Die Slowakei hat nach den Wahlen ernste - Hanns-Seidel
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Die Slowakei hat nach den Wahlen ernste - Hanns-Seidel
POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projekt: Projektland: Mittelosteuropa Slowakische Republik Die Slowakei hat nach den Wahlen ernste Probleme Der Ausgang der slowakischen Parlamentswahlen am 5. März 2016 ist in mehrfacher Hinsicht überraschend und besorgniserregend: insgesamt 8 Parteien zogen ins Einkammer-Parlament ein, darunter eine nationalistische und eine rechtsextremistische Partei sowie mehrere unbekannte Protestbewegungen. Die sozialpopulistische SMER-SD, die seit vier Jahren mit Regierungschef Fico allein regierte, verlor die Hälfte ihrer Mandate. Die etablierten Christdemokraten (KDH) verfehlten knapp die Fünf-Prozent-Hürde und werden zum ersten Mal in der Geschichte nicht mehr im slowakischen Parlament vertreten sein. Die Regierungsbildung wird so schwer nie zuvor. Die Stimmung in der Slowakischen Republik wird von Politikern folgendermaßen beschrieben: „Heute sind wir in einem völlig anderen Land aufgewacht“ oder „Sagen Sie mir, wie kann eine stabile Regierung gebildet werden?“, so Béla Bugár, Vorsitzender der Partei Most-Híd. „Wir haben Faschisten gewählt“, so äußerte sich Miroslav Lajčák, sozialdemokratischer Außenminister (Smer-SD). In den Schlagzeilen der Tageszeitungen dominieren die Wörter Pattsituation, Neuwahlen und Schock. Die Fakten sehen nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses vom 5. März 2016 folgendermaßen aus: Die Sozialdemokraten bleiben zwar die stärkste Kraft im Land, allerdings hat die „Fico-Partei“ überraschend deutlich an Macht und Einfluss verloren. Statt mit den von Fico erwarteten „über 30%“, muss er sich jetzt mit 28,3% der Wählerstimmen zufriedengeben. Im Vergleich zu den Ergebnissen von vor vier Jahren ist dies als eine schwere Niederlage zu werten – die Partei SMERSD hat nicht nur ihre absolute Mehrheit verloren, sondern wird in Zukunft von den 150 Abgeordnetenmandaten nur noch 49 Sitze innehaben (vorher 83). Mit diesem Wahlergebnis sind die Pläne der Sozialdemokraten zur Bildung einer stabilen Koalition von 2 Parteien nicht umsetzbar. Zusammen mit der nationalistischen, anti-ungarischen SNS (Slowakische Nationalpartei), die häufig als mögliche „Braut von Fico“ genannt wurde, würde eine solche Koalition nur über 64 Sitze verfügen. Für eine Mehrheit wären jedoch 76 Mandate erforderlich. Hanns-Seidel-Stiftung, Sonderbericht Slowakei nach der Wahl März 2016 1 Hoffnungsvoller sieht es aber auch bei der bürgerlichen Opposition nicht aus. Die Ergebnisse der Meinungsumfragen lagen in mehreren Fällen komplett daneben. Eine der größten Überraschungen ist die konservativ-liberale Partei SaS (Freiheit und Solidarität), die auf europäischer Ebene Mitglied der EKRFraktion (Europäische Konservative und Reformisten) ist, zusammen mit der polnischen PIS-Partei (Recht und Gerechtigkeit), ODS (Demokratische Bürgerpartei) aus Tschechien, den Tories (Conservative and Unionist Party) aus Großbritannien und der AfD (Alternative für Deutschland). Laut den Demoskopen lag die SaS dauerhaft bei 5%, nun aber ist die SaS die größte bürgerliche Partei im slowakischen Parlament. Mit 12,1% der Wählerstimmen kam sie auf den zweiten Platz und der auch in Deutschland bekannte Europaabgeordnete Richard Sulík ist somit neuer Oppositionsführer geworden, der sogar mit der Regierungsbildung beauftragt werden könnte. Ähnlich überraschend fallen die Ergebnisse für die Protestbewegung OLaNONOVA (Gewöhnliche Leute und Unabhängige Persönlichkeiten - NOVA) aus. Es ist die Partei, welche die meisten Korruptionsfälle der regierenden Sozialdemokraten während der letzten Legislaturperiode ans Licht brachte und laut Umfragen im Vorfeld der Wahlen mit 6% Unterstützung rechnen durfte. Nun erhielt aber OLaNO-NOVA rund 11% Zustimmung der Wähler. Auf der Kandidatenliste dieser Protestbewegung zog auch die Gruppierung NOVA mit dem Vorsitzenden und ehemaligen Christdemokraten Daniel Lipšic ins Parlament ein. Eine weitere Überraschung bildet das relativ gute Abschneiden der Protestbewegung „Sme rodina - Boris Kollár“ (Wir sind Familie - Boris Kollár), gegründet von einem reichen Unternehmer namens Boris Kollár im Jahr 2015. Sie erreichte auf Anhieb 6,62% und wird über 11 Sitze im Parlament verfügen. Laut Aussagen des Parteivorsitzenden will er „mindestens 20 Jahre in der Politik durchhalten und Ministerpräsident werden.