The Necessity of Adding a Provision to Ban Child Marriages. IN: ILSA –
INTERNATIONAL LAW STUDENTS ASSOCIATION (Hrsg.): Journal of International & Comparative Law.
Chicago. Jg. 5, Heft 5, S. 123-138.
482
Vgl. Homepage Girls not Bride.
483
UN International Day of the Girl Child 11.10.2012. Kampagne „To young to wed“. Online im Internet: URL:
http://www.un.org/en/events/girlchild/ [Stand 2012 – 11 – 19].
484
Vgl. Homepage Girls not Brides.
485
Ebd.
486
UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND (2012): Children in an urban world. The state of the world`s
children. New York, S. 120 – 123. Online im Internet: URL: http://www.unicef.org/sowc/files/SOWC_2012Main_Report_EN_21Dec2011.pdf [Stand 2012 - 11- 20].
92
Abb. 5: Mädchen und junge Frauen in der Altersgruppe 20 – 24 Jahre (2000 – 2010)487
Prozentsatz d. Eheschließungen Prozentsatz der Eheschließungen
Land
bis zum 15. Geburtstag
bis zum 18. Geburtstag
Afghanistan
1%
39 %
Moldawien
1%
19 %
Pakistan
7%
24 %
Georgien
3%
17 %
Irak
3%
17 %
Ägypten
2%
17 %
Türkei
3%
14 %
Syrien
3%
13 %
Albanien
0%
10 %
Serbien
1%
6%
Bosnien/Herzegowina
0%
6%
487
Vgl. UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND, S. 120 – 123.
93
6.
„GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ – DER DISKURS IN
ÖSTERREICH
6.2. Politische Debatten und feministische Positionen
In den politischen Debatten lassen sich seit einigen Jahren drei feministische Positionen
festmachen:488
1. Eine Gruppe begrüßt die Initiativen gegen `traditionsbedingte Gewalt` und sieht in der
öffentlichen
Debatte
einen
wichtigen
Schritt
in
Richtung
Frauen-
und
Menschenrechte.489
2. Eine zweite Gruppe befürchtet, dass die Fokussierung auf `kulturelle` Formen der
Gewalt im Kontext der Debatten um Zuwanderung, Minderheiten und Integration zu
Stigmatisierungen beitragen könnte.490
3. Die dritte Gruppe versucht Wege zu finden, um die Diversität als Prinzip von
Gleichheit anzuerkennen, sowie Kultur nicht als Festschreibung von bestimmten
Handlungen oder Traditionen zu verstehen. Die Probleme von marginalisierten,
abweichenden oder widerständigen Individuen in ethnischen oder religiösen
Minderheiten sollen gesehen und nicht ignoriert werden.“491
Die neue Sichtweise auf die oben erwähnten „marginalisierten, abweichenden oder
widerständigen Individuen“ mobilisierte auch konservative und bis dato wenig an
feministischen Fragen interessierte Kreise, hatte aber zufolge, dass sehr einseitig die
Gewalterfahrungen von minorisierten Frauen „in anderen Kulturen“ in den Blick genommen
wurden. „Damit wurde zunehmend die Rolle des angeblich liberaleren Mainstreams492 bei der
488
Vgl. STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Einleitung. Multikulturalismus queer gelesen.
In: STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 9.
489
Beispielsweise Terre des femmes. Vgl. TERRE DES FEMMES (2004): Tatmotiv Ehre. (= Schriftenreihe
NEIN zu Gewalt an Frauen). Tübingen.
490
Vgl. RAZACK, Sherene H. (2004): Imperilled Muslim Women, Dangerous Muslim Men and Civilized
Europeans: Legal ans Social Responses to Forced Marriages. IN: RACKLEY, Erika (Hrsg.): Feminist Legal
Studies. Jg. 12. H.2, Dordrecht, S. 129 – 174. In Graz wird diese Position vor allem von SOMM
(Selbstorganisation von muslimischen Migrantinnen) vertreten, die diese Position auch in Form eines Flugblattes
und durch Rundmails anlässlich der Grazer Fachtagung „Zwischen Zwang und Selbstbestimmung“ am
10.3.2011 verbreitete. Online im Internet: http://www.somm.at/images/stories/Vom_ZwangOpferzusein.pdf
[Stand 2013 - 02 – 13].
491
Vgl. PHILIPPS, Anne (2007): Multiculutaralism without Culture. Princeton.
492
Auch im Blick auf die eigene Gesellschaft, wo beispielsweise die rechtliche und soziale Diskriminierung von
Homosexuellen, Bi- und Transsexuellen übersehen wird.
94
Aufrechterhaltung von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, Kinder und sexuelle
Minderheiten in der Gesellschaft vernachlässigt.“ 493 Postuliert wurde die „Unvereinbarkeit
zwischen dem Kampf für Frauenrechte“ und einem „Kampf für die Freiheit im religiösen oder
kulturellen Bereich“ oder einer „Bekämpfung von Diskriminierung von MigrantInnen oder
ethnischen Minderheiten“ andererseits.494
Sabine Strasser und Elisabeth Holzleithner orten eine „eigentümliche Selektivität“495 in der
Auseinandersetzung um traditionsbedingte Gewalt: „Die Fokussierung auf die Gewalt `der
anderen` wird dann suspekt, wenn gleichzeitig die Zuwanderungs-, Integrations- und
Frauenpolitik in einem Land kaum Bemühungen um minorisierte Frauen erkennen lassen.“496
„Der Kampf gegen Gewalt an Frauen läuft […] Gefahr, zu einer zusätzlichen Abwertung von
ohnedies
ökonomisch
marginalisierten,
kulturell wenig anerkannten
und politisch
unterrepräsentierten oder als integrationsunwillig beschriebenen Gruppen beizutragen.“497
Verstärkt wird dieses Phänomen durch die Fremdenfeindlichkeitsdebatte, die sich mittlerweile
in Österreich in Richtung Islamdebatte verändert hat und sich durch den globalen Kampf
gegen Terror verstärkt auf Sicherheitsfragen konzentriert.
„Der regelrechte `Multikulturalismus-Backlash`498 wurde schließlich auch mit Menschen- und
Frauenrechten begründet“499, Zugewanderte sollen auf die Hinwendung zu westlichen Werten
verpflichtet werden, worunter Gleichheit, Freiheit und Autonomie verstanden werden,
„während
die
minorisierten
Gruppen
durch
ihre
`Kultur`
zu
Ehrenmorden,
Zwangsverheiratungen, Underdrückung und Gewalt verdammt schienen.“500
Diese, oben beschriebene und in den meisten europäischen Ländern gemeinsame Tendenz ist
eines der Argumente für die Einführung neo-assimilationistischer Politiken. Die diskursive
Dichotomisierung, in der die Geschlechtergleichstellung in der Mehrheitsgesellschaft als
unbestritten und erreicht präsentiert wird, während im Gegensatz Migrantinnen ihrer
493
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 9.
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 20.
495
Ebd., S. 10.
496
Ebd., S. 9.
497
Ebd., S. 10.
498
Vgl. VERTOVEC, Steven/WESSENDORF, Susanne (2010): The multiculturalism backlash. European
discourses, policies and practices. Oxon/New York.
499
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 10.
500
Ebd., S. 10.
494
95
„geschlechtsungleichen Kultur und Religion“ unterworfen sind, wird auch als „Ethnisierung
oder Islamisierung des Sexismus“501 bezeichnet.
Die Debatte um Zwangsverheiratungen wird nicht zu einem gemeinsamen Problem, „sondern
zu einer weiteren Grenzziehung zwischen `Mehrheiten als geschlechteregalitär` und
`Minderheiten als gewalttägig`.“ 502 Hingegen wird, als Kontrast zum Zwang zur Ehe, der
„Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Ehe […] nach wie vor [in Österreich] 503 als
notwendig erachtet.“504
In Österreich war das Thema „Zwangsheirat“ in den Jahren 2005 und 2006 auf dem
Höhepunkt der Diskussion. Verstärkt durch die mediale Berichterstattung und die Debatten
um den EU-Beitritt der Türkei wurde die Thematik „Zwangsheirat“ stark mit der Türkei in
Verbindung gebracht, obwohl ExpertInnen immer wieder betonen, „dass es sich nicht um ein
türkisches/kurdisches, sondern ein patriarchales Phänomen handeln würde.“505
6.3. Medienberichterstattung
„Zwangsheirat“ wurde in Deutschland ab dem Jahr 2005 zum Gegenstand breiter
Medienberichterstattung 506 Tragische Schicksale im Zusammenhang von Befreiungen aus
erzwungenen Ehen bzw. über Opfer von Ehrenmorde wurden zum Gegenstand der
Berichterstattung.507 Der Fall der Ermordung von Hatun Sürücü durch ihre drei Brüder im
Februar 2005 zog eine Welle der Berichterstattung, Demonstrationen für Frauenrechte und
vor allem eine Integrationsdebatte in Deutschland nach sich. Auch die Gerichtsverhandlung
über die mutmaßlichen Täter hatte höchste mediale Aufmerksamkeit. Schlussendlich wurde
der 18jährige Bruder der Ermordeten nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, da
501
Vgl. STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Mulitkulturalismus im Widerstreit: Debatten
über kulturelle Diversität, Geschlechtergleichheit und sexuelle Autonomie. In: STRASSER/HOLZLEITHNER,
S. 27-46 sowie Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 20.
502
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 15.
503
Eine ähnliche Situation gibt es in vielen europäischen Staaten.
504
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 12.
505
Ebd., S. 13.
506
JESKE, Ina (2009): verliebt – verlobt – verkauft? Formen der Eheschließung von Frauen türkischer Herkunft
in Deutschland. Marburg, S. 9.
507
Hatun Sürücü (mit türkisch-kurdischem Hintergrund) wurde am 7.2.2005 in Berlin - Tempelhof von ihrem
Bruder ermordet, seit 2008 erinnert eine Gedenktafel daran. Vgl. LAU, Jörg (2005): Wie eine Deutsche. In: Die
Zeit, Nr. 9. 2005. Online im Internet: URL: http://www.zeit.de/2005/09/Hatin_S_9fr_9fc_9f_09 [Stand 2012 10 – 18].
96
„der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen seine Schwester tötete, [und] da er sich der
Familienehre wegen, die er durch den Lebensstil seiner Schwester verletzt sah, als
508
Vollstrecker über deren Lebensrecht erhob“
,
heißt es in der Pressemitteilung des Landgerichtes Berlin. Die zwei anderen Brüder wurden
aus Mangel an Beweisen freigesprochen und leben wieder in der Türkei.
Neben der Berichterstattung über Anlassfälle509 haben sich betroffene Frauen auch selbst zu
Wort gemeldet und in Autobiografien510 über ihre Befreiung aus der Zwangsehe berichtet, in
der Öffentlichkeit wurden sie als „Ikonen des Widerstandes“511 gefeiert und das Thema auch
in Filmen 512 aufgegriffen. Als bekanntestes Beispiel ist das Buch der deutschtürkischen
Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek mit dem Titel „Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem
Inneren des türkischen Lebens in Deutschland“ 513 zu nennen, der zu einem Bestseller
avancierte. Die Frauenrechtlerin rechnet vor allem mit dem Islam ab und kritisiert eine falsche
Toleranz gegenüber dieser Religion:
508
LANDGERICHT BERLIN (2006): Urteil im Verfahren gegen die drei Brüder S. (PM 14/2006).
