Magisterarbeit Druckfassung
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ǦǦ¡ Ǧ ò ¡ ǣ Dz dz ȋʹͲͲͷȌ ǣǤǤ ʹǤòǣǤǤ ǣ ǡ ʹʹǡͲͳʹͲ ȋȌ ͳǤ ʹͲͲͻ ǣ Dz dz ȋʹͲͲͷȌ Ingo Herrmann 1 Einleitung 1 2 Francesco Vezzoli 4 3 2.1 Sexualität und Pornographie im Werk Vezzolis 6 2.2 Populärkultur im Werk Vezzolis 9 2.3 Selbstinszenierung Vezzolis in seinem Werk Entstehungsgeschichte des Films (Gore Vidal’s) Caligula 3.1 4 5 6 7 14 15 Die Etablierung des pornographischen Films………………………. während der 1970er Jahre 16 3.2 Die Entstehungsgeschichte 22 3.3 Der historische Caligula und Zusammenfassung der Handlung 28 Beschreibung und Analyse des Trailers 30 4.1 Zur Entstehungsgeschichte des Trailers 32 4.2 Der Trailer als Kategorie des Films 34 4.3 Analyse und Beschreibung des Trailers 38 4.4 Anlehnungen an die Vorlage 50 4.5 Zwischenfazit 52 Der Aspekt des Pornographischen in Vezzolis Trailer 55 5.1 Der Einfluss Gore Vidals 55 5.2 Die feministische Pornographie-Kritik 61 5.3 Der Wahrheitsgehalt der filmischen Bilder 64 5.4 Vezzolis Herangehensweise 68 Stars und Populärkultur 73 6.1 Sex Sells – Sexualität und Werbung 74 6.2 Kulturindustrialisierung und Celebrity Culture 76 6.2.1 Celebrity Logik – Allgemeines zum Star 81 6.2.2 Stars in der Kunstwelt 82 6.3 Pornographie und Modefotographie 87 6.4 Die Dekonstruktion des Kunstmarktes 91 Fazit - Der Papst als Medienstar 96 Literaturverzeichnis ii Abbildungsverzeichnis xi -i- Ingo Herrmann 1 Einleitung Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage nach dem künstlerischen Wesen der Pornographie. Im Spätsommer 2006 unternahm die britische Polizei eine fragwürdige Aktion, die mich auf das Thema aufmerksam machte. Sie beschlagnahmte eine Fotografie Nan Goldins, die zusammen mit weiteren Bildern im Baltic Centre of Contemporary Art in Gateshead (Nordengland) ausgestellt werden sollte. Die Aufnahme trägt den Titel Klara and Edda belly-dancing und zeigt zwei spielende Mädchen im Alter von circa vier und acht Jahren. Eines der Mädchen ist mit Wickeltüchern umhüllt und tanzt stehend, während das andere sich auf dem Boden liegend mit nackten geöffneten Beinen dem Betrachter zuwendet. Obwohl das Bild 1999 in der Londoner Galerie White Cube verkauft wurde und tausendfach in den Bildbänden Nan Goldins reproduziert ist, lautete der Vorwurf auf Kinderpornographie.1 Die Beschlagnahmung: Eine Farce, die für mich die Frage nach dem Unterschied von Pornographie und Kunst aufwarf, eine Frage die historisch betrachtet immer wieder gestellt wurde. Regelmäßig wurden Kunstwerke als pornographisch stigmatisiert. Zur Illustration seien, ohne darauf nähr eingehen zu wollen, Bronzinos Allegorie der Liebe und Courbets Ursprung der Welt erwähnt. Schließlich war es ein Besuch im Museum Ludwig in Köln, der im Frühjahr 2008 Anstoß für die vorliegende Arbeit gab. Zu dieser Zeit war das Ziel einer Magisterarbeit zu erahnen, wenn auch nicht greifbar, so dass kurz nach diesem „musealen Erstkontakt“ einige Eindrücke des hier zu besprechenden Werks schriftlich festgehalten wurden, die als Grundlage in der vorliegenden Arbeit Verwendung fanden. Das Werk, welches einen derartigen Eindruck hinterlassen hatte, war Francesco Vezzolis Videoarbeit Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula aus dem Jahr 2005. Weder Künstler, noch Caligula oder der gleichnamige Film aus dem Jahr 1979 (Caligula) waren mir zu diesem Zeitpunkt hinlänglich bekannt, als das ich Vezzolis Trailer hätte einordnen können. Vielmehr waren es die Unmittelbarkeit der Darbietung in einem kinoähnlichen Raum, die 1 Vgl. Voss, Julia: „Pornographie-Vorwurf - Wie schuldig ist der Betrachter?“, erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. September 2007, S.33. -1- Ingo Herrmann nackten Körper und die Präsentation einer solchen „Filmvorschau“ in einem Museum, die mich faszinierten. Meine Begleitung war ebenso angetan wie irritiert, tat den Trailer jedoch als schlechten Museumsscherz ab und ging weiter. Ich blieb sitzen und war beim zweiten Betrachten von der Geschwindigkeit der Schnitte, den Bildern und der LeinwandAtmosphäre noch beeindruckter als zuvor. Hatte Helen Mirren nicht gerade einen Oscar für ihre Rolle in The Queen bekommen? Benicio del Torro ist doch der durchgeknallte Drogendoktor aus Fear and Loathing in Las Vegas? Und ist Courtney Love nicht dieses verrückte Starlett, das während eines Live-Interviews mit Madonna volltrunken in das Gespräch platzte? Alle samt Stars und gemeinsam in einem – PORNOFILM? Zeit ging ins Land und der Film und die Notizen auf meiner Festplatte waren schon in Vergessenheit geraten, als mir Vezzolis Stickbilder in einem Katalog der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst zufällig in die Hand fielen. Wer ist dieser Italiener und was hat es eigentlich mit diesem Trailer auf sich? Die eingehende Beschäftigung mit Vezzolis Trailer zeigte schließlich, dass es ihm nicht vordergründig um Pornographie geht. Vielmehr verwendet er das Pornographische als ein bewusstes künstlerisches Mittel, dessen genaue Funktion in dieser Arbeit herausgearbeitet werden soll. Zugleich thematisiert Vezzoli einen anderen Aspekt, der mit der Beteiligung der oben erwähnten Stars am deutlichsten Ausdruck findet. Nach einem ersten einleitenden Teil, in dem die Person und das Werk Vezzolis kurz vorgestellt werden und die Beschreibung des Trailers vorgenommen wird, sollen in einem zweiten Teil die beiden Aspekte in den Vordergrund treten. Diese ließen sich mit den gleichermaßen treffenden wie ungeeigneten Schlagworten (1) Pornographie und (2) Stars, als auch mit den ebenfalls (un)geeigneten Begriffen (1) Feminismus und (2) Populärkultur umreißen. Ersterer steht dabei für das Genre von Vezzolis Vorlage und die damit verbundenen Diskurse. Der 1979 veröffentlichte Film wird gemeinhin als pornographisch bezeichnet, auch wenn dies heute aus mehreren Gründen nur noch bedingt nachzuvollziehen ist. In diesem Abschnitt wird schließlich die Gedankenwelt Gore Vidals aufgegriffen, der nicht nur an prominenter -2- Ingo Herrmann Stelle in Vezzolis Trailer auftaucht und dem Vezzoli einen ganzen Werkzyklus widmete (The Gore Vidal Trilogy, 2006), sondern sich auch als Drehbuchautor für den 1979 entstandenen Film verantwortlich zeigt. Damit stellt er einen Angelpunkt zwischen Original und Remake dar. Neben seiner Beteiligung an beiden Filmen hat er sich früh als Vorreiter der Sexuellen Revolution hervorgetan, weshalb untersucht werden soll, inwiefern seine Positionen zu Sexualität und Pornographie Einfluss auf beide Werke genommen haben. Zwar hat Vidal sich auch zum Feminismus geäußert, jedoch scheint Vezzoli diese Auseinandersetzung weiter getrieben zu haben, weshalb abschließend eine eingehendere Betrachtung der feministischen Pornographie-Kritik als lohnenswert für den Fortgang der Untersuchung erscheint. Während dieser erste Aspekt eine historische Perspektive einnimmt, zielt der zweite auf ein zeitgenössischeres Thema – die Populärkultur. Ausgehend von den Thesen zur Industrialisierung des Kulturbetriebs (Adorno, Horkheimer, Löwenthal) soll vor allem der Einfluss dieses Gedankens auf den Bereich der Kunst aufgezeigt werden. Diese Beziehung von Kunst und Populärkultur stellt Vezzoli nicht nur durch die von ihm gewählten populärkulturellen Formate her (im Fall der zu besprechenden Arbeit z.B. den Trailer), sondern wird auch in diversen Interviews von ihm angesprochen und nicht zuletzt durch die Zahl der Mitwirkenden Stars und Celebritys unterstrichen. Abschließend soll ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten herausgearbeitet werden, der Populärkultur, Kunst und Pornographie in Beziehung setzt. Um das Verständnis und die Lesbarkeit der Arbeit zu erhöhen, sei ihr ein Link vorangestellt, der auf eine im Internet verfügbare Version des Trailers verweist. Auch wenn die Betrachtung dieses Videos keinesfalls die Betrachtung z. B. im Museum Ludwig in Köln ersetzen kann, gewinnt jener Leser einen Eindruck, der das Werk nicht vor Augen hat, beziehungsweise kann sich wichtige Details ins Gedächtnis rufen. http://torontoist.com/2007/09/francesco_vezzo.php -3- Ingo Herrmann 2 Francesco Vezzoli Francesco Vezzolis Trailer for a Remake of Gore Vidal's Caligula (digitale Projektion auf Leinwand in einem kinoähnlichen Ambiente, 5:00 Minuten) wurde erstmals im Sommer des Jahres 2005 auf der Biennale in Venedig gezeigt, wo er von der internationalen Presse als „hottest ticket“ gefeiert wurde. Ein Jahr später erlebte der Trailer einen weiteren fulminanten Erfolg auf der Whitney Biennial „Day and Night“ im Whitney Museum of American Art in New York, bei der Vezzoli als einer der Höhepunkte beschrieben wurde.2 Seit dieser Zeit ist Vezzoli verstärkt in hochkarätigen Ausstellungen präsent, feierte weitere Erfolge mit Filmen wie Marlene Redux: A True Hollywood Story! (2006), einer Anlehnung an Maximilian Schells Dokumentation Marlene von 1984, oder Democrazy! (2007), zwei fiktiven US-Wahlkampfspots französischen Philosophen in denen Sharon Stone gegen den Bernard-Henri Lévy um die Präsidentschaftskandidatur buhlt, wobei die beiden Videos parallel abgespielt werden und beide Darsteller ähnlich inhaltsleere Floskeln formulieren.3 Vezzoli wurde 1971 in Brescia, einer kleinen Stadt in Norditalien, geboren, studierte von 1992 bis 1995 an der Central St. Martin's School of Art in London (Bachelor) und lebt in Mailand und New York.4 Der Großteil seiner neueren Arbeiten beruht auf bewegten Bildern, vornehmlich Film und Video. Allerdings ist er kein ausschließlicher Film- und Videokünstler, sondern debütierte international im Sommer 2001 auf der Biennale in Venedig mit seiner Arbeit long live embroidery!, in der Veruschka von Lehndorf, ein Top-Modell der 1960er und 1970er Jahre, vier Tage lang auf einem Podest für die Besucher stickte. Hinter ihr hingen die PortaitStickereien von berühmten Schauspielerinnen der 1970er Jahre, die Vezzoli seit seiner Studienzeit von vielen Stars angefertigt hatte.5 Aber 2 Vgl. z.B. http://www.nytimes.com/2006/02/26/arts/design/26yabl.html (am 21.Februar 2008). 3 Vgl. http://www.pinakothek.de/pinakothek-der-moderne/html/kalender/kalender_index. php?haupt=ausstellungen&sub=moderne (am 21.Februar 2009). 4 Vgl. http://www.gagosian.com/artists/francesco-vezzoli/ (am 01.Dezember 2008). 5 Vgl. http://www.designboom.com/snapshots/venezia/vezzoli.html (am 01.November 2008). -4- Ingo Herrmann auch ein sexueller Aspekt taucht bereits in den Stickereien auf. 2004 stellte Vezzoli 120 Sedute di Sodoma (Die 120 Stühle von Sodom) aus. 120 mit Frauengesichtern bestickte Stuhl-Sitzflächen, für die Vezzoli folgende Quelle angibt: „I began by making needlepoint copies of prostitutes' calling cards that I found in telephone booths in London. Coming from an artistic Italian background, the idea was for me to perform a conceptual act, applying a visual, practical, openly domestic bythe-fireplace kind of language to a sexual one. Then I found that using this language of needlepoint unleashed very strong reactions from people. Some read it as a statement on sexuality or on the appropriation of a feminine language.”6 Für den Sommer 2008 plante Vezzoli mit Unterstützung der PradaFoundation eine Wiederauflage des Kinsey-Reports in verschiedenen Museen, dessen Realisierung jedoch bisher (Frühjahr 2009) aussteht.7 Stattdessen entwarf er eine Werbekampagne für ein fiktives Parfüm (Greed!), für das er einen von Roman Polanski gedrehten und mit Natalie Portman und Michelle Williams besetzten Werbefilm produzierte.8 Vezzolis Werk scheint im Wesentlichen von einigen Themen dominiert, die sich beim Betrachten sukzessive erschließen: Sexualität, Pornographie, Starkult, das Mediensystem, welches diesen Kult hervorbringt, Kinofilme – vor allem italienische Filme der 1970er Jahre – aber auch Werbung und Kunst sind Themen mit denen er sich künstlerisch befasst. Um diese spezielle Vielfalt überschaubar zu gestalten, sollen zwei Überbegriffe zur Strukturierung dienen, die sich in einzelnen Aspekten durch die gesamte Arbeit ziehen: Populärkultur und Sexualität beziehungsweise Pornographie. Allein diese Unterteilung zöge ausschweifende Bibliographien nach sich, deren Bewältigung allerdings nicht Anliegen dieser Arbeit sein kann. Vielmehr sind diese Begriffe sehr offen, sodass sich unterschiedliche Phänomene mit einem Schlagwort 6 versehen lassen. Detaillierte Celant, Germano: Interview mit Francesco Vezzoli - proof that experimentation is alive and well in art, erschienen in: Interview, Mai 2004, S.74. 7 Vgl. http://www.nytimes.com/2008/03/23/magazine/23prada-t.html (am 04.November 2008). 8 http://themoment.blogs.nytimes.com/2009/02/10/art-show-francesco-vezzolis-eau-defaux/ (am 18.Februar 2009) -5- Ingo Herrmann Diskursanalysen, insbesondere zur Darstellung von Nacktheit, Erotik, Sexualität und Pornographie, unterbleiben ebenso wie eine nähre Auseinandersetzung mit populärkulturellen Ausdrucksformen (Werbung, Kino, Stars etc.). Vielmehr geben die nachfolgenden Punkte einen kurzen Überblick über Vezzolis Werk, wobei keinesfalls alle Werke Erwähnung finden, sondern lediglich solche, die im Œuvre von Bedeutung sind. Diese Bedeutsamkeit wurde anhand der Häufigkeit der Erwähnung in den ausgewerteten Quellen festgemacht oder betrifft Einzelwerke die für die spätere Argumentation notwendig erscheinen. Schließlich befindet sich am Ende ein Punkt, der sich mit Vezzolis Selbstinszenierung in einigen seiner Werke befasst. 2.1 Sexualität und Pornographie im Werk Vezzolis Nicht in all seinen Werken setzt sich Vezzoli so offensichtlich mit Sexualität und Pornographie auseinander wie in seinem Trailer for a Remake of Gore Vidal's Caligula. Ein Werk, das ähnlich offensiv an diese Thematik heranzutreten scheint, ist The Bruce Nauman Trilogy aus dem Jahr 2006, die unter anderem ein Remake von Bruce Naumans Bouncing Balls aus dem Jahr 1969 mit dem gleichen Titel enthält. Nauman spielte in seinem stummen schwarz/weiß Film Bouncing Balls einhändig mit dem eigenen Hodensack, während er auf einem Stuhl zu sitzen scheint. Die Hoden werden in Nahaufnahme neun Minuten ohne Schnitt und Perspektivwechsel gezeigt, wobei der Film häufig als ironische Referenz zu einem seiner früheren Filme betrachtet wird – „Bouncing Two Balls Between the Floor and Ceiling with Changing Rhythms“. Naumans „Bouncing Balls“ wurde mit einer industriellen Slow-Motion Kamera gedreht, ein Aufnahmeverfahren, bei dem mit 1000 bis 4000 Bildern pro Sekunde gedreht wird, so dass die eigentliche Aufnahmezeit des Films lediglich 6 Sekunden betrug, der Film jedoch über neun Minuten in regulärer 26-Bilder-pro-Sekunde-Geschwindigkeit abgespielt wird. „The action is really slowed down a lot […] Sometimes it is so slow that you -6- Ingo Herrmann don’t really see any motion but you sort of notice the thing is different from time to time.”9 Vezzolis Film zeigt dagegen nicht die Hoden des Künstlers, sondern die Hoden eines von Vezzoli engagierten Pornostars – Brad Rock –, der seine glatt geölten Testikel in dem 7:52 Minuten langen Farbfilm zu Musik von Mozart nach links und rechts schaukeln lässt. Im Gegensatz zu Naumans Film gibt es bei Vezzoli Perspektivwechsel, Schnitt und Zoom, zudem ist der Film farbig, mit einer Tonspur unterlegt und nicht von einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen. In anderen Werken erfolgt die Thematisierung von Sexualität weitaus subtiler, wie beispielsweise in Marlene Redux: A True Hollywood Story! (2006). Die vermeintliche Anlehnung an Maximilian Schells Dokumentation Marlene von 1984 handelt – wider Erwarten – im Wesentlichen von Vezzoli selbst und seinem Leben als realer und fiktiver Kunst-(Super)-Star. Zum Einen wird in diesem Film ausführlich auf Bouncing Balls und Vezzolis Sexualleben eingegangen, zum Anderen stellt Vezzoli sein Personal vor. Beispielsweise wird Brad Rock interviewt – der Darsteller aus Bouncing Balls – aber auch ein männlicher Prostituierter und ein Stripper werden nach Vezzolis Persönlichkeit befragt (Vezzoli ist homosexuell und der Film gibt vor, beide hätten Dienste für ihn erbracht). Alle im Film gezeigten Personen existieren jedoch nach einer Recherche des Verfassers nicht. Zwar drehte Brad Rock diverse homosexuelle Pornos, jedoch ist dieser Name – wie fast immer in diesem Genre – fiktiv, wie auch Vezzolis Agentin, der Stripper und Freunde die im Film gezeigt werden nicht existieren.10 Einzig Vezzoli ist – als vermeintlich Verschiedener – eine reale Person und hochangesehener Künstler. Infolge von Sexeskapaden mit dem Stricher wird Vezzoli am Ende des Films schließlich ermordet aufgefunden. 9 Nauman zitiert nach: Bruggen, Coosje van: Sounddance, erschienen in: Morgan, Robert C. (Hrsg.) – Bruce Nauman, Baltimore, 2002, S.43-69. 10 Gemäß den Recherchen des Verfassers. -7- Ingo Herrmann Im November 2007 Ausstellungseröffnung der Pinakothek gestaltet Vezzoli – aus Anlass einer in der Moderne (München) – das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Auch thematisiert er indem eine er hier Sexualität fingierte Anzeige des Auktionshauses Sotheby’s schalten lässt, in der sich ein Cowboy vor einem Abbildung 1: Anita Ekkberg auf der Mae-West Gemälde selbst befriedigt.11 Couch Wenige Wochen zuvor inszeniert er im New Yorker Guggenheim die Performance Right you are, if you think you are. Basierend auf einem Theaterstück von Luigi Pirandello, saßen 10 Hollywood-Stars im Kreis und lasen den Text des Stückes, bis Cate Blanchett die Spirale im Guggenheim (New York) unter Blitzlichtgewitter hinab schritt und die Schlusssequenzen des Stückes sprach. Neben Cate Blanchett, Natalie Portman und weitern Stars, saß Anita Ekberg – Sexsymbol der 1950er Jahre – am prominentesten platziert auf einer Mae-West Couch.12 Diese Couch, ein Tribut Salvador Dalis an die Schauspielerin und Drehbuchautorin, die im Amerika der 1930er Jahre immer wieder durch den Bruch sexueller Tabus hervorstach, diente Vezzoli, wie er selbst sagt, zur „…Überblendung gleich zweier Sexsymbole…“.13 Weiterhin plante Vezzoli für Sommer 2008 ein Projekt, welches mit Unterstützung der Prada Foundation durchgeführt werden sollte und als eine Art „Neuauflage“ der Kinsey-Befragung konzipiert war. Alfred Charles 11 Vgl. Mayer, Christian: „Softporno im Medienzirkus“, erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 17.November 2007, S.28. 12 Vgl. Vezzoli, Francesco: "Ich will anderen ihre Persönlichkeit stehlen" - Der Künstler Francesco Vezzoli über sein Werk, die Arbeit mit Hollywood-Stars und seine Performance "Eine Nacht in New York", erschienen in: Süddeutsche Zeitung Magazin, 14.November 2007, S.17. 13 Ebd. -8- Ingo Herrmann Kinsey gründete 1947 an der Universität von Indiana das „Institut für Sexualforschung“ und veröffentlichte nach der Befragung von 18.000 Personen 1948 und 1954 die bekannten „Kinsey-Reports“ über Bisexualität, das Masturbationsverhalten, sowie die Paraphilien der Amerikaner, die zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der USamerikanischen Gesellschaft führten und heute als einer der Auslöser der Sexuellen Revolution in den 1960er Jahren angesehen werden.14 Bei der Neuauflage sollten Museumsbesucher ebenfalls über einen Fragebogen nach ihrem sexuellen Verhalten befragt werden, wobei Vezzoli die Fetische und Perversionen der Museumsbesucher fokussieren wollte.15 „Just imagine me as a slimmer, more glamorous Michael Moore. I want to do a visually over-alluring Kinsey Report – a scientific survey of contemporary sexuality, a film with nail-me-to-the-wall politics and nail-meto-the-couch images.”16 Ein letzter Hinweis auf Vezzolis Interesse an Sexualität ist seine BachelorThesis an der Central St. Martin's School of Art in London, in der er sich mit homosexuellen Subtexten in brasilianischen Telenovelas auseinandersetzte.17 2.2 Populärkultur im Werk Vezzolis Ohne dass auf diese näher eingegangen wurde, thematisierte Vezzoli in allen bis hier aufgeführten Arbeiten Aspekte der Sexualität. Bereits an dieser Stelle kann jedoch auf die beständige Verknüpfung des Themas mit populärkulturellen Gesichtspunkten hingewiesen werden, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. Populärkultur umfasst für Vezzoli im Wesentlichen vier Bereiche: Kino, Stars, Medien und Kunst, wobei es immer wieder Überschneidungen gibt. Einige Arbeiten Vezzolis nehmen direkten Bezug auf das – vor allem 14 Vgl. Bullough, Vern L.: Alfred Kinsey and the Kinsey Report - historical overview and lasting contributions; erschienen in: The Journal of Sex Research, Vol. 35, 1998, S.14. 15 Vgl. http://artforum.com/diary/id=11804 (am 21.Februar 2008). 16 Ebd. 17 Vgl. Larroca, Amy: The Italian Rapscallion - Performance artist Francesco Vezzoli has his celebrity cake and eats it, too, erschienen in: New York Times Magazine, 18. Oktober 2007, S.20. -9- Ingo Herrmann italienische – Kino, insbesondere auf Pier Paolo Pasolini. Dabei beschränkt sich Vezzoli nicht auf das Medium Film, sondern bezieht beispielsweise Filmtitel Pasolinis in sein Stickwerk ein: Die 120 Sedute di Sodoma (dt. Die 120 Stühle von Sodom) verbindet Vezzoli in Interviews mit dem Skandalfilm Salo' o le 120 giornate di Sodoma (dt. Salo’ oder die 120 Tage von Sodom, 1975) Pasolinis,18 der bis heute wegen der offenen Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord in Ausschnitten verboten ist.19 Comizi di non amore (engl. Non-Love-Meetings) ist ein weiterer Film, mit dem Vezzoli Bezug auf Pasolini nimmt. Pasolini drehte 1964 einen Dokumentarfilm mit dem Titel Comizi d’amore (dt. Gastmahl der Liebe, 1964), für den er sechs Monate durch Italien reiste und Menschen zu ihren Einstellungen über Liebe und Sexualität befragte.20 Vezzolis Comizi di non amore ist dagegen einer Reality-TV Fernsehsendung nachempfunden, mit der er auf den Plakaten des Caligula-Trailers und im Trailer selbst wirbt. Über diesen Film in Form einer Sendung spricht Vezzoli in einem ausführlichen Interview mit Germano Celant: “Vezzoli: I brought the idea of creating what we can call a celebrity dating show to the table. It's a reality show in which people tell their life stories. By bringing their individual realities onto the scene, various women court potential dates. Then there's the celebrity aspect of it, meaning that some of the contestants are icons […] We started with Catherine Deneuve, a woman who in Belle de Jour [1967] does needlepoint and has daring fantasies. Then there are Antonella Lualdi, who serves as the bridge with Comizi d'Amore, because she is the only woman in my project who was interviewed by Pasolini for his film; Terry Schiavo, an ex-TV hostess, and for me, the stereotypical ordinary girl who ends up "networkified"; and Marianne Faithfull, the wild rock icon, the woman famous for 18 Vgl. Frisch, Anette: Francesco Vezzoli, erschienen in: Flash Art International - The world's leading art magazine, Band 236, 2004, S. 96 – 99. 19 Vgl. Tagesanzeiger: Strafanzeige gegen Xenix, erschienen in: Tagesanzeiger (Zürich), 12.Februar 2007, S.9; Der Film ist in der so genannten Republik von Salò, einem faschistischen Marionettenstaat im von Nazideutschland besetzten Norditalien angesiedelt. Die Vertreter dieses Regimes halten heranwachsende Männer und Frauen, die teilweise gewaltsam entführt wurden, mit Waffengewalt gefangen und werden als moralisch und sexuell verkommen charakterisiert. Die Behandlung der Gefangenen wird ins Extreme gesteigert, so bekommen sie Exkremente zu essen und werden wie Tiere an der Leine geführt, vergewaltigt und am Ende brutal gefoltert und ermordet. (Vgl. Labenski, Jürgen; Krusche, Dieter: Reclams Filmführer, Stuttgart, 1993, S.277f.). 20 Vgl. Ebd., S.275f. - 10 - Ingo Herrmann being censored. […] Then I finish the program with Jeanne Moreau, a cinema icon […]. Germano Celant: So these icons are courted, but you have arranged courtships that are in fact traps. Vezzoli: Yes. For each actress there are three suitors, and the behavior of these suitors, good or bad, always represents a challenge, with the goal of creating a revealing moment. For example, for Antonella Lualdi there are three strippers; for Deneuve there are three presumably die-hard fans; for Terry Schiavo there are two heterosexual men and a lesbian; for Marianne Faithfull there are two young men and a transvestite. The actresses don't have the faintest idea who their suitors will be, so their reactions are real. Germano Celant: So while Pasolini was simply recording reactions, you are creating content for the reactions. For instance, you know that certain subjects – homosexuality, transvestism, etc. – can stimulate certain reactions. You construct these variants intentionally as well as the response of the audience.”21 Zusammen mit einem von Vezzoli in Auftrag gegebenen handgewebten Woll-Gobelin La fine di Canterbury (410 cm x 700 cm) bildeten diese drei Werke eine Ausstellung mit dem Titel Trilogia della Morte, die im Rahmen der 51. Internationalen Kunstausstellung in Venedig 2005 in der Fondazione Giorgio Cini gezeigt wurde. Im Januar 2008 verfasst Vezzoli für eine Woche den The-Moment-Blog der New York Times22, der regelmäßig Akteure der Modebranche, der Kunstwelt oder des Lifestyle-Bereichs einlädt, frei gewählte Themen zu besprechen. Vezzoli schreibt in diesem Blog am ersten Tag, dem 14.Januar 2008: “I have never done a blog before, and I was then wondering what I should write about. Being quite sure you couldn’t care less about my thoughts about art or pop culture, my question now is: what can I share with the readers that they may not know already? So, what about a little bit of visual Italian culture? I would like you to see, if you wish, some videos related to my favorite Italian actresses and/or singers — one for each day of my participation on this blog. By the way, they are real icons in Italy, and especially gay icons, for several reasons.”23 21 Celant, Germano: Interview mit Francesco Vezzoli - proof that experimentation is alive and well in art, erschienen in: Interview, Mai 2004, S.85. 22 Vgl. http://themoment.blogs.nytimes.com/ (am 02.Februar 2008) 23 http://themoment.blogs.nytimes.com/author/francescovezzolinyt/ (am 03.Februar 2008). - 11 - Ingo Herrmann Er stellt neben Anna Magnani, Silvana Mangano, Monica Vitti und Anita Ekberg am letzten Tag eine Reihe von italienischen Fernsehshows vor, mit der Begründung “…they all exude a very unique sense of perversely provincial glamour that I still have never found anywhere else.”24 Er berührt in seinem Blog neben den bereits benannten Themen Pornographie, Sexualität und Kino also einen weiteren Aspekt, der sich regelmäßig in seinem Werk finden lässt: den Starkult. Die meisten dieser von ihm erwähnten Ikonen hat Vezzoli auch in Form von „Walk-of-Fame“Sternen oder in schlichten Rechtecken gestickt, womit er sich in diesem Fall auf einen speziellen italienischen Kontext bezieht, der sich einem fremden – nicht italienischen – Betrachter nicht sofort erschließt. Deutlicher wird der Star-Charakter aber in anderen Stickbildern wie denen von Joan Crawford, Liz Taylor, Romy Schneider, Veruschka von Lehndorff oder den ehemaligen US-Präsidentengattinnen, da sie im gesamten westlichen Kulturkreis noch „berühmtere“ Personen sind, als die italienischen Diven. In dem 2007 im Guggenheim (New York) von Vezzoli inszenierten Theaterstück Right you are, if you think you are. von Luigi Pirandello geht Vezzoli ebenfalls – wenn nicht sogar vordergründig – auf das Starsystem ein: „Es geht um Wahrheit vs. Fake, um Gossip vs. Realität, eine Frau, die die Wahrheit repräsentiert, und zugleich die Wahrheit ohne Gesicht. Die Schauspieler sind auf einer Bühne versammelt, um ein Stück von Luigi Pirandello aufzuführen, ‚So ist es (wenn es Ihnen so scheint)’. Die Leute auf der Bühne reden stundenlang nur Gossip, Gossip, Gossip über eine Frau, die von Cate Blanchett gespielt wird. Darüber, ob sie die Frau eines älteren Mannes ist oder die Tochter von jemand anderem. Wenn sie selbst auf die Bühne kommt, stellt sie die Wahrheit dar. Aber wenn sie den Satz sagt: »Ich bin, wer ihr denkt, dass ich bin, aber ich selbst bin nichts«, dann geht es um das Scheitern an der eigenen öffentlichen Identität.