“ Sein Erfolg ist ausschließlich den Boulevard- und Internetmedien zu verdanken. Darin ist er oft als Liebhaber von Luxus und schönen Frauen dargestellt worden – und avancierte zum Prominenten. Die Oberflächlichkeit der slowakischen Medien kritisierte der Parteichef der ungarisch-slowakischen Partei „Most-Híd“, Béla Bugár, hart. Seine Partei bekam nur 6,5% der Wählerstimmen, ist damit aber die einzige Mitgliedspartei der Europäischen Volkspartei (EVP), die noch im slowakischen Parlament vertreten sein wird. Die Tatsache, dass diese Partei weniger Unterstützung als die „Kollár-Partei“ erringen konnte, ist alarmierend. Das Wahlprogramm von Most-Híd ist von Analytikern in mehreren Bereichen für das beste befunden worden. Parteichef Bugár verschweigt seine tiefe Enttäuschung nicht. Nach der Wahl kritisierte er offen, dass sich die Medien vor den Wahlen für die Wahlprogramme und Inhalte der Parteien überhaupt nicht interessiert hätten. Einzig interessant war, so Bugar, wer mit wem kooperieren würde. Diese Fragestellung werde aber erst in den ersten Tagen nach den Wahlen wichtig. „Bedauerlicherweise ist es somit der Slowakei nicht gelungen, ein proeuropäisch orientiertes Parlament zu wählen. Dies wäre gerade vor der slowakischen Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli 2016 von riesengroßer Bedeutung gewesen.“ Hanns-Seidel-Stiftung, Sonderbericht Slowakei nach der Wahl März 2016 2 Schockierend ist insbesondere das Ergebnis der ĽSNS (Volkspartei - Unsere Slowakei), die als nationalistisch-extremistisch eingestuft wird. Es ist die Nachfolgepartei der vom Höchsten Gericht der Slowakischen Republik 2006 verbotenen „Slowakischen Gemeinschaft“, die sich als Nachfolgeorganisation der faschistischen Hlinka-Bewegung sah. Diese kollaborierte mit der NSDAP im „Dritten Reich“. Die Rechtsradikalen schafften nun zum ersten Mal den Einzug ins slowakische Parlament mit 8% der Wählerstimmen. Die Meinungsumfragen haben ursprünglich mit einer Unterstützung von 2% der Wähler gerechnet. Es stellt sich die Frage, warum sich die Regierung und die Opposition nicht schon seit Jahren mit dem Phänomen des Erstarkens rechtsextremer Kräfte in der Slowakei befasst haben. Einige Experten sind der Meinung, dass das Problem des Rechtsradikalismus von den regierenden Sozialdemokraten völlig unterschätzt worden sei. Andere Kommentatoren sehen zumindest eine Mitschuld bei Ministerpräsident Fico, der durch seine islam- und migrantenfeindlichen Aussagen den Wahlkampf der Extremisten beflügelt habe. Äußerst beunruhigend ist die Tatsache, dass 22% der jungen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren diese rechtsextremistische Partei gewählt haben – und dafür ganz öffentlich in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter geworben haben. Interessanterweise taten sie dies auch in russischer Sprache. Einen Tag nach der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses demonstrierten in der Hauptstadt Bratislava Tausende Bürger gegen Rechtsextremismus und den Spitzenkandidaten Marián Kotleba, derzeit noch Landrat (župan) im zentralslowakischen Banská Bystrica, bald Abgeordneter im Nationalrat. Die Liste der negativen Überraschungen kann noch nicht abgeschlossen werden. Die Parlamentswahlen endeten tragisch für die Christdemokraten (KDH), weil sie die Fünf-Prozent-Hürde knapp mit 4,94% der Stimmen nicht erreichten. Es fehlten ihnen 1.480 Stimmen zum Wiedereinzug. Der Parteichef und ehemalige EU-Kommissar Figeľ äußerte sich kurz zum historisch schlechtesten Ergebnis seiner Partei und kündigte nach einer Parteivorstandssitzung einen Parteitag für den 19. März 2016 an, auf dem Konsequenzen aus dem Wahlergebnis gezogen werden sollen. Der gesamte Parteivorstand wird wohl seinen Rücktritt anbieten, um der Partei einen Neustart zu ermöglichen. Aus der völlig zersplitterten Mitte-rechts-Parteienlandschaft hat dagegen die Partei Sieť (Netzwerk) den Einzug ins Parlament geschafft. Allerdings haben die Ergebnisse die Partei ins Staunen versetzt – statt der prognostizierten 14% bekam sie nur 5,6% der Stimmen. Der Parteivorsitzende und frühere KDH-Politiker, Radoslav Procházka, der den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ablösen wollte, ist davon weit entfernt. Die einstige Regierungspartei von Dzurinda, die SDKU-DS (Slowakische Demokratische und Christliche Union) erzielte 0,26% der Wählerstimmen und gehört somit endgültig der Vergangenheit der slowakischen