Pressemitteilung
vom
13.4.2006.
Online
im
Internet:
URL:
http://web.archive.org/web/20090513092350/http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20060413
.1215.38728.html [Stand 2012 - 10 – 18].
509
Vgl. Homepage mit dokumentierten Ehrenmord-Fällen seit dem Jahr 2000 der Verlagsgruppe Random
House,
Dachgesellschaft
für
alle
Bertelsmann-Verlage.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.ehrenmord.de/doku/doku.php [Stand 2012 - 10 – 18].
510
Eine der ersten aus der Türkei stammenden Autorinnen, die das Schicksal von zwangsverheirateten und
unterdrückten Frauen in den Mittelpunkt rückten, war Saliha Scheinhardt. SCHEINHARDT, Saliha (1984): Drei
Zypressen. Berlin. Auch die Autobiografie der türkischstämmigen Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates
hatte große mediale Ressonanz. ATES, Seyran (2003): Die Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen
Türkin. Berlin. Zu weiteren Beispielen der Kategorie „Betroffenheitsliteratur“ vgl. TOPCU, Canan (2011):
Bücher von und über Muslima. In zwei Welten lebend. In: Frankfurter Rundschau vom 11.1.2011. Online im
Internet:
URL:
http://www.fr-online.de/literatur/buecher-von-und-ueber-muslima-in-zwei-weltenlebend,1472266,5198392.html [Stand 2012 – 10 – 18].
Islamkritische Äußerungen der aus Somalien stammenden und vor einer Zwangsheirat geflüchteten ehemaligen
niederländischen Parlamentsabgeordneten Ayaan Hirsi Ali führten in Zusammenhang mit der Ermordung des
niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im November 2004 sogar zu Morddrohungen gegenüber der
Kritikerin.
HIRSI ALI, Ayaan (2006): Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen. Übersetzt von
Anna Berger und Jonathan Krämer. München.
HIRSI ALI, Ayaan (2007): Mein Leben, meine Freiheit. Die Autobiografie. Übersetzt von Anne Emmert und
Heike Schlatterer. München.
HIRSI ALI, Ayaan (2012): Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen. Übersetzt von
Norbert Juraschitz , Anne Emmert und Karin Schuler. München. [Originaltitel: Normad: From Islam to America:
A Personal Journey through the Clash of Civilizations].
511
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 10.
512
Z. B. „Die Fremde“. Deutschland 2009. Regie: Feo Aladab. Online im Internet: URL:
http://www.diefremde.de [Stand: 2013 – 02 - 12 ] oder die umstrittene „Tatort“-Folge „Schatten der Angst“ vom
6.4.2008. Online im Internet: URL: http://tatort-fans.de/tatort-folge-694-schatten-der-angst/ [Stand 2013 – 02 12].
513
KELEK, Necla (2005): Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in
Deutschland. Köln.
97
„Es gibt eine panische Angst davor, Islamisten wegen ihrer Religion oder Herkunft zu
diskriminieren, lieber nimmt man deren Verletzung von Grundrechten in Kauf“514. Das Buch
wurde kontrovers diskutiert und „in einem von 60 namhaften MigrationsforscherInnenn
unterschriebenen offenen Brief kritisiert“
515
, da es sich „um ein Mischung aus
Erlebnisberichten und bitteren Anklagen gegen den Islam, der durchweg als patriarchale und
reaktionäre Religion betrachtet wird.“516
6.4. Datenlage
Die Datenlage in Bezug auf Zwangsverheiratungen ist sehr schwierig, weil „seriöse
Informationen über Art und Ausmaß des Phänomens“517 weitgehend fehlen. In vielen EULändern wurden Auftragsstudien von politischen Entscheidungsträgern vergeben, um aus den
Ergebnissen „politische und rechtliche Interventionsmöglichkeiten“518 abzuleiten, die meisten
Studien greifen auf „service-based-data519 und population-based-data520“ zurück, quantitative
Zahlen fehlen.
Ein weiterer Grund521 für die fehlende Bezifferung des Phänomens, abseits der Angaben von
Beratungsstellen, ist die Tatsache, dass es keine einheitliche Definition von Zwangsheirat
gibt: Das „subjektive Element von Zwang“ 522 ist schwierig zu beziffern und zentrale
Datenstellen fehlen. Daneben ist das Problem der Dunkelziffer virulent, da nicht alle
Betroffenen
sich
an
Institutionen
wenden
bzw.
im
umgekehrten
Fall
können
Mehrfachzählungen auftreten, wenn betroffenen Personen (zum Teil anonym) gleichzeitig
oder in unterschiedlichen Phasen der Bedrohung von mehreren Institutionen betreut und
beraten werden.
514
SENFFT, Alexandra (2005 ): Abrechnung mit dem Islam. Necla Keleks Aufschrei: Muslimische Frauen in
Deutschland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.2005. Nr. 123, S. 9. Online im Internet: URL:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/2.1715/abrechnung-mit-dem-islam-1235319.html
[Stand 2012 - 10 – 18].
515
JESKE, S. 9.
516
Die genannte Petition findet sich Online im Internet: URL:
http://www.zeit.de/2006/06/Petition/komplettansicht [Stand 2012 - 10 – 18].
517
STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 14.
518
Vgl. SCHILLER, Maria (2010): Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in
europäischen Ländern. In: STRASSER /HOLZLEITHNER S. 47 - 70.
519
Quantitative Haushaltserhebungen.
520
Quantitative und qualitative Dokumentationen von ExpertInnen aus Beratungseinrichtungen.
521
Vgl. SCHILLER, S. 62 bzw. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 33.
522
SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 33.
98
Für Österreich liegen aufgrund von fehlenden Erhebungen keine Daten vor, aus den
Jahresberichten jener zwei Beratungsstellen, die schwerpunktmäßig mit Betroffenen dieser
Themenstellungen arbeiten lassen sich für 2011 folgende konkrete Daten aufzeigen:
Orient Express (Wien)523
Orient Express unterstützt Betroffene aus allen Bundesländern, ausgenommen der Steiermark.
54 Bedrohungsfälle (v.a. im Alter zwischen 15 – 19 Jahren)
29 Betroffene von Zwangsheirat (v.a. zwischen 20 – 24 Jahre).
Vorwiegend mit türkischem (ca. 1/3), pakistanischen, afghanischen Migrationshintergrund,
der überwiegende Teil (über 2/3) besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, ca. 25 % die
türkische Staatsbürgerschaft.
DIVAN (Graz)524
16 Bedrohungsfälle (davon 7 Minderjährige)
24 Betroffene von Zwangsheirat
Die Frauen stammten aus der Türkei, Österreich (mit Migrationshintergrund), Afghanistan
und Tschetschenien.
523
VEREIN ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011 des Vereines „Orient Express - Beratungs-,
Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen“. Wien, S. 22f.
524
CARITAS GRAZ-SECKAU (2012): Bericht DIVAN 2011. Graz. S. 12f.
Für die Beratungsstelle DIVAN liegen auch die statistischen Zahlen für 2012 vor: 11 Bedrohungsfälle (davon 8
Minderjährige), 14 Betroffene von Zwangsheirat und weitere 31 Fälle von „anderen Äußerungsformen von
Gewalt im Namen der Ehre“, wie (angedrohte) Verschleppung, Morddrohungen etc. vgl. CARITAS GRAZSECKAU (2013): Bericht DIVAN 2012. Graz. S. 5.
99
7.
BERATUNGS- UND PRÄVENTIONSARBEIT
7.1.Herausforderungen in der direkten Beratungsarbeit mit Betroffenen
„Die Loyalität [und damit verbundene Ambivalenz] der betroffenen Personen gegenüber den
UrheberInnen der Gewalt“ 525 ist eine der größten Herausforderungen in der Arbeit von
Beratungsstellen im Kontext von „Gewalt im Namen der Ehre“. In der Praxis wenden sich
Betroffene an unterschiedliche Beratungsstellen im Gewaltschutzbereich bzw. an Institutionen
und Stellen, die mit MigrantInnen arbeiten. Nicht alle kontaktierten Stellen sind darauf
ausgerichtet, diese komplexen Situationen und Fälle kollektiver Zwangsausübung zu
bearbeiten und individuelle Interventionen zu setzen.
Es existiert „kein Idealtypus“526 einer Betroffenen, das Spektrum hinsichtlich „des Alters, der
Herkunft, des Ausbildungsniveaus und der beruflichen Situation“
527
ist daher sehr
umfangreich. Vor allem in der Arbeit mit Minderjährigen sind spezifische Maßnahmen528 zu
treffen.
Selbst spezialisierte Beratungsstellen können, aus Gründen der Parteilichkeit gegenüber den
Betroffenen, Lücken in der Interventionskette nicht schließen, z. B. „was die Betreuung der
UrheberInnen von Gewalt betrifft. Eine andere Herausforderung besteht darin, eine Balance
zu finden, wenn versucht wird, die Mitglieder der im Konflikt stehenden Familie durch eine
Konfliktmediation zum Dialog zu führen und dabei die Opfer zu schützen.“529
Betroffene Frauen, die eine Beratungsstelle aufsuchen, haben zumeist innerlich schon die
Entscheidung getroffen, das Erleiden von Zwang und Gewalt in irgendeiner Form zu stoppen.
„Auch wenn Frauen Opfer personaler und struktureller Gewalt werden, sehen sie sich selbst
nicht nur als Opfer, sondern auch als Kämpferinnen, sie sind Frauen mit einer schmerzhaften
verlustreichen, gebrochenen Biografie, die um ihr Überleben und ihre Würde kämpfen und die
525
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 91.
Ebd., S. 93.
527
Ebd.
528
In Absprache mit dem Jugendamt.
529
Ebd., S. 91.
526
100
in diesem Existenzkampf oft große Stärken und Kompetenzen entwickeln und soziale und
kulturelle Ressourcen aktivieren können.“530
In der praktischen Arbeit der Beratungs- und Kriseneinrichtungen sind die Herausforderungen
sehr umfangreich, denn um noch einigermaßen autonom zu handeln, müssen akut Betroffene
die Möglichkeit haben „diese Person jetzt nicht heiraten zu müssen.“ 531 Da bei einem
weiteren „Verbleib in der eigenen Familie respektive community“ 532 eine Reihe von Gefahren
bestehen können, wird die betroffene Person ihren unmittelbaren Bereich verlassen. „Flucht
ist oft die einzige Möglichkeit“533, wenn Lösungsmöglichkeiten im Inneren der Gemeinschaft
nicht möglich sind oder versagen.
Neben Zufluchtsmöglichkeiten bei FreundInnen und Bekannten sind staatlich geförderte
Unterkünfte für von Gewalt betroffene oder gefährdete Personen die wichtigste Anlaufstelle,
wenngleich nur als vorübergehende Lösung.