“25 24 Ebd. Decker, Julia; Liebs, Holger: "Ich will anderen ihre Persönlichkeit stehlen" Der Künstler Francesco Vezzoli über sein Werk, die Arbeit mit Hollywood-Stars und seine Performance "Eine Nacht in New York" für das SZ-Magazin, erschienen in: Süddeutsche Zeitung Magazin, 15.11.2007, S.22. 25 - 12 - Ingo Herrmann Ein wichtiger Aspekt seiner Arbeiten ist also die Einbeziehung internationaler Stars. So gewann er Heltmut Berger, Anita Ekberg, Benicio del Toro, Cate Blanchett, Sharon Stone, Hellen Mirren und andere, um in seinen Projekten mitzuwirken. In Interviews nach der Bereitschaft der Stars gefragt, in seinen Projekten mitzuarbeiten, gibt er immer dieselbe Antwort: Er schickt Blumen, schreibt Briefe und bietet ausführliche Gespräche über das Projekt an, immer unter der Prämisse, dass er keine Gage zahlt und die Namen aller beteiligten Personen gleichrangig nebeneinander stehen. "Everyone worked for free. They are all my partners in crime."26 Miuccia Prada – Sammlerin und Gönnerin Vezzolis – fasst Vezzolis Bemühen nochmals zusammen: “I very much appreciate Francesco’s work, because of the strong political content that is generally underestimated. What people get is usually the involvement of famous people, but what is really powerful in his work is the deconstruction of the mediatic system.”27 Diese Dekonstruktion, auf die am Schluss der Arbeit noch ausführlich eingegangen wird, vollzieht sich aber nicht nur durch die Übernahme von inhaltlichen Komponenten wie den Schauspielern oder deren Abbildern, sondern wird auch strukturell aufgenommen. Beispielsweise greift er das seit 1990 verstärkt auftretende TV-Format des Reality-TV in Comizi di non amore auf, verwendet die Werbeform des Trailers in Trailer for a Remake of Gore Vidal's Caligula oder übernimmt stilistische Elemente der Musiksender VH1 und MTV, wie das einblenden von Zusatzinformationen durch poppige Blasen in Marlene Redux: A True Hollywood Story!. Überhaupt kann ein regelmäßiger Rückgriff Vezzolis auf Werbeformate festgestellt werden. Neben dem zu besprechenden Trailer, wird auch durch den bereits kurz erwähnten und ebenso fingierten Wahlwerbespot Democrazy! ein gesamtes Werk in einen Werbekontext versetzt. Schließlich betrifft sein neustes Projekt ein (fiktives) Parfüm – Greed! – das in einer ebenso fingierten Kampagne beworben wird.28 26 Larocca, Amy (2007): a.a.O., S.20. Ebd. 28 Vgl. „Wer bekommt den Duft der Gier?“, erschienen in: Art-Magazin, Ausgabe 02/2009, S.107. 27 - 13 - Ingo Herrmann 2.3 Selbstinszenierung Vezzolis in seinem Werk Trotz – oder gerade wegen – des inszenierten Starkults, setzt sich Vezzoli in einigen seiner Werke selbst in Szene. So erscheint er z.B. in Trailer for a Remake of Gore Vidal's Caligula als Caligula oder in Marlene Redux: A True Hollywood Story!. In letztgenanntem ist seine eigene Person Thema des gesamten Films, der Macher taucht jedoch nicht persönlich darin auf, da sein fingierter Tod das Erscheinen in der ebenso fingierten posthumen Würdigung ausschließt. Ohne auf die – mittlerweile fast verstummte Kritik – am Kunstmarkt der Zeit von 2003 bis 200829 einzugehen und den vermeintlichen Wandel hin zu einem „Starsystem“ kommentieren zu wollen,30 kann festgestellt werden, dass Vezzoli eine Position zum Kunstmarktgeschehen bezieht, ohne jedoch eine argwöhnische Haltung gegenüber diesem einzunehmen. Vielmehr bezieht er den Kunstmarkt durch das Erscheinen in eigenen Werken ein und reflektiert ihn, indem er ihn vorführt: "For me, the art world has become a place that has turned itself, willingly or not, into some sort of entertainment industry […] I hate being in my work, but I think it is more meaningful if I become the subject of my own critique."31 Deshalb bezahlte er die Kosten für den Caligula Trailer in Höhe von US$ 120.000 – nach Aussage in einigen Interviews – selbst "…to protect the project's integrity…",32 und macht damit die Freiheit geltend, die auch Bob Guccione als Produzent von Vezzolis Vorlage 1979 in Anspruch nahm: Die vollständige Selbstfinanzierung. Um den reflektierten Prozess zu verdeutlichen, den Vezzoli durchläuft um seine Positionierung im Trailer endgültig 29 zu klären, sei ein Diese Kritik betrifft vorallem die Preisbildung über die sich Künstler wie David Hockney und Markus Lüpertz u.a. geäußert haben, Vgl. beispielhaft: Mercker, Florian; Mues, Gabor: Ausweichmanöver – Nicht nur David Hockney übt Kritik, erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2006, S.31 oder Gohlke, Gerrit: Documenta 12 – Oder – Warum der Kunstmarkt die Kritik braucht – Auto-Motor-Sport, erschienen auf: Artnet, http://www.artnet.de/magazin/kommentar/gohlke/gohlke07-06-07.asp (am 25.März 2009). 30 Vgl. Pelikan, Werner: Mythen und Mythenbildung in Kunst und Werbung - Grundmuster der Kommunikation, Thesen und Beispiele (Diss. Universität Kassel), Kassel, 2005, S.87. 31 Yablonsky, Linda: Caligula' Gives a Toga Party (but No One's Really Invited), erschienen in: New York Times, 26.Februar 2006, S.27. 32 Ebd. - 14 - Ingo Herrmann Interviewausschnitt zitiert, in dem er auf eine Frage zu Comizi di non amore und sein eigenes Erscheinen in diesem Film gefragt wird: “Germano Celant: In Pasolini's film we see him asking questions. He sets the public apart from himself so there's no risk of his body or his feelings showing up in the film, but you put yourself in the audience. In doing so, you agree to follow the tradition of someone like Robert Mapplethorpe, who let himself be photographed in erotic moments, and even as he was dying. In other words you become a part of your own product. Vezzoli: Yes. In fact, before filming began I asked myself, ‘Where do I put myself in the production - with the contestants, with the celebrities? Why am I here, what have I been doing on this project for 12 months?’ And the answer was that I had been a part of the audience; I had been watching these programs. So I knew that I needed to be there.”33 Allerdings erscheint er nicht ausschließlich in seinen Video-Arbeiten, sondern auch in seinem Stick-Œuvre. So besitzt beispielsweise die Galerie für zeitgenössische Kunst (Leipzig) zwei auf Gaze gedruckte Fotografien Vezzolis (Abbildung 16: Francesco by Francesco: Before and After (2002), s/w, 61x83cm). Eines der Bilder zeigt Vezzoli in lockerer Alltagspose mit Dreitagebart und offenem Hemd, den Blick dem Betrachter zugewandt. Das andere Bild dagegen zeigt Vezzoli als gepflegte androgyne Erscheinung mit frisierten Haaren, glatt geschminkter Gesichtshaut und weißer Fliege. Auf das Before-Bild hat Vezzoli, ähnlich den Fotographien berühmter Film-Diven, Tränen unter seine eigenen Augen gestickt, auf dem After-Bild ist ein silbrig-glänzender Faden als gestickter Lidschatten zu erkennen.34 3 Entstehungsgeschichte des Films (Gore Vidal’s) Caligula Die Entstehung des 1977 abgedrehten und 1980 veröffentlichen Films (Gore Vidal’s) Caligula, der als Vorlage für Vezzolis Arbeit zu betrachten ist, da es sich gemäß der Werksbezeichnung um ein Remake handelt, ist an die Entwicklung des pornographischen Genres gebunden, aber nicht 33 Celant, Germano (2004): a.a.O., S.88. Vgl. GfZK, Sammeln – Sammlungskatalog der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Inventarnummer-Nr.112, Leipzig, 2002. 34 - 15 - Ingo Herrmann ausschließlich durch dieses bestimmt. Das Time Magazine beschreibt die Entstehung des Films als “…attempt to fuse the historical epic with the porno film at a time when it seemed possible that serious cinema might go hard-core.”35 Daher erscheint es zunächst sinnvoll, bereits an dieser Stelle einen Überblick über die Geschichte des amerikanischen Pornofilms zu geben, um anschließend die konkrete Entstehungsgeschichte zu betrachten. Abschließend soll in einem sehr knappen Abriss der wesentliche Handlungsstrang des Films wiedergegeben werden und auf die Rezeption der historischen Persönlichkeit Kaiser Caligulas eingegangen werden. 3.1 Die Etablierung des pornographischen Films während der 1970er Jahre Spätestens seit dem Jahr 1970 hat sich der pornographische Film für öffentliche Vorführungen in Kinos in den USA etabliert und sah sich zunehmend mit einem Qualität fordernden Markt konfrontiert. Zur gleichen Zeit erschienen die letzten Filme, die noch der Tradition des White Coaters verpflichtet waren: Weiß-bekittelte Schauspieler, die als Arzt den Film einleiteten, anschließend die dargestellten Sexualakte erläuterten, Überleitungen kommentierten, um damit dem Anspruch des Films nach Wissenschaftlichkeit und Dokumentation gerecht zu werden, Distanz zu wahren und schließlich den Film nicht den Zensurbehörden anheimfallen zu lassen.36 Eine Vielzahl von Autoren sah diesen Wandel als Ergebnis der kulturellen Umbrüche Ende der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre. So führt beispielsweise Seesslen die abnehmende Zahl der pornographischen Filme mit dokumentarischem Charakter auf diesen Wandel zurück in dem ein Trend zum „Bruch mit der Wirklichkeit“ vorherrschte. 35 Corliss, Richard: Caligula (Rezension zur Imperial DVD-Edition), erschienen in: Times Magazine, 02.Oktober 2007, S.88. 36 Vgl. Stevenson, Jack: And God created Europe – How European Sexual Myth Was Created and Sold To Post-War American Movie Audiences, erschienen in: Fleshpot – Cinema’s Sexual Myth Maker’s & Taboo Breakers, London, 2000, S.47. - 16 - Ingo Herrmann „Zu Beginn der siebziger Jahre war das Publikum soweit, nicht mehr nach der Wirklichkeit der gezeigten Sexualität zu fragen, alles Interesse an der Authentizität zu verlieren. […] Der Weg mußte also […] vom dokumentarischen, distanzierenden zum inszenierten pornographischen Film führen, der auf alles verzichten konnte, was seinem eigentlichen Ziel entgegenstand: den Zuschauer in einen Zustand sexueller Erregung zu versetzen, in dem er alles andere vergessen konnte.“37 Die neuen Filme, die am Ende dieser dokumentarischen Ära stehen, zeichnen sich, so Seesslen, im Wesentlichen durch drei Aspekte von ihren Vorgängern aus: (1) Sie erreichen das technische und ästhetische Niveau eines zeitgleich entstandenen Hollywood-Films, (2) sie besitzen narrative Handlungsstrukturen und (3) bringen Stars hervor.38 Diese drei Kriterien der neuen Ära erfüllt auch der Caligula-Film, obwohl er keine professionalisierten Stars hervorbringt, sondern bereits etablierte – und weithin sogar als seriös zu bezeichnende – Schauspieler in einen pornographischen Kontext integriert. Allerdings ist die Entwicklung des Genres verkürzt dargestellt, wenn allein der kulturelle Wandel betrachtet wird, vielmehr sind verschiedene Aspekte relevant. Die Periode der frühen 1920er bis in die späten 1950er Jahre wird als Zeit der klassischen exploitation Filme beschrieben, die sich gegen den Hays Code (auch Production Code) der großen Hollywood-Studios wanden und die Zensurbehörden zu umgehen suchten. Der Hays Code war eine bis 1967 gültige Zusammenstellung von Richtlinien zur Produktion von Spielfilmen, vor allem im Hinblick auf die moralisch akzeptable Darstellung von Kriminalität und sexuellen Inhalten. Die Motion Picture Producers and Distributors of America Inc. (MPPDA), der Dachverband der USamerikanischen Filmproduktionsfirmen, übernahm den Kodex 1930 auf Grund der drohenden Zensurgesetze von Seiten der Regierung und erklärte ihn ab 1934 für Mitglieder zur Pflicht.39 Diese exploitation Filme zeigten also gegen den Code verstoßende Szenen aus Nudisten-Camps, Striptease-Tänzerinnen, Geburten usw. die zudem häufig mit einem 37 Seesslen, Georg: Der pornographische Film, Frankfurt (Main) / Berlin, 1993, S.225f. Vgl. Ebd., S.226f. 39 Vgl. Doherty, Thomas Patrick: Pre-Code Hollywood – Sex, Immorality and Insurrection in American Cinema - 1930-1934, New York, 1999, S.6ff. 38 - 17 - Ingo Herrmann einleitenden Kommentar versehen waren, der ebenso als Provokation und – wie oben erwähnt – als Legitimationsversuch für das eigene „Genre“ verstanden wurde. Ab den 1950er Jahren wurde der Einfluss des Studiosystems in Hollywood schwächer und die ersten exploitationThemen tauchten in regulären Filmen auf, häufig Komödien in denen über Zweideutigkeiten gelacht wurde, die jedoch frei von sexuell expliziten Situationen waren.40 Die dargestellte Nacktheit entwickelte sich von Rückansichten, über Frontalansichten und schließlich simulierter Sexualität zu „sexploitation“-Filmen.41 Bedingt durch die geringen Produktionen in Hollywood und den geringen Import ausländischer Filme, nahmen kleinere Kinobetreiber Ende der 1950er Jahre häufiger diese sexploitation Filme ins Programm. Zeitgleich stieg die Anzahl der Kinos in Amerika bis in die 1980er Jahre kontinuierlich an, wovon die Anzahl der Art Cinemas wie die Art Theater Guild oder Pussycat profitierten.42 Die Erfolge der sexploitation Filme in kleineren Kinos vor Augen, ließen die Bedenken der Betreiber größerer Kinos ansteigen, die letztlich in einer Kampagne des Präsidenten der Motion Picture Association of America (MPAA) – Jack Valenti – gegen die Etablierung in großen Kinos mündete. Der Erfolg konnte jedoch auch dort nicht aufgehalten werden, so dass 1968 – ein Jahr nach Ersetzung des Hays Code durch ein System der Altersbeschränkung43 – bereits 32 Filme und 1969 135 Filme bei den Verleihern waren.44 Die Produktionskosten für die sexploitation Filme schwankten von 5.000 USD für kleinere Produktionen, über 15.000 bis 40.000 USD für den überwiegenden Teil bis zu mehr als 100.000 USD für aufwendige Farbproduktionen. Als herausragende Persönlichkeit, vor allem den wirtschaftlichen Erfolg betreffend, sei Russ Meyer erwähnt, der mit Filmen wie The Immoral Mr.Teas (1959, Produktionskosten 24.000 USD) oder 40 Vgl. Schaefer, Eric: Gauging a Revolution – 16mm Film and the Rise oft he Pornographic Feature, erschienen in: Williams, Linda [Hrsg.]: Porn Studies, London, 2004, S.372ff. 41 Vgl. Ebd., S.375ff. 42 Eine Entwicklung der Kinolandschaft in den Vereinigten Staaten lässt sich an den Daten des Cinema-Treasure nachvollziehen (Vgl. http://cinematreasures.org/theater/ (am 28. Februar 2008). 43 Vgl. Doherty, Thomas Patrick (1999): a.a.O., S.24. 44 Vgl. Schaefer (2004): a.a.O.,S.374. - 18 - Ingo Herrmann Vixen (1968, Produktionskosten 76.000 USD) das vierzig- bis achtzigfache der Produktionskosten einspielte.45 Seit 1970 zerfaserte die sexploitationIndustrie in Billigproduzenten und Qualitätsproduzenten, was sich ebenfalls in der Kinolandschaft widerspiegelte, mit dem Ergebnis, dass kleine verruchte Kinos meist billig produziertes Material zeigten und große Ketten wie Pussycat die Qualitätsproduktionen.46 Weiterhin gibt es seit 1923 den standardisierten 16 mm Film als Amateurausrüstung, der ab dieser Zeit als Freizeitprodukt vor allem auf Haushalte der oberen Mittelklasse ausgerichtet war. Mit dieser Ausrüstung konnte nicht nur selbst gefilmt, sondern konnten auch Filme abgespielt werden, was früh in ein System des Kleinst-Verleih gipfelte, das unter anderem art studies bereithielt. Diese handlungslosen drei- bis zehnminütigen Filme sollten Künstlern zu Studienzwecken dienen und zeigten häufig ein oder zwei Frauen „…lounging around on a set, in an apartment, or in a landscape.“47 Als in den 1950er Jahren, nicht zuletzt bedingt durch den Krieg, 16 mm Filme in einem semiprofessionellen Rahmen Verwendung fanden, wurden diese Filme auch außerhalb des privaten Hauses gezeigt und entwickelten sich zu expliziteren beaver films, die immer häufiger in Kinos liefen und den art studies strukturell sehr ähnelten.48 Die Betreiber der Art Cinemas (z.B. Pussycat) wollten ihre Kinosäle nicht von 35 mm auf 16 mm umrüsten, da sich die 16 mm Filme technisch nicht in allen Räumlichkeiten optimal nutzen ließen (vor allem in Bezug auf die Helligkeit) und die vorhandene 35mm Technik die notwendige Auslastung der Kinos sicherstellte. Daher entstanden ab Mitte der 1960er Jahre kleinere storefront cinemas, häufig nicht mehr als größere Räume mit einem Projektor, in denen zunehmend explizitere beavers gezeigt wurden (z.B. männliche Nacktheit ohne Erektion und Frauen mit gespreizten Beinen, die sich über den Schambereich reiben). Der Erfolg dieser 45 Vgl. http://movies.nytimes.com/person/102677/Russ-Meyer (am 17.Oktober 2008); Allerdings ist bis heute der Film mit dem höchsten Kosten/Einspielverhältnis Deep Throat (1972), dessen 25.000 USD Produktionskosten einem Einspielergebnis von 600 Millionen USD gegenüberstehen. 46 Vgl. Schaefer (2004): a.a.O.,S.373ff. 47 Ebd., S.375. 48 Vgl. Ebd., S.376. - 19 - Ingo Herrmann ansteigenden Explizitheit und der damit verbundene wirtschaftliche Erfolg der storefront Kinos führten schließlich zu einer Übernahme in größere Produktionen, die aufgrund Ihrer narrativen Handlungsstrukturen eher den rechtlichen Bestimmungen entsprachen, als die Filme der storefront Kinos. Die narrative Handlungsstruktur eines Filmes war ein wichtiges Indiz für die literarisch-künstlerische Qualität eines Films und verdrängte, wie oben erwähnt, die vermeintlich dokumentarisch-wissenschaftlichen White Coater Filme. Im Jahr 1964 verkündete der Supreme Court der Vereinigten Staaten schließlich den Jacobellis-standard der wegbereitend für die Legalisierung von Pornographie war, da der Supreme Court der USA damit erstmals einen Standard für Pornographie festlegte: “A work cannot be proscribed unless it is ‘utterly without redeeming social importance’, and, hence, material that deals with sex in a manner that advocates ideas, or that has literary or scientific or artistic value or any other form of social importance, may not be held obscene and denied constitutional protection.”49 Der pornographische Film der 1970er Jahre speist sich demnach aus zwei Quellen: Einerseits aus den „soften“ sexploitation Filmen wie Russ Meyers The Immoral Mr.Teas, die sich in ihrer Ästhetik an den überbrachten Hollywood-Filmen orientierten und einen hohen Bekanntheitsgrad sowie Popularität genossen. Andererseits aus den immer expliziter werdenden und schließlich in Hard-Core Features mündenden beavers. Die zunehmende Akzeptanz der Filme ist allerdings nicht allein, wie Seesslen ausführt, auf den kulturellen Wandel Ende der 1960er Jahre zurückzuführen, sondern ist von verschiedenen Aspekten beeinflusst. Zum einen von den 16 mm Filmen, die mit semiprofessioneller Technik die neuen Grenzen des pornographischen Films definierten, sowohl was die sexuelle Explizitheit als auch die Länge der Filme betraf (von ca. 10 Minuten auf eine Stunde). Zum anderen von der Kinolandschaft, die durch Entstehung von neuen Ketten, und sehr kleinen storefront Kinos eine breitere Zuschauerschaft an die Filme heranführte, und schließlich vom Staat und den Gerichten, die die Produktion und Vorführung von pornographischen Filmen durch rechtliche Standards beeinflussten. 49 US Supreme Court Cases & Opinions, Volume 378, Jacobellis v. Ohio, 1964, S.184. - 20 - Ingo Herrmann Bedingt durch diese Entwicklung entstand ab Anfang der 1970er Jahre ein Starsystem. Die große Beliebtheit der Filme lässt die Darsteller aus der Anonymität heraustreten und zugleich stellen die Qualitätsansprüche an die neuen Filme höhere Anforderungen an die Darsteller. Diese professionalisierten sich, waren nur noch selten Gelegenheitsdarsteller und stets in der Lage zu tun, was der Regisseur von ihnen verlangte. Die Beschränkung auf ein professionalisiertes Personal erhöhte wiederum deren Wiedererkennungswert und die steigende gesellschaftliche Akzeptanz des pornographischen Films führte zu Berichten über sie in Zeitschriften und öffentlichen Auftritten.50 Diese Entwicklung findet mit Deep Throat (1972) ihren vorläufigen Höhepunkt. In den Folgejahren erweitert sich das pornographische Spektrum zwar inhaltlich, viel entscheidender sind dann jedoch die forcierten Vermarktungsaktivitäten die mit Caligula in einen massiven Verkaufserfolg münden. Produzent Guccione betrieb neben einer mythenbildenden Pressearbeit, der Umgehung des unumstößlichen X-Ratings durch die MPAA, dem Engagement von hochkarätigen Schauspielern und schließlich der Einbettung in das zu dieser Zeit beliebte Historien-Genre eine auf Verkaufserfolg zielende Strategie, die den mehr zufällig popularisierten Film Deep Throat weit hinter sich lassen wollte.51 Diese weiterschreitende Entwicklung ist nicht zuletzt in dem persönlichen finanziellen Engagement Gucciones begründet, der den Film vollumfänglich finanzierte. In einem Ausschnitt aus dem PenthouseInterview von 1980 wird zudem ein Punkt der Vermarktungsstrategie angesprochen – die Pressearbeit. "Guccione: For one thing, you avoid the constant little masturbatory rituals of wining and dining them throughout the production; you keep them away from the set, away from the actors and the crew; you forbid anyone to talk to them, and you don't circulate handouts, press releases, or production stills. Penthouse: You're talking about a complete press blackout. isn't that dangerous? Weren't you fearful of being ignored completely? 50 51 Vgl. Seesslen (1993): a.a.O., S.227ff. Vgl. Interview mit Guccione auf der DVD Caligula – Imperial Edition, 2008. - 21 - Ingo Herrmann Guccione: I didn't think of it in those terms. As an editor and journalist myself, I knew that such an action would intrigue them, heighten their curiosity, and provoke them to chase every little bit of rumor and speculation that a film like Caligula, produced by a company like Penthouse, would generate. The tighter we clamped down on security, the more they wrote. Rumors - in some cases bordering on lunacy - were rampant. There was talk of bestiality, girls screwing horses and dogs, nonstop orgies involving hundreds of people, animals being slain on camera, children being sexually violated while their parents were present and looking on, et cetera, et cetera."52 Allerdings steht diese Pressearbeit nicht allein als Erfolgsgarant, sondern ist Teil eines ganzen Sets von Maßnahmen die Guccione geplant hatte. Neben den mitwirkenden Stars, dem berühmten Drehbuchautor, dem Oscar-gekröntem Art-Director und der professionellen „hollywoodesken“ Produktion ist es schließlich auch das Genre des pornographischen Films, das zum Erfolg des Films beigetragen hat. 3.2 Die Entstehungsgeschichte53 Die Entstehungsgeschichte von Vezzolis Bezugsfilm beginnt im Jahr 1972 als Roberto Rossellini das ursprüngliche Treatment54 für den Film verfasste. Dessen Neffe, Franco Rossellini, nahm sich des Treatments an und brachte es zu Gore Vidal, einem bis heute angesehenen Intellektuellen, Schriftsteller, Kritiker und Kenner Amerikas. Dieser schrieb unter Anderem für das Penthouse-Magazin und war mit dem Gründer und Herausgeber des Magazins, Bob Guccione, bekannt. Beide hatten bereits Kontakte zum Film. Guccione finanzierte beispielsweise 1974 Roman Polanskis "Chinatown" und erklärte sich bereit, auch das gesamte Budget 52 Guccione, Bob: Interview, erschienen in: Penthouse Magazine, Mai 1980, S.116. Ein sehr guten Überblick über die Filmgeschichte und Rezeption gibt das 2008 erschienene Buch von Hawes, William: Caligula and the Fight for Artistic Freedom – The Making, Marketing and Impact of the Bob Guccione Film, Jefferson, 2008; daneben sind vorallem Artikel des TIME Magazine relevant, die die Entstehungsgeschichte regelmäßig kommentierten, und Interviews der Beteiligten – neben den Schauspielern insbesondere Guccione und Brass. 54 Im Film die Zwischenstufe zwischen Exposé und Drehbuch in dem Schauplätze und Charaktere umrissen sind. 53 - 22 - Ingo Herrmann für Caligula zur Verfügung zu stellen,55 erbat sich allerdings als Produzent erhebliche Mitspracherechte bei der Ausgestaltung des Films. Zwei Bedingungen wurden festgelegt: der Film musste als extravagantes, prächtiges und luxuriöses Historiendrama daherkommen, wie sie im Hollywood der 1950er und 1960er Jahren entstanden waren. Weiterhin verlangte Guccione, dass Sexszenen in den Film geschnitten werden, um Werbung für seine Magazine zu machen. „Guccione's vision was clear, he wanted a legitimate film with hard core content […] a Blue movie with Stars…”,56 also eine Verschmelzung der Ästhetik und Inhalte der storefront-Produktionen mit der Ästhetik, den Inhalten und den Verwertungsmechanismen des Hollywood-Kinos. In einem Interview macht er seinen Qualitätsanspruch, keinen Standard-Porno-Film zu drehen, sondern etwas Außergewöhnliches zu schaffen, anhand der Produktionskosten deutlich: "The final cost of the film comes in at a little over $17.5 million. But if you take into consideration interest on money - which, for accounting purposes, is not only proper but necessary - it will come in at around $22 million. That's quite a staggering sum to make an ‘obscene film’. That is why I say that if it was our intention to make an obscene film we certainly wouldn't have spent that kind of money. For that kind of money, I could have made over 200 porno films."57 Vidal verfasste 1975 das Drehbuch und der Mailänder Tinto Brass, der gerade mit Salon Kitty Aufmerksamkeit erregte, wurde als Regisseur verpflichtet. Als Darsteller wurden einige der damals besten britischen Schauspieler engagierte, Malcolm McDowell als Caligula, Peter O'Toole als Tiberius sowie John Gielgud als Nerva (das Angebot der Rolle des Tiberius lehnte er mit der Begründung der Brisanz des Films für seine Karriere ab).58 Nach heftigen Auseinandersetzungen über das Drehbuch im Jahr 1976 verließ Vidal das Filmprojekt. Brass empfand das Drehbuch Vidals als zu bieder: "It was the work of an aging arteriosclerotic, Vidal redid it five 55 Das Budget des Film belief sich auf 17,5 Millionen USD, die tatsächlichen Kosten Ende 1979 betrugen schließlich 22 Millionen USD. 56 Hawes, William (2008): a.a.O., S.43ff. 57 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.115. 