„Störfaktor“ Tariq Ramadan

Transcription

„Störfaktor“ Tariq Ramadan
„Störfaktor“
Tariq
Ramadan
Der
Genfer
Autor
und
Starredner
Tariq
Ramadan
polarisiert
–
und
spaltet
auch
die
reformwilligen
Muslime
Tariq
Ramadan
anlässlich
eines
Vortrags
in
Basel
©Beat
Stauffer
(alle
Bilder)
Tariq
Ramadan,
der
in
der
muslimischen
Welt
weitaus
bekannteste
Schweizer
Intellektuelle,
polarisiert
–
unlängst
etwa
in
Rotterdam.
Das
liegt
an
seiner
charismatischen
und
eigenwilligen
Persönlichkeit,
vor
allem
aber
an
seinem
Lebensprojekt:
Auf
islamischer
„Identität“
strikt
zu
beharren
und
gleichwohl
eine
Annäherung
an
europäische
Grundwerte
zu
suchen.
Von
Beat
Stauffer
Tariq
Ramadan,
Genfer
Islamwissenschafter
und
Autor
mit
ägyptischen
Wurzeln,
sorgt
mit
schöner
Regelmässigkeit
für
Irritationen
–
und
für
Schlagzeilen.
Und
dies
dürfte
auch
weiterhin
so
bleiben,
denn
neben
der
charismatischen
und
eitlen
Persönlichkeit
von
Ramadan
ist
es
sein
Lebensprojekt,
das
unweigerlich
Friktionen
hervorruft:
Einen
selbstbewussten,
ja
stolzen
Islam
auf
europäischem
Boden
ins
Leben
zu
rufen
und
unter
Beweis
zu
stellen,
dass
sich
grundlegende
europäische
Errungenschaften
wie
Menschenrechte
und
Demokratie
und
eine
klare
islamische
Identität
sehr
wohl
vereinbaren
lassen.
1
Dieses
Projekt
ist
angesichts
der
Millionen
von
zugewanderten
Muslimen
in
Europa
und
angesichts
nicht
unbeträchtlicher
Integrationsprobleme
von
grösster
Wichtigkeit.
Aufgrund
von
Ramadans
Vorgaben,
nichts,
aber
auch
gar
nichts
von
der
islamischen
Tradition
aufzugeben,
hat
es
aber
unweigerlich
eine
doppelte
Loyalität
zur
Folge,
deren
Spannungen
auszuhalten
sind.
Tariq
Ramadan
ist
zum
Bannerträger,
ja
zum
Symbol
dieser
Herausforderung
geworden;
und
die
ganze
Spannung,
die
in
diesem
Projekt
enthalten
ist,
scheint
sich
in
seiner
Person
zu
kristallisieren.
Dieser
Zwiespalt,
diese
Spannung
tritt
etwa
sehr
plastisch
in
der
verbürgten
Aussage
Ramadan
zutage,
er
habe
nach
der
Heirat
mit
seiner
Frau,
einer
zum
Islam
konvertierten
Schweizerin,
nur
den
Wunsch
gehabt,
nach
Ägypten,
seinem
„Heimatland“
zurückzukehren.
Zwar
räumte
Ramadan
im
selben
Interview
ein,
er
habe
später
realisiert,
dass
er
sich
„kulturell
viel
mehr
als
Europäer
fühle“.
Dennoch
drängt
sich
die
Frage
auf,
wie
gross
denn
für
Tariq
Ramadan
die
Identifikation
mit
dem
Land
und
seinen
Grundwerten
ist,
das
seiner
Familie
seit
den
60‐er
Jahren
Schutz
vor
Verfolgung
und
eine
sichere
Existenz
gewährt
und
ihm
selber
eine
akademische
Karriere
ermöglicht
hat?
War
die
Schweiz
für
Ramadan
nie
mehr
als
ein
sicherer
Hafen,
von
dem
aus
er
eine
klar
„islamische
Identität“
leben
und
pflegen
konnte?
Tarik
Ramadan
hat
auf
solche
und
ähnliche
Fragen
mehrfach
geantwortet;
häufig
mit
einem
unüberhörbar
gehässigen
Unterton:
Er
nehme
nichts
anderes
als
sein
verfassungsmässig
garantiertes
Recht
auf
Religionsfreiheit
in
Anspruch,
und
die
Menschen
in
Europa
hätten
sich
bitte
sehr
daran
zu
gewöhnen,
dass
hier
Muslime
lebten,
die
bloss
selbstbewusst
ihre
Rechte
einforderten.