Aktuell gibt es in Österreich keine spezialisierte Krisenunterbringung für Bedrohte von
Zwangsheirat bzw. Betroffene von Zwangsehe, die Beratungsstellen können nur an
Frauenhäuser 534 oder Jugendwohlfahrtseinrichtungen weiterverweisen, die nicht für den
Schutz vor kollektiven Gefährdungen ausgerichtet sind. Laut aktuellem Regierungsprogramm
sollte eine „Betreute Notwohnung für Betroffene von Zwangsheirat“535 in Kürze umgesetzt
werden.536
„Voraussetzungen für eine Flucht sind nicht zuletzt Wissen und Entscheidungsfähigkeit.
Gerade Frauen, die starker Kontrolle ausgesetzt sind, fällt die Entscheidung, die eigene
530
STRASSER, Philomena (2003): Häusliche männliche Gewalt gegen Frauen in der Migration. In: Verein
Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen
Theorie und Praxis. Jg. 26. Heft 63/64. Köln, S.111.
531
STRASSER/HOLZLEITHNER, Mulitkulturalismus, S. 38.
532
Ebd.
533
Ebd.
534
Frauenhäuser: In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser mit 748 Plätzen, das sind gemessen an der Empfehlung
des Europarats 86 Plätze zu wenig. 26 Frauenhäuser haben sich zur Dachorganisation Verein Autonome
Österreichische Frauenhäuser zusammengeschlossen. Vgl. Homepage: http://www.aoef.at/cms/ [Stand 2013 – 02
– 13]. Die Finanzierung der vier Wiener Frauenhäuser durch die Stadt Wien ist durch einen langfristigen Vertrag
gesichert, die Frauenhäuser in den anderen Bundesländern werden nur zum Teil vom Staat subventioniert bzw.
haben Tagsatzregelungen. Vgl. WAVE, S. 24.
535
REPUBLIK ÖSTERREICH, Regierungsprogramm 2008-2013. Gemeinsam für Österreich
Regierungsprogramm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode. Wien, S. 161. Online im Internet: URL
http://www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=32965 [Stand 2013 – 02 -12].
536
Derzeit wird in Wien eine Wohnung für die genannte Einrichtung adaptiert, geplant sind ca. 8 Plätze ab Juni
2013, finanziert durch das Innenministerium sowie durch das Frauenministerium. Dankenswerte Auskunft
seitens des Frauenministeriums (Sibel Akgün) bzw. seitens Orient Express (Ayse Basari) als zukünftige Trägerin
dieser Krisenunterbringung.
101
Umgebung (vielleicht zum ersten Mal) zu verlassen, besonders schwer. Es bedarf individueller
Kapazitäten, sich ein Leben außerhalb des eigenen Nahbereichs überhaupt vorstellen zu
können.“537
Im Falle einer Zwangsehe spielt in vielen Fällen die Isolation der jungen Ehefrau eine
negative Rolle, aber auch im Falle der Flucht vor der Familie muss die betroffene Person mit
dem Verlust des gesamten sozialen Umfeldes zurechtkommen.
„Die Folgen für die gegen ihren Willen verheirateten Frauen sind beträchtlich. Die mit der
Heirat vielfach verbundenen Gewalttaten wie Vergewaltigung und sexueller Missbrauch in
der Ehe führen zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen […], Depressionen, Phobien
und psychosomatische Beschwerden bis hin zu psychotischen und manischen
Krankheitsbildern bei Betroffenen.“538
Der Zwang; eine ursprünglich arrangierte oder freiwillig eingegangene Ehe aufrecht erhalten
zu müssen, bedeutet für die Betroffenen eine Zwangsehe bzw. Gewalt in Form der
Einschränkung der persönlichen Freiheit bis hin zu Gewalt „im Sinne von strafrechtlich
relevanten Übergriffen, wie Nötigung, Körperverletzungen oder Eingriffe in die sexuelle
Integrität.“539
„In solchen Fällen ist aufgrund von Traditionen und Machtkonstellationen in der Regel auch
die Möglichkeit, sich aus einer ungewollten Ehe durch Scheidung, Aufhebung oder
Nichtigkeitserklärung der Ehe zu befreien, rechtlich oder faktisch stark eingeschränkt“540,
wird im „Situationsbericht über Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich“
beschrieben. Weiters wird - mit Bezug auf die Praxiserfahrungen von Beratungsstellen – auf
die manifeste Gewalt in (aufrechten) Zwangsehen hingewiesen:
„Diese Übergriffe werden einerseits gezielt eingesetzt, um das Opfer einzuschüchtern und so
an einem `Ausstieg `aus der Zwangsehe zu hindern. Andererseits treten sie als
Begleiterscheinungen des erzwungenen Zusammenlebens auf, die durch die patriarchalischen
Strukturen toleriert beziehungsweise begünstigt werden. Bisweilen sind es erst derartige
537
STRASSER/HOLZLEITHNER, Mulitkulturalismus, S. 40.
VOLZ, Rahel (2003): Zwangsheirat in Deutschland – eine tolerierte Menschenrechtsverletzung. In: Verein
Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen
Theorie und Praxis. Jg. 26. Heft 63/64. Köln, S.200.
539
BECLIN, S. 145.
540
LATCHEVA, Rossalina/EDTHOFER, Julia/GOISAUF, Melanie/OBERMANN, Judith (2007): Situationsbericht und Empfehlungskatalog – Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer
Berücksichtigung Wiens. Wien, S. 153.
538
102
Übergriffe, die das Opfer dazu bewegen, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen und im Zuge
der Kontaktaufnahme zu Hilfseinrichtungen auch die erlittene Zwangsverheiratung zu
thematisieren.“541
7.1.1. Beratungsangebote in Deutschland
In Deutschland gibt es in allen Bundesländern, ausgenommen Brandenburg, eine Vielzahl von
Jugendeinrichtungen,
Frauenhäuser,
Frauenberatungsstellen
aber
auch
spezialisierte
Beratungsstellen für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“ und Zwangsheirat, die von
gemeinnützigen Vereinen542 und zum Teil von konfessionellen Sozialeinrichtungen getragen
werden.
Aufgrund
der
–
im
Vergleich
zu
Österreich
–
unterschiedlichen
Zuwanderungsentwicklung in Deutschland, sind die ersten speziellen Beratungsangebote für
„Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ Mitte der 1980er entstanden. Beispielhaft soll
eine der langjährigsten Krisen- und Übergangseinrichtung in Berlin genannt werden:
„Papatya“. Die 1986 gegründete Einrichtung „bietet Schutz und Hilfe für Mädchen und junge
Frauen mit Migrationshintergrund, die aufgrund kultureller und familiärer Konflikte von zu
Hause geflohen sind und von ihren Familien bedroht werden“543.
Seit 1987 engagiert sich die von Ordensschwestern getragene Initiative „Solwodi“
("SOLidarity with WOmen in DIstress" – Solidarität mit Frauen in Not) in Deutschland mit
Beratungsstellen und Schutzwohnungen für ausländische Frauen und Mädchen, die in Not
geraten sind. Darunter befinden sich Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution,
Opfer von Beziehungsgewalt und Bedrohte und Betroffene von „Zwangsehen“.544
Erwähnenswert sind auch Kampagnen zur Sensibilisierung der Bevölkerung zur Problematik
Zwangsheirat bzw. zur Aufklärung im Vorfeld, die von den einzelnen Beratungsstellen
regional umgesetzt werden. Beispielhaft sei die Kampagne „STOPPT Zwangsheirat – NEIN
zu Gewalt an Frauen“ 545 von „Terre des Femmes“, einer gemeinnützigen Menschrechts541
Vgl. LATCHEVA, S. 123.
Mit Beratungs- und Bildungsangeboten für MigrantInnen.
543
Papatya: Eigendefinition laut Homepage. Online im Internet: URL: http://www.papatya.org/ [Stand 2012 – 10
– 17].
544
Solwodi: Eigendefinition laut Homepage: Online im Internetz: URL: http://www.solwodi.de/ [Stand 2012 –
10 – 17]. Gründerin und Vorsitzende ist die Ordensfrau Dr in Lea Ackermann.
545
TERRE DES FEMMES (2002): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Tübingen. Eigendefinition von
Terres des Femmes laut Homepage: „TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige
Menschenrechtsorganisation für Mädchen und Frauen, die durch internationale Vernetzung,
Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, persönliche Beratung und Förderung von einzelnen Projekten Mädchen und
542
103
organisation für Frauen und Mädchen, die bereits im November 2002 in Deutschland
durchgeführt wurde. Mittlerweile hat sich bei Terre des Femmes ein eigenes Referat "Gewalt
im Namen der Ehre" etabliert, dass sich neben der Öffentlichkeitsarbeit
546
und
Sensibilisierung für das Thema auch für die konkrete Beratung von Betroffenen sowie für
Gesetzesänderungen einsetzt. Ein vielfältiges Angebot von Unterrichtsmaterialien, Ausstellungen, Handlungsleitfäden für MultiplikatorInnen etc. steht sowohl Betroffenen als auch
Fachkräften zur Verfügung. Auf der eigenen Homepage547 werden seit 2009 alle deutschen
Anlaufstellen vernetzt, seit Oktober 2012 gibt es ein eigenes Jugendportal548 mit Online- und
Chatberatung für Betroffene und Angehörige.
7.1.2. Beratungsangebote in Österreich
„Der [in Wien ansässige] Verein „Orient Express“ hat bereits im Jahr 2000 die Problematik
der Zwangsheirat in Österreich erkannt und kämpft seither aktiv dagegen.“549 Das verfolgte
Hauptziel ist es, „Zwangsheirat zu verhindern und mit Hilfe verschiedenster AkteurInnen
sogar gänzlich abzuschaffen.“550
Ausschlaggebend für die Etablierung von „Zwangsheirat“ als Sonderschwerpunkt 551 des
Orient Express waren zahlreiche konkrete Fälle von (drohender) Zwangsheirat, auf die der
Verein bereits in den 1990ern aufmerksam wurde. Seit dem Jahr 2000 wurden neben der
Beratung, Betreuung und Begleitung von Bedrohten/Betroffenen auch Workshops in Schulen,
Trainings
für
MultiplikatorInnen
und
Plakatkampagnen
realisiert
sowie
Öffentlichkeitsarbeit 552 auf verschiedenen Ebenen geleistet. Erwähnenswert sind auch die
MultiplikatorInnen-Trainings, die seit 2011 in den Bundesländern abgehalten werden, um
Mitarbeiterinnen
von
Frauenhäusern,
Mädchen-und
Frauenberatungsstellen
sowie
LehrerInnen und SozialarbeiterInnen für den Themenbereich zu sensibilisieren.
Frauen unterstützt. TERRE DES FEMMES setzt sich dafür ein, dass Mädchen und Frauen ein gleichberechtigtes
und selbstbestimmtes Leben führen können und unveränderliche Rechte genießen.“ Online im Internet: URL
http://www.terre-des-femmes.de [Stand 2012 – 10 – 17].
546
U.a. Gedenkveranstaltungen für Opfer von Ehrenmorden.
547
Information für Fachkräfte und ExpertInnen. Online im Internet: URL http://info.zwangsheirat.de/ [Stand
2012 – 10 – 17].
548
Jugendportal. Online im Internet: URL https://zwangsheirat.beranet.info/ [Stand 2012 – 10 – 17].