58 Vgl. “Will the Real Caligula Stand Up?”, erschienen in: Time Magazine, 03.Januar 1977, S.69. - 23 - Ingo Herrmann times, but it was still absurd."59 Schließlich schrieb Brass selbst, zusammen mit Malcolm McDowell das Drehbuch um, worauf Vidal unter Angebot des Honorarverzichts die Streichung seines Namens forderte. McDowell rechtfertigte die weitreichendere Sexualisierung des Stoffes mit dem Verweis auf den vermeintlichen Zeitgeist der römischen Epoche: "To the Romans, sex was like driving a car."60 Über das Ergebnis schreibt das TIME Magazine 1977: “Where Vidal was liberal with sex scenes, Brass has been profligate: there are enough orgies to satisfy even Guccione, and phalluses in all sizes decorate walls, dinner plates and nearly everything else — with naked girls taking up the spaces in between.”61 Vidal störten allerdings weniger die drastischeren sexuellen Bezüge des überarbeiteten Drehbuchs als vielmehr die Verkehrung seiner Intention: "…they are playing scenes backward, reversing their meanings.“62 Zudem fühlte er seinen Namen missbraucht: "It's called Gore Vidal's Caligula and not just Caligula, since that gives me some control…".63 Im Verlauf der Dreharbeiten wurde Vidal schließlich vom Drehort verwiesen und beteiligte Schauspieler verweigerten sich gegen Regieanweisungen. Trotz der letztlich durchgesetzten Streichung von Vidals Namen aus dem Titel des Films, verwendete Guccione seinen Namen aus Marketing-Gründen weiter. "We agreed to drop his name from the title provided he give up his 10 percent share of the profits. This was over and above the 200-plus thousand we paid him to write the script, and his name was one of the things we were paying for. We continue to carry his credit in the main body of opening credits, however, because he is the author of the original screenplay, whether he likes it or not."64 Maria Schneider, die den Film verließ und durch Teresa Ann Savoy ersetzt wurde, nannte den Film ”…a grotesque pornographic movie. For an enormous amount of money they're asking people to prostitute themselves. I was ready and willing to act, but not to take my clothes off 59 Ebd. Ebd. – Nach Veröffentlichung des Films distanziert sich McDowell allerdings von dem Film und schreibt sein Engagement seinen damaligen Drogen- und Alkoholproblemen zu. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 „People“, erschienen in: Time Magazine, 30.August 1976, S.103. 64 Bob Guccione (1980): a.a.O., S.113. 60 - 24 - Ingo Herrmann and do whatever they wanted me to."65 Als Art Director wurde der mehrfach Oscar-prämierte Italiener Danilo Donati engagiert, der sich im Wesentlichen für die Gestaltung des Sets verantwortlich zeigte. Die Dreharbeiten fanden schließlich vom 05.August bis 24.Dezember 1976 im Dear Studio in Rom statt.66 Am Drehort herrschte auf Anweisung Gucciones höchste Sicherheitsstufe,67 und Hawes zitiert einen Beteiligten: “Bob wanted complete secrecy and armed guards were posted around the clock. As well, there was a complete press black-out, except for a small select few, mostly the European press. Many North American press members tried out for parts in the movie, but they were found out in time! The complete press black-out was a smart gesture of Bob Guccione's part. This kept people guessing to what was going on. Rumours flew, and some of them were pretty wild. It was said that girls were screwing dogs and horses, orgies with hundreds of people, animals killed on camera, children being sexually molested, etc.”68 Eine Schwierigkeit bei der heutigen Auseinandersetzung mit dem Film besteht in den unterschiedlichen Schnittfassungen, die zu einem großen Teil nicht mehr verfügbar sind. Diese Unübersichtlichkeit hat mehrere Ursachen. Die Streitigkeiten beschränkten sich nicht auf Schauspieler und Drehbuchautor, sondern weiteten sich nach dem Ende der Dreharbeiten auf einen Streit zwischen Produzent und Finanzier Guccione und Regisseur Brass aus. Nachdem Guccione feststellte, dass Brass, statt Einstellungen mit den von ihm ausgesuchten Darstellerinnen, ganze Szenen mit "... old women - fat, ugly, and wrinkled old women – [gedreht hatte] to play the kind of sensual roles [Guccione] had provided the Pets for…"69 , entschloss sich Guccione, Brass vorläufig vom Schnitt auszuschließen und selbst nochmals nach Rom zu reisen um eigene Hardcore-Szenen mit seinen Darstellerinnen aufzunehmen. Als Brass sich schließlich weigerte diese Szenen in das Bestandsmaterial hinein zu 65 „People“, erschienen in: Time Magazine, 30.August 1976, S.103. Vgl. Hawes, William (2008): a.a.O., S.63ff. 67 Interview mit Guccione auf der DVD Caligula – Imperial Edition. 68 Hawes, William (2008): a.a.O., S.68ff. 69 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.148. 66 - 25 - Ingo Herrmann montieren, wurde er von Guccione entlassen.70 Brass formulierte seine Perspektive folgendermaßen: "In my own mind, the film should have been a film on the orgy of power, in their version, it became the power of the orgy."71 Die Klagen, die in Folge zwischen Produzent und Regisseur, sowie zwischen Drehbuchautor und Produzent anhängig wurden, verhinderten nicht die mehrmalige Vorführung einer 210-minütigen Vorstellung beim Cannes Trade Festival im Jahre 1979, die längste bekannte Version überhaupt, die schließlich von der Polizei wegen Obszönität nach sechs Tagen auf der Leinwand unterbunden wurde.72 Derzeit befinden sich mindestens 13 Fassungen auf DVD beziehungsweise VHS im Umlauf, wobei die längste mit einer Laufzeit von 152 Minuten weit von der 210-minütigen Version von Cannes entfernt ist (Deutschland: 142 Minuten). Die herausgeschnittenen Szenen dürften größtenteils klassische Porno-Szenen sein, die zugunsten einer „kinofähigen“ Version nicht mehr verfügbar sind.73 Zurück in den USA legt Guccione den Film aufgrund seiner Erfahrungen in Europa, nicht der MPAA vor, sondern verleiht ihm selbst ein MA-Rating (Mature Audience), übernimmt zudem ein Kino, welches er von Grund auf saniert und zeigt den Film dort für den vergleichsweise teuren Eintrittspreis von 7,50 USD. "No, the film won't have any rating at all. We're not submitting it to the M.P.A.A., because they can only give it an ‘X,’ and an X rating would be demeaning and unfair to Caligula. The conventional connotation is still the $100,000 made-in-a-motel epic, and that, next to Caligula, is like a street rumble next to the Second World War. The film has all the customary requirements and caveats for sexually explicit cinematic material. You'll have to be 18 years or older to be able to see it. But it does not have an X rating - we've given it our own rating: an M.A., for mature audiences."74 In den ersten Wochen spielt Caligula 225.105 USD ein, bekommt, nicht zuletzt durch die koordinierte Pressearbeit Gucciones in Italien, viel Aufmerksamkeit, wird in der Presse allerdings eher negativ rezensiert und 70 Vgl. Hawes, William (2008): a.a.O. S.72ff. sowie Witcombe, Rick Trader: The New Italian Cinema - Studies in Dance and Despair, New York, 1982, S.254ff. 71 Corliss, Richard: a.a.O., S.88. 72 Hawes, William (2008): a.a.O., S.87. 73 Vgl. ebd., S.155. 74 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.S.113. - 26 - Ingo Herrmann kommt nach einigen Wochen in Gucciones eigenem Kino in den regulären Filmverleih, wo er dennoch extrem erfolgreich wird.75 In diesem Zusammenhang scheint die Eigenwahrnehmung Gucciones interessant, der sich in der Zeit vor der Gründung des Penthouse als Künstler betrachtete, der sich mit der Macht der Kunstkritiker auseinandersetzte. Diese Deutungsmacht scheint er nach der Gründung von Penthouse und schließlich auch mit Caligula umgehen zu wollen, indem er sich nicht mehr von einem fremden Urteil abhängig zu machen glaubt, weil er einen Kinofilm dreht. Stattdessen setzt er auf seine eigenen planerischen und unternehmerischen Fähigkeiten und möchte einen pornographischen Film ähnlich einem Hollywood-Film vermarkten: „I lived and worked among other artists, and although, by choice, I never exhibited my work, many of my friends did. I was acutely aware of the social and economic impact of the art critics' reviews on their lives and work. And I grew to detest that fraudulent power. Like theater critics, their importance was magnified out of all proportion to their knowledge, their skills, and their sensitivity to art, and yet they could wipe out an entire career - financially, at least - with a single stroke of the pen. So what did they really know? They knew more about the practical history of art than any artist I ever knew and they were particularly expert in that precious, pseudo-philosophical idiom by which art critics seem to communicate exclusively with art critics. But they couldn't paint, and they couldn't draw, and out of their rage and frustration their venomous credo grew: ''lf you can't join 'em...fight 'em.'' In most respects, movie critics are similar, but they lack the power of the other two. The other two have widespread gaps in public comprehension going for them. They deal in illusions and metaphors. The more vapid the work, the more voluminous and incomprehensible the comment. But the movies - no! The medium is too popular, too accessible, too fundamental in its appeal, to rely on the tastes of increasingly higher authorities. Movie critics are insignificant by comparison. I don't know of one single example of any film that has succeeded or failed as a result of a critic's opinion.”76 75 76 Hawes, William (2008): a.a.O., S.90ff. Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.S.117. - 27 - Ingo Herrmann 3.3 Der historische Caligula und Zusammenfassung der Handlung Das Leben der historischen Gestalt des römischen Kaisers Gaius Caesar Augustus Germanicus, genannt Caligula, lässt sich in drei Zahlen kurz darstellen: Zwei Jahre nach seiner Geburt 12 n.Chr. stirbt sein Urgroßvater Augustus und gibt die Herrschaft an Tiberius ab. Augustus hatte die Alleinherrschaft in der römischen Republik erobert und hinterließ seinem Ur-Enkel – nach der Herrschaft des Tiberius – 37 n.Chr. ein neuartiges Regierungssystem, welches republikanische Traditionen mit einem neuartigen Prinzipaten-System verband. Daraus resultierend ergaben sich permanente Spannungen zwischen dem Senatsadel – der bis dahin das römische Reich regierte – und dem Kaiser. Augustus wird nach derzeitigem Forschungsstand als geschickter Herrscher beschrieben, der diese Spannungen auszugleichen wusste. Tiberius, sein direkter Nachfolger, verwendete diese Spannungen, indem er sich das Machtstreben einzelner Senatoren – deren Stellung nicht zuletzt vom Kaiser abhing – zu Nütze machte und deren gegenseitige Denunziationen als Grund zur Hinrichtung einiger (denunzierter) Senatoren und Mitglieder der Kaiserfamilie nutzte. Caligula profilierte sich in seiner kurzen Herrschaft durch den Bau eines neuen Hafens und neuer Aquädukte in Rom sowie durch die Sicherung der Reichsgrenzen und die Planung des Germanenfeldzugs. Weniger geschickt erwies er sich allerdings im Umgang mit den Senatoren, beachtete das bis dahin etablierte Zeremoniell nicht, bis schließlich die Spannungen in einen latenten Konflikt mündeten, der zwei Jahre nach Amtsantritt eskalierte. Eine aufgedeckte Verschwörung führte zu einer Rede Caligulas vor dem Senat, in der er den Senatoren heimtückisches Verhalten vorwarf und Gerichtsakten zitierte, die ihre Denunziationen unter Tiberius öffentlich machten. Damit machte er die Spannungen zwischen zwei Institutionen öffentlich sichtbar, stellte die Senatoren bloß und proklamierte ein offenes Kaisertum (anstatt der bis dahin bestehenden Verbindung). Er entmachtete den Senat und die alten Adelsfamilien und schuf ein neues Zeremoniell bis er schließlich Opfer - 28 - Ingo Herrmann einer Verschwörung der Prätorianergarde wurde, deren Vorsteher Caligula 41 n.Chr. ermordete.77 Diese Interpretation des Lebens Caligulas geht wesentlich auf eine Biografie Winterlings zurück, der Caligula als herrschaftsbewussten Kaiser beschreibt und damit die Charakterisierung als wahnsinnigen Herrscher relativiert. Vielmehr ist die „wahnsinnige“ Interpretation als historische Verzerrung der verprellten Senatoren zu betrachten. Diese frühere Interpretation ging immer wieder auf die sexuellen Ausschweifungen, die sexuelle Beziehung Caligulas zu seiner Schwester, das dekadente Hofleben, die sexuellen Exzesse und schlussendlich auf die Ernennung eines Pferdes zum Konsul ein.78 Die Verarbeitung des Caligula-Stoffes diente sich somit in der Vergangenheit als Möglichkeit an, eine bestimmte Art von Herrschaft als entartet, dunkel und wahnsinnig zu charakterisieren. Das am umfänglichsten dokumentierte Beispiel ist eine Essay-Studie Ludwig Quiddes über Caligula, in der er den deutschen Kaiser Wilhelm II. kritisiert ohne Wilhelm II. auch nur zu erwähnen, worauf Quidde von der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Majestätsbeleidigung angeklagt wurde und alle seine offiziellen Ämter verlor.79 Diesen Mythos des verrückten Kaisers greifen auch Vidal, Brass und Guccione auf. Die Handlung des Films ist im Rom des Jahres 37 n.Chr. angesiedelt. Der syphiliskranke Kaiser Tiberius sucht einen geeigneten Thronfolger, da seine verbliebenen nahen Verwandten ungeeignet erscheinen. In dem Film holt er Gaius (Caligula) zu sich, der eine Chance sieht und diese ergreift, indem er Tiberius umbringt und den Siegelring des Cäsaren und damit die Herrschaft an sich reißt. Caligula erklärt seine Schwester Drusilla zu seiner Geliebten, und gerät im Verlauf des Films in eine immer größer werdende Abhängigkeit zu ihr. Das Leben in Rom ist fortan durch 77 Vgl. Winterling, Aloys: Caligula – Eine Biographie, München, 2003, S.51-174 sowie Winterling, Aloys: Caligula, erschienen in: Müller-Wirth, Moritz; Willmann, Urs (Hrsg.): Das zweite Gesicht, Reinbeck, 2005, S.37-46. 78 Vgl. Kissel, Theodor: Kaiser zwischen Genie und Wahn – Caligula, Nero und Elagabal, Düsseldorf, 2006, S.11-19. 79 Quidde, Ludwig: Caligula – Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, Leipzig, 1894. - 29 - Ingo Herrmann Dekadenz, Ausschweifungen und moralischen Niedergang geprägt, immer mehr bisher geltende Regeln werden übergangen und ignoriert. Beispielsweise fordert Caligula von einem Paar, bei deren Hochzeit er beiwohnt, noch während der Feierlichkeiten in einem Separée sexuelle Unterwerfung – die ihm gewährt wird – um schließlich den Bräutigam zu ermorden; unliebsame Senatoren lässt er verbannen oder ermorden, deren Ehefrauen werden zur Prostitution gezwungen. Höhepunkt des Films und auch der Barbarei ist eine riesige Sensenmaschine mit der im Boden einer Arena eingegrabene Verräter geköpft werden. Widerstand gegen Caligula formiert sich erst, als er sich zum Gott ernennt, und daraufhin von seiner Leibgarde ermordet wird. Nachfolger wird sein Onkel Claudius. Im Verlauf der Dreharbeiten scheint sich jedoch der Fokus des Produzenten und Regisseurs gewandelt zu haben, wenn McDowell in einem Interview sagt: „In my own mind, the film should have been a film on the orgy of power, in their version it became the power of orgy.“80 Auch wenn der Fokus des Films damit vom Aspekt der Macht verstärkt auf die sexuellen Ausschweifungen gerichtet wird, verbleibt er doch im Rahmen der überbrachten Caligula-Rezeption (nicht zuletzt deutlich gemacht durch die Einstellung Caligulas mit einem Pferd im Bett), in die sich schließlich auch Vezzolis Trailer ordnen lässt. 4 Beschreibung und Analyse des Trailers Im Folgenden soll der Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula von Francesco Vezzoli beschrieben werden. Allerdings soll keine klassische filmwissenschaftliche oder medienwissenschaftliche Beschreibung des Films erfolgen, da ein Großteil der dort betrachteten Aspekte (überwiegend technische Details, Schnitte, Montagen) für die vorliegende Arbeit nicht relevant ist. Vielmehr soll der folgende Abschnitt einen Gesamteindruck vermitteln, also einem Betrachter, der das Werk nicht vor 80 Corliss, Richard (2007): a.a.O., S.88. - 30 - Ingo Herrmann Augen hat, ein Bild (beziehungsweise einen Film) vermitteln und für die weitere Analyse bedeutsame Einstellungen, Sequenzen, Schnitte und andere Besonderheiten hervorheben.81 Die Analyseaspekte, die Hediger für Trailer vorschlägt – einen morphologischen und einen wirkungsästhetischen – sind für die vorliegende Arbeit schwierig zu handhaben, da sie einer filmwissenschaftlich-technischen Analyse den Vorzug geben und für die kunsthistorische Untersuchung dagegen eher hinderlich erscheinen. Dennoch sollen seine Aspekte – wenn auch in abgewandelter Form – Verwendung finden, wobei chronologisch die Analyse mit der Beschreibung verknüpft wird. Der morphologische Aspekt des Trailers soll dabei zeigen, was der Trailer mit dem Film tut, um seine Wirkung zu erzielen, also welche formalen und rhetorischen Muster er verwendet. Der wirkungsästhetische Aspekt befasst sich dagegen mit der Frage, was der Trailer mit dem Publikum tut, also inwiefern die Form des Trailers besonders geeignet ist, das Bedürfnis nach dem Filmsehen zu wecken. Für den morphologischen Aspekt ergibt sich die Schwierigkeit, dass der Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula keine direkte filmische Grundlage hat, folglich nicht untersucht werden kann. Dennoch sollen, die formalen Aspekte des Trailers erfasst werden, wohingegen für die strukturellen Aspekte (Struktur-Plot-Kriterien) der 1979 entstandene Bezugsfilm von Tinto Brass (vgl. Kapitel 3) und die dazu veröffentlichten Trailer als Grundlage der Analyse herangezogen werden. Quelle dafür ist die 142-minütige englischsprachige Schnittversion; als Trailer werden vier auf youtube.com verfügbare Versionen von unterschiedlicher Länge einbezogen, die im englischsprachigen Raum Verwendung fanden.82 Der wirkungsästhetische Aspekt basiert auf der Annahme, dass zwischen psychischer Wirkung und Formgestalt ein Zusammenhang besteht, der 81 Vgl. zum Beispiel Fischer, Ralf Michael: Filmanalyse, erschienen in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, 10/2003, S.27ff. oder Gibbs, John: Mise-en-scène - film style and interpretation, London, 2002, S.8ff. 82 (1) Caligula (1979) Roadshow Trailer (Version 1), http://de.youtube.com/watch?v=kdAEQF-cJWA, Länge: 0:26 min, (2) Caligula (1979) Trailer (Version 2) http://de.youtube.com/watch?v=pH00lr8fuII, Länge: 1:07 min, (3) Caligula (1979) - Trailer (Version 3), http://de.youtube.com/watch?v=NFfiAZ7YSc4, Länge: 1:00 min, (4) Caligula (1979) Trailer (Version 4), http://de.youtube.com/watch?v=_JoPwCZDEKQ, Länge: 1:50 (alle am 03.Juli 2008). - 31 - Ingo Herrmann analysierbar ist. Dazu ist ein häufig bestätigter Eindruck vorwegzuschicken: Der Film wird als mitreißend, in den Bann ziehend, fesselnd, packend und ergreifend beschrieben. Dieses packende Element herauszuarbeiten braucht allerdings nicht Zweck dieser Analyse sein, sondern müsste – wie erwähnt – in einer filmwissenschaftlichen Untersuchung erörtert werden. Vielmehr ist der Film, wie weiter unten beschrieben, von Werbeprofis gedreht und per se auf eine emotionale Wirkung aus, die aber keine spezifisch künstlerische Qualität Vezzolis ist, sondern dem Kontext der Entstehung und den beteiligten Experten zuzurechnen ist. Stattdessen sollen allgemeine Begriffe wie eben „packendes Element“ oder „dekadente Atmosphäre“ herangezogen werden, die – trotz ihres Mangels an Präzision – für die nachfolgende Beschreibung ausreichend erscheinen. Im Zweifelsfall ist dem Text ein Film-Still beigefügt oder werden wichtige Sachverhalte näher erläutert. Vor der Beschreibung soll jedoch noch kurz auf die Entstehungsgeschichte des Trailers eingegangen und die Rolle des Trailers als Kategorie des Films erläutert werden, da der Trailer – wie Videoclips, Fernsehwerbung, Musikvideos usw. – ganz bestimmte Eigenschaften aufweist, die ihn als Trailer kennzeichnen und Erwähnung finden sollten. 4.1 Zur Entstehungsgeschichte des Trailers Der Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula wurde nicht von Vezzoli selbst gedreht, sondern von einem auf die Produktion von Kurzfilmen spezialisierten Unternehmen namens Crossroads Films Inc., welches neben Vezzolis Caligula Trailer auch Democrazy! für ihn produzierte. In einer Selbstcharakterisierung beschreibt sich das Unternehmen folgendermaßen: „A multimedia and content creation firm, Crossroads offers a clear vision, innovative leadership, and unparalleled reach into the entertainment talent pool. With headquarters in New York, Los Angeles, Chicago, London, and an affiliate office in Toronto, Crossroads has six divisions: Film, Television, Commercials, Music Videos, New Media, and Creative Services. All offer - 32 - Ingo Herrmann exclusive talent featuring some of the world’s top directors, show creators, writers, and producers. Founded in 1989, Crossroads has been a consistent leader in the development and production of feature films and television programming, as well as producing award-winning commercial and music video content for top-tier brands, agencies and performing artists.”83 Der ausführende Produzent für Crossroads war Joseph Uliano, einer der renommiertesten Produzenten für Werbefilme, Musik-Videos, Kurzfilme und Videokunst (Uliano hat neben Vezzoli noch einen Film für Baz Luhrmann produziert). Auch als Art Director war nicht Vezzoli selbst aktiv, sondern wurde mit Matthias Vriens einer der hochkarätigsten WerbeFotografen der Welt engagiert, der nicht nur für die New York Times und viele internationale Magazine fotografiert, sondern zudem Art Director bei Jil Sander ist. Weiterhin seien Donatella Versace, für das Kostümdesign, und Paul Laufer, verantwortlich für die Kameraarbeit, erwähnt – beide ausgewiesene Experten in ihrem Metier. In den wichtigen Rollen treten in Vezzolis Trailer ausschließlich sehr bekannte Schauspieler beziehungsweise Stars auf, zudem konnte er zwei der Darsteller aus dem Guccione Film von 1979 gewinnen, Helen Mirren und Adriana Asti. Als Drehort wurde – abweichend vom Originalfilm – nicht Italien gewählt, sondern eine neo-römische Villa auf dem Sunset-Boulevard in Los Angeles. Die Produktionskosten betrugen 120.000 USD.84 Auch wenn diese Auflistung von Namen der beteiligten Personen vor und hinter der Kamera in einer kunsthistorischen Arbeit eher obskur anmuten mag, sind sie jedoch bereits integraler Bestandteil des Werkes und neben dem entstandenen Film essentiell für die Bedeutung des Werkes. 83 84 http://www.crossroads.com (besucht am 21.November 2008). Vgl. Yablonsky, Linda (2006): a.a.O., S.27. - 33 - Ingo Herrmann FILM 1979 TRAILER VEZZOLI - Name - Name Rolle Rolle Adriana Asti Justine Bateman w - Ennia w - Attia w Malcolm McDowell m - Caligula m w Teresa Ann Savoy w - Drusilla w Karen Black w - Agrippina w Guido Mannari m - Macro m Barbara Bouchet w - Caesonia w John Gielgud m - Nerva m Gerard Butler m - Chaerea m Peter O'Toole m - Tiberius m Benicio Del Toro m - Macro m Giancarlo Badessi m - Claudius m Milla Jovovich w w w w Druscilla Caligula Tiberia Priestes Greek m - Slave w - Messalina w m m Bruno Brive Adriana Asti Leopoldo Trieste m - Gemellus m w w - Ennia m - Charicles m w Paolo Bonacelli m - Chaerea m m w Francesco Vezzoli m - Claudius w - T. Tilberg m - Caligula m w m John Steiner Mirella D'Angelo Helen Mirren Rick Parets Paula Mitchell m w w m w m w Gore Vidal m - Gore Vidal m Legende: m = männlich Courtney Love Helen Mirren Mia Moretti Michael Okarma Michelle Phillips Glenn Shadix Tasha Tilberg - - Longinus m Livia w Caesonia w Mnester Subura w = weiblich Tabelle 1: Übersicht der wichtigsten Darsteller (w – weiblich / m – männlich) 4.2 Der Trailer als Kategorie des Films Trailer bedeutet in etwa „Anhängsel“ und meinte ursprünglich einen schwarzen Filmstreifen, der zur Schonung am Ende der Filmrolle angeklebt wurde. Ungefähr ab 1912 wird mit dem Begriff auch ein Abspann mit einer Werbebotschaft assoziiert. Erstmals werden Trailer in diesem Sinn in Fortsetzungsfilmen verwendet, wo sie jeweils am Ende einer Episode auf die nachfolgende verweisen. Vorfilme, die aus Filmausschnitten bestehen, tauchten erstmals 1916 auf, kurz nachdem sich der Langspielfilm als Standardformat etabliert hatte, setzten sich jedoch erst 1919 durch, als sie in den USA regelmäßig Verwendung fanden. Der Kinotrailer ist seit dieser Zeit ein Schlüsselelement der Filmwerbung. Er sorgt für ein Viertel bis zu einem Drittel des Umsatzes, beansprucht jedoch nur ein bis vier Prozent der Gesamtkosten. Kein anderes - 34 - Ingo Herrmann Werbemittel erreicht damit mehr potentielle Zuschauer zu einem günstigeren Preis als der Kinotrailer.85 Wie bereits erwähnt, sind Trailer Filmwerbung und werden gelegentlich als Werbung für narrativ strukturierte Wissensfelder charakterisiert, die über die Preisgabe von Informationen und den gleichzeitigen Mangel der Informationspreisgabe ein Bedürfnis wecken, das Produkt ‚Film’ zu konsumieren. Dazu wird das Filmmaterial für den Trailer in einen anderen Kontext versetzt, erhält eine andere Bedeutung und die entsprechende Wiederholung einer Sequenz im eigentlichen Film geht mit einer Veränderung des Sinngehalts einher. Unwichtige Nebenfiguren werden zu Bösewichten stilisiert, Sätze aus klärenden Gesprächen bekommen den Charakter von Mordbefehlen, eine unbedeutende Geste einen pathetischen Charakter etc. Damit unterscheiden sich Trailer von z.B. Probepackungen dahingehend, dass sie nicht die Möglichkeit offerieren, ein „Mehr“ desselben Produkts in gleicher Qualität zu erwerben. Stattdessen stehen Trailer für sich selbst, obwohl sie natürlich dem Film verpflichtet bleiben.86 Da sich Trailer in aller Regel an ein Publikum richten, welches den Film noch nicht gesehen hat, und demnach der Versuch unternommen wird, eine adäquate Vorstellung des Films zu vermitteln, ist es durchaus gerechtfertigt den Trailer zu untersuchen, ohne den jeweiligen Film zu betrachten. Die Möglichkeit der Betrachtung des Trailers als eigenständiges Analyseobjekt macht ihn zu einer Kategorie des Films. Der Kinotrailer entsteht unabhängig von der Produktion des Films und steht nicht im Zusammenhang mit dem Werbewert des Filmmaterials, welches der Regisseur liefert. Vielmehr werden unabhängige TrailerProduzenten herangezogen, die erstens ein unbefangenes Verhältnis zum Film haben und zweitens wissen, wie ein Trailer auszusehen hat und folglich nicht gänzlich auf Material des Films verzichten können, häufig aber zusätzliche Szenen drehen, die nicht für den Film, sondern 85 Vgl. Hediger, Vinzenz: Verführung zum Film – Der amerikanischer Kinotrailer seit 1912, Züricher Filmstudien, Band 5, Zürich, 2001, S.13. In den letzten Jahren dürfte sich diese Zahl zugunsten von Internet-Marketing verschoben haben. 