Das
ist
zwar
in
der
Sache
richtig,
vom
Tonfall
her
aber
nicht
unproblematisch;
setzt
doch
die
Koexistenz
von
unterschiedlichen
Religionsgemeinschaften
in
den
Ländern
Europas
eine
gegenseitige
Akzeptanz
und
vor
allem
eine
Vertrauensbasis
voraus,
die
zuerst
einmal
geduldig
erarbeitet
werden
muss.
Starredner
und
Reformer
Tariq
Ramadan
ist
mittlerweile
zu
einem
der
weltweit
gefragtesten
muslimischen
Intellektuellen
geworden,
der
als
Gastdozent
an
verschiedenen
Universitäten,
als
(Star‐)Redner
an
Grossanlässen
und
als
Berater
von
Metropolen
und
Regierungen
unablässig
unterwegs
ist.
Darüber
hinaus
versteht
sich
Ramadan
selber
aber
auch
als
Reformer,
der
nach
eigenen
Worten
„die
Botschaft
des
Islam
für
die
moderne
Gesellschaft“
verkünden
will.
„Wir
können
ihn
als
einen
Anhänger
des
2
Geistes
der
Aufklärung
definieren,
der
sich
das
Ziel
gesetzt
hat,
den
Islam
für
die
Menschen,
die
in
den
modernen
europäischen
Gesellschaften
leben,
aus
sich
selbst
heraus
zu
erleuchten,
im
Sinne
einer
eigenständigen
Durchführung
des
aufklärerischen
Projekts
aus
dem
Innern
des
Islam
heraus“,
schreibt
etwa
Nina
zu
Fürstenberg
in
ihrem
Buch
„Wer
hat
Angst
vor
Tariq
Ramadan?“
Andere
Autoren
bezeichnen
Ramadan
als
„salafistischen“
Reformer
oder
auch
als
„Neo‐Orthodoxen“.
Die
Ernsthaftigkeit
seiner
Bemühungen,
den
Islam
an
die
Anforderungen
der
Moderne
anzupassen
und
ihn
in
dem
Sinn
Europa‐tauglich
zu
machen,
lässt
sich
nicht
bestreiten.
Wer
sich
auf
sein
Buch
„Radikale
Reform“
einlässt,
stösst
auf
interessante,
doch
keinesfalls
auf
radikale
Gedankengänge.
Ramadan
gehöre
klar
zu
den
Reformern,
welche
den
„Rahmen
der
Tradition“
nicht
verliessen,
meint
Nasr
Abu
Zeid,
Professor
an
der
Universität
von
Leiden
(NL).
Unter
diesen
Reformern
gehöre
er
allerdings
zu
den
besten.
Radikalere
muslimische
Denker
erachten
eine
historisch‐kritische
Lektüre
des
Korans
wie
auch
der
Sunna
und
der
Hadithe
hingegen
als
unumgänglich,
um
die
Muslime
aus
dem
„geistigen
Korsett“
zu
befreien,
in
dem
sie
sich
seit
Jahrhunderten
befinden.
Feindbild
Ramadan
Aufgrund
seiner
verwandschaftlichen
Beziehungen
zum
Gründer
der
ägyptischen
Muslimbrüder
und
auch
aufgrund
von
öffentlichen
Stellungnahmen,
die
oft
unverbindlich
oder
gar
zweideutig
wirken,
wird
Ramadan
seit
Jahren
heftig
als
Soft‐
Islamist
oder
gar
als
Schreibtischtäter
denunziert,
der
seine
Sympathien
für
den
radikalen
Islam
hinter
einer
brillanten
3
Rhetorik
zu
kaschieren
versuche.
Viele
dieser
Vorwürfe
sind
klar
ungerechtfertigt,
und
es
ist
davon
auszugehen,
dass
manche
seiner
Gegner
nie
die
Mühe
unternommen
haben,
sich
mit
seinen
Theorien
eingehend
zu
befassen.
Nasr
Abu
Zeid
sieht
darin
gar
eine
Art
Verleumdungskampagne
gegenüber
einem
unbequemen
muslimischen
Intellektuellen.
Ganz
unschuldig
an
den
heftigen
Debatten,
die
sich
mit
schöner
Regelmässigkeit
um
seine
Person
und
seine
Aktivitäten
entspannen,
ist
Ramadan
allerdings
nicht.
Dies
lässt
sich
auch
anhand
des
Konflikts
belegen,
der
Mitte
August
in
Rotterdam
aufgebrochen
ist.