549
ORIENT EXPRESS (2012): Internationale Konferenz „Gegen Zwangsheirat“ am 11.5.2012. Maßnahmen für
ein selbstbestimmtes Leben. Ein Ländervergleich. Kurzbericht. Wien, S. 2. Online im Internet: URL:
http://www.orientexpress-wien.com/_pdf/5062b0c8f27e6.pdf [Stand 2012 - 10 – 17].
550
Ebd.
551
Neben Sprachkursen und weiteren Beratungsangeboten.
552
Z. B. die Etablierung der Homepage: http://www.gegen-zwangsheirat.at/ [Stand 2013 – 02 – 13].
104
Der Verein betreut Bedrohte und Betroffene aus ganz Österreich, ausgenommen ist das
Bundesland Steiermark, wo auf die Beratungsstelle DIVAN verwiesen wird. Als neues
Angebot wurde 2012 eine Online-Beratung entwickelt und gestartet.
„Der Erfolg der Präventions- und Aufklärungsarbeit zeigt sich darin, dass die Zahl von
Mädchen und Frauen, die wegen Zwangsheirat […] Unterstützung suchen, jährlich steigt“553,
wird von Orient Express selbst definiert.
Auf
struktureller
Ebene
Unterbringungsmöglichkeit,
fordert
um
den
Orient
Express
Hilfesuchenden
seit
einen
Jahren
eine
sicheren
geschützte
Aufenthaltsort
gewährleisten zu können.
In Salzburg wurde im Jahr 2006 eine „Arbeitsgemeinschaft gegen Zwangsheirat“554 ins Leben
gerufen, „um die Situation der von Zwangsheirat betroffenen Mädchen und Burschen zu
verbessern und entsprechende Präventions- und Krisenmaßnahmen zu schaffen.“
Regelmäßig werden Schulworkshops
556
555
und Präventionsangebote umgesetzt sowie
Aktivitäten zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
In der Steiermark hat im Jänner 2011 557 die Beratungsstelle „Divan“ ihre spezifische
Beratungs- und Krisenarbeit mit Bedrohten von Zwangsheirat bzw. betroffenen,
zwangsverehelichten Frauen aufgenommen, da es konkreten Bedarf 558 gab. Zuvor gab es
553
ORIENT EXPRESS, 2012, S. 3.
Mitglieder der ARGE: Beratungsstelle Kompass, Frauenhaus Salzburg, Gewaltschutzzentrum Salzburg,
Verein Ekando Kumer, Integrationsbeauftragte der Stadt Salzburg, Kinder & Jugendanwaltschaft Salzburg,
Stabsstelle für Chancengleichheit, Anti-Diskriminierung und Frauenförderung, Verein Neustart Salzburg, Verein
Selbstbewusst, Verein Viele und make it/Mädchenbüro des Landes Salzburg.
555
Vgl.
Homepage
der
ARGE:
http://www.salzburg.gv.at/themen/gv/landesjugendreferat/makeit/make_it_arge_gegen_zwangsheirat.htm [Stand 2013 - 02 – 13].
556
Für die Schulworkshops wurden eigene, mehrsprachige Flyer entwickelt. Online im Internet: URL:
http://www.salzburg.gv.at/zwangsverheiratung_flyer_tuerkisch_v5.pdf [Stand 2013 - 02 – 13].
557
Nach einer spendenfinanzierten Pilotphase im Zeitraum Juli bis Dezember 2010.
558
„Das muttersprachliche Betreuungsteam des CARITAS Frauenwohnhauses wird seit einiger Zeit verstärkt
zur Hilfestellung bei frauenspezifischen Integrationsproblemen herangezogen. Neben der eigentlichen
Kernaufgabe der frauenspezifischen Beratung und Betreuung von Asylwerberinnen […] bietet das Team –
aufgrund des Bedarfes – seit Jänner 2010 fallweise auch Hilfestellung für Betroffene von „Gewalt im Namen der
Ehre“ an.“ Vgl. CARITAS GRAZ-SECKAU (2010): Frauenspezifische Beratung für Migrantinnen mit
spezialisiertem Angebot für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“. Konzept. Graz, S. 2.
554
105
bereits Initiativen auf Landesebene 559 , konkreter Anstoß für die Etablierung eines eigenen
Beratungsprojektes war aber ein
„dringlicher Antrag560 an den Grazer Gemeinderat im November 2009561, mit dem Vorschlag,
ein Konzept für eine Beratungs- und Schutzeinrichtung für betroffene Mädchen und Frauen zu
erstellen. Zusätzlich werden Maßnahmen zur Vorbeugung und Bewusstseinsbildung sowie
Aufklärungsarbeit in Schulen gefordert. Aufgrund dieses Antrages wurde die Caritas vom
Integrationsreferat der Stadt Graz gebeten, ein eigenes, spezifisches Angebot zu entwickeln und
schwerpunktmäßig aufzubauen.“562
Mittlerweile erstreckt sich die Tätigkeit der Beratungsstelle auf die ganze Steiermark und das
muttersprachliche interdisziplinäre Team versucht in enger Zusammenarbeit mit anderen
Gewaltschutzeinrichtungen
die
bestmögliche
Unterstützung
in
Form
von
aufsuchender
Beratungsarbeit zu gewährleisten563 sowie die Öffentlichkeit für diesen Themenbereich differenziert
zu sensibilisieren.564
7.2.Präventionsmaßnahmen
„In Europa hat eine Debatte über die Grenzen der Toleranz gegenüber frauenverachtenden
Traditionen eingesetzt. Vermehrt wird versucht, den Betroffenen Beratung und Schutz zu
bieten.“565 Der Europarat hat im Jahr 2005 eine vergleichende Studie566 über gesetzliche und
politische Initiativen der einzelnen Mitgliedsländer in Bezug auf Zwangsheirat veröffentlicht.
559
Der „Arbeitskreis Zwangsheirat“ wurde auf Initiative der Frauenlandesrätin Drin Bettina Vollath 2008 ins
Leben gerufen und bestand aus VertreterInnen von Landesverwaltung, Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie
Projektmitarbeiterinnen aus Frauen- und Mädchenprojekten sowie aus dem Gewaltschutzbereich. Die Autorin
war selbst als Teilnehmerin dabei.
560
Dringlicher Antrag der Grünen-ALG und der ÖVP eingebracht in der Gemeinderatssitzung vom 19.11.2009
von Gemeinderätin Sigrid Binder. Online im Internet: URL:
http://www.graz.at/cms/dokumente/10129358_410977/cee18303/091119_dringliche_antraege.pdf [Stand 2013 02 – 13].
561
Der tragische Fall der 26-jährigen Grazerin Nuray Büyükkocabas hatte zu dieser Zeit große mediale
Resonanz. Vgl. Berichterstattung in der Kleinen Zeitung: Online im Internet: URL:
http://www.kleinezeitung.at/steiermark/grazumgebung/werndorf/2209260/vermisste-tuerkin-wurde-murgefunden.story [Stand 2013 - 02 – 13].
562
Vgl. Fußnote 559.
563
Vgl.
Homepage
von
DIVAN:
http://www.caritas-steiermark.at/hilfe-einrichtungen/fuermigrantinnen/beratung/frauenspezifische-beratungsstelle-divan/ [Stand 2013 – 02-13].
564
Z. B. Fachtagung oder Aktivitäten im Rahmen der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Vgl.
http://www.graz.at/cms/beitrag/10166122/3750944/ [Stand 2013 – 02 – 13].
565
LEHNHOFF, S. 11.
566
COUNCIL OF EUROPE (2005): Forced marriages in Council of Europe member states. A comparative study
of legislation and political initiatives. Strassburg. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/CDEG%282005%291_en.pdf [Stand 2012 – 11- 20].
106
Beispielsweise wurden in Großbritannien „Richtlinien für die Polizei, soziale Einrichtungen
und für das Personal an Schulen erarbeitet“ 567 und in Deutschland das Thema in die
Unterrichtsgestaltung eingebunden. In der genannten Studie werden Informations-,
Bewusstseins- und Schulungsprogramme gefordert, des weiteren gesetzliche Reformen der
einzelnen Mitgliedsstaaten, Strategien und Initiativen um Betroffene zu unterstützen sowie
mehr Ressourcen für die Erforschung diese Phänomens.
Im EU-Förderprogramm DAPHNE568 sollen „Projekte zur Verhinderung von Gewalt gegen
Kinder, Jugendliche und Frauen kofinanziert werden. […] DAPHNE will sowohl konkrete
Gewalt verhindern wie auch Risikogruppen schützen und Gewaltopfern Hilfe anbieten“ 569
und ist somit eine Möglichkeit für bestehende Beratungsstellen und Initiativen; sich
europaweit zu vernetzen und auszutauschen.
Im Mai 2012 gab es z. B. in Wien eine internationale Konferenz „Gegen Zwangsfreiheit –
Maßnahmen für ein selbstbestimmtes Leben“ 570 wo VertreterInnen der Exekutive und
verschiedener NGO`s und Forschungseinrichtungen aus europäischen Ländern teilnahmen.571
Thematisiert wurden aktuelle Entwicklungen und Best Practice-Modelle wurden vorgestellt.
Lange Zeit zu wenig beachtet wurde die Situation in Bulgarien und Rumänien, wo
Zwangsheiraten bzw. sogenannte „frühe Ehen“ in manchen Roma-Communities vorkommen.
Mittlerweile gibt es Forschungsprojekte darüber und die Präventions- und Aufklärungsarbeit
in und mit Roma-Communities zeigt erste Erfolge.572
567
Vgl. BANDARI, Lisa (2006): Der Staat als Rettungsanker. Die Arbeit der britischen Regierung gegen
Zwangsheirat. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe
Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 47 – 51.
In Großbritannien wurde eine eigene „Forced Marriage Unit“ (FMU) gemeinsam vom Außen- und
Innenministerium gegründet, die als spezielle Abteilung in Fällen von Zwangsheirat aktiv Unterstützung bietet.
Details unter http://www.fco.gov.uk/forcedmarriage [Stand 2012 – 11- 20].
568
Vgl. http://ec.europa.eu/justice/newsroom/gender-equality/grants/index_en.htm#open [Stand 2012 – 11- 20].
569
Informationen über Daphne: Online im Internet: URL:
http://www.bmwfj.gv.at/Familie/Familienpolitik/International/Seiten/EUProgrammDaphne.aspx [Stand 2012 –
11- 20].
570
Vgl. ORIENT EXPRESS (2012): Internationale Konferenz gegen Zwangsheirat. Maßnahmen für ein
selbstbestimmtes Leben. Ein Ländervergleich. Kurzbericht. Wien. Online im Internet: URL:
http://www.orientexpress-wien.com/_pdf/5062b0c8f27e6.pdf [Stand 2012- 12 - 20].