86 Vgl. Ebd., S.24. - 35 - Ingo Herrmann ausschließlich für den Trailer bestimmt sind. Die Trailererstellung wird demnach als regel- und konzeptgeleiteter Prozess charakterisiert, der in uniforme Strukturen mündet, die sich allerdings im Verlauf der letzten 100 Jahre gewandelt haben. Diese Annahme der Schablonenhaftigkeit der Trailerproduktion, die einem bestimmten Muster folgt, um den Film – je nach verwendeter Schablone – für einen bestimmten Typ von Rezipient als sehenswert oder nicht sehenswert erscheinen zu lassen, soll, vor allem mit Verweis auf die Ergebnisse von Staiger (1990), im Folgenden vorausgesetzt werden.87 Einer der ersten Wissenschaftler der sich bereits Anfang der 1950er Jahre mit Werbung als Kunst auseinander setzte war Marshall McLuhan. Er war der Ansicht, Werbung und Kunst hätten dieselbe Absicht, nämlich einen Effekt beim Publikum zu evozieren, den er auf den Einsatz identischer Techniken zurückführte. McLuhan war zu dieser Zeit noch kein „Medienguru“, sondern Literaturwissenschaftler und spricht daher im Wesentlichen von literarischen Techniken, wie dem Aufbau und der Struktur von Erzählungen, antiker Rhetorik und Dramentheorie.88 In Spielfilmen ist schließlich regelmäßig die Drei- oder Fünf-Akt-Struktur anzutreffen, die auf der antiken Rhetorik basiert. Beginnend mit der (1) Einleitung (exordium/prooemium), in der versucht wird, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erlangen, (2) der Erzählung (narratio), die eine Schilderung des Umstandes ist, (3) der Gliederung (propositio), (4) der Beweisführung (argumentatio), in der für die Glaubwürdigkeit der eigenen Sache argumentiert wird und schließlich (5) dem Redeschluss (peroratio/conclusio), der die Fünf-Akt-Struktur schließt.89 Diese Fünf-Akt-Struktur wird in ähnlicher Form auch im Trailer angewandt,90 wobei Hediger präzisere Begriffe für den Trailer entwickelt und verwendet hat, als es andere Autoren getan haben. So spricht er von 87 Vgl. Staiger, Janet: Announcing Wares, Winning Patrons, Voicing Ideals – Thinking about the History and Theory of Film Advertising, erschienen in: Cinema Journal, Vol.29/3, 1990, S.17ff. 88 McLuhan, Marshall: Die mechanische Braut - Volkskultur des industriellen Menschen, Amsterdam, 1996 [engl. 1951], S.95ff. 89 Field, Syd (2000). Das Drehbuch, erschienen in: Meyer, Andreas; Witte, Gunther; Henke, Gebhard (Hrsg.): Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film – Ein Handbuch für die Praxis, München, 2000, S. 53. 90 Cowgill, Linda J.: Wie man Kurzfilme schreibt, Frankfurt (Main), 2001, S.75ff. - 36 - Ingo Herrmann einer Vierteilung des Trailers: (1) Im Intro wird das Thema des Films eingeführt, das hauptsächliche Verkaufsargument genannt und eine Frage aufgeworfen. (2) Im Titel wird zumeist der Filmtitel erstmals genannt, und häufig die zuvor im Intro aufgeworfene Frage beantwortet. (3) In der Durchführung, die als Hauptteil das Thema des Intros ausarbeitet, findet eine Reihe von Szenen und eine Passage aus zusammenfassenden Titeln Verwendung, wobei regelmäßig eine Cast-Liste91 benannt wird. (4) Im Endtitel wird abschließend noch einmal der Titel des Films erwähnt.92 Gelegentlich wird vom Trailer noch der Teaser unterschieden, der sich dahingehend vom Trailer unterscheidet, dass kein Filmmaterial Verwendung findet, sondern ausschließlich aus exklusiv gedrehtem Material eine Montage entsteht. Obwohl Vezzolis Trailer somit eher als Teaser zu charakterisieren wäre, da alles Filmmaterial ausschließlich für den „Trailer“ produziert wurde, soll diese Unterscheidung im vorliegenden Fall nicht weiter verfolgt werden. Beide, Trailer wie Teaser, verfolgen ein identisches Ziel. Ein Unterschied besteht lediglich in der zeitlichen Abfolge ihres Erscheinens im Kino, wobei der Teaser als erster Kontaktpunkt zum Zuschauer Interesse wecken soll, der Trailer dagegen zu einem späteren Zeitpunkt als Werbung für das Produkt daherkommt.93 Eine letzte Besonderheit des betrachteten Trailers ist die Präsentation als Fake-Trailer, also ein Trailer zu einem nicht existierenden Film. Ähnliche Fake-Trailer werden seit wenigen Jahren in Umlauf gebracht und wurden spätestens 2007 auch kommerziell verwertet. Beispielsweise kündigten neben einer Reihe echter Trailer vier Fake-Trailer im Sommer 2007 den neuen Film von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez Grindhouse (bestehend aus: Planet Terror und Death Proof) an.94 Alle Fake-Trailer wurden ausschließlich im Internet veröffentlicht und wurden in diversen Filmforen ausgiebig diskutiert, bis sich nach einigen Wochen die Autorenschaft Tarantinos und Rodriguez’ bestätigte. Dennoch – oder 91 Eine Auflistung beteiligter Personen am Ende des Films beziehungsweise eine Aufzählung der Schauspieler im Trailer. 92 Vgl. Hediger, Vinzenz (2001): a.a.O., S.41f. 93 Vgl. Sturm, Robert; Zirbik, Jürgen: Lexikon elektronischer Medien. Radio – Fernsehen – Internet, Konstanz, 2001, S.205. 94 Vgl. http://de.youtube.com/watch?v=sPmL_W96l80 (am 10.Oktober 2008). - 37 - Ingo Herrmann besser: deswegen – entfaltete sich die erwünschte Werbewirkung, da diese Werbeform unter dem Begriff des „viralen Marketing“ zu verorten ist. 4.3 Analyse und Beschreibung des Trailers Der Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula ist mit einer Spieldauer von 5:00 Minuten95 mehr als doppelt so lang wie aktuelle Kinotrailer, deren Spieldauer sich auf 1:00 bis 2:30 Minuten beläuft. Die maximale Länge für einen Trailer ergibt sich aus dem Advertising Handbook der MPAA 2006 in dem es heißt: „The length of the trailer must not exceed two minutes, thirty seconds.“96 An diese Empfehlung halten sich die meisten Produzenten, auch unabhängige, da anderenfalls ein Verleih der „Vorschau“ nicht stattfindet und damit eine Bewerbung des Films unterbleibt. Den Beginn des Trailers bildet eine grüne Leinwand auf der eine Texteinblendung zu lesen ist (vgl. Abbildung 2): „The following preview has been approved for all audiences by the Motion Picture Association of America.“97 Diese verbindliche Selbstverpflichtungserklärung der Einblendung Mitglieder der geht Motion auf die Picture Association of America zurück, die 1968 als Nachfolgeregelung für den Hays Code unter Jack Valenti eingeführt wurde und ein System der altersmäßigen Selbstbeschränkung darstellt. “Trailers are approved only for ‘All Audiences’ or for ‘Restricted Audiences’ […]. Trailers […] must be suitable for all audiences, regardless of the content of the […] motion picture. Use of the official MPAA trailer tags is required on all trailers. In order to facilitate the trailer-approval process, rough cuts may be submitted before a composite. While trailers may be submitted in various formats, final approval is always withheld until the trailer is submitted in its final form, on 35mm film or such other format as is acceptable to the Advertising Administration.”98 95 Die Angaben über die Länge des Films variieren. Während die New York Times von 5:30 Minuten Spiellänge berichtet, beträgt die Spieldauer des Trailers im Museum Ludwig in Köln lediglich 5:00 Minuten. Die Schnittfassungen unterscheiden sich dahingehende, dass in der längeren Fassung der abschließende Kommentar Caligulas (Courtney Love) ausführlicher ausfällt und die Cast-List in einer abgewandelten Reihenfolge erscheint. Beide Versionen liegen dem Verfasser vor. 96 Vgl. MPAA-Advertising Handbook 2006, Encio, 2006, S.20. 97 Vgl. MPAA-Advertising Handbook (2006): a.a.O., S.29. 98 Ebd., S.22 - 38 - Ingo Herrmann Abbildung 2: Trailer Tag Caligula (Vezzoli-Trailer) Abbildung 3: Trailer Tag 'Restricted Audiences' Dabei sind „Scenes with sexual activity, ménage à trois, group sex or nudity of any kind; Sexual references involving minors [unacceptable for use in an ‘All Audience’ trailer]…”.99 Zudem müssen Restricted Audience Trailer "...eliminate all scenes containing strong sex or excessive violence [...] genitalia/pubic hair; use of sexually connotative words; sexual intercourse, fondling or masturbation...".100 99 Ebd., S.23. Ebd., S.24. 100 - 39 - Ingo Herrmann Die Erwähnung dieses Trailer-Tags erscheint deswegen von Bedeutung, weil das Caligula Remake ein All Audiences Tag zeigt, obwohl der Trailer durchaus anstößige Szenen beinhaltet. Eine Anfrage bei der MPAA ergab dabei die unrechtmäßige Verwendung des Trailer-Tags in Vezzolis Film, die wohl bewusst von Vezzoli als Anspielung auf den Verzicht Gucciones bewertet werden kann, seinen Caligula-Film der MPAA vorzulegen und stattdessen einem Eigen-Rating zu unterwerfen (Mature Audiences). Die erste Einstellung des Trailers beginnt schließlich mit einer Blende und dem endorsement101 Gore Vidals. Der Verfasser des ursprünglichen Drehbuchs aus dem Jahr 1975 erscheint in der Bildmitte auf einem Stuhl sitzend in einer Art Säulengang und wird durch Namenseinblendung als Gore Vidal ausgewiesen. Der rechte Bildvordergrund ist bestimmt durch eine Harfe, deren Resonanzkasten aus dem off screen space in die zweite Bildebene strebt, in der Gore Vidal einige einleitende Worte spricht: „What is the point of telling the story of someone who is – somewhat – insane and a very dark point in human history? I think the answer to that is: Every point in human history is – dark.”102 Links hinter Vidal steht eine Büste auf ionischem Sockel vor einer Balustrade, die den Blick in einen Garten eröffnet. Die Einstellung ist geprägt von der horizontalen Nahsicht Vidals ohne Kamerabewegung. 101 Auftritt eines Stars mit direkter Ansprache an das Publikum. Alle Folgenden Zitate der Darsteller sind dem Trailer entnommen, sofern sie nicht gesondert gekennzeichnet sind. Die Interpunktion der Zitate stammt vom Verfasser und kann Stellenweise fehlerhaft sein, da verschiedene Sprechweisen (beziehungsweise Hörweisen) eine abweichende Interpunktion zuließen. 102 - 40 - Ingo Herrmann Abbildung 4: Endorsement 'Gore Vidal' Mit der leise einsetzenden Musik wird auf eine Studio-Label-SignetAnimation übergeblendet, die sich häufig zu Beginn eines Trailers befindet. Es zeigt eine Weltkugel mit Strahlenaura vor einem sternenbesetzten schwarzen Hintergrund in der eine Nadel steckt. Die Einstichstelle befindet sich auf dem amerikanischen Kontinent ungefähr in der Region New Yorks und ist von tiefroter Farbe umgeben. Über diese Weltkugel spannt sich der Schriftzug „Needlework Pictures“. Das Signet erinnert durch (1) die Verwendung der Weltkugel mit Strahlenaura vor schwarzem Hintergrund und (2) die UNIVERSAL Studio-Label. - 41 - Typographie stark an das Ingo Herrmann Abbildung 5: Needlework Pictures Studio Label Abbildung 6: Universal Pictures Studio Label Die nächste Sequenz besteht aus mehreren Einstellungen, die rhytmisiert mittels kurzer, kräftiger Trommelschläge, durch Schwarzblenden montiert sind und nur durch Texteinblendungen unterbrochen werden. Die ersten Einstellungen zeigen Teile der Architektur und einige Soldaten am Swimming-Pool und werden durch einen einführenden Text auf dunklem, wolkendurchsetztem Hintergrund, der von einer nicht bekannten männlichen Erzählerstimme verlesen wird, unterbrochen: „Throughout the course of human history, there have been only three truely great stories…“. Der Erzähler weiter: „The first was the immaculate birth of christ…“, worauf Einstellungen einer Sex-Orgie folgen, „…the second was - 42 - Ingo Herrmann the untimely death of christ…“, gefolgt von weiteren Einstellungen der Orgie; „…and the third and greatest by far…”, worauf eine Einstellung den Unterleib einer Person mit umgeschnalltem goldenen Dildo zeigt „…belonged to this man.“ Abbildung 7: Vezzoli als 'Caligula' Ein rasanter Kameraschwenk, der das Bild mittels Wischblende bis zur Unkenntlichkeit verwischt, führt zu den nächsten beiden Einstellungen, in der sich Caligula (hier Francesco Vezzoli selbst), flankiert von zwei nackten, sich küssenden Männerpaaren, geschafft auf dem Boden räkelt. Die Zweite, vom rechten Leinwandrand in die Erste einfließend, eine Großaufnahme von Druscilla (Milla Jovovich), die lasziv Caligulas Namen nennt und damit die Geschichte Caligulas (beziehungsweise Vezzolis) zur größten der „three truely great stories“ zu erklären scheint. Damit ergibt sich bis zu diesem Punkt eine Übereinstimmung mit der zu erwartenden Struktur: Das Thema des vermeintlichen Films ist durch Gore Vidal eingeführt (der „dark point“ in der Geschichte der Menschheit), eine Eingangsfrage wurde aufgeworfen (Welcher Mann ist die „great story“ und der „dark point“?) und beantwortet (Caligula!). Allerdings sind Intro und Titel im vorliegenden Fall durch eine implizite Frage-Antwort-Beziehung - 43 - Ingo Herrmann zusammengezogen und könnten als Exposition bezeichnet werden, was auch von Hediger als Variante angesehen wird.103 Es folgt der dritte und längste Teil, die Durchführung. Beginnend mit einer Sequenz aus 20 Einstellungen, die erneut durch Musik rhythmisiert sind, wird ein abstrakter Ort beschrieben, an dem die Handlung spielt. „It was a place, thick with lust…“ – worauf zwei lediglich in Chiffon gekleidete, halbnackte Frauen tanzend vor einem Brunnen gezeigt werden – „…overflowing with passion…“ – worauf ein Mann, beim passieren eines weiteren Mannes, wollüstig in eine Hand voll Beeren beißt und diesem nachschaut – „…dominated by corrupt power…“ – worauf ein Soldat gewaltsam einen Frauenkopf zu sich heranzieht – „…and sadistic pleasures…“ – worauf eine Einstellung Tiberias (Hellen Mirren) mit weißer Toga folgt, die zwei, lediglich mit grobmaschigen Kettenhemden bekleidete Männer an einer Leine führt. Bild und Musik bedingen in diesem Teil einander, unterstützen die Schnittfrequenz und rhythmisieren das Geschehen. Die letzten 5 Einstellungen, die einen Dialog vorbereiten, zeigen einen Mann, der grazil vor der Kamera tanzt und eine homosexuelle Sex-Orgie, woran sich ein Dialog zwischen Claudius (Glenn Shadix) und Agrippina (Karen Black) anschließt: Agrippina: „I hear, you have a taste of young boys…“ Claudius: (schelmenhaft verneinend); Gelächter von beiden. Nach einem Szenenwechsel durch einen vertikalen Passierschwenk, aus einem prächtig eingerichteten Schlafzimmer in den nächtlich beleuchteten Außenbereich mit Swimming-pool, setzt stark dramatisierende Musik ein, die an Hitchcocks „Psycho“ erinnert und eine neue Sequenz einleitet. Sieben Einstellungen zeigen die sexuellen Ausuferungen um den Pool, wobei verschiedene Einstellungsgrößen und Kameraperspektiven immer an eine bewegungslose Kamera gebunden sind. Das Ambiente bleibt – wie bei allen Sequenzen des Trailers – luxuriös und prächtig: mit Gold beschlagene Möbeln und edel anmutende Stoffe. 103 Vgl. Hediger, Vinzenz (2001): a.a.O., S.42. - 44 - Ingo Herrmann Anstatt lediglich weitere unterhaltsame Sequenzen, wie die zwischen Claudius und Agrippina, aneinanderzureihen, verweist die Erzählerstimme bereits auf den Regisseur des Films, indem ein Referenzwerk Vezzolis benannt wird: „From the creator of the international smash-hit ‚Comizi di non amore’“, worauf eine kurzer Wortwechsel zwischen Agrippina: „Caligula will be emperor soon,“ und Messalina (Michelle Phillips): „I knew you had something planned.“ folgt, und die Erzählerstimme fortfährt: “…comes the delirious re-imagining of the film that scandalized the world.“ Neben Großaufnahmen der jeweils sprechenden Personen werden erneut ausgiebige Sexszenen gezeigt, sowie eine – verglichen mit anderen – lange Einstellung einer Frau, die zwischen zwei weiteren Personen lustvoll deren umgebundene goldene Dildos in den Mund nimmt. Abbildung 8: Frau mit Gold-Dildos Vor einem opulenten Hintergrund erscheint abschließend Druscilla neben einem mit einer Toga bekleideten Mann und spricht zu einer Person im off screen space: „You don’t want her? I thought you like virgins.“; unbekannte Person: „Kill her!“; Drucilla: „Amateur!“ Nach dieser Einstellung beginnt der zweite Abschnitt der Durchführung, und die Erzählerstimme leitet zur Vorstellung der darstellenden Personen - 45 - Ingo Herrmann (Cast-Liste) über, die ebenfalls an dieser Stelle als Trailer-typisch bezeichnet werden kann. „With an international cast of superstars, more decadent than your wildest dreams.” Die bisher gezeigten Darsteller werden in schnellen Schnitten erneut präsentiert und die Sequenz endet mit einer Einstellung Tiberias, flankiert von zwei Säulen und ihren Kettenhemd tragenden Sklaven, die schallend in den Garten des Anwesens den Namen Caligulas ruft. Folgend werden von der Erzählerstimme die Darsteller und ihre jeweilige Rolle mit einem Satz charakterisiert, die anschließend durch einen, meist in Großaufnahme gezeigten, rollenspezifischen Kommentar illustriert wird: Erzählerstimme: „The ravishing Helen Mirren as the empress Tiberias in her triumphically return to the world of Caligula.”104 Tiberias: “We stole the wealth of the world, we had to conquer the earth and – look at us.” Erzählerstimme: “The notorious Karen Black as Agrippina.” Agrippina: “I’m nursing a viper at the bosom of rome…” Erzählerstimme: “The incompable Milla Jovovich as Druscilla, Caligulas depraved sister.” Druscilla: “You don’t won’t me to be a wife to you?! You’re vile!” Erzählerstimme: “The extraordinary Benicio del Toro as Macro, the General Caligula betrayed.” Marco: “The emperor knows everything taking place in Rome. Not only words and deeds but thoughts and feelings…. His spy’s are everywhere.” Erzählerstimme: “And the charming Adriana Asti as Ennia, Macros lascivious wife.”105 Ennia: “Calligola, giurami che mi ami, giuralo!”106 Die folgenden Darsteller werden ohne zusätzlich beschreibende Adjektive vorgestellt, ohne ihnen Raum für einen eigenen Sprechanteil einzuräumen. Erzählerstimme: “With Glenn Shadix as Claudius, Michelle Phillips as Messalina, Gerad Butler as Chaerea, Barbara Bouchet as Caesonia and Tasha Tilberg in her eagerly anticipated first lesbian screen cast.” 104 Helen Mirren hatte bereits eine Hauptrolle im Bezugsfilm, weshalb hier von einem ‚return’ die Rede ist. 105 Adriana Asti hatte spielte bereits die Ennia im Bezugsfilm. 106 Calligola, schwöre mir, dass du mich liebst, schwöre! (Übersetzung des Verfassers) - 46 - Ingo Herrmann Abbildung 9: Helen Mirren mit Kettenhemd-Sklaven Alle Darsteller werden in einem sexualisierten oder dekadenten Rahmen gezeigt. Helen Mirren führt erneut ihre Kettenhemd tragenden Sklaven und Adriana Asti sitzt vor einem masturbierenden Mann, dessen Ejakulat sie im Anschluss in ihrem Gesicht verreibt. “In a movie so passionate in it’s extremes, you can literally feel it coating you and the taboo.” Abbildung 10: Sexorgie - 47 - Ingo Herrmann Während die Erzählerstimme diesen dritten Teil des Films beendet, und in den Endtitel überleitet, werden wiederum einige Einstellungen von Orgien gezeigt. „Beyond sensuality, there is sexuality…“ – Orgieneinstellungen – „…beyond sexuality, there is perversity…“ – weitere Orgieneinstellungen – „…beyond perversity, there is only…“. Dieser Satz wird nicht von der Erzählerstimme vollendet, sondern es werden einige der oben genannten Personen gezeigt, die hysterisch Caligulas Namen schreien. Diese Reihe von Szenen und Texteinblendungen kann als zusammenfassende Passage aus Titeln verstanden werden, die ähnlich der Exposition, auf Caligula als End- und Höhepunkt hinstreben. Die Abschließende Titelnennung wird dabei nicht ausschließlich von den Darstellern vorgenommen, sondern erscheint zudem als Key Art, das jedoch nicht Caligula zeigt und einen Verweis zu dem ähnlichen Key Art des Originalfilms herstellt, sondern Papst Johannes Paul II. unter dem der Name CALIGULA geschrieben steht (vgl. Abbildung 11). Abbildung 11: Key Art Caligula (Vezzoli-Trailer) - 48 - Ingo Herrmann Abbildung 12: Key Art Caligula (Original-Trailer) Das Emblem wird langsam ausgeblendet, während die Erzählerstimme zur vermeintlich letzten Einstellung überleitet: „Gore Vidals Caligula.“ Worauf die Stimme Gore Vidals erklingt: „Coming soon, to a theatre – near you.“, die Kamera fährt nah an Vidals Gesicht und ein schwarzer Abspann erscheint, auf dem einige Sekunden eine Liste aller beteiligten Personen erscheint. Doch anstatt der Trailer nach diesem Abspann erneut beginnt – was in einer ähnlichen Ausstellungssituation zu erwarten wäre – erscheint ein Treppenaufgang, flankiert von zwei Büsten. Links kommt eine Frau ins Bild die entschlossen die Treppe hinaufgeht und durch eine Begleitbewegung von der Kamera verfolgt wird. Während dieser Einstellung erklingt dumpfe Cellomusik und die hysterischen Schreie mit denen der dritte Abschnitt endet. Sie betritt das Haus durch die Tür und wendet sich plötzlich zur Kamera: „Caligula? I am Caligula!...“ – ähnlich wie bei der Vorstellung der Darsteller wird ihr Name, Courtney Love, eingeblendet –„…I have existed from the morning of the world and I will exist until the last star falls from the night… [verrücktes Lachen] I am not mad, I know what I speak. I exist as no woman has existed before, and I exist as no woman ever exists again. Therefore I am fate. Therefore I am God. Therefore I am Caligula.“107 Während sie diesen letzten Satz sagt, 107 In einer anderen Schnittversion sagt sie „Caligula? I am Caligula!...“ – ähnlich wie bei der Vorstellung der Darsteller wird ihr Name, Courtney Love, eingeblendet – „… I shine - 49 - Ingo Herrmann schlägt sie die Tür mit einem lauten Knall vor der Kamera zu, es erscheint kein weiterer Abspann. 4.4 Anlehnungen an die Vorlage Vezzoli lehnt sein Trailer-Remake nicht nur stark an die Vorlage von 1979 an, sondern übernimmt fast alle Elemente seines Fake-Trailers aus den Trailern der Vorlage. Diese Übernahmen sollen als Quelle zumindest kurz Erwähnung finden, wobei mindestens einer der herausgearbeiteten Aspekte, ein struktureller, ein motivischer, ein dialogischer und ein musikalischer vorgestellt werden soll. Strukturell gleicht sich die Exposition des Trailers durch Gore Vidal und die ihm nachfolgende anonyme Sprecherstimme mit der Exposition des historischen Trailers durch Bob Guccione. In beiden Fällen tritt ein unmittelbar an der Entstehung des Films Beteiligter in Erscheinung, um den Film einzuleiten – bei Vezzoli Gore Vidal „in persona“, in der historischen Vorlage der Produzent Guccione als sich selbst vorstellende Sprecherstimme („My name is Bob Guccione. I promised a new kind of motion picture, a picture so controversial, so innovative in it’s magnitude that it would fundamentally change the viewing habits of the theatre going public.”) Beide kündigen den Film als etwas Außergewöhnliches an, preisen ihn als „controversial“ und „extraordinary“, wobei die anonyme Sprecherstimme, die auf Vidal folgt, sich nicht auf den Film bezieht, sondern über die Person Caligula spricht, was Guccione erst etwas später vornimmt, wenn er Caligula charakterisiert (in allen Trailer-Versionen beschreibt er Caligula folgendermaßen: „No treachery could equal his evil, no evil was more treacherous.”). Dennoch ist hier eine strukturelle Anlehnung Vezzolis an seine Vorlage erkennbar. as the moon does amongst the lesser fires, the moon is full tonight. Diana is watching me, and no one fools or withstands me, a little mad. I can not sleep, I can not sleep. All I can do is stare at the golden eye as it gazes down at the Capitoline Hill. The wretched most [unverständlich] poorest cripple beggar in Rome can sleep, but I can not. How lonely it is, to be a god. Diana is watching me. No, I am not mad, I know what I’m saying. All there is - is fate. I exist as no woman has existed before. And I exist as no woman ever exist again. Therefore I am fate. Therefore I am God.“ - 50 - Ingo Herrmann Motivisch lehnt sich Vezzoli dahingehend an das Original an, dass die Atmosphäre nicht nur eine ähnlich dekadente ist, sondern Requisiten, wie beispielsweise das Bett Drucillas, nach der Vorlage inszeniert zu sein scheinen. Am deutlichsten wird die Motivübernahme am Beispiel der PoolSzenen. Sowohl in der Vorlage, als auch in Vezzolis Trailer gibt es Einstellungen, die das Gesäß einer Frau kurz vor dem Abtauchen in den Pool in voller Größe präsentieren und in beiden Filmen fast austauschbar anmuten. Auf dialogischer Ebene haben einige Einstellungen fragmentarischen Charakter und sind den Trailern der Vorlage bis hin zur Intonation übernommen. Als Beispiel für die Übernahme eines solchen DialogAusschnittes ist beispielsweise Druscillas Ausruf an Caligula „You Amateur!“ der sowohl in einem der Original-Trailer wie auch in Vezzolis Trailer vorkommt. Diese ist mit exakter Kameraeinstellung (amerikanisch) und Intonation montiert, nur dass Vezzoli die Reaktion Caligulas auf diesen Angriff – er schlägt seiner Schwester ins Gesicht – ausspart und stattdessen Druscilla aus ihrer passiven Rolle in einer aggressiven Drohgebärde zeigt. Eine andere Textstelle, die sowohl im Original- wie im Fake-Trailer vorkommt, ist eine Einstellung Caligulas: Courtney Love sagt in Vezzolis Trailer „Caligula? I am Caligula! I have existed from the morning of the world and I will exist until the last star falls from the night. I am not mad, I know what I speak […] I am God. Therefore I am Caligula.“ Im Original steht Malcom McDowell in der Halle der Senatoren und erklärt: “I have existed from the morning of the world and I will exist until the last star falls from the heavens…” womit ein eindeutiger Bezug hergestellt ist. Selbst auf musikalischer Ebene werden Melodien des Original-Films verwendet, wenn auch selten als reine Übernahme. Vielmehr sind die historischen Melodien neu abgemischt und mit anderen, modernen Sound-Bites an aktuelle Filmmusiken angepasst. Beispielsweise erklingt als Überleitung vom endorsement Vidals auf die nächste Einstellung, eine Melodie, die im Original-Film als Motiv für das „Orgien-Schiff“ verwendet - 51 - Ingo Herrmann wird,108 bei Vezzoli jedoch nur kurz anklingt, um schließlich durch dumpfe Bass-Trommeln ergänzt zu werden, die dem Gesamtklang einen spannungssteigernden Effekt verleihen. Abschließend sei an dieser Stelle noch auf zwei Abweichungen hingewiesen, die den Trailer maßgeblich von seiner Vorlage unterscheiden. Zum einen integriert Vezzoli die Darstellung von Homosexualität. Seine Orgien-Einstellungen sind meist homosexuelle, in denen eindeutig Männer-Paare dargestellt werden, oder aber nicht eindeutig zu zuordnen, wenn Darsteller die goldenen Dildos tragen. Zudem ist der Trailer weitaus schneller geschnitten als die Trailer zum Ursprungsfilm oder der Ursprungsfilm selbst, was wahrscheinlich den derzeitigen Sehgewohnheiten entspricht. 4.5 Zwischenfazit Staiger verweist auf die Funktion von Filmwerbung als Standardisierungsversprechen. Diese Standardisierung wird über eine Denotationsbeziehung dem Film zugeschrieben, der schließlich als so standardisiert wahrgenommen werden soll, wie es der Trailer vorzugeben scheint. Wird von gewohnten Konstruktionsmustern abgewichen, verweist man bereits auf den außergewöhnlichen Charakter des Films.109 Vezzolis Trailer verbleibt im Rahmen der überbrachten Konstruktionsmuster von klassischen Hollywood-Trailern, da sich eine Struktur bestehend aus Exposition, Titel, Durchführung und Endtitel mit den jeweiligen Charakteristika nachweisen lässt. Einzig die Szene von Courtney Love als Caligula sticht aus dieser Standardisierung hervor, da sie sich an den „Closing Credit“ anschließt. Allerdings bleibt auch diese Besonderheit nicht ohne cineastische Vorlage. So wird bei einigen modernen Hollywood-Filmen an den Abspann entweder eine Schlüsselszene gestellt, die eine komplexe Handlung auflöst, oder alternativ ein Sketch beziehungsweise sogenannte „Outtakes“, die lediglich Unterhaltungswert besitzen. 