Politikszene an. Die Partei der ungarischen Minderheit SMK verfehlt mit 4,04% erneut den Einzug ins Parlament. Hanns-Seidel-Stiftung, Sonderbericht Slowakei nach der Wahl März 2016 3 Regierungsbildung und die Rolle des Staatspräsidenten Für eine Mehrheit im 150-köpfigen slowakischen Nationalrat sind mindestens 76 Mandate erforderlich. Staatspräsident Andrej Kiska beauftragt am 9. März 2016 Robert Fico, den Vorsitzenden der stärksten Partei, mit der Regierungsbildung. Dies erfolgt aufgrund einer Rechtsgepflogenheit, die nicht in der slowakischen Verfassung verankert ist. Kann die beauftragte Person den Staatspräsidenten nicht hinreichend von der Chance der Regierungsbildung überzeugen, so kann dieser auch eine andere Person damit beauftragen. Dieses Spezifikum des slowakischen Verfassungssystems hat zur Folge, dass dem Staatspräsidenten Andrej Kiska eine entscheidende Rolle in dieser schwierigen Phase der Regierungsbildung zukommt. Sicher ist nur, dass er die konstituierende Sitzung des Nationalrates so einberufen muss, dass sie binnen 30 Tagen nach Verkündung der Wahlergebnisse stattfindet. Wenn er dies unterlässt, tritt der Nationalrat der Slowakischen Republik am dreißigsten Tag nach Verkündung der Wahlergebnisse zusammen. Mögliche Regierungskoalitionen Es werden derzeit vor allem folgende Konstellationen zur Regierungsbildung diskutiert: 1. Staatspräsident Kiska wird den Smer-SD-Parteichef und bisherigen Regierungschef Robert Fico mit der Regierungsbildung beauftragen. Die Sozialdemokraten könnten zusammen mit SNS, Most-Híd und Sieť über insgesamt 85 Sitze im Parlament verfügen. Allerdings hatte sich der Most-HídParteichef Bugar bereits ablehnend geäußert aufgrund der anti-ungarischen Propaganda von SNS. Gleiches gilt für Sieť. 2. Falls die Sozialdemokraten keine Regierung bilden können, kommt eine Regierung unter der Führung von SaS mit dem Euroskeptiker Richard Sulík an der Spitze in Betracht. Seine möglichen Koalitionspartner wären OLaNONOVA, SNS, Most-Híd und Sieť. Diese hätten allerdings insgesamt nur 76 Sitze im Parlament. Sie bräuchten also die Unterstützung oder zumindest Duldung durch die neue Partei „Sme Rodina - Boris Kollar“, die 11 Sitze gewonnen hat. 3. Wenn es dem SaS-Parteichef nicht gelingen wird, eine bürgerliche Koalition von 5 Parteien zu formen, ist eine Annäherung an die Sozialdemokraten und Most-Híd denkbar. Diese Dreier-Koalition würde über 81 Sitze verfügen. Notlösung Expertenregierung und Neuwahlen Obwohl die Parteien angekündigt haben, eine Koalitionsregierung bilden zu wollen, sind Neuwahlen oder die Bildung einer Expertenregierung nicht ausgeschlossen. Für die möglichen Koalitionen müssten historische Kompromisse eingegangen werden, wie es Ministerpräsident Fico Hanns-Seidel-Stiftung, Sonderbericht Slowakei nach der Wahl März 2016 4 ausgedrückt hat. Laut renommierten Experten und Kommentatoren ist bereits diese Aufgabe eine große Herausforderung für die Parteien. In Bezug auf das Bestehen dieser Koalitionen sind sie nicht optimistisch. Sie sagen schwere Koalitionsverhandlungen voraus und prognostizieren den Koalitionen eine Dauer von höchstens einem Jahr. Besonders unangenehm wäre eine instabile oder gar anti-europäische Regierung der Slowakei für ihre EURatspräsidentschaft ab dem 1. Juli 2016. Aus diesem Grund muss das Land möglichst schnell eine handlungsfähige Regierung bilden. Sollten die Verhandlungen zwischen den gewählten Parteien scheitern, könnte die Situation mit Schaffung einer Expertenregierung gerettet werden. Es ist denkbar, dass Staatspräsident Kiska auf die Pattsituation des Landes reagieren und eine Expertenregierung bestellen werde. Kiska hat dabei freie Hand, den Vorsitzenden dieser Regierung einzusetzen. Mehrere Fachleute spekulieren bereits über eine Regierung mit dem jetzigen Außenminister, Andrej Lajčák, oder mit Peter Pellegrini, dem jetzigen Präsidenten des Nationalrates (beide Smer-SD) an der Spitze. Autoren: Martin Kastler M.A. ist Repräsentant und Regionalleiter der HannsSeidel-Stiftung für die Slowakische Republik. Bericht erstellt unter Mitarbeit von Katarína Kissová, stellv. Büroleiterin in Bratislava. IMPRESSUM Erstellt: 07. März 2016 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2016 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D., Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected] | www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung, Sonderbericht Slowakei nach der Wahl März 2016 5