571
„Bei der Konferenz referierten ExpertInnen – die meisten davon aus der direkten Arbeit mit von
Zwangsheirat bedrohten bzw. betroffenen Mädchen und Frauen – aus Österreich, Großbritannien, Frankreich,
Rumänien, Bulgarien und Deutschland über die länderspezifische Situation in Bezug auf Zwangsheirat. Im
Mittelpunkt standen dabei existierende bzw. fehlende Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von
Bedrohten/Betroffenen in den einzelnen Ländern. Es war uns wichtig in diesem Rahmen auch Best-practiceModelle zum Schutz von Bedrohten/Betroffenen zu präsentieren.“ Vgl. ORIENT EXPRESS, Kurzbericht, S. 3.
572
Vgl. LIGA PRO EUROPA (2010): Country Report. Forced Marriages in Romania. Targu Mures.
107
Als Vorzeigemodell wurden „die gegenwärtigen Maßnahmen zur Prävention und
Bekämpfung von Zwangsheirat in Deutschland“573 bezeichnet. Der Beitrag der Polizei in der
Präventionsarbeit gegen Zwangsheirat (z.B. Schulworkshops) und die Zusammenarbeit mit
den NGOs wurde gewürdigt. Auch die deutsche Bundesregierung setzt klare Zeichen in Form
eines Handlungsleitfadens und einer aktuellen Studie 574 sowie der Unterstützung von
anonymen Beratungsangeboten, Online-Beratungen und Kriseneinrichtungen.
7.3.Strategische Zugänge
Damit geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Sinne der Menschenrechte „unabhängig von
der Nationalität der Betroffenen auf allen Ebenen und in allen Situationen bekämpft
werden“ 575 , ist es strategisch zu vermeiden, Zwangs- und Gewaltsituationen „separat als
Spezifität des Migrationsbereiches zu behandeln“576. Vielmehr sollen auf konzeptueller Ebene
„Zwangssituationen
unter
dem
Gesichtspunkt
einer
Geschlechterproblematik
und
geschlechtsspezifischer Machtbeziehungen“577 und damit als Form von „Gewalt im sozialen
Nahraum“ verhandelt bzw. bekämpft werden. Der Aspekt der Gleichstellungspolitik würde
sich positiv auf der „Ebene der Primärprävention“
578
sowie in der Arbeit mit den
UrheberInnen von Gewalt auswirken.
Anstelle einer Isolation und Parallelführung der Migrationsthematik, die bis zu einem
„ethnisierenden Sexismus“ führen kann, sollen Regelinstitutionen579 auch für MigrantInnen
geöffnet sein und in weiterer Folge zur verbesserten Zusammenarbeit und Vernetzung mit
Institutionen im Gewaltschutzbereich führen.
573
Vgl. ORIENT EXPRESS, 2012, S. 6f.
BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung
in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen . Wissenschaftliche Untersuchung der LawaetzStiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg.
575
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 95.
576
Ebd.
577
Ebd.
578
Ebd., S. 96.
579
Die Regelinstitutionen sind dadurch auch herausgefordert, ihr Fachwissen im Bereich Fremdenrecht zu
erweitern und auch bei der Teamzusammensetzung auf unterschiedliche ethnische und nationale Hintergründe zu
achten.
574
108
8. ZUSAMMENFASSUNG
In der vorliegenden Masterarbeit versuchte die Autorin geschlechtsspezifische Gewaltphänomene, die auf Traditionen basieren, in differenzierter Weise näher zu untersuchen.
Konkret stand das Thema „Gewalt im Namen der Ehre“ bzw. „Zwangsheirat“ im Mittelpunkt
dieser wissenschaftlichen Arbeit, daneben wurde auch der aktuelle Diskurs über diese
Fragestellungen beleuchtet.
Eine erste Annäherung an die Fragestellungen erfolgte mit der Klärung der unterschiedlichen
Begriffe und Definitionen im Kontext von „Gewalt gegen Frauen“, um einen theoretischen
Rahmen für die Bezeichnung „Gewalt im Namen der Ehre“ abzustecken. Erschwert wurde
dieser Zugang dadurch, dass es keine weltweit anerkannten Moralkodizes gibt. Abhängig von
gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen gibt es somit fließende Grenzen in der
Bewertung von „nicht akzeptablen“ Verhaltensweisen. Dazu kommt, dass in Europa „Gewalt
gegen Frauen“ erst durch die Initiativen der „Zweiten Frauenbewegung“ als Problem
wahrgenommen wurde und, damit einhergehend, aus dem privaten Bereich ins öffentliche
Licht gelangte.
Gegenwärtig
gibt
es
einen
wachsenden
zivilgesellschaftlichen
Widerstand
gegen
Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Südasien (Indien, Pakistan) sowie in manchen
Ländern des sogenannten „Arabischen Frühlings“ (z. B. Ägypten).
Aktuelle und differenzierte Definitionen von „geschlechtsspezifischer Gewalt“ und „Gewalt
im sozialen Nahraum“ finden sich im „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aus dem Jahr 2011, das von
Österreich zwar unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert wurde. Zentral ist das Faktum, dass
es sich bei den genannten Gewaltformen um Menschenrechtsverletzungen sowie
Diskriminierungen der Frau handelt.
Auch der Blick auf die „strukturelle Gewalt“ ist essentiell, da auch staatliche Institutionen
Ausschluss und Benachteiligung mitverantworten und asymmetrische, geschlechtsspezifische
Herrschaftsverhältnisse festigen, die ihrerseits Gewalt verursachen können. Die oft
„vorgeschobene Erklärung“ der auftretenden Gewalt aufgrund der „Kultur“ kann in diesem
Zusammenhang keine Entschuldigung oder Rechtfertigung von Gewalt sein und auch nicht
als Ursache gesehen werden.
109
Für die Autorin hat sich ein „intersektioneller Gewaltbegriff“ als hilfreich erwiesen, da
sogenannte „Verstärkungseffekte“ von struktureller Gewalt aufgrund des Geschlechts und
aufgrund der Ethnie durch interagierende Unterdrückungs- und Ausschließungsstrukturen der
Mehrheitsgesellschaft auch berücksichtigt werden müssen.
Eine zweite Annäherung an den Themenbereich erfolgte über die Erhebung des aktuellen
Forschungsstandes im deutschsprachigen Raum (Österreich, Deutschland, Schweiz). Es hat
sich gezeigt, dass die Themen „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ noch junge
Forschungsschwerpunkte sind, die aufgrund des Interesses der Politik und der Medien eine
rasante Aufwertung erfuhren. So haben viele europäische Staaten in den letzten Jahren
Auftragsstudien erstellen lassen. Offenkundig gibt es dabei auch Verknüpfungen zu neuen
gesetzlichen Maßnahmen, die in zeitlicher Nähe zu Studienpräsentationen von den jeweiligen
Regierungen verabschiedet wurden.
Im vierten Kapitel der Masterarbeit wurde im Sinne einer interdisziplinären Bearbeitung der
Fragestellungen, auch die anthropologische Sichtweise auf „Ehre und Scham“ gelegt, da der
„Ehrbegriff“ in einigen Gesellschaften das Verhältnis von Männern und Frauen wesentlich
bestimmt. Dabei ist die Frage nach der öffentlichen Bewertung von sozialem Verhalten
zentral, sowie die Formen der negativen Konsequenzen. Auch wenn die Autorin nicht
ausschließlich Beispiele aus dem türkischem Kontext heranziehen wollte, so muss doch
festgehalten werden, dass gerade wissenschaftliche Untersuchungen zur türkischen Situation,
- sowohl in der Türkei selbst als auch im Migrationskontext - in umfangreicher Form zu
finden sind. Dieses Faktum lässt sich mit der spezifischen Migrationsgeschichte
(„GastarbeiterInnen“) in Deutschland und Österreich erklären.
Ein
eigener
Abschnitt
behandelt
den
Ehrbegriff
bezogen
auf
unterschiedliche
Familienstrukturen, die sich – in der Praxis ineinandergreifend – zwischen den Polen
„religiös-traditionell“ und „modern“ ansiedeln. Gerade in der sogenannten „zweiten
Generation“ distanzieren sich Paare von traditionellen Normen oder befinden sich in einem
Prozess
der
Auseinandersetzung
mit
den
Wert-
und
Normvorstellungen
ihrer
„Herkunftskultur“. Erschwerend kommt dazu, dass - trotz der sich veränderten
Familienstrukturen
im
Migrationskontext
-
die
äußeren
Zuschreibungen
der
Mehrheitsgesellschaft unverändert (negativ) bleiben.
110
Das Hauptstück der vorliegenden, wissenschaftlichen Arbeit ist das Kapitel fünf, das „Gewalt
im Namen der Ehre“ im Kontext von PartnerInnenwahl, Eheschließung, Trennung und
Scheidung fokussiert. Zunächst sollte der Blick auf den „Idealfall“ einer selbstbestimmten
PartnerInnenwahl gelenkt werden. Trotz der medial höher präsenten negativen Fälle stellt ein
selbstbestimmter Zugang, unabhängig vom ethnischen Hintergrund, die häufigere Variante
dar, wenn gleich Familienorientierung und Traditionen auch hier eine Rolle spielen können.
Bei Nichtbeachtung des Konzeptes der Zustimmung zur Ehe, bei (physischer, sexueller,
psychologischer) Gewalt oder anderen emotionalen Drohungs- und Zwangssituationen wird
von „Zwangsheirat“ gesprochen. Eine „Zwangsehe“ hingegen bedeutet, dass eine Ehe gegen
den Willen von mindestens einem der Ehegatten aufrechterhalten wird und die Zwangslage
im Kontext der Planung von Trennung und Scheidung auftritt, die - im häufigsten Fall - vom
Partner bzw. anderen Familienmitgliedern nicht akzeptiert wird.
Die Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“ sind unterschiedlich und differieren auch im
Zuge von Migration. Im Herkunftskontext spielen die Themen Ehre, Bewahrung der
Jungfräulichkeit, Absicherung für das Alter und der Erhalt des Vermögens innerhalb einer
Familie eine zentrale Rolle. Im europäischen Kontext entsprechen die öffentlich diskutierten
Erklärungsansätze, wie sozioökonomische Diskriminierung, mangelnde
Integrations-
bereitschaft, ethnische Unterschichtung oder rigider Traditionalismus nicht der Praxis, d.h. die
Begrenzung auf ärmere, bildungsferne Schichten ist zu kurz gegriffen.
Oft stehen am Beginn ungelöste Generationenkonflikte und das Bestreben, die eigene
Identität zu bewahren. Auch ökonomische und aufenthaltsrechtliche Gründe spielen eine
Rolle, da Heirat bzw. Familiennachzug eine „Migrationsstrategie“ sind, die durch die
europäische Gesetzgebung, die verheiratete Paare privilegiert, sogar als Nebeneffekt forciert
wird.
Die Themenbereiche „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“ wurden aus juristischer Perspektive
bearbeitet. Auffällig zeigte sich auch hier, dass die Themen vor allem im Strafrecht und im
Fremdenrecht eine große Rolle spielen und in Österreich – wie auch in anderen europäischen
Ländern – in jüngster Zeit zu Novellen aufgrund völkerrechtlicher Vorgaben führten.
Der Diskurs über „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ spielt sich zwischen
Marginalisierung und Polarisierung ab, wie schon im Titel der Masterarbeit verdeutlicht wird.