108 109 Vgl. http://de.youtube.com/watch?v=hVRhhomrfIY (am 08.Dezember 2008). Vgl. Staiger, Janet (1990): a.a.O., S.27f. - 52 - Ingo Herrmann Neben diesem Aspekt spricht Guccione in allen Original-Trailern im Rahmen seines verbalen endorsements einen bereits erwähnten Punkt an, der den Streit zwischen allen beteiligten Personen geprägt hat: Die Verwertbarkeit und „Kinofähigkeit“ des Films und die z.B. damit verbundene Pressearbeit. Im endorsement der historischen CaligulaTrailer sagt Guccione den Satz:„They spoke of it first in whispers, than it took the media by storm.“, womit sowohl die Untertanen Caligulas gemeint sein könnten, die über die Machtanmaßungen Caligulas tuschelten, wie auch die amerikanische Presse, die sich vor dem Erscheinen des Films in wüsten Spekulationen über den Inhalt erging. Guccione thematisiert damit beiläufig die eigenen Verwertungsmechanismen, für die er sich selbst in unzähligen Interviews rühmte. In einer Sonderausgabe seines PenthouseMagazins geht er mehrfach auf den kommerziellen Charakter des Films ein: " [...] I don't think Caligula qualifies under the heading of bad art. It was a huge commercial undertaking, and at the same time we wanted to make a serious statement."110 Neben diesem hollywoodesken Standardisierungsversprechen hinsichtlich seines vermeintlichen „Anschauungswertes“ und der „Verwertbarkeit“ ergibt sich über die angedeutete „Explizitheit“ ein Bezug auf den pornographischen Film und schließlich, durch die Anlehnung an die Vorlage Gucciones, eine Verbindung zum historisch-pornographischen Epos. Damit provoziert Vezzoli eine Doppeldeutigkeit, die Guccione in allen Trailern zur historischen Vorlage offensichtlich machte: Die Verschmelzung der beiden Genres, einen “…attempt to fuse the historical epic with the porno film at a time when it seemed possible that serious cinema might go hard-core.”111 Diese Verschränkungen von Pornographie, Trailer-Standardisierung und Verwertbarkeit sollen im weiteren Verlauf der Arbeit nähr untersucht werden. Wie oben erwähnt, hat Vezzoli sich bereits mehrfach mit standardisierten Prozessen wie Wahlwerbung, Produktwerbung, Filmwerbung usw. auseinandergesetzt. Diese Kreation von (vorgeblichen) Produkten unter 110 111 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.113. Corliss, Richard (2007): a.a.O., S.88. - 53 - Ingo Herrmann Einbezug populärkultureller Aspekte, soll sich in den folgenden Kapiteln an das eingangs kurz als Sexualität beziehungsweise Pornographie bezeichnete Thema anschließen. - 54 - Ingo Herrmann 5 Der Aspekt des Pornographischen in Vezzolis Trailer Wie eingangs erwähnt, sind die pornographischen Aspekte zu vielfältig, als dass sie alle in einem knappen Kapitel behandelt werden könnten. Daher gilt es, einige herauszugreifen, die schwerpunktmäßig betrachtet werden sollen. Da Gore Vidal einen Angelpunkt in der Beziehung zwischen den beiden bereits erwähnten Filmen – dem Trailer und Gucciones Vorlage – darstellt, scheint es sinnvoll, seine Positionen näher zu untersuchen. Hinzu kommt der Fakt, dass Vidal nicht nur für das Drehbuch des ursprünglichen Films verantwortlich war, sondern sich zudem in einer Vielzahl von Essays und Romanen diesem Thema gewidmet hat. Daher sollen seine Einstellungen zum Thema Pornographie und vor allem zum Thema Feminismus und Sexualität herausgearbeitet werden, die Vezzolis Arbeit nicht unerheblich beeinflusst haben dürften. 5.1 Der Einfluss Gore Vidals Gore Vidal scheint für Vezzoli eine besondere Bedeutung zu haben. “Who but Gore? Gore is the intellectual and cultural bridge between Italy and America, who else - what gay man - could represent the link between cinema, literature, history - everything I care about? Only Gore. He is the master.”112 Die intellektuelle Brückenfunktion die Vezzoli Vidal zuweist, ist auf seine langjährige Verbundenheit mit Italien zurückzuführen, wo er seit den 1960er Jahren bis 2005 ein Haus in Ravello bewohnte und Kontakte zu vielen Künstlern und Intellektuellen beider Länder unterhielt.113 In seinen Memoiren beschreibt sich Gore Vidal als Vorreiter der sexuellen Befreiung, der bereits in den Nachkriegsjahren in Paris und New York ein ausschweifendes Sexualleben mit einer Vielzahl junger Männer unterhielt und dort seine Homosexualität offen auslebte. 1948 veröffentlichte er – 23-jährig – seinen dritten Roman The City and the Pillar (dt. 112 „Friends and Romans“, erschienen auf: Artforum: http://artforum.com/diary/id=10798 – (am 31.März 2008). 113 Vgl. Vidal, Gore: Palimpsest – Memoiren, Hamburg, 1996, S.9ff. - 55 - Ingo Herrmann Geschlossener Kreis), eine im homosexuellen Milieu angesiedelte Handlung, die ihm herbe Kritiken einbrachte, heute jedoch als Ausgangspunkt einer spezifisch homosexuellen Literatur angesehen wird.114 Früh ist er mit Hollywood konfrontiert, arbeitet in den späten 1950er Jahren am Drehbuch von Ben Hur mit und 1970 wird schließlich einer seiner Romane (Myra Breckinridge) verfilmt – mit dem Ergebnis der Indizierung des Films wegen Jugendgefährdung. Vidal traf sich mehrmals mit Alfred Charles Kinsey, der kurz vor ihrem ersten Zusammentreffen den ersten Teil seiner Sexualforschungen vorstellte, in denen er auf die Bisexualität, das Masturbationsverhalten sowie die Paraphilien der männlichen Amerikaner verwies.115 Neben Sexualität setzte sich Vidal jedoch ebenso intensiv mit historischen Themen auseinander (abgesehen von Ben-Hur, Caligula und Julian, in denen er die Antike thematisiert, vor allem mit der amerikanischen Geschichte und den Präsidenten), aber auch zu zeitgeschichtlichen Themen bezieht er regelmäßig Stellung. Vezzoli scheint sich intensiv mit Vidals Schriften auseinander gesetzt zu haben und nicht zuletzt deswegen die Person Gore Vidal in den Trailer eingebunden zu haben. Sex, Kino und Kunst sind bei Vidal sehr präsente Themen: „Sex and art always took precedence over the cinema.“116 Über die US-Präsidentschaftswahlen schreibt Vidal in Screening History (1992) „…presidential elections [are] fast-moving fictions […] empty of 117 content…“ , womit sich der Betrachter an Vezzolis Wahlspots mit Stone und Levy erinnert fühlt und bereits eine Medienkritik zu erahnen ist. Allein deswegen scheint es gegeben, sich näher mit Vidals Schriften auseinander zu setzen, um die eigentliche Intention des von ihm verfassten und bis heute unveröffentlichten Caligula-Skripts herauszuarbeiten. Das Originalskript kann dabei nicht herangezogen werden, da es Vidal nicht veröffentlichte und Willam Howard lediglich einen Roman anhand der Filmvorlage verfasste (Gore Vidal’s Caligula – A 114 Vgl. Heller, Arnold: Der amerikanische Roman nach 1945, Zürich, 1987, S.48. Vgl. Vidal, Gore (1996):a.a.O., S.109ff. 116 http://movies.nytimes.com/person/115406/Gore-Vidal/biography (am 25.Januar 2009). 117 Vidal, Gore: Screening History, New York, 1992, S.73. 115 - 56 - Ingo Herrmann Novel based on Gore Vidal’s Original Screenplay),118 der jedoch gemäß Vidals Aussagen am Film orientiert ist und den Sinn seiner ursprünglichen Szenen verkehrt. Daher sollen im Folgenden die Essays Vidals zu den Themen Sexualität und Pornographie herangezogen werden, um einen Klärungsversuch zu unternehmen. Zuvor sei ein Gesprächsausschnitt aus einem Interview mit Hollis Alpert und Jan Kadar zitiert, in dem sich Vidal auch über die Dreharbeiten zu Caligula äußert: “Now I know quite a lot about movies. I know how they're put together. Yet I go from disaster to disaster. Obviously, I’m getting stupider. This time I have to get my name out of the title. […] I'll probably have to sue to change the title of a movie. Penthouse Films picked an Italian director, Tinto Brass. I said: “All right, if we can use him as a pencil, take him." I mean, he's a competent cameraman and editor. He's made about ten pictures, each failed. Failure is a habit people seldom break. That’s another thing to remember when you're picking a director. Peter O'Toole, who played Tiberius in Caligula, referred to Tinto Brass as ‘Tinto Zinc.’ O’Toole has a nice sense of the way the world should be ordered. ‘In a well-run world,’ he said, ‘this man should be cleaning windows in Venice. Instead, here he is spending $8 million and destroying a script.’ Bob Guccione of Penthouse - the mag for the gynaecological set - is actually quite visual-minded and not entirely stupid; I thought that if the two of us had control of the picture, it would work. The script was strong, which is why we got O'Toole and John Gielgud and Malcolm McDowell and so on. [...]”119 Vidal sieht den Grund seines Scheiterns in diesem Filmprojekt also im Wesentlichen in der Zusammenarbeit von Brass und Guccione begründet, einer Paarung von Unfähigkeit (Brass) und visueller Orientierung (Guccione), die sein „starkes“ Skript sinnentraubte. Ein möglicher Hinweis auf die Intentionen des ursprünglich „starken“ Skripts findet sich in einer Rezension Vidals von Robert Graves Neuübersetzung des antiken De vita Caesarum von Sueton (engl. The Twelve Caesars), worin Vidal seine Perspektive auf die antike Gesellschaft und deren Einstellung zur Sexualität darstellt. Er stellt 118 Zwar wurde ein Buch zum Film veröffentlicht, was allerdings lediglich eine Wiedergabe der Filmhandlung enthält, und ebenso wie der Film lediglich auf dem Skript Vidals basiert, Vgl. Howard, Willam: Gore Vidal’s Caligula – A Novel based on Gore Vidal’s Original Screenplay, Clayton, 1979. 119 Alpert, Hollis; Kadar, Jan: Dialog on Film – Gore Vidal, erschienen in: Peabody, Richard; Ebersole, Lucinda (Hrsg.): Conversations with Gore Vidal, Jackson, 2005, S.69f. - 57 - Ingo Herrmann heraus, dass ein anderer Rezensent dieser Neuübersetzung Suetons, lediglich einen der Caesaren – Claudius – als „sexually regular‘“ charakterisierte, während die verbleibenden Elf als abnormal bezeichnet wurden. Vidal sieht hingegen – wohl als Reaktion auf die als Anfeindung empfundene Rezension – in der Vielfalt der Sexualitäten der Zeit von 49 v.Chr. bis 96 n.Chr., also die Zeit die Sueton in seinem Werk überblickt, ein Abbild der sexuellen Vielfalt einer Epoche. „They were, after all a representative lot. They differed from us – and their contemporaries – only in the fact of power, which made it possible for each to act out his most recondite sexual fantasies.”120 Sueton zeigt damit, so Vidals Interpretation, eine andere Welt als die des Amerika der späten 1950er Jahre, wo eine heterosexuelle Normierung zwar Homosexualität zuließ, jedoch ausschließlich als gesellschaftlichen Randbereich, der nur neben der Familie als absolutem Zentrum existieren konnte. Die Caesaren-Zeit, die Sueton beschreibt, sei dagegen von sexueller Freiheit geprägt gewesen. „And though some of the Caesars quite obviously preferred woman to men […], their sexual crisscrossing is extraordinary in its lack of pattern.“121 Neben diesem sexuellen Aspekt zieht Vidal zudem einen Vergleich der Caesaren mit den Politikern seiner Zeit. Die Caesaren seien häufig der Allmacht ihres Amtes verfallen und wurden oft Opfer ihrer Untertanen (neun der zwölf wurden ermordet). „Most of the world today is governed by Caesars. Men are more and more treated as things. […Suetonius] reflects not only them but ourselves: half-tamed creatures, whose great moral task it is to hold in balance the angel and the monster within – for we are both, and to ignore this duality is to invite disaster.”122 Mit dieser Dualität von sexueller Beschränkung gegen sexuelle Freiheit, sowie uneingeschränkter Macht, Machtbesessenheit und Machterhalt gegen „Macht-um-des-guten-Herrschens-Willen“, präsentiert Vidal sein Menschenbild: In jedem Menschen ist eine Bandbreite von Handlungsalternativen vorhanden, die nicht durch einen Zeitgeist beschränkt werden, sondern allein durch die jeweilige Person selbst. 120 Vidal, Gore: The Twelve Caesars (The Nation, 1959 [1952]), erschienen in: Vidal, Gore: United States – Essays 1952-1992, London, 2008, S.524f. 121 Ebd., S.525. 122 Ebd., S.528. - 58 - Ingo Herrmann Dieses Aktivierungspotential des einzelnen Menschen zeigt er in einem Essay, in dem er 1971 seine Position zum Feminismus erklärt, als dessen Vertreter er sich positioniert (vgl. hierfür auch Punkt 5.2): „The Patriarchalists have been conditioned to think of woman as, at best, breeders of sons; at worst, objects to be poked, humiliated, killed.“123 Frauen waren – sexuell wie machtökonomisch – unterdrückt und wurden Ende der 1960er Jahre durch das Engagement einzelner Frauen „befreit“. Die Situation der Frauen war – so Vidal – auf den Kapitalismus und die Stellung des Mannes zurückzuführen. „In a society where men have an overriding interest in the acquisition of wealth, and where woman themselves have become a form of property, the link between sexuality and money becomes inextricable. […] Most men buy their wives, though neither party would admit to the nature of transaction, preferring such euphemisms as Marvin is a good provider and Maroin is built. […] Needless to say, if you buy a woman you don’t want anyone else using her. To assure your rights, you must uphold all the taboos against any form of sex outside marriage.”124 Auch wenn er so explizit Stellung zum Thema Feminismus bezieht, werden die Frauen in der Pornographie nicht erwähnt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil Dworkins „Pornography - Men Possessing Women“ erst 1976 die Rolle der Frau im Pornofilm endgültig in den feministischen Diskurs einführt.125 Bis dahin ist ein Aufsatz von besonderer Relevanz, der Vidals Einstellung Ende der 1960er Jahre wiedergibt. In diesem Essay „Pornography“ (1966) setzt er sich für einen entspannteren Umgang mit Pornographie ein und spricht sich für eine qualitative Pornographie aus, die sich nicht auf die Abbildung des sexuellen Akts, vor allem der Genitalien beschränkt, sondern die Inszenierung eines Charakters zulässt. „In most pornography, physical descriptions tend to be sketchy. Hardcore pornographers seldom particularize. Inevitably, genitals are massive, but since we never get a good look at the bodies to which they are attached, the effect is so impersonal 123 Vidal, Gore: Feminism And It’s Discontents (The New York Review of Books, July 22, 1971), erschienen in: Vidal, Gore: United States – Essays 1952-1992, London, 2008, S.584. 124 Ebd., S.588. 125 Zwar veröffentlicht Dworkin bereits 1974 „Woman Hating: A Radical Look at Sexuality“, allerdings ohne die breite Resonanz die das 1976 erschiene „Pornography Men Possessing Women“ erfahren wird. - 59 - Ingo Herrmann that one soon longs to […] those more modest yet entirely tangible archetypes, the girl and boy next door, two creatures far more apt to figure in the heated theater of the mind than the voluptuous grotesques of the pulp writer’s imagination.”126 An anderer Stelle führt er weiter aus, dass eine Beschränkung auf heterosexuelle Pornographie eine Einengung des Genres bedeutet und zieht dafür erneut die Zeit der Antike heran: „But in the world of pre-Christian cities, it never occurred to anyone that a homosexual act was less ‚natural‘ than a heterosexual one. It was simply a matter of taste. From Archilochus to Apuleius, this acceptance of the way people actually are is implicit in what the writers wrote. Suetonius records that of his twelve emperors, eleven went from boys to girls and back again without Suetonius ever finding anything remarkable in their ‘polymorphous perverse’ behavior.”127 In seinem bekanntesten Aufsatz „Sex is Politics” (1979) setzt Vidal sich mit den Einstellungen der amerikanischen Gesellschaft auseinander. Neben der Rolle der Frauen, der Institution der Familie und Ehe beschäftigt sich Vidal intensiv mit Homosexualität. Er weist Anklagen, wie die des Journalisten Joseph Epstein, entschieden zurück, der in einem Artikel folgende Aussage machte: „If I had the power to do so, I would wish homosexuality off the earth. I would do so because I think that it brings infinitely more pain than pleasure to those who are forced to live with it.”128 Neben dieser Rolle als früher Aktivist der Homosexuellenbewegung kann Vidal als Verfechter einer Pornographie bezeichnet werden, die verschiedene Sexualitäten zulässt und sich nicht auf eine handlungs- und charakterlose Genitalschau beschränkt. Die häufige Thematisierung der Antike (auch in „Sex is Politics“ argumentiert er mit antiken Quellen) deutet zudem auf seine Interpretation dieser Zeit als einer freien und sexuell unbeschränkten Epoche. Da, wie bereits erwähnt, Dworkins Buch erst 1976 erscheinen wird, kann diese Auffassung von Pornographie für Vidal zumindest bis dahin als wohlwollend beschrieben werden. Das Zerwürfnis mit Guccione und Brass 126 Vidal, Gore: Pornography (New York Review of Books, March 31, 1966), erschienen in: Vidal, Gore: United States – Essays 1952-1992, London, 2008, S.563. 127 Ebd., S.567. 128 Vidal, Gore: Sex is Politics (Playboy, January, 1979), erschienen in: Vidal, Gore: United States – Essays 1952-1992, London, 2008, S.551. - 60 - Ingo Herrmann ist demnach unter anderem auf die Beschränkung dieser Perspektive auf eine rein heterosexuelle Interpretation dieses „Kaiserzeitalters“ unter Caligula zurückzuführen. Die von Vidal angesprochene „Sinnverkehrung“ der Szenen bezieht sich folglich auf eine Verkürzung seines Skripts, welches neben der zum Teil verwirklichten Handlungsorientierung (unter Einbindung von Hardcore-Szenen) auch homosexuelle und feministische Inhalte berücksichtigt hätte. Dass Guccione Vidals Skript als zu homosexuell empfand, formuliert er explizit in einem Interview: "The first few drafts were too strong, particularly in terms of violence and homosexuality. […] Actually, we had to remove a lot of the material that Gore had originally written into the script, so the film is now somewhat more sensual than the original version. In fact […] there were practically no heterosexual scenes at all. Every sex scene Vidal wrote was homosexual in content."129 Allerdings geht Guccione an keiner Stelle näher auf das Zerwürfnis ein und spricht Vidal – auch nach der Klage – seine größte Bewunderung aus. Diese These des unverwirklichten Idealskripts – auch wenn nicht endgültig belegbar – wird nicht nur durch die Schriften Vidals und Gucciones knappe Äußerung gestützt, sondern bereits durch den Fakt seiner Beteiligung und Initiation dieses Filmprojekts, bei dem er schließlich die Realisierung seiner Jahre zuvor schriftlich fixierten Positionen angestrebt haben dürfte. Die oben erwähnte Bewunderung Vezzolis und die Zusammenarbeit mit Vidal, das endorsement und die strukturellen Anlehnungen an den Ursprungsfilm sprechen schließlich für eine intensive Auseinandersetzung Vezzolis mit Vidals Ideenwelt, die in dem zu betrachtenden Trailer Niederschlag gefunden hat. 5.2 Die feministische Pornographie-Kritik Ein Aspekt, der bei näherer Auseinandersetzung mit Vezzolis Werk hervortritt, betrifft die feministische Pornographie-Kritik. Im selben Jahr, als Guccione und Rossellini „Caligula“ veröffentlichen, erscheint von der amerikanischen Soziologin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Andrea 129 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.118. - 61 - Ingo Herrmann Dworkin ein Buch mit dem Titel „Pornography - Men Possessing Women“130. In dem Buch arbeitet Dworkin einen direkten Zusammenhang zwischen Pornographie und sexueller Gewalt gegen Frauen heraus. Einige Jahre zuvor hatte sie bereits ihre grundlegenden Thesen zur Pornographie publiziert. So 1974 „Woman Hating: A Radical Look at Sexuality“ und 1976 „Our Blood: Prophesies and Discourses on Sexual Politics“, zu einer Zeit also, als der pornographische Film kontinuierlich Akzeptanz in größeren Kinos fand. Die feministische Pornographie-Kritik hat sich seitdem beständig ausdifferenziert, teilt jedoch heute die grundlegende Einschätzung, Pornographie sei ein besonders deutlicher Ausdruck des patriarchalischen Sexismus gegen die mittlerweile verbesserte Situation von Frauen.131 Gemeinsam mit der Juristin Catherine MacKinnon arbeitete Dworkin 1982 einen Gesetzesentwurf aus, dessen Hauptanliegen darin bestand, darzulegen, dass Pornographie nicht lediglich Worte oder Bilder sind, sondern eine „verleumdende Rede“ („Hate Speech“), die die Menschenwürde von Frauen angreife und mit ihrer aggressiven Haltung auf die Wirklichkeit zurückwirkt in der Frauen leben.132 PornographieVerstöße sollten nicht mehr vom Strafgesetzbuch geregelt werden um als anstößig unter die Zensur zu fallen, sondern Frauen, die sich von Pornographie beeinträchtigt oder geschädigt fühlten, sollten sich direkt auf das Zivilgesetz berufen können, um so ihr Recht auf Menschenwürde und Gleichbehandlung einklagen zu können.133 130 Vgl. Dworkin, Andrea: Pornografie - Männer beherrschen Frauen, Frankfurt/Main, 1990. 131 Vgl. ebd., S.6ff. 132 Vgl. ebd., S.18. 133 Vgl. Bremme, Bettina: Sexualität im Zerrspiegel - Die Debatte um Pornographie, Münster/New York, 1990, S.225; Die „klassischen“ Pornographie-Gegnerinnen stammten vornehmlich aus dem religiös-konservativen Milieu, wozu sich ein neues linksprogressives Milieu gesellte, das sehr ungewöhnliche Verbindungen beider nach sich zog. Feministische Pornographie-Gegnerinnen verwiesen vor allem auf die Frauenfeindlichkeit von Pornographie und stilisierten den als natürlich inszenierten Masochismus der Frau im pornographischen Film zum Vorbild für Sexual- und Gewaltverbrechen an Frauen oder sahen darin zumindest die Zementierung der untergeordneten gesellschaftlichen Position der Frau. Konservative PornographieGegnerinnen sahen hingegen durch die Pornographie überbrachte Familienwerte bedroht. Zudem lief die Darstellung von vorgeblich hemmungsloser Sexualität konservativen Moralvorstellungen zuwider. (Vgl. ebd., S.197) - 62 - Ingo Herrmann Die Juristin Drucilla Cornell und die Filmwissenschaftlerin Linda Williams sind zwei weitere bedeutende Frauen, die im Kontext der Debatte um Feminismus und Pornographie wichtige Beiträge geleistet haben. Cornells setzt sich im Wesentlichen mit juristischen Möglichkeiten auseinander, z.B. plädiert sie für die Einrichtung von Zonen, auf die Pornographie beschränkt bleiben soll, um Frauen davor zu schützen, ständig Bildern ausgesetzt zu sein, die Männerfantasien widerspiegeln. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Befreiung des weiblichen Imaginären. Für Cornell ist Pornographie vor allem durch eine Monopolisierung des „kulturellen Imaginären“ durch in erster Linie von heterosexuellen Männern stammende Vorstellungen und Fantasien problematisch. Dieses überwiegend „männliche Imaginäre“ erscheine, so Cornell, als das „Eine Imaginäre“ und zudem als geschlechtsneutral. Daher hält sie eine Erweiterung dieses „hegemonialen Imaginären“ durch Frauen aber auch durch Schwule und insbesondere auch lesbische Frauen für weit wirksamer als eine Beschränkung männlicher 134 Fantasien. Im Unterschied widmet sich Linda Williams der Analyse und Interpretation von pornographischen Filmen aus filmwissenschaftlicher Perspektive. Sie untersucht den Pornofilm auf seine genrespezifischen Strukturen und charakterisiert ihn – nicht zuletzt in Anlehnung an Foucault und die oben erwähnten White-Coaters – als „…Suche nach dem Wissen der Lust.“135 Die „…immer detailliertere [...] Erforschung der wissenschaftlichen Wahrheit der Sexualität…“136 mit all ihren diskursiven Konstruktionen sieht sie als wichtige Voraussetzung für die Entstehung des harten Pornofilms. Allerdings weist auch sie darauf hin, dass die im pornographischen Film unternommene Suche nach dem Wissen über Sexualität nicht von einer geschlechtsneutralen Perspektive aus unternommen wird. Dass „…die Lösungen für das Problem Sex zumeist vom herrschenden Machtwissen 134 Cornell, Drucilla: Die Versuchung der Pornographie, Frankfurt/Main, 1997, S.76ff. Williams, Linda: Hard Core - Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films, Basel/Frankfurt/Main, 1995, S. 67. 136 Ebd., S. 65. 135 - 63 - Ingo Herrmann männlicher Subjektivität her konstruiert werden, sollte nicht verwundern.“137 Neuere Filmproduktionen und Literatur von Frauen, die sich mit weiblicher Sexualität auseinandersetzen, wurden in den letzten Jahren zum Anlass genommen, sich erneut mit dem Thema Pornografie zu beschäftigen. So entdeckten die Literaturwissenschaftlerinnen Elisabeth Bronfen und Barbara Vinken das subversive Potenzial in Pornographieentwürfen von Frauen. Beiden geht es vornehmlich um die weibliche Aneignung und schließlich um die Umcodierung pornographischer Modelle, die Jahrhunderte lang von Männern entworfen und weitergegeben wurden. Beide sind davon überzeugt, dass Frauen sich männlich geprägter Pornographiecodes bemächtigen und sie „…in verschiebender, parodistischer Aneignung subvertieren und damit womöglich eine ‚weibliche‘ pornographische (Kunst-) Sprache finden…“138 können. Auch Vezzoli versucht in seinem genderorientierten Ansatz die Pornographie dekonstruktivistisch gegen den Strich zu lesen und dabei die Machtökonomie der zugrunde liegenden Geschlechterkonstruktionen offen zu legen. Dabei thematisiert er zwei Aspekte: Die Herausstellung des Geschlechts im pornographischen Film und die Herrschaftsbeziehungen zwischen Männern und Frauen – zwei Aspekte, die auch Vidal in seinen Essays aufgreift. Zuvor soll allerdings noch auf den „Wahrheitsgehalt“ der pornographischen Bilder eingegangen werden, der mit diesen Themen verschränkt zu sein scheint und für die folgende Argumentation wichtig ist. 5.3 Der Wahrheitsgehalt der filmischen Bilder Seit der Entstehung des pornographischen Films steht das Geschlecht im Mittelpunkt. Die Herausstellung des Geschlechts wie sie im Pornofilm 137 Ebd., S. 200. Bronfen, Elisabeth: „Anpassung oder Intervention. Gedanken zu einer weiblichen Filmsprache der Erotik“, erschienen in: Screening Gender - Geschlechterkonstruktionen im Kinofilm, Freiburger Frauen Studien, Ausgabe 14, Freiburg, 2004, S.46. 138 - 64 - Ingo Herrmann vorgenommen wird – zu Beginn als meat shot, ab den 1960er Jahren als money shot –, ist auch in der Kunstgeschichte bekannt. „…[Mit] einer unbegreiflichen Vergesslichkeit hat der Künstler […] vernachlässigt, die Füße, die Beine, die Schenkel, den Bauch, den Nacken und den Kopf wiederzugeben…“139 erstaunte sich Maxime du Camp über Gustave Courbets Gemälde L’Origine du monde aus dem Jahr 1866, der damit ein eher spätes Beispiel für die Fokussierung auf das Geschlecht beisteuerte. Und trotz dieser vermeintlichen Verspätung wäre es die realistische Darstellung des weiblichen Genitals gewesen, die seinerzeit einen Aufschrei provoziert hätte. Die Auftragsarbeit für den wohlhabenden türkischen Kunstsammler Khalil Bey war lange Zeit nur Sachverständigen und wenigen Connaisseurs bekannt und vorbehalten, wurde hinter anderen Bildern versteckt, hinter Vorhängen getarnt und war nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Dennoch gelangte das Gemälde, nachdem es von Bey versteigert werden musste, in verschiedene Sammlungen und wurde nach dem Tod des letzten Besitzers, des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan, öffentlich verfügbar, bis es schließlich 1995 in das Musée d’Orsay (Paris) gelangte, wo es seitdem ausgestellt wird – wider der ursprünglichen Privatheit, die das Gemälde ursprünglich beanspruchte.140 Dieser ursprünglichen Privatheit des Geschlechts steht der pornographische Film in Nichts nach, denn auch er wurde um die Jahrhundertwende ausschließlich im exklusiven Kreis wohlhabender Herrenclubs konsumiert. Und ebenso wie die Exklusivität des Herrenclubs zahlreichen Möglichkeiten gewichen ist, das Geschlecht aus allen Perspektiven zu betrachten (seit wenigen Jahren selbst ohne schambehafteten Gang zur Videokabine, Hotelkasse usw. durch einen Klick auf explizite Internetseiten), so wird Courbets Gemälde in einer viel besuchten, öffentlich zugänglichen Sammlung präsentiert. 