Damals
entschlossen
sich
die
Stadtbehörden
von
Rotterdam
und
das
Dekanat
der
Erasmus‐Universität,
ihre
Zusammenarbeit
mit
dem
prominenten
islamischen
Denker
unverzüglich
zu
beenden.
Anlass
dafür
war
die
Weigerung
von
Ramadan,
seine
Zusammenarbeit
für
den
von
der
iranischen
Regierung
finanzierten
Sender
Press
TV
einzustellen.
In
der
niederländischen
Öffentlichkeit
sorgte
der
„Fall
Ramadan“
für
einige
Proteste,
und
eine
Reihe
von
Dozenten
der
Erasmus‐Universität
forderten
die
Behörden
auf,
die
Entlassung
umgehend
zurückzunehmen.
Doch
eine
breite
Solidarisierung
blieb
aus;
im
Gegensatz
zu
Frankreich,
wo
der
umstrittene
und
umtriebige
Autor
und
Redner
einen
phänomenalen
Bekanntheitsgrad
aufweist,
scheinen
ihn
in
den
Niederlanden
nicht
allzu
viele
zu
kennen.
Vieles
an
diesem
Fall
ist
auch
aus
der
zeitlichen
Distanz
von
mehr
als
zwei
Monaten
immer
noch
unklar.
Einiges
weist
darauf
hin,
dass
der
offiziell
genannte
Entlassungsgrund
nur
der
Tropfen
war,
der
das
Fass
zum
Überlaufen
gebracht
hat.
Ramadan
dürfte
sich
in
den
Niederlanden
schon
Monate
zuvor
Feinde
gemacht
haben,
etwa
durch
seine
öffentliche
Stellungnahmen
zum
Thema
Homosexualität.
So
erklärte
er
dem
Sinn
nach,
diese
sei
in
der
Tat
verwerflich
und
eine
„moralische
Abweichung“,
ja
eine
„Störung“,
dem
einzelnen
homosexuellen
Menschen
solle
aber
dennoch
Verständnis
entgegen
gebracht
werden;
eine
Haltung,
die
aus
vatikanischen
Verlautbarungen
entstammen
könnte.
Dass
ihm
schliesslich
ausgerechnet
der
erste
islamische
Bürgermeister
der
Niederlande,
Ahmed
Aboutaleb,
den
Laufpass
gegeben
hat,
ist
eine
bittere
Ironie.
Der
aus
Marokko
stammende
Aboutaleb
scheint
Ramadan
als
die
falsche
Besetzung
für
die
Stelle
eines
Beraters
in
Sachen
Integration
erachtet
zu
haben.
Er
wird
aber
auch
gemutmasst,
Aboutaleb
habe
sich
von
Ramadan
trennen
müssen,
weil
er
unter
keinen
Umständen
im
Kauf
nehmen
wollte,
wegen
der
Zusammenarbeit
mit
einem
angeblichen
Islamisten
ins
Schussfeld
von
rechts‐konservativer
Seite
zu
geraten.
Ramadan
4
selbst
erklärte
bitter,
seine
Entlassung
habe
sehr
viel
mehr
mit
der
gegenwärtigen
Verfassung
niederländischer
Innenpolitik
als
mit
seiner
Person
zu
tun.
Ob
Ramadan
wirklich
die
richtige
Person
war,
um
in
den
Problemquartieren
von
Rotterdam
die
monatlich
stattfindenden
„Bürgergespräche“
zwischen
Allochthonen
und
Autochthonen
zu
moderieren,
wie
diese
Bevölkerungsgruppen
in
den
Niederlanden
genannt
werden,
steht
auf
einem
anderen
Blatt.
So
bestehen
erhebliche
Zweifel,
ob
Ramadan,
des
Niederländischen
nicht
mächtig
und
ohne
praktische
Kenntnis
der
lokalen
Verhältnisse,
diese
schwierige
Aufgabe
erfolgreich
übernehmen
konnte.
Man
sieht
den
eleganten
und
wortmächtigen
Intellektuellen
aus
Genf
nur
schwer
im
Gespräch
mit
einem
ruppigen
Hafenarbeiter,
der
einfach
die
Nase
voll
hat
von
den
vielen
Abayas
und
Burqas,
die
ihm
täglich
begegnen.
Die
Eignung
Ramadans
als
Vermittler
und
Berater
in
Rotterdam
–
einer
Stadt,
die
mit
einem
Anteil
der
ausländischen
Wohnbevölkerung
von
rund
50%
mit
guten
Gründen
eine
wohl
fundierte
Integrationspolitik
betreiben
will
‐,
wird
aber
auch
unter
kritischen
Musliminnen
und
Muslimen
kontrovers
beurteilt.