111
In der politischen Diskussion (vor allem des rechten Lagers) überwiegt der Standpunkt, dass
es sich bei den genannten Themen um Probleme „der anderen“, noch dazu von „außen“
handelt, also Minderheiten per se als gewalttätig beschrieben werden. Gleichzeitig wird die
Geschlechtergleichstellung in der Mehrheitsgesellschaft als unbestritten und bereits erreicht
präsentiert und somit „Gewalt gegen Frauen“ bagatellisiert.
Bei den unterschiedlichen feministischen Positionen schloss sich die Autorin jener Gruppe an,
„die Diversität als Prinzip von Gleichheit anerkennen, Kultur nicht als Festschreibung von
bestimmten Handlungen und Traditionen
sehen und trotzdem die Probleme von
marginalisierten, abweichenden oder widerständigen Individuen in ethnischen oder religiösen
Minderheiten nicht ignorieren wollen.“580
Zum Gegenstand „breiter Medienberichterstattung“ wurde - laut Recherche der Autorin - ab
dem Jahr 2005 das Thema „Zwangsheirat“ in Form von Berichten über tragische Schicksale
im Zusammenhang von Befreiungen aus erzwungenen Ehen bzw. über Opfer von
Ehrenmorde (v.a. in Deutschland).
Österreich hatte in der ersten Jahreshälfte 2006 die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Rahmen
des „informellen Treffens der europäischen GleichstellungsministerInnen“ in Brüssel
präsentierte die damalige Gesundheits- und Frauenministerin Maria Rauch-Kallat ihre
Initiativen zum Thema „Traditionsbedingte Gewalt gegen Frauen“ (Harmful Traditional
Practices - HTP). Damals wurde Österreich für seine „Vorreiterrolle“ gelobt, mittlerweile ist
das damals initiierte internationales Netzwerk gegen traditionsbedingte Gewalt – „Network
Against Harmful Traditions (NAHT)“ – leider nicht mehr aktiv.
Da die Autorin selbst eine Beratungsstelle für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“ in
Graz aufgebaut hat und in ihrer beruflichen Praxis tagtäglich mit den Herausforderungen der
Praxis konfrontiert ist, widmete sie das Abschlusskapitel der Masterarbeit den
Fragestellungen aus dieser Perspektive. Ergänzt werden die Ausführungen über die
Loyalitätskonflikte der Betroffenen und den Blick auf konkrete (bestehende und fehlende)
„Ausstiegsmöglichkeiten“ und deren Folgen (v.a. für die zukünftige Existenzsicherung) mit
einem kurzen Überblick über die bereits etablierten Beratungsstellen in Deutschland und
Österreich.
580
Vgl. PHILIPPS.
112
Präventiv sind Informations-, Bewusstseins- und Schulungsprogramme notwendig, wirklich
wirksam wäre es aber, strategisch zu vermeiden, Zwangs- und Gewaltsituationen „separat als
Spezifität des Migrationsbereiches zu behandeln“.581
Geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Sinne der Menschenrechte müssen unabhängig von
der Nationalität der Betroffenen auf allen Ebenen und in allen Situationen verändert werden.
581
Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 92 – 11.
113
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
BZÖ
Bündnis Zukunft Österreichs
CEDAW
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women
(Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen)
DAPHNE
Programm der Europäischen Union , mit dem Projekte zur Verhinderung von
Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen kofinanziert werden.
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EU
Europäische Union
NODE
Forschungsprojekt „New Orientations for Democracy in Europe“
NGO
Non Governmental Organization (Nichtregierungsorganisation)
ÖVP
Österreichische Volkspartei
u.a.m.
und anderes mehr
UN
United Nations (Vereinte Nationen)
UNECE
United Nations Economic Comission for Europe (Wirtschaftskommission für
Europa der Vereinten Nationen)
UNFPA
United Nations Population Fund (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen)
UNICEF
United Nations Children's Fund (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)
US
United States (Vereinigte Staaten von Amerika)
vgl.
vergleiche
WHO
World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
z. B.
zum Beispiel
114
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Typologie der Gewalt
(WHO)
WELTGESUNDHEITSORGANISATION (2002):
Weltbericht
Gewalt
und
Gesundheit.
Zusammenfassung. Deutsche Übersetzung. 2003,
S. 7.
Abbildung 2: Gewaltdreieck
(Johan Galtung)
GALTUNG, Johan (1990): Cultural Violence. In:
Journal of Peace Research. Jg. 27, Nr. 3/1990.
Oslo, S. 291 ff.
Abbildung 3: Europäische
Heiratsmuster
Basierend auf: MITTERAUER, Michael (2009):
Europäische Familienformen im interkulturellen
Vergleich. In: Verein für Geschichte und
Sozialkunde (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie.
Kulturvergleich und Entwicklungsperspektiven. (=
Basistexte Wirtschafts- und Sozialgeschiche,
Bd.1), Wien, S. 14ff.
Abbildung 4: Idealtypischer
Phasenverlauf einer arrangierten
Ehe
STRASSBURGER, Gaby (2003):
Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext: Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: BUSCH,
Friedrich W./NAUCK, Bernhard/NAVE-HERZ,
Rosemarie (Hrsg.): Familie und Gesellschaft. Bd.
10. Würzburg, S. 218.
Abbildung 5: Mädchen und junge
Frauen in der Altersgruppe 20 – 24
Jahre (2000 – 2010)
UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND
(2012): Children in an urban world. The state of
the world`s children. New York, S. 120 – 123.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.unicef.org/sowc/files/SOWC_2012Main_Report_EN_21Dec2011.pdf [Stand 2012 11- 20].
115
LITERATURVERZEICHNIS
ASKARI, Ladan (1998): The Convention on the Rights of the Child. The Necessity of Adding a Provision to
Ban Child Marriages. IN: ILSA – INTERNATIONAL LAW STUDENTS ASSOCIATION (Hrsg.): Journal of
International & Comparative Law. Chicago. Jg. 5, Heft 5, S. 123-138.
ATABAY, Ilhami (2010): „Ich bin Sohn meiner Mutter“. Elterliches Bindungsverhalten und männliche
Identitätsentwicklung in türkeistämmigen Familien. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kulturund Sozialpsychologie. Bd. 19. Freiburg.
ATABAY, Ilhami (2011): Die Kinder der „Gastarbeiter“. Familienstrukturen türkeistämmiger MigrantInnen
zweiter Generation. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Bd. 20.
Freiburg.
ATES, Seyran (2003): Die Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin. Berlin.
BAUMGÄRTNER, Ester (2009 ): Widder und Ziegenbock. Zum kulturellen Konzept von Ehre und Schande. In:
Journal Ethnologie. Nr. 2.
Frankfurt. Online im Internet: URL: http://www.journalethnologie.de/Deutsch/Schwerpunktthemen/Schwerpunktthemen_2009/Ehre_und_Schande/Widder_und_Ziegen
bock/index.phtml [Stand 2012 – 10 – 16].
BANDARI, Lisa (2006): Der Staat als Rettungsanker. Die Arbeit der britischen Regierung gegen Zwangsheirat.
In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe Nein zu Gewalt
an Frauen. Tübingen, S. 47 – 51.
BECK-GERNSHEIM, Elisabeth (1994): Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der
Moderne. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Zugänge zum Subjekt. Frankfurt/Main, S. 125 – 146.
BECLIN, Katharina (2010): Rechtliche und politische Strategien gegen Zwangsehen in Österreich. In:
STRASSER Sabine/HOLZLEITHNER Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und
gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse, Bd. 41).
Frankfurt/New York. S. 144 - 164.
BENHABIB, Seyla (2002): The Claims of Culture. Equality and Diversity in the Global Era. Princeton.
BERATUNGSSTELLE TARA (2010): Sexualisierte Gewalt und Trauma. Eine Informationsbroschüre der
Beratungsstelle
Tara.
Graz.
S.
10f.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.taraweb.at/cms/images/stories/informationsbroschuere%20sexualisierte%20gewalt%20und%20trau
ma.pdf [Stand 2013 – 01 – 19].
BOURDIEU, Pierre (1966): The Sentiment of Honour in Kabyle Society. In: PERISTIANY, John G. (Hrsg.):
Honour and Shame. London., S. 191 – 241.
BUNDESKANZLERAMT/BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST
(20092):
Tradition
und
Gewalt
an
Frauen.
Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=34583 [Stand 2012 – 08 – 08].
BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST IM BUNDESKANZLERAMT
(2012): High-Risk Victims. Tötungsdelikte in Beziehungen. Verurteilungen 2008 – 2010. Verfasst von Birgit
Haller,
Institut
für
Konfliktforschung.
Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46530 [Stand 2013 – 01 – 14].
BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES (2011): Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren. Erstellt
von Statistik Austria und der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen
Akademie für Wissenschaften. Wien.
116
CARITAS GRAZ-SECKAU (2010): Frauenspezifische Beratung für Migrantinnen mit spezialisiertem Angebot
für „Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ (DIVAN). Konzept. Graz.
CARITAS GRAZ-SECKAU (2012): Bericht DIVAN 2011. Graz.
CARITAS GRAZ-SECKAU (2013): Bericht DIVAN 2012. Graz.
COUNCIL OF EUROPE (2002): Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Empfehlung Rec (2002) 5 des
MinisterInnenkomitees an die Mitgliedstaaten über den Schutz von Frauen vor Gewalt, verabschiedet am
30.4.2002
und
erläuterndes
Memorandum.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/Rec%282002%295_german.pdf [Stand 2012-08-02].
COUNCIL OF EUROPE (2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Council of Europe Treaty Service Nr. 210.
Istanbul, 11.5.2011. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/conventionviolence [Stand 2012 - 08 -02].
CRENSHAW, Kimberle (1989): „Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist critique of
antidiscrimination doctrine“. In: The University of Chicago Legal Forum 139, S. 139 – 167.
EISENRIEDER, Claudia (2009): Arrangierte Autonomie? Über Eheerfahrungen von Migrantinnen türkischer
Herkunft. Tübingen.
ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana/SPICKER, Ingrid/KLEIN, Christina (2009): SALOMON Next
Step. Bedrohungswahrnehmung von MigrantInnen. Eine Studie im Rahmen der österreichischen
Sicherheitsforschung. Projektendbericht. Wien.
ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana (2011): Angst und Bedrohung aus der Perspektive von
MigrantInnen: Ergebnisse der Forschungsprojekts SALOMON Next Step. In: DAHLVIK, Julia/FASSMANN,
Heinz/SIEVERS, Wiebke (Hrsg.): Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich.
(= Migrations- und Integrationsforschung 2). Jahrbuch 1/2011. Wien.
EUROPARAT (2005): Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1468. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/2005-10/Sept.05_Entschl1468_Zwangsheirat_Empf1723.asp
[Stand 2012 - 11 – 26].
EUROPARAT (2005): Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1723. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/2005-10/Empfehlung1723-Heirat.asp#TopOfPage
[Stand
2013 – 02 – 25].
EUROPARATS-RESOLUTION
1327
(2003):
Online
im
Internet
unter:
URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/violence/Documents/Resolution%201327%20%282003%29.asp [Stand
2012 – 08 - 08].
FARROKHZAD, Scharzad/OTTERSBACH, Marus/ TUNC, Michael/ MEUER-WILLUWEIT, Anne (2010):
Verschieden – Gleich – Anders? Geschlechterarrangements im integrativen und interkulturellen Vergleich.