139 Zitiert nach Badelt, Sandra: Die Nackte Wahrheit, erschienen in: Badelt, Sandra; Wismer, Beat (Hrsg.): Diana und Actaeon – Der verbotene Blick auf die Nacktheit, Stuttgart, 2008, S.199. 140 Günter Metken geht ausführlich auf die Geschichte und Rezeption des Werkes ein, Vgl. Metken, Günter: Gustave Courbet. Der Ursprung der Welt. Ein Lust-Stück, München/New-York, 1997. - 65 - Ingo Herrmann Wenige Jahre nach der Fertigstellung von Courbets Gemälde entwickelte sich in Amerika ein Vorläufer des Kinos, mit dem der Fotograph Muybridge Bewegungsabläufe von Pferden festhalten konnte; ein Ereignis, welches Albert Goldbarth in seinem Gedicht als „The Origins of Porn“ beschreibt: „1878, Muybridges Photoserie über Pferde: Wenn wir das Pferd studieren, verstehen wir, wie die Pornographie auf die Erfindung der Photographie folgte. Da ist ein dunkler auffälliger Muskel, von Flanken umrahmt. Da ist die Frage, eine akademische Frage, an welcher Stelle die Brust einer Frau den höchsten Punkt erreicht, wenn sie springt? In den frühen Versuchen mit der Stoppuhr fiel das Licht an der Brust herab wie Steinschlag. Da ist die Frage nach der Zeit, da ist die Genauigkeit der Sepia. Das Pulver explodiert: Im Vordergrund – zwei Liebende / ein Korb / roter Wein. Dahinter ein gestoppter, schäumender Vollblüter. Gibt es einen Moment, in dem alle vier Hufe in der Luft sind? Und so erfinden wir die Pornographie.“141 (Albert Goldbarth, ‚The Origins of Porn‘) Edward Muybridge beantwortete die von Leland Stanford aufgeworfene Frage, ob ein Pferd im Galopp alle vier Hufe in der Luft habe oder ob immer ein Huf am Boden bliebe, zugunsten des Freiflugs. Damit hatte er dem in Entstehung begriffenen Medium des Films einen gewissen „Wahrheitsgehalt“ zugewiesen, da die aufeinander folgenden Fotographien bewiesen, dass es tatsächlich einen Moment gab, in dem alle Hufe des Pferdes in der Luft waren. Dies war bis dahin für das menschliche Auge jedoch mehr erahnbar als wirklich sichtbar. Diese Inspektions- und Dokumentationskraft wurde binnen kurzer Zeit auch genutzt um menschliche Bewegungsabläufe festzuhalten – nicht zuletzt nackte Menschen in expliziten Situationen.142 Die Frage mit welchem Zweck diese Motive von Muybridge und seinen Nachfolgern aufgezeichnet wurden, ob es nun reine Bewegungsstudien des nackten Körpers oder erste erotisch-pornographische Anklänge der Filmkunst waren, ist müßig 141 Die deutsche Übersetzung des Gedichts ist abgedruckt in: Williams, Linda (1995): a.a.O., S.65. 142 Vgl. Williams, Linda: Hard Core, Frankfurt (Main), 1995, S.65ff. - 66 - Ingo Herrmann zu beantworten. Fakt ist der Wahrheitsgehalt, der sich von diesem Moment an mit dem bewegten Bild verbindet und zahlreiche „akademische Fragen“ beantwortet (ein Fakt, der – wie bereits erwähnt – in den White Coaters der 1960er Jahre immer noch nachwirkt). Die Pornographie-Kritikerinnen verweisen schließlich auf einen Sachverhalt, der sich beim häufigen Betrachten von Pornographie eröffnet und den bereits Freud ausführlich analysiert hatte. Der Mann hat den Phallus, die Frau dagegen ist definiert über die Abwesenheit eben jenes Phallus. Folglich ist der Mann für die Feministinnen im pornographischen Film klar repräsentierbar (der erigierte und ejakulierende Penis, der money shot), die Frau dagegen nicht, sie bleibt ein Fragezeichen, eine Nicht-zuSehende. Die feministische Kritik, die sich daraus entwickelt, ist recht eingängig: Der männliche Zuschauer, der sich mit dem Träger des Phallus identifiziert, besitzt die Frau stellvertretend durch den männlichen Darsteller, penetriert sie und degradiert sie somit zum Objekt. Die Herausstellung des Geschlechts wird demnach als Gewaltakt begriffen, der die Frau verletzt. Dies allein wäre jedoch aus feministischer Perspektive weniger kritikwürdig, stünde nicht der Wahrheitsgehalt des gezeigten Bildes, der sich aus den oben ausgeführten Ursprüngen des Films und der vermeintlichen „Beweiskraft“ seiner Bilder ergibt, mit der narrationslosen „Geschlechtsschau“ des pornographischen Films Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre im Zusammenhang. Schließlich ist es der pornographische Film, der sich bis dahin weitestgehend die Authentizität der Bilder erhalten hat und sich gegenüber „hollywoodesken“ Inszenierungen verwehrt hat. Hinzu kamen schlechte Schauspieler und eine amateurhafte Technik, die den Eindruck der Authentizität durch Laienhaftigkeit noch unterstützen und den vermeintlichen Wahrheitsgehalt der pornographischen Bilder noch erhöhten. - 67 - Ingo Herrmann 5.4 Vezzolis Herangehensweise Der von Vezzoli geschaffene Trailer kann, wie die Vorlage auch, als hollywoodesk inszeniert bezeichnet werden. Vezzoli erreicht dies zum einen durch die strukturelle Anlehnung an einen Kino-Trailer und zum anderen durch die inhaltliche Anlehnung an den Originalfilm. Beide unterscheiden sich oberflächlich nur durch zeitgenössische Anpassungen, verbergen jedoch nicht ihren Inszenierungscharakter, womit sich der zuvor besprochene „Wahrheitsgehalt“ des filmischen Bildes für beide relativiert – ein Phänomen für das nicht Guccione verantwortlich zu machen ist, sondern das sich weitaus früher entwickelt hat (siehe oben). Diese Relativierung des „Wahrheitsgehalts“ ist wiederum auch auf das Wesen des Trailers als Film-Werbung zurückzuführen, die per se auf Überzeugungskraft und Emotionalität zielt. Vezzoli übernimmt also zunächst das Denksystem und Vokabular Hollywoods, wie auch Guccione und Brass den pornographischen Film an die Strukturen des historischen Hollywoodfilms anlehnten. Die komplexe Handlung, die Beteiligung von bekannten Schauspielern, die Anlehnung an das Genre des Historienfilms, allesamt Charakteristika mit denen sich beide Filme vom Wahrheitsgehalt des Bildes distanzieren und „Hollywood“ adaptieren. Darüber hinaus wird allerdings die vermeintlich perfekte – aber inszeniert unwirkliche – Oberfläche durch Störelemente aufgebrochen. Von diesen Störelementen sollen vier erwähnt werden: Die Verwendung von Vidals Namen, die Integration von Homosexualität, die bereits oben erwähnte Herausstellung des Geschlechts und schließlich die Herrschaftsbeziehungen zwischen Männern und Frauen. So gewann Vezzoli Gore Vidal, dessen Trennung vom ursprünglichen Filmprojekt sich in der Änderung des Titels wiederspiegelt. Ursprünglich sollte der Film ‚Gore Vidals Caligula’ heißen, dieser Titel wurde jedoch aufgrund der Streitigkeiten zwischen Vidal, Brass und Guccione in Caligula (dt. Caligula – Aufstieg und Fall eines Tyrannen) abgeändert. Vezzoli nimmt den ursprünglichen Titel wieder auf, indem er seinen Trailer „Remake of Gore Vidals Caligula“ betitelt. Genau genommen mangelt es Vezzolis Trailer damit an einer filmischen Vorlage, da Bezug auf einen - 68 - Ingo Herrmann Vorgängerfilm genommen wird, der – zumindest rechtlich – nicht existierte. Damit distanziert sich Vezzoli von seiner Vorlage und wendet sich eher dem oben erwähnten „Idealskript“ Vidals zu. Wichtiger als der namensrechtliche Aspekt erscheinen die inhaltlichen Aspekte zu sein, die Vezzoli verarbeitet. Wie oben ausgeführt, kann man eine recht konkrete Gedankenwelt Gore Vidals zu Beginn der 1970er Jahre rekonstruieren. Vidal lässt sich als Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung, als Befürworter einer Pornographie, die sich nicht auf reine Geschlechtsschau beschränkt, sondern Charaktere zulässt und schließlich als Vertreter des Feminismus charakterisieren. “Who but Gore? Gore is the intellectual and cultural bridge between Italy and America, who else - what gay man - could represent the link between cinema, literature, history - everything I care about? Only Gore. He is the master.”143 Dieser Satz spricht nicht nur die Bewunderung an, die Vezzoli Vidal entgegenbringt, sondern ist zudem Hinweis auf die intensive Auseinandersetzung mit seinem Werk, die in Vezzolis Remake-Trailer Form annimmt. Zum einen ist der Trailer nicht nur mit einigen homosexuellen Szenen ausgestattet, sondern er wird vielmehr von homosexuellen Bildern bestimmt. Neben küssenden Männerpaaren, Männern die sich lustvoll nachblicken und sogar einem Dialog zwischen Karen Black als Agrippina („I hear, you have a taste of young boys…“) und Glenn Shadix als Claudius (schelmenhaft verneinend), scheint hiermit Vidals ursprüngliches Ideal einer nicht festgelegten Sexualität verwirklicht, eines „sexual crisscrossing“, das keinen Unterschied zwischen der Sexualität von Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann macht. Weiterhin vermeidet Vezzoli die Darstellung von Genitalien in seinem Trailer. Auch wenn in manchen Einstellungen die Möglichkeit bestanden hätte diese expliziter zu zeigen, beschränkt er sich z.B. auf die Sklaven mit denen Tiberia (Helen Mirren) über das Anwesen schreitet. Stattdessen sind im Film mehrmals künstliche Geschlechtsteile zu sehen, goldene Dildos. Diese dienen allerdings nicht als Ersatz für die echten männlichen Geschlechtsteile, sondern werden von Frauen getragen, womit Vezzoli 143 http://artforum.com/diary/id=10798 (am 31.März 2008). - 69 - Ingo Herrmann jegliche Zuordnung von Geschlecht und Sexualität überblendet, da Frauen mit goldenen Dildos Sex mit Männern haben, aber auch mit Frauen die kein Dildo umgeschnallt haben usw. Der goldene Phallus gerät damit zu einer symbolischen Farce, die das Geschlecht, welches in unzähligen pornographischen Filmen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird, vergoldet in Szene setzt. Des Weiteren wird die konkrete Zuschreibung von Geschlechtern zu einem Rätsel, was wiederum die feministische Pornographie-Kritik in Frage stellt. Schließlich vertauscht Vezzoli noch einige Rollen des Films und besetzt eine eigentlich männliche Rolle mit einer Frau und eine weitere männliche Rolle doppelt mit einem Mann und einer Frau. So ist Tiberius, der Kaiser den Caligula historisch beerbt, historisch ein Mann, wird bei Vezzoli jedoch zu Tiberia. Caligula selbst – historisch ebenfalls ein Mann – wird einerseits von Vezzoli gespielt (am Beginn des Trailers) und am Ende von Courtney Love dargestellt. Auffällig ist hierbei, dass allein die beiden Kaiser, also Tiberius und Caligula, diesem Geschlechterwandel unterzogen werden, alle anderen Charaktere bekommen – zumindest in der Cast List – eine eindeutige Rolle zugewiesen, auch wenn dies im Hinblick auf die Dildos manchmal undurchsichtig erscheint. Vezzoli vollzieht damit die von Bronfen und Vinken erwähnte Aneignung und Umcodierung des pornografischen Modells und bemächtigt sich eines Pornographiecodes, um diesen – wenn nicht in eine weibliche, so doch in eine homosexuelle „Sprache“ umzuformulieren. Ebenso könnte Vezzolis Vorgehen als die von Cornell angesprochene Erweiterung des „hegemonialen Imaginären“ durch einen Homosexuellen interpretiert werden, als deren gedanklicher Vorreiter Vidal zu bezeichnen wäre. Beide Interpretationen würden auf eine Inszenierung einer „anderen Realität“ als der heterosexuellen hinauslaufen. Neben diesem feministischen Ansatz, die Machtökonomie der zugrunde liegenden Geschlechterkonstruktionen offen zu legen, und dem Bezug zu den Positionen Vidals Wahrheitsgehalt stellt des sich damit filmisch auch die inszenierten Frage nach Bildes.144 dem Dieser Wahrheitsgehalt war schon bei Guccione hinfällig, da nicht mehr „wahre“ 144 Vgl. Bronfen, Elisabeth (2004): a.a.O., S.51. - 70 - Ingo Herrmann Bilder Verwendung fanden, sondern eine Handlung inszeniert wurde. Vezzoli geht jedoch nicht von einer Dichotomie wahr/unwahr aus, sondern sieht die Ambivalenz des Bildes in seinem permanenten Inszenierungscharakter, der keine Wahrheit zulässt. Da sowohl ein – aus feministischer Sicht – kritikwürdiges Bild inszeniert werden kann, andererseits aber die Möglichkeit besteht, jenes Bild mittels einiger Störelemente in eine andere „Sprache“ umzuformulieren, scheint es für Vezzoli keine „wahren“ Bilder zu geben. Das Bild ist somit immer ein „inszeniertes Bild“ und wird so von Vezzoli dekonstruiert. Der Grund, warum das mutmaßliche Remake des Caligula-Films von 1979 als „Teaser“ zu einer Verwirklichung des von Vidal angedachten Skripts bezeichnet werden kann, dessen Ideale von Guccione und Brass filmisch nur unzureichend verwirklicht wurden, ist schließlich ein ökonomischer. Eine derart liberale Einstellung bezüglich Homosexualität und sexueller Freizügigkeit hätte einige der Zuschauer von Gucciones Film ferngehalten und schließlich den Film und die immense Investition gefährdet. Dass der Film zu einem nicht unerheblichen Teil ein „Investment“ war, äußerte Guccione mehrfach in Interviews: „We [Penthouse] were the single largest investor in such films [and] made a lot of money. […] So, with that intent, I sought and obtained both Franco's and Gore's agreement to weld scenes of explicit sexuality […] to an otherwise establishmentarian project - i.e, big stars, big budget, big profit et cetera, et cetera.”145 Jedoch liegt mit dem Trailer keinesfalls eine Beschränkung auf die Verwirklichung eines vermutlich verworfenen Skripts oder die Antwort auf die Realisierung eines „establishmentarian project“ vor. Vielmehr ist Vezzolis Werk vielschichtiger. Ausgangspunkt ist dabei erneut die Person Vidals. Nicht nur dessen Beteiligung und Autorenschaft des Skripts brachten den Dreharbeiten einen gewissen Grad an Aufmerksamkeit, sondern sogar der Rückzug Vidals aus dem Film. Die Unterlassungsklage um die Namensänderung etc. wurde ausführlich in der Presse, zum Beispiel im TIMES Magazine, 145 Guccione, Bob (1980): a.a.O., S.147. - 71 - Ingo Herrmann kommentiert.146 Diese unterstrichen damit nur noch die mystifizierende Werbestrategie Gucciones, der keine weiteren Informationen über den Film herausgab und den Drehort von der Presse abschirmte, um bewusst Gerüchte im Raum stehen zu lassen. Gerade diese MarketingBeweggründe Gucciones stellen einen herausragenden Moment dieses Films dar. Guccione präsentiert erstmals den Hardcore-Porno einer breiten Öffentlichkeit als gewinnorientierter Unternehmer und hebt die langwährende Trennung von Hollywood und Pornographie, von Inszenierung und Wahrheit endgültig auf. Zwar hatte ein Film wie Deep Throat und viele seiner Nachfolger diese Trennung ebenfalls überwunden, allerdings schaffte es keiner dieser Filme ein ähnlich bewusst kalkulierter, breitenwirksamer Kinoerfolg zu werden wie Caligula, weil keiner zuvor ein derartiges Marketing betrieb wie Guccione. Vezzolis Entscheidung einen Trailer zu drehen, also Filmwerbung thematisch in sein Projekt zu integrieren, ist auch auf die von Guccione beschriebene Werbestrategie zurückzuführen. Zweck von Werbung besteht in erster Linie darin, zum Konsum zu bewegen (oder in diesem Fall zum Filmsehen zu animieren), indem sie die (1) Aufmerksamkeit des Konsumenten erregt. Der Konsument ist aber aufgrund des Inszenierungscharakters der Bilder nicht mehr gehalten, sich mit einem konkreten Objekt auseinanderzusetzen, sondern mit einer abstrakten Idee.147 Der Zweck der Pornographie – die auch Teil dieser Idee des Trailers ist – besteht in erster Linie darin, (2) sexuelle Erregung hervorzurufen, womit abschließend Seesslens Analyse bestätigt werden kann, dass der pornographische Film mit dokumentarischem Charakter einer Entwicklung weicht, die als „Bruch mit der Wirklichkeit“ nicht unzutreffend charakterisiert ist. „Zu Beginn der siebziger Jahre war das Publikum soweit, nicht mehr nach der Wirklichkeit der gezeigten Sexualität zu fragen, 146 Vgl. z.B."Will the Real Caligula Stand Up?", erschienen in: Time Magazine, 03.Januar 1977, S.69 147 Vgl. Bliemel, Friedhelm; Kotler, Philip: Marketing Management – Analyse, Planung und Verwirklichung, 10.Auflage, Stuttgart, 2001, S.17ff. sowie Meffert, Heribert; Baumann, Christoph; Kirchgeorg, Manfred: Marketing – Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung – Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele, 10. Auflage, Wiesbaden, 2008, S.623ff. - 72 - Ingo Herrmann alles Interesse an der Authentizität zu verlieren. […] Der Weg mußte also […] vom dokumentarischen, distanzierenden zum inszenierten pornographischen Film führen, der auf alles verzichten konnte, was seinem eigentlichen Ziel entgegenstand: den Zuschauer in einen Zustand sexueller Erregung zu versetzen, in dem er alles andere vergessen konnte.“148 Beide Aspekte verschränken sich in Vezzolis Trailer. 6 Stars und Populärkultur Die oben ausgeführte Verknüpfung von Werbung, Sexualität und Pornographie soll in diesem Kapitel näher untersucht werden. Die Breitenwirksamkeit konnte Guccione durch die bereits erwähnte Werbestrategie erreichen, allerdings ohne dabei nachhaltige Erfolge für das Genre des pornographischen Films zu etablieren. Der Umsatz der Pornoindustrie in den USA ist heutzutage zwar deutlich höher als der Umsatz Hollywoods, allerdings erhalten nur wenige ausgenommene Pornos Medienaufmerksamkeit, die ihnen größere Bekanntheit im Rahmen der Medien beschert,149 wohingegen Hollywood-Filme verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit erhalten. Neben allen Leistungen Gucciones ist der Erfolg des Caligula-Films aber nicht zuletzt auf die Beteiligung von Stars zurückzuführen. Vidal, O’Toole, Glielgud und McDowell waren allesamt „Stars“ und sicherten – gerade in einem so anrüchigen Projekt – ein verhältnismäßig hohes Maß an Aufmerksamkeit und damit einen immensen Werbewert. Diese Tatsache greift auch Vezzoli auf, der, wie Guccione, eine Vielzahl von Stars in sein Werk integriert und schließlich auch von deren Bekanntheit profitiert. Wie Sexualität und Pornographie sind auch die Stars Verkaufsargument des Caligula-Films, beziehungsweise war es genau diese Kombination, von der sich Guccione besondere Aufmerksamkeit erhoffte. Daher soll in diesem Kapitel das Verhältnis von 148 Seesslen (1993): a.a.O., S.225f. Heil, Christiane: Pornoindustrie - Die Nackten und die Toten, erschienen in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.September 2006, Nr.36, S.60. 149 - 73 - Ingo Herrmann Stars und Sexualität in der Werbung erörtert werden. Anschließend wird in einem kurzen theoretischen Exkurs auf den Begriff der Kulturindustrialisierung und des Stars eingegangen, wobei vor allem die Stars in der Kunstwelt Erwähnung finden. Um schließlich die Überschneidungen von Vezzolis Werk und der Populärkultur zu verdeutlichen, sollen die Zusammenhänge von zeitgenössischer Modefotographie und Kunst herausgearbeitet werden – der Italiener Vezzoli unterhält schließlich gute persönliche Beziehungen zu Prada, Gucci und Versace. Abschließend wird sein Ansatz verdeutlicht, den Kunstmarkt – welcher ein wesentliches Thema des Trailers ist – bis zur Entstehung im Jahr 2005 zu dekonstruieren. 6.1 Sex Sells – Sexualität und Werbung Ein Aspekt, den es näher zu untersuchen lohnt und der sich dem Betrachter mit der Erkenntnis, dass es sich bei Vezzolis Trailer im weitesten Sinne um „Werbung“ handelt, beinahe aufdrängt, ist die bekannte Werbestrategie der sexuellen Konnotation von Bildern. Diese vermeintlich verkaufsfördernde Werbemaßnahme lässt sich umgangssprachlich unter dem Schlagwort „Sex-sells“ subsumieren, was mit einer allgemein um sich greifenden Sexualisierung in Verbindung gebracht wird, die auch in der Werbewirtschaft Anwendung findet. Auch wenn eine Korrelation zwischen aufreizendem Bild und Verkaufsförderung nicht ausnahmslos wissenschaftlich bestätigt werden konnte, hat sich die Anwendung in der Werbung seit dem Zweiten Weltkrieg fest etabliert.150 In diesem Kontext veröffentlichte Brooke eine Studie, in der er auf einen entscheidenden Mechanismus der modernen Werbeindustrie verweist, der Sexualität als scheinbares Kaufargument benutzt. Er überträgt dabei Benjamins Aura-Begriff, also das Erlöschen der Aura, der Originalität 150 Vgl. Brooke, Collin Gifford: Sex(haustion) Sells – Marketing in a Saturated Mediascape, erschienen in: Reichert, Tom; Lambiase, Jacqueline (Hrsg.): Sex in Advertising – Perspectives on the Erotic Appeal, Mahwah / London, 2003, S.133ff. - 74 - Ingo Herrmann eines Kunstwerks durch die technische Reproduzierbarkeit,151 auf die Werbewirtschaft. Er zieht den Werbespot Two Kids von Pepsi heran. „‘Two Kids’ opens out in the country, in an unnamed heartland state. In the middle of this farmland, two preteen boys are leaning against a fence watching the day pass. Up drives a red sports car, and out steps [Cindy] Crawford, clad in a bikini top and cut-off-shorts. She approaches a nearby vending machine, selects a Pepsi, and the two boys are struck almost wordless. The camera begins a slow pan up the length of Crawford’s body, and the boys express their admiration, not for the supermodel herself, but for the ‘new can’ design that Pepsi is debuting in the commercial.”152 Dieser Werbefilm agiert auf mehreren Ebenen. Er reiht sich in eine Schlange von unzähligen Filmen ein, die von sexualisierten Bildern profitieren, indem der (vorwiegend) männliche Zuschauer aufgefordert ist, eine Verbindung zwischen Crawford und Pepsi herzustellen. Ebenso ist eine Strategie des „wink-marketing“ zu erkennen, indem der Betrachter darüber schmunzeln soll, dass die Jungen, statt der schönen Crawford, die Dose Cola bewundern. Brooke arbeitet eine weitere Interpretation heraus. „We pay more attention to Crawford, but the advertisement implies that perhaps it is our urban cynicism, an attitude that these country boys do not share, that effects our reception of the scene. Rather than asking us to identify with the boys, this commercial consciously introduces a gap between our perception and theirs. Perhaps there is some homespun wisdom in the boy’s observation, and there is something so special about Pepsi that it is worth our attention despite Crawford’s presence.”153 Brooke stellt demnach auf die Zugänglichkeit beziehungsweise Unzugänglichkeit von Waren ab. Crawford erscheint dem Betrachter als unerreichbares Objekt der Begierde, Pepsi hingegen ist ein verfügbares Produkt, das in der Theorie der Werbenden als Surrogat für das unbefriedigte Bedürfnis nach der aufreizenden Cindy Crawford dient und 151 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt /Main,(1936) 2007 152 Brook (2003): a.a.O., S.141. 153 Ebd., S.141. - 75 - Ingo Herrmann den „…circuit of desire…“154 komplettiert. Die Jungen – als Protagonisten – nehmen das unbefriedigte Bedürfnis des Betrachters bereits vorweg. „In such advertisements, it is not the sex that is selling us, but rather the opportunity to avoid the inevitable compromise that decades of sexuality charged advertisements have led us to expect. By closing the circuit, these commercials vacate sex as a category or an object of desire…”155 Vezzoli übernimmt die beschriebene Strategie für seinen Trailer, vereinigt allerdings nicht Sex und Star in einer einzigen Person – wie es die Pepsi Werbung mit Crawford macht –, sondern überspitzt die Werbewirkung von Sex-sells, indem er eine Unzahl an Stars, Celebritys und Prominenten in seinen Film integriert und diese in die aufreizende Rahmenhandlung eines vermeintlich pornographischen Films einbindet. Hinzu kommt die Inszenierung in dekadenten Bildern, die ein zusätzliches Bedürfnis wecken. Dem Betrachter wird jedoch sowohl der Sex verweigert, da der vermeintliche Film nie gedreht wird und der Betrachter sich mit dem Trailer zufrieden geben muss, als auch die Nähe zu den im Film auftretenden Stars. Die perfekten Bilder unterstützen dabei lediglich den Inszenierungscharakter des Werkes. Einzig der Trailer bleibt als Verbindung zu den benannten Phänomenen bestehen und kann zur Befriedigung der durch ihn hervorgerufenen Bedürfnisse dienen. 6.2 Kulturindustrialisierung und Celebrity Culture Die Grundlagen für die Entwicklung hin zu den „idols of consumption“ liegen in den frühen 1940er Jahren, als der deutschstämmige Literatursoziologe Leo Löwenthal den Begriff prägte, der von diesem Zeitpunkt an zur Funktionserklärung amerikanischer Celebritys herangezogen wurde. Er beobachtete erstmals, dass Celebritys häufiger in nichtfunktionalen Zusammenhängen in Erscheinung treten und von ihrer tatsächlichen und relevanten Stellung in der Gesellschaft abgekoppelt, in einer „sphere of leisure time“ auftauchten. Biographien, so seine Analyse, würden beispielsweise nicht mehr wegen ihres Vorbildcharakters und als 154 155 Ebd., S.143. Ebd., S.143. - 76 - Ingo Herrmann „Anleitung zum Erfolg“ gelesen, sondern zur reinen Unterhaltung. Damit, so Löwenthal, fand ein Paradigmenwechsel von den "idols of production" (wie z.B. Politikern oder Industriellen) zu den „idols of consumption“ (wie z.B. Filmstars oder Sportlern) statt.156 Dieses Konzept wurde von Schülern und Anhängern Löwenthals dahingehend erweitert, dass Celebritys in einer konsumgeprägten Gesellschaft eine Vorbildfunktion für das Konsumverhalten einnehmen.157 Etwa zur selben Zeit wie Löwenthal beschäftigen sich Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit dem Begriff der Kulturindustrie. Dieser Begriff bezeichnet die planmäßige Herstellung von Kulturerzeugnissen wie Film oder Musik, die auf einen massenhaften Verbrauch zugeschnitten sind und deren Konsumierung ihr Vorhandensein bestimmt. „Die Kulturindustrie fügt Altgewohntes zu einer neuen Qualität zusammen. In all ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder planvoll hergestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen. Die einzelnen Sparten gleichen der Struktur nach einander oder passen wenigstens ineinander. Sie ordnen sich fast lückenlos zum System. Das gestatten ihnen ebenso die heutigen Mittel der Technik wie die Konzentration von Wirtschaft und Verwaltung.“158 Diesen kulturindustriellen Produkten stehen die autonomen Kunstwerke gegenüber, wobei sich Adorno und Horkheimer über den Konstruktionscharakter dieser idealtypischen Dichotomie bewusst waren. „Die Autonomie der Kunstwerke, die freilich kaum je ganz rein herrschte und stets von Wirkungszusammenhängen durchsetzt war, wird von der Kulturindustrie tendenziell beseitigt…“.159 Damit meinen die Autoren den Unterschied zwischen Kunst und Kulturindustrie, der für Adorno und 156 Vgl. Löwenthal, Leo: The Triumph of Mass Idols - Literature, Popular Culture, and Society, Englewood Cliffs, 1961, S.52ff. 157 Vgl. Zelizer, Barbie: What's Rather Public About Dan Rather - TV Journalism and the Emergence of Celebrity , erschienen in: Journal of Popular Film and Television, 17/2, 1989, S.74. 