Tariq
Ramadan
sei
nicht
nur
ein
Brückenbauer,
sondern
„eine
der
geeignetsten
Persönlichkeiten,
um
europäische
Gemeinwesen
hinsichtlich
der
Wahl
einer
angemessenen
Strategie
zur
Integration
ihrer
muslimischen
Bürger
zu
beraten“,
erklärt
Nasr
Abu
Zeid
auf
Anfrage.
Dem
widerspricht
Saida
Keller‐Messahli,
Präsidentin
und
Gründerin
des
„Forums
für
einen
fortschrittlichen
Islam“
(FFI)
heftig.
Ramadan
sei
keinesfalls
ein
Brückenbauer
und
in
dem
Sinn
klar
5
„der
falsche
Mann“
für
diese
Aufgabe.
Ramadan
spiele
zudem
nicht
mit
offenen
Karten.
Er
lasse
bewusst
vieles
im
Dunkeln,
weil
er
allen
Seiten
gefallen
möchte.
„Tariq
Ramadan
führt
je
nach
Publikum
einen
anderen
Dialog“,
sagt
Keller‐Messahli.
„Er
ist
dadurch
unberechenbar.“
Ganz
so
weit
mag
Elham
Manea,
Autorin
eines
kürzlich
erschienen
Buchs
über
Menschenrechte
im
Islam,
nicht
gehen.
Doch
Ramadan
sei
tatsächlich
„schwer
zu
fassen“,
und
man
wisse
oft
nicht
recht,
wo
er
wirklich
stehe.
Eine
gewisse
Skepsis
schimmert
schliesslich
auch
bei
Nina
zu
Fürstenberg
durch,
der
es
an
Wohlwollen
gegenüber
Ramadan
gewiss
nicht
mangelt:
Es
sei
schwer
zu
beantworten,
ob
„die
Intentionen
von
Ramadan
so
aufrichtig
seien
wie
die
Eleganz
seiner
Ideen“
und
ob
sich
hinter
seiner
herausragenden
Rhetorik
nicht
auch
Zweideutigkeit
verberge.
Der
überzeugendste
Erklärungsversuch
für
die
oft
zumindest
vagen,
wenn
nicht
zweideutigen
Positionen
liegt
darin,
dass
Ramadan
gleichzeitig
mehrere
Zielgruppen
ansprechen
will,
ohne
aber
deren
je
eigene
Sensibilitäten
zu
verletzen:
Fromme,
eher
intellektuelle
Muslime
weltweit,
zornige
Jugendliche
aus
den
französischen
Banlieues
und
andere
Zweitgenerations‐
Muslime;
gemässigte
Islamisten
und
neuerdings
auch
Globalisierungskritiker.
Würde
er
sich
etwa
klar
und
unmissverständlich
gegen
die
von
der
Scharia
vorgesehenen
Körperstrafen
aussprechen,
so
stiesse
er
damit
einen
Teil
seiner
Anhänger
vor
den
Kopf.
Dies
hat
Ramadan
auch
schon
getan,
und
von
islamistischer
Seite
wurde
ihm
in
der
Folge
vorgeworfen,
den
rechten
Glauben
auf
dem
Altar
des
Euro‐
Islam
geopfert
zu
haben.
Auch
in
den
kommenden
Jahren
dürfte
Tariq
Ramadan
regelmässig
für
heftige
Debatten
sorgen.
Dabei
sollte,
aller
Irritiationen
zum
Trotz,
die
Bedeutung
von
Ramadans
erklärtem
Fernziel
nicht
unterschätzt
werden:
die
europäischen
Muslime,
ohne
mit
der
Tradition
zu
brechen,
an
die
europäische
Moderne
heranzuführen.
Die
Verteufelung
gerade
der
Person,
die
diesen
Weg
wie
kein
zweiter
verkörpert,
kann
für
Europa
keine
zukunftsträchtige
Strategie
sein.
Beat
Stauffer
Nina
zu
Fürstenberg:
Wer
hat
Angst
vor
Tariq
Ramadan?
Herder
Verlag
2008
ISBN
978­3­451­29877­6
Tariq
Ramadan.
Radikale
Reform.
Die
Botschaft
des
Islam
für
die
moderne
Gesellschaft.
Diederichs­Verlag
München.
ISBN
978­3­424­
35000­5
6