Wiesbaden.
FINGERLIN, Erika/MILDENBERG, Michael (1983): Ehen mit Muslimen. Frankfurt/Main.
FRITZL, Martin (2011): Auch Zwangsheirat im Ausland bestrafen. In: Die Presse. Onlineausgabe vom
22.10.2011. Online im Internet: URL: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/703253/Kurz_AuchZwangsheirat-im-Ausland-bestrafen [Stand 2013 -02 -12].
GALTUNG, Johan (1990): Cultural Violence. In: Journal of Peace Research. Jg. 27, Nr. 3/1990. Oslo, S. 291 ff.
117
GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICHG (Hrsg.) 20093: Hinter der Fassade. Broschüre zur
Ausstellung Gewalt in der Familie. Linz, S. 15 – 19.
GODENZI, Alberto (19962): Gewalt im sozialen Nahraum. Basel.
HAGEMAN-WHITE, Carol (1992): Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis. Bestandsanalyse und
Perspektiven. Freiburg im Breisgau.
HAMEL, Christelle (2011): Immigrées et filles d`immigrés: le recul des mariages forcés. Population et Sociètés.
HANS, Barbara(2008): „Ehrenmord“ in Hamburg: Das lange Leiden der Morsal Obeidi. In: Spiegel Online vom
29.5.2008. Online im Internet: URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/ehrenmord-in-hamburg-das-langeleiden-der-morsal-obeidi-a-556404.html [Stand 2013 - 01 – 27].
HEINE, Susanne/LOHLKER, Rüdiger/POTZ, Richard (2012):
/Lebenswelt/Religion. Grundlagen für den Dialog. Innsbruck.
Muslime in Österreich. Geschichte
HIRSI ALI, Ayaan (2006): Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen. Übersetzt von
Anna Berger und Jonathan Krämer. München.
HIRSI ALI, Ayaan (2007): Mein Leben, meine Freiheit. Die Autobiografie. Übersetzt von Anne Emmert und
Heike Schlatterer. München.
HIRSI ALI, Ayaan (2012): Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen. Übersetzt von
Norbert Juraschitz , Anne Emmert und Karin Schuler. München. [Originaltitel: Normad: From Islam to America:
A Personal Journey Through the Clash of Civilizations].
HOCHMAYER, Gudrun/SCHMOLLER, Kurt (2003): Die Definition der Gewalt im Strafrecht. In: Manz'sche
Verlags- und Universitätsbuchhandlung (Hrsg.): Österreichische Juristen Zeitung. Wien. Jg. 58.
IMBUSCH, Peter (2002): Der Gewaltbegriff. In: HEITMEYER, Wilhelm/ HAGAN, John (Hrsg.):
Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, S. 26 – 57.
JANUSCH, Herbert (Hrsg.): ZEBRATL. Zeitschrift des Interkulturellen Beratungs- und Therapiezentrums
Zebra. Graz. Nr. 2.
JERABEK, Robert/REINDL-KRAUSKOPF, Susanne/SCHROLL, Hans Valentin (2008): § 74. In: HÖPFEL,
Frank/RATZ , Eckart (Hrsg.): Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Auflage. Wien. §§ 68 – 74. Rz 31.
JESKE, Ina (2009): verliebt – verlobt – verkauft? Formen der Eheschließung von Frauen türkischer Herkunft in
Deutschland. Marburg.
KELEK, Necla (2005): Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland.
Köln.
KRÖHN, Silvana (2004): „Der Kampf gegen Steinigung“. Steinigung im Iran. In: TERRE DES FEMMES
(2004): Tatmotiv Ehre. Tübingen.
KNAPP, Gudrun-Axeli/WETTERER, Angelika (2003): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und
feministische Kritik. Bd. 2, Münster, S. 14 – 48.
LANDGERICHT BERLIN (2006): Urteil im Verfahren gegen die drei Brüder S. (PM 14/2006).
Pressemitteilung
vom
13.4.2006.
Online
im
Internet:
URL:
http://web.archive.org/web/20090513092350/http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20060413
.1215.38728.html [Stand 2012 - 10 – 18].
LAU, Jörg (2005): Wie eine Deutsche. In: Die Zeit, Nr. 9. 2005. Online im Internet: URL:
http://www.zeit.de/2005/09/Hatin_S_9fr_9fc_9f_09 [Stand 2012 - 10 – 18].
118
LEHNER, Oskar (1987): Familie – Recht – Politik. Die Entwicklung des österreichischen Familienrechts im 19.
und 20. Jahrhundert, Wien.
LEHNHOFF, Liane (2006): Sklavinnen der Tradition. Zwangsheirat als weltweite Erscheinung. In: TERRE DES
FEMMES (Hrsg.): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. (= Schriftenreihe NEIN zu Gewalt an Frauen).
Tübingen, S. 10 – 15.
LIGA PRO EUROPA (2010): Country Report. Forced Marriages in Romania. Targu Mures.
LINDISFARNE, Nancy (1994): Variant Masculinities, Variant Virginities: Rethinking `Honour and Shame`. In:
CODRWALL, Andrea/ LINDISFARNE, Nancy (Hrsg.): Dislocating Masculinity. Comparative Ethnographics.
Oxon/New
York,
S.
82
–
96.
Online
im
Internet:
URL:
http://wxy.seu.edu.cn/humanities/sociology/htmledit/uploadfile/system/20110424/20110424005928254.pdf
[Stand 2012 - 10 – 16].
LOGAR, Rosa/WEISS, Klara/STICKLER, Maja/GURTNER, Anja (2010): Migrantinnen und familiäre Gewalt.
In: Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie (Hrsg.): Tätigkeitsbericht 2009. Wien. Überarbeitete
Version.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.interventionsstellewien.at/images/doku/migrantinnen_familiaere_gewalt_ttb2009.pdf [Stand 2012 - 12 – 05].
MARKOM, Christa/RÖSSL, Ines (2008): Exit-Möglichkeiten in Theorie und Praxis. Bedingungen für
Ausstiegsmöglichkeiten am Beispiel von Zwangsverheiratungen. In: SAUER, Birgit/STRASSER, Sabine
(Hrsg.): Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus. Wien, S. 78 – 96.
MIRBACH, Thomas/SCHAAK, Torsten/TRIEBL, Katrin (2011): Zwangsverheiratungen in Deutschland.
Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Leverkusen-Opladen.
MITTERAUER, Michael (1997): „Das moderne Kind hat zwei Kinderzimmer und acht Großeltern“ – Die
Entwicklung in Europa. In: MITTERAUER, Michael/ORTMAYER, Norbert (Hrsg.): Familie im 20.
Jahrhundert. Traditionen, Probleme, Perspektiven. (= Historische Sozialkunde, Bd. 9), Wien, S. 13 – 52.
MITTERAUER, Michael (2009): Europäische Familienformen im interkulturellen Vergleich. In: VEREIN FÜR
GESCHICHTE UND SOZIALKUNDE (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie. Kulturvergleich und
Entwicklungsperspektiven. (= Basistexte Wirtschafts- und Sozialgeschiche, Bd.1), Wien, S. 13 – 34.
ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011. Wien.
ORIENT EXPRESS (2012): Internationale Konferenz „Gegen Zwangsheirat“ am 11.5.2012. Maßnahmen für ein
selbstbestimmtes Leben. Ein Ländervergleich. Kurzbericht. Wien. Online im Internet: URL:
http://www.orientexpress-wien.com/_pdf/5062b0c8f27e6.pdf [Stand 2012 - 10 – 17].
ÖSTERREICHISCHER INTEGRATIONSFONDS (2012): Migration und Integration. Schwerpunkt Frauen.
Zahlen.
Daten.
Indikatoren.
Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.integrationsfonds.at/zahlen_und_fakten/femigration_integration_2012/ [Stand 2013 – 02 – 13].
PHILIPPS, Anne (2007): Multiculutaralism without Culture. Princeton.
PLATZER, Florina (2006): Das neue Fremdenrecht aus feministischer Sicht. In: SCHACHENREITER, Judith/
STUEFER ,Alexia/ KETTEMANN, Matthias/OBERNDORFER, Lukas (Hrsg.): Juridikum. Zeitschrift im
Rechtsstaat. Jg. 17. H. 3.
RAZACK, Sherene H. (2004): Imperilled Muslim Women, Dangerous Muslim Men and Civilized Europeans:
Legal and Social Responses to Forced Marriages. IN: RACKLEY, Erika (Hrsg.): Feminist Legal Studies. Jg. 12.
H.2, Dordrecht, S. 129 – 174.
REIMANN, Anna (2011): Zwangsehen-Studie: Zank um Zahlen. In: Spiegel-Online vom 30.11.2011. Online im
Internet: URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/zwangsehen-studie-zank-um-zahlen-a-800786.html
[Stand 2013 - 01 – 20].
119
REPUBLIK ÖSTERREICH (2011): Parlamentskorrespondenz Nr. 1194 vom 06.12.2011. Online im Internet:
URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2011/PK1194/ [Stand 2012 – 11 – 26].
RÖSSL, Ines (2010): Zwangsverheiratung: Zur rechtlichen Matrix in Österreich. In: STRASSER,
Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und
gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (=Politik der Geschlechterverhältnisse, Bd. 41). FrankfurtNew York, S. 123 -143.
SAUER, Birgit (2008): Gewalt, Geschlecht, Kultur. Fallstricke aktueller Debatten um „traditionsbedingte“
Gewalt. In: SAUER, Birgit/STRASSER, Sabine (Hrsg.): Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus.
Beiträge zur Historischen Sozialkunde/Internationale Entwicklung. Nr. 27. Wien, S. 49-62.
SCHEINHARDT, Saliha (1984): Drei Zypressen. Berlin.
SCHIFFAUER, Werner (1983): Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt.
Frankfurt/Main.
SCHIFFAUER, Werner (1987): Die Bauern von Subay: Das Leben in einem türkischen Dorf. Stuttgart.
SCHILLER, Maria (2010): Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in europäischen
Ländern. In: STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen.
Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse).
Bd. 41. Frankfurt/New York. S. 47 – 70.
SEN, Purna (2005): `Crimes of honour`, value and meaning. In: WELCHMAN, Lynn/HOSSAIN, Sara (Hrsg.):
`Honour`. Crimes, paradigms, and violence against women. London/New York, S. 42 – 61.
SENFFT, Alexandra (2005 ): Abrechnung mit dem Islam. Necla Keleks Aufschrei: Muslimische Frauen in
Deutschland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.2005. Nr. 123, S. 9. Online im Internet: URL:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/2.1715/abrechnung-mit-dem-islam-1235319.html
[Stand 2012 - 10 – 18].
SINUS SOCIOVISION (2008): Zentrale Ergebnisse der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland.
Berlin
–
Heidelberg
–
Zürich.
Im
Internet
unter
URL:
http://www.sinusinstitut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/MigrantenMilieus_Zentrale_Ergebnisse_09122008.pdf [Stand 2012 10 – 05].
STATISTIK AUSTRIA/BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERS (2012): Migration & Integration. Zahlen.