158 Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie, erschienen in: Adorno, Theodor W.: Ohne Leitbild – Parva Ästhetica, Frankfurt/Main, 1967, S.60f. 159 Ebd., S.61. - 77 - Ingo Herrmann Horkheimer darin besteht, dass Erstgenanntes auch Ware, Zweitgenanntes dagegen nur Ware ist.160 Diese drei Autoren stellen in der Beschäftigung mit dem Schlagwort Kulturindustrie stets einen Ausgangs- und Bezugspunkt dar und auch spätere Untersuchungen stimmen noch damit überein, dass „…the ownership and control of the means of production and of distribution circuits, the trends toward the concentration and internalization of the most representative firms, and the subordination of creative artists to market forces or to more or less overtly dictated consumer demand...”161 eine Gefährdung für die Kunst seien. Der hier zitierte UNESCO-Bericht ist allerdings weniger kritisch, was die vergangene und weniger pessimistisch, was die weitere Entwicklung betrifft. Zum Einen hätten sich Menschen mehr kulturelle Fähigkeiten und Wissen über Kultur durch den Zugang zu Kunst, Büchern, Radio usw. angeeignet, zum Anderen sehen die Verfasser des Berichts Entwicklungsmöglichkeiten wie die Herausbildung nationaler Kulturcluster vor, die in ihrer Summe zumindest internationale Vielfalt erhalten und nicht der Massenkultur anheim fallen.162 Bei Adorno und Horkheimer findet sich die Anekdote des todkranken Beethoven, der einen Roman von Walter Scott mit dem Ausruf: „Der Kerl schreibt ja für Geld“ von sich schleudert, „…und gleichzeitig noch in der Verwertung der letzten Quartette […] als überaus erfahrener und hartnäckiger Geschäftsmann sich zeigt…“.163 Diese vermeintliche Doppelmoral ist für Adorno und Horkheimer „…das großartigste Beispiel der Einheit der Gegensätze Markt und Autonomie…“.164 Vom Künstler verlangen sie, dass er diese Einheit in das Bewusstsein seiner Produktion aufzunehmen habe. 160 Vgl. Negus, Keith: The Production of Culture, erschienen in: Gay, Paul du (Hrsg.): Production of Culture / Culture of Production, London, 1997, S. 70ff. 161 UNESCO: Culture Industries – a challenge for the future of culture, Paris, 1982, S.21. 162 Vgl. ebd., S.205-232. 163 Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung, Gesammelte Schriften, Band 3, Frankfurt/Main, 1997, S.181. 164 Ebd., S.181. - 78 - Ingo Herrmann Durch die Verwendung eines standardisierten Trailers, der nicht nur Inhalte seiner Vorlage übernimmt, sondern dazu fast alle Charakteristika eines regulären Kinotrailers aufweist, könnte Vezzolis Caligula-Trailer bei oberflächlicher Betrachtung als kulturindustrielles Produkt wahrgenommen werden. Dass Vezzoli jedoch keine „Zwecklosigkeit für Zwecke“165 unterstellt werden kann, konnte bereits oben gezeigt werden. Vielmehr verwendet er die Form eines Trailers und stattet diesen mit Störelementen aus, die eine Dekonstruktion möglich machen, womit genau dieses Bewusstsein der Einheit in den Trailer integriert wird. In einem Interview in dem kanadischen Kunst-Magazin C: International Contemporary Art über die Bedeutung von Mode ist folgender Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen dem kanadischen Journalisten Ryan English und Vezzoli wiedergegeben: “Ryan English: In Caligula all the costumes were designed by Donatella Versace. You mentioned […] your interest in Vivienne Westwood so I am just wondering, how does fashion inform your aesthetic? Vezzoli: Well, I think there was a very interesting article recently in The New York Times that said whichever creative or intellectual environment you inhabit there is still a kind of intellectual complex towards fashion ... people still don't take it seriously. Somehow, and you know, for once and forever, I'd like to come out and say that – even though the intelligent people may have said this many times – but fashion as a matter of fact, is a cultural phenomenon, I mean a cultural department that is as important as literature, as art, as cinema. You know, for me, it simply is actually a kind of a ... creative place. The fact that you have a fashion show every six months, you gather all the people from the media in one place and you show the fruit of your labour. It's a very modern creative department. And I don't see why people […] have a kind of an issue of fear towards it. I mean, I am greatly fascinated by fashion. Fashion has been an inspiration for me like a matter of curiosity or interest. It's not contemporary art. It is another discipline because, I think, every discipline has its own critics, its own experts, its own historians but, you know ... the history of fashion is so fascinating. Why be afraid of it? If you like it, you try to use it and to involve it in your language. RE: Well, I think that is actually very refreshing because I think it is true that it is somehow [considered] anti-intellectual. 165 Ebd., S.183. - 79 - Ingo Herrmann FV: Well, my work is very much about confronting that fear.” 166 Diese Konfrontation beschränkt sich bei Vezzoli allerdings nicht auf den Einbezug Donatella Versaces als Kostüm-Designerin, sondern ist weitgreifender. Vezzoli beauftragte für den gesamten Produktionsprozess nicht nur hoch professionalisierte Dienstleister des Mediengewerbes, vielmehr engagierte er Stars. Sowohl Donatella Versace, Matthias Vriens wie alle beteiligten Schauspieler sind „Stars“ in ihrem Wirkungsbereich. Graw spricht in diesem Zusammenhang von einer Adaption der „CelebrityLogik“, die konstitutiv für die Mode- und Filmwelt sei und sich von einer vereinzelten Ausnahmeerscheinung zu einer strukturellen Angleichung der Kunstwelt an andere Kulturindustrien – wie der des Films – entwickelt hat.167 Bevor das Phänomen „Star“ näher betrachtet werden kann, sollen noch einige Worte zum Begriff „Star“ geäußert werden. Dieser lässt sich zwar analytisch von „Prominenz“ und „Celebrity“ trennen, soll aber dennoch nicht in dieser analytischen Strenge verwendet werden. Vielmehr werde ich die Begriffe alle im Sinn von „Berühmtheit“ verwenden, was bei der Vielzahl der Überschneidungen zwischen „Stars“, „Celebritys“ und „Prominenten“ aber irrelevant erscheint. „Während es sich bei dem Begriff Prominenz um den Versuch einer relativ neutralen Beschreibung einer vornehmlich medial gesetzten Relationalität handelt, so ist von Stars dann die Rede, wenn in weitaus stärkerem Maße auf affektive und moralische Beteiligung der Star-Nutzer verwiesen wird.“168 Mit anderen Worten ist der Star abhängig von seinen Fans, die ihn als Projektionsfläche, Idol oder sonst einer Weise nutzen. Celebritys sind hingegen „Stars ohne Produkt“. Während klassische Stars immer ein Produkt oder eine Fähigkeit vertreten, sind Celebritys produktlos und vertreten nur sich selbst als Produkt. Als prominentes Beispiel hierfür sei 166 English, Ryan: Crashing fashion: Ryan English talks to Italian artist Francesco Vezzoli on the occasion of his recent show at the Power Plant in Toronto, erschienen in: International Contemporary Art, Winter, 2007, S.47. 167 Vgl. Graw, Isabelle: Der große Preis – Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Köln, 2008, S.126. 168 Keller, Katrin: Der Star und seine Nutzer – Starkult und Identität in der Mediengesellschaft, Bielefeld, 2008, S.152. - 80 - Ingo Herrmann Paris Hilton erwähnt, Courtney Love dagegen ist eine „Mischung“, da sie sowohl Celebrity als auch Musik-„Star“ ist. 6.2.1 Celebrity Logik – Allgemeines zum Star Die Etablierung des Stars wird fälschlicherweise häufig mit dem Hollywood der 1910er und -20er Jahre in Zusammenhang gebracht, das durch das Wachstum der Filmwirtschaft genug Potential besaß, ein Publikum kontinuierlich mit Filmen zu versorgen und die Kostendeckung für eine beständige Imageproduktion der Stars zu garantieren. Allerdings gab es in Amerika spätestens seit den 1820er Jahren ein Starsystem, als Schauspieler von Theatern landesweite Bekanntheit erlangten.169 Vielmehr ist der Begriff des „modernen“ Stars durch Hollywoodfilme geprägt worden, der den Star in drei in der Literatur verbreiteten Funktionszusammenhängen verortet.170 Stars sind Produkte, die durch ihren Produktionswert zugleich eine gewisse Qualitätsgarantie repräsentieren. Das Wissen, dass ein Star an einem bestimmten Film beteiligt ist, wird – neben anderen Kriterien, wie Genre, Regisseur usw. – benutzt, um die Erwartungen an den Film zu steuern. Zudem dienen sie der Produktdifferenzierung, indem sie darauf hindeuten, was das Besondere an einem bestimmten Film ist und was ihn von anderen unterscheidet. Weiterhin sind Stars – wie oben bereits erwähnt – idols of consumption. Dieser von Löwenthal entwickelte und noch heute gebrauchte Begriff deutet darauf hin, dass Stars als öffentliche und private Personen genutzt werden, um die Art und Weise, was und wie man konsumieren soll, zu beeinflussen. Daraus folgend haben Filmwissenschaftler sich damit auseinandergesetzt, wie Filme als „Schaufenster“ des Warenkonsums funktionieren.171 169 Vgl. Staiger, Janet: Das Starsystem und der klassische Hollywoodfilm, erschienen in: Faulstich, Werner; Korte, Helmut (Hrsg.): Der Star – Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München, 1997, S.50. 170 Vgl. ebd., S.50 sowie Dyer, Richard: Stars, London, 1979, S.142ff.; Balio, Tino: Stars in Business – The Founding of United Artists, erschienen in: Balio, Tino (Hrsg.): The American Film Industry, Madison, 1985, S.156ff. 171 Vgl. deCordova, Richard: Picture Personalities – The Emergence of the Star System in America, Urbana, 1990, S.50f. - 81 - Ingo Herrmann Neben diesem Produktzusammenhang sind Stars aber auch in einem Repräsentationssystem verortet. Stars sind demnach immer mit gewissen Eigenschaften assoziiert, die sie in jeden Film mit hineinbringen, wodurch die Narration im Film vereinfacht wird, da sie bereits auf einen Typus festgelegt sind. Schließlich dienen Stars, so Dyer, auch der Ideologie, indem sie als „…Verkörperung von idealen Verhaltensweisen…“172 erscheinen, was sie durch Bestätigung, Verführung, Verklärung, Verschiebung oder Verdrängung von gesellschaftlichen Widersprüchen erreichen. Schließlich haben sie die Möglichkeit durch „…zauberhafte Versöhnung der scheinbar unverträglichen Momente eines Widerspruchs…“173 das zu kompensieren, was ihren Bewunderern im Leben fehlt.174 So verfolgen CelebrityMagazine die Sorgerechtsprozesse von Britney Spears, die Adoptionen von Brad Pitt und den Drogenexzess und –entzug von Amy Winehouse in Prägung aller Funktionszusammenhänge. Ein weiterer relevanter Punkt ist die Verantwortlichkeit für die Produktion des Starimages, die sich im vergangenen Jahrhundert wesentlich zugunsten der Stars selbst verschoben hat. So bestand bis 1955 in den USA ein Studio-System, welches das Star-Image mit den Erfordernissen des Studios und der Persönlichkeit des Stars in Einklang brachte. Ab 1955 mit dem Zusammenbruch des Studio-Systems übernehmen die Stars diese Rolle selbst oder übertragen diese Aufgaben an externe Experten, Spin-Doctors, Journalisten, Fotografen etc. 6.2.2 Stars in der Kunstwelt “I am trying to analyze the fact of celebrity culture […] it is more and more strongly related to the dynamics of the art world.”175 wird Vezzoli mit Hinweis auf die beständige Verwendung von Stars in seinen Arbeiten vom New York Times Magazine zitiert. Immer werden Stars, Prominente oder 172 Dyer, Richard (1979): a.a.O., S.24. Ebd., S.32. 174 Vgl. ebd., S.24ff. 175 http://nymag.com/arts/art/features/39577/index1.html (am 23.November 2008). 173 - 82 - Ingo Herrmann Celebritys in Vezzolis Kunst integriert. Eine beständige Auseinandersetzung mit dem Starphänomen innerhalb der Kunstwelt erscheint daher folgerichtig. Aber nicht nur die Auseinandersetzung mit Stars, deren Funktionszusammenhänge hinlänglich bekannt sind, werden thematisiert, sondern auch die Stilisierung des Künstlers als Star und damit die Übernahme der kulturindustriellen Funktionslogiken auf die Kunst. Die künstlerisch-starhafte Selbststilisierung ist rückblickend keine Errungenschaft Vezzolis. Vielmehr weisen Studien bereits auf Albertis Selbstbildnis von 1450 und Dürers christusgleiches Selbstbildnis von 1500 hin und sehen ab der Renaissance eine gewisse Kontinuität, die in der Inszenierung Rembrandts und Rubens einen ersten Höhepunkt findet und sich schließlich über Goyas „Traum der Vernunft“ bis in die Neuzeit hinein zieht. Bis in die 1970er Jahre sind nach Schwarz Künstlertypen der alten Generation anzutreffen: Beuys, der immer mit Hut zu sehen war, Markus Lüpertz, meist elegant gekleidet mit Zigarre, James Lee Byars immer in schwarz.176 Dieser Typus ändert sich spätestens mit Warhol und wandelt sich endgültig in den 1970er Jahren hin zu den Star-Künstlern einer neuen Generation, die Strategien des Konsumgütermarktes anwandten, sexuelle Diskurse aufgriffen und provozierten.177 Dass Kunst in den vergangenen Jahren zu einem Masseninteresse geworden ist, war nicht allein Ergebnis der provokanten Künstler neuen Typs – exemplarisch sei Jeff Koons erwähnt –, sondern ist auch den vermehrten Publikationen über Kunst geschuldet. Durch ein erhöhtes Interesse der Allgemeinheit an Kunst erhalten schlusslogisch auch Künstler eine erhöhte Aufmerksamkeit. Nicht nur, dass sie vermehrt in Berichten der gängigen Gesellschafts- und Nachrichtenmagazine auftauchen (Amica, Bunte, Focus, Gala, Spiegel, Stern etc.), sondern außerdem zu einem Idealbild des modernen Kreativ-Arbeiters verklärt 176 Vgl. Schwarz, Michael: Das Phänomen des Künstlerstars, erschienen in: Faulstich, Werner; Korte, Helmut (Hrsg.): Der Star – Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München, 1997, S.195ff. 177 Vgl. ebd., S.199ff. - 83 - Ingo Herrmann werden, der unternehmerische Eigenverantwortlichkeit mit Kreativität kombiniert.178 In der zeitgenössischen Kunst, so Steininger, „…gilt Startum als selbstverständliche, elementare Konstante im Betrieb. Aus den Bohemiens, verkannten Genies, Außenseitern, Visionären […] sind strahlende ‚Siegertypen’ mit Charisma und Vermarktungskapazitäten entstanden…“179 Allerdings reagieren Ausstellungen auf den veränderten Kunstmarkt mit neuen Ausstellungskonzepten, wie beispielsweise die Stiftung Insel Hombroich oder der Direktor der Frankfurter Schirn, Max Hollein, der Mitte 2006 die Ausstellung Anonym - In the Future No One Will Be Famous konzipierte. Die Werke auf Hombroich und in der Frankfurter Schirn werden (Hombroich) beziehungsweise wurden (Schirn) ohne Namensangaben präsentiert, mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Besucher wieder mehr auf die Ausstellungsstücke zu lenken, weg von der „Marke“ des Künstlers, hin zum „Produkt“ Kunst.180 Diese Entwicklungen des Kunstmarkts bescherten – wie bereits oben erwähnt – auch Vezzoli nach Präsentation seines Caligula-Trailers auf der Biennale eine vermehrte Aufmerksamkeit, die neben Preissteigerungen seiner Werke und erhöhter Publizität auch in einer Zusammenarbeit mit der Gagosian Gallery mündete. Wie in einigen seiner Vorgängerarbeiten erscheint Vezzoli auch in seinem Caligula-Trailer persönlich, nimmt jedoch keine Hauptrolle ein, wie beispielsweise Jeff Koons in seinen Arbeiten häufig als einziger Akteur sichtbar wird. Bei der einstündigen Pilotsendung Comizi di non amore ist Vezzoli lediglich kurz als Zuschauer im Publikum zu erkennen. In dem Theaterstück Right you are, if you think you are – bei dem Vezzoli jede Art von professioneller Aufzeichnung unterband – war er ebenfalls nur Teil 178 Vgl. Graw, Isabelle (2008): a.a.O., S.156ff. Steininger, Florian: Der Künstler als Star – Galionsfiguren, Erscheinungen, Maskeraden. erschienen in: Kunsthalle Wien, Superstars – Das Prinzip Prominenz – Von Warhol bis Madonna (Ausstellungskatalog, 4.11.2005 – 22.02.2006), Ostfildern Ruit, 2005, S.160. 180 Vgl. Lanzke, Alice: Der neue Hype um die Kunst - http://www.ard.de//id=504732/7xrhop/index.html (am 25.September 2008). 179 - 84 - Ingo Herrmann des Publikums. Allein in seinem Film Marlene Redux: A True Hollywood Story! wird seine Person ausführlich erwähnt, finden die meisten bekannten Pressefotos Verwendung, wird ausführlich über sein Leben berichtet, werden Kinderfotos gezeigt und vermeintliche Bekannte interviewt. Am Ende des Films wird er tot im Swimming-Pool seines Anwesens aufgefunden, ermordet von einem fiktiven Stricher. In seinem Caligula-Trailer ist Vezzoli – wie bereits erwähnt – nur einen kurzen Augenblick zu erkennen, wie er sich als Caligula zwischen zwei küssenden Männerpaaren auf dem Boden räkelt und den Betrachter anlächelt. Caligula erscheint im Film zweimal, einmal gespielt von Vezzoli selbst, das zweite Mal, nach dem Abspann, dargestellt von Courtney Love, die nun auch einen Sprechanteil hat: „Caligula? I am Caligula! I have existed from the morning of the world and I will exist until the last star falls from the night. I am not mad, I know what I speak […] I am God. Therefore I am Caligula.“ Vezzoli konstruiert damit eine Beziehung, die drei Punkte umfasst: Er (1) stellt sich als Person oder Künstler vergleichend neben (2) den Celebrity Courtney Love und bringt beide (3) in Zusammenhang mit der historischen Filmgestalt. Die Beziehung von Courtney Love und der historischen (Film-)Gestalt ergibt sich aus der identischen Wortwahl aus dem Bezugsfilm. So steht Malcom McDowell in Vezzolis Vorlage in der Halle der Senatoren und erklärt: “I have existed from the morning of the world and I will exist until the last star falls from the heavens.” Betrachtet man nun die Textebene unter der Voraussetzung, dass das Gesagte mit dem Starsystem in Verbindung zu bringen ist, was aufgrund der Fülle der beteiligten Stars sowie des herausragenden Celebritys Courtney Love nicht ungewöhnlich erscheinen mag, so erscheint einem der kurze Monolog als sprachliches Bild für den Status des Celebrity in der Gesellschaft: „I will exist until the last star falls from the night“ ist demnach nicht nur ein Bild für die bis zum Weltuntergang dauernde Macht des römischen Kaisers, sondern ebenso eine Einschätzung der eigenen Lage innerhalb des „star-system“, die nur solange Bestand hat, bis der letzte - 85 - Ingo Herrmann Star vom „Celebrity-Himmel“ verschwunden ist. Das eigene „Scheinen“ sicherzustellen ist demnach auch Aufgabe jedes Stars. Diese Interpretation wird unterstrichen durch die in Fußnote 107 erwähnte Textvariation, der 5:30 Minuten-Version: „… I shine as the moon does amongst the lesser fires. The moon is full tonight. Diana is watching me, and no one fools or withstands me, a little mad. I cannot sleep, I cannot sleep. All I can do is stare at the golden eye as it gazes down at the Capitoline Hill. The wretched most [unverständlich] poorest cripple beggar in Rome can sleep, but I can not. How lonely it is, to be a god. Diana is watching me. No, I am not mad, I know what I’m saying. All there is - is fate. I exist as no woman has existed before. And I exist as no woman ever exist again. Therefore I am fate. Therefore I am God.“ Indem Vezzoli sich selbst als Künstler in einem seiner Kunstwerke mit diesem Star-System in Verbindung bringt, könnte unter Einbezug der bisherigen Ergebnisse, nicht zuletzt unter Beachtung der aktuellen Publikationen zum Kunstmarkt, von einer Übernahme des Star-Systems in das Kunst-System, von einer Verschränkung des Star-Mechanismus mit der Kunstwelt, dem Kunstmarkt etc. gesprochen werden. Stars existieren folglich nicht mehr nur im Film, in Musik, Mode oder als „produktlose“ Celebritys, sondern auch in der Sphäre der Kunst. Vezzoli macht sich mit seinem Trailer also für einen Augenblick neben all den anderen „echten“ Stars selbst zu einem Star und dekonstruiert damit die Funktionsweise der Gegenwartskunst. Ähnlich ist die Inszenierung seines Mordes durch einen Stricher in Marlene Redux eine direkte Selbstverortung als großer Regisseur und Nachfahre Pasolinis. Schließlich wurde Pier Paolo Pasolini 1975 durch einen Stricher ermordet, wie auch Vezzoli in Marlene Redux von einem Stricher umgebracht wird. Zugleich zeigt Vezzoli mit dem Trailer jedoch, wie er als Künstler auf einem Kunstmarkt – trotz mutmaßlicher Subordination – künstlerische Autonomie erhalten kann. Diese Autonomie besteht nicht darin, statt Trailern und Wahlwerbespots nur noch vermeintlich nicht-verwertbare Stickbilder zu fertigen, die seit seiner ersten Biennale-Beteiligung für circa 40.000 USD im Kunsthandel kursieren, sondern dass dieser Trailer, der die Mechanismen des Kunstmarktes dekonstruiert, einen solchen Werdegang nehmen konnte. - 86 - Ingo Herrmann “From the beginning, the project was supposed to be critical. When I showed the Caligula video, I thought I was making this big challenge to the art world and that everyone would freak out seeing it next to some iron sculpture or abstract painting. But the incredible thing was that people just went into that room and sort of loved it, which was very strange for me. I was thinking they would see themselves, not Hollywood; I was talking about our practice. Yet the art world seems so anesthetized, so ready to swallow anything, that I'm not sure to what degree the new project can be perceived as critical.”181 Vezzoli scheint nach dem großen Erfolg auf der Biennale und der Einsicht, dass sein „kritischer Ansatz“ fehlgeschlagen war, sein ursprüngliches Konzept erweitert zu haben. Diese Erweiterung hat zum Einen zur Folge, dass der Vertrieb des Trailers durch die Gagosian Gallery ausschließlich an private Sammlungen erfolgt (neben Ludwig und Guggenheim an einen Unbekannten), und wird durch die zahlreichen Merchandising-Produkte wie Filmplakate oder Offset-Drucke nur noch komplettiert.182 Damit behält Vezzoli in seinen Arbeiten eine Konstanz bei: Bereits mit Francesco by Francesco: Before and After (Vgl. Abbildung 16) verbildlicht er die Notwendigkeit als Künstler zwei Gesichter zu haben, ein geschöntes und ein vermeintlich „wahres“, persönliches. Er reiht sich so zwischen Präsidentengattinnen und Filmstars in die Galerie der „Stars“, zeigt mit dem „wahren“ Francesco jedoch das Bewusstsein um die künstliche Oberflächlichkeit seines „Alter Ego“. 6.3 Pornographie und Modefotographie In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Übertretungen und Überschneidungen zwischen Mode, Werbung, Musik-Video, Kunst und Pornographie. Diese Vermengung wurde 2004 in einem Artikel der britischen Boulevard-Zeitung Sun zur Veröffentlichung des Toxic-Videos von Britney Spears am treffendsten beschrieben: „A star is porn“.183 Doch 181 Vezzoli, Francesco, zitiert nach: Rothkopf, Scott: 1000 words - Francesco Vezzoli talks about Democrazy, 2007, erschienen in: ArtForum, 07/2007, S.134. 182 Vgl. http.//www.gagosian.com (am 10.Oktober 2008). 183 http://www.thesun.co.uk/sol/homepage/features/life/article204870.ece (am 02.Januar 2009). - 87 - Ingo Herrmann gibt es zwischen Vezzolis Trailer und der Musikindustrie nur einen Kontaktpunkt – den Produzenten des Trailers, Joseph Uliano, der neben Werbung auch Musikvideos produziert. Vielversprechender erscheint die Betrachtung der Modeindustrie, da neben Vriens als ausgesprochenem Modefotografen auch Versace als Kostümdesignerin in Erscheinung tritt und Vezzoli zudem familiäre Kontakte zu Miuccia Prada – der Gründererbin des italienischen Modekonzerns – unterhält, die viele seiner frühen Arbeiten förderte und Vezzoli heute noch unterstützt. Weiterhin wurde bereits auf einen Interviewausschnitt verwiesen (vgl. Fußnote 166), in dem Vezzoli ausführlich auf die kulturelle Leitfunktion von Mode verweist – trotz aller intellektuellen Komplexe die diesem Thema anhaften. Betrachtet man die Entwicklung der Modefotografie von den 1990er Jahren bis jetzt, lassen sich drei wesentliche Trends ausmachen. Der „Heroin-Chic“ der frühen 1990er Jahre, die Pornographisierung der Jahrtausendwende und schließlich die spätestens Ende 2008 proklamierte Rückkehr zu bedeckten Körpern und Bescheidenheit.184 Der „Heroin- Chic“ ist dabei gekennzeichnet durch magere Models, die sich durch eingefallene Wangen, Hämatome, rote Risse und teilweise durch herumliegende Spritzen, Aluminiumpapier und Löffel als Zugehörige zu einem Drogenmilieu der Straße ausweisen. Gewalteinwirkung und Drogenkonsum werden in den Fotographien bis zum vermeintlichen Exitus gesteigert, etwa bei Terry Richardson, der ein Model durchgeschnittener Kehle im „kleinen Schwarzen“ inszeniert. mit 185 Ein Übergang weg vom Heroin-Chic hin zur Pornographisierung wird als steril, klinisch und modernistisch beschrieben. Models werden als androgyne starre Wesen in minimalistischem Ambiente inszeniert deren Makellosigkeit so unnatürlich wirkt, dass der Betrachter geneigt ist zu glauben, er blicke auf Roboter und nicht auf Menschen. Die Pornographie hielt spätestens 1999 Einzug in die Modewelt, als Larry Sultan eine Fotoserie in der „Vogue Hommes International“ veröffentlichte, die während der Dreharbeiten zu einem Pornofilm am Drehort 184 Vgl. für die „Neue Bescheidenheit“ Lemle, Stefan im Interview mit Thomas Maier: Workwear de Luxe, erschienen in: Gentelmans Quartely style, Nr.14, 2008, S.304-311. 185 Shevory, Thomas C.: Body/Politics – Studies in Reproduction, Production and (Re)Construction, Westport, 2000, S.187f. - 88 - Ingo Herrmann aufgenommen wurde.186 Dies erfuhr in den Folgejahren eine immer weiter gehende Sexualisierung. Angefangen bei Terry Richardsons „PalmSpring“ Sisley Kampagne (vgl. Abbildung 13) über Matthias Vriens und Alex Cayley setzten alle bekannten Fotografen auf Nacktheit und jedes Label fokussierte einen Aspekt der sexuellen Ausschweifungen: „Versace setzte auf Orgien, Ungaro auf Sodomie, Gucci auf Erektion sowie lesbische Liebe, Yves Saint Laurent auf Selbstbefriedigung […] und Calvin Klein […auf] Pädophilie-Inszenierungen.“187 Abbildung 13: Terry Richardson - Sisley-Kampagne "Palm-Spring" Frühjahr/Sommer 2000, unbekannte Maße Seit 2007 verkünden immer mehr Labels den Rückzug von Nacktheit, Obszönität und sexualisierten Bildern. Zeitgleich werden Modefotografien in Museen ausgestellt, was nicht nur die Brisanz der Visionen der Label-Inhaber unterstreicht, Jacken und Mäntel wie Kunstwerke wahrzunehmen, die auch ohne Logo erkannt werden und eine symbolische Wertigkeit aus sich heraus implizieren, sondern vor allem die Verbindung der Modesphäre mit der Sphäre der 186 Vgl. http://www.forever-beauty.com/working-men/index.html (am 05.Januar 2009). Liebs, Holger: Spul mal vor, Alter. Navigationshilfen in Babylon: Die Kunst als Global Positioning System im Feld der Pornografie, erschienen in: Metelmann, Jörg (Hrsg.): Porno Pop – Sex in der Oberflächenwelt (Reihe: Film-Medium-Diskurs, Band 8), Würzburg, 2005, S.91. 