Daten. Indikatoren 2012. Erstellt von Statistik Austria und der Kommission für Migrations- und
Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien.
STRASSBURGER, Gaby (1999): "Er kann deutsch und kennt sich hier aus": Zur Partnerwahl der zweiten
Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: JONKER, Gerdien (Hrsg.) Kern und Rand: Religiöse Minderheiten
aus der Türkei in Deutschland. Berlin, S.147-167.
STRASSBURGER, Gaby (2003):
Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext:
Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: BUSCH, Friedrich W./NAUCK,
Bernhard/NAVE-HERZ, Rosemarie (Hrsg.): Familie und Gesellschaft. Bd. 10. Würzburg.
STRASSBURGER, Gaby (2003): Nicht westlich und doch modern. Partnerwahlmodi türkischer Migrant(inn)en
in Diskurs und Praxis. In: Verein Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hg.): Wenn Heimat global
wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg. Heft 63/64. Köln, S. 15 – 28.
STRASSER, Sabine (2008): Ist doch Kultur an allem schuld? Ehre und kulturelles Unbehagen in den Debatten
um Gleichheit und Diversität. In: SAUER, Birgit/STRASSER, Sabine (Hrsg.): Zwangsfreiheiten.
Multikulturalität und Feminismus. Beiträge zur Historischen Sozialkunde/Internationale Entwicklung. Nr. 27.
Wien, S. 63 – 77.
120
STRASSER, Sabine (2009): Kurzzusammenfassung des Endberichtes. Multikulturalismus im Widerstreit:
Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU. Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.univie.ac.at/NODECMC/pages/Kurzzusammenfassung%20Endbericht.pdf [Stand 2013 – 01-20].
STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Einleitung. Multikulturalismus queer gelesen. In:
STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und
gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse). Bd. 41.
Frankfurt/New York. S. 7 – 26.
STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Mulitkulturalismus im Widerstreit: Debatten über
kulturelle
Diversität,
Geschlechtergleichheit
und
sexuelle
Autonomie.
In:
STRASSER,
Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und
gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse). Bd. 41.
Frankfurt/New York. S. 27 - 46.
STRASSER, Sabine/TUNCER, Irem/SUNGUR, Altan (2010): Ehe und Ehre im Wandel: Arrangement und
Zwang in der Türkei. In: STRASSER, Sabine/HOLZLEITNER Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer
gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe im pluralen Gesellschaften. Politik der
Geschlechterverhältnisse. Bd. 41. Frankfurt/New York (= Campus Verlag). S. 202 – 222.
STRASSER, Philomena (2003): Häusliche männliche Gewalt gegen Frauen in der Migration. In: Verein
Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen
Theorie und Praxis. Jg. 26. Heft 63/64. Köln, S. 103 – 116.
SOKOLOFF, Natalie/DUPONT, Ida (2005): Domestic Violence at the Intersections of Race, Class and Gender.
In: Violence Against Women 11/1. Jänner 2005, S. 38 - 64.
TERRE DES FEMMES (2002): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Tübingen.
TERRE DES FEMMES (2004): Tatmotiv Ehre. (= Schriftenreihe NEIN zu Gewalt an Frauen). Tübingen.
TERRE DES FEMMES (2005): Studie: Ehrenmord. Erstellt von Myria Böhmecke im Auftrag von Feleknas
Uca, Mitglied des Europäischen Parlaments. Tübingen.
TERRE DES FEMMES (20112): Im Namen der Ehre. zwangsverheiratet, misshandelt, ermordet. Hilfsleitfaden
für die Arbeit mit von Zwangsheirat/Gewalt im Namen der Ehre bedrohten oder betroffenen Mädchen und
Frauen. Erstellt von BÖHMECKE, Myria/MICHELL, Monika/WALZ-HILDENBRAND, Marina. Berlin.
Online im Internet: URL: http://frauenrechte.de/online/images/downloads/ehrgewalt/Hilfsleitfaden.pdf [Stand
2013 - 02 – 02].
TOPCU, Canan (2011): Bücher von und über Muslima. In zwei Welten lebend. In: Frankfurter Rundschau vom
11.1.2011. Online im Internet: URL: http://www.fr-online.de/literatur/buecher-von-und-ueber-muslima-in-zweiwelten-lebend,1472266,5198392.html [Stand 2012 – 10 – 18].
TOPRAK, Ahmet (2005): Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt,
Doppelmoral der Ehre. Freiburg.
TOPRAK, Ahmet (2006): Zwangsverheiratete türkische Männer? Die Verheiratung der Männer als
Disziplinarmaßnahme. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre.
Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 27 – 32.
TROTHA, Trutz von (1997): Zur Soziologie der Gewalt. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie. Sonderheft 37. Jg. 49, S. 9 – 56.
UK GOVERNMENT, HOME OFFICE (2000): A choice by right – The Report of the Working Group on Forced
Marriage. London.
121
UN GENERAL ASSEMBLY (2002): Working towards the elimination of crimes against women commited in
the name of honour. UN Doc: A/57/169 vom 2. 7. 2002., S. 8. Online im Internet: URL: http://daccess-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N02/467/90/PDF/N0246790.pdf?OpenElement [Stand 2013 – 01 – 27].
UNITED NATIONS (1962): CONVENTION ON CONSENT FOR MARRIAGE. Minimum Age for Marriage
and Registration of Marriages vom 7.11.1962. New York. (in Österreich seit 9.12.1964 ratifiziert, seit 1.10.1969
in Kraft). Online im Internet: URL: http://www2.ohchr.org/english/law/convention.htm [Stand 2013 - 02 -12].
UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND (2012): Children in an urban world. The state of the world`s
children. New York, S. 120 – 123. Online im Internet: URL: http://www.unicef.org/sowc/files/SOWC_2012Main_Report_EN_21Dec2011.pdf [Stand 2012 - 11- 20].
UNITED NATIONS POPULATION FUNDS (2012): Marrying to young. End child marriage. Report. New
York.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.unfpa.org/webdav/site/global/shared/documents/publications/2012/MarryingTooYoung.pdf [Stand
2012 - 11 – 19].
UN-Resolution
48/104
vom
20.12.1993.
Online
im
Internet:
http://www.humanrights.ch/upload/pdf/050330_erklarung_gg_gewalt.pdf [Stand 2012 - 08 – 06].
URL:
VEREIN AUTONOME ÖSTERREICHISCHE FRAUENHÄUSER (2011): Frauenhelpline gegen
Männergewalt.
Jahresbericht.
Wien.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.haltdergewalt.at/frauenhelpline/new/Helpline_Taetigkeitsbericht_2011.pdf [Stand 2013 - 01 -20].
VEREIN ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011 des Vereines „Orient Express - Beratungs-,
Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen“. Wien.
VERTOVEC, Steven/WESSENDORF, Susanne (2010): The multiculturalism backlash. European discourses,
policies and practices. Oxon/New York.
VOLZ, Rahel (2003): Zwangsheirat in Deutschland – eine tolerierte Menschenrechtsverletzung. In: VEREIN
BEITRÄGE ZUR FEMINISTISCHEN THEORIE UND PRAXIS (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge
zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg., Heft 63/64. Köln, S. 199 – 202.
WAVE – WOMEN AGAINST VIOLENCE EUROPE (20112): PROTECT - Identifizierung und Schutz
hochgefährdeter Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Überblick. Wien. Online im Internet: URL
http://www.wave-network.org/images/doku/wave_protect_german_0309.pdf [Stand 2013 - 01 – 14].
WELTGESUNDHEITSORGANISATION (2002): Weltbericht Gewalt und Gesundheit. Zusammenfassung.
Deutsche
Übersetzung.
2003.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/world_report/en/summary_ge.pdf [Stand 2012 - 08 –
01].
WIENER INSTITUT FÜR INTERNATIONALEN DIALOG UND ZUSAMMENARBEIT (2012): Conference
Report. Cyber trafficking and mail order brides. 5.10.2012, Wien, S. 15 – 19. Online im Internet: URL:
http://www.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/Nadja/Documentation_cyber_trafficking_mailorder_brides_05_10-2013.pdf [Stand 2013 - 02 – 03].
WINKER, Gabriele/DEGELE, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld.
YUVAL-DAVIS, Nira (2006): Intersectionality and Feminist Politics. In: European Journal of Women’s Studies
13 (2006) 3, S. 193-209.
ZABYELINA, Yuliya (2012): Braut auf Bestellung. In: WISINGER, Marion/HELIGE, Barbara (Hrsg.): Liga.
Magazin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Jg. 63. Heft 2. Wien, S. 28.
ZEHETGRUBER, Christoph (2007): Der Ehrenmord in Österreich, Deutschland und der Türkei,
Strafrechtliche Fragen eines gesellschaftlichen Phänomens. In: KRIEGER, Heike (Hrsg.): Berliner OnlineBeiträge zum Völker- und Verfassungsrecht Nr. 6/2007, S. 30 – 35.
122
STUDIEN
Österreich:
LATCHEVA,
Rossalina/EDTHOFER,
Julia/GOISAUF,
Melanie/OBERMANN,
Judith
(2006):
Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens.
Situationsbericht und Empfehlungskatalog. Im Auftrag der Magistratsabteilung 57 der Stadt Wien. Wien. Online
im Internet: URL: http://www.wien.gv.at/menschen/frauen/pdf/zwangsheirat2007.pdf [Stand 2013 - 01 – 20].
PRELLER, Camilla Cynthia (2008): So fern und doch so nah? – Traditionsbedingte Gewalt an Frauen. Wien.
Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/studien/tgf2008/studieTGF2008.pdf [Stand 2013 - 01 –
20].
Deutschland:
BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung in
Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Wissenschaftliche Untersuchung der
Lawaetz-Stiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg.
Kurzfassung: Online im Internet: URL:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Zwangsverheiratung-in-DeutschlandAnzahl-und-Analyse-von-Beratungsf_C3_A4llen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
[Stand 2013 – 01 – 20].
Schweiz:
BUNDESAMT FÜR MIGRATION (2012): „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass.
Verfasst von Anna Neubauer und Janine Dahinden in Zusammenarbeit mit Pauline Brequet und Eric Crettaz.
Bern.
Online
im
Internet:
URL:
http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/publikationen/zwangsheirat/studie-zwangsheirat-d.pdf
[Stand 2013 - 01 – 10].
Europäische Union:
COUNCIL OF EUROPE (2005): Forced marriages in Council of Europe member states. A comparative study of
legislation and political initiatives. Strassburg. Online im Internet: URL:
http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/CDEG%282005%291_en.pdf [Stand 2012 – 11- 20].
INTERNETQUELLEN
Bundesministerium für Frauen: http://www.frauen.bka.gv.at
Bundesministerium für Inneres: http://www.bmi.gv.at
Caritas Graz-Seckau: http://www.caritas-steiermark.at
Terre des Femmes (Deutschland): http://www.terre-des-femmes.de/
Rechtsinformationssystem: http://www.ris.at
Verein Autonome Frauenhäuser Österreichs: http://www.haltdergewalt.at
Verein Orient Express: http://www.orientexpress-wien.com bzw. http://www.gegen-zwangsheirat.at/
WAVE- Women against violence Europe: http://www.wave-network.org
123