187 - 89 - Ingo Herrmann Kunst. Diese Verbindung besteht aber nicht einseitig, sondern wird von zwei Seiten vorangetrieben, von Künstlern sowie von Modefotografen, wobei letztere Ziele verfolgen, die mehr werbestrategisch, als künstlerisch bezeichnet werden müssen. Eine genaue Abgrenzung fällt jedoch zunehmend schwerer, wie Salvemini beispielhaft an den Kampagnen des italienischen Fotographen Oliviero Toscani für den Modekonzern United Colors of Benetton veranschaulicht hat.188 Bei der Verquickung von Mode und Kunstwelt wird eine Ausstellung immer wieder als Wegmarke beschrieben: Steven Meisel: Four Days in LA: The Versace Pictures in der Londoner White Cube Gallery,189 in der Steven Meisel – Hauptfotograf der Vogue – ausschließlich Auftragsarbeiten für Versace zeigte. In Deutschland zeigten die Hamburger Deichtorhallen 2002 Archeology of Elegance190, in Berlin widmet die Galerie Kunstwerke Terry Richardson 2003 eine Ausstellung,191 und 2008 war Richard Avedon auch mit seinen Modefotografien im Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Umgekehrt arbeiten aber auch immer mehr Künstler als Modefotografen und setzen sich – ebenfalls durch Auftrag bestimmt – beispielsweise mit Pornographie, Sexualität und Körper auseinander. Schließlich werden Fotos von Nan Goldin, Richard Prince und Cindy Sherman neben Bildern von Matthias Vriens und Terry Richardson in „i-D“, „Vogue“, „Harper’s Bazaar“ oder „Spin“ abgedruckt.192 Auch wenn diese Ausführungen etwas oberflächlich erscheinen, sollen sie dennoch eines verdeutlichen: Eine zunehmende Verschränkung von Kunst und Mode, wobei – wie Vezzoli sagt – keine Wertigkeit hinsichtlich des symbolischen Kapitals besteht, welches die Kunst per se besitzt und die Mode sich, nicht zuletzt durch die Verquickung mit der Kunst, gegen den „intellektuellen Komplex“ anzueignen versucht. Dabei ist – wie oben ausgeführt – nicht ausschließlich eine formale Ebene gemeint, dass 188 Vgl. Salvemini, Lorella Pagnucco: Toscani – Die Werbekampagnen für Benetton – 1984-2000, München, 2002. 189 Vgl. http://www.whitecube.com/exhibitions/theversacepictures/ (am 05.Januar 2009). 190 Vgl. http://www.deichtorhallen.de/106.html (am 05.Januar 2009). 191 Vgl. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,270552,00.html (am 05.Januar 2009). 192 Liebs, Holger (2005): a.a.O., S.90ff. - 90 - Ingo Herrmann beispielsweise beide – Kunst und Modefotographie – in denselben Institutionen präsentiert werden, sondern mit den pornographischen Anleihen beider Sphären auch eine inhaltlich-bildliche Ebene aufgezeigt. Abbildung 14: Nan Goldin - Rise and Monty kissing, 1988, 69,5 x 101,6 cm 6.4 Die Dekonstruktion des Kunstmarktes Betrachtet man die bisher von Vezzoli präsentierten Werke, lässt sich neben anderen Parallelen ein Zusammenhang herausstellen, der im Folgenden betrachtet werden soll. Comizi di non amore (2004) war eine Pilotsendung für eine Reality-Show, die nicht im Fernsehen gesendet werden würde; Democrazy! (2007) war eine Wahlkampagne für eine Wahl, die nie stattfinden würde und Caligula (2005) war schließlich ein Trailer für einen Film, der nie existieren würde. Die Pilotsendung, die politische Kampagne wie auch der Trailer zielen also alle darauf ab, ein Produkt erstellen zu wollen, was ausschließlich im Kopf des Künstlers und den Köpfen der Betrachter entsteht. Vezzoli hat sich mehrfach über den zeitgenössischen Kunstmarkt geäußert, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er spätestens seit Vorstellung - 91 - Ingo Herrmann des Caligula-Trailers mit einer rasant ansteigenden internationalen Aufmerksamkeit konfrontiert war und schließlich selbst von diesem Markt profitiert hat. Die Kunstwelt “…has become such a self-promotional universe that I've basically grown obsessed with deconstructing the very means of promotion.”193 Das "desire for visibility", so seine Analyse, ist allerdings kein Phänomen des Kunstmarktes, sondern ebenso der Politik, der Religion und anderer gesellschaftlicher Subsysteme. "For me, the art world has become a place that has turned itself, willingly or not, into some sort of entertainment industry…"194, eine Äußerung, die, betrachtet man den Caligula-Trailer, einer gewissen Ambivalenz nicht zu entbehren vermag. Zum einen nutzt Vezzoli die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie und medientaugliche Bilder um seine eigene Person und sein Werk zu thematisieren und durch provokante Anzeigen, die gewählten Formate (Reality-Show, Trailer, Wahlwerbespot) und die Zusammenarbeit mit Stars Aufmerksamkeit zu beanspruchen.195 Zum anderen setzt er innerhalb seiner Arbeiten Störelemente ein, um die zuvor verwendeten Mechanismen und Bilder, wenn nicht in Frage zu stellen, so doch zumindest um sie offenzulegen, zu dekonstruieren. Die Einsicht in das vermeintliche Scheitern seines Trailers (vgl. Fußnote 181) ist aber nicht zuletzt auf seine Arbeitsweise zurückzuführen: „I'm obsessed with the idea of speed. Let's face it, video art in group shows can be boring. People have no time to look at it, so you have to be honest with yourself and make something watchable for the situation it's in. Just like a real TV spot, you've got a minute to decide, end of story.”196 Der Versuch die Produktionsweisen der Medien (sei es Fernsehen, Kino, Werbe-Fotografie oder Design) für seine künstlerischen Zwecke nutzbar zu machen, kann aber nicht gänzlich als gescheitert betrachtet werden, sondern ist lediglich Ausdruck der Ambivalenz des Werkes. Liefe der Film – zwischen andere Filmvorschauen geschnitten – in einem Multiplex-Kino, würde er sich – abgesehen von seiner Überlänge – auf den ersten Blick 193 Vezzoli, Francesco (2007): a.a.O., S.137. Yablonsky, Linda (2006): a.a.O., S.27. 195 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/muenchen/artikel/611/143293/ (am 23.November 2008). 196 Vezzoli, Francesco (2007): a.a.O., S.137. 194 - 92 - Ingo Herrmann nicht von „gewöhnlichen“ Trailern unterscheiden, was nicht verwundert, da er nach ähnlichen Mustern konstruiert ist. „There are so many exhibitions, and what do most people know about them? The ad they see in Artforum. The campaign is all people see. I mean, who of all the voters ever gets the chance to actually see the candidate at a political rally? What will they remember? The ads.”197 Die erläuterten Wirkungsmechanismen sind auch bei Betrachtern von Kunst etabliert und funktionieren gleichfalls in Magazinen, im Kino oder Museum. Der Trailer im Museum kann demnach nur deshalb seine dekonstruktive Wirkung entfalten, weil er die Authentifizierungs-Strategien der Medien verwendet und diese in einem Rahmen präsentiert, der nicht mit den Erwartungen der Betrachter konform gehen dürfte. Die Auseinandersetzung mit medial erzeugten Bildern, Superstars und ihren Authentifizierungs-Strategien fand bereits durch die Pop-Art statt, wurde von Fluxus und weiteren Gruppen aufgenommen und ist bis heute Thema der Kunst.198 In den 1970er Jahren hat sich beispielsweise Cindy Sherman mit medial erzeugten Bildern und ihren durch Standardisierung erzeugten Effekten auseinandergesetzt. So sind Shermans Film-Stills ab 1977 Kompositionen, die tausendfach in Hollywood-Filmen und auf dazugehörigen Filmplakaten der 1950er Jahre Verwendung fanden, und den Betrachter die dargestellte Situation in Augenblicken erfassen lassen. Die abgebildeten Personen waren an ähnlichen Orten mit ähnlichen Methoden inszeniert, wie die Hollywood-Stars auf Filmplakaten, was zur Folge hatte, dass die Sehgewohnheiten der Betrachter nicht sonderlich herausgefordert wurden, sondern in bekannten Mustern verhaftet blieben. Zugleich verwendete Sherman – wie Vezzoli – Störelemente, die die perfekt anmutende Oberfläche aus sich heraus in Frage stellen, z.B. die Kombination von schwarzem BH und weißem Slip (Still Nr.6) oder die viel zu klein erscheinende Frau vor einem Stationsgebäude (Still Nr.44).199 197 Ebd., S.138. Miessgang, Thomas: Das Theater der Illusionen – Deconstructing the Superstar: Body Karaoke, Doppelgänger und der ironische Phallus – Glamourhelden auf dem Seziertisch der Kunst, erschienen in: Kunsthalle Wien, Superstars – Das Prinzip Prominenz – Von Warhol bis Madonna (Ausstellungskatalog, 4.11.2005 – 22.02.2006), Ostfildern Ruit, 2005, S.257. 199 Vgl. Vogel, Fritz-Franz: The Cindy Shermans – Inszenierte Identitäten – Fotogeschichten von 1840 bis 2005, S.156. 198 - 93 - Ingo Herrmann Mit der Konstruktion dieses Wiedererkennungswertes und der Verwendung von Störelementen dekonstruiert Sherman die angewandte Authentifizierungs-Strategie, wie auch Vezzoli sie durch die Präsentation vermeintlicher Werbung im Museum dekonstruiert. Wenige Tage nach Beginn der Biennale in Venedig (12.Juni bis 06.November 2005), wo der Caligula-Trailer erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde, veröffentlichte das Art Newspaper in einer Sonderausgabe zur Art Basel einen Artikel, in dem auch Vezzoli Erwähnung findet:. „On the opening day of Art Basel, Turin gallerist Franco Noero is standing at his booth when an American collector strides up to him, asking about Francesco Vezzoli’s Flower arrangement, homage to Bruce Nauman, a bouquet of 100 crimson roses posed high upon a pedestal in a pastoral basket. ‘Are you familiar with his work?’ Mr. Noero asks. The collector responds, ‘Well, I saw the video in Venice.’…”200 Damit verweist er auf den Caligula-Trailer und erwirbt gemäß Art Newspaper das Bouquet für 25.000 USD ohne weitere Nachfragen über Vezzoli.201 Folgt man Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen, ist ein Kunstwerk eine Art „kulturelles Kapital“, das Distinktion gewährt,202 da – anders als beispielsweise bei einem Designermöbel – die Vorstellung von erkenntnistheoretischem Mehrwert, Wahrheit, Einsichten und intellektuelle Leistungen mit ihm verknüpft sind. Auf dem Kunstmarkt existieren – folgt man einem ökonomischen Gedanken – unterschiedliche künstlerische Produkte, die nicht gleichermaßen anerkannt sind, sondern "…auf dem Markt der symbolischen Güter einen höchst unterschiedlichen materiellen und symbolischen Kurswert…"203 haben, der sich nicht zuletzt über die Bekanntheit des Produktes, und demnach des Künstlers und seines Werkes definiert.204 Vezzoli transformiert also die Biennale oder das Museum in einen Marktplatz für Kunst, der einer Grundkonzeption im 200 Spiegler, Marc: The Venice Effect, erschienen in: The Art Newspaper, Special Art Basel Edition, Mittwoch, 15.Juni 2005, S.1. 201 Vgl. ebd., S.1. 202 Bourdieu, Pierre: Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt/Main, 2000, S.60ff. 203 Ebd., S.63. 204 Für die Auseinandersetzung mit dem Symbolwert von Kunst Vgl. Graw, Isabelle (2008): a.a.O., S.24ff. - 94 - Ingo Herrmann Marketing folgt. Das Bedürfnis nach Distinktion wird in einen Wunsch transformiert, also das Verlangen nach konkreter Befriedigung des Bedürfnisses, und findet in der Nachfrage schließlich seine Befriedigung.205 Dossi arbeitete zudem die Rolle der „Tastemakers“ auf dem Kunstmarkt heraus; Galeristen, Kritiker, Sammler und Kuratoren, die Kunst beurteilen, kaufen oder beratend tätig werden und damit „Geschmack“ produzieren und bestimmten Künstlern symbolische Werte zuweisen.206 Diese symbolischen Werte des Kunstwerkes, den intellektuellen Anspruch, die Sonderstellung, Singularität und das Einmaligkeitsversprechen von Kunst, thematisiert Vezzoli. Er schafft selbst einen symbolischen Wert, beauftragt professionelle Produzenten für seinen Trailer, wählt mit einem erfolgreichen Pornofilm der späten 1970er und frühen 1980er Jahre ein provokatives, verkaufsfähiges Thema und vermittelt im Film durch den baulichen Prunk, die vermeintliche Qualität des Gezeigten und die Vielzahl der Stars eine Aura der Dekadenz. Dieser so von Vezzoli geschaffene Wert wird augenblicklich zu einem Wunsch, der sich bereits wenige Tage danach auf der Art Basel in einen Preis, Interesse an seiner Person, Berichterstattung, also symbolisches Kapital konvertiert und schließlich Nachfrage erzeugt. Diese Konstellation entbehrt zugleich nicht einer gewissen Komik, da die Form des Trailers nicht nur zur Bewerbung eines nicht existierenden Films wird, sondern auch Werbung für Vezzoli selbst macht, für seine Kunstwerke. Die Wahl des pornographischen Films als Thema des Trailers erscheint dabei ebenso von Bedeutung, ist doch der pornographische Film das Gegenstück zum symbolischen Wert eines Kunstwerkes. Er erfüllt weder besondere intellektuelle Ansprüche, noch hat er eine Sonderstellung neben andern pornographischen Filmen, oder sticht durch Singularität und Einmaligkeitsversprechen hervor. Allerdings nimmt der historische Caligula-Film im Genre der Pornographie einen besonderen Platz ein, da Guccione einen pornographischen Film für einen Massenmarkt schaffen wollte, der über verkaufsfördernde Stars, einen 205 206 Vgl. Bliemel, Friedhelm; Kotler, Philip (2001): a.a.O., S.13. Vgl. Dossi, Piroschka: Hype – Kunst und Geld, München, 2007, S.12ff. - 95 - Ingo Herrmann berühmten Drehbuchautor und ein geplantes Marketing-Konzept zu einem der erfolgreichsten Pornofilme werden sollte. Er bricht damit nicht nur endgültig mit dem Wahrheitsdiktum des pornographischen Films, sondern forciert zudem volle Inszenierung und mediale wie monetäre Verwertbarkeit. 7 Fazit - Der Papst als Medienstar All die aufgezeigten Beziehungen zwischen Populärkultur, Kunst und Pornographie wurden in den letzten Absätzen so ausführlich dargestellt, dass sie hier nicht erneut Erwähnung finden sollen. Vielmehr soll die Essenz der vorliegenden Arbeit an einer letzten Einstellung des Trailers verdeutlicht werden. Vezzolis Trailer gipfelt abschließend in ein Signet das statt Caligula – vgl. Abbildung 11: Key Art Caligula (Vezzoli-Trailer) und Abbildung 12: Key Art Caligula (Original-Trailer) – Papst Johannes Paul II. zeigt. Dieses Signet evoziert nicht zuletzt aufgrund der Thematik des Trailers Überlegungen zur Rolle der Sexualität in der Kirche, der Verbannung von Schwulen, der Rolle der Frau und dem beschränkten Familienbild der katholischen Kirche usw. Allerdings würde Vezzolis Intentionen damit, wenn nicht verfälscht, so doch verkürzt werden. Gemäß dem Fall, diese Assoziationen mögen nicht gänzlich verkehrt sein, bilden sie keinesfalls den Kern dieses Papst-Emblems im Caligula-Gewand. Im Frühjahr des Jahres in dem Vezzolis Trailer entstand, am Nachmittag des 2. April 2005 um 15:30 Uhr, soll Papst Johannes Paul II. seine letzten Worte gesprochen haben. „Lasst mich in das Haus des Vaters gehen.“207 Um 21:37 Uhr verstarb er 84-jährig in seinen Privaträumen.208 Binnen Stunden strömten nicht nur tausende Gläubige auf den Petersplatz in Rom, sondern hatten sich hunderte Übertragungswagen auf einem Platz vor der Engelsburg versammelt, Journalisten berichteten von einer dreistöckigen Tribüne auf dem Petersplatz und die Weltöffentlichkeit blickte nach Rom. Nur wenige Monate später versammelten sich in Köln hunderttausende Jugendliche, um gemeinsam mit der katholischen Kirche 207 208 Acta Apostolicae Sedis (Commentarium Officiale), Band 97, Rom, 2005, S.783. Vgl. ebd., S.785. - 96 - Ingo Herrmann den Weltjugendtag zu begehen. Anstatt des soeben verstorbenen Johannes Paul II. kam Benedikt XVI.209 Der Tod Johannes Paul II. war eines der prägenden Medienereignisse des Jahres 2005, dessen Inszenierung auf ebenjenen Papst Johannes Paul II. zurückgeht, der rückblickend von der Literatur als „Medienpapst“ beschrieben wird.210 Dessen Enzyklika Redemptoris Missio forcierte Anfang der 1990er Jahre die Nutzbarmachung der Massenmedien für die katholische Missionstätigkeit: „Ein solcher erster Areopag der neuen Zeit ist die Welt der Kommunikation, die die Menschheit immer mehr eint und - wie man zu sagen pflegt - zu einem »Weltdorf« macht. Die Mittel der sozialen Kommunikation spielen eine derartig wichtige Rolle, daß sie für viele zum Hauptinstrument der Information und Bildung, der Führung und Beratung für individuelles, familiäres und soziales Verhalten geworden sind. Vor allem die neuen Generationen wachsen in einer davon geprägten Welt auf. Vielleicht ist dieser Areopag etwas vernachlässigt worden. Man bevorzugt im allgemeinen andere Hilfsmittel für die Verkündigung des Evangeliums und für die Bildung, während die Massenmedien der Initiative einzelner oder kleiner Gruppen überlassen werden und in der pastoralen Planung erst an untergeordneter Stelle Eingang finden. Die Einbeziehung der Massenmedien hat jedenfalls nicht nur den Zweck, die Botschaft des Evangeliums vielen zugänglich zu machen. Es handelt sich um eine weitaus tiefere Angelegenheit, da die Evangelisierung der modernen Kultur selbst zum großen Teil von ihrem Einfluß abhängt. Es genügt also nicht, sie nur zur Verbreitung der christlichen Botschaft und der Lehre der Kirche zu benutzen; sondern die Botschaft selbst muß in diese, von der modernen Kommunikation geschaffene ‚neue Kultur’ integriert werden. Es ist ein komplexes Problem, da diese Kultur noch vor ihren Inhalten aus der Tatsache selbst entsteht, daß es neue Arten der Mitteilung in Verbindung mit einer neuen Sprache, mit neuen Techniken und mit neuen psychologischen Haltungen gibt."211 209 Vgl. Klenk, Christian: Ein deutscher Papst wird Medienstar - Benedikt XVI. und der Kölner Weltjugendtag in der Presse, Berlin, 2008, S.13. 210 Vgl. Kallscheuer, Otto: Ein Medienpapst an Leib und Leben? Johannes Paul II. auf Sendung, erschienen in: Communicatio Socialis, 38, 2005, S.262-280. 211 Johannes Paul II., Redemptoris Missio, Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages, Vatican, 1991, Kapitel 4, Abschnitt 37c. - 97 - Ingo Herrmann Die mediale Inszenierung des Sterbens, der Aufbahrung und der Bestattung Papst Johannes Pauls II. stellt somit einen Höhepunkt in der Überführung der traditionellen kirchlichen Kultur in eine von den Medien inszenierte dar, indem der Impulsgeber der massenmedialen Nutzbarmachung eine letzte mediale Würdigung erfährt. Der Tod Papst Johannes Paul II. mag für Vezzoli zur rechten Zeit gekommen sein, nichtsdestotrotz lässt sich die vermeintlich zufällige Integration des Papsts im Jahr seines medial begleiteten Todes auf einen Aufsatz Pasolinis zurückführen. In Marlene Redux brachte sich Vezzoli – wie oben erwähnt – mit Pasolini in Verbindung, wenn er sich (fiktiv) durch einen Stricher ermorden lässt, wie auch Pasolini durch einen Stricher ermordet wurde. Eben dieser Pasolini veröffentlichte am 17.Mai 1973 einen Artikel, in dem er auf eine Kritik der katholischen Kirche römischan einer Werbekampagne für eine Jeans reagierte. Die als „blasphemisch“ kritisierte Werbe-Aufnahme zeigt die Hinteransicht einer jungen Frau in leichter Untersicht. Die perfekten, Rundungen stellen „…Aufruf wohlgeformten in Großaufnahme einen unverkennbaren zu unverkrampfter Sexualität dar.“212 Quer über das Gesäß der Frau steht zudem eine Abbildung 15: Werbung für 'Jesus Jeans' Paraphrase Christi als Slogan für die beworbene Jesus Jeans: „Chi mi ama mi segua“ (Wer mich liebt, der folge mir nach, Joh. 12, 26). In diesem Artikel verweist Pasolini schließlich auf den Wandel der italienischen Gesellschaft durch den Wandel der Konsumgewohnheiten. Die Menschen erwiesen sich immer weniger empfänglich für kirchliche Werte, die sie in der Vergangenheit prägten, und öffneten sich immer mehr einer „profanen 212 Vgl. Salvemini, Lorella Pagnucco (2002): a.a.O., S.11. - 98 - Ingo Herrmann Spiritualität“, deren Riten nicht mehr in der Kirche, sondern im Supermarkt stattfinden. „Es scheint verrückt […], aber der Fall der ‚Jesus Jeans‘ ist für all das symptomatisch. […] Im Zynismus dieses Slogans liegt eine absolut neue Dichte und Unschuld, auch wenn dieses Neue vielleicht schon seit Jahrzehnten heranreift. Es beschreibt mit lakonischer Selbstverständlichkeit ein Phänomen, das mit einem Schlag fertig und als vollendete Tatsache in unser Bewusstsein trat: Die neuen Industriellen und die neuen Techniker sind völlig laizistisch, das heißt von einer Weltlichkeit, die sich nicht mehr an der Religion misst.“213 Innerhalb der Profanisierung der Gesellschaft sieht er einen „neuen Wert“ der „…in der Entropie der bürgerlichen Gesellschaft entstanden ist, in der Religion als Autorität und Form von Herrschaft verkümmert und bloß noch als natürliche Basis für Massenkonsum und als missbrauchte Folklore überlebt.“ 214 Nach Pasolini überwältigt das neue Zeitalter des Konsums alles und macht alles zur Ware. Diesem Schicksal kann sich auch die Kirche nicht entziehen. Da es in Pasolinis Vorstellung keine Gläubigen, sondern nur noch Konsumenten gibt, passt sie sich – um weiterzuleben – den herrschenden Marketingstrategien an, womit sich schließlich auch der Glaube unter die Konsumgüter einreihe. 215 Papst Benedikt XVI. greift die Thematisierung neuer Medien auf und führt diese fort, beschreibt jedoch mit der Themenwahl zum Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel 2008 („Die Medien am Scheideweg zwischen Selbstdarstellung und Dienst. Die Wahrheit suchen, um sie mitzuteilen“) die Gratwanderung, die mit einer Nutzbarmachung der Medien verbunden ist. Die „wahllose Selbstdarstellung“ und die „gute“ wie „schlechte“ Dienstbarmachung stehen im Rahmen der Möglichkeiten, die das Mediensystem den Menschen bietet. Der Beitrag, den die Medien „…für den Nachrichtenfluss, für die Kenntnis der Fakten und die Verbreitung des Wissens leisten können…“, ist, wie Benedikt XVI. herausstellt, unbestreitbar, da sie „…zum Beispiel entscheidend zur 213 Pasolini, Pier Paolo: Linguistische Analyse eines Werbeslogans, erschienen in: Kammerer, Peter (Hrsg.): Freibeuterschriften – Die Zerstörung der Kultur des einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Berlin, 1998, S.28ff. 214 Ebd., S.28f. 215 Vgl. ebd., S.29f. - 99 - Ingo Herrmann Alphabetisierung und zur Sozialisierung wie auch zur Entwicklung der Demokratie und des Dialogs unter den Völkern beigetragen [haben]…“. Damit sind die Medien nicht nur „…Mittel zur Verbreitung der Ideen…“, sondern auch „…Instrumente im Dienst einer gerechteren und solidarischeren Welt…“. Gleichzeitig weist er auf die Gefahr hin, die von der Medienwelt aus Sicht der katholischen Kirche ausgeht und darin besteht, das sie sich zu einem System entwickelt, welches vorwiegend „…Kommunikation zu ideologischen Zwecken oder zur Platzierung von Konsumprodukten durch eine obsessive Werbung…“ verfolgt.216 Auch wenn diese Botschaft Benedikt XVI. einige Jahre nach der Veröffentlichung des Trailers verkündet wurde, fasst sie doch recht gut den Kerngedanken von Vezzolis Werk zusammen. Medien sind auch für Vezzoli dienstbare Instrumente, die neben der Popularisierung von Kunst, Personen und sonstigen Inhalten, durch immerwährende Wiederholung desselben Musters lediglich Oberflächen produzieren. So etwa bei den Wahlwerbespots mit Stone und Levy, deren Floskelhaftigkeit dem Betrachter durch gleichzeigte Projektion der beiden ähnlichen Spots offenbar gemacht wird, oder auch der Produktwerbung für ein nicht existierendes Parfüm – nur die Kampagne ist mediale Wahrheit. Somit können die eingangs zitierten Zeilen von Miuccia Prada als Kern von Vezzolis Werk bezeichnet werden: “I very much appreciate Francesco’s work, because of the strong political content that is generally underestimated. What people get is usually the involvement of famous people, but what is really powerful in his work is the deconstruction of the mediatic system.”217 216 Vgl. Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum 42. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel - "Die Medien am Scheideweg zwischen Selbstdarstellung und Dienst. Die Wahrheit suchen, um sie mitzuteilen.", http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/messages/communications/documents/hf _ben-xvi_mes_20080124_42nd-world-communications-day_ge.html (am 07.Oktober 2008). 217 Larocca, Amy (2007): a.a.O., S.20. - 100 - Ingo Herrmann Abbildung 16: Francesco by Francesco: Before and After (2002) Dass er sich als Künstler von den oben beschriebenen Mechanismen nicht ausnimmt, verdeutlicht, neben der Präsenz in den eingangs geschilderten Werken, am Besten das schon mehrfach erwähnte und im Besitz der Galerie für zeitgenössische Kunst (Leipzig) befindliche Werk Francesco by Francesco: Before and After (2002). Um als Künstler wahrgenommen zu werden, muss er sich selbst und sein Werk bearbeiten und medial inszenieren. „Before“ erscheint er – wie beschrieben – in lockerer Alltagspose mit Dreitagebart und offenem Hemd, den Blick dem Betrachter zugewandt. Auf dem „After“-Bild dagegen als gepflegte androgyne Erscheinung mit frisierten Haaren, glatt geschminkter Gesichtshaut und weißer Fliege. Die mit Silberfaden gestickte Träne auf dem „Before“-Bild und ihre Transformation zu einem mit Silberfaden gestickten Lidschatten im „After“-Bild, unterstreichen diesen Wandel zusätzlich. Die persönliche Inszenierung geht dabei mit der des Werkes einher. Kunst adaptiert Celebrity-Logik und verschmilzt mit Populärkultur, wie auch die Kirche solche Mechanismen adaptiert und in manchen südamerikanischen Kirchen Musik-CDs des Pfarrers verkauft werden. Der Entwicklung zur medialen Inszenierung konnte sich auch die Pornographie nicht entziehen. Zwar hatte man dem Film, seit Muybridge die von - 101 - Ingo Herrmann Stanford aufgeworfenen Frage des Pferdes im Galopp beantwortete, einen „Wahrheitsgehalt“ zugesprochen, diese „Wahrheit“ wurde jedoch im Lauf der Entwicklung zugunsten des rein inszenierten und standardisierten Films abgelöst. Der pornographische Film behielt lange Zeit diesen „Wahrheitsmythos“ aufrecht, adaptierte jedoch spätestens in den 1960er Jahren – z.B. über den Jacobellis-Standard – die narrativen HollywoodStrukturen. Spätestens seit Ende der 1960er Jahre ist dieser Prozess abgeschlossen. Zwar gab es in den folgenden Jahren große Erfolge – allen voran Deep Throat – die sehr erfolgreich im Kino liefen und sogar Stars hervorbrachten, Caligula ist allerdings der erste groß inszenierte Film, der das traditionelle „Hollywood“-Kino mit seinen „großen“ Stars und das pornographische Genre verbindet. Damit gleicht sich auch die Pornographie dem populärkulturellen Diktum der medialen Inszenierung an. Vezzoli verbindet schließlich diese Entwicklungen und zeigt, dass die Entwicklung einer inszenierten Oberfläche ein Diktum ist, dem sich weder die Kunst noch die Kirche entziehen kann. Papst, Pornographie, Kino und Kunst – alle adaptieren eine Strategie: Inszenierung. - 102 - Ingo Herrmann Literaturverzeichnis Eine ausführliche Bibliographie zu Vezzoli aktualisiert die Galerie Neu (Berlin) beständig auf ihrer Homepage (http://www.galerieneu.net/artists/show/id/17). Viele der dort aufgeführten Beiträge sind allerdings aus populären Medien und seltener wissenschaftlichen Ursprungs, so dass deren Verwertbarkeit sich auf einige Interview-Ausschnitte von Vezzoli beschränkt. Aufgrund der besseren Verfügbarkeit beziehen sich viele Quellen auf das Internet. Dahinter stehen zum einen Zeitschriftenartikel, die nicht anders zitiert werden konnten, da z.B. Seitenzahlen usw. nicht verfügbar waren, zum anderen Video-Ausschnitte und anderes. Trotz der Bedenken die sich hinsichtlich der Zitierfähigkeit von Internetquellen ergeben, war der Verfasser bemüht , stets mit dem nötigen quellenkritischen Bewusstsein an diese heranzutreten uns auszuwerten. Dies trifft nicht zuletzt auf die Abbildungen zu, die zwar zu einem großen Teil vom Verfasser als FilmStill angefertigt wurden, deren Grundlage jedoch ebenfalls dem Internet entnommen ist. 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P.: Toscani – Die Werbekampagnen für Benetton – 1984-2000, München, 2002, S.46) Abbildung 16: Francesco by Francesco: Before and After (2002) (Ausst.-Kat. The Needleworks of Francesco Vezzoli, Zeitgenössische Kunst Leipzig, S.46/47) - xi - Galerie für